Heidegger

  • 06.12.92

    Der Naturbegriff ist der Bann, unter dem die Natur steht.
    Natur und Welt sind die durchs Herrendenken vermittelten Säkularisationsgestalten des Himmels und der Erde.
    Wird nicht in dem Verfassungsgerichtsverfahren über die Frage der Indikationsregelung im Falle der Abtreibung über die Gültigkeit des Satzes entschieden „Fiat justitia, pereat mundus“? Ein Verfassungsgericht, das sich um die moralische Verfassung der Republik nicht mehr schert, trägt bei zu ihrem Untergang. Es wäre zweifellos auch für einen Verfassungrichter eine lohnende Frage, ob nicht die Aufhebung der strafmildernden Wirkung von Trunkenheit zur Lösung des Problems der Gewalt in dieser Gesellschaft ganz erheblich beitragen könnte. Aber ein Recht, in dem Trunkenheit strafmildernd und Denken strafverschärfend sich auswirkt, paßt zu einem Abtreibungsrecht, das noch den Uterus der Frau dem Gewaltmonopol des Staates unterwirft. Die Wut, mit der die raf verfolgt wurde (und immer noch verfolgt wird), sind aus den Taten der raf allein nicht mehr abzuleiten – dann müßte angesichts der derzeitigen Pogrome in Deutschland ähnlich verfahren werden -; begründet war sie vor allem als Reaktion auf die politische Kritik, deren Diskriminierung das vorrangige Ziel war.
    Welches Übermaß an Gewalt notwendig ist, um den staatlichen Eigentumsschutz (nach außen und nach innen) heute noch zu gewährleisten, kennzeichnet den Zustand der Welt aufs genaueste. Und rechte Gewalt ist deshalb rechtlich so schwer zu fassen, weil es keine realen Eigentumsrechte tangiert (wieviel Asylanten wiegt ein Opfer der raf auf?).
    Wie hängen Geld und Schrift mit dem Ursprung des Privateigentums (dem Ursprung der staatlichen Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern) zusammen, und wie tief greifen sie in die mit dieser gesellschaftlichen Verfassung verbundenen Gestalt der Vernunft ein?
    In Hegels Philosophie ist der Weltbegriffs bereits vorausgesetzt und sein Ursprung (wie der von Raum und Zeit in der kantischen Philosophie) ins Unerkennbare verschoben.
    Welche Bedeutung haben die Zweierkonsonanten phi, psi, chi, xi im Griechischen; steht ihr Ursprung in Zusammenhang mit der Einführung der Vokale in die Schrift und dem Verschwinden des Digamma (F) und des Aspiranten (H)? Gibt es ausßerdem einen Zusammenhang mit der Benennung der Kreiszahl Pi?
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Vokalen und den Planeten? Und ist nicht der Name JHWHs eine Vokalfolge?
    Wie wäre es mit dem Titel: Läuse im Pelz?
    Beruhen nicht Scham, Entzündung, Fieber, Hitze auf einer Hemmung des Angesichts?
    Steckt da nicht eine ebenso ungeheuerliche wie fatale Konsequenz drin, wenn bei den Velikovsky-Anhängern jetzt dem Venus-Konkretismus jetzt eine historische Verschwörungstheorie („Karl der Fiktive“) folgt?
    Liegt das Barbaren-Hebräer-Problem nicht noch eine Stufe tiefer: Hängen der Schöpfungsgedanke und das Bewußtsein der Fremdheit logisch und inhaltlich zusammen, so daß beide nur gemeinsam bejaht oder verneint werden können?
    Die Fundamentalontologie ist der Strick, mit dem sich die Vernunft in der staatlich verfaßten Gesellschaft von Privateigentümern selbst erdrosselt. An der Fundamentalontologie wäre wie an einem klinischen Objekt zu studieren, was die Sünde wider den Heiligen Geist bedeutet (die Sünde wider den Heiligen Geist ist – in der logischen Folge des Eigentumsdenkens – die Weigerung, die Sünden der Welt auf sich zu nehmen).
    Zu Heideggers In-der-Welt-Sein: Das Paradigma Innen-Außen läßt sich von der Vorherrschaft des Außen (und der Selbstzerstörung des Innen) nicht mehr trennen. Der Gedanke an ein gegen das Außen sich behauptendes Innen ist durch die Geschichte der Naturwissenschaften obsolet geworden.
    Die Erde ist der dritte Planet; zwischen ihr und der Sonne sind auf der Erdseite der Mond, auf der Sonnenseite Merkur und Venus, außerhalb sind Mars, Jupiter und Saturn.

  • 02.12.92

    „Unbekannt verzogen“: Das Vergehen des Umzugs wurde vor den zuständigen Behörden nicht „bekannt“; so bleibt sie schuldig.
    Heideggers Fundamentalontologie ist Objektphilosophie, die das Konstitutionsproblem durchstreicht. Begriffe wie „Dasein“ und „Existenz“, man mag sie wenden wie man will, sind Kategorien der transzendentalen Logik, d.h. transzendental ableitbar und keine letzte Gegebenheiten.
    Wie ergeht es einem Richter nach dem Urteil? Omne animal post coitum triste.
    Wenn die Copula (das Urteil) etwas mit der Kopulation zu tun hat, dann ist das unreflektierte Dogma eine Verkörperung der Unzucht (und jede Verurteilung, wie in konzentriertester Gestalt dann auch die Fundamentalontologie, eine Vergewaltigung). Ex negativo wäre hieraus das Problem der Keuschheit der Sprache zu entwickeln: das Ideal der erkennenden, der theologischen Sprache. Und die drei evangelischen Räte, die im Kontext der verdinglichten mönchischen Weltverneinung selber verdinglicht worden sind: Armut, Gehorsam und Keuschheit, werden überhaupt erst begriffen, wenn man in ihnen Momente der Sprachreflexion, ihre Beziehung zum Problem der benennenden Kraft der Sprache, erkennt.
    Wie dem Weltbegriff in den drei Offenbarungsreligionen die Lehre von der Schöpfung entgegensteht, so dem durch den Weltbegriff vermittelten Naturbegriff die Lehre von der Auferstehung der Toten. Die Welt nagelt die Dinge auf ihr Anderssein fest; dagegen hilft nur parakletisches Denken.
    Ist die Wahrheit „beweisbar“; was heißt „beweisen“? Wie und in welcher Richtung wird die juristische (und wissenschaftliche) Wahrheitsfindung eingeschränkt durch die Beweisforderung? (Aus Gründen der Beweislogik ist Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand: Hängt hiermit, d.h. mit Systemgründen, und nicht mit Gründen der persönlichen Gesinnung, das Problem der unterschiedlichen rechtlichen Bewertung politischer Delikte danach, ob sie aus der rechten oder der linken Szene kommen, zusammen? Indizien: Bekennerschreiben und Grabschändungen.) Vergleiche hierzu die Bedeutung und die Geschichte des Zeugen und das Problem des perfekten Verbrechens.

  • 01.12.92

    Die Hegelsche Philosophie wird erst dann ganz begriffen, wenn man in ihr das Moment der selbstzerstörerischen Selbstreferenz erkennt, mit der Welt als Subjekt und dem Weltgericht als Substanz; das Absolute erweist sich als ein durch das Gericht sich konstituierendes und erhaltendes Absolutes. Dieses Absolute ist die reine Inkarnation dessen, was die Prophetie den Taumelkelch, den Kelch Seines Zorns nannte.
    Nicht die Überlebenden (die Geschichte, das Ausland oder die Welt), die Toten werden uns richten.
    Es ist die Schuld der Väter, die die Sünden der Mutter als reine schuldbeladene Materie objektiviert und damit unaufhebbar macht.
    Die Sünden der Welt auf sich nehmen, heißt die Hoffnung aus der trüben Mischung von Herrschafts- und Eigeninteressen herauslösen.
    Im Gegensatz zur verdinglichenden Gewalt des Lachens hat das Weinen eine lösende Kraft.
    Wir sind in einem sehr viel tieferen und weit schlimmeren Sinne Hegelianer als wir es wissen: Das Ich ist herabgesunkenes Kulturgut, eine Emanation des Hegelschen Absoluten, und so benimmt es sich auch. Die Natur, die die Idee als das Absolute frei aus sich entläßt, ist die fremdenfeindliche Mordlust, Erbe der christlichen Opfertheologie, als deren bewußtlose Projektionsfolie der moderne Naturbegriff sich erweist. Natur ist Xenophobie.
    Gegen Baader: Die Hegelsche Philosophie ist nicht das Auto da Fe der bisherigen Philosophie, sondern nur der errichtete Scheiterhaufen, der auf den zündenden Funken wartet.
    Das Ne-Utrum ist die Leugnung der Differenz zwischen den oberen und den unteren Wassern. Deshalb steht am Anfang der Philosophie der Satz „Alles ist Wasser“. Hier konstituiert sich das „Alles“, ohne das es die Philosophie nicht gegeben hätte.
    Die Geschichte der Philosophie und ihre Potenzierung in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung ist in dem gleichen Maße, in dem sie die Geschichte des Erkenntnisprozesses ist, auch die eines universalen Verdrängungsprozesses. Eine nicht unwesentliche Rolle in diesem Gesamtprozeß spielt die christliche Theologie.
    Ist nicht Hegels Wort vom Aberglauben des Verstandes ebenso ambivalent wie das von der falschen Zärtlichkeit für die Welt?
    Benjamins Wort, daß die Theologie heute klein und häßlich sei und sich nicht dürfe blicken lassen, ist inzwischen vom Fortschritt überholt. Die Theologie ist zum Opfer des Weltgerichts geworden, und diese Abtreibung und Zerstückelung der Theologie wird von der Kirche nach draußen projiziert und (als Sünde der Abtreibung) an den Frauen verfolgt.
    Die Philosophie ist das Flechten von Schurzen aus Feigenblättern, das aber mit der gleichzeitig sich beschleunigenden Entblößung nicht Schritt halten kann. Die Geschichte des Feigenblatts endet in der Hegelschen (oder auch der Heideggerschen) Philosophie, der vollendeten Entblößung. Philosophie ist der vergebliche Versuch, die Blöße zu bedecken, die sie selber produziert. Sie ist Teil der Geschichte der Exkulpationsrituale. Die Welt ist eine Fortentwicklung des Feigenblatts.
    Diskussion des Zeitbegriffs, der Vorstellung der homogenen Zeit, an der Hegel richtig das Moment des Sollens bemerkt, des – wie Baader es nannte – tantalischen Strebens, sich an das grundsätzlich unerreichbare Ende der Zeitreihe zu setzen. Indem ich mich der Zeit bediene, sie instrumentalisiere, unterwerfe ich mich ihr. Das verhext die gesamte Chronologie, sowohl die der Menschheits- als auch die der Naturgeschichte. In den Verstrickungen des logischen Aberglaubens des Verstandes hat sich das Subjekt verfangen. Das Heideggersche Geschick des Seins ist die späte Rache der mit dem Ursprung des Begriffs verinnerlichten Schicksalsidee.
    Wenn es zum Herrendenken keine Alternative gibt, ist der Aufruhr der Rechten unvermeidbar. Und wenn es nur den auf Selbstexkulpation, nicht auf Gerechtigkeit abgerichteten Rechtsstaatspositivismus gibt, dann ist der Staat gegen rechts hilflos.
    Das Zölibat ist der zwangslogisch in der Rezeption des Weltbegriffs begründete und insoweit durchaus konsequente Versuch, die Übernahme der Sünden der Welt, den Kern einer theologisch verstandenen Keuschheit und in dem Sinne das Zentrum des Christentums, durch eine neutralisierte und biologisch verdinglichte Keuschheit zu ersetzen. Seine Zwangslogik ist die der säkularisierten Projektions- und Entschuldungsmechanismen. Deshalb ist das Zölibat die schlimmste Verletzung des Keuschheitsgebots.
    Auch die Sexualmoral ist Produkt der Neutralisierung. Das Ne-Utrum, das darin enthalten ist, setzt die Verdrängung des politischen Sinns der Sexualmoral voraus und stabilisiert sie.
    Die Unzucht des Seins: Die Kopula heißt nicht umsonst Kopula: die Vergewaltigung der Erkenntnis durch die Urteilsform. Welt ist ein obszöner Begriff, und die vergewaltigte Schöpfung heißt Natur.
    Wenn die Sonne im Westen untergeht, zieht sie einen roten Vorhang vom Osten her über den azurnen Himmel, hinter dem sich die Finsternis öffnet, in der die Sterne erscheinen.

  • 19.11.92

    In Hegels Philosophie vereinigt sich die Klugheit der Schlange mit der Geschichte der drei Leugnungen. Ihr fehlt einzig die Arglosigkeit, um wahr zu sein.
    Hans-Jochen Vogel übersieht, daß Engholm und Rau nur die Konsequenzen aus seinem eigenen politischen Konzept, das auch keins war und nur bis zur Häme reichte, ziehen: sie ziehen den Schmusekurs vor. Sie möchten eine Art der Versöhnung, ein Glück im Winkel, eine Politik des allseitigen Wohlgefallens. Aber so produzieren sie selber die Schallmauern, in die sie eingesperrt sind, und die eigentlich Gummiwände sind, deren Ausdehnung die CDU seit je so bestimmt hat, so daß die Drecksarbeit von der SPD (als „Ehrensache“) übernommen wurde. Die SPD hat als ehrlicher Heizer immer dann Feuer nachgelegt, wenn der konservative Zug in Gefahr geriet, ins Stocken zu geraten.
    Mit der Diffamierung der Kritik an den Godesberger Beschlüssen, sie sei „bösartig“, appelliert Engholm an das Bild des unschuldigen Opfers, in dem er sich gern präsentieren möchte. Dieses Bild mag die Grundlage von (allerdings nicht unbedenklichen) Erlösungskonzepten sein, es ist keine Grundlage für eine eigene inhaltliche Politik. Mit der Geste des Beleidigtseins kann man sich in der Familienbande gegenseitig erpressen, aber man sollte dieses Spielchen aus der Politik heraushalten: Es liegt zu nahe an der Paranoia (die nach der Barschel-Affäre vielleicht in der Tat eine Gefahr Engholms ist); und Verschwörungstheorien sind dann nicht fern.
    Das Bild vom Zug, der auf einen Abgrund zurast, wird immer deutlicher. Die, die heute skandieren: „Wir sind doitsch, wir sind doitsch“, antizipieren den Jubel über den Urknall, der in Wahrheit ein Endknall ist (wie die ganze Physik im Entscheidenden die Zeitrichtungen verwechselt, und die Korrektur dieser Verwechslung durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bis heute nicht begreift), und der der besorgten Heideggerschen Frage: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, einmal die empirische Grundlage zu verschaffen in der Lage wäre. Es fragt sich dann nur: für wen? Denn man mag es wenden wie man will: Die Selbstzerstörung der Welt wird keine Zuschauer haben (hier endet das Unbeteiligtsein des Zuschauers); aber vielleicht ist gerade das für die gewitzten Urheber (für die Politikerkaste und ihre Claqueure in den Medien und in Wissenschaft und Philosophie) der entscheidende Trost: Es wird keinen Kläger (kein Ausland, keine Geschichte, keine Welt, die dann noch ihr Urteil fällen könnte) mehr geben. So wird das letzte politische Verbrechen unwiderlegbar (und Auschwitz war nur die nicht ganz gelungene Generalprobe).
    Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele korrespondiert der Vorstellung von der Ewigkeit der Materie; sie ist insoweit eine Gespensterlehre, und der christliche Himmel, das Jenseits über den Wolken, ist nie einer gewesen.
    Das Eingedenken ist etwas anderes als der seis positive, seis negative Totenkult (die Mausoleen des real existierenden Sozialismus oder das Schänden der Gräber durch die Rechten).
    Die Wehen und die Schmerzen der Geburt, die im Fluch über Eva genannt werden, beziehen sich auf den an die Schlange gerichteten Fluch: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ Dieser Zusammenhang scheint dem zu korrespondieren, der zwischen der Schlange und Adam im Bilde des Staubs benannt wird.
    Robert von Ranke-Graves weist gelegentlich darauf hin (Die weisse Göttin, S. 417ff), daß der Fisch ein Realsymbol der Auferstehung sei. Das könnte ein Licht darauf werfen, daß neben Himmel und Erde und dem Menschen nur die großen Seeungeheuer, die Fische und die Vögel im strengen Sinne erschaffen sind. Mit der Schöpfung ist auch die Auferstehung erschaffen; das trennt die Schöpfung von der Natur (der Fisch als realsymbolische Präsenz des Rätsels der Auferstehung).
    Ist nicht die Vorstellung, daß die Welt im Bilde der Natur die Menschen überlebt, ein Stück patriarchalische Paranoia? Ein Stück jener Paranoia, die mit dem Objektbegriff und mit der monadologischen Isolationshaft, in die sich das patriarchalische Denken selber versetzt, essentiell verknüpft ist.
    Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung: das bereschit, den Anfang und den Himmel und die Erde; der Natubegriff leugnet die Auferstehung: den fünften Schöpfungstag.

  • 16.11.92

    Hegels Wort von der „zu großen Zärtlichkeit für die Welt“ ist, wie seine Kantkritik insgesamt, antimessianisch. Sie wäre wahr gegen seinen eigenen Weltbegriff; hier aber ist gar nicht die Welt, hier sind die kantischen Dinge an sich gemeint. Die Gewalt, die in Hegels Wort sich ausdrückt (gibt es überhaupt eine „zu große Zärtlichkeit“?), ist bei Beethoven Musik geworden.
    Das „Herz im Kopf“: Ist nicht das Herz als Zentrum der Humanität zugleich des Inbegriff des Fremden (und jede Xenophobie eo ipso herzlos)? Das Votum für die Fremden macht (Grund und Kern der Barmherzigkeit) aus dem steinernen ein fleischernes Herz.
    Wenn einmal die Geschichte der Sexualmoral, die weniger ein Teil der christlichen als vielmehr einer der Weltgeschichte ist, begriffen wird, wird man mit Erschrecken auch den Grund der Abtreibungsdebatte erkennen.
    Beruhen nicht die spezielle Relativitätstheorie Einsteins und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit darauf, daß die Form des Raumes auch noch gegen das Inertialsystem als Referenzsystem festgehalten wird, während seine Metrik (und damit seine Beziehung zur Zeit und zur Materie) in den Wirbel mit hereingezogen wird, den das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit erzeugt?
    Das Inertialsystem zieht der Natur die Haut vom Leibe; das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die zugehörige Elektrodynamik ist gleichsam die von der Haut getrennte Oberfläche des offenen Fleisches. So ist sie ganz nackt, ganz aufgedeckte Blöße, und hat kein Feigenblatt, sich zu bedecken.
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Ist das gleiche nicht auch den Tieren, nur als bloß leidenden Objekten, widerfahren?
    Sind Texte (Problem des Ursprungs der Schrift) nicht Ausdruck der Scham, Versuche, die Blöße zu bedecken? Ist das „Fell“, das Gott den Menschen gab, ihre Blöße zu bedecken, die Thora?
    „Boaz steht zu Jachin wie Garizim zu Ebal – wie der Segen zum Fluch“ (Ranke-Graves: Die weiße Göttin, S. 221, Anm.)
    Der Hinweis (ebd., S. 245), daß die Unreinheit nach dem levitischen Gesetz Heiligkeit, nicht Verworfenheit bedeutet, ist sehr weitreichend.
    Über Schweinehirten vgl. ebd. S. 258.
    S. 253: Merkur erfand das Alphabet, nachdem er den Flug der Kraniche beobachtet hatte.
    Es gibt heute fließende Übergänge von Reklame zu Information und Unterhaltung: Gründe des Rechtsradikalismus.
    Der Naturbegriff (der die Idee der Auferstehung ausschließt) ist der ewige Karfreitag.
    Das kantische Motiv der „Menschheit in uns“ ist von den nachfolgenden Idealisten durch das Ich ersetzt, neutralisiert und so verraten worden.
    Zum Problem des Ödipus-Komplexes: Der Weltbegriff gründet in der Tat im Vatermord, in der Neutralisierung der Herrschaftskritik, in deren Konsequenz diese Mordbeziehung liegt. Der Weltbegriff ist das gegenständliche Korrelat der Brüderhorde. Und die verdeckte und entstellte Erinnerung des Vatermordes überlebt im Naturbegriff. Der Weltbegriff ist der Deckel auf dem Grab des ermordeten Vaters. Und wenn nach Hegel „die Idee die Natur frei aus sich entläßt“, so erinnert das eher an die im Grunde der Zivilisation schlummernde faschistische Mordlust (die am Ende freigesetzt wird, wenn es nicht gelingt, sie durch Reflexion aufzuheben) als an die Schöpfungsidee, mit der Hegels Konstrukt immer verwechselt wurde.
    Als Boris Becker vor einigen Jahren nach einem gewonnenen Spiel einmal sagte: die ganze Bedeutung dieses Spiels werde man erst in zwanzig Jahren ermessen können, lag dem das gleiche Zeitverständnis und der gleiche Gedächtnisschwund zugrunde, die heute insbesondere das Verhältnis zur Vergangenheit insgesamt bestimmen. Heideggers „Seinsvergessenheit“ bezeichnet das genaue Gegenteil dieses Gedächtnisschwunds, zu dessen Ursachen vielmehr die Ontologie gehört: Es gibt keine Erinnerung ohne Seinsvergessenheit.

  • 11.11.92

    Zur Deklination: In der Physik werden Nominativ und Akkusativ (Subjekt und Objekt), in der Ökonomie Genitiv und Dativ (Herrschaft und Gnade, Erwerb und Geschenk) ununterscheidbar. Ist die Ökonomie (Welt als zweite Natur) feminin und die Physik (nicht als Inbegriff der Natur, sondern des Wissens) neutrum?
    Warum wird beim Genitiv und Dativ femininum im Deutschen der bestimmte Artikel des Nomintativ masculinum verwendet (im Lateinischen die Nominativ-Endung des Plural); und warum ist (im Deutschen) die Deklination der Artikel des Singular femininum identisch mit der des Plural?
    Im Englischen unterscheiden sich Genitiv und Dativ geschlechtsunabhängig durch die Präpositionen of und to (das gleiche to charakterisiert den Infinitiv). Hier ist die Differenz weder am Artikel noch an der Endung des Substantivs zu erkennen. Gibt es einen Zusammenhang mit der anderen Wurzel und Bedeutung des „Seins“, des (anders verdinglichenden) to be? Ist Heideggers Fundamentalontologie ins Englische übersetzbar?
    Sind Nominativ und Akkusativ vorn und hinten, Genitiv und Dativ rechts und links, und aktiv und passiv oben und unten? In welcher Beziehung stehen die Deklinationen zur Bildung des Futur II? Das Sein löst das „Aktiv“ in lauter Schicksal auf; darin gründet seine „verandernde“ Kraft. Die Ontologie ist der Staub, von dem im Fluch über die Schlange und über Adam die Rede ist.
    Die normative Kraft des Faktischen, oder der Indikativ als Imperativ.
    Die Fundamentalontologie ist in der Tat in ihrem Kern faschistisch, sie liefert zugleich das Feigenblatt mit. In seiner ernstesten Gestalt ist der Faschismus nicht an dem Grobraster von Symptomen zu erkennen, auf den er heute reduziert wird (wie z.B. Rassismus).
    Das Inertialsystem als Todesgrenze trennt auch die bewußt ablaufenden Prozesse von den automatisch sich selbst regulierenden Prozessen (die physiologischen Abläufe im Körper, die Bewegungen der Sternenwelt und die politisch-ökonomischen Prozesse). Es trennt das Bewußtsein vom Unbewußten; insbesondere versteinert es – als Reflex der Selbsterhaltung – das Herz. Der Geist hat in der Tat etwas mit dem pneuma, dem Atem, zu tun: An der Neutralisierung des Heiligen Geistes erstickt die Kirche, erstickt der Glaube, ersticken die Christen. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt“: das ist die Luft, die die Menschen zum Atmen brauchen.
    Die christliche Sexualmoral ist der genaue (nur unaufgeklärte) Ausdruck des grammatischen Schicksals des femininum: die Nichtunterscheidbarkeit von Genitiv und Dativ im femininum macht jede Sexualität zur Vergewaltigung oder zur Prostitution. Hier gründet der prophetische Begriff der Unzucht, der Hurerei (das Objekt ist das Objekt der Begierde).
    Wenn das Neutrum der Staub ist, aus dem Adam ist und zu dem er wird, und den die Schlange frißt, ist dann die säkularisierte Welt (die durch den Weltbegriff verhexte Schöpfung) die Wüste (die Wüste beim vierzigjährigen Exodus, die Wüste vor der Versuchung Jesu, die Wüste der Eremiten, die der Welt entsagen)?
    Beziehung der casus zur Zeit: Alle stehen unter dem Primat der Vergangenheit:
    – der Genitiv unter dem der abgeschlossenen,
    – der Dativ unter dem der nicht abgeschlossenen,
    – der Akkusativ unter dem der zukünftigen Vergangenheit (Futur II als Grundlage des Objektbegriffs).
    Nur der Nominativ, das mit Namen benannte Subjekt des Urteils (an dessen Stelle in der transzendentalen Logik das Objekt tritt), ist präsentisch.
    Gegen die kantische Auflösung der Antinomie der reinen Vernunft, die – so Hegel – durch diese Auflösung (die Verlegung des Widerspruchs ins Subjekt) die Welt (in der Vorstellung der Dinge an sich) unangetastet läßt, sagt Hegel: „Es ist dies eine zu große Zärtlichkeit für die Welt, von ihr den Widerspruch zu entfernen, ihn dagegen in den Geist, in die Vernunft zu verlegen und darin unaufgelöst bestehen zu lassen.“ (Hegels Logik, Bd. I, S. 236) Aber dieses Argument ist ambivalent, es läßt den kantischen Hinweis auf den transzendentalen Charakter der Begriffe Welt und Natur (die beide Kant zufolge nur auf das Gesamt der Erscheinungen, nicht auf die Dinge an sich sich beziehen) unbeachtet, und es kehrt sich aufgrund des Festhaltens am vorkritischen Weltbegriff am Ende (im Begriff des Weltgerichts) gegen Hegel selber. Wie nahe Hegel dem gekommen ist, darauf verweist der übernächste Satz: „Die sogenannte Welt aber … entbehrt darum des Widerspruchs nicht und nirgends, vermag ihn aber nicht zu ertragen und ist darum dem Entstehen und Vergehen preisgegeben.“ (Ebd.) Gilt das nur für die Dinge in ihr, oder auch für die Welt selber?
    Ist das E = m.c2 der verkehrte Ausdruck jener Macht, die den Himmel aufspannt? Und ist es nicht die Physik, die den Himmel wie eine Buchrolle aufrollt?
    Die Schnittfläche des Knotens, die Begriff und Objekt trennt, ist die heute alles durchdringende Gewalt des Weltbegriffs. Und spüren wir nicht den Schmerz nur deshalb nicht, weil wir völlig desensibiliert sind? Und ist die Aufhebung dieser Desensibilisierung jenes Feuer, das in der christlich-theologischen Tradition Fegfeuer und Hölle heißt, in der biblischen Tradition mit dem apokalyptischen Weltenbrand gemeint ist? Sind nicht Einsteins Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Strahlungsgesetz ein erster Vorbegriff dieses (in die Struktur der Formen der Anschauung selber eingreifenden) Feuers? Und ist es dieses Feuer (das Autodafe des Objekts), das den Begriff von der benennenden Kraft der Sprache trennt?

  • 04.11.92

    Die „Schuld der Väter“ ist das Vaterland; die „Sünden der Mutter“ sind die Formen der „Hurerei“ mit fremden Göttern: im Schuldzusammenhang nationenübergreifender und weltbegründender Ökonomie: die „Sünden der Welt“ (zu Ps 109.14).
    Das Subjekt der Ökonomie ist der Privateigentümer und der Staat (als Gründer des Geldes), das der Physik das vergesellschaftete Subjekt und die Astronomie (als Grund des Inertialsystems).
    Wie hängen Patriarchat und „Hurerei“ zusammen mit dem Venus-Kult (Ischtar, Astarte), dem Sternendienst, der Ursprungsgestalt der Astronomie? Ist die Ischtar, Astarte (Esther) und schließlich die Himmelskönigin Maria die an den Himmel versetzte, und d.h. patriarchalisch instrumentalisierte Gaja, die Mutter Erde (Athene entspringt aus dem Kopf des Zeus)?
    Was haben die „Sünden der Mutter“ mit der Materie (materia, von mater abgeleitet) zu tun? Und in welchen kosmologischen Zusammenhängen entspringt der Begriff der Materie? Sind hier die Venus-Religionen ein notwendiges Bindeglied?
    Findet das „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“ am sechsten Tag sein Echo in dem „als Mann und Weib schuf er sie“?
    Ist der vergangene „real existierende Sozialismus“ das externalisierte Sühneopfer des Kapitalismus, durch das er sich sich zu exkulpieren sucht; das Opfer, das ihn von seiner Schuld befreit (letzte blasphemische Konsequenz aus der Marktreligion)? Hier wird ein Sündenbock dem Asasel in die Wüste gebracht und in den Abgrund gestürzt (vgl. auch Hebr 1311ff).
    Ist es ein Zufall, daß unter diesen Prämissen Sodom, Jericho und Gibea wiederkehren? Dieser neue Faschismus ist ein magisches Ritual, das Menschenopfer fordert, das aber nicht zu vermeiden ist, solange die Sozialismus-Diskussion dieser Sündenbock-Strategie folgt, anstatt das Schuldverschubsysten zu thematisieren, in es wiederum sich verstrickt.
    Da steht tagtäglich der Mob von Jericho, Sodom und Gibea vor den Türen der Häuser von Rahab, Lot und des alten Mannes, der als Fremder in Gibea lebte, und fordert die Boten Josues, die Engel Jahwes und den Levit aus dem entlegensten Teil des Gebirges Efraim heraus, um an ihnen ihre Mordlust zu befriedigen. Nur der Vorsitzende des Zentralverbands der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat darauf mit einer Genauigkeit und Geistesgegenwart reagiert, zu denen kein christlicher Theologe fähig zu sein scheint.
    Erschlägt der Antisemit mit dem Juden nicht den Zeugen der Tat, aufgrund deren er selber sich verdammt fühlt?
    Nur wer die Schuldreflexion in die Erkenntnis mit aufnimmt, ist vorm Wiederholungszwang gefeit. Die transzendentale Logik ist die projektive Selbstreflexion des Schuldzusammenhangs, des Schuldverschubsystems (deshalb verwechseln katholische Autoren so leicht transzendental mit transzendent).
    Wo liegt der Quellpunkt jener Erkenntnis, deren Preis die Materialisierung der Objekte ist?
    Der ungeheuerliche Satz „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“ hat auch einen astronomisch-kosmologischen Aspekt.
    Die Kausalverbindung, die Recht und verdinglichte Moral herstellen zwischen Sünde und Schuld, ist der Knotenpunkt des Schuldzusammenhangs, der nicht mit einem Schlage zu lösen ist.
    Nicht die Synagoge – das war eine Projektion -, sondern die Kirche hat seit dem Urschisma die Binde vor den Augen. Indem die Kirche das Zukünftige mit der vollendeten Tat, die Hoffnung mit einem Sein, verwechselte, hat sie die Zukunft in jenes Futur II, in die Gestalt einer zukünftigen Vergangenheit, verwandelt, die der Grund des Herrendenkens (sei dem Ursprung der indogermanischen Sprachen bis hin zum Inertialsystem) war – und bis heute die einzige reale Gestalt der Transsubstantiation. Hier liegt der Zusammenhang der Verweltlichung der Welt mit ihren christlichen Ursprüngen. Diese reale Transsubstantiation ist das Werk des Begriffs und das Erbe der Philosophie, die so die Prophetie erschlägt (Luther hat das geahnt, und deshalb mit der Transsubstantiation die Philosophie verworfen; den Bann hat er so nicht lösen können).
    Zur Definition der Blasphemie: Wer den Armen verspottet, verflucht seinen Schöpfer (Spr 175). Das verweist auf die Selbstverfluchung Petri bei der dritten Leugnung: Der Kapitalismus ist diese institutionalisierte Verspottung der Armen.
    Keiner kommt zum Vater, außer über den Sohn: das aber heißt: nur durch die Schuldreflexion hindurch.
    Die ganze Natur steht unter einem Bann, und wir mit ihr. Die Lösung ist nur als Lösung dieses gemeinsamen Banns möglich. Ps 10430: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Nur diese renovatio faciei terrae vermag das (unter dem Titel Natur nicht einlösbare) Versprechen der Naturphilosophie zu erfüllen.
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und sie schämten sich.“ Steckt darin nicht der Zusammenhang der subjektiven Formen der Anschauung (da gingen ihnen die Augen auf) mit der Sexualmoral (sie erkannten, daß sie nackt waren) und der Notwendigkeit der Schuldreflexion (Erkenntnis der Nacktheit als Bewußtsein von Schuld: und sie schämten sich). Aber diese Schuldreflexion wird durch ihre sexualmoralische Verdinglichung, die das Christentum festgeschrieben hat, unterdrückt und verdrängt, während es gerade darauf ankäme, diese Schuldreflexion aufzunehmen: sie bezeichnet den einzigen Weg ins Freie. Hier liegt der Grund der Täufertheologie. Zusätzlicher Hinweis: Zur Geschichte der Nacktheit, der Beziehung von Schuld und Scham, gehören sowohl der Ursprung der Sexualmoral, als auch der der Privatsphäre und der des Geheimbereichs in Politik, Geschäft und Religion (auch die Macht hat ihre Privatsphäre und unterliegt somit der Sexualmoral).
    Zu diesem Nacktsein gibt die Geschichte mit Noah und Ham einen Hinweis: Das Aufdecken der Blöße (auf das heute die Medien sich spezialisiert haben) ist Voraussetzung und Teil der Einübung des Knechtseins, zu dem Ham dann verurteilt wurde. Kommt nicht Nimrod aus dem Geschlecht Hams (aber Nimrod war ein großer Jäger vor dem Herrn)?
    Im Begriff der Masse, in der das Individuelle gleichsam von dem Allgemeinen, Kollektiven überschwemmt wird, das zu Recht Gemeinheit heißt, und darin untergeht, reflektiert sich sowohl die Vorstellung der homogenen Zeit als auch die Beziehung zum Possessivpronomen, der Charakter des potentiellen Gebrauchwerts, des potentiellen Eigentums. Sie ist aufzulösen nur im Kontext dessen, was Adorno das mikrologische Verfahren genannt hat, und das schließt die konkrete Schuldreflexion mit ein.
    Den Schlüssel zum Begriff der Masse liefert der Satz aus der Hegelschen Logik: Das Eine ist das Andere des Anderen. Franz Rosenzweig hat einmal den Begriff einer „verandernden Kraft des Seins“ geprägt, und damit die Funktion jeglicher Ontologie auf den Begriff gebracht: Die Abschirmung der Welt gegen die konkrete Schuldreflexion (oder auch die Abschirmung der Theologie gegen ihren Ursprung in der Täufertheologie, gegen das „Tut Buße“ und gegen das „Ecce agnus dei“).
    Die Kirche ist zum steinernen Herzen der Welt geworden dadurch, daß sie nur noch Techniken anbietet, die die Menschen von den Schuldgefühlen befreien, in die sie notwendig sich verstricken, wenn sie in dieser Welt leben, nicht mehr die „Schuldgefühle“ aufklären sollen: das nämlich würde die kritische Reflexion des kirchlichen Autoritätsbegriffs, der Orthodoxie und des Dogmas voraussetzen. Die Techniken, die die Kirche heute anbietet, sind nur noch Techniken der Desensibilisierung, die helfen sollen, heile Privatwelten in einer bösen Welt zu errichten, zu der es keine Alternative mehr zu geben scheint. Aber das können Propaganda, Reklame und Fernsehen besser: So machen sich die Religionen selber überflüssig.
    Physik und Ökonomie begründen und verstärken das Bewußtsein, daß die Sprache über ihre technische Funktion hinaus keine Realität mehr hat. Mit der benennenden Kraft verliert die Sprache auch ihre eingreifende, praktische Potenz. Nur durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion, die durch die Übermacht der Rechtfertigungs- und Exkulpierungstechniken zu verkümmern, zu verschwinden droht, läßt der Bann sich sprengen, der sich heute in der Xenophobie, in sodomitischen Zuständen entlädt. Grund ist das, was die Antichrist-Tradition das Antlitz des Hundes nennt: Die Unfähigkeit, dem Anblick des andern standzuhalten, ohne aggressiv zu werden.
    Das Angesicht und der Blick haben eher sprachliche als optische Qualität und Beschaffenheit. Wer auf Bildern von Schulklassen aus der Zeit der Jahrhundertwende den hündischen: nämlich den zugleich aggressiven und unfreien, verängstigten, mißtrauischen Blick der Kinder sieht (den gleichen Blick, dem Heideggers Fundamentalontologie philosophischen Ausdruck verliehen hat), weiß, woher die Katastrophen dieses Jahrhunderts gekommen sind. – Es gibt Bilder der Schulklassen, zu denen Hitler und Stalin gehörten: In beiden Klassen stehen die Protagonisten der größten politschen Katastrophen des Jahrhunderts in der obersten (letzten) Reihe in der Mitte, beide haben eine Position über dem Lehrer inne, beide (und nur sie als einzige auf dem ganzen Bild) mit der gleichen herausfordernden Haltung: den Kopf in den Nacken geworfen, eine Demonstration des provokativen Herabschauens auf alle anderen. Nur durch eins unterscheiden sich beide: Während Hitler der größte in seiner Reihe ist, ist Stalin der kleinste.
    Aber dringen nicht heute die Herrschaftsstrukturen sehr viel früher, sehr viel tiefer und sehr viel verletzender ins Bewußtsein der Kinder ein?
    Der Raum, die Zerstörung des Angesichts und der benennenden Kraft der Sprache. Der Raum macht das Ungleichnamige gleichnamig durch seine universalisierende Kraft, durch die Gewalt der Selbstausbreitung aus der Kraft seiner eigenen mathematischen Struktur, durch die Neutralisierung der Gegenwart durch das Prinzip der Gleichzeitigkeit (Leugnung der Erinnerung).

  • 27.10.92

    Alle Zeit ist potentielle Vergangenheit (und nur durch Umkehr: durch die Idee der Auferstehung der Toten, auf die Idee der Ewigkeit zu beziehen). Die einseitige Erkenntnisbeziehung, die seit dem Ursprung des Weltbegriffs die vorherrschende ist, ist genau das, was Unzucht genannt wird: die Vergewaltigung des Objekts. Wenn das hebräische Wort für Arche („teba“) auch Wort heißt, ist dann die Geschichte der Arche und der Sintflut eine Ergänzung der Geschichte von der Benennung der Tiere durch Adam? Parvus error in principio: Das Dogma, wonach Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat, ist in allen drei Stücken falsch, und es widerspricht in allen drei Stücken dem ersten Satz der Genesis; es ist entweder – Gott durch den Staat, oder – die Welt durch Himmel und Erde zu ersetzen; – und das Nichts, aus dem Gott die Welt erschaffen hat, ist der durch den Weltbegriff erzeugte blinde Fleck in uns, Widerschein der leeren Subjektivität, Antwort auf die von der Logik, aus der der Materiebegriff stammt, bestimmte, theologisch aber falsche Frage nach dem Woraus. Insgesamt ist es der Versuch, den Schöpfungsbegriff auf eine Formel zu bringen, der die Rezeption der Philosophie in die Theologie ermöglichte und absicherte, und die zugleich den fragwürdigen Vorteil hatte, daß sie den Begriff der Umkehr unnötig, weil gegenstandslos machte. So aber wurde die Theologie gegen sich selbst gekürzt. Die Frage, auf die die Theologie in der Schöpfungslehre mit Nichts antworten zu müssen geglaubt hat, nämlich: woraus Gott die Welt erschaffen hat, ist falsch. Es gibt kein Woraus. Diese Frage entspringt einem logischen Zwang, der aufzulösen ist, wenn man überhaupt der Schöpfungsidee sich nähern will. Es ist der gleiche Zwang, dem der Ursprung des Begriffs der Materie in der Philosophie sich verdankt. Das Nichts ist Produkt der Unzucht, der inzestuösen Beziehung von Subjektivität und Welt. Es ist, wenn es der eigenen Logik folgt, Generator des Naturbegriffs, in dem es sich versteckt. Die Totalität dessen, worauf sich das Woraus bezieht, heißt Natur, die in theologischem Zusammenhang als Nichts sich enthüllt. An dieser Frage erstickt die Heideggersche Philosophie, verstummt sie wortreich. Und aus der Hypostasierung dieser leeren Frage, aus ihrem lustvollen Scheitern, versucht sie, ihr Prestige zu gewinnen: Sie zerbricht, indem sie als Frage nach dem Sinn von Sein sich zu entfalten versucht. Der blasphemische Tief- und Irrsinn der Heideggerschen Philosophie gründet im parvus error in principio der Theologie. Die Kategorie der Erhaltung der Welt ist ein Reflex des Selbsterhaltungsprinzips; und wenn der Islam an seine Stelle die – den Islam, die Ergebung, begründende – Lehre setzt, daß Gott in jedem Augenblick die Welt neu erschafft, so verweist das darauf, daß hier Welt und Subjektivität sich nicht so konsolidiert haben, wie dann im Christentum. Der Staat erschafft die Welt, und die Zentralbanken erhalten sie (gemeinsam mit dem staatlichen Gesetzgeber). Aber die traditionelle Theologie ging wirklich über Stock und Stein, ihr logisches Zentrum, ihr Einsichtspunkt, war nicht dort, wo sie vorgab, ihn zu suchen. Gnade und Schicksal: Auch zur Gnade gehört der Zuteiler, der daimon. Deshalb gehört die augustinische Gnadenlehre zu den Ursprüngen der Inquisition und des Terrors im Christentums: sie wird das mit der Philosophie rezipierte Schicksalserbe, das hier zwangshaft sich reproduziert, nicht los. Die christliche Gnadenlehre läßt sich als ein Versuch begreifen, das Schicksalsmoment im Begriff theologisch aufzuarbeiten, wobei die Differenzierungen des Gnadenbegriffs selber als Momente der Selbstreflektion des Schicksals und der Abarbeitung des philosophischen Erbes der Theologie sich erweisen. Das aber heißt: Es gibt keine wirkliche Gnadenlehre ohne Herrschaftskritik und ohne die Reflektion des Moments der Unwahrheit an der intentio recta, oder: ohne die Idee der Umkehr. Die aber hat heute etwas mit den sieben unreinen Geistern, und nicht mehr nur dem einen zu tun. Bei Rosenzweig ist die Natur, aus der alles abgeleitet wird, eine durchs Nichtwissen vermittelte, gleichzeitig das Substrat, das erst durch vollständige Umkehr zur Verkörperung der Wahrheit wird. Der Stellenwert des Naturbegriffs im Stern der Erlösung, seine Aufspaltung in drei Naturen (die des Menschen, der Welt und Gottes), die dann aber als Konstrukte sich erweisen, die erst durch Umkehr (das Bild vom Koffer), durch eine Bewegung, in der ihr Natursein sich auflöst, der Naturbegriff gleichsam gegenstandslos wird, in den theologischen Erkenntnisprozeß einbezogen werden, rückt Philosophie und Theologie allgemein in eine Beziehung, die der inversen Beziehung des Begriffs zum Namen entspricht. Erst in dieser Umkehr wird die Natur von ihrer Sprach-losigkeit (aus dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, in dem sie überhaupt erst als Natur sich konstituiert) erlöst, indem sie als Natur untergeht: Hier liegt die der Kirche verheißene lösende Kraft, an der die Theologie Anteil gewinnt, wenn sie endlich als Theologie im Angesicht Gottes sich begreift, anstatt weiterhin hinter Seinem Rücken sich zu ergehen, nur weil sie Angst hat, mit der Kritik des Begriffs ins Bodenlose zu fallen. Wer begreift, daß die Banken die legitimen Erben der alten Tempelreligionen sind, begreift mehr von der Religion als unsere gesamte Theologie. Ist es ein Zufall, daß die Hostien der katholischen Eucharistie aussehen wie Münzen? Wenn Petrus nicht der Stein vorm Grab ist, ist er dann der Fels, in den das Grab gehauen ist? Und zögert er deshalb, ins leere Grab hineinzugehen, sich vor dieser Selbstbegegnung fürchtet? Die paulinischen Archonten, sind sie nicht – die Nachfahren der Kerube mit dem kreisenden Flammenschwert und – die Siegel, die erst das Lamm zu lösen vermag?

  • 26.10.92

    Metz, S. 138f, vgl. auch S. 77ff: Hier ist leicht zu bestimmen, wo der Fehler liegt, wo M. nicht zu Ende gedacht hat.
    S. 140: Wie verhält sich Gemeinde zu Kirche? Beziehung des Begriffs Gemeinde zu Allgemeinheit, Meinung, Gemeinheit: zum Possessivpronomen 1. Pers. Sing.
    Heidegger benennt das Gefängnis, in das das Dasein geworfen ist, den Ort der Isolationshaft, aufs präziseste: das In-der-Welt-Sein.
    Die Verinnerlichung des Schicksals (und der Ursprung des Begriffs und des Weltbegriffs) ist der Keim der Geschichte der Entfaltung, und am Ende auch wieder der Verinnerlichung von Herrschaft. Beide sind im Weltbegriff auf einander bezogen und nur durch ihre gemeinsame Beziehung zum Weltbegriff hindurch zu begreifen. Das Herrendenken hat seinen Ursprung in den Anfängen der Philosophie.
    Zu Brot und Wein vgl. Spr 417: Sie (die Frevler) essen das Brot des Unrechts und trinken den Wein der Gewalttat.
    Was solche Lieder bewirken wie „Der Glaube ist nun fest verbürgt, … das Leben hat den Tod erwürgt“, ist kaum abzuschätzen; ähnlich „… hilf uns hier kämpfen, die Feinde dämpfen, Sankt Michael“.
    Woher kommt der Name der Griechen? Nachdem die „Hebräer“ sich als Israeliten erweisen, die „Griechen“ im NT überall Hellenen sind, wäre es vielleicht doch sinnvoll, mit den Namen etwas weniger leichtfertig umzugehen. Kann es sein, daß hier ein (mittelbar ebenfalls leicht antisemitisch getönter) Sprachgebrauch der deutschen Klassik, die sich auf die „Griechen“, nicht auf die Hellenen bezogen hat, nachwirkt?
    Kristallisert sich die wechselseitige Vertauschung von Rechts und Links mit Vorn und Hinten in den differierenden erkenntnisleitenden Blöcken der Naturwissenschaften und der politischen Ökonomie aus (aber beides unter dem Gesetz der trüben Vermischung von Religion und Herrschaft in der oberen Welt)?
    Der abgespaltene Bereich des Sakralen (des Numinosen) konstituiert in der trüben Vermischung von Religion und Herrschaft in der oberen Welt. Die Verweltlichung der Welt, Reflex der Verinnerlichung von Herrschaft, hat dieser Vermischung die Grundlage entzogen, sie erzwingt die (fast unmögliche) reine Darstellung der Religion, die damit aufhört, bloß Religion zu sein: Theologie im Angesicht Gottes, nicht hinter seinem Rücken. Insoweit ist die Entzauberung der Welt, ihre Verweltlichung oder die Vollendung des Falls, die Grundlage einer Erneuerung der Theologie. Die Mischung von Religion und Herrschaft ist nicht mehr zu halten (im Namen des Himmels das Wasser vom Feuer zu trennen). In der Geschichte der Verinnerlichung von Herrschaft hat die Herrschaft ihre religiösen Symbole verloren; das hat die Kirche, die fast keine anderen mehr kennt, als Zerfall der Religion angesehen, während sie in Wahrheit eine Voraussetzung ihrer Läuterung war; verlorengegangen ist nur die falsche Verständlichkeit der Religion in der Gestalt der Herrschaftsmetaphorik. (Schleiermacher und vor allem Rudolf Otto wären unter diesem Gesichtspunkt einmal genauer zu lesen.)
    In der Heideggerschen Interpretation der aletheia trifft der blinde Fleck des bürgerlichen Bewußtseins im Sein auf seinen eigenen Ursprung, auf sein gegenständliches Korrelat (die falsche Trennung und Verbindung).
    Die Philosophie lebt vom Schein der Äquivalenz des Einen und des Allgemeinen, Produkt und Widerschein der Subjektivität. Auszugehen wäre von den Unterscheidungen im Allgemeinen selber (wie bei Rosenzweig: von den Unterscheidungen im Naturbegriff, die daher rühren, daß nicht mit sich identisch bleibt, wenn er auf Gott, Welt, Mensch bezogen wird).
    Wenn Jesus das Ja und Amen zur Welt wäre, dann gäbe es keine Auferstehung der Toten.
    Weltkritik als Herrschaftskritik, oder gegen den Mißbrauch des Schreckens: der Schrecken ist ein Moment und ein Produkt der Verblendung durch Herrschaft, hervorgerufen durch durch die Schuldwahrnehmung im Stande der Unfähigkeit zur Schuldreflexion. Die verdrängte Gottesfurcht kehrt als Schrecken von außen zurück.
    Das Wehe bei Jesus ist keine Drohung in dem Sinne, in dem die verdrängte Gottesfurcht es erfährt.
    Ein erschütterndes Wort: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich wiederkomme, was geht’s dich an.“
    Der Antisemitismus spielt sich nicht auf der Seite des Bekenntnisinhalts, sondern auf der der Bekenntnisform, seiner Logik, ab. Anders formuliert: Im Kontext eines Weltbegriffs, der die Religion zum Bekenntnis entmächtigt, wird diese Religion, und werden nach ihm alle konfessionellen Inhaltsderivate, zwangsläufig antisemitisch.
    Die vom Weltbegriff nicht abzulösende Vorstellung einer homogenen Zeit und ihre Anwendung auf den theologischen Bereich (insbesondere in der Schöpfungslehre und in der Christologie) ist die Ursünde der Theologie. Was an sich jeden Gedanken an eine Vergangenheit von sich ausschließt, kann für uns sehr wohl als vergangen erscheinen, und zwar aufgrund jener das endliche Bewußtsein konstituierenden Brechungsschicht, die am zweiten Schöpfungstag, als Feste zwischen den Wassern, geschaffen ist und von Gott Himmel (schamajim) genannt wurde. Die Wirkung dieser Brechungsschicht ist nur aufzuheben durch Trennung der Wasser vom Feuer, durch Auflösung der Wasser, aus denen bei Thales die Philosophie entsprungen ist.
    Thermodynamik, Elektrodynamik und Mikrophysik sind Aspekte jener differenzierten Beziehung von Raum, Zeit und Materie, die ins Inertialsytem durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hereingekommen ist.
    Nietzsches Wort von dem Gedächtnis, das nachgibt, ist noch zu harmlos. Aufgrund der Ausstattung unseres psychischen Haushalts, die wir in der Geschichte unserer Sozialisation übernommen haben, gibt es Bereiche, an die das Gedächtnis, bevor es überhaupt nachgeben könnte, schon gar nicht mehr heranreicht. Das „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ läßt sich nicht auf den Bereich des (von uns selbst) Verdrängten einschränken; es gibt Bereiche des gesellschaftlich Verdrängten (und die Geschichte der Auseinandersetzung der Orthodoxie mit den Häresien ist eine Geschichte des forschreitenden gesellschaftlichen Verdrängungsprozesses), an denen wir bloß passiv partizipieren, die uns gleichsam „hinter unserem Rücken“ bestimmen. Diese Bereiche erschließen sich erst im Kontext der „Übernahme der Sünde der Welt“ (ich bin als Christ auch für meinen Charakter, ja, auch für mein Gesicht verantwortlich).
    Zum Fundamentalismus: Auch hier reicht nicht die Verurteilung, sondern es gilt (wie zuvor schon in der ganzen Geschichte der Häresien, deren letzter Erbe er ist), das Problem, für das er steht, zu lösen, um ihm nicht selber zu verfallen (Verhältnis von Religion und Herrschaft; Ursprung und Kritik des Sakralen).
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Urschisma und dem Ursprung der Gnosis (Antijudaismus und Rezeption des Weltbegriffs)?

  • 22.10.92

    Die thomistische Unterscheidung von Natur und Übernatur ist durch den Weltbegriff vermittelt, ein Versuch, im Begriff der Übernatur den Bann des Weltbegriffs zu brechen (vgl. Metz, S. 84). Reicht der Begriff der Übernatur noch, nachdem der Naturbegriff das christliche Erbe als restlos säkularisiertes ganz in sich aufgenommen hat?
    Das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ enthält die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit. Erschreckend bei Metz die Verwerfung der Erinnerungsarbeit (gegen Heidegger und Hegel), die aber zusammenpaßt mit dem Akzeptieren (der „Annahme“) der Welt.
    Metz, S. 90: Die „Metaphysik“, das Jenseits der Physik, ist die Welt.
    Jean Amerys Frage „Wie natürlich ist der Tod“ sagt mehr über den Begriff der Natur als über den Tod. Natur ist das Diesseits der Todesgrenze, die durch die Welt definiert, „gezogen“ wird. Und das ist das Entsetzliche am Selbstmord: die Kapitulation vor der Welt.
    Die drei Momente der Zeit, aus denen Kant die Dreidimensionalität des Raumes abzuleiten versucht hat: Dauer, Folge und Zugleichsein, sind ein innerzeitlicher Reflex des Inertialsystems: der Systembeziehung von Materie (Dauer), Zeit (Folge) und Raum (Zugleichsein), die dann in den apriorischen Kategorien Substanz, Kausalität und Wechselwirkung sich niederschlagen.
    Der Weltkonformismus der christlichen Theologie (die Lehre von der bereits geschehenen Erlösung der Welt durch den Kreuzestod Jesu) ist Ausdruck objektiver Verzweiflung.
    Gottessohnschaft als double-bind: Imgrunde glaubt niemand mehr daran, denn wenn sie daran glaubten, wäre das Bekenntnis dazu nicht mehr notwendig, das zu dem Glauben nichts hinzufügt. Das Bekenntnis ist nur notwendig, um durch kollektive Absicherung den eigenen Unglauben zu verdrängen (Modell der Todesgrenze in der Religion).
    Überzeugen ist unfruchtbar, Überreden ist Mord. Beide stehen unter dem Zwangsgesetz des Exkulpationstriebs, in dem die Erbschuld sich fortpflanzt. Dieser Exkulpationstrieb ist begründet in der Weigerung, die Sünden der Welt zu übernehmen, in der Nachfolge-Verweigerung. So tief reicht der Satz aus den Soziologischen Exkursen: Ideologie ist Rechtfertigung.
    Hängen die Ideen von der Unbefleckten Empfängnis und von der Virginitas mit dem Satz aus dem Psalm (10914) von der Schuld der Väter und der Sünde der Mutter zusammen? Und ist das nicht der Hintergrund für die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen nach der Märtyrerzeit in Confessores und Virgines? Sind die Adam und Eva-Geschichten nicht Varianten dieses Psalmenworts, bis hin zum Fluch nach dem Sündenfall? Und wie verhält sich dieses Psalmenwort zum vierten Gebot? Und ist vor diesem Hintergrund das Täuferwort nicht doch genau zu übersetzen: mit „Sünden der Welt“ (in denen die Schuld der Väter gründet)?
    Kapitalismus als Opfer ohne Lehre: Die Sünde der Welt: ist das nicht die Erinnerung an die Sünde der Mutter (Ps 10914), an das Matriarchat?
    Zu Schuld und Sünde (zu Ps 10914):
    – Ps 517: Siehe, in Schuld bin ich geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.
    – 5111: Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden und tilge alle meine Schuld.
    – Jes 1218: Wehe denen, die Schuld herbeiziehen mit Seilen des Nichts, und die Sünde wie mit Wagenseilen. (Verhältnis von Welt und Natur?)
    – 279: … die Hinwegnahme seiner Sünde.
    – 5311: Und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen.
    – Die Schuld ist groß, die Sünden sind zahlreich (Jer 3015).
    – Hos 48: Die Sünde meines Volkes essen sie, nach ihrer Schuld verlangen sie.
    – 99: Er wird an ihre Schuld denken, wird ihre Sünde heimsuchen.
    Erst das Recht und der Begriff bringen Sünde und Schuld in jene systembegründende und verdinglichende Kausalbeziehung, aus der sie ebenso zu lösen sind wie aus der Bekenntnislogik, dem Inertialsystem und der Lohnarbeit, wenn man Theologie im Angesicht Gottes treiben will (vgl. das Verhältnis von Schuld und Sünde in Ps 10914). Hier ist der Grund bezeichnet, weshalb der Sündenfall mit der Erkenntnis des Guten und Bösen beginnt, und weshalb seitdem moralische Urteile (und mit ihnen das Geschwätz, hierarchische Herrschafts- und Erkenntnisstrukturen und Kriege) zur Geschichte des Sündenfalls gehören. Deshalb gründen Recht, Philosophie und Mythos wechselseitig ineinander. Und deshalb läßt sich mit Moral keine Politik machen (aber auch nicht ohne sie).
    Sünde und Schuld verhalten sich wie Tat und Urteil, Prädikat und Begriff. So ziehen sie den Objektbegriff und die transzendentalen Formen der Anschauung zwangsläufig nach sich.
    Die Hebräer sind die, die als Fremde im Lande leben; deshalb sind sie Sklaven, Söldner und Kleinviehnomaden.
    Der kirchliche Erlösungsbegriff glaubt sich von der Erinnerungsarbeit dispensieren zu können; damit perpetuiert er jedoch den Bann des Welt- und des Bekenntnisbegriffs, das Formgesetz des Dogmas.
    Gegen Metz: Nicht „schöpferisch-kritisch“, sondern kritisch, befreiend und erhellend. Das „Neue“ ist nicht Produkt einer „schöpferischen“ Tat; es konstituiert sich vielmehr in einer Konstellation von Ursprung und Ziel. Es schließt die Erinnerungsarbeit, und als Tat das Lösen (die „eingreifende Erkenntnis“) mit ein. (Im 5. Kapitel, S. 107, aber auch schon vorher, wird „schöpferisch kritisch“ durch „kritisch befreiend“ ersetzt.)
    Heidegger und Hegel: Den Geburtsfehler der Philosophie, den Hegel versucht hat abzuarbeiten, hat Heidegger zu ihrem einzigen Inhalt gemacht.
    Zu den sieben unreinen Geistern: Was jetzt in Erlangen passiert (die organische Erhaltung des Lebens einer „hirntoten“ schwangeren Frau, um das Leben des Embryos zu retten), ist das reale Beispiel für unreine Begründungen, für gleichsam prophylaktische, nach außen gewendete Rechtfertigungstheorien, um dahinter ganz andere Interessen durchsetzen zu können (sowohl kirchliche: die Erprobung von Argumenten, die auch in der Abtreibungsdiskussion nützlich sein könnten, als auch reale Karriereinteressen der Ärzte, die so in die Lage versetzt werden, Menschenexperimente nach außen abzuschirmen). Es gehört in die Geschichte der Feigenblätter, die die Blöße bedecken sollen. Aber wie verhält sich das Aufdecken der Blöße zur Übernahme der Sünde der Welt?
    Weitere Beispiele unreiner Begründungen:
    – die immer wieder beschworene „marode sozialistische Kommandowirtschaft“, hinter der sich alle Fehler, die man selbst im Einigungsprozeß begangen hat, so schön verbergen lassen;
    – die „Selbstmorde“ in Stammheim, ein Beispiel doppelseitiger unreiner Begründungen: ob es nun Morde oder Selbstmorde waren, von einer Seite war es in jedem Falle ein Fall unreiner Begründungen;
    – schließlich das Verhältnis von Kritik und Rechtfertigung des Kapitalismus: beide sind Beispiele unreiner Begründungen.

  • 18.10.92

    Die Idee der Sündenvergebung wird verständlich nur im Kontext der Lehre von der Auferstehung; im Zusammenhang mit der Unsterblichkeitslehre bleibt das Böse unaufhebbar und kann nur zugedeckt werden.
    Aufklärung des Geheimnisses: Zusammenhang mit der Genesis der Gemeinheit (Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand), Kritik der Öffentlichkeit (der Ontologie, der verandernden Kraft des Seins, des Begriffs und der Welt), Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache: Name ist nicht Schall und Rauch. Aufdecken der Blöße und Übernahme der Sünde der Welt, Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Keine Wahrheit ohne die Lehre von der Auferstehung (Ethik als prima philosophia). Objektivation, Instrumentalisierung und Fall; Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang. Geheimnis als Positionsbestimmung der Wahrheit.
    Es gibt keine Wahrheit ohne die Idee eines Gottes, der die Toten erweckt, ohne die Lehre von der Auferstehung und vom Jüngsten Gericht. Das wird heute deshalb so radikal und konsequent verdrängt, weil es uns so nah auf den Leib gerückt ist.
    Der Vorwurf, daß die Intellektuellen heute zu den aktuellen Fragen nicht mehr sich äußern, jedenfalls nicht mehr in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten: kann er nicht auch darin begründet sein, daß die Medien heute reflektierte Äußerungen nicht mehr zulassen, fast grundsätzlich ausschließen. Die Institution der Öffentlichkeit selber hat sich dagegen immunisiert. Heute produzieren die Medien nur noch den Staub, von dem die Schlange sich nährt: Vorurteilsfutter. Antwort der beiden Verlage, die ich auf Neuflagen der Titel von Rosemary Radford Ruether und von Charlotte Klein angesprochen hatte: Es besteht keine Nachfrage.
    Heideggers Hinweis, daß wir den Tod nur als den Tod der anderen erfahren, legt den Schluß nahe, daß im eigenen Tod nur die Gewalt des Andersseins erfahren wird. Die Heideggersche Konsequenz des Vorlaufens in den Tod entspricht der Empfehlung, aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen. Der Tod ist ein Teil der Welt; und mit der Weltkritik leisten wir ein Stück Vorarbeit zur Auferstehung der Toten. In diesen Kontext gehört das christliche Motiv der Schuldvergebung (nicht sieben-, sondern siebenundsiebzigmal), aber die wäre endlich auf eine Schuld zu beziehen, die die ganze Last der Vergangenheit mit einschließt.
    Es gibt diese beiden Heute: Hodie, si vocem ejus audieritis, und Filius meus es tu, ego hodie genui te.
    Über den Zusammenhang von Wissen, Natur und Welt: Philosophiekritik ist Schicksalskritik und damit Herrschaftskritik.
    Den verlorenen Stämmen Israels entsprechen im Christentum die verlorenen Schafe.
    Mit der Verdrängung der Vergangenheit, die abzulesen ist an der Geschichte der Verurteilung der Häresien, haben wir auch die Zukunft mit einbetoniert. Dies war die Geschichte des Bindens, auf die jetzt das Lösen folgen müßte. Mit der Konstituierung der Vorstellung einer homogenen Zeit (oder mit der Konstituierung des Inertialsystems) wurde die Zukunft in die Vergangenheit versenkt. Das drückt sich aus in der Erinnerung des Opfers (Tut dies zu meinem Gedächtnis).
    Ist nicht die gesamte Theologie heute ein Aufdecken der Blöße des Vaters? Jesus ist die Verkörperung der vergangenen Hoffnung: Darin liegt die welthistorische Bedeutung des Kreuzestodes.

  • 27.09.92

    Hängt es mit dem Weltbegriff zusammen, wenn mit der Sünde der Tod in die Welt gekommen ist? (Oder: Stimmt der Satz: Alle Menschen sind sterblich, nur im Kontext des Weltbegriffs? Und würde der andere Satz, daß Gott die Welt erschaffen hat, dann mit einschließen, daß er den Tod erschaffen hat?)
    Ist die Vorstellung der zeugenden Kraft im Naturbegriff ein patriarchalisches Erbteil? Hängt die kantische Unterscheidung des dynamischen vom mathematischen Totalitätsbegriff (die Differenz der Begriffe Natur und Welt) nicht auch damit zusammen, daß in der Physik selber, im Inertialsystem, diese wechselseitige Vermittlung der dynamischen und mathematischen Momente auf die Orthogonalitätsbedingungen zurückweist? Und ist insbesondere das dynamischen Moment Produkt der Umkehrung des Zeitbegriffs (der Eliminierung der Hoffnung)?
    Die Orthogonalität ist sowohl die Bedingung der Reversibilität der Richtungen im Raum als auch der Irreversibilität der Zeit. D.h. die sprachlich-grammatische Bildung des Futurs hängt mit der Entdeckung der Orthogonalität zusammen. Insofern gehören der Satz des Pythagoras und die Entdeckung des Winkels in der Geometrie zur Vorgeschichte des Ursprungs der Philosophie. Und Heideggers Begriff vom Haus des Seins rührt an den Zusammenhang des Seinsbegriffs mit dem der Orthogonalität.
    Ist die Orthogonalität der Inbegriff der Nächte, die die Tage im Schöpfungswerk von einander scheidet?
    Ist das Verhältnis von Tag und Nacht nicht das Modell der Umkehr? Und gehört dazu das biblische Bild vom Morgenstern (und die Parallellgeschichte mit der Astarte, der Ischtar, der Venus)? Ist die Schöpfungsgeschichte (das Sechstagewerk) die Geschichte der Bildung des Antlitzes des Menschen (des Ebenbildes Gottes)?
    Lag das proton pseudos der christlichen Sexualmoral nicht in der Biologisiserung der Lust? Und ist die Sexuallust nicht ein Reflex jener Entfremdungslust, deren Ursprung und Zentrum im Ursprung und Zentrum des Denkens, des Geistes, zu suchen ist? Auch die Urteilslust, die als Projektionsfolie den Begriff der Materie (und den der Schuld) fordert, ist mit der Sexuallust gleichursprünglich. Dann wären insbesondere das kopernikanische System und die transzendentale Logik Kants Abkömmlinge dieser Sexuallust.
    Mit dem Übergang von der Schul- zur Weltphilosophie tilgt Kant die letzten Spuren des scholastischen Realismus (im Sinne des Universalienstreits); er tilgt die letzten Spuren der benennenden Kraft im Begriff.
    Ist heute nicht die Zeit gekommen, in der der eine unreine Geist mit den sieben anderen aus der Wüste zurückkehrt?
    Die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist insoweit ein Vorgang innerhalb der Geschichte der Philosophie (des Begriffs), als die Abtrennung und Konstituierung der Natur Produkt der Philosophie ist.
    Johannes Scottus Eriugena: Bedeutung der Beziehung von Raum und Zeit (S.361) und seine Erläuterung der Scheidung des Wassers vom Trockenen (Zusammenhang der Erde mit den Arten und Gattungen, des Wassers mit den materiellen Individuationsbedingungen – des Selbsterhaltungsprinzips): Zusammenhang von adam und adama: Adams mit der Erde, Bedeutung der „Erschaffung“ der großen Seeungeheuer.
    Wird das Feuer am Ende den Tod: den Verschluß aller Gräber und das Siegel auf der Vergangenheit verzehren?
    Ist nicht auch der Manichäismus (wie jede Häresie) eine Konsequenz aus dem theologischen Welterschaffungskonzept: Er insistiert darauf, daß Jesus die Sünde der Welt zwar auf sich, aber nicht hinweggenommen hat, und zieht daraus den Schluß, daß sie der Welt anerschaffen sein muß; deshalb ist alles Fleischliche böse und Befreiung nur von der Weltenthaltung (auch von der Erhaltung von aller Sexualität) zu erwarten.
    Das Weltschöpfungskonzept entzieht Gott den Thron und den Schemel seiner Füße.
    Soweit die Trinitätslehre sich selbst als Erkenntnis des seligen Lebens Gottes in sich selber begreift, lehrt sie einen autistischen Gott.
    SPD: ein Gemisch aus Filz und Überzeugungstätern, die immer dann zum Zuge gekommen sind, wenn es galt, die Drecksarbeit zu leisten (von Noske bis Brandt, insbesondere inclusive NATO-Doppelbeschluß, Radikalenerlaß, jetzt Grundrechtsänderung zur Änderung des Asylrechts). Wie hängen Überzeugungen mit Verblendungen zusammen, und kann es sein, daß die Politiker der SPD (jetzt Lafontaine und Engholm) besonders anfällig dafür sind?

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