Heidegger

  • 15.5.96

    Die Bekenntnislogik trennt das Erbauliche von der Wahrheit. Das Erbauliche ist das (leere, gereinigte und dann) geschmückte Haus, das offensteht für die Rückkehr der Dämonen. Erkennbar ist das Erbauliche an der Psychologisierung objektiver Vorgänge (an der Vorstellung, die Psalmen ließen sich unreflektiert auf private Erfahrungen und Konstellationen anwenden), an der Neigung zu kontrafaktischen Urteilen, an einem Textverständnis, daß von der Intention des Autors ausgeht („was will uns der Autor damit sagen“) anstatt von der Objektivität sprachlicher Gebilde: von einem Sprachverständnis, das vom Begriff der Information und von der Mitteilungsfunktion der Sprache ausgeht.
    Das Subjekt der Psalmen (und das Objekt der Prophetie) ist nicht eine individuelle Privatperson, sondern Israel (die private „Einfühlung“ in biblische Texte ist erbaulich). Die Austreibung Israels aus der Sprache und aus den Texten kehrt als subjektives Bedürfnis nach der „Gemeinde“ wieder.
    Die Jonas-Texte bei Miskotte sind ein Opfer dieser Erbaulichkeit. Erschreckend, mit welcher Verachtung Miskotte von Jonas spricht; trägt sie nicht allzudeutlich projektive Züge? Ist nicht seine Theologie eine Theologie im Bauch des Fisches, eine Theologie, die vor dem Handgemenge, in das sie sich hätte bei Erfüllung des prophetischen Auftrags einlassen müssen, zurückschrickt und nach Tarschisch flieht? Ist es nicht diese Theologie, der die „Gemeinde“ zur Zuflucht, und d.h. zum Bauch des Fisches, geworden ist? Ist nicht die „Verstockung“ des Jonas ein prophetisches Wort an die Kirche (die Gemeinde)?
    Weshalb erinnert mich das Wort Gemeinde an Behörde?
    Ist nicht das „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ ein Jonas-Wort? Sind nicht die, die Rechts und Links nicht unterscheiden können, auch die, die nicht wissen, was sie tun? Und führt dieses Wort nicht ins „Handgemenge“ mit der Welt?
    Zur Geschichte der Verstockung des Herzens: Wenn der Infinitiv Sein mit dem (im Deutschen gleichlautenden) Possessivpronomen der 3. Pers. sing. m. zu tun hat, dann ist die Ontologie die philosophische Grunddisziplin des Patriarchats, aber zugleich auch eine, die nicht mehr weiß, daß sie es ist. Ist nicht Heideggers „Sein zum Tode“ und das „Vorlaufen in den Tod“ die Erfüllung des Worts „Laßt die Toten ihre Toten begraben“, das an einen erging, der, bevor er nachfolgte, erst seinen Vater begraben wollte?
    Das Sein, die Kopula des Urteils, an der schon Franz Rosenzweig die „verandernde Kraft“ erkannt hat, ist ein Instrument des Patriarchats: Das Urteil ist nicht zu retten.
    Die Selbsterhaltung bedarf nicht der Rechtfertigung, wohl aber der Reflexion: Die unreflektierte Selbsterhaltung betreibt das Geschäft des Feindes.
    Das Prinzip, daß man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen, läßt sich aus dem Stand der Aufklärung ableiten. Dem entspricht es, wenn das Recht nicht mehr die Tat, sondern das Erwischtwerden diskriminiert, wenn alle Straftatbestände aus Prinzipien der Beweislogik sich ableiten lassen. Ist diese Logik nicht im Prinzip des Strafens begründet? Die Strafe aber setzt an die Stelle der Versöhnung die Sühne, mit der der Staat sich an die Stelle des Opfers setzt: Nicht das Opfer ist das Objekt des Verbrechens, sondern der Staat, und dessen Recht wird nicht durch die Tat, sondern dadurch, daß sie öffentlich wird, verletzt.

  • 14.5.96

    Das Gebot der Feindesliebe schließt die Kritik des Urteils mit ein (die gegenständliche, das Objekt aufsprengende Kraft der Erinnerung). Ist nicht – die Kritik der reinen Vernunft eine säkularisierte Schöpfungslehre, – die Kritik der Urteilskraft eine säkularisierte Offenbarungslehre und – die Kritik der praktischen Vernunft eine säkularisierte Lehre von der Erlösung, und sind nicht die nachfolgenden idealistischen Systeme allesamt in der ersten Stufe, in der der Schöpfungslehre, steckengeblieben? – Fichtes Wissenschaftslehre verstand sich ohnehin nur als Entfaltung der Transzendentalphilosophie; – Schellings Naturphilosophie knüpft zwar an die Kritik der Urteilskraft an, übersieht aber, daß das angestrebte Ziel unter dem Apriori des Naturbegriffs unerreichbar war; – Hegel muß, um die Logik des Weltbegriffs entfalten zu können, den Kern der Kritik der praktischen Vernunft, den Pflichtbegriff und das Sollen, dekonstruieren. Ist der Staat der unreine Geist, der in die Wüste geht (und zugleich der eine Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte)? Die Wahrheit der Opfertheologie: Wenn der Glaube an die magische Kraft des Urteils (der Quellcode der autoritären Persönlichkeit) wächst und nicht mehr reflexionsfähig ist, wird er wieder seine Opfer fordern. Die Deutschen wollen sein wie die andern Völker und begreifen nicht, daß sie es nicht mehr können. Haben Auschwitz und das Nachkriegsdeutschland mit der Geschichte von dem einen unreinen Geist, der in die Wüste geht und mit sieben anderen unreinen Geistern zurückkehrt, zu tun: Die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten? Die Zivilisationsschwelle, die als Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs sich bestimmen läßt, ist die gleiche Schwelle, die die Geschichte von der Vorgeschichte trennt. Ägypten, Assyrien, Babylon, Israel, die Hethiter, die Philister, Kanaan: die ganze altorientalische Welt verhält sich zur Geschichte wie die Sozialhilfeempfänger, die Asylanten, die Arbeitslosen zur zivilisierten Welt. Auf sie man ungestraft seine projektiven Bedürfnisse ableiten darf. Die Unfähigkeit, die Ursprungsgeschichte der Zivilisation zu reflektieren, findet hier ihr vorbezeichnetes Objekt. Bezeichnet nicht Israel die eigentliche Verlegenheit der altorientalischen Geschichte? Die pharaonische Verhärtung des Herzens hat ihre objekiven Gründe im Kontext der Herrschaftsgeschichte, und ihre Rekonstruktion ist ein Mittel zur Erkenntnis der Objektivität, die in der Herrschaftsgeschichte sich bildet. Die Vergangenheit ist nicht vergangen: Das Sklavenhaus besteht weiter, nur als ein Sklavenhaus mit Gummizellen, und d.h. als Irrenhaus. Ist nicht der Habermassche Verfassungspatriotismus ein Glaube an die höhere Einsicht der Irrenärzte? Was hat es mit den Philistern auf sich, und was unterscheidet sie (und ihre Stellung in der Geschichte Israels) von Ägypten, Kanaan und Babylon? Die jüdische Tradition ist aus der Reflexion und der bestimmten Negation der Idolatrie entstanden. Verhält sich der gegenwärtige Stand der altorientalischen Geschichte zum Antisemitismus wie die Kopenhagener Schule zur Deutschen Physik? Oder auf der anderen Seite: Gleicht nicht der Historikerstreit dem der Kopenhagener Schule mit der Deutschen Physik?
    Ohne das Gewaltmonopol des Staates gibt es keinen Rechtsstaat. Das aber heißt, daß nur die Reflexion des staatlichen Gewaltmonopols den Rechtsstaat daran hindert, zum Instrument der Selbstzerstörung des Staates zu werden.
    Im Eucharistiestreit ging es um die Frage, ob das Brot der Leib Christi ist, oder ob es den Leib Christi nur bedeutet. Es ging um die Differenz von Sein und Bedeutung. In dieser Frage war der Ursprung der Phänomenologie, von Hegels Phänomenologie des Geistes bis zur Fundamentalontologie Heideggers, vorgebildet. In der „Frage nach dem Sinn von Sein“ hat Heidegger das Problem zur Unlösbarkeit kontrahiert. Seitdem gibt es die Seinsfrage, die Judenfrage und die Ausländerfrage. – Hat diese Geschichte etwas mit der sprachlogischen Geschichte des Ursprungs der grammatischen Geschlechter zu tun (im Hebräischen gibt beim Nomen kein Neutrum, nur die Geschlechterdifferenz, während das Fragepronomen Person und Sache unterscheidet; hat das Hethitische diese Differenz dann ins Substantiv – von der Prädikatsseite zur Seite des Urteilssubjekts – verschoben, und hat mit dieser Verschiebung die Urteilsform überhaupt erst sich gebildet? Welche Rolle spielt das deiktische Moment, auf das das Deuten im Bedeuten verweist, und das beim Nomen durch den bestimmten Artikel repräsentiert wird? Steht nicht Heideggers Begriff des Daseins unter dem Gesetz der Logik der Trennung von Sein und Sinn: „Warum ist überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts“? Im Hebräischen wird der bestimmte Artikel durch den gleichen Laut ausgedrückt, der auch das Lachen bezeichnet <„ha“>. Nur im Griechischen und im Deutschen wird der bestimmte Artikel zusammen mit dem Nomen dekliniert – wird das Lachen sprachlogisch – als ein die ganze Sprache durchdringedes Gesetz – organisiert. Entspringt der Begriff des Substantivs in der deutschen, dieser durch die Deklination des bestimmten Artikels definierten Sprachlogik? – Das Substantiv ist das ausgelachte Nomen, das „Dasein“ der ausgelachte Mensch <und die Fundamentalontologie dessen entfaltete Selbstreflexion>.) Wirft das Zusammenzwingen von Sein und Bedeutung (in der Frage nach dem „Sinn von Sein“ und im Begriff des „Daseins“) nicht rückwärts ein Licht auf den Ursprung des Neutrums? Mit der Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ hat sich die Philosophie mit dem Strick erdrosselt, den sie seit den vorsokratischen Anfängen der Philosophie geflochten hat (beschreibt die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos dieses Flechten des Stricks?). Das Objekt (das Ding) ist der Grund und der Reflex der Idee des Absoluten.
    Auch die Spekulationsgewinne müssen „erwirtschaftet“ werden, wenn auch nicht von denen, die die Gewinne machen. Das „Risiko“ (nach Dirk Baecker die Ware der Banken) ist ein Kalkulationsfaktor jeder Produktion heute. (Das Risiko des Unternehmers war noch sein eigenes Risiko; heute, in der Ära der Bankenfinanzierung und des Managements, ist das Risiko vergesellschaft, und treffen tut’s eh den Falschen; real schlägt es nur bei denen durch, die es nicht zu veantworten und keinen Einfluß drauf haben, aber ihre Existenz verlieren. – Liegt hier nicht die Wurzel einer Moral, die nicht mehr an der Tat, sondern allein am Erwischtwerden sich mißt, und längst Vorsorge getroffen hat, daß das Erwischtwerden an andere fällt?) Panik bricht heute zuerst in den Chefetagen aus; die andern trifft’s unvorbereitet.

  • 2.5.96

    Sind die Banken nicht das Modell der repräsentativen Demokratie: Die Einlage der Kunden bilden das Stimmpotential, das die Macht der Banken begründet (nach der Ausbreitung und Vergesellschaftung des Bankwesens bedurfte es der Gewichtung der politischen Stimmen nach Einkommen nicht mehr)?
    Blumenpflücken verboten: Woher kommt der Ausdruck „durch die Blume sprechen“? Ist nicht „Blüte“ auch ein Name für Falschgeld? Die „blühenden Landschaften“, die Kohl versprochen hatte, waren wohl eher metaphorische Landschaften: die neuen Einkaufszentren, der Warenhimmel, der den „Besserverdienenden“ offensteht.
    Blumen sind in der Geschichte der Evolution zusammen mit den Säugetieren, Bäume mit den Primaten entstanden. Bei den Säugetieren gibt es (anders als bei Fischen, Vögeln und Reptilien) erstmals eine Gebärmutter.
    Jonas im Bauch des „großen Fisches“ (nachdem die Schiffsleute ihn ins Meer geworfen hatten, „entbot der Herr einen großen Fisch, Jona zu verschlingen“): Wie ist er dann wieder an Land gekommen („der Herr gebot dem Fisch, und er spie ihn ans Land“)? Hat diese Geschichte (das „Zeichen des Jona“) nicht eindeutig apokalyptische Konnotationen (vgl. das „Tier aus dem Meer“ und das „Tier vom Lande“)?
    Eröffnet die Geldspekulation erstmals den Blick in den Abgrund, über dem bis heute Finsternis liegt?
    Schwur und Blutrache: Waren nicht schon die Asylstädte ein Versuch, den Schwur zu lösen (hängt der Schwur mit dem Binden und Lösen zusammen)? Die sechs Asylstädte gehören zu den (48) Levitenstädten.
    Zum letzten Satz des Jakobus-Briefes gehört die Geschichte von dem einen Sünder und den 99 Gerechten und die Geschichte von der einen verlorenen Drachme.
    Die Ambivalenz des Heideggerschen Sinn-Begriffs („Sinn von Sein“) ist ein Beispiel für die Beziehung von Rind und Esel.
    Zitiert Franz Rosenzweig, wenn er den das Sigel R (Redaktor) für sich mit Rabbenu übersetzt, nicht Maria Magdalena, die den Auferstandenen, den sie zunächst für einen Gärtner gehalten hat, nachdem sie ihn erkennt, so nennt?
    Die Weltgeschichte läßt sich als fortschreitender Objektivationsprozeß begreifen; hier hat der Begriff des Fortschritts sein fundamentum in re. Objekt und Medium dieses Fortschritts ist die politische Ökonomie, in der jede Entwicklungsstufe die Grundlage der nächstfolgenden Stufe ist: keine verschwindet, jede bleibt in jeder nachfolgenden erhalten, und keine kann übersprungen werden. Für die jeweils erreichte Stufe ist jede vorausgegangene eine vergangene, überholte und insoweit „veraltete“ Stufe. Motor dieser „Entwicklung“ ist die Ökonomie; das Gesetz, dem sie gehorcht, ist das Gesetz des Erfolgs, das Gesetz von Sieg und Unterwerfung.
    Die Naturwissenschaften erfüllen ihren gesellschaftlichen Auftrag, die Selbstrechtfertigung des Bestehenden, als theoretischer Reflex der durchs Tauschprinzip beherrschten Praxis. Der Naturbegriff, der den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß (wie das kantische „Ich denke“, dessen Erbe er ist) begleitet, bezeichnet den jeweiligen Stand des die Ökonomie wie die Naturerkenntnis gleichermaßen beherrschenden Objektivationsprozesses, kein ein für allemal vorgegebenes All von Objekten; die Einheit des Objekts der Naturwissenschaften ist eine formale, seine materiale Identität eine Funktion des Objektivationsprozesses. Es gibt nicht „die Natur“, sondern nur historisch variable Entwicklungsstufen der Erkenntnis, deren Objektseite jede Epoche als Natur definiert und begreift.

  • 27.4.96

    Was bedeutet eigentlich das „visibilium omnium et invisibilium“ im Credo, wie hängt es mit dem „factorem caeli et terrae“ zusammen: Ist das Gemachte (auf das das Credo die Schöpfung reduziert) aufs Sehen und das Geschaffene aufs Hören bezogen? Das Wort und der Name kommen im Credo nicht vor. Läßt sich das Credo definieren als Besiegelung der Zerstörung der Prophetie durch Verdinglichung? Hier läßt sich die Differenz von Schrift und Wort, Begriff und Name, mit Händen greifen.
    Gemeinheit ist nicht mehr nur kein strafrechtlicher, sondern darüber hinaus auch kein diskriminierungsfähiger Tatbestand mehr. Es gibt Gemeinheiten, gegen die man sich nicht einmal mehr wehren darf. Gemeinheit ist (als Kern aller Empfindlichkeiten) heute zu einem schützenswerten Rechtsgut geworden. Bezeichnet nicht die Gemeinheit den Empfindlichkeitskern der Person?
    Ende der Metzgertheologie: Verweisen nicht der Kelch von Getsemane, der Wein und das Blut des Neuen Bundes, die Opfertheologie auf eine gemeinsames Zentrum, dessen Bedeutung erst sich enthüllt, wenn es dem Bannkreis der Instrumentalisierung entronnen ist? Ist dies nicht der zentrale Satz: Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde …? Ist nicht der Tod erfahrbar nur als Tod der anderen; und ist der eigene Tod im Kern nicht auch ein Tod für andere (aber kein „stellvertretender“)? Welche Bewandnis hat es hier mit dem Inertialsystem, mit dem Geld und mit der Bekenntnislogik, und was bedeutet in diesem Kontext der letzte Satz des Jakobus-Briefes? Hat das Christentum nicht mit der Rezeption der Lehre von der unsterblichen Seele, von einer Unsterblichkeit, die jeder nur für sich selbst erhofft, sich selbst den Zugang zur Eschatologie versperrt? Eschatologisch ist die Lehre von der Auferstehung, die sich aber zunächst auf die der anderen bezieht. „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ (Kafka).
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Nackt ist man im Blick der anderen; nackt ist man als anderer für andere: Kündigt sich in der Erfahrung, nackt zu sein, nicht zum erstenmal der Tod an (und gründet darin nicht die Affinität der Nacktheit zur Photographie)? Was hat es dann zu bedeuten, wenn Gott den ersten Menschen anstelle des Rocks aus Feigenblättern, mit dem sie ihre Blöße zu bedecken versuchen, einen Rock aus Fellen gibt?
    Während Heidegger die Unlösbarkeit des Todesproblems in der Philosophie mit der Identifikation mit dem Aggressor (mit dem „Vorlaufen in den Tod“) beantwortet, ist sie für Rosenzweig zum Kernstück seiner Lehre von der Umkehr geworden.
    Die drei evangelischen Räte sind die drei Antworten auf die Gewalten des Todes (sind nicht die „sieben unreinen Geister“ diese Gewalten des Todes: die Irrsterne).
    Aber hat nicht das Christentum durch die Subsumtion der Eschatologie unters Selbsterhaltungsprinzip (durch den katholischen Mythos) eine Situation geschaffen, die die Nekrophilie und die Mordlust fördert (und das einzige, was aus dem Bann herausführt: das „Stark wie der Tod ist die Liebe“, verdrängt)?
    „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“: Muß es nicht heißen: Die Pforten der Unterwelt, des Totenreichs?
    Inertialsystem (Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit): Wer das Vergangene in die Vergangenheit einsperrt, sperrt sich selbst mit ein.
    Licht und Finsternis beziehen sich beide aufs Sehen und Gesehenwerden zugleich: Im Licht sehe ich und werde gesehen, in der Finsternis sehe ich nichts und werde nicht gesehen. Die Unterscheidung von Licht und Finsternis, auch die von Tag und Nacht, ist physikalisch nicht nachvollziehbar, weil der den physikalischen Erscheinungen zugrunde liegende (mathematisch definierte) Raum, der Raum der Anschauung, vom Blick des Andern (vom Angesicht) und damit von der Möglichkeit gesehen zu werden abstrahiert. (Die Definition des seligen Lebens als „selige Anschauung Gottes“ ist falsch, weil sie von Gottes Angesicht, das kein Gegenstand der Anschauung ist, abstrahiert.)
    Der Zeuge ist einer, der gesehen hat und deshalb weiß. Sein Wissen ist beweislogisch verwertbar.
    Ist nicht das Wort, daß niemand eine größere Liebe hat als wer sein Leben hingibt für seine Freunde, wenn es für „Heldendenkmäler“ mißbraucht wird, zur Blasphemie entstellt?

  • 19.3.96

    Zur Logik der Schuld: Ist die Verurteilung, und mit ihr das Recht, aber auch dessen subjektiver Reflex, die „Empörung“ und die Diskriminierung, ein Säkularisationsprodukt der Magie? Alle Vorurteilsmechanismen, insbesondere der Antisemitismus und der Hexenwahn, leben von dieser säkularisierten magischen Tradition. Aber ist diese magische Tradition nicht dem Referenzsystem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, dem Inertialsystem, schon einbeschrieben?
    Ist nicht der Urknall, wie auch insgesamt die kosmologischen Theorien nach Einstein, Produkt einer Verallgemeinerung, die nach Einstein eigentlich nicht mehr zulässig sein dürfte, der Einstein den Grund entzogen hat?
    Betreibt heute nicht die Menschheit reinen Gewissens ihren eigenen Untergang? Und das nur deshalb, weil sie die Selbstverhexung durch die Orthogonalität (durch das Prinzip und den Grund der Säkularisation der Magie: durch die Logik der Verurteilung) nicht begriffen hat. Die Orthogonalität bezeichnet den Ursprungspunkt des blinden Flecks der Philosophie (und damit generell des Bewußtseins im Bann des Weltbegriffs). Dieser blinde Fleck ist im Dogmatisierungsprozeß (im Begriff und in der Praxis der Orthodoxie, der Priestertheologie) in die Theologie mit hereingenommen worden, in der er sich seitdem widerstandslos ausgebreitet hat. Die hegelsche Logik ist die genaueste Selbstreflexion dieser Ausbreitung des blinden Flecks, der in der Fundamentalontologie Heideggers dann implodiert ist.
    Ist nicht die Implosion das genaueste Bild der Prozesse im mundus moralis heute?
    Verhält sich die Moral zur Ethik wie der mundus zum kosmos oder die natura zur physis (wie die lateinische zur griechischen Sprache)?

  • 16.3.96

    Der „erbauliche Ton“ macht es sich in der Bibel gemütlich.
    Der Raum, die Welt und die Logik der Säkularisation.
    Definition der Ökonomie: Die, die oben sind, werden von denen, die unten sind, getragen, aber sie sind verblendet von dem Schein, daß die die unten sind, von ihrer Gnade leben. Das Geld stellt die realen Verhältnisse auf den Kopf.
    Projektive Natur: Bei Rosenzweig gibt es den Begriff der Natur nur im Kontext der „Vorwelt“. Hier ist sie der logische Grund der Objekte des Nicht-Wissens, der aber in der Umkehr (im Kraftfeld der Schöpfung, Offenbarung, Erlösung) sich auflöst. Der Begriff der Umkehr bei Rosenzweig wäre ohne den Naturbegriff gegenstandslos.
    Die ezechielische Individualisierung der Schuld ist nicht identisch mit der juristischen, mit dem Begriff der Person; sie schränkt den Begriff der Schuld nicht ein, sondern erweitert ihn: sie ist die messianische. Nach Ezechiel hat jeder die Verantwortung nicht nur für sein eigenes Tun und Lassen, sondern für das Ganze.
    Erinnert nicht der Begriff der Zunge bei Jakobus an die Feuerzungen des Pfingsttages?
    Ist nicht der Name des Petrus griechischen und der des Paulus lateinischen Ursprungs?
    Die Nichtobjektivierbarkeit des Antlitzes des andern ist die Widerlegung der subjektiven Formen der Anschauung.
    Haben Rechnen und Linken etwas mit rechts und links zu tun?
    Heidegger, das war der katastrophische Einsturz der Philosophie, die Wahrheit des Urknalls, der am Ende sein wird und eigentlich eine Implosion beschreibt. Heidegger hat den Weg freigemacht zu jenem Mißbrauch der Naturwissenschaften, in dem die Theologie verbrannt ist. Ist die Fundamentalontologie nicht das Feuer, das Jesus vom Himmel holen wollte, und er wollte, es brennte schon; nur daß es zu diesem Feuer erst wird, sobald es das Bewußtsein seiner selbst gewinnt.
    Das Angesicht, der Name und das Feuer: Beziehen sie sich nicht auf die Rettung des Sinnlichen, der Kritik und der Erlösung (Sündenvergebung und Befreiung durchs Auf-sich-Nehmen der Schuld)?
    Ist das Angesicht Repräsentant der Kritik der Ästhetik (der Kritik der Urteilskraft), der Name Repräsentant der Kritik der Logik (der Kritik der reinen Vernunft) und das Feuer Repräsentant der Kritik der Ethik (der Kritik der praktischen Vernunft)?
    Es gibt nicht nur eine transzendentale Logik, sondern es gibt drei Logiken, die in einander wie die drei Dimensionen des Raumes sich reflektieren. Zentren der drei Logiken sind der Raum, das Geld und das Bekenntnis (die „Weltanschauung“).
    Wie hängen die drei Dimensionen des Raumes, das Vorne-Hinten, Rechts-Links, Oben-Unten, mit den drei Modi der Zeit: mit Dauer, Folge und Zugleichsein, und wie hängen beide mit den drei Totalitätsbegriffen der kantischen Philosophie, mit dem Wissen, der Natur und der Welt, zusammen?

  • 2.3.96

    Der Positivismus, der nicht nur eine „Richtung“ in der Philosophie, sondern die herrschende Tendenz des Wissenschaftsbetriebs heute insgesamt bezeichnet, ist das Instrument der Rückbildung der organisierten Erkenntnis ins Anorganische. Schlimm ist nicht diese Rückbildung, sondern die Unfähigkeit ihrer Reflexion. Genau dadurch aber unterscheidet sich beispielsweise Mach (und auch wiederum Wittgenstein) vom Wiener Kreis, daß sie ernsthaft daran sich abgearbeitet haben, den Vorgang bewußt zu machen, während der Wiener Kreis sich offensichtlich gern als Kommandoebene des Positivismus etabliert hätte. Gleicht er darin nicht der Intention und der Funktion des Neoliberalismus in der Ökonomie? Hier liegt nicht die Wurzel des „Kausalitätsproblems“: Als Apologet des kapitalistisch organisierten Eigeninteresses, in dessen eingeschränktem Wahrnehmungsfeld er selbstverständlich von der Geltung des Kausalprinzips ausgehen muß, muß er, um das hypostasierte Eigeninteresse irritationsfrei zu halten, zugleich versuchen, die Anwendung des Kausalprinzips auf die Erkenntnis der objektiven, gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge und Folgen des Handelns zu unterbinden, was am einfachsten durch Verschiebung von der Ökonomie auf die Physik, die ohnehin zur Metaphysik der Ökonomie geworden ist, möglich ist (die Vernebelung der ersten Natur macht auch die zweite unsichtbar, wobei als sicherstes Mittel der Vernebelung immer noch die Verdinglichung logischer Sachverhalte sich erweist).
    Verwaltung gründet in der Umformung von Exkulpationsmechanismen in Handlungsmechanismen. Sie liefert das Modell subjektlosen Handelns: Man tut seine Pflicht, weiß aber nicht mehr, was man tut.
    Definition der Verwaltung: Der Bock als Gärtner.
    „Leistung muß sich wieder lohnen“: Die Kehrseite des staatlichen Sparzwangs, der neben dem Sozialbereich insbesondere die Verwaltung trifft, ist der unaufhaltsame Verschwendungstrieb derer, die davon profitieren. Dort, wo die Leistung nur noch am Verdienst gemessen wird, sind die Besserverdienenden eo ipso auch die Leistungsträger (auch ein Problem der Beweislogik).
    Das unterscheidet den Gehorsamen vom Hörenden, daß der Gehorsame die Verantwortung an den Herrn abgegeben hat: an das blinde Gesetz, das die Welt beherrscht, während der Hörende sein Handeln in die eigene Verantwortung übernimmt.
    Das Schuldverschubsystem ist das Resultat des widersinnigen Versuchs, Barmherzigkeit zu delegieren. Barmherzigkeit ist die Substanz der Autonomie, sie ist grundsätzlich nicht delegierbar.
    Der Beleidigte bleibt in die Infantilität gebannt: Er glaubt an die Kraft des Liebensentzugs.
    Das kopernikanische System ist der kosmische Reflex (und die kosmische Legitimation) des Selbsterhaltungsprinzips und der staatlich organisierten Gesellschaft von Privateigentümern (aus der das Proletariat definitionsgemäß herausfällt).
    „Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße“: Den ersten Teil dieses Satze zitiert auch Jesus (Mt 2322) in einem gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten gerichteten Text über das Schwören (das Schwören beim Tempel, beim Altar, beim Himmel).
    Kant hat den Raum als subjektive Form der äußeren Anschauung definiert, Hegel hat diesen Begriff zugespitzt zur Form der Äußerlichkeit. Darin drückt sich der logische Sachverhalt aus, daß alles Räumliche dem Gesetz des Seins für Andere(s) unterworfen ist. Der räumliche Punkt ist das Bild des Objekts: Indem ich eine Sache objektiviere, mache ich sie zu einem Sein für Andere.
    Adjektiv (that’s the question): Habermas hat in dem falsch zitierten Adorno-Wort „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“, das vom Original nur durch das Adjektiv „gequält“ sich unterscheidet, das Wort insgesamt verfälscht. Das Adjektiv, indem es dem Objekt eine Eigenschaft beilegt, objektiviert und verdinglicht das Objekt. Erst durch ihre (in den indoeuropäischen Sprachen entfaltete) Steigerungsfähigkeit wird das Adjektiv zum Adjektiv, gewinnt es seine grammatische, die Sprachlogik verändernde Funktion. (Vgl. das tob meod im Hebräischen, das „gut, gar sehr“, und die Rosenzweigsche Bemerkung hierzu, aber auch die merkwürdige Tatsache, daß die Steigerung des Adjektivs „gut“ (und welcher anderen in welchen Sprachen?) in den indoeuropäischen Sprachen von der allgemeinen Steigerungs-Regel abweicht, für die Steigerungsformen neue Stammformen (gut, besser, am besten) genommen werden; vgl. hierzu auch das Problem des Neutrums, seinen Ursprung im Fragepronomen <das keine geschlechtliche Unterscheidung, nur die von Person und Sache kennt, eine Unterscheidung, die im Hebräischen auf den Namen des Himmels verweist> und die hethitische, an die Logik des Fragepronomens anschließende Zwischenstufe der grammatischen Genus-Regelung, die ebenfalls nur die Unterscheidung von Person und Sache kennt (ohne Trennung von Männlichem und Weiblichem): gibt es Steigerungsformen im Hethitischen; wie verhält es sich mit den Personalpronomina – auch im Hebräischen? Wo entspringt das „Wie“, der mit der Steigerung sprachlogisch verbundene Vergleich, der im Deutschen an die weibliche Form des bestimmten Artikels <an das „die“, so wie Wer an „der“ und Was an „das“> erinnert? – Vgl. hierzu die Hypostasierung der Frage im Begriff der Judenfrage, der Seinsfrage, schließlich der Frage überhaupt, die bei Heidegger gleichsam durch Redundanz zum Grund der Eigentlichkeit metaphysisch aufgeladen wird: Ist „die Frage“ die letzte Gestalt des Wassers, mit dem die Philosophie einmal begonnen hat? Sind die Seinsfrage, die Judenfrage, die Frauenfrage u.ä. die schwarzen Löcher der Grammatik?).
    Wie verhält sich die Frage zu den sprachlogischen Formen der Konjugation (zu den Dimensionen der Zeit, zur Abtrennung des Handelns vom Subjekt)? Wie verhalten sich Frage und Problem? Was bedeutet der Ursprung des Wissens für die Geschichte des Begriffs der Frage? In welche Engführung bringt der Weltbegriff den Begriff der Frage? Wodurch unterscheiden sich Frage und Problem (Antwort und Lösung), und wie verhalten sich das Binden und Lösen zu Frage und Problem?

  • 23.2.96

    Gehört nicht das „RAF-Problem“ zu den Ursachen der moralischen Selbstzerstörung des Staates, durch den vermeintlichen Zwang, die Wahl der Mittel der Bekämpfung des Terrorismus von moralischem Ballast zu befreien?
    Gemeinheit ist kein Problem der Gesinnung, sondern eines der Logik. Nur durch die Reflexion dieser Logik ist es möglich, ihren Zwängen nicht zu verfallen. Die Logik der Gemeinheit aber begreift man erst, wenn man begreift, daß das Urteil und die Verurteilung gegen diese Logik ohnmächtig und blind sind, weil sie ihr selber unterworfen sind.
    Gegen die Gemeinheit ist erst gefeit, wer an die Auferstehung der Toten glaubt.
    Läßt sich nicht die Geistesgegenwart aus ihrer Beziehung zur Gemeinheit ableiten und begreifen; Gemeinheit ist die Abwesenheit der Geistesgegenwart. Gemeinheit entsteht, wo die Wunde bloß vernarbt, der Schmerz verdrängt wird: wo die Empfindung zur bloßen Empfindung subjektiviert worden ist.
    Sind es nicht diese drei Schritte, die, indem sie die „privilegierte Erkenntnis“ diskriminieren, in den Autismus führen:
    – Die Verdrängung der sinnlichen Erfahrung, ihre Subjektivierung als Empfindung,
    – die Zerstörung der Kritikfähigkeit, ihre Neutralisierung und Subjektivierung als Meinung, und
    – die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die Verdinglichung und Subjektivierung der Sünde zu Schuldgefühlen (das „schlechte Gewissen“, die Manifestation der Schuld unterm Bann der Autorität, des Über-Ich, die Verinnerlichung des Schuldurteils)?
    Sind diese drei Stufen nicht zugleich Stufen der Umkehr? – Ist nicht Intersubjektivität die „Normalform“ des Autismus?
    Es gibt einen logischen Zusammenhang des Bilderverbots mit dem Kelchsymbol. Das Kelchsymbol bezieht sich auf einen sprachlichen Sachverhalt: auf die verdinglichende Gewalt der subjektiven Formen der Anschauung, die das Nomen an die Bilder der Einbildungskraft binden (Ursprung des Substantivs). Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Realgrund des Kelchsymbols, sie trennen die Sprache von der erkennenden Kraft des Namens, unterwerfen sie der Logik des (verdinglichenden und instrumentalisierenden) Herrendenkens. Die Anschauung ersetzt die Namen durch Bilder. Von allen Bildern aber gilt, was die Propheten von den Götzen sagen: Sie hören und sehen nicht, sie sprechen nicht, sie haben nicht die Kraft einzugreifen und zu ändern. Unterm Bann der Bilder werden die Menschen einsam und herrschaftssüchtig.
    In Heideggers Begriff des Daseins hört man geradezu den ausgestreckten Zeigefinger (das „Da“). Der Begriff des Daseins macht das Subjekt zu einem Sein für Andere (die auf es zeigen: deren Objekt es ist). In dieser Konstellation gewinnt die Unterscheidung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, die keine inhaltliche Unterscheidung ist, sondern allein eine des Rangs, ihren fatalen Sinn: Die Eigentlichkeit ist die Arroganz der Knechtsgesinnung, der „Niedertracht“. Hier liegt der Ursprung der Gemeinheit. Ist nicht Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“ ein erster Versuch, die Logik der Gemeinheit zu entwirren?
    Weltgericht: Symbol des Siegers ist das Bild dessen, der als Letzter auf dem Leichenberg der Erschlagenen, der Besiegten steht (Elias Canetti). Die Theologie beginnt mit der Einsicht, die der Sieger verdrängen muß: daß die Toten seine Richter sein werden. Wer glaubt, diesem Richter sich entziehen zu können, indem er mit Hilfe des Weltbegriffs und der subjektiven Formen der Anschauung das Vergangene vergegenständlicht und neutralisiert, täuscht sich selbst.
    Zur Position Horkheimers gehören beide Sätze,
    – der, den er in einem Brief an Benjamin geschrieben hat: die Erschlagenen sind endgültig tot (d.h., wer ihre Auferstehung erhofft, entlastet nur sich selbst von der Trauer und dem Schmerz), und
    – der andere, den er einmal im gemeinsamen Seminar mit Adorno gesagt hat: Wie kann man auf dem Riesen-Leichenberg, auf dem wir stehen, jemals die richtige Gesellschaft errichten!
    Wer die Philosophie Horkheimers verzweifelt nennt, und das in einem Ton, der suggeriert, wir seien darüber hinaus, der möge doch bitte einen dieser beiden Sätze widerlegen.
    Zur Lehre von der Auferstehung ist zu bemerken, daß es nicht mehr erlaubt ist, sie aufs private Ich zu beziehen, sie als private Hoffnung, die das Schicksal der Toten, der Welt und der Menschheit kalt läßt, zu hegen. Sie gilt nicht für die Pharaonen und ihre historischen Erben, die Herren des Sklavenhauses, sondern nur für die Opfer.

  • 22.1.96

    Ist nicht die Scham der Kinder für das Verhalten ihrer Eltern das Modell der Konstellation, aus der die 68er Bewegung hervorgegangen ist?
    In der Theorie des kommunikativen Handelns, die an dieser Konstellation teilhat, wird Wissenschaft in einer Weise selbstreferentiell, die jeden Zugang von außen zu versperren scheint. Nur wer in den Zirkel hineingesprungen ist, versteht ihn, findet vielleicht einen Schlüssel, der die Realität zu erschließen vermag. Bezeichnend eine Stelle bei Habermas, an der er den Begriff der Willkür als einen Fachterminus aus dem Bereich der idealistischen Systeme denunziert.
    Musterschüler: Nach der Verdrängung der Vergangenheit mit Hilfe der Kollektivscham ist die Neigung verbreitet, sich in die hineinzuversetzen, vor denen man sich schämt, und deren Urteil durch Unterschiebung anderer Objekte (durch Schuldverschiebung) von sich selbst abzulenken. Aber steckt in dieser Neigung nicht immer schon ein Stück Rachetrieb, enthielt sie nicht immer schon den Trieb zum Verrat? Das Gefühl, daß man mit der Verurteilung der Nazis (z.B. mit der Verurteilung von Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger) insgeheim sich selbst verurteilte, was dann die Urteile nur rigoroser machte, war auf diesem Wege nicht wegzubringen, es ließ sich nur verdrängen.
    Hegels Warnung, den Gegner nicht dort zu widerlegen, wo er nicht ist, wurde in den Wind geschlagen.
    Die Kollektivscham hat die Schuld nicht aufgehoben, sondern nur verhärtet, unreflektierbar gemacht.
    Setzt nicht Günther Anders‘ Begriff einer „prometheischen Scham“ ein anderes Schamproblem schon voraus, die doppelte Bewegung, in der die Scham vor anderen durch die Scham für andere (vor einem Dritten) schon in sich enthält: Ist nicht die propmetheische Scham diese Scham vor einem Dritten, die fast nicht mehr zu durchschauen ist?
    Ist nicht das begriffliche Denken (die Konstituierung des Begriffs) ein Produkt dieser Bewegung der Scham: Die Instrumentalisierung der Schamumkehr, in deren Ursprungsgeschichte der Objektbegriff (und der Naturbegriff) sich bildet?
    Fremdenfeindschaft gründet in der Abwehr der Selbsterkenntnis, die des Fremden bedarf, weil nur über die Realität des Fremden die Reflexion der Scham möglich ist.
    Hat nicht die Beschneidung weniger hygienische Gründe, als vielmehr Gründe, die mit dem Problem der Scham (der Konstituierung des Objektbegriffs) zusammenhängen? Die Beschneidung ist eine Beschneidung des Ich (Zusammenhang mit dem Namen der Hebräer, seiner inversen Beziehung zu dem der Barbaren).
    Als Freud den Frauen den Kastrationskomplex andichtete, hatte er da nicht den in der Beschneidung gründenden eigenen Kastrationskomplex auf die Frauen verschoben?
    Stand der Kreuzestod in der Tradition der Geschichte der Beschneidung, und mußte er deshalb mit Hilfe der Opfertheologie verdrängt werden? Hängt die Beschneidung selber nicht schon mit der Geschichte des (Tier-)Opfers (das durch Barmherzigkeit aufgehoben werden sollte) zusammen, mit der Ablösung der Erstgeburt, der menschlichen Erstgeburt wie auch der des Esels durch das Lamm? – Trug nicht der Esel bei der Opferung Isaaks die Opfermaterialien?
    Wie/die: Die Feminisierung des Verfahrens der Objektivierung und Instrumentalisierung ist der deutlichste Hinweis auf die Bedeutung des apokalyptischen Unzuchtsbechers.
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Das heißt, sie ist alles, was unter Begriffe fällt. Heißt das nicht, daß in der Gravitation ein konstitutives Moment des Begriffs sich widerspiegelt? Mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes ist das Objekt zum Begriff und der Begriff selbstreferentiell geworden.
    Kopernikus hat die Planetenbewegung vorstellbar gemacht, er hat die Planetenwelt in den einen Raum der Anschauung transformiert, Newton hat mit dem Gravitationsgesetz die „dynamische Begründung“ dazu geliefert.
    Aufschlußreich wäre eine physikalische Geschichte des Objektbegriffs, dessen „Identität“ allein aus seiner Beziehung zum Subjekt, nicht jedoch aus der Abfolge der Bestimmungen, die er im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß durchläuft, sich ableiten läßt. Seit der kopernikanischen Wende enthält jede „Lösung“ schon die Problemkonstellation in sich, die den Erkenntnisprozeß weitergetrieben hat. Und keines der Probleme, die im Prozeß der naturwissenschaftlichen Objektivierung hervorgetreten sind, ist wirklich gelöst worden. Eine Kulmination des Objektproblems war zweifellos das damals so genannte „Ätherproblem“, der vergebliche Versuch, das Objekt der Maxwellschen Gleichungen im Anschauungsraum sich „vorzustellen“. Die genaueste Fassung dieses Problems (nicht schon seine Lösung) war zweifellos die spezielle Relativitätstheorie Einsteins (das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Problem von der Objektvorstellung in die Struktur des Systems verschoben hat), während die durchs Plancksche Strahlungsgesetz eröffnete Welt der Mikrophysik, die moderne Atomphysik (und ihre ideologische Abschirmung durch die Interpretation der Kopenhagener Schule), die Unlösbarkeit des Problems als seine Lösung propagiert. Beschreiben nicht das Plancksche Strahlungsgesetz und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf den gleichen Sachverhalt, wobei ihre Differenz in der unterschiedlichen Stellung zum Inertialsystem, in der Beziehung von Objekt und System, gründet? Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit berichtigt das Inertialsystem derart, daß es als gegenständliches Objekt vom System sich abspaltet und verselbständigt: als von Strahlung durchsetzter Hohlraum durch ein mathematisches Gesetz sich bestimmen läßt.

  • 2.12.95

    Wer andere nicht verraten will, muß bereit sein, deren Sünde mit auf sich zu nehmen. Ist das der Sinn von Joh 129: Nimmt das Lamm Gottes die Sünde der Welt auf sich, weil es die Menschen nicht verraten will?
    Entspricht nicht der Idee des Jüngsten Gerichts, wenn sie als Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht zu verstehen ist, ähnlich wie auch dem Hegelschen Weltgericht ein Erkenntnisbegriff?
    Der Aktualitätspunkt, auf den die Prophetie sich bezieht, ihr Wahrheits- und Zeitkern, ist das „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“: der „Tag des Herrn“, die dies dominica, den die Christen zum Sonntag neutralisiert haben.
    Zoologischer Garten: Der Sündenfall hat nicht die Menschen aus dem Garten der Tiere befreit, sondern er hat das Paradies zum Garten der Tiere gemacht.
    Wie hängen Kanaan (die Händler), Kana in Galiläa (die Hochzeit und das erste Wunder sowie die Folgegeschichte in Kapharnaum), die kanaanäische Frau, Simon der Kananäer (der Zelot) und Nathanael, „der aus Kana in Galiläa kam“ mit einander zusammen?
    In der vollständig instrumentalisierten Welt verlieren die Sakramente, die auch ein Stück ritualisierter Technik sind, ihre raison d’etre.
    Die logische Asymmetrie, die die Ethik zur prima philosophia macht, die es verwehrt, aus Grundsätzen des Handelns Maßstäbe des Urteils zu machen, gründet in der Differenz zwischen der Wahrheit eines Satzes und seiner Instrumentalisierung.
    Es gibt eine geheime Kommunikation zwischen dem Fortschritt der Ökonomie und dem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis.
    Das Anschauen (von dem die subjektiven Formen der Anschauung abstrahiert sind) ist der mitleidslose Blick, der der Logik des „Richtet nicht, …“ unterliegt. Im Weltbegriff wird dieser mitleidslose Blick zur Grundlage eines Totalitätsbegriffs. Die Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs fällt mit der des Staates zusammen.
    Begreifen und Denken: Ist der Begriff (vgl. auch die Heideggersche Unterscheidung des Vorhandenen vom Zuhandenen) das apokalyptische Zeichen an Hand und Stirn?
    Rechtfertigung zielt auf Unschuld, nicht auf Gerechtigkeit; aber nur Gerechtigkeit ist ein theologischer Begriff, Unschuld dagegen ein Weltbegriff. Die Idee der Gerechtigkeit konstituiert sich im Angesicht Gottes, der Begriff der Unschuld im Anblick der Anderen (im Kontext der Scham). Nur das Recht, nicht Gott, spricht jemanden schuldig oder unschuldig.
    Teilhard de Chardin hat einmal auf den instrumentellen Charakter des Organischen hingewiesen, der soweit geht, daß z.B. „der Maulwurf … ein Grabwerkzeug und das Pferd ein Laufwerkzeug, der Tümmler ein Schwimmwerkzeug und der Vogel ein Fliegwerkzeug“ ist. „In diesen verschiedenen Fällen gibt es eine werkzeugliche Besonderheit für jede Gattung, jede Familie oder zoologische Ordnung. Anderswo, z.B. bei den sozialen Insekten, sind ausgewählte Individuen allein mehr oder weniger vollständig zu Kriegs- oder Fortpflanzungswerkzeugen umgebildet.“ (Auswahl aus dem Werk, Freiburg i.Br. 1964, S. 57) Läßt nicht das Leben der Tiere insgesamt (der Begriff des Instinkts verweist darauf) als ein Leben im Bann einer Selbstinstrumentalisierung sich begreifen, den das einzelne Tier durch Reflexion nicht aufzulösen vermag, in den es verstrickt ist, dem es nicht entrinnen kann.

  • 26.11.95

    Gegen Derrida: Der Benjaminsche Text bietet keinen realen Anlaß, im Begriff der „göttlichen Gewalt“ die Endlösung, den Holocaust, Auschwitz wiederzuerkennen. Diese Assoziation wird im Gegenteil durch eine genaue Lektüre des Textes definitiv ausgeschlossen. Was die Beziehung herstellt, ist ein Verfahren, zu dessen Kritik Levinas das durchschlagende Stichwort gegeben hat, als er bemerkte, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Die Kontamination der göttlichen mit der mythischen Gewalt, die der Derridaschen Assoziation die Basis liefert, ist das Werk Derridas, nicht Benjamins (in dessen Text er sein Verfahren dann hineinprojiziert), wenn er explizit theologische Texte Benjamins, die der Levinasschen Forderung genügen, zurückübersetzt in den Indikativ (das gleiche Verfahren gehört übrigens zur christlichen Begründung und Ausgestaltung des Dogmas, der Orthodoxie, und markiert deren Differenz zur Wahrheit).
    Hilfreich zum Verständnis ist die Benjaminsche Unterscheidung von Ausdruck und Mitteilung. Wenn man sie auf die Derridasche Interpretation des Benjaminschen Textes anwendet, wird man schnell gewahr, daß mit der Übersetzung in den Indikativ das, was bei Benjamin sich ausdrückt, in eine Mitteilung umgeformt wird. Diese Umformung ist eine der Instrumentalisierung, die Rückübersetzung der Offenbarung in den Mythos (eine Übersetzung, die der Weltbegriff gleichsam automatisch leistet: der Weltbegriff ist der Inbegriff der transzendentalen Logik der Instrumentalisierung der Wahrheit und selber das Instrument der Zerstörung des Namens).
    Wenn Derrida dem Benjaminschen Text hätte gerecht werden wollen, hätte er zumindest auf die zentrale Rolle des Satzes „Du sollst nicht töten“ in diesem Text eingehen müssen sowie darauf, daß die Idee der göttlichen Gewalt deren Instrumentalisierung schon im Ansatz ausschließt. „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, und die einzig legitime Konsequenz aus der Idee der göttlichen Gewalt wäre es gewesen, sie auf die Täter des Holocausts, in keinem Falle aber auf ihre Tat zu beziehen. Zu den letzten Manifestationen des katholischen Volksglaubens in Deutschland, bevor er endgültig ins Blasphemische sich aufgelöst hat, gehörte unmittelbar nach dem Krieg die Angst: Das wird sich einmal rächen.
    Wenn Auschwitz eine theologische Bedeutung hat, dann die, daß es der Instrumentalisierung des Kreuzestodes Jesu, und damit der Opfertheologie, der Bekenntnislogik, dem Dogma und der verdinglichten Orthodoxie (der Konfundierung der Theologie mit dem Weltbegriff), endgültig den Boden entzogen hat.
    Die Benjaminsche Unterscheidung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt rührt an den Grund der Unterscheidung von Natur und Welt, die als Totalitätsbegriffe im Erkenntnisprozeß genau diese Funktionen: die Bindung der Erkenntnis ans Urteil, abdecken. (Die Geschichte der Naturerkenntnis ist die ins Innere transformierte Fortsetzung der heroischen Gründungsgeschichte des Staates und der Zivilisation, und der Naturbegriff selber das Korrelat und die Stütze des Gewaltmonopols des Staates.)
    Die Polizei ist das Paradigma des Hoheitlichen (der Repräsentation der staatlichen Gewalt). Sie gehört zur staatlichen Verwaltung wie das Militär zur Nationalökonomie. Stammt nicht der Name der Polizei aus den Anfängen der Verwaltungswissenschaft?
    Rührt nicht Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts an den Grund des Prinzips, demzufolge Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist? Die Aufnahme der Gemeinheit in den Kanon strafrechtlicher Tatbestande hätte die Selbstauflösung des Rechts zur Folge. Genau hier wird deutlich, weshalb der Benjaminsche Begriff der göttlichen Gewalt niemals auf die Endlösung Anwendung finden kann. Auschwitz hat das Recht durch Reduktion auf ihren Gemeinheitskern (auf den Kern der rechtsbegründenden und -erhaltenden mythischen Gewalt) zerstört, der Begriff der göttlichen Gewalt hingegen zielt auf die Auflösung des Rechts durch Zerstörung seines Gemeinheitskerns. (Das Jüngste Gericht ist der Widerpart des Hegelschen Weltgerichts: das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.)
    Aus dem gleichen Grunde wäre abzuleiten, daß der Antisemitismus niemals als Anwendungsfall des Rassismus oder des Vorurteils sich begreifen läßt, sondern nur als deren Wurzel.
    Das Obszöne an den raf-Prozessen ist der offene Gebrauch, den Gericht und Bundesanwaltschaft vom Gewaltmonopol des Staates machen. In der Konsequenz dieses Verfahrens liegt es, daß die Angeklagte nur noch als Feind wahrgenommen wird. (Die Verteidung wird im Lichte des Grundsatzes wahrgenommen: Wer sich verteidigt, klagt sich an.) Hier gibts nicht nur keine „Waffengleichheit“ mehr, sondern hier geht die Vorverurteilung soweit, daß Verteidung und Besucher apriori zur Sympathisanten-Szene gezählt werden.
    Gehören nicht die drei Formen des gewaltsamen Todes im Neuen Testament zusammen: die Enthauptung des Täufers, die Kreuzigung Jesu und die Steinigung des Stephanus?
    Sind der Orion und die Plejaden die Repräsentanten des Tierkreises und der Planeten am Fixsternhimmel? Und auf wen bezieht sich das Binden, und auf wen das Lösen (vgl. Hiob 3831 und 99)?
    Kinder haften für ihre Eltern: Der biblische Satz „Wenn dein Sohn dich fragt …“ bezieht sich auf die Weitergabe der Lehre vom Vater auf den Sohn, der 68er Satz „Wenn meine Kinder mich einmal fragen …“ dagegen auf den Rechtfertigungszwang, unter dem das Bewußtsein in Deutschland seit dem Ende des Faschismus steht. Dieser Satz gehört zu dem Schwarzen Loch, das der Faschismus erzeugt hat, das die Lehre nur noch in sich hereinsaugt und ihre Vernichtung befördert, aber nicht mehr ausstrahlt.
    Holgers Waschsalon: Sind heute nicht alle religiösen Positionen besetzt von Gruppen, die die Religion als Exkulpationsmaschine (als Hilfe, ihre Schuldgefühle loszuwerden, als synthetische Kuschelecke) brauchen? Dem hat die Theologie schon seit der Zeit der Kirchenväter vorgearbeitet. Aber konvergiert nicht dieser Exkulpationstrieb auf eine ebenso erschreckende wie verhängnisvolle Weise mit der Tendenz, die Religion zugleich in eine Religion für andere umzuformen: in ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft?
    Creatio mundi ex nihilo: Produkt einer projektiven Erkenntnislogik, die eigentlich auf ein Stück Urgeschichte des Kapitalismus sich bezieht, auf die Vorgeschichte der Kreditschöpfung der Banken? Die Risiken der Banken sind die Risiken der Sparer, die Risiken der Unternehmer sind die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz auf dem Spiel steht, und die Risiken des Krieges sind die der Bevölkerungen, deren Anteil an den Opfern der Kriege den des Militärs inzwischen weit übersteigen. Die Risiken der Entscheidungen haben heute nicht mehr die zu tragen, die sie treffen, sondern die, für die sie getroffen werden (Anmerkung zu den Begriffen Verantwortung und Repräsentation).
    „Soll aber der Mensch noch einmal in die Nähe des Seins finden, dann muß er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren“ (Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, S. 150, zitiert nach Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 208). Die Begründung ist einfach: Weil das Sein den Namen löscht, alles gleichnamig macht. Wenn Derrida in diesem Zusammenhang auf die Kabbala verweist (auf die „unaussprechbare Möglichkeit des Namens“), so weiß er nicht, wovon er redet. Das Ziel der Kabbala war die Heiligung des Gottesnamens, während die Ontologie seit je darauf abzielte, den Gottesnamen zu tilgen.
    War die Ontologie (das „Sein“: die Installierung des Urteils) das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat?

  • 21.11.95

    Das Christentum als Selbstrechtfertigung der indogermanischen Sprachlogik verstehen: Kein Präsens ohne Opfer. Und kein Präsens ohne Plusquamperfekt: beide werden kontrahiert und in einer gemeinsamen Logik zusammengefaßt durch den Weltbegriff.
    Waren nicht alle Kosmologien subversive Erweiterungsarbeiten im Sprachbau (Arbeit an der Erweiterung und Differenzierung der Sprachlogik)?
    Wer das Imperfekt in die Vergangenheit abdrängt, hypostasiert den Staat und legt den Grund für die Welt. Er begründet eine Logik, in der die abgeschlossene Vergangenheit vollendet (perfekt) ist, während für die hebräische Sprache diese Welt unvollendet (imperfekt) ist und erst die zukünftige Welt vollendet (perfekt) sein wird.
    Ontologie und Recht: Nur über die Anerkennung fremden Eigentums ist auch die Anerkennung des eigenen Eigentums sicherzustellen. Das Vorhandene ist das, was meiner Verfügungsgewalt entzogen ist, weil andere darüber verfügen (der Staat „präsentiert“ das Vorhandene, produziert das Präsens).
    Treten nicht Sein und Haben gemeinsam auf, und zwar beide im Kontext der Perfektbildung (der „vollendeten Vergangenheit“)? Und sind sie nicht der sprachliche Grund für die Heideggersche Unterscheidung des Vorhandenen vom Zuhandenen? Ist nicht die Heideggersche Eigentlichkeit ein Audruck dafür, daß in der Fundamentalontologie das Bewußtsein, daß das Sein ein (durch den Staat) Gesetztes ist, durchaus präsent ist, wobei die Eigentlichkeit der Identifikation mit dem Subjekt des Seins: dem Staat, sich verdankt: Der Ontologe ist der Hirte des Seins.
    Das Haben ist das Ergebnis einer aktiven Aneignung, während dem Sein das passive Angeeignet-worden-Sein zugrundeliegt. Insofern steckt im Sein in der Tat das Possessivpronomen: die Beziehung auf einen Herrn.
    Im Strafrecht entspricht der Unterscheidung von Sein und Haben die von Tat und Täter: Wer gemordet hat, ist ein Mörder, wer gestohlen hat, ein Dieb; aber unter rechtsstaatlichen Bedingungen wird in dem einen Falle der Täter verurteilt (und bestraft), in dem anderen Falle die Tat.
    Schneidet nicht das Benennen die Reflexion der Vergangenheit ab? Das Benennen verdrängt die Vergangenheit: es macht die Tiere zu Tieren (die Mörder zu Mördern, die Diebe zu Dieben), rückt sie ins Gegenständliche, Vergangene: fürs Benennen sind die Benannten tot. Die Lehre von der Auferstehung enthält auch ein sprachphilosophisches Element.
    Gibt es überhaupt noch ein Benennen ohne Komplizenschaft, ohne daß man sich gemein macht?
    Hängt es mit dem englischen to be zusammen, daß im Englischen das Perfekt nur mit to have, nicht mit to be gebildet wird (den Formen des Perfekts, die im Deutschen mit dem Hilfsverb Sein gebildet werden, entspricht im Englischen das Präteritum)?
    Kann es sein, daß im Russischen das Haben sowohl das Haben wie auch das Sein bezeichnet?
    Unfähigkeit zur Reflexion ist ein Ausdruck von Ich-Schwäche. Ein Erkenntnisbegriff, der an der intentio recta, an den Erscheinungen, sich orientiert, korrespondiert einem am Feindbild sich orientierenden Begriff des Handelns; beide unterbinden die Reflexion und fördern die Ich-Schwäche.

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