Heidegger

  • 20.01.94

    Die Juden sind Hebräer für die anderen (für die Welt), Israeliten hingegen für Gott und für sich selbst.
    Ist nicht die Argumentation beim Loretz deshalb unverständlich, weil er es nicht zulassen kann anzuerkennen, daß die Beziehung der Hebräer zu Israel auf einer Ebene liegt, die durch den szientifischen Objektivitätsbegriff neutralisiert, gegenstandslos wird. Ist nicht der ganze Eiertanz um die Frage, ob der Name der Hebräer ein Appelativum oder ein Gentilizium sei, dadurch verursacht, daß das Eingehen auf die Sache den wissenschaftlichen Objektivitätsansatz sprengen würde? Dieser Objektivitätsansatz macht sich gemein mit der Welt, für die die Israeliten Hebräer sind, die sie haßt. An dieser Konstellation krankt die gesamte historische Bibelkritik (die „Quellentheorie“, die nicht zufällig an der Beziehung der Begriffe Stämme, Sprachen, Völker und Nationen, in deren Kontext die Namen der Israeliten und Hebräer gehören, sich desinteressiert zeigt).
    Die „Völker“ (als Schicksalsgemeinschaften, die mit dem Ursprung des Weltbegriffs entstehen) sind die Heiden. Gleicht die Unterscheidung von Völkern und Nationen nicht der von natura und physis? Die Sprachen beziehen sich auf Babylon, die Völker auf die Völkertafel, die Stämme auf die Genealogien, und die Nationen? Kann es sein, daß zwischen Völkern und Stämmen und zwischen Nationen und Sprachen genetische Beziehungen bestehen?
    Da wird Israel zu einem völkisch-nationalen Begriff, da werden die „späten Bearbeiter“ (Loretz, S. 122) zu dummen Kerlen (die gleichen Redaktoren übrigens, die Franz Rosenzweig mit dem Namen Rabbenu ehrt), die die „Materialien“, mit denen sie umgehen, nicht mehr verstehen und sich von den „kritischen“ Wissenschaftlern vorrechnen lassen müssen, wie die Stellen, die sie nur, wie der Assistent das Buch seines Professors oder der Lektor das Manuskript eines Autors, redaktionell „bearbeitet“ haben, eigentlich hätten lauten müssen.
    Merkwürdig, daß der Widerspruch zwischen dem „Hebräer“ Abraham und der „aramäischen“ Verwandschaft, bei der Isaak und Jakob sich ihre Frauen holen, überhaupt nicht erwähnt wird. Er paßt in das Schema der Fragestellung, die sich in voreilendem Gehorsam dem apriorischen Antworthorizont anpaßt, nicht herein. (Vgl. Deut 265: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater …) Hierzu gehören Wendungen wie „er lebte als Fremder im Land“ oder auch die mit der Erinnerung an die eigene Vergangenheit als Fremde in Ägypten begründeten Regelungen für die Fremden in Israel.
    S. 125: Erinnert nicht das Alt-Zitat, im Namen der Hebräer schwinge „ein Ton der Selbstdemütigung“ mit, niemals aber ein „nationales Hochgefühl“, an das Argumentationsschema, mit dem heute die Erinnerung an Auschwitz abgewehrt wird?
    Ist die Trinitätslehre das dreidimensionale Gegenstück zur noesis noeseos des Aristoteles. Verhält sich die aristotelische Metaphysik zur euklidischen Geometrie wie die Trinitätslehre zum Inertialsystem (und zum kapitalistischen Wertgesetz)?
    Hatte nicht Sacharja nur die vier „apokalyptischen Reiter“, die erst in Johannes-Apokalypse durch den Hinweis auf den Einsturz des Himmels und die Märtyrer unter dem Altar ergänzt, vervollständigt werden?
    Hat der hebräische Sklave etwas mit dem Gottesknecht zu tun? Oder soll es deshalb keine hebräischen Sklaven geben, weil Israel der Knecht Gottes ist (ist Nietzsches Begriff der jüdisch-christlichen Sklavenmoral ein Hebraismus)?
    Nach der Selbstzerstörung der Welt (nach den Weltkriegen?) war das Innere „leer, gereinigt und geschmückt“.
    Verdankt sich nicht die Verdreifachung der altorientalischen Chronologie dem gleichen Mechanismus, dem in der Bibelwissenschaft die Quellentheorie sich verdankt?
    Hat nicht die historische Bibelkritik etwas mit Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern zu tun: Da werden Stoff, Farbe und Faltenwurf der Kleider untersucht und beurteilt; in Wahrheit aber ist der Kaiser nackt (und die zum Feigenblatt naturalisierte Schrift wird mit den nicht vorhandenen Kleidern verwechselt).
    Ist nicht das Stück Wut, das bei Heinsohn und Illig sich zeigt, der Drewermannschen Wut (die ihn an die Kirche bindet) vergleichbar: in beiden Fällen Ausdruck des blinden Flecks in der Theorie?
    Der Positivismus legt ein Minenfeld vor die Wahrheit.
    Wenn Jesus in seiner Botschaft an den Täufer mit den Blinden und Lahmen ein Detail aus der Geschichte der Eroberung Jerusalems durch David zitiert, gewinnen dadurch nicht beide Stellen prophetische Qualität? Von den Blinden und Lahmen, „die David in der Seele verhaßt waren“, heißt es da: „Sie werden dich (sc. David) vertreiben“ und „Es soll kein Blinder noch Lahmer in das Haus kommen“ (2 Sam 56ff).
    Die Strafverfolgung gegen den Stasi-Chef Wolff ist Heuchelei, aber die Nichtverfolgung wäre Zynismus. Wo liegt da die Lösung?
    Macht Heidegger nicht die gleiche Sorge, gegen die sich u.a. die Bergpredigt richtet, zum Existential?

  • 16.01.94

    Zur Beziehung von Scham und Blut sh. Vermes, Anm. 31, S. 260: Rabbi Nachman ben Isaak: „Wer seinen Nächsten in der Öffentlichkeit beschämt (erröten läßt), der ist, als hätte er Blut vergossen.“
    Anwendung von Mt 634: „Darum sorgt nicht für den anderen Morgen, denn der morgige Tag wird wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat“, auf die Schöpfungsgeschichte, das Sechstagewerk, und auf den „Tag des Herrn“. Geza Vermes rührt, ohne es zu bemerken, an den Grund der Prophetie, wenn er dazu darauf hinweist, daß Jesus „ein Mensch (war), für den die Gegenwart, das Hier und Jetzt, von einmaliger und unendlicher Wichtigkeit war“ (S. 264).
    Zur Bestimmung des Staubs (zu dem Adam wird, und den die Schlange frißt): Das Heideggersche „Man“ ist eine Emanation der Welt: die präziseste Bestimmung dessen, was die Propheten Unzucht nannten. Bezeichnend, daß das unpersönliche Man dann doch als männlich (und als Verkörperung des Universalen) erfahren wird.
    Das Geschwätz ist eine Erfahrungsverhinderungsmaschine (es gehorcht der dem Rechtfertigungszwang unterworfenen Bekenntnislogik).
    Wenn Israel der Augapfel Gottes ist, ist dann nicht der Antisemitismus (wie vor ihm der kirchliche Antijduaismus) ein Versuch, Gott blind zu machen: daß er’s nicht mehr sieht?
    Wenn der Antisemitismus Gott erblinden macht, hat dann das Christentum Ihn gelähmt? Drückt sich das darin aus, daß der erhöhte Jesus „zur Rechten des Vaters“ sitzt?
    Die Botschaft Jesu an den Täufer im Gefängnis („Blinde werden sehend und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt und und Armen wird die frohe Botschaft verkündet, und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt“, Mt 115) ist apokalyptisch (Zusammenfassung der Lösung der sieben Siegel und e contrario eine spiegelbildliche Beschreibung des apokalyptischen Weltzustandes).
    Als Zedekia, der letzte (vom König von Babel eingesetzte) König der Juden, nach Babel verbracht wurde, „schlachtete man (die Söhne Zedekias) vor seinen Augen; den Zedekia aber ließ er blenden und in Ketten legen. So brachte man ihn nach Babel“ (2 Kön 257). Hat diese Geschichte etwas mit Auschwitz zu tun: Ist „der König der Juden“ seitdem geblendet und in Fesseln, blind und lahm? Vgl. auch die „Blinden und Lahmen“ bei der Eroberung Jerusalems (2 Sam 56ff) und in der Botschaft Jesu an den Täufer („Die Blinden werden sehend, die Lahmen gehen, …“ Mt 115). -Ist hier die Richtung bezeichnet, in der das mit dem Lösen Gemeinte gesucht werden muß?
    Es gibt keine Erkenntnis, die nicht auch in Beziehung zur Gotteserkenntnis steht, und hier gilt der Satz: Der liebe Gott (und nicht der Teufel) steckt im Detail.
    Zu Geza Vermes: Der Nachweis, daß die Lehre der Kirche mit der Lehre Jesu nicht übereinstimmt, reicht nicht mehr. Zu ermitteln und herauszuarbeiten wäre die reale historische Beziehung beider zueinander; eine hierher passende Bemerkung zu den Elefanten: Ist nicht das Langzeitgedächtnis, soweit es von der Erinnerungsfähigkeit zu unterscheiden ist, und d.h. das Langzeitgedächtnis, dessen Objekt man nur ist, Ausdruck einer sehr tiefen Verletzung?
    Zur Unterscheidung von Mythos und Aufklärung: Wenn das Schicksal, nach der Benjaminschen Definition, der Schuldzusammenhang des Lebendigen ist, ist dann die Welt (und das wäre ebenfalls eine Definition) der Schuldzusammenhang des Toten (aber dieser Schuldzusammenhang ist einer, der in dem des Lebendigen gründet, und dessen realsymbolische Widerspiegelung das apokalyptische Tier ist)? Für uns sind nicht mehr die Götter unsterblich, sondern unsterblich ist nur noch die Sterblichkeit der Sterblichen: der Tod. Darin gründet der Naturbegriff.
    Vornehm und anständig, oder der Kern des Verblendungszusammenhangs: Der Vornehme spiegelt sich im Blick von unten, der Anständige im Blick von oben. Gemeinsam verstellen sie der Erkenntnis den Weg. Wenn die Vornehmen mit den Anständigen sich verbünden, siegt die Natur, wird die Welt gemein.
    Zur Raumvorstellung: Oben und unten bezeichnen das Verhältnis von Schöpfung und Auferstehung, rechts und links das von Gericht und Barmherzigkeit, und vorne und hinten das von Im Angesicht und Hinter dem Rücken.

  • 11.01.94

    Das Präteritum bezeichnet eine abgeschlossene, das Imperfekt eine noch nicht abgeschlossene Handlung. Wann wurde das Imperfekt zum Präteritum? Nach dem Verschwinden des Aorist (beim Übergang vom Griechischen zum Lateinischen)? Zusammenhang mit dem Ursprung des Futur II und der Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs (vom kosmos zum mundus; Voraussetzung des Inertialsystems)? Die Philosophie und als ihr logischer Ausdruck der Weltbegriff, und in der Praxis dann der Staat, schließt die Vergangenheit ab, macht die Natur zur Natur.
    Nach Hans Krahe (Indogermanische Sprachwissenschaft, II S. 83) geht das „Präteritum“ der starken Verben des Germanischen auf das indogermanische Perfekt zurück (Abstufung im Vokalismus der Wurzelsilben).
    Interessant (S. 86), daß das Futur eine spätere Bildung und vorrangig aus dem Konjunktiv hervorgegangen ist (das Futur II ist eine altlateinische Bildung). – Hängt der Zerfall des Konjunktivs im modernen Deutsch damit zusammen (das Futur läßt keinen Raum mehr zum Wünschen)?
    Zum sanskritischen Infinitiv auf -tum im Zusammenhang mit dem lateinischen Supinum I (i-tum, da-tum, S. 86): Hängt das mit dem deutschen Suffix -tum (Heiden-, Christen-, Juden-, Eigen-, Reich- und Deutschtum) zusammen: bilden die „-tümer“ das genetische Material, aus dem die apokalyptischen Tiere (die Ungetüme) hervorgehen? – Auch ein Beitrag zur Kritik der Gen-Technologie.
    Wie kommen die modernen semitischen Sprachen (auch das moderne Hebräisch) ohne das Neutrum aus (liegt hier nicht der Grund des Fundamentalismus in den islamischen und jüdichen Orthodoxien)?
    Zur Beziehung der grammatischen Strukturen zum Raum: Analyse der Präpositionen, der Prä- und Suffixe, der Deklination, Zusammenhang mit dem Ursprung der Urteilsform und der Trennung von Raum und Zeit (Sprache und Materie: die Materie ist das Grab der Sprache; auch hier erweist sich die Bedeutung der Idee der Auferstehung).
    Hängt nicht die Geschichte der Sprache (insbesondere ihre grammatische Durchbildung) mit der Geschichte der Scham zusammen: Ursprung der indogermanischen Sprache, Entwicklung der Deklinationen und Konjugationen, Ursprung des Neutrum, des Futur, der Casus? In der Sprache wird der Blick des andern antizipiert und in den grammatischen Formen reflektiert: der Bruch zwischen der benennenden Kraft und der mitteilenden Funktion der Sprache ist hier begründet.
    Dei Neutralisierung der Grammatik als Folge ihrer zweiten Verräumlichung (Begriffe als Markenzeichen, Löschung der Reflexionsbeziehungen, gleichgültiges Nebeneinander der Regeln und Vorschriften). Kritik der Naturwissenschaften, Kritik des Inertialsystems, als Voraussetzung einer Erneuerung einer zugleich historischen und spekulativen Grammatik (Befreiung der Grammatik vom Bann des Inertialsystems).
    Merkwürdige Funktion des Dativ, das sowohl den Adressaten des Schenkens bezeichnet als auch den eines Befehls, eines Handlungszwangs (das „Müssen“: er muß, es obliegt ihm). Auch die Unfreiheit steht im Dativ. Auflösung in der Idee der Liebe („Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner zu lieben fähig ist“)? Das „Lasse Dein Angesicht leuchten über uns“ erfüllt sich nur für die Liebenden.
    Fragen werden beantwortet, Probleme gelöst: Heideggers Begriff einer „absoluten“ Frage: einer antwortlosen Frage, ist das nicht die Abrogation der Sprache (Konsequenz des Vorlaufens in den Tod: der Kapitulation vor der nicht mehr benennbaren Natur)? Für absolute Fragen, für Fragen, die ins Problem zurückgestaut werden (wie die Seins- oder Judenfrage), gibt es keine Antworten mehr, sondern nur noch Endlösungen. Heideggers Philosophie, die die Asymmetrie im Verhältnis zum andern (Grund der Asymmetrie in der Sprache) durch das „Mitsein“ neutralisiert, darf keine Antwort mehr kennen.
    Die synthetischen Urteile apriori Kants beantworten keine Fragen, sondern lösen Problem: Im Bereich der Erscheinungen gibt es keine Fragen mehr, sondern nur noch (lösbare?) Probleme.
    Ehrt nicht die Majestätsbeleidung den König mehr als ihr Verbot?
    Im Angesicht Gottes ist nichts Vergangenes nur vergangen (deshalb gehört die Idee der Auferstehung zum Begriff des Angesichts).
    Gott hat nicht die Welt erschaffen, die Jesus dann entsühnt hat, sondern Gott hat Himmel und Erde erschaffen, die durch Verweltlichung (durch die Sünde der Welt) entstellt worden sind, während Jesus die Sünde der Welt auf sich genommen hat.
    Zu den neuen Vorschlägen zur Gesundheitsreform: Wird jetzt neben dem Wohnen auch die Gesundheit dem Punkt der Unbezahlbarkeit immer näher gebracht? Auch dies ein Nebeneffekt des Siegs der „freien Marktwirtschaft“ (die das Epitheton ornans „sozial“ längst aufgegeben hat).
    Gehört nicht zur Geschichte des Ursprungs der Schrift und des Geldes auch die des Ursprungs der Medizin (die Geschichte der Naturalisierung der physis)?
    Wie verhalten sich die sieben Siegel zu den sieben Plagen?
    Halsstarrigkeit, das steinerne Herz und die eherne Stirn, wie verhalten die drei sich zueinander (wie Orthogonalität, Verdinglichung und Stoß)? Grundlage ist die Trennung von Sprache, das Gesetz der Gleichnamigkeit des Ungleichnamigen, der Ursprung des Nominalismus. Entspricht der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen nicht das Gesetz von Projektion und Verschiebung, das Schuldverschubsystem: mit dem Selbstmitleid, das dem realen Mitleid, der parakletischen, empathischen Erfahrung, keinen Raum mehr läßt, im Kern (mit den eigenen Problemen können für uns die der anderen nicht konkurrieren; wegen der eigenen Leiden haben wir im Krieg die Leiden, die wir anderen zugefügt haben, nicht mehr gesehen). Gründet nicht der Konfessionalismus der Kirchen, der an die Stelle des Votums für die Armen das für die Kirche setzt, im Schuldverschubsystem, in der Logik der Identifikation mit dem Kollektiv und des kollektiven Selbstmitleids (der Logik der Vergöttlichung des Opfers)?
    Wird nicht unter dem Begriff der Blasphemie nur noch die eigene Empfindlichkeit (die pathologische Struktur des religiösen Subjekts) zwangshaft verteidigt und kultiviert, die wirkliche Blasphemie hingegen, die im Zustand der Welt liegt, und die Sensibilität hierfür verdrängt?
    Sensibilität ist eine intellektuelle Qualität.
    Zur Struktur des Konfessionalismus: Instrument der Exkulpationsautomatik, der Abwehr der „Schuldgefühle“, die ihren Ursprung in der Existenz der Armen und in dem Bewußtsein, daß diese Armut systemlogisch mit der Selbsterhaltung im Kapitalismus verknüpft ist, hat (Abwehr der Gottesfurcht). Der Faschismus ist die Orgie der Siege über die eigenen Schuldgefühle; nicht zufällig sind die apriorischen Objekte der faschistischen Wut, des faschistischen Vernichtungstriebs, die Armen, die Schwächsten, die Behinderten, die Fremden, die Toten, die Frauen, die Juden.
    Ist das Gravitationsgesetz (Grund der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen: der Verdinglichung der Sternenwelt, das naturale Äquivalent der Schuldknechtschaft in der Ökonomie) das steinerne Herz der Unendlichkeit?
    Solange wir versuchen, uns in den Trümmern, die die Katastrophen dieses Jahrhunderts hinterlassen haben, häuslich einzurichten, fördern wir nur die bevorstehenden, neuen Katastrophen, bei denen noch offen ist, ob sie mit den alten vergleichbar sein werden.
    Die Zusammenbruchstheorie von Rosa Luxemburg ist nicht widerlegt, sie ist durch den Faschismus bestätigt worden; nur daß dieser Zusammenbruch nicht zum Sozialismus geführt hat, sondern zu einem Modernisierungsschub, zu einer neuen Stabilisierung, deren theoretische Entschlüsselung bis heute nicht gelungen ist.
    Zusammenhang der Kronen der Könige mit den Kronen der Bäume: Als Kränze der Heroen (Lorbeer- und Dornenkranz), als Kapitäle der Säulen, die aus den Kronen der Bäume hervorgegangen sind. Sind die Kronen der Bäume die Luft-Wurzeln des Baums der Erkenntnis?
    Was ist der Unterschied zwischen
    – Krone und Diadem und
    – einem gekrönten und einem gehörnten Haupt?
    Ist nicht der zweite Schöpfungsbericht eine Ergänzung und Erläuterung des ersten? Sind Paradies und Sündenfall, und hier insbesondere die Erschaffung Adams, seine Benennung der Tiere und dann die Erschaffung der Eva, nicht ein Echo auf das „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, als sein Bild schuf er ihn, als Mann und Weib schuf er sie“?
    Hat es (im Schöpfungsprozeß) „eine Zeit“ gegeben, in der die Trennung von Vergangenheit und Zukunft noch nicht abgeschlossen war, und auf die das Kriterium der eindeutigen Zeitfolge deshalb nicht anwendbar ist? Wann wurde Hören und Sehen (Rechts und Links, Vergangenheit und Zukunft) getrennt: Wann sind aus den Pflanzen die Tiere – und mit ihnen die Welten – entstanden (am fünften Schöpfungstag: mit der Erschaffung der Seeungeheuer)?

  • 02.01.94

    Sein und Haben, der sprachliche Grund der Verdinglichung, die falsche Sündenvergebung oder die Äquivalenz von Exkulpation, Natur und Vergangenheit: Die Hilfszeitwörter, die Heidegger zur Vorhandenheit und Zuhandenheit ontologisiert, werden im Deutschen zur Perfektbildung (Grund des Naturbegriffs in den indogermanischen Sprachen) benutzt; in ihnen drückt sich eine Beziehung zur Vergangenheit aus, die die Schuldreflexion apriori unterdrückt. Entweder „habe“ ich meine Vergangenheit (als objektive und deshalb instrumentalisierbare, subjektiven Zwecken unterworfene Vergangenheit), oder ich „bin“, was ich gewesen oder geworden bin, so und nicht anders, Produkt eines Geschehens, das ich nicht ändern kann. Beidemale ist die Vergangenheit zu einem Stück Natur geworden, die ich nicht ändern, deren Last ich nur abwerfen kann. Gibt es Erinnerung ohne die Idee der Auferstehung der Toten, und gibt es die benennende Kraft der Sprache ohne Erinnerung? Was wäre, wenn in der Kirche auch nur einer wirklich an die Auferstehung der Toten glaubte?
    Ist die Gewalt der indogermanischen Sprachen nur durch die Idee der Auferstehung der Toten zu heilen?
    Das Hilfszeitwort „werden“ drückt sowohl das Passiv wie die Zukunft (das Werden im Gegensatz zum Sein, oder das Subjekt als Objekt von Vergangenheit und Zukunft, Natur und Schicksal) aus. Beachte die Hypostasierungen der Hilfszeitwörter: das Sein, das Haben, das Werden und die (unantastbare) Würde: Ist der Indikativ ein Neutrum (die Prosa ein Produkt der Neutralisierung), der Konjunktiv weiblich? – Der bestimmte Artikel oder die Vergewaltigung der Welt.
    Grammatiken werden heute nur noch wie ein System von Verkehrsregeln (in einer vergegenständlichten Welt) behandelt: der Geist wird ausgetrieben. Liegt der Ursprung dieses Sprachverständnisses nicht im augustinischen „ad litteram“?
    Was unterscheidet das Imperfekt vom Präteritum?
    Das Walten, die Gewalt und die Verwaltung: Beispiele für die Präfixe ge- und ver-. Was bedeutet das „sund“ in dem Wort gesund?
    Ursprung des Nominalismus: Ähnlich wie der Begriff des „Monotheismus“ die griechische und die jüdische Tradition gleichnamig gemacht hat, hat das Inertialsystem in Verbindung mit der Gravitationstheorie Himmel und Erde auf einen gemeinsamen Nenner gebracht: Beidemale war der Preis die Kürzung gegen den Namen.

  • 16.12.93

    In der Moderne waren die Banken von Anbeginn Privatbanken, auf den wechselseitigen Verkehr (Finanzmessen, dann Zentralbanken) angewiesen.
    Bankengeschichte, S. 114: Wo lag der Grund für den „außerordentlichen Geldbedarf, den die Weltpolitik der entstehenden europäischen Nationalstaaten schuf“?
    War die Währungshoheit der Staaten erst auf der Grundlage von Papiergeld möglich?
    Die Vertrautheit, die schon die Anfänge der modernen Bankengeschichte kennzeichnet, hängt mit zwei Dingen zusammen:
    – mit dem methodischen Verfahren der Darstellung: die Einschränkung auf die Entwicklung der technischen Aufgaben des Bankwesens, deren Maß der technische Standard von heute ist,
    – außerdem: vor dem Hintergrund des Christentums ist ein Weltbegriff entstanden, der diese technischen Details gleichsam wertneutral darzustellen ermöglicht.
    S. 121: Lag der Unterschied zwischen dem „Süden“ (Italien, Spanien, Frankreich) und dem „Norden“ (Niederlande, England, Deutschland) darin, daß im Süden das (private und politische) Kreditgeschäft weiter entwickelt war, während im Norden der Schuldbrief (die Regelung des Zahlungsaufschubs: gleichsam der „Kredit“ nach vollzogenem Geschäft) im Vordergrund stand (Grundlage des Diskont- und Zentralbank-Wesens?)? Versehen mit einer Inhaber-Klausel konnten diese Schuldbriefe dann auch als Zahlungsmittel verwandt werden.
    Das erste Börsen-Gebäude 1531 in Antwerpen: eine permanente Finanzmesse.
    Der logisch-systematische Grund der modernen Demokratie liegt in den Staatsverschuldungen seit der Renaissance: Die Kreditgeber erhoben den natürlichen Anspruch, über die Verwendung der Kredite mitzubestimmen. Entspringt nicht der moderne Staat generell mit der Staatsverschuldung (als Ende der Geschichte der Schuldknechtschaft)?
    Sind die kirchlichen Banken, die in der Europäischen Bankengeschichte merkwürdigerweise nicht erscheinen, nicht der Vorläufer der Zentralbanken, und das kirchliche Ablaßwesen das Modell der staatlichen Anleihen? Welchen Ursprung und welche Funktion hatten die kirchlichen Banken in der Geschichte der Kirche und der Theologie (ihr Pendant: die pornographische Epoche der kasuistischen Moraltheologie)? In welcher Beziehung stehen sie zu den opfertheologisch begründeten Vorstellungen über die kirchliche Verwaltung des Gnadenschatzes? Zusammenhang von Instrumentalisierung des Kreuzestodes, Ursprung der Sexualmoral, Sakramentenlehre und Kapitalisierung der Gnadenverwaltung, kirchlicher Imperialismus, mit der Geschichte der Geldwirtschaft (Bedeutung der Theologie für die Konstituierung des Objektbegriffs).
    Die Philosophie als der mystische Leib Christi: War Jesus nicht ein am haarez aus Galiläa, aber kein Rabbiner (und deshalb auch nicht verheiratet)?
    Sind nicht die Geschichten vom Sturm auf dem Meere und vom Schiffbruch des Paulus vor Malta Variationen zur Jona-Geschichte? Und ist nicht der dogmatisierte Glaube das, was Jesus in der Geschichte vom Wandeln auf dem Meere den „Kleinglauben“ des Petrus nennt?
    Gottesfurcht ist das Ende der Menschenfurcht: Sie bricht den Bann der Welt.
    Klugheit, Weisheit und Verstand (die „Klugheit der Schlangen“, „hier braucht es Weisheit und Verstand“, in der Prophetie „Weisheit und Einsicht“):
    – Klugheit ist das Vermögen der rationalen Selbsterhaltung,
    – Weisheit, nach Thomas von Aquin eine Tugend der Regierenden, das Vermögen der rationalen Reflexion der Klugheit (Reflexion der Klugheit der anderen im Hinblick auf das Wohl aller),
    – Verstand: das Vermögen der Einsicht, des Verstehens, ein sprachliches Erkenntnisvermögen (das Erkenntnismoment im Namen, Medium der Gotteserkenntnis); das eigentlich mystische Organ ist der Verstand.
    Das Denken der Philosophie ist ein Denken mit eingebautem Feindbild.
    Mit Assur und Babylon beginnt die seither nicht mehr unterbrochene Geschichte der Weltreiche; Ägypten war nur das Sklavenhaus. So war der Pharao der König von Ägypten, ein König unter anderen Königen; der König von Babylon hingegen der König der Völker, ein König der Könige.
    „Oh, du fröhliche …“. Müßte der Folgetext nicht umgedreht werden: Welt ward geboren, Christ ging verloren? Und ist das „Freue dich“ im Kontext der auf den Kopf gestellten christlichen Erlösungslehre nicht der Hohn über die Dinge (der sie zu Dingen macht), der im Gelächter laut werdende Haß der Welt? Wer Ohren hat zu hören, müßte im Inertialsystem und im Begriff Laborbedingungen (in den Bedingungen des Experiments) das höhnische Gelächter hören, daß das Subjekt aus der Welt austreibt (in dem das Subjekt sich selbst aus der Welt austreibt, indem es zur Welt wird). Ist diese Austreibung des Subjekts (die erstmals in der philosophischen Kritik des Anthropomorphismus erscheint) die Antwort der Welt auf die jesuanische Austreibung der Dämonen?
    Ist nicht das Weihnachtsfest zum Fest der institutionellen Abtreibung der Wahrheit geworden, und die kirchliche Abtreibungskampagne eine Form der projektiven Verarbeitung dieser Abtreibung? Ist hier nicht der Greuel am heiligen Ort, der gnadenlose Kult des Selbstmitleids, in dem jede Erinnerung an Barmherzigkeit erstickt?
    Der Weihnachtsmann: eine Mischung aus einem Nikolaus, der eigentlich der böse Wolf ist, und Rotkäppchen, eine Karikatur des Bischofsamts, die dessen historische Wahrheit ausplaudert. Wie erfahren Kinder, die einmal den Nikolaus kennengelernt haben, dann den Bischof?
    Mit dem y im Seyn hat Heidegger das Possessivpronomen vergoldet.

  • 14.12.93

    Die „Europäische Bankengeschichte“ beginnt mit der Neuentwicklung im Mittelalter; sie beschreibt den Ursprung und die Geschichte des Bankenwesens auf dem Boden der Moderne: Im Gegensatz zur Ursprungsgeschichte der Banken und des Geldwesens in der Antike ist hier alles merkwürdig vertraut. Liegt das daran, daß diese Moderne auf dem Boden und im Kontext eines Christentums erwachsen ist, das als Legitimation und Begründung der Rationalität der zugrundeliegenden Lebensverhältnisse heute noch wirksam ist (die Logik dieses Christentums wurde verinnerlicht und beherrscht unser Realitätsverständnis immer noch, auch wenn die religiösen Vorstellungen längst verblaßt sind)?
    Um es staatsanwaltschaftlich auszudrücken: Ich habe den begründeten Verdacht – und d.h. einen Verdacht, der die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigt -, daß die deutsche Sprache den sprachgeschichtlichen Endpunkt der Geschichte des Sündenfalls markiert.
    Wie tief der Staat – oder die Gewalt des Neutrums – in die deutsche Sprache eingedrungen ist, wäre an Heidegger zu demonstrieren. Verantwortung ist in Deutschland etwas, zu der man gezogen oder die einem übertragen wird, aber niemals eine Verantwortung, die man auch unabhängig vom Eigeninteresse oder von der Wahrnehmung eines Amtes hat. Und Begriffe wie Berechtigung, deren Ursprung und Konstruktion hinter den Prä- und Suffixen (Be-, -ig-, -ung) fast nicht mehr erkennbar ist, sind nur verständlich aus einer Ontologisierung, die das sprachliche, benennende Moment unter sich begräbt: Das tätige Moment wird in ein reines Geschehen: in bloße Passivität übersetzt („Vorlaufen in den Tod“).
    Was ist ein „herrenloses Gut“? Ist nicht die Welt insgesamt ein herrenloses Gut: ein für deutsche Ohren unerträglicher Zustand, den die deutsche Politik seit dem 19. Jahrhundert beenden möchte.
    Zu Velikovsky und Heinsohn: Haben nicht auch die Propheten schon sich auf die „Venus-Katastrophe“ bezogen, wenn sie von Unzucht und Hurerei sprachen: auf die gesellschaftliche Naturkatastrophe des Götzendienstes und der Idolatrie, den Ursprung des Staates und die Vorgeschichte des Weltbegriffs?

  • 08.12.93

    Mt 820 („die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester; der Sohn des Menschen dagegen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann“) und der Hinweis Hermann Gunkels dazu („Aus Wellhausens neuesten apokalyptischen Forschungen“, in Apokalyptik, S. 73): Der messianische Titel „Menschensohn“ (huios tou anthropou – ben adam / barnascha), den Mt in Gegensatz zu den Tieren rückt, könnte darin seinen Grund haben, daß erst im Menschensohn (als Gegentypos zum Tier: auch zum apokalyptischen Tier!) der Bann der Welt gebrochen ist.
    Mit dem „In-der-Welt-Sein“ des Daseins revoziert Heidegger die Humanität.
    Zur Bedeutung der sieben unreinen Geister: Durch den Bann der Welt (den Grund seiner Sprachlosigkeit), nicht durch den des Triebs, der Sexualität, unterscheidet sich das Tier vom Menschen, oder: Nicht die Ontologie, sondern die Ethik ist die prima philosophia, und durchs Denken („das alle seine Vorstellungen muß begleiten können“) ist der Mensch dem Bann unterworfen.
    Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist der Baum der urteilenden Erkenntnis: Die Erkenntnis des Guten und Bösen und die urteilende Erkenntnis (die Urteilsform: die Trennung von Begriff und Objekt) entspringen gemeinsam; sie sind der Kristallisationskern des Weltbegriffs („sie erkannten, daß sie nackt waren“: sie lernten mit dem Sündenfall sich in den Augen der anderen, als Objekte für andere, zu erkennen). Die Welt ist die verdinglichte Welt (die Welt in den Augen der anderen), und der Konkretismus (das Produkt der Hypostasierung und Personalisierung) ist die Sünde der Welt (Repräsentant des blinden Flecks, der das Subjekt in den Bann der Welt hereinzieht). Vgl. den Rosenzweigschen Hinweis auf die „verandernde“ Kraft der Kopula, des Wörtchens „ist“ („Das neue Denken“).
    Konstruktion der prophetischen Erkenntnis:
    – Aktualitätsbezogenheit (zeitgeschichtlicher Grund),
    – Kritik der Gewalt der Vergangenheit (die Tradition auf dem eigenen Rücken befördern),
    – Kritik des Weltbegriffs (des Säkularisationsprozesses, der Geschichte der Verdinglichung).

  • 05.12.93

    Offb 179: „Hier ist der Verstand (vonnöten), der Weisheit hat. Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen das Weib sitzt, und sind (zugleich) sieben Könige.“ Aber der Engel entrückt ihn in eine Wüste, nicht auf einen hohen Berg, um ihm die große Buhlerin (Babylon) zu zeigen (173).
    Die Welt bezeichnet einen Bereich des Handelns, in dem man ohne Reue und ohne zu verzeihen seine Interessen und Ziele verfolgen kann. Das Absolute, das Korrelat der Welt, exkulpiert apriori. Das logische Apriori der Welt ist die eigene Rechtfertigung, die Selbstrechtfertigung (wenn sie ganz zur Ideologie geworden ist, bedarf sie keiner mehr).
    Eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit: Kann das nicht auch (x + x2)1/2 sein? Kommt der Ausdruck „ein A und zwei A und ein halbes A“ in der alten Mathematik vor?
    Ist der Lautsprecher (Begriff der Rede, die jede Reflexion im Keim unterbindet) nicht ein zentraler Typos der Nazizeit?
    Zur Kritik des Absoluten (Voraussetzung wäre eine Kritik der Mathematik): Hängt der Begriff des Absoluten nicht mit dem der Absolution („absolvo te in nomine …“) zusammen? Ist das Absolute nicht das immanente Telos des Exkulpationstriebs: die Macht der Sündenvergebung (Typos Barock!)? Und steckt darin nicht die Macht, die Vergangenheit zu vernichten: die Macht der Verdrängung? Hat die Kirche deshalb immer jede Vergangenheit (zuerst das Heidentum und Judentum) „überwunden“, und droht sie nicht (seit dem Barock) zum Opfer der Überwindung der eigenen Vergangenheit zu werden (zum Kern eines gewaltigen Verdrängungsapparats)? Deshalb können Theologen (Leonhard Ragaz eingeschlossen) das Jüngste Gericht nicht mehr vom Weltgericht unterscheiden.
    Gegen jeden Fundamentalismus: Das Absolute ist der Erbe des mythischen Schicksals und das Korrelat der Welt. Gott aber hat Himmel und Erde erschaffen. Das Abolute ist das caput mortuum Gottes, zu seinen Konstituentien und Gründen gehört die List der Vernunft als Mittel der Befreiung von der Gottesfurcht.
    Zum Absoluten gehört die Person: die Maske (die Charaktermaske: Geburt des Absoluten aus dem Geist der Tragödie). Das Absolute ist der Gott für andere, Grund jeder instrumentalisierten Religion, das mythische Erbe in der Religion.
    Die Kritik des Absoluten schließt die Kritik des Bekenntnisses mit ein, aus dessen Logik es hervorgeht. Die Bekenntnislogik ist die Logik der Religion für andere: deshalb schließt sie das Feindbild (im Christentum den Antijudaismus), das Verrätersyndrom (die Ketzerverfolgung) und die Frauenfeindschaft mit ein (dadurch unterscheidet sich das Bekenntnis „zur Gottheit Jesu“ vom Bekenntnis des Namens).
    War es nicht der tiefste Wunsch Heideggers, und zwar einer, der in der innersten Struktur seiner Philosophie (des ontologischen Ansatzes) begründet war: Kirchenvater des Nationalsozialismus zu werden? (Das Sein ist das Sein; der Infinitiv gründet im Possessivpronomen, und die Ontologie wäre im Kontext einer Geschichte der Banken zu analysieren.)
    Sidneys Argument (in dem Gespräch nach dem Konzert gestern abend), daß die Lohnkosten (DM 50,- Stundenlohn für deutsche Arbeiter gegenüber DM 5,- für polnische oder tschechische Arbeiter, und das bei 200 Arbeitstagen im Jahr) Ursache der Wirtschaftskrise in der BRD seien, vergißt (oder verschweigt), daß
    – die beiden Stundenlöhne so nur aus Unternehmersicht, nicht aber aus der Sicht der Betroffenen und auch nicht aus politischer Sicht vergleichbar sind (die Basis ist nicht vergleichbar),
    – die Lebensverhältnisse in der BRD (u.a. die Mietkosten) eine Senkung der Löhne nicht zulassen, ohne zu riskieren, daß das Heer der Obdachlosen vergrößert und die Gefahr einer neuen faschistischen Eruption heraufbeschworen wird.
    Die Intention des Arguments war rücksichtslos und barbarisch, aber sein Realgrund darf nicht verdrängt werden: Laufen die wirtschaftspolitischen Ziele der Bundesregierung:
    – Erhaltung der Geldwertstabilität und
    – Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland
    unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht in der Tat auf diese barbarischen Folgen hinaus? Läßt sich eine nationale Wirtschaftspolitik (oder eine Wirtschaftspolitik, die den nationalen Grund der Wirtschaft unangetastet läßt, sich als Wirtschaftspolitik im internationalen Konkurrenzkampf begreift) ohne diese Folgen überhaupt noch begründen? In welcher Beziehung steht die Währungshoheit des Staates (der systematische Grund des Nationbegriffs) zu den Problemen der unterschiedlichen Infrastrukturen, den Mitteln der Marktsicherung (Zoll und Steuern), den Problemen der ökologischen und politischen Existenzsicherung, aber auch dem Wandel der Öffentlichkeit, den ökonomisch und real, durch die Geschichte des „Begriffs“ (d.h. herrschaftsgeschichtlich), erzwungenen Formen der „Rücksichtlosigkeit“ (reale Entwicklung des Weltbegriffs)?
    Zu Sidneys Konzept eines ökologischen Heizkraftwerks, dessen Emissionen einen Wald nähren sollen, damit sie die Atmosphäre nicht belasten:
    – Stimmt eigentlich die Prämisse, daß die Emissionen insgesamt über den Kohlenstoff-Umsatz zur Holzerzeugung genutzt werden können; gibt es nicht auch waldschädigende Emissionen (die heute über den sauren Regen das Waldsterben verursachen), die das Konzept von vornherein zum Scheitern verurteilen würden?
    – Und selbst, wenn man das vernächlässigen könnte: Welche Folgen hätte die Kohlenstoff-Übersättigung?
    Der Kapitalismus hat die Schuldknechtschaft institutionalisiert.
    Der Fehler des real existierenden Sozialismus lag nicht in Grundlagen der Theorie, sondern in den Prämissen und Folgen ihrer technologischen Anwendung. Aber diese Prämissen und Folgen sind Teil der vom Tauschprinzip beherrschten Wirtschaft insgesamt, auch der Marktwirtschaft, die nur aufgrund der konsequenteren Anwendung: aufgrund ihrer Rücksichtslosigkeit durchsetzungskräftiger ist.

  • 06.10.93

    Gehört nicht das Problem der Gefangenschaft und der Gefängnisse zum Problem des Staates und zur Geschichte der Struktur des Subjekts? Gefängnisse gibt es nur in staatlich organisierten Gesellschaften von Privateigentümern. Der Staat selber ist eine Reflexionsform des Privateigentums, das er insbesondere mit dem Institut der Strafe fundiert und durchsetzt; Gefängnisse demonstrieren den vom Eigentum nicht abzulösenden gesellschaftlichen Schuldzusammenhang zwischen:
    – Eigentümern und Nichteigentümern, Reichtum und Armut,
    – den (bis in die Geschichte der Naturwissenschaften hinein wirksamen) gesamtgesellschaftlichen Eigentumsstrukturen und dem durch sie erzeugten Potential an Strafbedürfnissen in der Gesellschaft (Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Ursprung der Sexualmoral);
    sie repräsentieren schließlich den Existenzgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeit und Gewalt des individuellen Verdrängungsapparats. Sind Gefängnisse (ähnlich wie Irrenhäuser, Schulen und das Militär) nicht eines der gegenständlichen Korrelate des Unbewußten?
    Die Vergangenheit ist nicht nur vergangen: Die Vermutung, daß der Nationalsozialismus auch die Bedeutung eines Modernisierungsschubs hatte, daß seine „Errungenschaften“ in die Fundamente der Nachkriegsgesellschaft mit eingegangen sind und darin fortleben, gilt auch für den Antisemitismus.
    Welt und Natur: Wer groß denkt, muß groß irren (Heidegger): Ist nicht die Hegelsche Logik und ihr Resultat: das Absolute, das Labyrinth? Und ist nicht das Labyrinth der weltliche Aspekt der gleichen Sache, deren naturalen Aspekt die Mühle in der Simson-Geschichte repräsentiert? Theologie als Erinnerung an die Möglichkeit der Befreiung von Labyrinth und Mühle?

  • 29.09.93

    Zu Johann Baptist Metz: Was hat die Welt davon, wenn wir „Ja und Amen zur Welt“ (anstatt zu den göttlichen Verheißungen, wie es bei Paulus korrekt heißt) sagen? Merkwürdig, daß Metz der Welt ein Anerkennungsbedürfnis unterstellt: Ändert das die Welt oder nicht doch nur den Anerkennenden (den Konformisten)? Und wer ist das Subjekt dieses Bedürfnisses: Ist es nicht der der Welt sich Anpassende, der aus guten Gründen die Anpassung ohne die Komplizenschaft der Anderen (ohne ihre bekenntnishafte Zustimmung) nicht zu leisten bereit ist? Ist nicht das „Ja und Amen zur Welt“ der eigentliche Inhalt jedes Glaubensbekenntnisses (und seiner logischen Durchbildung in Trinitätslehre und Opfertheologie)?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne Bekenntnislogik. Die Idolatrie gehört zur Geschichte der Ausbildung und Entfaltung dieser Bekenntnislogik (und des Weltbegriffs), sie hat sich vollendet im Dogma. Das Dogma (das erst durch Umkehr wahr wird) ist das versteinerte Herz der Kirche, und die Kirche das versteinerte Herz der Welt.
    Weist nicht das „Weiche von mir, Satan“ darauf hin, daß die Petrus- und die Dämonen-Geschichten zusammengehören (ähnlich wie die drei Leugnungen mit den sieben unreinen Geistern)?
    Die Wahrheit ist nicht Gegenstand des Urteils; deshalb hat Jonas Unrecht.
    Hat das Binden und Lösen etwas mit dem Millenium zu tun, und ist die Kirchengeschichte dieses Millenium (die Zeit der Bindung)?
    Die Welt ist die Welt der anderen, zu denen ich selbst als anderer für andere auch gehöre. Das ist der logische Kern des Weltbegriffs und der Entfremdung.
    Sind die Banker nicht die Priester der Geldreligion?
    Wenn die Konservativen den Linken vorwerfen, sie könnten nicht mit Geld umgehen, so wäre gegenzufragen: Welcher Politiker kann schon mit Geld umgehen?
    Der Begriff der Weltanschauung bezeichnet den (logisch unmöglichen) Sieg und das Attribut des Siegers in der zum Weltgericht sich aufspreizenden Weltgeschichte. Deshalb war der Weltanschauungskrieg ein Vernichtungskrieg. Zur Vorgeschichte der Weltanschauung gehört die Geschichte der Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung. Im Begriff der Weltanschauung erweist sich die Anschauung als Medium der richtenden Gewalt. Zum Anschauen gehören auch das Schaufenster (der Erwecker der concupiscentia) und die Reklame (die nach Adorno den Tod verschweigt).
    Die Unfähigkeit, die Formen Anschauung selber in die Reflexion mit einzubeziehen, ist eine Folge davon, daß Reflexion nur im Medium der Anschauung möglich ist; sie ist der Grund der Hybris.
    Wenn die Theologie die Lehre von der Anschauung Gottes auf das Objekt der Trinitätslehre bezieht, verdrängt sie dann nicht das Angesicht Gottes, eliminiert sie dann nicht das Gesehenwerden, das „von Angesicht zu Angesicht“: die Gottesfurcht?
    Als aus der Anschauung Gottes das Angesicht gestrichen wurde, wurde die Gottesfurcht gestrichen. Das ist in der Philosophie umgeschlagen in die Angst vor dem Angesicht (Ursprung des Portraits?), die dann in der Entfaltung der Mathematik und in der Bildung des Neutrums sich ausdrückte.
    Das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, hat etwas mit dem kreisenden Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses zu tun: Es zerschneidet das Licht und entfernt aus ihm die Quelle des Angesichts, verwandelt es in eine Form der Anschauung.
    Wie verhält sich das Sehen zum Schauen? Ist nicht im Sehen das reflexive Moment mit enthalten, von dem das Schauen dann abstrahiert (vgl. den Zuschauer und die Anschauung Gottes)? Die Welt heute verhält sich zum Faschismus wie das Fernsehen zum Radio. Deshalb ist die Reflexion der kantischen Philosophie und der Bedeutung der subjektiven Formen der Anschauung in ihr an der Zeit.
    Müssen die Psalmen, wenn sie als Lieder Davids verstanden werden, nicht als Versuch der Durchdringung der Königsidee mit prophetischem Geist verstanden werden: als messianisch? Die Apokalypse hingegen ist das auf die Kaiseridee und die Weltreiche bezogene Gegenstück zur Prophetie: Als Instrument der projektiven Verarbeitung der Angst instrumentalisiert sie die Angst, ist sie angsterzeugend; wahr ist sie nur als Medium der reflexiven Verarbeitung der Angst: als Erkenntnis. Die projektive Verarbeitung der Angst ist fundamentalontologisch und faschistisch. Bangemachen gilt nicht, aber die Apokalypse ist endlich zu begreifen.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Jesus-Wort an Johannes und den drei Gestalten des Bösen?
    – Gegen den Satan, den Ankläger, steht der Paraklet,
    – gegen den Teufel, den Verleumder und die Verkörperung der Wut, steht der göttliche Zorn,
    – dämonisch ist die Instrumentalisierung, Verinnerlichung und Neutralisierung beider: ihre Subjektivierung; hiergegen steht die Austreibung der Dämonen, die der frohen Botschaft den Weg zu den Armen freimacht.
    Heidegger hatte recht: Die deutsche Sprache ist die Sprache der Philosophie, aber sie ist es als Grenze zur Theologie und wird theologisch, wenn sie die Reflexion auf diese Grenze in sich mit aufnimmt.
    Woher kommen und was bedeuten die Begriffe des Anderen und des Fremden? Gründen nicht beide in Präpositionen, und zwar das „an“ bzw. das „vor“ oder „für“ (im Englischen „for“; weshalb heißt der Fremde im Englischen the stranger)?
    Das Präfix be- im Englischen: Vgl. die Beziehung von for und before (auch between, become, behalf, belief, belong, beloved, below, beneath, beside, betray, beware, beyond).
    -schen: Suffix zur Bildung von Verben aus Nomina (feilschen, herrschen). Gilt diese Definition eigentlich generell, oder sind es nicht bestimmte Verben (z.B. grapschen), die so aus Nomina sich bilden lassen? Bezeichnen nicht alle diese Verben Tätigkeiten, die sich direkt auf andere als Objekte beziehen; steckt nicht in allen etwas von einer objektivierenden, erniedrigenden Tätigkeit, etwas Verächtlich-Machendes?
    Das Verb „zernichten“ taucht an zwei Stellen auf,
    – bei Georg Büchner: „Ich fühle mich wie zernichtet im Anblick des gräßlichen Fatalismus der Geschichte“ (aus einem Brief an die Eltern, nach Hinweis auf das Studium der französischen Revolution), und
    – bei Franz Rosenzweig: „Zeit ist’s zu handeln für den Herrn, sie zernichten seine Lehre“ (Überschrift über einen Aufruf zur Gründung einer Hochschule für die Wissenschaft des Judentums).
    Beide Stellen bezeichnen welthistorische Wendepunkte.

  • 18.09.93

    Die alte KZ-Wärter-Logik „Wenn du’s nicht tust, dann tut’s ein anderer“ und „Einer muß schließlich die Drecksarbeit tun“ ist die herrschende Logik in Politik und Wirtschaft heute.
    Die ambivalente Position der Dialektik der Aufklärung, zu der Walter Benjamin das Bild geliefert hat, war nicht durchzuhalten. Man kann sich der Theologie nicht bedienen und sie zugleich als Zwerg unterm Tisch verstecken, man muß sie hervorholen, auch auf die Gefahr hin, daß die im Gebrauch des Weltbegriffs wurzelnden Vorurteile dann nicht mehr zu halten sind.
    Was wir die Welt nennen, ist eine Momentaufnahme im Säkularisationsprozeß. Es ist die Ersetzung der Gegenwart, die von objektiven Korrespondenzen: von Verheißungen und Erinnerungen durchdrungen ist, durch das Gesetz der Gleichzeitigkeit (durch die Form des Raumes). Ist es nicht der quälend verlangsamte Weltuntergang, den wir betreiben, den wir allerdings zugleich aufgrund unserer Mittäterschaft wahrzunehmen nicht mehr fähig sind. Daß die Elemente verbrennen und der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, ereignet sich das nicht vor unseren Augen: im naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozeß?
    Was Jesus dem Johannes im Gefängnis mitteilen läßt (Befreiung von den sieben unreinen Geistern?):
    – Blinde werden sehend und
    . Lahme gehen,
    – Aussätzige (d.i. Unreine: Beziehung zur Scham?) werden rein und
    . Taube hören,
    – Tote werden auferweckt und
    . den Armen (die Gott in der Welt repräsentieren) wird die frohe Botschaft verkündet, und
    – selig ist, wer an mir (an der Schrift, an den Juden) keinen Anstoß nimmt (Mt 115, Lk 722f),
    ist das nicht unsere vergangene Zukunft? Heute werden die Sehenden blind, die Gehenden lahm, die Reinen zur Wohnung der unreinen Geister, die Hörenden taub und die Armen der ausweglosen Verzweiflung ausgesetzt, während das im letzten Punkt benannte Ärgernis zwanglos sich auf die Theologie hinter dem Rücken Gottes (die den Anstoß des Kreuzestodes wegrationalisiert) und auf Auschwitz sich beziehen läßt. Hat nicht die Kirche zwangshaft und bewußtlos „an ihm Anstoß“ genommen (den Kelch getrunken), und dann den „Anstoß“ (das Ärgernis) projektiv mißbraucht?
    Ist dieses Jesus-Wort die Antwort auf das agnus dei, qui tollit peccata mundi, und die Entfaltung des Johannes-Worts von der Umkehr (Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe)? Es verknüpft die Befreiung von der Trägheit mit dem Sehen (das Angesicht), das Hören (Heute, wenn ihr meine Stimme hört) mit der Reinigung vom Aussatz und die frohe Botschaft an die Armen (die Gott selbst repräsentieren) mit der Auferweckung der Toten. Bezieht sich hieraus das ergreifende Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet?
    Nach dem Wort an Johannes kommt das Wort über Johannes (der, den ihr sucht, ist nicht an den Höfen der Könige).
    Zur Täufer-Theologie gehören Joh 129 und die obige Stelle (Mt 115 und Lk 722f), aber dazu zum letzten Punkt insbesondere die Aufarbeitung des Urschisma, die Kritik des kirchlichen Antijudaismus (Karl Thieme: die Stephanus-Rede und der Hebräerbrief).
    Arglos wie die Tauben: sich an ihm nicht ärgern.
    Heute genügt nicht mehr die Umkehr, sondern die Befreiung von den sieben unreinen Geistern, das Lösen der sieben Siegel. Klingt das nicht erstmals beim Jeremias an, dessen Nähe zu Jesus hier erkennbar wird: im Wort von dem „Grauen um und um“? Dieses Wort erscheint an drei Stellen (wie auch Gottes Aufforderung an Jeremias, nicht mehr für dieses Volk zu beten, und im Kontrast dazu das Gebot an das Volk: Betet für das Wohl der Stadt). Worauf beziehen sich diese Stellen?
    Nicht Griechenland, sondern Rom ist Babylon: Ist das Futur II (eine grammatische Errungenschaft der Lateiner) ein Produkt der Astrologie?
    Im Tempel, im Allerheiligsten, wohnt nicht Gott selber, sondern der Tempel ist das Haus des Namens (und der Herrlichkeit) Gottes. In katholischen Kirchen entspricht dem Namen Gottes die Eucharistie, aber was heißt das? Beim Tod am Kreuz ist der Vorhang des Tempels, der das Allerheiligste vom übrigen Raum abtrennte, zerrissen (was bedeutet der Vorhang im Tempel, Gen 2631ff?). Was ist in Auschwitz zerrissen?
    Das Bekenntnis und die ohnmächtige und folgenlose Gesinnung (vgl. gesonnen und gesinnt). Ist nicht die Gesinnung wie das Bekenntnis eine Alibi-Veranstaltung, der Bunker, in den sich das schlechte Gewissen vor dem Angesicht Gottes flüchtet? Adam und sein Weib „verbargen sich vor dem Angesichte Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten“ (Gen 38): Gehört das zur Geschichte des Ursprungs der Architektur?
    Islam und Christentum: Ist die Kaaba die Erinnerung an das unerlöste steinerne Herz der Kirche?
    Angst und Erkenntnis: Während die apokalyptische Stimmung Angst erzeugt, entspringt und konstituiert sich apokalyptische Erkenntnis in der Reflexion der Angst.
    Begriff und Erfahrung (zur Kritik der Erfahrung). Begriffe sind die Narben erlittener Erfahrung, Produkte des verdrängten Leidens. Welche Funktion hatte der Kreuzestod und seine theologische Verarbeitung (seiner Objektivation, Verdrängung und Instrumentalisierung) in der Geschichte des Begriffs? Ist nicht der Begriff in der Tat das Instrument der Zerstörung des Namens, der auf dem Grunde des Leidens ruht? Nur über das Leiden wird das Wort seiner selbst mächtig, gewinnt die Sprache ihre benennende Kraft zurück. Aber selbst das hat die Philosophie mit dem Begriff des „Existentiellen“ nochmal einzufangen und zu instrumentalisieren versucht. Der Existenz-Begriff ist mythologisch, weil er die Kraft des Namens in das Privileg des Opfers umlenkt und so neutralisiert, weil er die Heiligung des Namens (wie das Christentum) mit der Heroisierung, der Vergöttlichung des Opfers verwechselt. Nach meiner Kenntnis ist in der jüdischen Tradition der Begriff der Heiligung des Namens eine andere Bezeichnung fürs Martyrium. Ist das nicht das proton pseudos, aber liegt darin nicht zugleich auch die Verführungsgewalt des Mythos, daß er das Opfer mit der Sinnfrage verknüpft (das ist der Sinn von Heideggers Frage nach „dem Sinn von Sein“): Die Sinnfrage substituiert sich der erkennenden Kraft des Namens, kehrt sie nach außen und neutralisiert sie. Die Sinnfrage und ihr Vorläufer, die Theodizee, verrät das Opfer durch Heroisierung, durch Vergöttlichung. Die Göttlichkeit Jesu ruht in der Kraft des Namens, und nur insoweit in der Kraft des Opfers. Hier ist der Berührungspunkt der messianischen mit der Königstradition, die auch aus der Geschichte des Opfers stammt.
    Was unterscheidet die Königs- (Davids-) Tradition von der Reichs- und Kaiser-Tradition (von der Nebukadnezar-, Alexander-und Caesar-Tradition)? Oder auch: Was unterscheidet die englische und französische von der deutschen Tradition (in den politischen Institutionen, in der Sprache und in der Philosophie)? Aber hatten nicht auch die Engländer und die Franzosen ihren imperialistischen Sündenfall (Indien und Napoleon; das zweite deutsche Reich hat sich den Kaisertitel durch einen Sieg über Frankreich, das dann prompt zum Erbfeind ernannt wurde, zurückgeholt; Bedeutung des Rußlandfeldzugs für Hitler)?
    Enthält nicht das Problem der deutschen Einheit eine bis heute unbegriffene Herausforderung (die offensichtlich durch den Kandidaten Heitmann verdrängt werden soll)?

  • 13.09.93

    Ist der Nationalsozialismus die Explosion des in der (Herrschafts-)Geschichte des Christentums Verdrängten (der Geschichte der Häresien)?
    Der Stand der Theologie läßt sich am Stand des Verständnisses, der Interpretation der Blutsymbolik erkennen.
    Die Trinitätslehre gehorcht einer Logik, die ihren Ursprung in der Trennung des Natur- und Weltbegriffs hat (Ursprung des Neutrums).
    Das Inertialsystem entzieht der Forderung der Umkehr durch die Vorstellung der homogenen Zeit die damit verbundene Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum den Grund.
    Bezeichnen nicht die Dornen und Disteln, die Schlange und der Kelch den gleichen Sachverhalt, nur aus verschiedenen Perspektiven, und hängen sie nicht zusammen mit den drei Aprioris des Objektivationsprozesses: Raum, Geld und Bekenntnis?
    Das Glaubensbekenntnis ist das Schuldbekenntnis der Natur; ihm liegt die Sünde der Welt zugrunde, die das Lamm (der Gottesknecht) auf sich nimmt. Ist nicht das Lamm die Naturalisierung des Gottesknechts? Und wird das Lamm nicht erst durch den Geist zum Gottesknecht?
    Hat Erich Zenger nicht insofern Unrecht, als der unvermittelte Übergang von der Finsternis über dem Abgrund zum Sechstagewerk (zum „Gott sprach: es werde Licht, und es ward Licht“) eigentlich undenkbar ist. Dazu gehört der über den Wassern brütende Geist. Aber bezeichnet Erich Zenger mit dem Ausschluß von Gen 12b aus Pg (Gottes Bogen, S. 81, Anm. 97) aufs genaueste den parvus error in principio des Christentums, das diesen „brütenden“ Geist seit je durch einen „schwebenden“ Geist ersetzt hat (nur Franz Rosenzweig hat diese Berichtigung im „Stern“, Martin Buber hat in seiner Bibelübersetzung zwar die Alliteration „Braus“ beibehalten, dann aber doch das Brüten wieder in ein Schweben zurückgenommen)?
    Der Weltbegriff ist der im Erkenntnisprozeß sich ausbreitende blinde Fleck (oder die aus den unteren Quellen einströmenden Wasser der Sintflut).
    „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt: es ist nicht wieder gutzumachen.“ – Ist nicht die Musik das Läuten aller Nachtglocken?
    Das „Wenn die Welt euch haßt“ klingt schon bei Jeremias an im „Grauen um und um“, bei Thales in dem Satz „Alles ist Wasser“ (mit dem Thales das mythische Grauen bannt und die Philosophie begründet).
    Die spezielle Realtivitätstheorie Einsteins ist insoweit ein Schritt über die kantische Erkenntniskritik hinaus, als sie im Erstarrungsprinzip des Inertialsystems erstmals das Moment der Subjektivität, seine verandernde Kraft, kenntlich macht. Es steht in der Tradition der Geschichten vom Baum der Erkenntnis, des Sündenfalls, der Erkenntnis des Guten und Bösen, der Nacktheit und der Scham, der Schlange und der Vertreibung aus dem Paradies, des Kerubs mit dem kreisenden Flammenschwert, der Sintflut mit der Noe-Geschichte und ihren herrschaftsgeschichtlichen Konnotationen, des Turmbaus zu Babel und der Verwirrung der Sprache, die alle zur Geschichte dieses Erstarrungsprozesses gehören. Deren letzte Phase wurde eingeleitet durch die Theologisierung (Hellenisierung) des Christentums, durchs Dogma und die Begründung der Bekenntnislogik, die Trinitätslehre, die Christologie und die Opfertheologie (die theologische Begründung und Absicherung des Weltbegriffs, mit Hilfe der Fehlübersetzung von Joh 129).
    Müßte Joh 129 nicht so übersetzt werden: Seht den Knecht Gottes, der die Sünde der Welt auf sich nimmt? Jesus hat denen, die ihm nachfolgen, nicht die Last abgenommen, er hat sie ihnen aufgehalst (und sie genau dadurch von der Last befreit).
    In Publik-Forum gab es einmal einen Sonderteil mit dem Titel: Gott will keine Knechte. Abgesehen davon, daß dieser Titel aus der Geschichte des deutschen Nationalismus stammt (der Gott, der Eisen wachsen ließ …), würde in der Linie seiner Konsequenz nicht die Streichung von Deuterojesaia, des Gotteslammes und der Apokalypse liegen? Wer aber den Gottesknecht im Gotteslamm verschweigt, will nur noch Lämmer.
    Prophetie und Aktualität:
    – Korrespondenz der Gegenwart (des Weltuntergangs) mit der altorientalischen Geschichte (Ursprung des Weltbegriffs);
    – Ursprung des Staates (Privateigentum), des Geldes (Schuld-knechtschaft, Tempelwirtschaft, Idolatrie), der Schrift (Astronomie);
    – babylonischer Turm: Sprachverwirrung (hebräische und indogermanische Sprache, Hebräer und Barbaren, Philosophie und Prophetie)
    – Welt- und Naturbegriff (Ursprung und Ende der Naturwissenschaft; Dogma: Theologie als Naturwissenschaft; Weltbegriff als blinder Fleck: abzuarbeiten über den Begriff der prophetischen Erkenntnis);
    – im Kern Jeremias:
    Im Bereich der Verwandtschaft meiner Eltern wurden in jedem Dorf die Diphtonge anders ausgesprochen (in Erkeln: Mäuse = Miuse). Läßt nicht auch die Aussprache des Niederländischen sich aus dem Trieb ableiten, das eu = oi zu vermeiden? Kann es sein, daß der Erfolg der Nazis daher rührt, daß der Name Deutscher zunächst als fremd, dann aber als Nobilitierung erfahren wurde? Sich als Deutscher fühlen zu dürfen, war wie die Verleihung eines Adelstitels. Dieser Name war ein Kollektivum: Vergesellschaftung eines Plural majestatis. Zu den Konstituentien des Namens der Deutschen gehörte das „Im Felde unbesiegt“, nach der realen Niederlage gleichsam ein geheimer, esoterischer, jedenfalls öffentlich nicht anerkannter Ehrentitel, der heute wieder aus dem kollektiven Unbewußten hochkommt (im Zeigen der Reichskriegsflagge sich manifestiert) und in den Exzessen der Neonazis sich auskotzt. Die Niederlagen in den großen Kriegen waren das größte Unrecht, das den Deutschen angetan worden ist. Denn „eigentlich sind wir die Herren der Welt“, gleichgültig ob die andern uns anerkennen oder nicht (an der Anmaßung der Ausländer, die etwas davon zu ahnen scheinen und deshalb hier in Massen einströmen, um an unseren mystischen Privilegien teilzuhaben, rächt sich die verdrängte Wut). Beweisen nicht der Reichtum hier und die Asylantenflut, die daran Anteil gewinnen möchte, die metaphysische Auszeichnung der Deutschen? Darin steckt das finstere Geheimnis der (heideggerschen) „Eigentlichkeit“.
    Steckt nicht auch in der Rechten ein Erbe der vulgärmarxistischen Tradition. Liegt hier nicht ein ebenso ironischer wie fataler Beweis der Nolteschen These von bolschewistischen Abkunft des Nationalsozialismus? Vom dialektischen Materialismus ist nur der Neid übriggeblieben, der die Idee der richtigen Gesellschaft von innen zerstört.

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