Hinkelammert

  • 27.5.96

    Verdinglichung hat einen magischen Kern. Deshalb konvergiert in Adornos Kritik der Verdinglichung der aufklärerische mit dem theologischen Impuls.
    Alle Magie ist Urteilsmagie, die Urteilsform die Wurzel der Magie, ihr Wurzelgrund, der Boden, aus dem sie erwächst: die subjektiven Formen der Anschauung, deren Reflexion das dringendste Desiderat des gegenwärtigen Standes der Aufklärung ist.
    Die Sprache unterscheidet sich von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion; in dieser Fähigkeit gründet die erkennende Kraft des Namens.
    Die „Wertfreiheit“ der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die Trennung von Wert und Sein, wird erkauft mit der Instrumentalisierung der Schuld (mit der Herrschaft des Schuldverschubsystems). Die Urteilsmagie ist die Kehrseite dieser Instrumentalisierung der Schuld.
    Das Schuldverschubsystem begründet die entlastende Logik des Weltbegriffs.
    Ist nicht Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ein Produkt des undurchschauten Glaubens an die magische Kraft des Urteils?
    Wie hängen die zehn ägyptischen Plagen mit der Konstituierung des Inertialsystems zusammen?
    Gibt es nicht bei Marx eine Stelle, an der es heißt, daß die Gesellschaft sich keine Probleme stellt, die sie nicht auch zu lösen vermag? Wie hängt das mit dem von Hinkelammert in seiner „Kritik der utopischen Vernunft“ zitierten Topos zusammen, daß das Bestehende in sich selbst die Kraft der Selbstrechtfertigung hat? Trifft dieser Satz nicht die Realität genauer (aber auch erschreckender)?
    Das Urteil eines Gerichts wird durch Beschluß gefällt. Drückt in dem Präfix be- (das im Englischen an die Stelle des Infinitivs „Sein“ tritt), in Worten wie Bekenntnis, Bekehrung, Beschluß, die Gewalt des Inertialsystems (der subjektiven Formen der Anschauung) über die Sprache sich aus? – Was unterscheidet den Beschluß vom logischen Schluß, das Bekenntnis vom Glauben und die Bekehrung von der Umkehr?
    Der Satz Hamlets „To be or not to be, that’s the question“ ist eigentlich nicht übersetzbar. Das mag man an dem späten Echo in Heideggers Satz, der etwas ganz anderes ausdrückt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, ermessen. In diesem Satz gründet jene Hypostasierung der „Frage“, die in Begriffen wie „Seinsfrage“, „Kostenfrage“, „Judenfrage“, die keine Antwort, nur noch Maßnahmen erwarten, sich aus. Hängt dieser Begriff der Frage nicht mit Miskottes Titel „Wenn die Götter schweigen“ zusammen, und widerlegt er ihn nicht?
    Ursprung des pathologisch guten Gewissens: Heideggers Fundamentalontologie hat der Logik des Inertialsystems, die die benennende Kraft der Sprache storniert, auslöscht, auch darin sich gleichgemacht und unterworfen, daß sie die Differenz zwischen Täter und Opfer verwischt, den Tätern die Möglichkeit eröffnet, sich vor sich selbst als Opfer zu fühlen. Sie entspricht damit dem Stand der Aufklärung.
    Im Paradies waren die Menschen nackt, aber sie schämten sich nicht. Erst nach dem Sündenfall „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Ob sie sich dann schämten, wird nicht mehr gesagt, nur noch durch ihr Handeln stumm demonstriert: Sie machten sich Schurze aus Feigenblättern, die Gott dann durch Röcke aus Fellen ersetzte. Anmerkungen hierzu:
    – „Da gingen ihnen die Augen auf“: Sie lernten, sich in den Augen der andern zu sehen; war das nicht die Folge der Erkenntnis des Guten und Bösen und zugleich die Basis der Objekterkenntnis, der Ursprung der objektivierenden Kraft des Denkens?
    – Sind die „Röcke aus Fellen“ Symbol der Trennung von Vernunft und Physis, von Ich und Es, Hinweis auf den Ursprung sowohl des Unterbewußten als auch der unabhängig von der subjektiven Willkür und Kontrolle ablaufenden animalischen Funktionen in der eigenen Physis, auf den Ursprung des Triebs, der Begierde?
    Bezieht sich der gesamte Vorgang nicht auf einen sprachlichen Sachverhalt? Nur wer gelernt hat, sich in den Augen anderer zu sehen, steht unter dem Zwang, über andere als Objekte zu reden.
    Goethe hat die Farben die „Taten und Leiden des Lichts“ genannt. Ist nicht die gesamte Grammatik der corpus der Taten und Leiden der Sprache?
    Kommt der Titel Pharao so nur in der Bibel vor, oder ist er auch durch andere Quellen belegt? Der Kleine Pauly nennt die Bedeutung des altägyptischen Titels (das „Große Haus“), der „so auch im AT benutzt“ worden sei (Bd. 4, Sp. 711). Adelheid Schott schreibt in „Schrift und Schreiber im Alten Ägypten“, daß „schon griechische Autoren … uns das Wort als `Pharao`“ überliefert hätten (?), allerdings ohne Quellenangabe (S. 47); später verweist sie auf den etymologischen Zusammenhang des Wortes Papier (papyros) mit dem Wort Pharao („das des Hauses“, „das der Verwaltung“, S. 67).

  • 30.3.96

    Entsühnung der Geschichte: Das wäre der Ruf, der die Toten auferweckt. Der Historismus verschließt die Pforten der Hölle.
    Ist nicht das Wort von der „Bewahrung der Schöpfung“ nur eine Modernisierung eines Slogans, der vor vierzig Jahren theologische Mode war, des Worts von der „Heiligung der Welt“?
    Zum Jakobus-Brief: Welcher Jakobus war der Verfasser:
    – der Zebedäussohn (Bruder des Johannes, einer der drei, die bei der Erweckung der Tochter des Jairus, auf dem Berge Tabor und in Getsemane dabei waren, Mk 537, 92, 1433, nach Mk 129 waren die Zebedäussöhne auch mit im Haus des Simon und Andreas, bei der Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus),
    – der andere Apostel Jakobus (Sohn des Alphäus; identisch mit dem „kleinen Jakobus“, Mk 318, 1540?),
    – der Herrenbruder, Leiter der Jerusalemer Gemeinde, einer der „drei Säulen“ (Gal 29),
    – der Vater/Bruder des Judas (Lk 616, Apg 113, Jud 11); identisch mit einem der beiden vorgenannten?
    Frage: Hat der „Synagogenvorsteher“ Jairus etwas mit dem Clan des Jair (und mit dem gleichnamigen Richter – vgl. 4 Mos 3241 und Ri 103ff -, oder auch mit dem Vater des Mardochai, Est 25) zu tun?
    Anfrage an Dorothee Sölle (zu ihrem Beitrag im letzten Heft der „Jungen Kirche“): Zum Problem der göttlichen Gewalt, Benjamins „Kritik der Gewalt“ und Derridas „Gesetzeskraft“ (fällt der Holocaust unter Benjamins Begriff der göttlichen Gewalt?). Dazu das Problem Kapitalismus/Religionskritik (Hinkelammert „Götze Markt“, Benjamins Bemerkung zum Kapitalismus als Opferkult ohne Entsühnung, nur verschuldend, darin dem Begriff des Rechts in Benjamins Kritik der Gewalt vergleichbar). Ist die Freisetzung der Kräfte des „freien Marktes“ die Freisetzung der Kräfte der Verwüstung: der Selbstzerstörung der Politik („Greuel am heiligen Ort“)?

  • 28.1.96

    Die subjektiven Formen der Anschauung sind automatisierte Formen der Verurteilung (der Konstituierung des Objekts). Das ist das Erbe der Opfertheologie. Der gleichen Opfertheologie, die Gott in die Masken des Personseins gebannt hat (wie auch im Namen des „persönlichen Gottes“ Gott als mein Eigentum <mein persönlicher Gott> nicht mehr von Gott als Person sich unterscheiden läßt).
    Der Personalismus ist ein logischer Bestandteil der Wertethik, d.h. einer Ethik, die sich im Kern nur noch als Maßstab des Urteils, nicht mehr als Richtschnur des Handelns begreift. Die Person ist die Hypostase der Unbarmherzigkeit (und die theologische Lehre von der Personalität des Heiligen Geistes die theologische Sünde wider den Heiligen Geist). Deshalb ist die Person der Grund der Verletzlichkeit.
    Die tiefe Zweideutigkeit des Rechtsgrundsatzes „ohne Ansehen der Person“. Das positivistische Recht (und das Prinzip der Legitimation durch Verfahren) trifft apriori die Schwachen. Der Rechtspositivismus ist ein Objektrecht, das den zum Objekt Gewordenen apriori verurteilt. Objektrecht ist Subsumtionsrecht, bei dem es nur auf die richtige Anwendung ankommt.
    Enthält nicht die Idee der Auferstehung die Umkehrung des Historismus? Nicht wir urteilen über die Vergangenheit, sondern die Vergangenheit wird über uns urteilen.
    Für die Theorie des kommunikativen Handelns sind die Folgen des Handelns gegenstandslos geworden. Darin, in dieser Entlastung von der Verantwortung, liegt die Verführung dieser Theorie. Die Theorie des kommunikativen Handelns begründet eine Theorie der immanenten Logik des Handelns, die sich in dem Augenblick konstituiert, in dem von den Folgen des Handelns (von seiner Beziehung zur Wirklichkeit) abstrahiert wird.
    Verweist nicht der Aufsatz von Hinkelammert in der „Jungen Kirche“ (1/96) auf den gemeinsamen Grund der Ökonomie (des Marktes) und der Naturwissenschaften (des Inertialsystems), durch den die Naturwissenschaften zu einem Instrument der Rechtfertigung des Bestehenden geworden ist (deshalb hat Habermas, als er die Idee einer Kritik der Naturwissenschaften verwarf, der Kritik des Bestehenden den Boden entzogen)?

  • 7.12.1994

    Das Geld (der Marktautomatismus) läßt die Armen schuldig werden (die Begründung findet sich dann schon). Das war der Grund, weshalb seit den Kirchenvätern die concuspicentia als Träger der Erbschuld begriffen wurde: Opfertheologie und Vergöttlichung Jesu, Folgen der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, gehorchten gleichsam in vorauseilendem Gehorsam immer schon der Logik des Kapitals; so haben sie ihr vorgearbeitet. Eine wichtige Rolle in diesem Prozeß spielte die neudefinierte Funktion der Sexualmoral, der die Kirche verfallen ist, weil sie den Mechanismus nicht durchschauen konnte. (Vgl. hierzu Hinkelammert, Kritik, S. 269ff, insbesondere auch die Anm. S. 271, sowie den transzendentallogischen Zusammenhang des Marktautomatismus mit dem Inertialsystem.)
    Der „persönliche Gott“ ist der magische Helfer der Einsamen, der Gott der Sexualmoral.
    Läßt sich die Beziehung von Barbaren und Hebräern aus der unterschiedlichen Stellung zur Schuldknechtschaft, und d.h. zur Logik des Kapitals, herleiten?
    Der Erkenntnisbegriff reicht weiter als der des Wissens. Es war der Grundfehler des deutschen Idealismus, daß er beide in eins gesetzt hat. (Hängt nicht auch das mit dem Wort vom Rind und Esel zusammen: das Rind ist ein Opfertier, während die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm ausgelöst wird?)
    Die prophetische, die messianische und die parakletische Erkenntnis sind drei Stufen der Erkenntnis, die auf die Trinitätslehre zurückweisen (auf die Gründe des Antijudaismus, der Ketzerverfolgung und der Frauenfeindschaft). Hat die dritte Leugnung etwas mit der Sünde wider den Heiligen Geist zu tun, die Selbstverfluchung Petri mit der Leugnung der parakletischen Form der Erkenntnis?
    Das Urteil ist das Instrument der Veranderung oder der Verweltlichung des Denkens.
    Joch und Last: Wird mit dem Jesaia-Wort nicht die Sünde der Opfertheologie bezeichnet, die das Auf-sich-Nehmen der Last, der Sünde der Welt, zum Joch (zur Last für andere) gemacht, es zur Rechtfertigung der Unterdrückung benutzt hat? Die Last nehme ich auf mich, das Joch lege ich anderen auf. Und das ist die Verführung des Inertialsystems wie auch des Tauschprinzips (insgesamt des Schuldverschubsystems), daß sie Last und Joch identifiziert. Adornos Kritik des Identitätsprinzips zielt genau auf diesen Sachverhalt. Der Satz über Rind und Esel enthält die Kritik des Weltbegriffs, der die Identifizierung von Joch und Last zur Grundlage hat. Vgl. hierzu Rosenzweigs Satz: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, oder auch das Jesus-Wort: Mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht (Mt 1130).
    Die Philosophie, und nach ihrer Hellenisierung auch die Theologie, hat seit je das Herrendenken frei- und seine Opfer schuldiggesprochen.
    Erwarten sich die Menschen heute nicht von der Religion und von der sie beherrschenden Gottesvorstellung einen Schutz gegen Gott? Die Idee des Absoluten ist nicht nur ein grandioses philosophisches Konstrukt, sondern das Produkt der Instrumentalisierung Gottes, das die Religion heute beherrscht. Mit der Instrumentalisierung Gottes wird das Aggressionspotential, das in uns steckt: die unaufgearbeitete Schuld, auf die Außenwelt abgeleitet; vergessen wird, daß die Sündenvergebung ans Sündenvergeben gebunden ist.
    Drückt sich beim Hinkelammert (in den Partien, in denen er über Popper nur schimpft) nicht noch ein Stück Hilflosigkeit aus?
    Dieser ungeheuerliche Mechanismus: Wir haben die Armut in die Dritte exportiert, und nutzen sie nun als Hebel, um sie über den Lohndruck, den sie heute erzeugt, wieder zu reimportieren.
    Massen sind nur durch ihr „Gewicht“ in einem Gravitationsfeld (auf einer Waage) meßbar. Ist diese Logik auf den Ursprung des Gravitationsfeldes (beim fallenden Apfel auf die Erde, beim Planetensystem auf die Sonne) überhaupt anwendbar, übertragbar? Können die Sonne, die Erde, der Mond oder die Planeten gewogen werden?
    Merkwürdige Vermischung von Empirie und Logik: „Den entscheidenden Erkenntnisfortschritt über den Anfang unseres Universums hat 1929 der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble bewirkt. Er stellte bei seinen Beobachtungen im Weltall fest, daß je weiter die Galaxien von uns entfernt sind, sie umso schneller von uns wegfliegen.“ (Amand Fäßler, Direktor des Instituts für theoretische Physik und Dekan der Fakultät für Physik der Universität Tübingen, in Publik Forum vom 02.12.94, S. 50). Hubble hat die Rotverschiebung der Spektrallinien der Sterne in Abhängigkeit von ihrer Entfernung entdeckt. Die Vorstellung der Expansion des Weltalls beruht auf einer Interpration dieses Sachverhalts auf der Basis des Doppler-Effekts. (Auf S. 52 fordert Fäßler: „Wir müssen gegenüber allen Ideologie sehr skeptisch sein …“)
    Was das kopernikanische System so nützlich gemacht hat, war, daß man sich dieses Planetensystem so schön vorstellen konnte, daß man es auf eine Bildebene projizieren (es der Logik der Schrift unterwerfen) konnte. Die Vermittlung dieses Bildes durch die Logik der Schrift blieb unreflektiert. So wurde die Unterscheidung zwischen dem Im Angesicht und dem Hinter dem Rücken gegenstandslos: Es gab nur noch ein Hinter dem Rücken. Dieser Schritt hat die „Wirklichkeit“ zur Erscheinung gemacht. Nicht zufällig hat Kant sein Konstrukt der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, aus denen die transzendentale Logik abgeleitet ist, als eine Konsequenz aus der „kopernikanischen Wende“ verstanden.
    War nicht die machsche Kritik der Atomistik ein Versuch der Rekonstruktion des Objekts aus Empfindung und Logik, der sehr kantisch ist, zugleich ein Reflex der Probleme der damaligen Äthertheorien? Die Auflösung dieses Problems (u.a. durch die spezielle Relativitätstheorie Einsteins, durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) war einer der Gründe des Ursrpungs des Neopositivismus, des logischen Empirismus, für den die Rekonstruktion des Objekts aus dem Chaos der Empfindungen nicht gelöst, nur obsolet geworden ist. Die veränderte Logik der neuen Naturwissenschaften (die mit der veränderten Logik der Ökonomie aufs merkwürdigste konvergierte) drückte dann in veränderten Positionen sich aus (Problem der Kausalität, der Anschauung, des „Beobachters“). Das ist das Problem der Beziehung der Naturwissenschaften zum „kulturellen Milieu“. Aus dem Konstitutionsproblem wurde ein innerlogisches Problem, dessen Gegenstandsbedeutung ungeklärt geblieben ist (vgl. Poppers „Falsifikations“-Theorem).
    Wer an der Atomvorstellung festhält und weiterhin nach den letzten Bestandteilen der Materie sucht, wird sich damit abfinden müssen, daß er auf immer neue Zwiebelschalen stößt.
    Wer die Postmoderne für ein weltanschauliches Problem, gleichsam für ein Bekenntnisproblem, hält, verharmlost das Problem; die Postmoderne spiegelt in Wahrheit die innerlogischen Probleme des derzeitigen Standes der Aufklärung wider.
    Sind die flektierenden Sprachen nicht Fortbildungen der agglutinierenden Sprachen, die Affixbildungen Weiterbildungen der Determinanten, die selber schon als erste Spuren der Logik der Schrift in der Sprache zu begreifen sind? Spiegelt die Trennung der Sprachen nicht verschiedene Phasen der Verschriftlichung der Sprache wider, und war vielleicht das Bilderverbot gegen den „Fortschritt“ der indogermanischen Sprachlogik gerichtet?
    Kann es sein, daß das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande sich auf die Geschichte der christlichen-jüdischen Beziehung seit dem Urschisma bezieht?
    Der Begriff des „vollkommenen Wissens“ wäre anwendbar nur auf eine tote Welt, auf eine endgültig abgeschlossene Vergangenheit. Die Allwissenheit als Attribut Gottes unterscheidet sich von der Erkenntnis, die Gott allein zugesprochen werden kann, durch eine qualitative Differenz: durch die Abwesenheit der Barmherzigkeit. Wissen ist gnadenlos, ihrem eigenen Objekt, auf das es sich von nur außen bezieht, fremd; die göttliche Erkenntnis wäre das Gegenteil davon: das Angesicht Gottes als eine Erkenntnis, in der seine Objekte sich selbst ohne Angst wiedererkennen.
    Das Wissen ist (wie die Begriffe Natur und Welt) ein Produkt der Logik der Schrift; auf ein „All“, das vorauszusetzen wäre, wenn es so etwas wie ein vollkommenes Wissen geben sollte, läßt es ohne Selbstwiderspruch nicht sich beziehen (die Entfaltung dieses Selbstwiderspruchs ist die Hegelsche Logik, in der die Stelle des „vollkomenen Wissens“ von der Idee des Absoluten, der Spiegelung des Subjekts im Unendlichen, besetzt wird).
    Die Geschichte ist ebensowendig das Weltgericht, wie Gott der Herr der Geschichte ist. Nach Hegel bezeichnet der Begriff der Geschichte sowohl die vergangenen Begebenheiten als auch ihre Darstellung, die erinnernde Vergegenwärtigung des Vergangenen; verweist das nicht auf einen logischen und sachlichen Zusammenhang beider? Wird nicht das Vergangene erst durch seine Erinnerung zum Vergangenen? Vollzieht die historische Erinnerung und Vergegenwärtigung des Vergangenen (seine Vergegenständlichung im Kontext der Fundierung der Institution des Privateigentums und der Begründung des Begriffs) erst die Taufe der Vergangenheit am Vergangenen? In welcher Beziehung steht dieser Begriff der Geschichte zum Weltbegriff (zum Wertgesetz und zum Inertialsystem)? Gibt es einen Weltbegriff ohne die Abtrennung (und Vergegenständlichung) der Vergangenheit als Geschichte? Gehört diese Abtrennung nicht als ein konstitutives Moment zum Begriff der Geschichte und zur Konstituierung ihres Objekts, der Gegenwart, die nur so zu einem Teil der Geschichte wird (zur Konstituierung sowohl der Geschichte als auch der Welt, die erst durch ihre Beziehung zur eigenen Geschichte als Welt sich konstituiert)? Aber bedeutet das nicht auch, daß sowohl der Bann der Natur als auch der der Geschichte beide in einen Schuldzusammenhang rückt, der ihre Beziehung zur Wahrheit verhext? (Epos, Gegenständlichkeit, Logik der Schrift: nicht nur die Naturwissenschaft, auch die Geschichte ist ein Verdrängungsinstrument; vgl. die Funktion kontrafaktischer Urteile in der Geschichte; Prophetie und Apokalyptik; Fälschungen in der Geschichte).
    Durch ihre historische Vergegenständlichung ist die Geschichte zu einer Kolonie der Gegenwart geworden. Die Gegenständlichkeit der Geschichte ist eine ästhetische, keine reale: Grund des Objektbegriffs und des Begriffs des Wissens, der ohne das Moment des Scheins nicht zu begründen ist.
    Ohne den Weltbegriff kein „persönlicher Gott“; beide stützen sich gegenseitig. Atheistisch ist erst die zur kritischen Masse zusammenschießende verweltliche Welt (der Faschismus, der zum Staatskapitalismus gewordene „real existierende Sozialismus“).
    Ist das Präsens Produkt der erinnernden Vergegenwärtigung des Vergangenen, die versperrte Gegenwart (durch die zeitlichen Formen des Konjugationssystems – durch Präteritum, Plusquamperfekt, Futur II – vermittelt wie der Nominativ durch die Kasus, durch Akkusativ, Genitiv und Dativ)?
    Zur Ableitung und Kritik des Gehorsams: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ. Ihre Erkenntnis ist prophetische Erkenntnis, die nicht den Gehorsam begründet, sondern das autonome Tun als Erfüllung des Worts. Der Gehorsam verwandelt den Imperativ in einen Indikativ, das Gebot ins Gesetz: er steht unter dem Bann der Logik der Schrift (Folge der Objektivierung des Attribute Gottes).

  • 4.12.1994

    Zur Kritik des Sollens: Wer sieht, daß ein Kind in einen Brunnen fällt, handelt, ohne sich in einer Ethik (in einer „Gewissensentscheidung“) rückzuversichern. Sein Handeln ist spontan, weil notwendig: Er holt das Kind heraus. Ein Sollen würde erst entstehen, wenn dieses Handeln (unterm Rechtfertigungszwang) nicht mehr das Normale, sondern durch Reflexion erst zu begründen wäre: Aber ist dieses Nicht-mehr-Normale, wenn man heute auf die Knäste, die Asylpraxis, den Zustand der sogenannten Dritten Welt sieht, nicht mittlerweile das Normale: Brennt nicht die Welt, während wir den Schrei der Verbrennenden als Unterhaltung genießen? Das ist gemeint, wenn nach Levinas die Attribute Gottes im Imperativ und nicht im Indikativ stehen. Die prima philosophia ist nicht die Ontologie, sondern die Ethik (und nur so, nicht als zweite Disziplin der Philosophie ist die Ethik noch zu begründen).
    Die Form des Raumes (die sich in den grammatischen Strukturen der indoeuropäische Sprachen vorbereitet und ankündigt) trennt die Logik der Schrift von der Sprache. Deshalb wurde das Licht durchs Wort erschaffen.
    Mit dem Präfix be- gebildete Verben haben im Passiv und im Perfekt die gleiche Form; die Perfektbildung mit ge- entfällt. Begründet das be- den passivisch-perfektiven Objektstatus, ein durchs Haben (durch den im Haben begründeten Zwang) bestimmtes Sein, und seine Vorform das griechischen sym-/syn bzw. des lateinischen con-/cum (vgl. symbolum, confessio, Bekenntnis)? Ist das be- der sprachliche Reflex eines durchs Tauschprinzip definierten Eigentumsverhältnisses (des Staates)?
    Zur Geschichte der Banken wäre der Hinweis wichtig, daß
    – der Modernisierungsschub in der politischen Ökonomie, aus dem auch der Faschismus abzuleiten wäre, sich auf eine merkwürdige Weise widerspiegelt in der Geschichte des Positivismus (von Mach zum Wiener Kreis) und ihrer Affinität zum Ursprung des Neoliberalismus (Hinkelammert, Popper);
    – es ist die gleiche Geschichte, in der der Staat immer mehr seiner Funktionen abgibt an politisch nicht mehr zu kontrollierende Instanzen (Bundesbank, Bundesverfassungsgericht, Europäische Gemeinschaft), parallel dazu immer größere Teile seiner Aufgaben privatisiert;
    – mit der Ausweitung der Funktionen des Marktes (mit den Banken als Clearingstellen) degeneriert Politik zusehends zum Wechselspiel von Privatwirtschaft und Verwaltung, während die Regierung immer deutlicher auf die auf die immer weniger zu erfüllende Funktion der Erhaltung und Garantie des Privateigentums zusammenschrumpft (mit einem Militärapparat, der die einfachsten Funktionen nicht mehr zu erfüllen in der Lage ist – vgl. den Golfkrieg, den Somalia-Einsatz und den Jugoslawien-Krieg mit dem Vietnam-Krieg -, und einer zusehends von innen sich kriminalisierenden Polizei).
    Hat der Abbau der Sozialleistungen (die „Verschlankung des Staates“ im Kontext der Privatisierung seiner Aufgaben und der Delegation von Regierungsaufgaben an „autonome“, d.h. nur dem Gesetz der Eigentumserhaltung, dem Wertgesetz des Marktes, verpflichtete Institutionen) etwas mit dem Problem der Energieerzeugung zu tun, mit der Senkung der Lohnkosten und der Steigerung der Energieausbeute (Ausbeute und Ausbeutung)?
    Poppers Konzept der wissenschaftlichen Erkenntnis, die aus Hypothesen hervorgeht, die sich im strengen Sinne nicht verifizieren lassen und nur so lange gelten, wie sie nicht falsifiziert (empirisch widerlegt) worden sind, orientiert sich am Modell der freien Marktwirtschaft, in der das Ergebnis des wirtschaftlichen Handelns sich auch nicht antizipieren (höchstens durch begleitende Strategien bis zu einem gewissen Grade absichern) läßt: Über das Ergebnis entscheidet letztendlich – wie in der empirischen Naturwissenschaft das Experiment – der Erfolg oder Mißerfolg am Markt. Der Neoliberalismus ist der Versuch, das Äquivalenzsystem der Naturwissenschaften auf die Ökonomie zu übertragen.

  • 1.12.1994

    „Der Nomos einer Gesellschaft legitimiert zu allererst sich selbst, durch sein bloßes Vorhandensein“ (Peter L. Berger, zitiert nach Hinkelammert, Kritik, S. 47). Gründet diese Selbstlegitimation nicht im Erkenntnis- und Wahrheitsbegriffbegriff der Naturwissenschaften, nachdem sie mit Hilfe der neopositivistischen Erkenntnistheorien und der metaphysischen Absurditäten der Kopenhagener Schule die letzten Erinnerungen an ihre gesellschaftliche Vermittlung gelöscht hat?
    Ist nicht die transzendentale Ästhetik der Grund aller Ästhetik: der Grund, aus dem sie hervorgeht und in den sie zurück (zugrunde) geht? Aber leugnet nicht auch hier – wie im Verhältnis der christlichen Orthodoxie zu den Häresien (zuletzt zur Geschichte der Aufklärung, und innerhalb der Logik der Aufklärung im Verhältnis der Natur zu ihren Hervorbringungen) die Mutter ihr eigenes Kind?
    Die subjektiven Formen der Anschauung konstituieren, begründen die Urteilsform (heißt das aber nicht eigentlich, daß sie durch die Urteilsform vermittelt sind?). Deshalb zielt die Kritik der Naturwissenschaften ab (nicht auf ein „wahres Bild der Natur“, das es nicht gibt, sondern) auf die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache, auf die Restituierung des Namens.
    Islam: Ein Gott, der (nachdem mit Mohammed das Ende der Prophetie eingetreten war) nicht mehr mit den Menschen spricht, sondern nur noch in der Schrift (im Koran) sich den Menschen mitteilt, dem man nicht mehr antworten, sondern nur noch sich unterwerfen kann (Ersetzung des Hörens durch den Gehorsam). Das Christentum war der Anfang der Emanzipation des Wortes von der Schrift, aber es hat sich bis heute noch nicht als diesen Anfang begriffen. In diesem Nichtbegreifen (in dieser Islamisierung des Christentums) gründet der „Logozentrismus“: Die babylonische Gefangenschaft des Wortes in der Schrift, die Selbstverwerfung (Selbstverfluchung) des Christentums.

  • 05.11.92

    Hinkelammert: Die ideologischen Waffen des Todes, S.232: Ableitung des Ursprungs der Physik aus der „Nachfolge Christi“. Steht die subjektive Form der äußeren Anschauung in der Tradition des Kreuzestodes, ist sie nicht selbst das Kreuz, an das das Subjekt geschlagen wird? Mit der „Vergewaltigung der Natur“ (Thomas a Kempis) vergewaltigt und erhöht das Subjekt sich selber. Der „christologische“ Naturbegriff hängt mit diesem „christologischen“ Selbstverständnis des Subjekts zusammen. Darin gründet der Bann, der auf der Natur und dem Subjekt zugleich liegt. Vgl. hierzu auch die Bemerkungen über das Opfer in den „Elementen des Antisemitismus“ in der „Dialektik der Aufklärung“. Die Vergesellschaftung von Herrschaft hat den Punkt erreicht, an dem der cäsarische Wahn das vergesellschaftete Subjekt ergreift. Hier gründen Xenophobie und Antisemitismus, die als Ausdruck des Wahns ihn zugleich stabilisieren und verstärken.
    Das Wort „Hostie“ kommt von hostia, Opfertier. Gibt es eine Beziehung zu „hostis“, Feind?
    Der Fremdenhaß in den neuen Bundesländern ist eine Form der Überanpassung; er verweist darauf, wie die „Wiedervereinigung“ erfahren worden ist.
    Umkehrung des Christentums: christologischer Naturbegriff als Produkt der Dynamik von Empörung und Fall. Xenophobie Produkt einer double-bind-Situation: Verstanden wird die unterschwellige Botschaft, weil man die manifeste, die mit einem Augurenlächeln ergeht, als Heuchelei nach außen (als Feigenblatt) erfährt. Die Verführung durch Moral ist die subtilste und die gefährlichste. Deshalb findet man die Antisemiten vor allem unter den Christdemokraten, die die vom Westen, aus den alten Ländern der Bundesrepublik, erteilten Lehren begriffen haben.
    Steckt in dem Konzept der raf nicht auch ein Stück Ausagieren des Ödipuskomplexes? Enthält es nicht ein Stück magisches Ritual, das durch Wiederholung der Sünde, die die Kultur begründet hat, durch Wiederholung des Vatermords, die Kultur zu entsühnen hofft? Ähnlich wiederholt das verdinglichte Bewußtsein als Isolationshaft am anderen, was es als verdinglichtes Bewußtsein in seinem Verhältnis zur Außenwelt selber erleidet.
    Ist die Kreuzestheologie der gottverlassene Jubel über die Gottverlassenheit, Erlösung als Befreiung von der Moral durch Rechtfertigung? So ist sie der Kern der Selbstverfluchung, die mit der dritten Leugnung einhergeht.
    Geht es nicht heute um die Koinzidenz der Armen und der Fremden, und ist es nicht gerade diese Koinzidenz, die die Irritation, den Haß und die Mordlust wachruft?
    Drückt nicht in dem Wort „Wirtschaftsflüchtling“ das Bewußtsein sich aus, daß es die Armen sind, die – als Fremde verkleidet -jetzt zu uns kommen und so Asylmißbrauch treiben? Das wird als Rechtfertigung verstanden, sie totzuschlagen, und mit dem Vorschlag der CSU, den „Mißbrauch“ des Asylrechts unter Strafe zu stellen, nachträglich legalisiert.
    Der Staat ist als Schöpfer und Erhalter des Geldes, das die Welt regiert, Schöpfer und Erhalter der Welt. Darin gründet die Logik der Lehre von der Schöpfung der Welt aus Nichts. Dieses Nichts ist der Quellpunkt des Atheismus in der Theologie.
    Erst wenn die Kirche die Täufertheologie, die Theologie des Rufers in der Wüste, zu der die Kirche die Religion gemacht hat, in sich aufnimmt, wird sich das steinerne Herz der Welt in ein fleischernes umwandeln.
    Wie heißt der Hahn auf Griechisch und Hebräisch; gibt es diese Beziehung des Hahnes zum Wasserhahn auch in den andern Sprachen?
    Über den Tiefsinn der Bauernregeln: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, wirds Wetter anders oder es bleibt wies ist. Aber das ist eine Bauernregel, und in den Städten gibt es außer am Grill und an den Wasserleitungen keine Hähne mehr. Und die Rätselfrage: Was war zuerst, das Huhn oder das Ei, ist bis heute ungelöst.
    Weshalb heißen die Hühner-KZs Lege-Batterien; und was haben diese mit den gleichnamigen Artillerie-Einheiten und Elektrizitäts-Speichern zu tun? – B.: Zusammenschaltung mehrerer gleichartiger technischer Geräte, Industrieeinrichtungen u.a. (Meyers großes Taschenlexikon).
    Was hat es mit den Namen der Bäume auf sich: Eiche, Buche, Erle, Esche, Eibe, Fichte, Tanne, Kiefer, Lärche, Ahorn, Pappel, Espe, Birke, Apfel-, Birn-, Kirsch-, Pflaumen-, Aprikosen-, Pfirsichbaum, Zeder, Zypresse, Palme, Feigenbaum, Ölbaum. Gibt es außer der Grobeinteilung Laub- und Nadelbäume noch andere Verwandtschaften: Obstbäume (Stein- und Kernobst)?
    „Eine Lilie unter Disteln ist meine Freundin unter den Mädchen. Ein Apfelbaum unter Waldbäumen ist mein Geliebter unter den Burschen.“ (Hld 22f) Was hat es mit den Bäumen auf sich in der Bibel: Baum des Lebens, Baum der Erkenntnis; Adam und seine Frau verstecken sich, nachdem sie von dem Baum gegessen haben, vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens. In der Jotan-Fabel stehen Bäume anstelle der Könige: Nur der Dornbusch (zu dem der Baum der Erkenntnis nach dem Fall geworden ist?) ist bereit, König zu werden. Der Feigenbaum (von den Feigenblättern über Nathanael zum unfruchtbaren Feigenbaum).
    Die brennenden Kronen der Buchen im Herbst: Hat der Name der Buche etwas mit Buchstaben und Buch zu tun?
    Das Wort vom Lösen bezieht sich auf einen Knoten, der nicht nur geknüpft, sondern auch durchschlagen ist, durchschlagen mit dem Schwert, das vielleicht auch an das kreisende Flammenschwert erinnert, dessen astronomische Konnotationen jedenfalls mitgehört werden sollten.
    War die Fundamentalontologie der letzte Versuch, die Welt über die Philosophie zu retten: der letzte Versuch der Legitimierung des Herrendenkens? Auch die Fundamentalontologie steht in der Tradition des Feindbildes der Barbaren. Hier liegen die Gründe ihrer Beziehungen zum Nationalsozialismus, und hier ist ihr antisemitischer Grundton fundiert.

  • 02.11.92

    „Denn unser Kampf geht nicht gegen Blut und Fleisch, sondern gegen die Mächte, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den Himmelshöhen.“ (Eph 612) Kann es sein, daß Paulus mit den Archonten das meint, was Hegel den Begriff nennt: den Naturgrund der Herrschaft, das was als Institution die Menschen beherrscht und sie überlebt, die Natur, die in jeder Herrschaft und Autorität als deren dämonischer Grund mit präsent ist? Vgl. hierzu Franz J. Hinkelammert: Die ideologischen Waffen des Todes, S. 183ff.
    Konstruktion der Masse (Licht, Trägheit und Schwere): Totalität des Andersseins, Empörung und Fall, Luzifer (Venus, Babylon), Ursprung und Konstituierung des Staates und des Weltbegriffs (Beziehung des Staates zur Astronomie); „Massenversammlung“, die Schlange, Adam und der Staub. Das Selbstmitleid der Herrschenden.
    Die Materie ist die Neutralisierung des Fremden, die Reflexion des Andersseins im Anderen, das Andere für Andere, die Negation des Einen, das so zum absolut Fremden wird. Sie ist zugleich der Reflex der Vorstellung der homogenen Zeit: Produkt der Subsumtion der der Zukunft unter die Vergangenheit. Im Stoß erweist sich jedes Objekt als Objekt, als Anderes für Andere, deren jedes sich im Andern reflektiert, Grund des Weltbegriffs.

  • 21.05.92

    Zum Zeichen des Jona: Das Jesus-Wort am Kreuz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ erinnert an die 120000, die „rechts und links nicht unterscheiden“ können, am Ende des Buches Jona. (Vgl. hierzu auch die Paulusstellen über den Zusammenhang von Gesetz und Gericht.)
    Ist nicht auch die Psychoanalyse heute in eine Krise geraten, die daher rührt, daß sie ernsthaft und wirksam nur noch weiterbetrieben werden könnte durch eine Kritik der Naturwissenschaften hindurch.
    Rätsel der Exodus-Geschichte: Wovon haben die Israeliten während der vierigjährigen Wanderung durch die Wüste gelebt, wovon haben sie sich gekleidet? War es wirklich nur eine Schar entlaufener Sklaven ohne alle materiellen Subsistenzmittel? Was haben sie mit dem den Ägyptern geraubten Gut gemacht? Wie sind sie zu den Waffen gekommen, die sie bei der Landnahme in Israel brauchten? Hatten sie Vieh (Rinder und Schafe) bei ihrem Zug durch die Wüste? Woraus haben sie die Bundeslade hergestellt, hatten sie Zelte? Hatten sie Musikinstrumente (Posaunen vor Jericho)? -Gibt es eine Beziehung der Exodus-Geschichte zum Josefs-Roman?
    Kann es sein, daß es einen sachlichen Zusammenhang gibt zwischen den Fällen Rosemarie Radford Ruether und Hinkelammert, daß in beiden Fällen eine Kritik, die an den Kern der dogmatischen Tradition rührt, erstmals nicht als „Kritik von außen“ abgetan werden kann?
    Das Angesicht ist eine apokalyptische Kategorie. Vgl. die Stellen mit „Von Angesicht zu Angesicht“.
    Was ist der Unterschied zwischen Schauen und Sehen? Was bedeuten die Formen der Anschauung? Was heißt Weltanschauung (und wieso gibt es sie erst seit etwa einem Jahrhundert)? Nicht zu vergessen den Zuschauer. – In welcher Beziehung stehen diese Begriffe zur Anschauung Gottes?
    Hängt die Trennung des Festen vom Flüssigen (am dritten Schöpfungstag) mit der von Raum und Zeit (Subjekt und Prädikat, Begriff und Objekt) zusammen?
    Zur Konzeption des Inertialsystems waren zwei Absicherungen notwendig:
    – der Nachweis der Identität von träger und schwerer Masse (Vorstellung des unendlichen Raumes, Gravitationsgesetz) und
    – Nachweis der endlichen Fortpflanzungs- und Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts (Trennung des Raumes vom Licht. physikalische Optik).
    Die Trennung der Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments: ist das die Trennung der Zeiten oberhalb und unterhalb des Firmaments (Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen)? Aber ist dann nicht die naturwissenschaftliche Aufklärung gleichsam die Folge und Umkehrung der Sintflut: die Überschwemmung der Himmel mit den Wassern von unten?
    Zum Turmbau zu Babel: Ist es JHWH oder sind es die Elohim, die herniederfahren; und ist es der Ursprung der Religion, der die Sprache verwirrt? Und ist dann nicht der Logos das Ende der Religion (die Erlösung von der Religion und von ihrem Grund, dem Schuldzusammenhang)?
    Bezeichnet die Phimose einen psychosomatischen oder soziosomatischen Tatbestand?
    Hier braucht es Weisheit und Verstand. Ist das nicht identisch mit dem anderen Satz: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben?
    Der saturnische Sabbat: Zusammenhang der Ruhe Gottes nach dem Sechstagewerk mit der saturnischen Melancholie? Deshalb schließt die Geschichte von den sieben unreinen Geistern auch den siebten Tag mit ein.
    Hängt das Weinen des Petrus mit dem Weinen Esaus (=Edoms?) zusammen?
    Das Lachen hängt mit der Befreiung zusammen; aber ebenso wie eine falsche Befreiung (das liberum arbitrium) gibt es auch ein falsches Lachen (den Raum): Lachen als Quelle des Terrors.
    Wasser, Zeit, Tod, Schicksal, Mythos: In der Luft ändert sich die Dichte mit der Höhe; sie wird dünner. Die Dichte des Wassers jedoch ändert sich nicht mit der Tiefe (dann würde sich auch das spezifische Gewicht dort ändern, und es würden nicht alle schweren Dinge auf dem Meeresboden liegen). Dort ändert sich nur der (allseitige) Druck. Sind die großen Seetiere in dieser Tiefe angesiedelt? Die festen Körper haben den Druck nur an der Oberfläche, sie transportieren ihn nicht nach innen. Das unterscheidet die Verkörperung von der Verflüssigung (Liquidierung). Mit der Verinnerlichung des Schicksals ist diese Verflüssigung gleichsam ins Innere mit aufgenommen worden: Die Unfähigkeit, Schuld ins eigene Innere mit aufzunehmen, anstatt sie nur auf andere projektiv abzuleiten. Damit hängen die „Übernahme der Sünde der Welt“, das „Liebet eure Feinde“ und das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ zusammen.
    Das theologische Mißverständnis des frühen Christentums lag darin, daß es die Verkörperung mit der Verdinglichung verwechselt hat (oder die Prophetie mit der Philosophie).
    Die Stärke des Exkulpationstriebs, des Triebs, nur getröstet zu werden, läßt sich messen an der Schuldlast, die auf den Menschen und der Gesellschaft heute lastet. Und diese Schuldlast läßt sich nur noch verdrängen: sie erzeugt die Menschen, die rechts und links nicht mehr unterscheiden können. Der Naturbegriff hat genau diese Funktion, die Verdrängung abzusichern; er bezeichnet den Ort, an dem das Verdrängte unkenntlich gemacht und scheinbar gefahrlos gelagert werden kann.

  • 13.09.91

    Bekenntnis- und Beweislogik: Zusammenhang durch das gemeinsame Moment des „Nicht-erwischt-Werdens“; darin ist der ungeheure Wert der „Tatsachen“ (die durch ihre Beweisbarkeit, nicht durch ihre objektive Realität definiert werden) für das moderne Bewußtsein begründet. Die Beweislogik beherrscht sowohl das Recht wie auch die Wissenschaft, insbesondere die Naturwissenschaft. Sie verweist die Wahrheit auf den Weg des geringsten Widerstands, konstituiert zugleich den Konnex von Objektivation und Instrumentaliserung (Schuld und Sühne; Projektion ins Vergangene und Verfügbarkeit). Zu den Grundlagen der Beweislogik gehört das Prinzip der Intersubjektivität: daß der Beweis durch jeden nachvollziehbar sei. (Auch das Bekenntnis gehorcht der Beweislogik; allerdings auf der Grundlage einer zukünftigen Vergangenheit: dem „Ihr werdet es erfahren“. Die Zeitdifferenz muß zwischenzeitlich überbrückt werden durch Glauben und Hoffnung. Vgl. hierzu Hinkelammerts Reflexionen über den Zusammenhang des Opfers mit der Beweispflicht, der der Opfernde – im Christentum die Kirche – sich selbst unterwirft: Wenn das Opfer und sein mythischer Begründungszusammenhang sinnvoll sein soll, muß das intendierte Ziel: die Vernichtung Trojas, erreicht oder ins Unerreichbare prolongiert werden. In den gleichen Zusammenhang gehören das von Lyotard analysierte Konstrukt des vollkommenen Verbrechens, das nicht mehr aufzuklären ist, weil alle Beweise vernichtet wurden: Auschwitz – das Patriarchat?.)
    Beweislogik und Bekenntnislogik gehören zusammen mit Welt und Natur, Begriff und Objekt. (Frauen sind im Patriarchat nicht bekenntnisfähig und unterwerfen sich – wie die „verstockten“ Juden – nicht der Beweislogik, sie sind nicht zeugungsfähig -weder biologisch noch rechtlich. Frauen sind auch nicht erbfähig.)
    Zur Dialektik der Beweislogik: nach Horkheimer ist der Antisemit unbelehrbar.
    Es ist eine notwendige Konsequenz aus der Beweislogik, wenn Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, wie auch das Bekenntnis keine Absicherung gegen Gemeinheit enthalten kann („Heute ist schon jeder Katholik so schlau wie früher nur ein Kardinal“), für beliebige Zwecke nutzbar ist: Universal-Instrument, zusammen mit der Entdeckung des Raumes und der Erfindung des Geldes die größte Erfindung der Menschheit, aber zugleich ein Mittel zur Selbstzerstörung der Sprache und zur Abschaffung der Wahrheit, die beide nicht der Beweislogik unterliegen (Gott aber kennt die innersten Regungen des Herzens).
    Das mittelalterliche sic et non und die Ausbildung der Beweislogik.
    Der Intention nach ist jedes Verbrechen ein vollkommenes Verbrechen (jeder geht davon aus, daß er nicht erwischt wird). Und es sind nur die Dummen, denen es nicht gelingt. Und diese Dummheit wird bestraft.
    Wie hängen das Bekennen, das Beweisen und die Zeugenschaft zusammen? Ist der Vaterschaftsbeweis der erste Beweis, und ist das Zeugnis der Frauen vor diesem Hintergrund nicht akzeptabel (vgl. die Geschichte der Thamar)?
    Bezeugt sich das Bekenntnis selbst (vgl. die Jesus-Worte hierzu)?
    Glauben und Wissen.
    Womit handeln die Banken? die Frage wird beantwortbar, wenn man weiß, wie der Kredit mit dem Credo zusammenhängt (und wenn man weiß, weshalb es eine Banco di Spiritu Santo gibt).

  • 09.09.91

    „Ein unreiner Geist, der einen Menschen verlassen hat, wandert durch die Wüste und sucht einen Ort, wo er bleiben kann. Wenn er aber keinen findet, dann sagt er: Ich will in mein Haus zurückkehren, das ich verlassen habe. Und wenn er es bei seiner Rückkehr leer antrifft, sauber und geschmückt, dann geht er und holt sieben andere Geister, die schlimmer sind als er selbst. Sie ziehen dort ein ein und lassen sich nieder. So wird es mit diesem Menschen am Ende schlimmer werden als vorher.“ (Mt 1243ff, Lk 1124ff) Aber es gilt auch: „Seid also wachsam! Denn ihr wißt nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.“ (Mt 2442) und „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“ (Mt 2641) – „Als Jesus am frühen Morgen des ersten Wochentages auferstanden war, erschien er zuerst Maria Magdalena, aus der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte.“ (Mk 169)
    Beschreibt die Geschichte mit dem Tiefschlaf Adams und der Er-schaffung Evas aus einer Rippe einen innersprachlichen Vorgang, ein Hinweis auf den Ursprung der Sprache (nach der Namengebung das Du; Objekt und Adressat)? War die Benennung der Tiere ein Reflex der Benennung Adams, so bildet sich jetzt mit dem Du das Ich (vgl. den „Tiefschlaf“ Abrahams: „große, unheimliche Angst befiel ihn“ – Gen 1512).
    Spenglers Hinweis, daß in der modernen Welt die Musik die Stelle einnimt, die in der alten Welt die Statue einnahm, gibt Sinn, wenn man an die Bedeutung der Statue denkt: die Abgeltung des Menschenopfers und die Erinnerung ans Opfer. Die Musik ist die Abgeltung des Opfers der Sprache und die Erinnerung an dieses Opfer (die Erinnerung ans verinnerlichte Opfer). Insoweit ist die Musik auf eine ganz vertrackte Weise christologisch (antimythisch).
    Zum Begriff der Hebräer: „der Hebräer Abram“, seine Begegnung mit dem Pharao und Abimelech, dem Philisterkönig; bei welchen der zehn Plagen beruft sich Moses auf den „Gott der Hebräer“? An welchen Stellen in den Philisterkriegen werden die Israeliten von wem Hebräer genannt (Hebräer als Fremdbezeichnung, während die Selbstbezeichnung Israeliten ist – Zusammenhang mit der Abimelech-Geschichte bei Abraham und Isaak)? – Wer hat wann hebräisch gesprochen (die Schrift ist hebräisch, nur Zitate sind aramäisch)? – Steckt der Name Sara in Israel drin, ist Israel von Sara abgeleitet? Weshalb sind die Verwandten Abrahams keine Hebräer, sondern Aramäer?
    Ist nicht die Tatsache, daß auch Levi als ein besonderer Stamm erscheint, ein Hinweis darauf, daß auch soziale Schichten in der Schrift völkerähnlichen Status haben können? In Indien ist dieses Verhältnis im Kastenwesen gleichsam geronnen und fixiert worden. Sprechen die indischen Kasten auch unterschiedliche Sprachen?
    Was drückt sich darin aus, daß der Jahwist sowohl archaischer als auch jünger ist als der Elohist?
    Spricht nicht die Geschichte vom Handel Abrahams mit Jahwe über die Strafe gegen Sodom (was war die Sünde Sodoms?) dafür das Hinkelammert mit seiner Interpretation der Opferung Isaaks recht hat?
    In der Exodusgeschichte und in der Geschichte der Philisterkämpfe erweist sich die Selbstbezeichnung Israel als die Innenerfahrung dessen, was von außen Hebräer heißt. Hieran läßt sich die Differenz griechischen Geschichte aufzeigen: Während die Griechen nur den Unterschied zwischen der aktiven Selbst- und Fremdbezeichnung (Hellenen und Barbaren) kannten, handelt es sich bei den Juden um den Unterschied zwischen der passiven Selbst- und Fremdbezeichnung (Israeliten und Hebräer). – Grund zur Hoffnung, scheint mir, liegt darin, daß die Deutschgesinnten in aller Regel kein Deutsch können: Nur so ist der Sonderfall, daß ein Volk für sich nur die passive Fremdbezeichnung kennt (während der Gebrauch des Volksnamens als passive Selbstbezeichnung selbstzerstörerisch ist) nicht nur ein Verhängnis. Der Name der Deutschen ist nicht mehr als Name, nur noch als Reflexionskategorie verwendbar.
    Ist die raf eine biblische Zelotenbewegung?
    Das Objekt ist der besiegte Feind.
    Wer sind die Völker Kanaans, von den Hetitern bis zu den Jebusitern (Ursprung in den Genealogien)?
    – Gen 1519: Keniter, Kenasiter, Kadmoniter, Hetiter, Perisiter, Rafaiter, Amoriter, Kanaaniter, Girgaschiter, Hiwiter, Jebusiter;
    – Ex 317: Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter;
    – Ex 2323: ebenso
    – Ex 2328: Hiwiter, Kanaaniter, Hetiter;
    – Num 1329: Anakiter, Amalek, Hetiter, Jebusiter, Amoriter, Kanaaniter;
    Gottesnamen:
    – … aber unter meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen (sc. Abraham, Isaak und Jakob) nicht zu erkennen gegeben (Ex 63)
    – vor Pharao, vor Beginn der Plagen: „der Gott der Hebräer … und Jahwe ….“ (Ex 52)
    – Erste Plage (Wasser in Blut): „Sag zum Pharao: Jahwe, der Gott der Hebräer, hat mich zu dir gesandt …“ (Ex 716)
    – zweite Plage (Frösche): „So spricht Jahwe“ (Ex 726)
    – dritte Plage (Stechmücken): „… der Finger Gottes“ (Ex 815)
    – vierte Plage (Ungeziefer): „So spricht Jahwe“ (Ex 816)
    – fünfte Plage (Viehseuche): „So spricht Jahwe, der Gott der Hebräer“ (Ex 91)
    – sechste Plage (Geschwüre): ohne (Ex 98)
    – siebte Plage (Hagel): „So spricht Jahwe, der Gott der Hebräer“ (Ex 913)
    – achte Plage (Heuschrecken): „So spricht Jahwe, der Gott der Hebräer“ (Ex 103)
    – neunte Plage (Finsternis): ohne (Ex 1021)
    – zehnte Plage (Tod der Erstgeburt): ohne (Ex 1229)
    Melchisedech ist der König von Salem, die Opferung Isaaks fand auf dem Berge Morija statt.
    Die Geschichte vom Traum mit den sieben fetten und den sieben mageren Jahren hat ihre Erfüllung in der Geschichte von den sieben fetten Jahren, in denen der Pharao sich die Überschüsse der Ernte des Landes aneignet, und den sieben mageren Jahren, in denen Joseph die Armut des Landes ausnützt, um die Bauern ins Eigentum des Pharao zu überführen, nachdem sie ihr Geld, ihr Vieh und schließlich ihr Land gegen das Getreide in Zahlung gegeben haben. Das ganze erinnert an den Satz Hegels, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut zu steuern, oder auch an die Geschichte von der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals. – Gab es in Ägypten Gefängnisse, und aus welchem Grunde? War es ein Ort für Schuldgefangene, für Straftäter, für politische Häftlinge?
    Was reimt sich auf Dorn: Horn, Korn, Born, Zorn, vorn.
    Schneisen durch den Dschungel der neuen Unübersichtlichkeit?
    Andere führen ihren Hund spazieren, ich führe meinen Gott spazieren; aber der holt mir nicht jeden Knüppel zurück.
    Ist es nicht so, daß die Kirche dort, wo sie zu lösen vorgibt, bis heute immer nur gebunden hat, und das aus eben jenem Kleinglauben, der sich heute zur realen Verzweiflung und zur Selbstverfluchung auswächst?
    Die spezielle Relativitätstheorie rückt das Zentrum des Systems in jene Lücke im System, auf die das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hinweist, d.h. auf ein im strengen Sinne systemtranszendentes Element.
    Es gibt auch eine historische Anwendung des Inertialsystems, deren Strukturgesetz wird einerseits durch die transzendentale Logik Kants, andererseits durch die Hegelsche Logik des Begriffs beschrieben.
    Der Unterschied zwischen der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der antiken Schuldknechtschaft scheint darin zu liegen, daß, während diese sich aus der Eigenlogik der wirtschaftlichen Entwicklung ergab, jene etwas Gewolltes und bewußt Angestrebtes war, wobei jedoch auch hier der Wille sich am Ende nur als ein Moment im System erwies.
    In welcher Beziehung steht der Turmbau zu Babel zur Regenbogengeschichte?
    Der Beweiszwang entspricht dem Bekenntniszwang, beide vertreiben die Erkenntnis, die Einsicht aus der Wahrheit. Das ist der Grund für das Mißlingen jeglicher Apologetik.
    Die moderne Astronomie versündigt sich gegen das Herrschaftsgebot der Genesis, indem sie nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel versucht sich untertan zu machen. Allerdings hat hier die Theologie in der Geschichte der Dogmenentwicklung die nötige Vorarbeit geleistet. – Gott hat den Menschen nach seinem Bilde erschaffen; der Mensch hat den ganzen Kosmos dem Bilde der Erde nachgebildet (und so dem Totalitätsbegriff der Natur unterworfen).
    Titelvorschlag: Objektivation und Instrumentalisierung?
    Wie steht es mit den Realien zu den Geschichten Rut, Judit, Ester, Tobit, Hiob, Jonas? Sind die historischen Überlagerungen vergleichbar mit denen der Abraham-Geschichte? (Nach Franz von Baader hat die Schrift insgesamt apokalyptische Bedeutung.)
    Die Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen (die babylonische Sprachverwirrung) in der Theologie.
    Idolatrie und Opfer gehören zur Genese des Eigentumsbegriffs. Und diese Geschichte des Eigentumsbegriffs wird fundiert und abgesichert durch Geschichte und Struktur des Weltbegriffs. Die Phasen dieser Geschichte lassen sich ablesen an den Gestalten der Kulturen (der Religionen und der Kulturen, bevor sie durch den Säkularisationsprozeß neutralisiert und musealisiert worden sind). Religionen sind geronnene Formen der subjektiven Verarbeitung der Eigentums- und Rechtsgeschichte. Der heutige Atheismus ist darauf zurückzuführen, daß die Verdrängung heute soweit gediehen ist, daß man glaubt, diese Verarbeitung nicht mehr nötig zu haben.
    Bei Heinsohn hängt die Naturkatastrophentheorie, aus der er dann die Genese des Opfers (den Ursprung des Monotheismus und des Geldes) ableitet, erkennbar mit seinem Ökonomiebegriff zusammen, aus dem er die genetischen Zusammenhänge weiterhin heraushalten möchte. Deshalb braucht er die Naturkatastrophen als Mittel der Erklärung.
    Ist die lateinische Version des christlichen Dogmas römische Rechtsmystik (Person- und Eigentumsmystik)? Wenn die Person durch ihr Verhältnis zu anderen Personen und zum Eigentum definiert wird, und diese Verhältnis als allgemeines sich im Geld vergegenständlicht, dann gab es für das Christentum keine andere Form der Auseinandersetzung mit dem Mythos als die der Überwindung (nicht der Reflexion, die durch den geschichtlichen Kontext versperrt war). Die Reflexion des Mythos hätte zwangsläufig dem Dogma den Boden, den Grund entzogen. Durch die bloße Überwindung des Mythos hat dieser sich im Dogma (nachdem er unkenntlich geworden ist) reproduziert.
    Entspricht das, was Hinkelammert als Schuldenautomatik analysiert, dem, was heute in der Astronomie „schwarze Löcher“ heißt?
    Arbeit ist die Sühne für die Schuld, nicht Eigentümer zu sein; der Eigentümer ist der Erlöste; und Sünde ist alles, was dem Streben nach Eigentum im Subjekt selbst im Wege steht. Deshalb ist heute Mitleid, Empathie Sünde.
    Die Opfertheologie stützt den Eigentumsbegriff und den Rechtsstaat.
    Die endgültige Trennung von Begriff und Objekt gründet in der Verselbständigung des Objekts, die durch die reinen Formen der Anschauung vermittelt ist. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.“ In diesem Zustand ist der Islam geblieben, weil er das Verhältnis der Arbeit zum Sündenfall (Arbeit als säkularisierter Kampf gegen den Sündenfall) nicht kennt. (Vgl. die Hegelsche Bemerkung über den prosaischen Charakter der modernen Kleidung in seiner Ästhetik.)
    Das „die Schuld der Welt auf sich Nehmen“ schließt den Abstieg zur Hölle mit ein.
    Die Welt ist die Welt des potentiellen Eigentums (nach universaler Ausbreitung des Tauschprinzips), die Natur die der gegenständlichen Objekte (Produkt der unendlichen Ausdehnung des Raumes).
    Daß sich Hegel zufolge der Begriff in der Natur nicht halten kann, reproduziert sich im Absoluten als die Trunkenheit aller seiner Glieder.
    „Sein Erlauten“ (Buber) statt „Spruch des Herrn“: Buber ist nicht selten (sowohl in der Bibel-Übersetzung als auch in seinen theologischen Schriften) der Verführungskraft einer Archaik erlegen, die auf feudale Verhältnisse zurückweist; deren Erbe ist aber ist die Verwaltung, nicht die Theologie.
    Büchner: „Wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.“ – „Ich fühle mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte.“ – „Mit einem Lachen ergriff der Atheismus in ihm Platz.“

  • 08.09.91

    Woher kommt die Differenz zwischen dem Abraham- und Ödipus-Mythos (Hinkelammert)? Was drückt sich in dem mythischen Kinder-(Sohnes-)Opfer aus? Woher kommt der Zwang, die Söhne/Töchter „durchs Feuer zu führen“? Ist es nur die Begründung eines Erfolgszwangs (das Opfer muß wahr sein, deshalb muß das damit angestrebte Ziel auch erreicht werden). Wer ist der „Sohn“, die „Tochter“? Hängt das mit der Bedeutung, die die „Tochterstädte“ im Rahmen des antiken Kolonialismus hatten, zusammen (in diesen Tochterstädten ist im übrigen die Philosophie entstanden, die dann erst in die Metropole zurücktransportiert wurde)?
    Zur Vorgeschichte Jerusalems: Melchisedek war der „König von Salem“; die Opferung Isaaks fand auf dem Berge Morija statt (dem späteren Tempelberg).
    Führt Gorbatschow sein Land (und führen die neuen Regierungen in den anderen ehemaligen Ostblockländern ihre Länder) bewußtlos in die gleiche Schuldenautomatik hinein, in der jetzt die lateinamerikanischen Länder zugrundegehen? Rächt sich hier ein zweites Mal das herrschaftssoziologisch (und bekenntnislogisch) bedingte Unvermögen, den Marxismus als Analyse-Instrument zu nutzen (anstatt als Herrschaftsinstrument, als welches er zu Recht gescheitert ist). Kann es darüber hinaus sein, daß die Nutzung als Analyse-Instrument nach dem bis heute rätselhaften Diktum Benjamins ohne die Hilfe der Theologie (die so zur Befreiungstheologie wird) nicht möglich ist?
    Entkonfessionalisierung der Kirchen heißt, daß die Kirchen auf das Instrument des Bekenntniszwangs verzichten, d.h. daß sie darauf verzichten, ihre Gläubigen in die Bekenntnis-(Verblendungs-)falle hineinzuführen, in der sie glauben, von dem „Bekenntnis zu“ (zur Gottessohnschaft Jesu, zur Trinitätslehre, zur Jungfrauengeburt, woraus dann die Bekenntnisse zur Nation, zur FDGO, zur Familie, zur Partei, zum Verein: generell zu irgendeiner Gemeinschaft, sich herleiten) hinge überhaupt irgend etwas ab. Diese Bekenntnisfalle wirkt inhaltsunabhängig, d.h. sie ist marxistisch, in jedem Falle antisemitisch (dem strukturellen Kern jeder Bekenntnisfalle), nationalistisch, sowie in jeder „Fan“-Automatik (bis hin zu den Hooligans) nutzbar: sie ist die genaueste Gestalt dessen, was heute Idolatrie heißen müßte. Ihre Verführungskraft liegt darin, daß sie durch eine der Komplizenschaft vergleichbare projektive Feindbild-Automatik vom Tötungsverbot dispensiert, ohne Schuldgefühle wachzurufen (die verdrängte Schuld verstärkt die gemeinschaftsbildende Bindungskraft des Bekenntnisses zusammen mit der Aggressivität nach außen: Ursprung des historischen Objektivationsprozesses).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie