Hitler

  • 8.10.1995

    Die Wendung, daß eine Sache gegenstandslos (geworden) sei, ist aufschlußreich: Entsteht das steinerne Herz nicht genau dort, wo die Barmherzigkeit gegenstandslos wird? Die Logik, die die Barmherzigkeit gegenstandslos macht, ist erstmals in der Kritik der reinen Vernunft zum Gegenstand der Untersuchung geworden.
    Der Begriff der Erkenntnis ist heute auf einem Felde angesiedelt, auf dem die Theologie nur verlieren kann. Da hilft keine Apologetik mehr. Nicht auf die Verteidigung der Theologie kommt es an, sondern auf verteidigendes (parakletisches) Denken als Organ der Theologie.
    Die Hoffnung, daß das Problem des Faschismus auf biologischem Wege, durch Aussterben der Nazis, sich löst, trügt nicht nur, sondern ist selbst ein faschistisches Konstrukt. Es gibt keine Gnade der späten Geburt. Und das Grauen, das der Faschismus benennt, ist eins, das erst in zweiter Linie von Personen ausgeht. Der Faschismus pflanzt sich über Strukturen fort.
    Der alte deutsche Rechtsgrundsatz „mitgefangen, mitgehangen“ lebt in den Terrorismusprozessen wieder auf. Es erübrigt sich, Birgit Hogefeld auch nur eine der Taten, deretwegen sie angeklagt ist, nachzuweisen, sie ist schon durch ihr Bekenntnis zur raf überführt. Die Kritik des Begriffs der Kollektivschuld und seine Ersetzung durch den der Kollektivscham hat das zugrundeliegende Problem nur verdrängt, nicht gelöst. Die verdrängte Kollektivschuld kehrt hier in veränderter Konstellation (in instrumentalisierter Gestalt) wieder (und wie wirkt sich diese veränderte Konstellation auf die Kollektivscham, die Zwillingsschwester der Kollektivschuld, aus?).
    Hitler als Generalprobe: zum historischen Faschismus gehört das Radio, mit dem Fernsehen hat er sich nicht in der Substanz, wohl aber in seinen Erscheinungsformen verändert; Hinweis auf eine Geschichtsphilosophie des Hörens und Sehens?
    Drei Formen der transzendentalen Ästhetik:
    – Raum und Zeit: die Naturwissenschaften subsumieren das Vorn unter das Hinten,
    – das Geld: der Kapitalismus subsumiert die rechte unter die linke Seite, und
    – die Bekenntnislogik: das Dogma und die Opfertheologie subsumieren die obere unter die untere Welt.
    In jedem Falle wird die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes lebt davon, daß es Unterstellungen und Formen des Verdachts gibt, die sich nicht widerlegen lassen. Das heißt nicht, daß sie wahr sind. Die Materie ist der apriorische Gegenstand des Verdachts, der Raum die hypostasierte Form der Unterstellung.
    Das Dogma hat die Idee der Ewigkeit in den Begriff des Überzeitlichen transformiert. Zu den Rahmenbedingungen dieser Transformation gehören das Urschisma, die Bekenntnisform der Orthodoxie und die Verurteilung der Häresien. So ist es zur Ursprungsgestalt des Inertialsystems geworden. Das Inertialsystem ist eine Metamorphose des Dogmas. Die innere Beziehung des Dogmas zur Zeit ist ein Teil seiner weltkonstituierenden Funktion.
    Gutachten: Die Wahrnehmung, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, reicht weit über den Bereich des Strafrechts hinaus; sie bindet den Wahrheitsbegriff an die Prinzipien der Beweislogik und an die Urteilsform, sie ist die Grundlage der indikativischen Fassung des Wahrheitsbegriffs und gehört so zu den gemeinsamen Prämissen sowohl der dogmatischen Theologie, des Begriffs der Orthodoxie, als auch des Begriffs wissenschaftlicher Erkenntnis und Objektivität. Gemeinheit aber ist allein in theologischem Kontext bestimmbar, im Bereich der Gotteserkenntnis: sie trennt das strenge Gericht von der Barmherzigkeit. Wer die Gemeinheit ins Unerkennbare verschiebt – und das ist die Existenzbedingung des Staates -, macht die Barmherzigkeit gegenstandslos („Beweis“: die Verhältnisse in den Knästen, aber auch vor Gericht, insbesondere im Staatsschutzbereich). Der logische Kern des Dogmas ist nicht zufällig die Opfertheologie. Aber auch gegen das Dogma gilt der prophetische (und prophetische Erkenntnis begründende) Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer.
    Was heißt und woher kommt der Begriff „infam“? Nach Kluge stammt es aus der gleichen Wurzel wie „diffamieren“ (verunglimpfen; von fama, ‚Gerede, Gerücht‘). Das Präfix in- bezeichnet (bei Adjektiven) sowohl die Negation (indiskret) als auch das ‚hinein‘ (instituieren). Infam ist der als wahr unterstellte Verdacht (der das Angesicht Gottes gegenstandslos macht: es gibt kein Herz, in das nur Gott sieht, kein An-sich der Dinge).

  • 14.9.1995

    Lichtgeschwindigkeit, Plancksches Wirkungsquantum und elektrische Elementarladung verhalten sich wie Raum, Zeit und Materie (oder wie Mechanik, Elektrodynamik und Gravitation), sie stehen in der gleichen logischen Beziehung. Auflösung anhand der Logik des Raumes: der wechselseitigen Begründung von Linearität (intentio recta), Orthogonalität (Asymmetrie) und Reversibilität (Spiegelung)?
    „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“: Die Lehre von der Auferstehung der Toten ist die Antwort auf die Transformation des Perfekts ins Vergangene.
    Wenn Mord nicht nur ein Tat-, sondern als Täterdelikt zugleich ein Gesinnungsdelikt ist (zu den Tatbestandsmerkmalen gehören „niedrige Beweggründe“), und wenn kein Verbrechen in vergleichbarem Maß den Rachetrieb (und in ihm die Logik der Personalisierung) weckt (vgl. den vorstaatlichen [und vorweltlichen] Zusammenhang der Blutrache mit der Ursprungsgeschichte des Opfers), so läßt sich daran der Schuldzusammenhang ablesen, der der Konstruktion des Staates zugrunde liegt, dessen Instrumentalisierung der Staat ist (im Kern des Weltbegriffs, der ersten „Schöpfung“ des Staates, steckt ein verdrängter Mord: Deshalb gehört die Geschichte der Kosmogonien und Kosmologien zur Ursprungsgeschichte des Staates).
    Rechtfertigung als Selbstzerstörung: Der Objektivationsprozeß als Instrument der Selbstrechtfertigung des Bestehenden, oder der Urknall, die Hohlraumstrahlung (der schwarze Körper), das schwarze Loch.
    Heinsohns Ableitung des Holocaust ist noch zu harmlos: Der Antisemitismus als genereller (apriorischer) Freispuch des Tötens brauchte von Hitler nicht erfunden werden, er gehört zu den Grundlagen des Staates, und das jüdische Tötungsverbot ist ein Angriff auf den Staat.

  • 1.9.1995

    Haben die Pforten der Hölle etwas mit dem Tor, dem Ort der Versammlung und des Gerichts (mit der ecclesia), zu tun? War die agora das ins Innere der polis verlegte Tor, und entspringt der Handel dem Bereich des Gerichts?
    Die ecclesia, die Kirche, war eine säkulare, keine religiöse Institution, die Nachfolgerin der Versammlung am Tor. Wie weit klingt das im neutestamentlichen Gebrauch des Begriffs der ecclesia noch nach (insbesondere bei Mt, in der Apg und in der Off)? Das mulier taceat in ecclesia wäre dann nicht auf den sakralen Ort, sondern auf diese „Versammlung“ zu beziehen. Daß die Kirche dann Nachfolgerin des Tempels (mit Opfer und Allerheiligstem) geworden ist, läßt sich aus ihrem Ursprungsbegriff nur im Kontext ihrer kosmologischen (weltkonstituierenden) Funktion ableiten. Die Resakralisierung der Kirche, der neue Opferbegriff, war das Korrelat der Verzauberung der Welt, die das Objekt und die Voraussetzung der modernen Aufklärung war.
    Ecclesia wird in der Regel in der Apostelgeschichte mit Kirche, in der Johannes-Apokalypse hingegen mit Gemeinde übersetzt. Werden hier nicht Spuren verwischt? Seit diesem Präzendenzfall glauben Theologen und andere kirchliche Autoritäten (seit dem Ende des Faschismus auch Laien, an denen Adorno schon wahrgenommen hat, daß sie heute bereits so schlau sind wie früher nur ein Kardinal) den Autoren der Schrift vorschreiben zu können, was sie „eigentlich“ gemeint haben.
    Der Protestantismus hat aus der zum Tempel gewordenen Kirche eine Synagoge (den Ort einer neuen Nationalreligion) gemacht.
    Wann und auf welche Weise ist aus der Versammlung am Tor das synhedrion, der Hohe Rat, geworden? Hat nicht Pilatus wieder am Tor gesessen, mit der Versammlung als Chor? War das der Gründungsakt der Kirche?
    Der Weltbegriff begründet und sanktioniert den Konkretismus und die Personalisierung (Personalisierung und Konkretismus sind die Verführungen zur Sünde der Welt: die Kehrseite der Instrumentalisierung). Deren Kritik setzt die kritische Reflexion des Weltbegriffs voraus. Aber ist diese Kritik heute nicht versperrt? Was die Reflexion des Weltbegriffs verhindert, ist die Grenze zur Vergangenheit, die der Faschismus (als Instrument der Vergesellschaftung der Naturwissenschaften), der die Zukunft ausgelöscht hat, in Deutschland neu definiert hat. Dem Fluch der „Gnade der späten Geburt“ vermag keiner der Nachgeborenen zu entrinnen: gemeinsam mit der ebenso ungeheuerlichen Bekenntnislogik, die nur noch verurteilt, nicht mehr begreift, schirmt die Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen ist, diese Vergangenheit gegen jede Reflexion ab; diese Vergangenheit ist nur noch vergangen, der sich identifizierenden Erinnerung nicht mehr zugänglich. Das ist der letzte Sieg Hitlers.
    Die intentio recta ist in ihrem Ursprung durch die Internalisierung der Schicksalsidee, in ihrer modernen Gestalt durch die Ohrenbeichte, das Zölibat und das Konstrukt des Fegfeuers (die verzauberte Welt als Ursprungsort des Inertialsystems) vermittelt.
    Der Sabbat als Symbol der Lehre: Hat nicht der Sabbat (wie dann auch der Indikativ der Lehre) Gott von der Last des Imperativs befreit? Die Ruhe des Sabbats ist das Gegenteil der Friedhofsruhe (und der Indikativ der Lehre das Gegenteil des historischen Indikativs). Sind nicht die antisemitischen Grabschändungen ein apokalyptisches Symbol? Grabschändungen sind Mutproben im Anblick der Idee der Auferstehung der Toten, an die keiner mehr glaubt.
    Die kopernikanische Wende hat in der Natur die Friehofsruhe hergestellt (und mit dem Himmel die Erinnerung an den Sabbat zerstört).
    Kommt die Wendung „unter der Sonne“ noch an anderer Stelle, außerhalb des Buches Kohelet, vor, und was bedeutet sie (dazu gehört das „nichts Neues“, die Leugnung der Zukunft)?
    Haben die Sterne des Himmels etwas mit den himmlischen Heerscharen zu tun, und sind die Planeten die Wächter dieser Heerscharen (die Versiegelung des Abgrunds, aber auch der Schlüssel zum Abgrund)?
    Beerscheba: Schwurbrunnen und Siebenerbrunnen. Hat das etwas mit den Planeten zu tun?
    Ist der Bogen eine Spiegelung des Gewölbes an den Wolken?
    Das Moment der asymmetrischen Spiegelung aus seiner trinitarischen Gefangenschaft befreien. Ist die Trinitätslehre der Bogen in den Wolken am Himmel der Geschichte, der das Ende der Sintflut des mythischen Zeitalters anzeigt?
    Franz Rosenzweig hat einmal die Vermutung geäußert, daß, wenn ein Christ den Stern der Erlösung geschrieben hätte, er ihn in der Sprache des Neuen Testaments geschrieben hätte. Hier irrte R.: Das Neue Testament hat keine eigene Sprache, seine Sprache ist die des Alten Testaments, und nur wer diese wiedererweckt, bringt das Neue Testament zum Sprechen. Das Neue Testament ist kein Problem der Sprache, sondern eines der Logik der Schrift; deshalb ist es bis Hegel als Offenbarung der Trinitätslehre begriffen und erfahren worden.
    Die Trinitätslehre ist die Endlösung eines logischen Problems, aus dessen Bann wir nur mit Hilfe von Joh 129 werden heraustreten können. Voraussetzung wäre, daß Joh 129 ins Nachfolgegebot mit hereingenommen wird. Die Trinitätslehre ist die Ursprungsgestalt der Idee des Absoluten, und diese das Produkt der Selbstreflexion der Subjektivität im Unendlichen. Die Einheit des Absoluten (die in der Trinitätslehre durch die homousia garantiert wird) ist das Bild der Einheit des Subjekts (und deren erster Repräsentant der Monarch, der Kaiser Konstantin).
    Wenn die Beziehung von Vater und Sohn die einer asymmetrischen Spiegelung ist, welche Bewandnis hat es dann mit der Beziehung von Vater und Tochter, von Mutter und Sohn? Gibt es so etwas wie eine doppelt asymmetrische Spiegelung (Ergänzung der genealogischen durch die Geschlechterspiegelung)? Und liegt hier nicht das Problem und die Kraft der feministischen Theologie?
    Die Psychoanalyse war der erste Versuch, das Problem der doppelt asymmetrischen Spiegelung (am Beispiel der Hysterie) zu lösen.
    Verweist nicht der apokalyptische Unzuchtsbecher auf dieses Problem der doppelten Spiegelung, liegt hierin nicht die Differenz zum Zornes- und Taumelbecher (männlich und weiblich schuf er sie)?
    Liegt hier der Grund, weshalb die Frage des sexuellen Mißbrauchs von Kindern (real und in der öffentlichen Aufmerksamkeit) nach dem Krieg öffentlich geworden ist, öffentliche Relevanz gewonnen hat?
    Die Vater-Sohn-Beziehung (die Genealogie) war ein Konstrukt zur Stabilisierung des Zeitkontinuums (der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit), die Vater-Tochter-Beziehung sprengt das Zeitkontinuum. War die Tochter Zion die erste Reflexionsgestalt dieses Problems (und das Hohelied der Focus)? Vgl. die übrigen Tochter-Stellen (von den Töchtern Adams, den Menschentöchtern, über die Töchter Noes bis zu den Töchtern Jerusalems und Zions; vgl. auch den „einzigen Sohn einer Witwe“ und die Tochter des Jaïrus). Wann hat in der biblischen Symbolik die Tochter (Jerusalems oder Zions) die Gattin (JHWHs) ersetzt? Rührt das nicht an das Wer im Namen des Himmels, das Feuer?
    Waren nicht die Kirchenväter in der Regel die Söhne frommer Mütter (Basilius und Gregeor, Augustinus, auch Konstantin), während die Ordensgründer fromme Schwestern hatten (Benedikt, Franziskus)?
    Zu Basilius: Der Regenbogen ist auf die Vater-Sohn-Beziehung anwendbar, nicht auf die Vater-Tochter-Beziehung. Ist der Bogen ein Symbol des Patriarchats?
    Zur Trinitätslehre: Hat der Vater im Himmel und der Geist auf Erden den Sohn gezeugt? Wie aber kann dann der Geist „aus dem Vater und dem Sohne“ hervorgehen. Steckt darin nicht das Problem der doppelt asymmetrischen Reflexion, das Rätsel des Raumes, auf das die Trinitätslehre versiegelt ist? Die Form des Raumes ist das Instrument des Bildes, der Grund der Logik der Instrumentalisierung.
    Das tohu wa bohu (wüst und leer) ist eine asymmetrische Spiegelung, ein Bild der Vater-Sohn-Beziehung, während die Logik der Tochter-Beziehung auf den Geist verweist. Gibt es eine Hilfe zur Auflösung dieses Strukturproblems in der Apokalypse? Hängt die Rezeption der Opfertiere mit diesem Strukturproblem zusammen: Ist die Verdrängung des Stieres, des Rindes, eine Folge der Ersetzung des Namens durch die Vater-Sohn-Beziehung? Verweist nicht das Spottbild vom gekreuzigten Esel auf die Esel-Lamm-Beziehung, und kehrt nicht die Taube in der Gestalt des Geistes wieder?
    Das Tor/der Tor: Die Versammlung im Tor ist durch die Herrschaft Babylons zu einer Versammlung von Toren (idiotes) geworden.
    Gehört nicht zur Vorgeschichte des Buches Rut (Rut war eine Moabiterin) die Geschichte von den Töchtern Lots (die ihren Vater trunken machen, um die Generationenfolge sicherzustellen) und von Lots Weib (die im Anblick der Katastrophe zur Salzsäule erstarrt)?
    Ist die Magd des Herrn nicht die Gottesknechtin (ein Übersetzungsproblem ähnlich den sieben „Gemeinden“ in Asien, die eigentlich Kirchen sind)?
    Als Juda von der Schwangerschaft seiner Schwiegertochter Tamar erfuhr, sollte sie verbrannt werden (1 Mos 3824). Warum nicht gesteinigt? – Die Thora sieht in der Regel die Steinigung als Todesstrafe vor, nur in 3 Mos 2014 (wenn ein Mann eine Frau heiratet und ihre Mutter dazu, so ist das eine Schandtat), ebd. 219 (wenn sich die Tochter eines Priesters durch Unzucht entweiht: sie entweiht ihren Vater) und Jos 715 (wer im Besitze des Gebannten betroffen wird, den soll man verbrennen samt allem, was er hat) ist das Verbrennen vorgesehen.
    Die physikalische Unsterblichkeit, auf die selbst die Herder-Korrespondenz jetzt hinzuweisen sich gedrängt fühlt, wirft endlich das nötige Licht auf eine Idee des Absoluten, die an dieser Art der Aufhebung, der subjektlosen Erinnerung, der Ästhetisierung ihre Substanz hat. Die Idee der Unsterblichkeit bezieht sich nicht auf das mediale Überleben in einem Buch oder in einem Computer (die ebenso zerstörbar sind wie die physische Existenz der Menschen).
    Der Urknall hat mehr mit Auschwitz und mit Hiroshima (mit der Apokalypse) zu tun als mit dem Schöpfungsbegriff. Zu den Konstituentien der Vorstellung vom Urknall gehört die Logik der Spiegelung, die die virtuelle Zeitumkehr (als Grund der transzendentalen Ästhetik) mit einschließt: Der Urknall projiziert das Ende in den Anfang.
    Hat nicht das Vater-Sohn-Problem etwas mit der Gravitation, das Vater-Tochter-Problem mit der Elektrodynamik zu tun? Das würde ein Licht auf die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie werfen.
    Die „liebende Zustimmung Marias“ zum Foltertod ihres Sohnes am Kreuz (sh. Weltkatechismus) erinnert an den verordneten Stolz der Mütter, die beim „Heldentod“ ihrer Söhne im letzten Krieg nicht einmal mehr trauern durften. Das Vaterland erträgt keine Trauer über das, was es anrichtet.
    Wie würden wir diese Welt wahrnehmen, wenn es kein Fernsehen gäbe? Wer könnte sie ohne diese Dauerablenkung, diese organisierte Dauerverdrängung, noch ertragen?

  • 10.8.1995

    Die Welt konstituiert sich im Kontext von Herrschaft.
    Die Aufteilung der Welt durch die Logik der Medien in Fakten und Meinungen verwischt u.a. den Unterschied zwischen Skandal und Sensation, sie öffnet die Schleusen des Geschwätzes. Zugrunde liegt die Trennung von Ding und Sache, die am Ende dazu führt, daß die Sache aus dem Blick verschwindet.
    Der Weltbegriff läßt sich durch seine Kraft der Selbstlegitimation definieren. Vorausgesetzt ist die Neutralisierung des Subjekts zum abstrakten Selbst, zur abstrakten Identität: Diese Identität ist der Ort der Eins, an dem die Wasser sich sammeln, damit das Trockene sichtbar wird. Und dieses Sichtbarwerden des Trockenen ist die Selbstlegitimation, die Selbstbezeugung der Welt.
    Drückt das Bubersche „er rief“ (anstelle des sonst üblichen „er nannte“) nicht etwas von der katastrophischen Qualität des Schöpfungsberichts aus? Der Rufende ist der Einsame (der „Rufer in der Wüste“), das Rufen Ausdruck das des Verlangens nach einem, der antwortet.
    Die Opfertheologie leugnet die göttliche Barmherzigkeit, macht Gott zum Angeklagten. Nur im Kontext der Opfertheologie gibt es eine Theodizee.
    Der Verzicht auf die Reflexion der Form des Raumes löscht die Erinnerung an die Barmherzigkeit, sie entzieht der Reflexion von Herrschaft den Boden, sie ersetzt das Hören durch den Gehorsam: Sie zerstört den Grund der Sprache: den Gottesnamen. Ist nicht die ganze Geschichte des Christentums in diese Geschichte verstrickt?
    Zum theologischen Problem der Beweislogik: Die Theodizee macht Gott (durch das Mittel der Beweisumkehr) zu einem Objekt des Schuldverschubsystems (und die Reversibilität aller Richtungen im Raum macht die Form des Raumes zum Grund der Möglichkeit der Beweisumkehr: der „List der Vernunft“).
    Das Theodizeeproblem hat ebensowenig mit Gott zu tun wie der Antisemitismus mit den Juden.
    Die Idee der Wahrheit läßt sich ohne Erkenntniskritik nicht fassen: Sie schließt die Idee der Umkehr und den Begriff der Erlösung mit ein.
    Die Beweisumkehr versetzt den Ankläger in den Anklagezustand, sie macht das Recht zu einem Gnadenakt. Diese konformismuserzeugende Logik (die selbstlegitimatorische Logik des Weltbegriffs) liegt der Vertauschung von Genitiv und Dativ zugrunde.
    Die theophoren Namen im Hebräischen sind ein Hinweis darauf, daß die Sprache im Gottesnamen gründet. Erst die indoeuropäische Sprachlogik hat diesen Grund verstellt (blinder Fleck).
    Jesus hat nicht die Geldwechsler, sondern die Bänker aus dem Tempel vertrieben. Gehört nicht die Ezechiel-Geschichte über die Greuel im Tempel zur Vorgeschichte dieser neutestamentlichen Geschichte?
    Das Pfingstfest hat im Bilde der Feuerzungen das Feuer des Himmels mit der Sprache verbunden, sie zur Quelle der befreiten Sprache gemacht. Auf eine andere Beziehung der Zunge zum Feuer verweist der Jakobusbrief. (Die Beziehung des Feuers zum Raum ist ein Bild der Beziehung der Sprache zum Raum.)
    Der Kelch von Gethsemane: Ist er das Symbol für die Theologie (als Theologie hinter dem Rücken Gottes)? Und ist der Wille des Vaters die Theologie im Angesicht?
    Prophetie und Apokalypse – Buber und Scholem (Goodman-Thau: Zeitbruch, S. 161ff):
    – Prophetie wird durch den Weltbegriff zur Apokalypse;
    – Buber: Religion als Kuschelecke; Scholem: kein „Positivist“, sondern Wissenschaft als Schutz; mir waren die „rücksichtslosen“ Juden immer die liebsten (Rosenzweigs Briefwechsel mit Rosenstock-Huessey; Scholems Essay über Deutsche und Juden, seine Kritik des christlichen Erlösungsbegriffs);
    – Rosenzweig: Scholem ist dort, wo wir hinwollen (in einem Brief);
    – Thieme: Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe;
    – auch die Apokalypse steht unter Levinas‘ Bemerkung zum Indikativ (Gott korrigiert das Mißverständnis des Jonas);
    – nicht das Weltgericht Hegels ist das Jüngste Gericht, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht;
    – postapokalyptische Gestalten: Jonas (Tobias, in dem das Buch Jonas zurückgenommen wird, ist kein kanonisches Buch) und Maria Magdalena.
    Apokalypse kein Angstmacher, sondern ein Mittel der Angstbearbeitung.
    Zu Scholems Apokalyptik: Das „rabbinische“ Wort, wonach, wenn der Messias kommt, eine geringfügige Veränderung die Welt erlöst, stammt von Scholem.
    „Der Chassidismus ist das beste Beispiel dafür, daß das Leben die Lehre bestimmt, und nicht die Lehre das Leben, wie Scholem es wahrhaben will.“ (S. 168) – Ist das wirklich eine Alternative? Verhalten sich nicht Leben und Lehre wie Finsternis und Licht: Die Lehre bringt Licht ins Leben, aber das Leben ist die nach dem Licht verlangende, es insoweit definierende Finsternis („… der ich das Licht bilde und schaffe die Finsternis“ – Jes 457)? Der brennende Dornbusch ist das Paradigma meines Faschismus-Studiums: das brennende Innere der Profangeschichte ist der Ort der Selbstoffenbarung Gottes. Ist nicht das Licht, das in der Auseinandersetzung mit der Finsternis (mit der Welt) sich bildet, immer neu und zugleich das Medium der Tradition?
    Die Welt ist der Inbegriff des Seins für Andere und des Andersseins: Korrelat der Herrschaftsgeschichte, und so ist es der Inbegriff der Finsternis, der die Tradition immer neu abgewonnen werden muß.

  • 14.7.1995

    Der Wertbegriff und das moralische Urteil sind Instrumente des Konkretismus und der Personalisierung.
    Haben nicht die Erklärungen der raf etwas von ad-hoc-Stellungnahmen: Sie liefern Rechtfertigungen, keine Begründung.
    Der Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ ist kein indikativischer Satz, er gilt nicht zu allen Zeiten und an allen Orten. Wahr ist er nur in einer bestimmbaren Konstellation, und zwar als Imperativ: Rache ist nicht deine Sache.
    Auch das Dogma ist nicht an sich unwahr, aber es wird unwahr im Bann der indikativischen Logik (im Bann des „Logozentrismus“).
    Jede Personalisierung ist atheistisch. Ihr Grund und ihr Telos ist der Antisemitismus (der Jude ist der Schuldige an sich). Und der verbreitete Nachkriegs-Atheismus ist ein posthumer Sieg Hitlers. Nur: Die ans Konfessionsprinzip gebundenen Kirchen sind ohnmächtig gegen diesen Atheismus.
    Die kritische Reflexion des Weltbegriffs rührt auf eine doppelte Weise an die Wurzeln des Christentums. Der Weltbegriff bezeichnet die differentia specifica, durch die das Christentum innerhalb der jüdischen Tradition von dieser Tradition sich unterscheidet, während die kritische Reflexion des Weltbegriffs den Bann löst, unter dem abrahamitischen Religionen bis heute stehen.
    Hegel hat einmal auf den merkwürdigen Sachverhalt hingewiesen, daß der Begriff Geschichte sowohl die historischen Ereignisse als auch ihre schriftliche Objektivierung bezeichnet. Und er hat recht: Die Geschichte konstituiert sich als vergangene Geschichte durch die Geschichtsschreibung. Dieser Vorgang ist ein weltkonstituierender Akt (sprachlogisch ist das Präsens durchs Präteritum vermittelt). In dieser Konstellation gründet die welthistorische Bedeutung der opfertheologischen Objektivation des Kreuzestodes.
    Sind nicht die eigentlich „geschichtlichen Bücher“ der Bibel die apokalyptischen Bücher? Und eigentlich ist jede Geschichtsschreibung apokalyptisch und die Verdrängung des Bewußtseins davon zugleich: Sie vollstreckt an der Vergangenheit das Jüngste Gericht, um die Gegenwart zu begründen. Unser Bild von der Geschichte ist das eines rechtskräftig gewordenen Todesurteils (der Historiker ist der Scharfrichter). Deshalb ist parakletisches, verteidigendes Denken heute Erinnerungsarbeit.
    Die Opfertheologie (und nicht der Kreuzestod) war der Gründungsakt der christlichen Zivilisation.
    Der Jubel der Barockmusik, dessen säkularisierter Nachhall seit zwanzig Jahren die Popmusik durchdröhnt, war schon kryptofaschistisch. Bach war kein Barockmusiker, seine Musik war die Umkehrung der Barockmusik, ihr Paradigma war die Passion.
    Jede Personalisierung gründet in dem Glauben an die magische Kraft des Bekenntnisses, die magische Kraft von Anschauungen (die deshalb seit dem Ursprung totalitärer Systeme zu todeswürdigen Verbrechen geworden sind).
    Der Satz (der sprachlogisch sich ableiten läßt), daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, läßt sich leicht am Kontext der Vorstellung demonstrieren, daß Gott nicht bereut. Unter diesem Imperativ steht seit der Diskriminierung des Anthropomorphismus das Herrendenken: Nicht Gott, sondern die Hybris seiner irdischen Vertreter erfährt die Vorstellung als unerträglich, eine einmal getroffene Entscheidung wieder zurücknehmen, sie öffentlich bereuen zu müssen. Das Gesicht, das die Herren zu verlieren fürchten, ist die Maske der Person, nicht das göttliche Angesicht, dessen Leuchten seinen Grund in der göttlichen Barmherzigkeit findet. Die theologische Verwerfung des Anthropomorphismus war die Verwerfung der göttlichen Barmherzigkeit.
    Die Finsternis über dem Abgrund: Ist das nicht der Nachthimmel, und sind nicht die Sterne in der Tat ein Zeichen der Hoffnung?
    Der Satz: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“, ist ebensosehr ein Gebot wie es ein Ausdruck der Hoffnung, des Verlangens, der Sehnsucht ist.
    Wenn Jeremias für Babylon und gegen Ägypten votiert, so war das weniger Ausdruch einer „realistischen“ Einschätzung der Machtverhältnisse als vielmehr die prophetische Einsicht in einen Vorgang, der die Gotteserkenntnis im Kern verändert hat.
    Zum Begriff des Seins: Die Fundamentalontologie war faschistisch, weil das Sein (wie der Begriff des Eigentums, mit dem er zusammenhängt) außerhalb der staatlichen Organisation, die im Faschismus zum Selbstzweck wird, nicht sich definieren läßt.

  • 29.4.1995

    Thales hat recht: Alles ist ist Wasser; aber wurden diese Wasser nicht durch die Feste (die Gott dann Himmel nannte) in die oberen und unteren Wasser geschieden? Die Wasser oben und die Wasser unten: Sind das Prophetie und Philosophie, oder (unterm Bann der Philosophie) deren Spiegelung in den Begriffen Welt und Natur (die infolge dieser Spiegelung: nämlich aufgrund der damit verbundenen Seitenvertauschung, Rechts und Links nicht mehr zu unterscheiden fähig sind)?
    Hitler war nicht der Antichrist, aber die Generalprobe (Karl Thieme): Mit der Verweltlichung der Welt ist in der Theologie eine Scheidung eingeleitet worden, die bis heute nicht begriffen worden ist, nämlich die Scheidung der theologischen Gehalte von der Herrschaftsmetaphorik, mit der sie durch die Tradition verschmolzen sind. Im Faschismus hat die religiöse Herrschaftsmetaphorik (die heute in den großen Buch-Religionen selber im Fundamentalismus sich zu reetablieren sucht) von ihrem theologischen Grunde sich gelöst und sich verselbständigt. Ist es nicht selber wiederum erschreckend, daß die Kirchen bis heute nicht fähig waren, im Faschismus das Spiegelbild ihrer eigenen Herrschaftsverstrickung zu erkennen (weil sie dem Schrecken davor nicht glaubten standhalten zu können)?
    War nicht Adam Urheber und Zeuge jenes Teils der Schöpfung, der unter dem Namen des Sündenfalls überliefert worden ist?
    Nirgends drücken die Rechtfertigungszwänge drastischer sich aus, als in dem Satz: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Dieser Satz gehört in den gleichen Zusammenhang wie der Wunsch der Kinder, nicht so zu werden wie ihre Eltern (oder auch wie das Argument: wenn mich meine Kinder einmal fragen: warum hast du nichts getan, dann will ich darauf antworten können). Das „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“ gehört zu einer Logik, der zufolge nicht die Tat, sondern das Erwischtwerden (durch die Außenstehenden: das „Ausland“, oder durch die Nachgeborenen: die Kinder oder die „Geschichte“) das Schlimmste ist.
    Die List der Vernunft, das mögliche Urteil über das Handeln (die Rücksicht auf die Wahrnehmung der Anderen) zur Richtschnur des Handelns zu machen und durch die Antizipation dieses Urteils sich unangreifbar zu machen, steht unter dem Gesetz der Logik der Scham. (Hat diese Scham nicht etwas mit dem Schatten zu tun, den z.B. in den Naturwissenschaften das Inertialsystem auf die Dinge wirft?)
    Zu den logischen Partikeln gehören auch das Und, das Oder, das Entweder/oder, das Aber, das Sowohl-als-auch, aber auch die Relativpronomen (als Derivate des bestimmten Artikels). Eines der verhängnisvollsten logischen Partikel ist das Ja, aber („Ich habe ja nichts gegen die Ausländer, aber …“).
    Hat das Unkraut in den Evangelien die gleiche Bedeutung wie die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (und in den Anspielungen darauf in der ganzen hebräischen Bibel)? Stammen nicht die Unkrautvernichtungsmittel von dem gleichen Hersteller, der auch das Gas für Auschwitz geliefert hat?
    Ist nicht der private Atombunker, den C.F. von Weizsäcker sich vor Jahren gebaut hat, fast schon der Beweis dafür, daß das Wort von der zivilen Nutzung der Atomkraft eine Rechtfertigungslegende der deutschen Atomphysiker nach dem Kriege war (der dann gelungene Versuch, von ihrer Beteiligung an der Entwicklung der Bombe in Deutschland abzulenken: vgl. die unterschiedlichen Versionen des Heisenberg-Besuchs bei Nils Bohr während des Krieges und die Folgen dieses Besuchs)? Aber hat dieser moralische Rechtfertigungslegende dann nicht auch ganz wesentlich zur Legitimation der „zivilen Nutzung“ der Atomkraft (deren Probleme doch eigentlich von Anfang an offen zutage lagen) beigetragen? Sind nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtfertigungszwangs die AKW’s mit Stammheim, Bad Kleinen (Hogefeld-Prozeß), Startbahn 18 West (und Startbahn-Prozeß) und schließlich mit der Entwicklung im Vatikan unter Johannes Paul II und Ratzinger vergleichbar?
    War nicht schon die Weizsäckersche Formel der Sonnenenergie ein technischer Beitrag zur Entwicklung der Bombe?
    Die Entwicklung der AKW’s (der „zivilen Nutzung“ der Kernenergie), die Ereignisse in Stammheim, an der Startbahn, in Bad Kleinen u.ä. sind Belege dafür, daß am Ende die Version als historische Wahrheit sich durchsetzt, die im Interesse der Herrschenden liegt. Und ist die „historische Wahrheit“, wenn man von ihrem Rechtfertigungszweck absieht, nicht fast schon gleichgültig: Werden diese Dinge nicht in jeder Version zu Belegen für die Wirksamkeit der geradezu irren und selbstzerstörerischen Logik des Rechtfertigungszwangs auf beiden Seiten und zu Instrumenten der Verhinderung einer Erinnerungsarbeit, die den freien Blick auf die Dinge überhaupt erst ermöglicht?

  • 21.4.1995

    Der Schatten des Faschismus: Ich glaube, den Faschismus versteht man erst, wenn man begreift, daß Hitler eine Welt hinterlassen hat, die alle Überlebenden und Nachgeborenen zu Komplizen macht; aber nur die Überlebenden auf der Seite der Opfer haben sich nachher schuldig gefühlt, während die, die überlebt und sich arrangiert haben, allen, die die Erinnerung einforderten, entgegenhalten konnten: Du bist mitschuldig, du hast auch überlebt. Zu Joh 129 gibt es keine Alternative mehr.
    Heute kann jede Kritik durch den Hinweis auf die „praktischen Konsequenzen“ zum Schweigen gebracht werden. So bleibt nur noch Feuilleton und Kurturkritik (das folgenlose Schimpfen). Das Prinzip der Lüge ist so tief in der Realität verankert (ein Indiz dafür war schon der Existenzbegriff der zwanziger Jahre), daß Kritik dem Verdacht, bloß Rechtfertigung zu sein, sich nicht mehr entziehen kann. Den Komfort des guten Gewissens (der Freiheit von Schuldgefühlen) kann sich heute niemand mehr leisten. Dagegen setzt die Idee der Erbsünde ihre Ehre darin, auch für die Sünde gerade zu stehen, die man nicht begangen hat.
    Das Vaterproblem Jesu ist ein dreifaches: Er war der Sohn des Zimmermanns, der Menschensohn und der Sohn Gottes.
    Die Eliminierung des kritischen Moments, das in der Frage enthalten ist, weshalb die subjektiven Formen der Anschauung auch objektiv und real sind, macht die transzendentale Logik zum Strick, der das Denken stranguliert, ihm die Luft zum Atmen nimmt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind nicht nur der Kelch, sie sind auch Grauen, Grube und Garn (Jer 4843ff), die Reflexionsformen des Kelches.
    Waren nicht in der Antike die Münzbezeichnungen in der Regel zugleich auch Gewichtsbezeichnungen (vgl. Faure: Magie der Düfte, S. 246), und war nicht das Gewicht (wie es auch im Bilde der Waage sich darstellt) die Urform des Vergleichs, der Äquivalenzbeziehung (der Mathematisierung der Dinge)? Das Gewicht ist die Selbstreflexion der Beziehung zu anderen in den Dingen.
    Maß, Zahl und Gewicht: Kontinuierliche Größen lassen sich messen. Aber die unmittelbare Form des Messens findet sich nur im Raum, im räumlichen Verschieben und im Anlegen des Maßes an ein Objekt. Das Messen der Zeit ist eigentlich ein verstecktes Zählen; an die Zeit läßt sich kein unmittelbares Maß anlegen, dem Zeitmaß liegt das Zählen periodischer Bewegungen zugrunde, die Umläufe der Sonne, die Periodizität des Jahresablaufs, bis hinunter zum Pendel, zur Unruhe, zur Quarzfrequenz. Periodische Bewegungen (Reflexe des Zeitablaufs im Raum) sind Kreis- und Wellenbewegungen. Zeitmessung setzt Redundanz, die Wiederkehr des Gleichen, voraus.
    Wie hängt der Zufall (gebildet als Übersetzung von accidens) mit dem Fall zusammen? Und wie mit der Kontingenz (dem sprachlichen Reflex des Kelches)? Ist nicht die kantische Erscheinung die Totalität des Kontingenten, und das Kontingente das durch die subjektiven Formen der Anschauung Vermittelte (in ihnen Enthaltene)?
    Wenn die Bekenntnislogik der Repräsentant der subjektiven Formen der Anschauung in der Theologie ist, dann ist jeder Inhalt eines Bekenntnisses etwas Kontingentes (das Anderssein dessen, als was es „bekannt“ wird). Das Absolute als innere Grenze der Erscheinungen ist ein Teil des Reichs der Erscheinungen, es transzendiert die Erscheinugnen nicht: wie die Feste des Himmels, an die die Sterne geheftet sind.
    Wie sind die Sterne des Himmels und der Sand am Meer aufeinander bezogen?
    Zur Beziehung des Buchs Tobit zum Buch Jona: Ist nicht der Spruch „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“ wahr, auch wenn Gott am Ende barmherzig ist?
    Ist die Mischung aus Desinteresse, Zudringlichkeit und Selbstbezogenheit nicht auch ein Produkt der Logik des Fernsehens, der Bindung der „Information“ an ein optisches Medium.
    Verkommenes Herrendenken: Die Ambivalenz des Begriffs Ausland läßt sich an den Extremen festmachen, am „Ausländer raus“ der Nazis (an der Xenophobie) und an der moralischen Autorität, die die Politiker so gern mit dem Namen des Auslands zitieren, wo ihnen das Gewissen nicht mehr einfällt. Es steht zu befürchten, daß beide Begriffe im Grunde eins sind: Wenn Nazis die Ausländer totschlagen, meinen sie das eigene Gewissen. Deshalb ist der Kern jeder Xenophobie der Antisemitismus. Spiegelt sich nicht in der Ambivalenz des Ausländerbildes die des Frauenbildes?

  • 3.4.1995

    Es gibt eine Beziehung der sinnlichen zur sprachlichen Welt, die an der Beziehung des Lichts zu den Dingen sich demonstrieren läßt. Mit dem Licht, mit seiner verborgenen dialogischen Struktur (seiner Beziehung zum Angesicht), ist auch die Sprache erschaffen. Das Angesicht ist die sinnliche Manifestation der Sprache, es schließt nicht nur das „Du sollst nicht töten“ mit ein, sondern das „Liebet eure Feinde“.
    Ist nicht die Scheidung von Freund und Feind ein Werk des Weltbegriffs (ein Grund jeder Kosmologie), und entspringt nicht genau an dieser Stelle der Name des Teufels? Hier gründet die Unterscheidung des Teufels vom Satan, als dessen „Sohn“ er sich fassen läßt: Der Ankläger vor Gott (der Satan) ist für den Angeklagten der Versucher (der Teufel).
    Gott erweist sich daran, daß er nicht die Welt, wohl aber Himmel und Erde erschaffen hat.
    Hat die Wüste (und die Zahl vierzig) beim Exodus und bei der Versuchung Jesu etwas mit dem tohuwabohu im Schöpfungsbericht zu tun?
    Gibt es zur Verinnerlichung des Schicksals, der der Ursprung des Christentums folgt, und zur Verinnerlichung der Scham, die aus der Islamisierung des Christentums hervorgeht, eine dritte Stufe, auf die das Wort vom „Greuel am heiligen Ort“ sich bezieht (und die den Fundamentalismus begründet)?
    Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral“ trifft den Fundamentalismus in der Wurzel. Die Sexualmoral ist die durchs Schuldverschubsystem (durch den Weltbegriff) neutralisierte Gestalt der Herrschaftskritik. Deshalb ist jeder Fundamentalismus sexistisch. Ist nicht die Abtreibungsdebatte der letzte (und vergebliche) Versuch, die Sexualmoral als Instrument der Neutralisierung von Herrschaftskritik zu erhalten, und kehren nicht die Elemente der Neutralisierung in der Abtreibungsdebatte wieder? Sie verschiebt die Schuld auf ein Objekt, durch das die Herren, die dieses Instruments sich bedienen, vor der Gefahr sicher sind, sich selbst damit identifizieren zu müssen, die Frauen.
    Das innerkirchliche Produkt der Neutralisierung der Herrschaftskritik war die Bekenntnislogik, mit der Opfertheologie im Kern. Zu den „Nebenwirkungen“ der Bekenntnislogik gehört die Sexualmoral.
    Mit der „Entsühnung der Welt“ wurde Herrschaft freigesprochen. Der kantische Versuch einer Definition der Totalitätsbegriffe Natur und Welt (in der Antinomie der reinen Vernunft) ist in sofern interessant, als Kant hierbei beiden Begriffen bescheinigt, daß sie „gelegentlich ineinanderfließen“, und zugleich die Differenz beider mit den Begriffen des Dynamischen und Mathematischen definiert, deren Ursprung und Anwendung in die transzendentale Logik fällt und hier zu den Konstituentien des Wissens (der Kategorien) gehört.
    Die Schwachstellen der Hegelschen Philosophie:
    – die „List der Vernunft“,
    – der Begriff des Scheins und
    – das Verhältnis der Natur zur Idee (derzufolge die Idee die Natur „frei aus sich entläßt“, wobei diese Natur dann „den Begriff nicht halten kann“: nach Hegel dürfte es – und das rückt seine Philosophie in einen apokalyptischen Zusammenhang – zur Gattung Tier nur eine und nicht verschiedene Arten geben).
    Diabolik: Die Bekenntnislogik hat erste und zweite Natur getrennt: sie hat die erste zu einer Funktion der zweiten gemacht und zugleich die zweite in den Schatten der ersten gestellt. Das war der Grund des Ursprungs des Nominalismus.
    Schall und Rauch: Die Ausbildung der Fähigkeit, mit den Ohren zu denken (das mit dem „Bekenntnis des Namens“ Gemeinte), hätte Hitler seiner Wirkungsmöglichkeit beraubt.
    Binden und Lösen: Ist nicht Odysseus die Imago der Kirche, die den Gläubigen die Ohren verstopft und sich selbst, um dem gehörten Wort nicht folgen zu müssen, an den Mast des Schiffes binden läßt?
    Montevideo liegt auf der anderen Seite der Welt: Ist der Winter die Rückseite des Sommers und der Herbst die Rückseite des Frühlings?
    Mit der Steinigung des Stephanus geht eine Epoche zu Ende: Er war der Letzte, der den Himmel offen sah. Und die neue Epoche beginnt mit Saulus, der später Paulus hieß.
    Hat nicht die raf, als sie glaubte, die strafende Gewalt des Rechts sich aneignen zu können, deren eigene mythische Gewalt, die Gewalt der Institution und deren Macht über die Köpfe der Menschen, unterschätzt (und deshalb verstärkt)?

  • 7.3.1995

    Apologetik gibt es nur im Kontext der Bekenntnislogik, die von Grund auf dogmatisch strukturiert ist. Deshalb gibt es keine Apologetik ohne projektives Moment. Genau das ist der Knoten, der zu lösen wäre.
    Fällt der theologische Gebrauch des Begriffs der Stellvertretung nicht auch unter den Satz von Rind und Esel (beruht er nicht auf der Verwechslung von Joch und Last)? Ich trage Mitschuld an den Sünden der andern, kann aber meine Sünden nicht andern anlasten. Bezieht sich darauf nicht der Begriff der Geiselhaft bei Levinas? Die Übersetzung von Joh 129, wonach das Lamm die „Sünden“ der Welt „hinweggenommen“ hat, beruht auf dieser Verwechslung: Das Lamm hat die Sünde der Welt auf sich genommen. Mit der kirchenüblichen Übersetzung ist ein Anfang gesetzt, dessen bitteres Ende Hitler war.
    Die Kirchen sollten im Ernst ihren Erlösungsbegriff überprüfen. Wenn Luther die Söldner für rechtfertigungsfähig hält, wenn sie das, was sie tun, nur ohne egoistisches Interesse tun (sondern nur im Interesse der Wahrung der staatlichen Ordnung), wäre dann nicht auch Hitler der Rechtfertigung würdig?
    Die kirchliche Erlösungslehre, das Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Jesu, hat dadurch, daß sie zur Entzauberung der Welt beigetragen hat, zugleich den Menschen aus der Welt, die unabhängig von ihm vorhanden ist, herauskomplimentiert, ihn eben dadurch aber auch an die Welt gebunden. Mit der kopernikanischen Wende wurde diese Logik auch auf die Natur ausgedehnt; an dieser Stelle entspringt der Dingbegriff (der apriorische Objektbegriff und der transzendentale Apparat). Heute, in der nachhegelschen Ära des Positivismus, wird das Subjekt aus dem Wissen herauskomplimentiert: verliert es seinen objektiven Grund. Alle drei Formen der Befreiung waren zugleich Formen der Bindung. Die ersten beiden Formen der Befreiung und Bindung konnten durch Vätertheologie und Scholastik theologisch aufgefangen werden, die dritte kann es nicht mehr. Zur dritten gehört die ergänzende Bemerkung, daß mit dem wachsenden Rechtfertigungsbedarf und -zwang auch das destruktive Potential der Bekenntnislogik wächst.
    Ist nicht die Rechtfertigungslehre eine Emanation der apologetischen Logik (unter den veränderten weltgeschichtlichen Bedingungen der beginnenden Aufklärung)?
    Heute morgen eine Notiz in der FR: Einige Prähistoriker beschweren sich darüber, daß die in den Schulen genutzten Lehrbücher nicht auf dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand seien; so werde z.B. in einem Lehrbuch das Alter der Neandertaler mit 800 000 statt 600 000 Jahren angegeben. Sollten nicht, anstatt die „Ergebnisse“ zu dogmatisieren, die Methoden, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, und die Kriterien, die der Ermittlung zugrundegelegt wurden, offengelegt und diskussionsfähig gehalten werden? Und gilt dieser Hinweis nicht auch für naturwissenschaftliche Theorien wie die über den Urknall, das Alter des Universums oder die „schwarzen Löcher“, ja eigentlich schon das Gravitationsgesetz, die Optik, die gesamte Atomistik?
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Hört sie damit nicht auch auf, Gegenstand der Diskriminierung zu sein? und Läßt sich daraus nicht heute schon fast eine Rechtfertigung der Gemeinheit herleiten (insbesondere im Bereich der Strafrechtspflege: und hier vor allem in den Knästen und im Bereich der Staatsschutz-Rechtsprechung)? In welcher Beziehung steht dieser Tatbestand (und mit ihm das Recht insgesamt) zum Satz über Rind und Esel?
    Gibt es nicht im Staatsschutzbereich bereits offenkundige Fälle der Komplizenschaft, der rechtlich nicht mehr überprüfbaren Zusammenarbeit von Staatsschutzsenaten, Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und den anderen Staatsschutzbehörden wie BND und Verfassungsschutz?
    Führt nicht heute der Versuch, den Rechtsstaat mit Hilfe der Idee der Gerechtigkeit zu begründen, in unauflösbare Probleme?
    Wäre es nicht aufschlußreich, wenn man einmal alle Geschichte, in denen Petrus, Jakobus und Johannes zusammen auftreten, sich anschauen würde (dazu gehören insbesondere die Verklärungsgeschichte und Getsemane)?
    Unterscheidung des Ewigen vom Überzeitlichen: Wäre es nicht an der Zeit, den Schelerschen Titel („Die Idee des Ewigen“) daraufhin zu überprüfen?
    Waren nicht die Tempel seit je realsymbolische Bilder des Himmels und zugleich Grabstätten des toten Gottes (hat die Eucharistie etwas mit den Pyramiden und den Pharaonen zu tun)?
    Wenn heute die Neigung besteht, vorgeschichtliche Grabstätten und Begräbnisriten (bis hin zu den Pyramiden) als frühe Dokumente der Unsterblichkeitslehre anzusehen, wäre es dann nicht notwendig, auch den prähistorischen Kontext dieser Dokumente mit hereinzunehmen?
    Tatsachenwissen ist fallbezogenes Wissen. Heute – und eigentlich gilt das schon für die Situation, in der Wittgenstein seinen logisch-philosophischen Traktat schrieb – ist der Fall nicht mehr ein Problem der Welt, sondern eines des Wissens.
    Der Antijudaismus leugnet den Dank (den Namen Judas), der Antisemitismus die Kraft des Namens (den Namen Sems). Sind nicht beide Formen der Halsstarrigkeit, die die Schrift im Symbol des Esels sieht?
    Ochs und Esel hat erst das Mittelalter der Krippe hinzugefügt; bei Matthäus sind es nur die Hirten, die zur Krippe eilen.
    Erst mit der Trennung des Gebots von seiner Innenseite, von den göttlichen Verheißungen, wird die Last des Gebots zum Joch des Gesetzes. Es ist das gleiche Verhältnis, das die sinnliche Welt von der Welt der durchs Inertialsystem (durchs System der Naturgesetze) vermittelten „Erscheinungen“ trennt.
    Eine sanfte Kritik an Emanuel Levinas: Die Attribute Gottes stehen sehr wohl im Indikativ, nur: dieser Indikativ ist ein Imperativ.

  • 6.3.1995

    Die Sünde Hitlers: Das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt („die Welt entsühnt“), ist das nicht der Wolf?
    Zur Logik der Schrift: Dem Autor geht es wie dem Fernsehmoderator: Er sieht und hört seine Leser nicht, aber sie sehen und hören ihn.
    Jede Wand hat eine Rückseite: Darin liegt der Grund der Mathematik. Und wenn in modernen Kirchen die Rückseite nach innen gekehrt wird, so ist das ein Indiz für den Grad der Versteinerung des Herzens.
    Setzt die Verdrängung der Vergangenheit nicht an dem Punkt ein, an dem das Bewußtsein, daß diese Vergangenheit (und zwar nicht nur, aber vor allem das prophetische Wort) uns richten wird, unerträglich wird? Jetzt richtet uns die verdrängte Vergangenheit (die „Sünde der Welt“). Das Produkt dieser verdrängten Vergangenheit ist die verinnerlichte Scham, und deren kosmisches Korrelat die Feste des Himmels.
    Der Begriff einer historischen Naturkatastrophe ist real und paradox zugleich: Wenn es so etwas gibt, ist es eben keine Naturkatastrophe.
    Gewinnen die neutestamentlichen Texte, die auf die Hölle sich beziehen, nicht einen ganz anderen Sinn, wenn man den Namen der Hölle durch der Unterwelt, des Grabs (Scheol), ersetzt? Hier werden auch die Verweise auf das Feuer, das nicht erlischt, und den Wurm, der nicht stirbt, konkret.
    Die Bedeutung und Funktion der Astronomie für die Herrschaftsgeschichte (für die Geschichte des Ursprungs des Staates) gründet darin und verweist darauf, daß die Grenze, die uns von den Sternen trennt, der Grenze zur Vergangenheit korrespondiert. Kann es sein, daß die Wahrheit des Gravitationsgersetzes (der Zusammenhang der physikalischen Bedeutung des Falls mit seiner grammatischen und theologischen Bedeutung) in diesem Sachverhalt begründet ist? Und verweist nicht Wittgensteins Satz, daß die Welt alles ist, was der Fall ist, daß sie alles ist, was sich unter die Vergangenheit subsumieren läßt?
    In der Äußerlichkeit, die in der Form des Raumes begründet ist, drückt die Gewalt der Vergangenheit sich aus. Die gleiche Form der Äußerlichkeit beherrscht über das Geld die durchs Privateigentum definierten materiellen, gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Banken verwalten das vergangene Unrecht.
    Das Paradies liegt nicht in der Vergangenheit, es hat vielmehr Teil an der zeitlichen Struktur des Ewigen, das nicht als vergangen gedacht werden kann.
    Die Feste des Himmels: Sind die „Leuchten“ und „Sterne“ nur an diese Feste „geheftet“, oder sind sie nicht die Instrumente, die den Himmel aufspannen und die Feste begründen? Das aber würde bedeuten, daß die „Planeten“ (im Sinne der Astrologie, nicht des heliozentrischen Systems) in der gleichen Sphäre gründen, in der auch die Sprache gründet: daß sie eine Konstellation repräsentieren, die der Grammatik entspricht. Frage: Was hat die Venus mit dem Ursprung des Neutrum zu tun? Sie ist der Morgen- und der Abendstern, die astrologische Entsprechung des A und O. Berührt sich hier das Signum des Tieres, das war, nicht ist und wieder sein wird, mit dem Luzifer?
    Hat nicht der Versuch, den Ursprung des Weltbegriffs zu begreifen, etwas mit dem Lösen zu tun?
    Die Mathematik ist eine Emanation der Logik der Schrift: Sie ist das Schwert, das den Knoten durchschlagen hat, den es zu lösen gilt. Die Ursprungsgestalt dieses Schwertes: das kreisende Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses.
    Gott hat am ersten Tag das Licht von der Finsternis geschieden, und er nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Am zweiten Tag hat er durch die Feste die oberen von den unteren Wassern geschieden; während die Wasser namenlos geblieben sind, nannte er die Feste Himmel. In die dritte Scheidung war Adam verstrickt: Nachdem er die Tiere benannt hatte, scheidet Gott selbst ihn von seiner Seite: Eva. Zu dieser Scheidung, die dann die ganze Schöpfung ergreift, gehört dann die Geschichte vom Sündenfall. Das Symbol dieser dritten Scheidung ist das kreisende Flammenschwert, Symbol der Trennung der Welt vom Paradies.
    Der Sündenfall ist der Grund der Trennung von Welt und Natur, der Grund der Urteilsform, die mit dieser Trennung sich konstituiert, in ihr sich ausdrückt. Mit dem Sündenfall (und durch die Urteilsform) ist dem Menschen sein Anteil an der richtenden Gewalt in die Hand gegeben. Seitdem wissen sie nicht mehr, was sie tun.
    Haben die Menschen im Kreuzestod nicht die Folgen des Nichtwissens vor Augen? Und hat das Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ nicht den Toten, der am Kreuz hängt, als Objekt? Ist Sein Kreuzestod nicht das stellvertretende Objekt unseres Richtens, und dadurch der Anfang des Gerichts über uns (der Anfang des Gerichts der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht, dessen Subjekt wir sind)? Die opfertheologische Instrumentalisierung des Kreuzestodes verletzt das Verbot zu richten. Ist nicht das Dogma die gegenständliche Repräsentation dieses Richtens, der Kelch, von dem er wollte, er ginge an ihm vorüber, Ursprung und Produkt der Bekenntnislogik und seiner drei Emanationen: Antijudaismus, Ketzerfurcht und Frauenfeindschaft?
    Das entsetzliche theologische Konstrukt, daß Jesus die Sünden Welt hingweggenommen habe, hat das Lamm zum Wolf gemacht und macht uns selbst zu dem Esel, für den kein Lamm mehr eintritt, und dem das Genick gebrochen wird (hat dieses Brechen des Genicks etwas mit der „Halsstarrigkeit“ zu tun: mit der Starrheit der Orthogonalität, mit der Erstarrung der Rechten – vgl. Ps 1375)?
    Kann es sein, daß die Erklärung von Birgit Hogefeld im Prozeß am vergangenen Donnerstag als Hinweis verstanden werden muß, daß der Anschlag am Flughafen, der auch ihr mit angelastet werden soll, nicht die raf als Urheber hat?

  • 5.3.1995

    Keine Wand ohne Rückseite, oder: Bemerkung zur Bekenntnislogik (zu Jer 3134 und Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“): Hat nicht jeder nur seinen eigenen Zugang zum Gesetz (zur Gotteserkenntnis)? Wer glaubt, einen allgemeinen Zugang gefunden zu haben und ihn allen anderen vorschreiben will, steht nicht nur selbst vor einer verschlossenen Tür, sondern versperrt sie auch für andere.
    Von der Pflicht zur Gotteserkenntnis kann sich niemand freisprechen. Aber wer nach Gotteserkenntnis strebt, hat es auch mit der Wand zu tun, die die andern vorm Gesetz aufrichten, mit der sie allen den Zugang versperren. Unterscheidet sich nicht die philosophische von der mystischen Schöpfungslehre dadurch, daß, während diese mit dem vierten Tag endet, jene mit dem fünften beginnt? Die Welt, die Gott aus dem Nichts erschaffen hat, ist das große Seeungeheuer, das Tier aus dem Wasser (das Korrelat des hegelschen Absoluten). Und die Kirche in der Welt: das ist der Bauch des großen Fisches, der Jonas verschlungen hat. Die Gottesfurcht, die der Anfang der Weisheit ist, ist das Ende der Dummheit, die aus der Herrenfurcht stammt.
    Der Rechtfertigungszwang, unter dem heute alle stehen, ist der Schatten von Auschwitz. Die Frage „Warum Auschwitz?“ setzt den historisierenden Blick voraus. Wichtiger wäre, den Schatten, den Auschwitz auf uns wirft, und der in diesem historisierenden Blick sich reproduziert, zu durchdringen. Der Schatten, den Auschwitz auf uns wirft, ist die Reflexion des Schattens, den das Subjekt in der Idee des Absoluten auf Gott wirft. Gehört nicht die Geschichte der Fälschungen zu den Ursprüngen (zur Selbstbegründung) und das kontrafaktische Urteil zum Ende (zur Selbstwiderlegung) des historisierenden Blicks, der objektivierenden Geschichtsschreibung (der Verdrängung des Bewußtseins, daß die Toten unsere Richter sein werden)? Steht das kontrafaktische Urteil in der Logik der Geschichtsschreibung an der Stelle, an der das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit – oder das der Identität von träger und schwerer Masse? – in der Logik der Naturwissenschaften steht? Sind die Geschichtsfälschungen säkularisierte Formen der Mystik (vgl. die Apokryphen, den Pseudodionysius und den Sohar)?
    Die Idee des Ewigen schließt die Vergangenheit von sich aus; dadurch unterscheidet sie sich vom Begriff des Überzeitlichen, der unterm Primat der Vergangenheit steht. Die Idee des Ewigen hält die Vergangenheit offen, der Begriff des Überzeitlichen verschließt die Zukunft. Der Unterschied läßt sich sinnfällig machen am Verhältnis zur Prophetie: Im Licht des Ewigen ist die Prophetie nicht vergangen, sondern immer gegenwärtig: das Wort, das Gott durch die Propheten spricht und das auf seine Erfüllung (daß wir es hören und tun) wartet, während der Begriff des Überzeitlichen (der auf andere Inhalte, auf einen anderen Wahrheitsbegriff sich bezieht) an die Vorstellung anknüpft, daß die Prophetie in der Menschwerdung des Gottessohns sich erfüllt hat und daß sie für uns vergangen ist (als Unheilsprophetie nur noch auf die Juden sich bezieht, so als bestünde die Erlösung darin, daß Jesus uns gegen den Fluch des Gesetzes gleichsam abschirmt).
    So konnte der Eindruck entstehen, daß die Prophetie als vergangene ohne Rest der historischen Forschung freigegeben sei, bis hin zum bibelwissenschaftlichen Mißbrauch des Gottesnamens, der zu einem unter vielen toten Götternamen geworden ist, die mit den Völkern, an die sie erinnern, der Vergangenheit angehören. So ist auch Israel am Ende zu einem toten Volk geworden, das noch nicht gemerkt hat, daß es sich selbst überlebt hat (und Hitler hat nur versucht, dieses „Urteil der Geschichte“ an den Juden vollstrecken). In diesen Zusammenhang gehört es, wenn in christlichen Texten der Name Israel von der Kirche usurpiert wird, während die Israeliten (wie für den Pharao und die Philister) für christliche Autoren wieder zu Hebräern geworden ist. Äquivalenzen: – Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht:
    – Stoß: vorn und hinten (Zerstörung des Angesichts),
    – Gravitation: oben und unten (Aufhebung der Unterscheidung von Herrschaft und Religion, Zerstörung der Sprache, ihrer dialogischen Struktur durch die Schrift, Zerstörung des Namens),
    – Lichtgeschwindigkeit: rechts und links (Trennung des richtenden Prinzips von der Barmherzigkeit, Ursprung des Feuers).
    – Inertialsystem als Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: Zerstörung des Lichts, des Namens, der Barmherzigkeit, insgesamt der sinnlichen Welt; Konstruktion des Totenreichs (Schattenreich, Scheol).
    – Naturwissenschaft als Instrument der Legitimation des Bestehenden (Naturwissenschaft und Kapitalismuskritik).
    – Das Gravitationsgesetz und die Vergesellschaftung von Herrschaft,
    – die Elektrodynamik und der Zivilisationsbruch (Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit).
    Der Name des Himmels:
    – schamajim, Wasser und Feuer (Was und Wer), – die Feste (die Einheit des Was und Wer) und die Trennung der Wasser (oberhalb und unterhalb),
    – Tierkreis und Planetensystem,
    – Spiegelung des Himmels im Inertialsystem: die Todesgrenze im Namen des Himmels,
    – Himmel als Buch, das Buch des Lebens (die nicht vergangene Vergangenheit), Jüngstes Gericht, „Weltuntergang“ als Entmächtigung des Begriffs und Befreiung der Namen (der verdrängten vergangenen Zukunft).
    – Der neue Himmel und die neue Erde, die Auferstehung der Toten. Die Welt als System von Instrumentalisierungen (Selbsterhaltung im Kern des Weltbegriffs): Welt und Tier. Differenzierung im Begriff der Instrumentalisierung: Das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande.

  • 4.3.1995

    Wenn Marx den Ursprung des Geldes aus dem Tauschverhältnis herleitet, stellt er seine Analyse dann nicht doch auf die im kantischen Sinne „weltliche“ Seite des Verhältnisses ab, und verdrängt er nicht die naturale Seite, die in der Schuldknechtschaft gründet?
    „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Enthält der Ausdruck, ein Kind sehe „wissend“ aus, nicht auch die Wahrnehmung, daß es sein Vertrauen in die Eltern verloren hat? Und hat diese Wahrnehmung nicht weitreichende Implikationen und Konsequenzen; gründet nicht die gesamte Wissenschaft (und der Totalitätsbegriff des Wissens selbst) in der Abstraktion von diesem „Vertrauen“? Aber ist nicht umgekehrt diese Abstraktion vom Vertrauen, die eine Kindheit (durchs Wissen) zu zerstören vermag, auch wiederum notwendig und unvermeidbar: Alle Initiationsriten beziehen sich hierauf, wie auch das Erwachsenwerden ohne diese Abstraktion nicht gelingt; und ist nicht die Schule die formalisierte Einübung in diese Abstraktionsfähigkeit? Hinzuzufügen wäre nur, daß es eigentlich nur der Reflexionsfähigkeit bedarf, um den Eingriff dieser Abstraktion zu humanisieren. Das „Ja und Amen“, das J.B.Metz auf die „Welt“ bezieht (deren Begriff in der Abstraktion vom kindlichen Vertrauen gründet), bezieht sich an Ort und Stelle (im Korintherbrief) auf die göttlichen Verheißungen, heißt das aber nicht: auf ein durch die Abstraktion vermitteltes, wiederhergestelltes Vertrauen? Aber dieses „Ja und Amen“ ist ein aktives, gleichsam autonom gewordenes Ja und Amen; es erfüllt sich im Tun des Gebotes „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“. Die Welt nämlich ist unbarmherzig.
    Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Meisters. (Jes 13, Buber-Übersetzung)
    Zum Begriff der Versöhnung: Das Opfer kann sie gewähren, der Täter aber nicht einfordern. War es nicht der Konstruktionsfehler im Sakrament der Beichte, daß es das Opfer seiner Kompetenz zu vergeben beraubt und diese Kompetenz der kirchlichen Sakraments- und Gnaden-Verwaltung zugeeignet hat? Die Kirche hat mit Rind und Esel gemeinsam gepflügt. So wurde die Sünde zu einem Problem zwischen der isolierten Seele und Gott (mit der Kirche als vermittelnder Instanz); das Opfer und die Welt werden ausgeblendet, sie bleiben unversöhnt draußen. Das hat den Weg zur Bekenntnistheologie und zur Rechtfertigungslehre freigemacht.
    In theologos: Auschwitz muß in jeder Hinsicht davor geschützt werden, als stellvertretendes Opferleiden mißbraucht zu werden. Aber galt das nicht auch schon seit je für den Kreuzestod Jesu, dessen opfertheologischer Mißbrauch jetzt, nach Auschwitz, vollends blasphemisch geworden ist? Heute wird Getsemane wichtiger als der Kreuzestod: mit dem Schlaf der drei „Säulen“, dem „Wachet und betet“ und dem Kelch.
    Bezeichnet der Begriff der Schöpfung eigentlich den selben Sachverhalt wie das hebräische bara? Und ist das Konzept einer creatio mundi ex nihilo nicht eine Kompromißbildung?
    Wenn die Wissenschaften ihrem eigenen Entwicklungsgesetz sich überlassen, verlieren sie sich im leeren Unendlichen (vgl. neben Astronomie und Mikrophysik die Biologie und die historische Grammatik).
    Sind nicht Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie Hinweise darauf, daß je nach Kontext das Inertialsystem in sich selbst noch zu differenzieren ist. Verhalten sich nicht Gravitationstheorie und Elektrodynamik wie Esel und Rind, Last und Joch?
    Die Materie bezeichnet das Schuldmoment an den Dingen, durch das sie dem Naturgesetz unterworfen sind.
    Greuel am heiligen Ort: Heute wollen alle bloß frei sein von Schuldgefühlen, das aber heißt: frei sein von der Gottesfurcht, und dazu mißbrauchen sie die so blasphemisch gewordene Religion. Diese Religion ist nur noch ein Exkulpationsautomat, mit hochexplosiven gesellschaftlichen Folgen.
    Am Ende des ersten Stücks im „Geist der Utopie“ heißt es: „Diesen (sc. den utopisch prinzipiellen Begriff, H.H.) zu finden, das Rechte zu finden, um dessenwillen es sich ziemt zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu haben, dazu gehen wir, hauen wir die metaphysisch konstitutiven Wege, rufen was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das Tatsächliche verschwindet – incipit vita nova.“ Zu den handschriftlich unterstrichenen Worten „bauen ins Blaue hinein“ findet sich in dem mir vorliegenden Exemplar aus dem Nachlaß von Heinrich Scholz die ebenfalls handschriftliche Randbemerkung: „scheint so“ (der nur wenige Seiten später dann eine ins Antisemitische eskalierende Bemerkung folgt: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um derlei Zeug zu verstehen“).
    Die Tempelreinigung: Sind die Geldwechsler und die Taubenhändler nicht die Banken und die Kirchen? Markus ergänzt die Geschichte noch durch den Satz „und ließ es nicht zu, daß jemand ein Gefäß durch den Tempel trug“, während Johannes, die Stelle an den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu rückt (nach der Hochzeit in Kana), zu den Taubenhändlern noch die Verkäufer von Ochsen und Schafen nennt.
    Die kantische Erkenntniskritik ist der Beginn der Selbstreflexion der richtenden Gewalt, die den historischen Erkenntnisprozeß durchherrscht (hierzu Reinhold Schneider: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häupten aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“).
    Bietet der Satz von Rind und Esel nicht auf eine Hilfe zur Lösung des Problems der Fälschungen im Mittelalter? Das moralische Urteil (zu dessen Grundlagen die Historisierung des Vergangenen gehört) verstellt der Erkenntnis nur den Weg, während es darauf ankäme, die Zwangslogik, die den Vorgang beherrscht, endlich zu durchschauen: Auch diese Zwangslogik (die Logik des Rechtfertigungszwangs) gehört nämlich zu den nicht vergangenen Vergangenheiten, zu den Fundamenten der Gegenwart, in denen die Vergangenheit überlebt. Ist nicht die Logik der Fälschungsgeschichte zu einem Strukturelement der Aufklärung selber geworden, in die Strukturen der projektiven Erkenntnis und der modernen gesellschaftlichen Institutionen mit eingegangen (unterscheiden sie sich nicht gerade hierdurch von der Form der antiken Institutionen)? Und steckt nicht in der moralischen Empörung über diese „Fälschungen“ selber ein projektives, vom Rechtfertigungszwang erzeugtes Moment, das seine Erkenntnis verhindert? Gehören nicht die Fälschungen zusammen mit der Sage und der Legende zur Vorgeschichte der historischen Aufklärung wie die Astrologie zur Vorgeschichte der Astronomie gehört und die Alchimie zur Vorgeschichte der Chemie? Wie verhalten sich die Fälschungen zum vorausgehenden symbolischen Erkenntnisbegriff der Theologie? Gibt es einen inhaltlich bestimmbaren abgegrenzten Bereich (institutionelle Legitimation von Eigentumsrechten und Herrschaftsansprüchen), auf den die Fälschungspraxis sich bezieht (ihr Ort waren wohl die Schreibwerkstätten in den Klöstern und kirchlich-politischen Kanzleien)? Gehören nicht die Inquisition (die projektive Paranoia, die die Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgung begleitet) und die Geschichte der Eucharistie-Verehrung (opfertheologischer Ursprung des Dingbegriffs als Teil der Ursprungsgeschichte des Inertialsystems; vgl. hierzu die Jericho-Geschichte, das Verbot, die zerstörte Stadt wieder aufzubauen und der mit dem Aufbau verbundene Fluch über die Erstgeburt und den jüngsten Sohn des Wiedererbauers) zu den Folgen der Fälschungsgeschichte und die Ausformung des katholischen Mythos, das Fegefeuer, die Ohrenbeichte, das Zölibat zu ihren Voraussetzungen (Zusammenhang mit der Geschichte der Legitimation der Gewalt, die ihre „naturwüchsige“ Qualität verliert, und der Verinnerlichung der Scham, beides Momente der institutionellen Selbstlegitimation, die im Inertialsystem in den Naturbereich sich ausdehnt)?
    Hängen nicht die Fälschungen des Mittelalters mit einer frühen Phase der nominalistischen Aufklärung (den Anfängen einer aufgeklärten, historisierenden Bibel-Kritik, zu deren Vorläufern die Historisierung der Bibel seit Flavius Josephus gehört) zusammen? Die in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus und zur Vorgeschichte Hitlers gehörenden projektiven Rekonstruktionen der altorientalischen Geschichte sind späten Folgen der Historisierung der Bibel.
    Das Barock hat die Bibel endgültig ins Erbauliche transformiert. Die Allegorie war das Instrument dieser Transformation (und nach Walter Benjamin der Totenkopf die Urallegorie). Gibt es einen Zusammenhang der Allegorie mit dem Nominalismus und der Eucharistie-Verehrung? Und war nicht die Transformation ins Erbauliche die Grundlage (der Hintergrund) für die historische Bibelkritik? (Hier wird das Daniel-Motiv – den Traum, den Daniel erklären soll, muß er zuvor erst finden – durch die Erfindungen des Traums, durch Fälschung, auf den Kopf gestellt.)
    Wie hängt Kafkas Schauspieldirektor („er wechselt die Windeln des künftigen Hauptdarstellers“) mit dem Problem des Hahns zusammen?
    Ist die Trennung von Wer und Was (von Feuer und Wasser) in der Konstruktion des Inertialsystems mit enthalten? Nicht zufällig führt die newtonsche Begründung des kopernikanischen Systems zum Deismus. Mit der Subsumtion des Falls unters Inertialsystem, mit seiner Neutralisierung im Gravitationsgesetz (mit der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen), ist die qualitative Unterscheidung von Oben und Unten auch neutralisiert: eigentlich das Inertialsystem als ein objektives System überhaupt erst begründet (oder aus seiner Vorstufe, dem Neutrum, erzeugt) worden. Gehört das Wasser zur Beziehung von Rechts und Links und das Feuer zu der von Oben und Unten (wie das Angesicht zu der von Vorn und Hinten)? Das aber heißt: Steckt im Wasser die verdrängte Kraft des Namens, wird die Urteilsform (der „Grund“ der Welt), werden Objekt und Begriff aus dem Wasser „geschöpft“, und ist das Nichts der Schöpfungslehre das Wasser (das Nichts des Begriffs)?
    Hängt das hebräische esch/Feuer mit dem isch/Mann zusammen (wie das majim/Wasser mit dem ma/was)? Gibt es ähnliche etymologische Beziehungen bei dem griechischen und lateinischen Namen des Feuers (… und ignis)?
    Hängen der griechische Pan (der Gott des mittäglichen Schreckens) mit dem lateinischen panis (Brot) zusammen? Hat der Pan etwas mit dem Schrecken Isaaks zu tun? Steckt im Pan der Schrecken des neutralisierten Angesichts (die Erfahrung des Angesichts in einer vom Neutrum beherrschten Sprache: das Angesicht des Hundes)?
    Zwischen dem Brot und dem Korn steht die Mühle: Simson muß als Gefangener der Philister die Mühle drehen. In der Apokalypse ist die Rede von einer Stadt, in der der Gesang, das Geräusch der Mühle und die Stimme von Bräutigams und Braut nicht mehr gehört werden.

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