Hogefeld

  • 2.5.1997

    Heute schilt man die Reflektierenden rücksichtslos, weil sie auf die Verdrängungen der Andern keine Rücksicht nehmen. Empfindlich ist das zur Schuldreflexion unfähige Gewissen.

    Zur antisemitischen Vorgeschichte der Denunziation: Stefan Wyss berichtet von einem Fall aus der Geschichte der Inquisition, in dem ein Beichtvater einer Beichtenden, die einer marranischen Gruppe angehörte, die Absolution nur unter der Auflage erteilte, daß sie die anderen Mitglieder dieser Gruppe bei der Inquisition denunzierte.

    Aus dem gleichen Umkreis stammt auch der Begriff der „Selbstbezichtigung“, der auf ein Verhalten sich bezog, durch das ein Verdächtiger unter gewissen Bedingungen der Verfolgung sich entziehen konnte. Der Ausdruck war insofern begründet, als mit einer Selbstbezichtigung nur der Verdacht sich bestätigen, nicht aber die Tat sich nachweisen ließ; eine Selbstbezichtigung unterschied sich vom Schuldbekenntnis, vom Eingeständnis der Tat, dadurch, daß sie auch falsch sein konnte. Nach der Inquisition haben erst die stalinistischen Schauprozesse wieder von diesem Mittel Gebrauch gemacht.

    Im Munde der Bundesanwaltschaft gewinnt der Begriff der Selbstbezichtigung die Qualität eines instrumentalisierten Freudschen Versprechers: Hier wird ein begriffliches Merkmal der Anklage, die in der Tat eine bloße Bezichtigung ist, auf das Bekenntnis der Täter verschoben: hier wird das Bekennerschreiben, das eins ist, zum „Selbstbezichtigungsschreiben“, das offen läßt, ob der, der es verfaßt und veröffentlicht hat, auch die Tat begangen hat, deren er sich „bezichtigt“. Imgrunde kann die Anklage in Staatsschutzprozessen nur davon ausgehen, daß die Angeklagten grundsätzlich lügen, Beweismittel manipulieren oder vernichten, daß m.a.W. ein rationaler Diskurs mit den Angeklagten nicht möglich ist; deshalb gibt es zur Isolationshaft keine Alternative. So „bezichtigt“ z.B. die BAW Birgit Hogefeld nur der Taten, von denen sie selbst nicht weiß, ob sie sie auch begangen hat; für das Gericht gelten diese Bezichtigungen so lange, wie sie nicht widerlegt werden, als bewiesen. Und diese „Beweisführung“ wird dadurch erleichtert, daß die Angeklagte durch die Haftbedingungen in ihren Verteidigungsmöglichkeiten behindert wird (apagogische Beweisführung unter Laborbedingungen).

    Zur inneren Differenzierung des Begriffs der Selbstbezichtigung: In der Geschichte der Verfolgung der Marranen ging es darum, die Infamie mit ihren eigene Waffen zu bekämpfen, um sich selbst, das eigene Jüdischsein, zu retten; in den stalinistischen Prozessen dagegen um das Mitspielen in einem Schauspiel, das, um die Idee der Befreiung zu retten, die Öffentlichkeit hinters Licht führen sollte, auch wenn man selbst dabei zum Opfer wurde (wie hängt die Idee der proletarischen Revolution mit Hegels „Weltgericht“ zusammen, und die Selbstbezichtigungen der Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen mit Marx‘ „Veränderung der Welt“?).

    Über das Verfahren des apagogischen Beweises hängt das Marranenproblem mit der Geschichte der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung zusammen, die in den Staatsschutzprozessen endet.

    „Schweinehund“: Marranen (zwangsgetaufte Juden, die nur äußerlich der christlichen Umwelt sich anpaßten, im Innern aber Juden geblieben waren) waren „Sauhunde“; die Wut, die sie in ihrer Umwelt hervorriefen, gründete darin, daß die zwangsangepaßten Christen in ihnen sich selbst und die Logik des Zwangsbekenntnisses, dem sie sich unterworfen hatte, wiedererkannten. Erweist sich nicht vor diesem Hintergrund Name des Schweinehundes und der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ (heute: die „Dressur des inneren Schweinehundes“) als das missing link in der Geschichte des Übergangs vom Antijudaismus zum Antisemitismus, bezeichnet er (im Bilde des Marranen) nicht den Punkt, an dem der Antijudaismus rassistisch wird?

    Zur Vorgeschichte der Klandestinität gehört das Marranentum (vgl. auch die Geschichte der Schiiten, die „Praxis der Verheimlichung, verbunden mit politischer subversiver Tätigkeit“ im Kontext der „Privatisierung öffentlicher Macht“ bei Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 459f).

    Die Parabel vom Weizen, der auf den Weg, auf steinigen Grund, unter die Dornen fällt, ist eine Parabel über den Zustand der Welt, in die das Christentum hineingeschickt wird.

    Bis heute haben alle Rachephantasien nur dem Feind genützt, haben ihn stärker werden lassen.

    In der Schrift sind nur männliche Namen theophore Namen, weibliche Namen sind im allgemeinen aus der Pflanzen- und Tierwelt.

    Die Frage nach dem Naturgrund von Herrschaft ist eins mit der kantischen Frage, warum die subjektiven Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind. Weist sie nicht zurück auf den zweiten Schöpfungstag, die Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern trennt?

    Ist das Relativitätsprinzip das naturwissenschaftliche Pendant der „Feste des Himmels“, und ist es nicht – als Instrument der Instrumentalisierung – der Unzuchtsbecher, das Instrument der Dauervergewaltigung?

    Im Feuer manifestiert sich die Beziehung zwischen dem Angesicht und dem Seitenblick: zwischen dem Licht und seiner Abbildung im Inertialsystem, der Elektrodynamik. Das Feuer wird in der Physik selber repräsentiert durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und durch die Planck’sche Strahlungsformel.

    Die Beziehung von Natur und Freiheit bei Kant ist Ausdruck dieser Beziehung des Seitenblicks zum Im Angesicht: des Feuers.

    Der Bann der Anpassung an die Welt (an den objektivierenden Seitenblick) läßt sich nur durch die Theologie im Angesicht Gottes, in dem ich mir selbst durchsichtig werde, lösen.

    Theologie heute: Der Versuch von etwas zu reden, von dem man – wie Franz Rosenzweig von Gott Mensch Welt – nichts weiß. Die Bewegung, die dieses Nichtwissen bei Franz Rosenzweig durchläuft: Ist das nicht die Bewegung, in der Daniel den Traum des Nebukadnezar, den dieser nicht mehr weiß, rekonstruiert?

    Zur Gegenreformation gehört eine Moraltheologie, die als Pornographie im Gewande der Moral sich begreifen läßt. Sie stellt Adornos Satz „Erstes Gebot der Sexualethik: Der Ankläger hat immer Unrecht“ auf den Kopf.

    Hat das Wort „Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ etwas mit der Beziehung von Occident und Orient zu tun, mit Westen und Osten (ex oriente lux)?

    Ist nicht der apagogische Beweis, der das heliozentrische System fast unangreifbar macht, der Instrumentalisierungsbeweis (der Beweis durchs Experiment)? Dehalb gehört zum apagogischen Beweis, der insbesondere als Instrument des Staatsschutzes Anwendung findet, die Folter. Die Zwangsbekehrung der Juden (das Marranentum) war ein Instrument der Selbstinstrumentalisierung der Religion, die experimentelle Erprobung der Reichweite der Bekenntnislogik. Der Preis war die Universalisierung der Feindbildlogik und die Außerkraftsetzung des „in dubio pro reo“. Sie hat den Angeklagten zum Feind gemacht, gegen den die Anwendung der Folter zulässig ist. In der Konsequenz dieser Logik wird der Ankläger zum Anwalt des Staates, des Rechts, nicht der Gerechtigkeit (der Gebrauch, der im Titel des Staatsanwalts vom Namen des Staats gemacht wird, setzt an die Stelle der Gerechtigkeit das Recht, trennt das phainomenon vom noumenon).

    Wie hängt der apagogische Beweis mit der Selbstbegründung der Mathematik (mit der Konstruktion des adialogischen synthetischen Urteils apriori) zusammen, der Begründung einer Welt, die sowohl vom Licht wie von der Sprache abstrahiert?

    Das Gravitationsgesetz ist das Bild des Schuldverschubsystems.

    Gibt es einen Zusammenhang der Pluralisierung des tän hamartian tou kosmou zu den peccata mundi mit der Konfessionalisierung des homologein (dem Ursprung der Bekenntnislogik)? Und wie hängt die Konfessionalisierung des symbolon zusammen mit der Geschichte der Confessiones (von Augustinus bis Rousseau)?

    Gehört der Selbstmord des Uriel da Costa (der seiner Confessio, dem Exemplar humanae vitae, folgt) in die Geschichte der Selbstmorde, die mit dem kollektiven Selbstmord in Massada beginnt und mit Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) endet?

    Ist nicht die Amsterdamer Bannformel (gegen Uriel da Costa und dann, veschärft, gegen Spinoza), ein Indiz der Infizierung der Synagoge durch die Bekenntnislogik?

    Das Problem der Beichte verweist auf das der Sündenvergebung, der Bekehrung des einen Sünders, über dessen Bekehrung größere Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, der Bekehrung des Sünders von seinen Wegen des Irrtums, und in diesem Zusammenhang auch auf das Problem des Worts vom Binden und Lösen. Nicht die Verurteilung der Wege des Irrtums, sondern ihre Reflexion ist der Beginn dieser „Bekehrung“.

    Emmanuel Levinas zufolge verkörpert das Angesicht des Andern das Gebot: „Du sollst nicht töten“. Zugleich widerlegt das Angesicht des Andern das Konstruktionsprinzip der subjektiven Formen der Anschauung: den Staat.

    Der erste Handel war Fernhandel, die erste Form des Erwerbs der Raub, zu den ersten Waren gehörten die als Sklaven auf dem „Markt“ angebotenen Kriegsgefangenen (zu denen auch die Frauen gehörten: Exogamie, Inzest-Verbot).

  • 21.3.1997

    Die Sprache steht der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern sie ist in sie verflochten und verstrickt. Wenn die Wirklichkeit außerhalb der Sprache und gegen sie sich zu behaupten scheint, so fällt dieses „außerhalb“ noch in die Sprache: als Objekt und Korrelat des richtenden Urteils. Die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt sind die Statthalter des richtenden Urteils.
    Wenn die Sprachgeschichte ein Teil der Herrschaftsgeschichte ist, dann ein subversiver.
    Das Huygens’sche Relativitätsprinzip ist ein Grenzfall des Einstein’schen, gültig im Bereich von (im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit) niedrigen Geschwindigkeiten. Entspricht hier nicht die Grenze, die die beiden Relativitätsprinzipien trennt und unterscheidet, der Grenze, die zwei Dimensionen des Raumes von einander trennt und unterscheidet? Sie bezeichnet einen zweiten Akt des Objektivationsprozesses. Nicht das selbe, sondern nur das gleiche Inertialsystem verbindet die Mechanik mit der Elektrodynamik und der Mikrophysik. – Oder ist es nicht schon das dritte: ist das zweite das des Gravitationsgesetzes?
    Ist der Begriff des Falls im ersten Satz des Wittgenstein’schen Tractatus logico-philosophicus ein Produkt dieser dreifachen Objektivation? Das physikalische Äquivalent des Wittgenstein’schen Satzes ist die Einstein’sche Identität von träger und schwerer Masse.
    Urteile werden gefällt: Was gefällt wird, wird zu Fall gebracht.
    Sind nicht alle Begriffe, mit deren Hilfe mikrophysikalischen Erscheinungen und Prozesse beschrieben werden, metaphorische Begriffe?
    In dem Vergleich der Nachkommenschaft Abrahams mit den Sternen des Himmels und dem Sand am Meer steckt ein logisches Problem: das der Pluralität.
    Wie hängt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ mit der Weizsäckerschen „Explosion von Genie“ zusammen (nach Kant ist die Natur im Subjekt die Produktivkraft des Genies)?
    Wer das Problem der deutschen Fraktion der Kopenhagener Schule nur unter dem Gesichtswinkel schuldig/nicht schuldig sieht, verfehlt die Sache. Beginnt die wirkliche Schuld nicht erst in der Unfähigkeit, post festum die eigene Verstrickung (die in actu unsichtbar war) zu reflektieren: in der Geschichte der Verdrängung?
    Blochs Satz „Der Anfang wird am Ende sein“ rührt an einen zentralen Sachverhalt: Die Geschichte der Aufklärung hat den Anfang ins Ende transformiert, und das über einen Akt, der die Wahrnehmung dieses Vorgangs zugleich verhindert hat, weil er im Kern des Objektivierungsprozesses selber sich vollzogen hat, in der Bildung der subjektiven Form der inneren Anschauung, der Vorstellung des Zeitkontinuums (der Idee des „Überzeitlichen“). Hierin gründet der Tatbestand, auf den der Satz sich bezieht: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Deshalb ist die bloße Verurteilung des Faschismus ein Instrument der Umkehrverhinderung.
    Der Ursprung der Umkehrverhinderung liegt in der kopernikanischen Wende: Seit der Konstituierung der Raumvorstellung (die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet und stabilisiert) führt jede Umkehr in die gleiche Scheiße zurück; seitdem ist die Zukunft wie die Vergangenheit. Die kopernikanische Wende hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: den Begriff vom Namen getrennt und den Namen vernichtet (die Zerstörung des Tempels, bei der kein Stein auf dem andern geblieben ist).
    Wo war in der Zeit der Richter die Bundeslade?
    Der Nachkriegs-Atheismus gründet in der Zwangslogik des Sich-tot-Stellens. Er kündigte sich an in Heideggers „Vorlaufen in den Tod“. Die Religion, von der der Fundamentalismus nicht lassen will, ist eine Religion für andere.
    Gehört nicht Weizsäcker zu den Protagonisten eines Diskurses über „Religion und Naturwissenschaft“, der es in erster Linie darum geht, ähnlich wie einmal die „spekulative Physik“ Einsteins, so jetzt auch die Religion so kurz und klein zu diskutieren, daß sie praktisch nicht mehr vorkommt, daß mit der Religion die Kraft des Eingedenkens, der Erinnerung, verschwindet. Dieser Diskurs steckt so im Bann der Rechtfertigungszwänge, die sehr konkrete Ursachen haben, daß er als Beleg für die Traditionszerstörung durch den Antisemitismus genutzt werden kann. Die deutsche Fraktion der Kopenhagener Schule war eine „deutsche Physik“, die Kreide gefressen hat.
    Heute breitet das Täter-Opfer-Paradigma sich aus: Die Deutschen, die Christen, die Männer, die Väter, die „Besserverdiener“, sie alle haben allen Grund, dieses Paradigma zu reflektieren. Haben nicht die Exkulpationslogiken, die diese Täter-Opfer-Paradigmen erzeugen, etwas mit dem Stand der „Aufklärung“, die seit je auf „klare Fronten“ abzielte: mit dem Stand der Geschichte der Herrschaftslogik, etwas zu tun?
    Wenn Hitler im Atheismus überlebt, dann gibt es zur Reflexion der Naturwissenschaften keine Alternative mehr. Hier werden die „Wege des Irrtums“ erstmals lesbar.
    Die Logik des Traums des Nebukadnezar läßt sich an der Beziehung der Astrologie zur Astronomie demonstrieren: Die Astronomie ist das Instrument des Vergessens; vergessen wurde die Astrologie, die den Traum bezeichnet, der zu deuten wäre.
    Astrologie und Astronomie lassen sich durch ihre Beziehung zur traditionellen Wahrheitsdefinition bestimmen: Die Astrologie hat die „adäquatio intellectus ad rem“ eröffnet, die Astronomie die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“.
    Das Urteil im Hogefeld-Prozeß hat im Umkreis der RAF eine ähnliche Wirkung ausgelöst wie die „Schüsse an der Startbahn“ auf die Anti-Startbahn-Bewegung. In beiden Fällen gab es den aufgescheuchten Hühnerhaufen. Verweist das nicht sehr deutlich auf die Beziehung von Urteil und Mord? In jedem Urteil, auch nach der Abschaffung der Todesstrafe, steckt ein Todesurteil. Deshalb gehört der Mord als Täterdelikt zu den Grundlagen des Strafrechts, zu den Säulen des Strafrechts.
    Der Rechtsstaat ist der säkularisierte Faschismus.
    Was hat Paulus gemeint, als er die drei Apostel in Jerusalem, Petrus, Jakobus und Johannes, die „drei Säulen“ nannte? Und was bedeuten eigentlich die Verdoppelungen und Verschiebungen in der Urgeschichte des Christentums:
    – beim Jakobus (Zebedäussohn, Sohn des Alphäus, Herrenbruder – wer ist der Autor des Jakobusbriefs?)
    – Simon (S. Petrus, Kananäus -> Nathanael?)
    – Johannes (der Täufer, Zebedäussohn)
    – Judas (Thaddäus, Sohn/Bruder des Jakobus, Herrenbruder, J. Iskarioth – sind Thaddäus, der des Jakobus und der Herrenbruder eins, wer ist der Autor des Judasbriefs)
    – Philippus (Apostel, einer der Diakone)
    – was ist mit Levi/Matthäus?
    Ist es möglich, aus den vier Evangelien und der Apostelgeschichte eine einheitliche Apostelliste aufzustellen?
    In der Nacht sind alle Katzen grau: Hat dieses Grau etwas mit dem „Grauen um und um“ bei Jeremias zu tun?

  • 10.3.1997

    Nochmals: Ist der Streit in der Prozeßgruppe nicht ein nachträglicher Sieg Hembergers und Schiefersteins, eine Folge der Unfähigkeit, das, was im Prozeß passiert ist, zu reflektieren und den Ohnmachtsschock, den das Urteil erzeugt hat, anders als durch Projektion zu verarbeiten? Und macht uns nicht unsere Empfindlichkeit zu Marionetten des Systems, zu willigen Vollstreckern der BANK, DIE IMMER GEWINNT? – Ist das Ganze nicht eine naturwissenschaftliche und metaphysische Erfahrung zugleich (Empörung und Verurteilung als Ich-Prothese; Kettenreaktion: Ausgrenzungen in der Linken als atomare Spaltprozesse; welche Halbwertzeiten haben linke Gruppenbildungen heute; sind die Halbwertzeiten ein Gradmesser der Reflexionsunfähigkeit)? Was bedeutet es eigentlich, wenn die Linke sich als Massenpartei versteht?
    Ist das nihil in dem Satz von der creatio mundi es nihilo nicht sinnlich anschaubar: Sieht es nicht aus wie Kohl oder Kanter?
    Verhalten sich Akkusativ und Genitiv zum Dativ wie die Welt zur Natur?

  • 9.3.1997

    Die Nachkriegsgeneration: Kinder der Dingwelt.
    Selbstverdinglichung, der Versuch, die Last, die auf uns liegt, durch Abwälzung auf andere (durchs Schuldverschubsystem) zu reduzieren, potenziert die Last.
    Rechts und Links nicht unterscheiden können: Die Umkehr wird in der Regel auf die Beziehung zwischen vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) oder oben und unten (Gott und Kreatur) bezogen, nicht auf die von rechts und links (über die ich, wie es scheint, nichts vermag). Rechts und Links: Diese Umkehr wäre die Bekehrung des Andern, ein Motiv, das die Kirchen – über das Verfahren der Mission – zu willigen Helfern des Imperialismus gemacht hat. Aber gibt es nicht auch das andere Motiv, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, und daß über die Bekehrung des einen Sünders größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte?
    Hängt die Blut-Symbolik (das Abwaschen der Sünde, das Reinwaschen der Kleider durchs Blut des Lammes, aber auch die Blut-Symbolik in der Thora und bei den Propheten) mit diesem Rechts-Links-Paradigma zu tun? Ist sie vielleicht nur so vom Schein der Metzgertheologie zu befreien? Liegt hier die Lösung des Rätsels des Rassismus (das selbst bei Rosenzweig in einer Weise anklingt, die nach Auschwitz unerträglich geworden ist)? Liegt an der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links die Umkehr Gottes (die Möglichkeit einer Theologie im Angesicht Gottes)? Unsere eigene Seele ist in den Wegen des Irrtums des Sünders (in den subjektiven Formen der Anschauung, in der Logik des Geldes und in der Bekenntnislogik) mit gefangen.
    Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß: Enthält das Gespräch, das Heisenberg im Krieg mit Nils Bohr geführt hat, den Schlüssel zum Verständnis des Versuchs, nach dem Krieg eine „einheitliche Weltformel“ zu entwickeln? Hat sich das nationalistische Erbe in diesen hilflosen Versuch, Einstein zu übertrumpfen, zurückgezogen, verkapselt und in einen Objektivismus entstellt, der seitdem endgültig nicht nur die Naturwissenschaften, sondern die Welt verhext?
    Stand der Aufklärung: Heute reden alle übereinander, weil sie die allgemeine pathologische Empfindlichkeit daran hindert, mit einander zu sprechen. Selbst die Theologie ist zur „Rede von Gott“ verkommen.
    Am Beispiel des Begriffs der Empfindung wäre nachzuweisen, daß der historische Subjektivierungsprozeß (die Rückseite des Objektivierungsprozesses) ein Vergiftungsprozeß ist. Der Begriff der Empfindung verweist auf die pathologisierende Gewalt der Aufklärung, die zu reflektieren wäre. Statt dessen haben die Nachfolger der kritischen Theorie die Dialektik der Aufklärung liquidiert.
    Hängen nicht die Objekte der Subjektivierung: Empfindung, Kritik und Schuld, wie der Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang mit einander zusammen?
    Gesellschaftskritik als Waffe ist ein Instrument der Potenzierung des Kritisierten, Gesellschaftskritik hat nur ein Recht als Mittel der Reflexion.
    Die Subjektivierung der Empfindungen, der Meinungen und der Schuldgefühle sind Attribute der Feindbildlogik.
    Hat nicht Paul Watzlawik zum Gespräch zwischen Heisenberg und Bohr ein aufhellendes Beispiel geliefert, das nur den einen Mangel hat, das es nur die Psychologie, nicht die Logik dieses Gesprächs beleuchtet?
    Verstricken sich nicht die „Alternativen“, die außerhalb des Systems (in der Natur oder in der Religion) die Nischen einer „heilen Welt“ suchen, eben damit in den Netzen des Systems? Sie möchten dem Schuldzusammenhang nur entrinnen, anstatt der Mühe sich zu unterziehen, ihn durch Reflexion zu sprengen.
    „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“: Liegt der Unterschied zwischen Jonas und Tobias vielleicht nur in dieser Frist?
    Ersetzt nicht der Begriff der Buße, und zwar schon im Namen der lateinischen paenitentia, die Umkehr durch die Selbstbestrafung, durch die Verinnerlichung von Herrschaft? Buße ist gnadenlos.
    Drückt nicht in der Darstellung der Buße im Buch Jona in der Tat die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, sich aus?
    Haben Rechts und Links mit Tod und Auferstehung zu tun, und die Unterscheidung von Rechts und Links mit der Umkehr Gottes?
    Es gehört zur Logik der Unsterblichkeitslehre, daß sie mit dem eigenen Tod den der Anderen verharmlost, in Kauf nimmt, daß sie hilft, den Verdrängungsprozeß gegen die Vergangenheit zu legitimieren: die Finsternis zu befördern. Ist die Finsternis das Licht der Aufklärung (der Begriff der Klarheit erinnert an die klaren Verhältnisse, die das Feindbild hervorbringt)?
    Zur Geschichte der Aufklärung gehört das Bild der Wilden wie zum Ursprung der Philosophie das der Barbaren. Sind die Wilden das Produkt der Hellenisierung der Barbaren, die nur durchs Christentum möglich war?
    Ist der Streit in der Prozeßgruppe ein nachträglicher Sieg Hembergers und Schiefersteins, eine Folge der Unfähigkeit, das, was im Prozeß passiert ist, zu reflektieren? Und macht uns nicht unsere Empfindlichkeit zu Marionetten des Systems, zu willigen Vollstreckern der BANK, DIE IMMER GEWINNT?

  • 9.2.1997

    „Ein Mischnalehrer lehrte vor Raw Nachman, Jitzchaks Sohn: Jeder, der das Gesicht seines Gefährten vor den Vielen erbleichen läßt, ist, als ob er Blut vergießt.“ (Bawa mezia 58a, zitiert nach Der Talmud, ausgewählt, übersetzt und erklärt von Reinhold Mayer, Goldmann München, S. 508) Läßt nicht die Theologie das Angesicht Gottes „vor den Vielen erbleichen“, ist diese Beschämung nicht der genaueste Ausdruck des Paradigmas „Hinter dem Rücken“ (des „Redens von Gott“), eigentlich des Objektivierungsprozesses insgesamt? Ist die Natur die Schöpfung im Zustand dieses Erbleichens? Und ist das Beschämen (das den Andern Nackt-Vorführen) nicht das Werk der subjektiven Formen der Anschauung: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren?
    Der intentio recta ist alles nackt. Und eine Theologie im Angesicht Gottes läßt auch als der Versuch, die Nackten zu kleiden, sich begreifen. Ist das nicht ein Hinweis auf das in dem Wort von den im Blut des Lammes gereinigten Kleidern Gemeinte?
    Durch die intentio recta wird der Taumelkelch zum Unzuchtsbecher.
    Der Ankläger läßt den Angeklagten erbleichen, der Verteidiger stellt ihn wieder auf die Füße. Das Beschämen gründet im Vorrang des Sehens vor dem Hören.
    In welchen Zusammenhängen erscheint der messianische Titel kyrios, Herr, und wer nannte Jesus zum erstenmal Herr (und wer nannte ihn Herr, und wer Meister, Rabbi)?
    Bedeutet der Satz, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, eigentlich auch, daß die Kirche ewig sein wird? Gibt es einen biblischen Hinweis auf den Namen der ecclesia triumphans?
    Ist der Ausdruck Sternendiener (für die Angehörigen der Völker) talmudisch, oder ist er biblisch begründet? Hat er nicht etwas mit dem Namen des Sünders und den Wegen des Irrtums zu tun?
    Im Begriff der Geschichte und im Verfahren des Historismus steckt ein apriorisches Element (gegen das Franz Rosenzweig seinen Stern der Erlösung geschrieben hat).
    Beamtenmentalität: Sich auf eine Weise den Kopf anderer Leute zerbrechen, daß man unfähig wird, sich in sie hineinzuversetzen.
    Nicht die frontale Anklage, der man sich stellen kann, sondern das Urteil hinter dem Rücken, gegen das man sich nicht wehren kann, ist tödlich.
    Das Verfahren der RAF-Prozesse gründet in der Anklage hinter dem Rücken, die nur pro forma der Gegenwart des Angeklagten bedarf. In einer Gesellschaft, in der alle über alle reden, aber niemand mehr mit dem, über den er redet, wird die verhängnisvolle Logik dieses Sachverhalts nicht einmal mehr wahrgenommen.
    Birgit Hogefeld hat sich nicht in die Rolle gefügt, in die die Unterstützer sie hineinzwingen wollten, sie hat sich nicht zur Geisel der „Unterstützer“ machen lassen; deshalb haben sie sie fallen gelassen.
    RAF-Phantom: Dieser Prozeß und dieses Urteil hatten mit der Angeklagten ebensoviel oder ebensowenig zu tun wie der Antisemitismus mit den Juden. Es gibt nur einen Unterschied, durch den die RAF-Prozesse deutlich vom Antisemitismus sich unterscheiden. Die RAF, die unter dem Programm angetreten ist, den Staat zu zwingen, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat diese Vorurteilssituation selber provoziert und durch ihr Handeln geholfen, sie herbeizuführen.
    Es gibt zwei Begriffe des Irrationalen, die sich durch das Kriterium, an dem sie sich messen, unterscheiden. Der eine orientiert sich an der Logik der Selbsterhaltung (in der das Programm der Aufklärung gründet), der andere am Zustand der Welt, der nur im Kontext der Selbstreflexion und nur durch Erinnerungarbeit sich begreifen läßt.

  • 30.1.1997

    Ist nicht das Modewort „geil“ ein Indikator für den Weltzustand? Waren nicht die Bundesanwälte im Hogefeld-Prozeß „geile Typen“?
    Georg Lukacs‘ Bemerkung zu Schopenhauer und dann Adorno war der logische Ausdruck seiner Verwerfung der Reflexion.
    Die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, darf nicht mit dem Mitleid verwechselt werden. Es gibt eine mitleidlose Barmherzigkeit. Das Mitleid entnervt, während die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, die Quelle des Selbstbewußtseins ist. Das unterscheidet die Barmherzigkeit von der Liebe, daß sie Kritik nicht ausschließt, daß sie teilhat an der richtenden Gewalt.
    Das Selbstbewußtsein, das der Barmherzigkeit sich verdankt, ist nicht gegen das Selbstbewußtsein anderer gerichtet: es hat den Trieb, das Selbstbewußtsein der Andern zu wecken, und somit die Kraft, sich auszubreiten. Diese Kraft, sich auszubreiten, gleicht der des Lichts, nicht der des Raumes; sie wird von der Ausdehnung des Raumes nur parodiert.
    In den Andern sich hineinversetzen, heißt: im Andern das Ebenbild Gottes erkennen, den Andern als Spiegel der Gotteserkenntnis begreifen: den Andern dort erkennen, wo nur Gott ihn erkennt. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
    Die Barmherzigkeit ist das Gericht über die Welt. Und die Barmherzigkeit ist das Licht der Welt, die an sich dunkel ist Die Welt ist der Inbegriff der Wege des Irrtums.
    Das Leuchten Seines Angesichts ist die Suspendierung der subjektiven Formen der Anschauung, die in ihm erlöschen. (Das Leuchten Seines Angesichts ist das Licht, in dem Sehen und Gesehenwerden eins werden.)
    Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Sie bezeichnet die Stelle, die der Ankläger nicht wahrzunehmen fähig ist. Darin gründet der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
    Wie unterscheidet sich die Ausbreitung (des Lichts) von der Fortpflanzung? Hat nicht die Fortpflanzung des Lichts etwas mit dem Unzuchtsbecher zu tun , und ist die Ausbreitung des Lichts, die von seiner „Fortpflanzung im Raum“ zu unterscheiden ist, nicht die Umkehr des Raumes? – Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verhältnis der Richtungen im Raum (für die Lösung der sieben Siegel)?
    Ist die Elektrodynamik die materielle Manifestation der Apagogik? Und ist der apagogische Beweis der Grund der Differenzierung des nihil (des Begriffs der bestimmten Negation)?
    Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ fällt hinter den Erkenntnisstand der kantischen Philosophie zurück.
    Die Heiligung des Gottesnamens ist eins mit der Befreiung der Theologie vom Bann des Herrendenkens.
    Das Perfekt gibt es in den zwei Gestalten: des „ist“ und des „haben“ (ich bin gewesen, und ich habe getan). Das „ist“ bezeichnet die ruhende (tote) Gegenständlichkeit des Vergangenen, das „haben“ den Besitz, die Besessenheit (was ich getan habe, das besitzt mich, das hängt mir an, davon komme ich nicht los).
    Die Idee der Auferstehung der Toten ist der Einspruch der hebräischen Sprachlogik gegen das Perfekt (der Offenbarung gegen den Mythos), gegen die Vorstellung einer abgeschlossenen Vergangenheit. Sie entspringt zusammen mit der Apokalyptik, dem Beginn der aktiven Auseinandersetzung mit den Völkern, dem Christentum.

  • 5.1.1997

    „Weltbilder erfüllen eine identitätsbildende und -sichernde Funktion, indem sie die Individuen mit einem Kernbestand von Grundbegriffen und Grundannahmen versorgen, die nicht revidiert werden können, ohne die Identität der Einzelnen wie der sozialen Gruppen zu affizieren.“ (Habermas I, S. 100) In diesem Satz kann man den Begriff „Weltbilder“ durch den Begriff „Feindbilder“ ersetzen, ohne daß sich an der Einsicht, die in diesem Satz sich ausdrückt, etwas ändert. Im Gegenteil: Es wäre eine Präzisierung und Verdeutlichung. Es gibt kein Weltbild ohne Feindbild; und das verbindet das Weltbild mit der Bekenntnislogik, zu der ebenfalls die kollektive Absicherung der „Grundbegriffe und Grundannahmen“ durch einen gemeinsamen Feind gehört.
    Der Ursprung der Philosophie wurde abgesichert durch den Gegenbegriff der Barbaren, der der Naturwissenschaften, und damit der modernen Aufklärung überhaupt, durch den der Wilden. Auch die Klarheit der Aufklärung (die Reinheit der „reinen Vernunft“) steht unter dem Bann des Feindbildes, einem Bann, der nur durch die Kraft des reflektierenden Urteils zu brechen ist.
    Antisemitismus und Bekenntnislogik: Beide sind Schuldverschubsysteme, beide wecken und instrumentalisieren die Kräfte der Projektion, um die Schuldreflexion zu vermeiden. Ist nicht der Antisemitismus das A und O der Bekenntnislogik, ihr Anfang und ihr Ende?
    Steckt nicht in jedem Beifall etwas von dem frenetischen Gebrüll, das Hitler entgegenschlug, als er zu Beginn des zweiten Weltkriegs als dessen Ergebnis den „Untergang der jüdischen Rasse“ ankündigte?
    Stephanus sah den Himmel offen und Jesus zur Rechten Gottes sitzen; die Mutter der Zebedäus-Söhne hat Jesus gebeten, er möge doch ihre Söhne zu seiner Rechten und zu seiner Linken sitzen lassen; zusammen mit Jesus wurden zwei Schächer gekreuzigt, einer zu seiner Rechten, einer zu seiner Linken (Mt 2738,44, Mk 1527,32, Lk 2333, Joh 1918); einem dieser beiden (es wird nicht gesagt, welchem) versicherte Jesus: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein (Lk 2343).
    Gegen das „Berliner Prozeßbüro“ (Nachwort zum Hogefeld-Buch): Es kommt nicht aufs Rechtbehalten, sondern nur noch auf eine Politik der Befreiung an.

  • 4.1.1997

    Das Inertialsystem ist ein Konstrukt aus Abwehr, Projektion und Rechtfertigungszwang. Das spezielle Relativitätsprinzip beschreibt die Todesgrenze, das allgemeine Relativitätsprinzip die Schuldgrenze.
    Hat der fallende Fahrstuhl (das Reflexionsmodell des allgemeinen Relativitätsprinzips) etwas mit dem Gattungswesen (mit der Lösung der Frage, weshalb die Sexualmoral in den drei „Weltreligionen“ diese zentrale Bedeutung hat gewinnen können) zu tun, bezeichnet er den logischen Punkt, an dem der Taumelbecher in den Unzuchtsbecher übergeht? Hierzu würde es passen, wenn im deutschen Strafrecht Trunkenheit als Strafmilderungsgrund gilt. Und es liegt in der Konsequenz dieser Logik, wenn in Deutschland die Strafe (und mit ihr der Staat, dessen Gewalt darin sich manifestiert) immer mehr der Vergewaltigung sich angleicht, damit aber ihre raison d’etre verliert. Deshalb fällt es deutschen Gerichten so schwer, in der Vergewaltigung ein Verbrechen zu erkennen (im Hogefeld-Prozeß waren die Assoziationen an eine Vergewaltigung fast sinnlich präsent). – Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Beschreibt nicht der Staatsschutz in der Rechtssystematik die Stelle, an der die Abwehr des Verbrechens mit der Schuldabwehr (dem „Staatsschutz“) sich mischt und in Aggression umschlägt (z.B. in dem Gebrauch, den die Bundesanwaltschaft von der Kronzeugenregelung macht)? – Vgl. hierzu Jud 18 und die parallele Stelle in 2 Pet 210 (Stichworte: Befleckung des Fleisches, Verachtung der Herrschergewalt und Lästerung der Majestät).
    Habermas unterscheidet zwischen der „Wahrheit“ gegenständlicher Aussagen, der „Richtigkeit“ handlungsbezogener Normen (zu denen auch die mathematischen Gesetze gehören) und der „Wahrhaftigkeit“ des ästhetischen Ausdrucks, der Expression (sh. u.a. I, S. 69). Gehört nicht die Wahrhaftigkeit der gleichen autoritären Sphäre an, in der das Gebot, „kein falsches Zeugnis wider den Nächsten“ zu geben, durch das andere „Du sollst nicht lügen“ ersetzt worden ist? Das moralische Verbot, einem andern bewußt oder fahrlässig durch ein „falsches Zeugnis“ zu schaden, wird durch das Verbot der Lüge in die Sphäre des paranoiden Aufklärungsinteresses der Herren, die im Bereich ihrer Herrschaft kein Geheimnis dulden können, gerückt. Insgesamt wird das für den Wahrheitsbegriff konstitutive Moment der Reflexion auf den Andern durch die Habermas’schen Denominationen der Wahrheit aus deren Begriff eliminiert.
    Hierzu paßt es, wenn Habermas den Begriff der Barmherzigkeit nur in ironischem Sinne gebraucht (vgl. die „hermeneutische Barmherzigkeit“, S. 79).
    Erinnert nicht der Begriff des Richtigen, den Habermas auf den Bereich des Handelns bezieht, an die – durch die abstraktive Gewalt der Orthogonalität vermittelte – Beziehung von Objektivierung und Instrumentalisierung; gründet nicht der auf gegenständliche Erkenntnis eingeschränkte Wahrheitsbegriff in dem Interesse an der Instrumentalisierung, das sie mit diesem, auf die intentio recta eingeschränkten Gebrauch des Wahrheitsbegriffs zugleich verdrängt? Diese Verdrängung wird in der Orthogonalität als gegenständliche Gewalt angeschaut.
    Wie verhalten sich die „Geheimnisse“, die die politischen Ermittlungs- und Aufklärungsbehörden in Feindländern wie in der Privatsphäre der Bürger aufzudecken versuchen, zum Herzen, in das nur Gott sieht?
    Wie hängt der Begriff des falschen Zeugnisses mit dem Namen des falschen Propheten (des Tiers vom Lande) zusammen?

  • 27.12.1996

    Haben die Cherubim (in der Sündenfall-Geschichte, in der Ezechiel-Vision und in der Johannes-Offenbarung, auch der Gottesname „der auf den Cherubim thront“ sowie die Formel „der Himmel ist sein Thron“) etwas mit dem Saturn und seiner Stellung im Planetensystem zu tun? Ist das Planetensystem die Merkaba (wie verhalten sich die Cherubim zu den Ofanim)? Entsprechen den vier apokalyptischen Reitern die Planeten Jupiter, Mars, Venus und Merkur, während Sonne und Mond direkt als apokalyptische Objekte genannt werden?
    Wenn der göttliche Zorn die Kehrseite seiner Liebe ist, dann ist die göttliche Rache die Kehrseite seiner Barmherzigkeit.
    Die Feindbildlogik ist nur ein Moment in der Logik insgesamt, sie ist nicht ihr Grund. Sie erzeugt den blinden Fleck der Logik.
    Die Feindbildlogik ist das Verbindungsglied zwischen der Schlange/dem Drachen und den beiden apokalyptischen Tieren.
    Seitenblick: Kopernikus hat, als er die Sonne ins Zentrum rückte, die Erde zum Planeten gemacht, sie insgesamt auf den Irrweg geschickt.
    Ist der Saturn der fahrende Zug (Repräsentant des speziellen Relativitätsprinzips), die Sonne der fallende Fahrstuhl (Repräsentant des allgemeinen Relativitätsprinzips) und die Erde der Plancksche Hohlraum (der Ort des Feuers)?
    Der Zug, der auf den Abgrund zurast, ist ein Bild der Natur und der Ökonomie zugleich. Ist er nicht auch ein Bild der Bekenntnislogik: das der Hölle (nur die Hölle läßt sich aus der Bekenntnislogik begründen, nicht der Himmel)?
    Läßt die Gnosis aus der Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik sich ableiten, aus der Versuchung, die Bekenntnislogik von ihrer Wurzel: der Opfertheologie, zu trennen, die Opfertheologie durch Externalisierung aus der Bekenntnislogik zu eliminieren? Gehört die Gnosis nicht zu den zwangslogischen Folgen des Urschismas?
    Wirre Logik: Gehören zu diesem Stichwort nicht – ähnlich wie der „offene Brief“ der JU an den Bischof von Limburg – auch die Reaktion der FR auf Daniel Jonah Goldhagen, ihre Berichterstattung über den Hogefeldprozeß (und die redaktionellen Kommentare und Bemerkungen dazu) und heute die Reportage über den Weihnachts-Selbstmord der 49-jährigen Frau in Sindlingen (der dämonisierende Gebrauch von Begriffen wie „Ungerechtigkeit“ und „Perfidie“ zur Beschreibung und Charakterisierung zufälliger Umstände, die durch diesen Sprachgebrauch in das Licht einer hinterhältigen, heimtückischen „Vorsehung“ gerückt werden: ins Licht der Paranoia)?
    Das Verschwinden der Verwandtschaftsbezeichnungen und der formellen Anrede nach dem Kriege täuscht eine allgemeine Verbrüderung vor, die es nicht gibt. Ist es nicht eher Ausdruck der Antizipation eines Zustandes, in dem die Herrschaftsstrukturen sich so verhärten und versteinern, daß sie in Abhängigkeit von der schwindenden ökonomischen Durchlässigkeit inzwischen die sprachliche Kommunikation generell ausschließen? Die politischen „Sparprogramme“ ziehen hieraus nur die Konsequenzen: Im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“ testen sie die Grenzen der moralischen Enthemmung und der sozialen Blindheit der Herrschenden und Besitzenden und zugleich die Grenzen der Zumutbarkeit bei denen, die unten sind und sich nicht wehren können. Mit den Zahlen der Obdachlosen, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen wächst die Zustimmung zum System bei denen, die in diesen Zahlen das Spiegelbild ihres Wohlstands erkennen. In Wirklichkeit erzeugt die allgemeine Verbrüderung zwei feindliche Brüdermassen (die Gleichnamigkeit der Ungleichnamigen) und in ihnen einen Zustand, der dem kritischen Punkt der Selbstentzündung rapide sich annähert.
    Die subjektiven Formen der Anschauung: Instrumente der Verstockung des Herzens, der moralischen Enthemmung und der sozialen Blindheit.
    Wenn der Mensch das Ebenbild Gottes ist, ist er dann nicht der einzige Spiegel, in dem Gott sich erkennen läßt? Vor dem Urteil über das Handeln eines Menschen steht die Frage, ob ich, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, anders hätte handeln können. Nur über das Verständnis des Andern, Voraussetzung jeder Selbstreflexion, ist die eigene Blindheit aufzulösen.

  • 17.12.1996

    Wie der Tempel im Anfang das Haus des Namens war (und dann deutlich vom Haus des Herrn und vom Haus Gottes sich unterscheidet), war auch das Bekenntnis zunächst das Bekenntnis des Namens. Darin war die Beziehung zur Anrufung des Namens, eine Sprachbeziehung, enthalten, die durch die Reflexionsbeziehung zur Schuld, zum Schuldbekenntnis, die mit dem Begriff confessio/Bekenntnis mit gesetzt ist, reversibel gemacht wird, damit aber den Namen löscht (die Beziehung, die im Bekenntnis des Namens sich ausdrückt, ist als eine reine Sprachbeziehung irreversibel – diese Irreversibilität wird, nachdem sie durch die Zeit usurpiert worden ist <durch Subsumtion unter die Zeit>, im Begriff, dem dann ein Objekt korrespondieren muß, neutralisiert: Hat nicht die Kirche im Symbolum das Bekenntnis des Namens durch das Glaubensbekenntnis und dann mit der Eucharistieverehrung den Namen durch die dingliche Gegenwart ersetzt?).
    Liegt nicht ein Problem Rosenzweigs im Begriff der Offenbarung im Übergang von der Liebe Gottes zum Schuldbekenntnis der Seele, müßte hier nicht die Gottesfurcht stehen?
    Das Gesetz der Reversibilität (in dem der Schuldbegriff gründet) wird durch die subjektiven Formen der Anschauung in die Sprache hineingebracht. Die subjektiven Formen der Anschauung (der Taumelkelch) haben die Sprache instrumentalisierbar gemacht. Sie verwirren die erkennende Kraft des Namens, ohne sie jedoch löschen zu können; sie sind die „Pforten der Hölle“, die die Kirche (und die in ihr aufbewahrte Kraft des Namens) nicht überwältigen werden.
    Der Name ist das Herz der Sprache. Aber was sind die „Nieren“ der Sprache? (Sind die Nieren nach innen, was das Herz nach außen ist?)
    Jedem Urteil liegt eine Verurteilung zugrunde: Ist diese Verurteilung das Feuer im brennenden Dornbusch?
    Im Hogefeld-Prozeß war das Weltgericht in Aktion zu sehen.
    Wenn Sehen Urteilen ist, dann ist Augenlust Urteilslust (und nicht – so Ton Veerkamp – „Raffgier der Augen“). Sollte nicht der antisemitische Sprachgebrauch, der das jüdische „raffende“ Kapital dem arischen „schaffenden“ Kapital gegenüberstellte, vor dieser Wortwahl schrecken?
    Zur Buberschen „Huld“: Unterscheidet sich nicht die „Huld“ von der Barmherzigkeit sowohl theoretisch wie auch praktisch? Huld ist eine Form der Anerkennung des Knechts durch den „gnädigen Herrn“, die die Herrschaftsbeziehung nicht antastet, sie bleibt eindimensional und im Bann dieser Herrschaftsbeziehung: Der Knecht „huldigt“ seinem Herrn, während der Herr dem Knecht „Huld erweist“, die er ihm sofort entziehen würde, wenn der Knecht versuchen würde, aus dieser Herrschafts- und Huldbeziehung auszubrechen. Huld ist herrschaftsstabilisierend. Von der Barmherzigkeit hingegen heißt es: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater in den Himmeln barmherzig ist“. Barmherzigkeit ist eine im Kern theologische Kategorie, ihre Bedeutung und ihre erkenntnisaufschließende Kraft ist nur in theologischem Zusammenhang zu begründen und zu entfalten; Barmherzigkeit gehört zu den Attributen Gottes, von denen Emanuel Levinas einmal gesagt hat, daß sie im Imperativ, nicht im Indikativ stehen (das Bekenntnis ist die öffentliche Manifestation des Hörens dieses Imperativs). In dem Jakobus-Wort „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ drückt aufs genaueste der subversive, herrschaftskritische Charakter dieses theologischen Begriffs (und in ihm jeder Theologie, die diesen Namen verdient) sich aus. Barmherzigkeit ist das Gegenteil einer Herrentugend: Bis heute gibt es keine Gestalt der Herrschaft, die nicht, um für ihre Aufgaben sich zu qualifizieren, die Barmherzigkeit, die Fähigkeit, in andere sich hineinzuversetzen, in sich unterdrücken und verdrängen muß. Deshalb gibt es bis heute keine Gestalt der Herrschaft, die nicht für das, was sie sich selbst antun muß, für ihre Verhärtung, den Preis zu zahlen hätte: den der Verblendung, der Erfahrungs- und Wahrnehmungsunfähigkeit. Nur bei ihrer Dummheit (und d.h. nur durch den Geist, dessen erkennende Kraft in der Barmherzigkeit oder, was damit identisch ist, in der erkennenden Kraft des Namens gründet) ist Herrschaft angreifbar. Barmherzigkeit als die jedes Herrendenken sprengende Kraft ist der Kern der Solidarität, die einzige Chance, auch unten den Kopf oben zu behalten. – Wenn Gott die Propheten im Mutterschoß berufen hat, hat er sie dann nicht in der Barmherzigkeit, die der Mutterschoß der Sprache ist, berufen?
    Die Barmherzigkeit bringt Licht in den blinden Fleck der Logik, sie sprengt den Begriff durch die erkennende Kraft des Namens.
    Gegen Unbarmherzige ist die Barmherzigkeit unbarmherzig: Das Hegel’sche Weltgericht ist nicht das Jüngste Gericht, vielmehr wäre das Jüngste Gericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.

  • 5.12.1996

    Bericht der FR über ein Schreiben der RAF zum „Aussteigerprogramm“ („RAF sagt nein zum Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes“):
    – Danach lehnt die RAF das Aussteigerprogramm u.a. deshalb ab, weil „damit … RAF-Mitglieder dazu gebracht werden (sollen), ’sich zum Werkzeug des Staatsschutzes zu machen und so nicht nur ihre GenossInnen, sondern auch ihre eigene Geschichte zu verraten’“. Die Formulierung zeigt, daß, was ohnehin seit langem zu erkennen ist, der RAF heute die „eigene Geschichte“ wichtiger ist, als die eigenen GenossInnen. Sie sind wirklich nur noch Gefangene ihrer Geschichte, damit aber unfähig geworden, die Ziele, für die sie vorgeben sich einzusetzen, überhaupt noch wahrzunehmen, denn das würde die Fähigkeit zur Reflexion – und zwar zur öffentlichen Reflexion – der eigenen Geschichte mit einschließen. Deshalb mußte z.B. Birgit Hogefeld, die damit einen Anfang gemacht hat (der auf das Urteil über sie keinen Einfluß hatte) auch von ihren eigenen GenossInnen ausgegrenzt werden. Wie es scheint, sieht die RAF zu den Rechtfertigungszwängen, unter denen sie steht, keine Alternative mehr.
    – Der Satz, daß die Entscheidung Christoph Seidlers, für die die RAF Verständnis bekundet, gleichwohl „nicht einfach in Ordnung“ sei, erscheint begründet, hat aber auch die fürchterliche Konsequenz, daß hier die Forderung nach Solidarität von einer Beziehung, die der Geiselnahme der eigenen GenossInnen gleicht, fast nicht mehr sich unterscheiden läßt. Will die RAF wirklich den Hinweis auf das mögliche Handeln der Staatsschutzorgane als Mittel der Erpressung gegen GenossInnen, die „aussteigen“ wollen, verwenden (wobei offenkundig ist, daß das zur Intention des Aussteigerprogramms gehört, das nur die „Kronzeugenregelung“, den Verrat als Ausweg offenläßt)?
    – „Sicherheitsexperten … (wunderten) sich darüber, daß in dem Schreiben nicht auf das Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld eingegangen wurde“ (Hervorhebung von mir):
    . Daß sie sich darüber wundern, ist entweder Heuchelei oder Dummheit. Der Grund, weshalb Birgit Hogefeld nicht erwähnt wird, ist dem Schreiben zu entnehmen: Sie hat nach Auffassung der RAF mit ihren Erklärungen in dem Prozeß gegen sie die „eigene Geschichte (gemeint ist die Geschichte der RAF, H.H.) verraten“.
    . Im übrigen war das Urteil kein „Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld“, sie hat sich nicht selbst verurteilt, sondern es war ein Urteil gegen sie. Diese Formulierung paßt zu einem Begriff, der neuerdings im Wortschatz der Bundesanwaltschaft wie auch der Medien auftaucht, wo aus Bekennerschreiben „Selbstbezichtigungsschreiben“ werden. Hier wird durch die Sprachlogik unterstellt, daß die RAF und ihre Mitglieder sich selbst anzeigen („bezichtigen“) und dann auch verurteilen, daß das Staatsschutzverfahren eine unschuldige Maschine ist, die von Menschen bedient werden, die, wenn sie sich an die Bedienungsregeln halten, mit dem, was sie tun, nicht mehr sich zu belasten brauchen. Eine Maschine ist nicht kritisierbar, sie ist nicht ansprechbar und nicht reflexionsfähig, sie ist nur brauchbar oder unbrauchbar. Nur: Das Recht mag maschinell herstellbar sein, die Gerechtigkeit, zu deren Idee das „rechtliche Gehör“, und das heißt: eine sprachliche Beziehung des Gerichts zum Angeklagten, der Versuch, ihn zu verstehen, gehört, diese Gerechtigkeit, zu deren Hervorbringung eine Maschine nicht fähig ist, ist es nicht. Die Verweigerung dieses „rechtlichen Gehörs“, oder auch die darin begründete moralische Enthemmung des Rechts, die den Angeklagten zum Feind macht, drückt in einem Begriff wie „Selbstbezichtigungsschreiben“ und in einer Wendung wie „das Urteil der ehemaligen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld“ sich aus.
    Die Materie ist der Ausdruck der Verschuldung der Dinge (vgl. hierzu den Hinweis auf die Verschuldung der Banken bei Dirk Baecker, S. 60).
    Die Währungshoheit ist der Ausdruck der Verschuldung des Staates, die über die „Kreditschöpfung“ der Banken privatisiert wird.
    Die verwaltete Welt ist eine Maschine, in der jeder seine Pflicht tut, aber keiner mehr weiß, was er tut. Hat das nicht etwas mit den Planetenbahnen zu tun, deren Notwendigkeit den anderen Sachverhalt nicht aufhebt, daß die Wege der Planeten Wege des Irrtums sind?
    Gehorchen nicht auch die RAF-Prozesse der Logik der Privatisierung, und liegt in dieser Logik der Privatisierung nicht der ökonomische Grund der Feindbildlogik, der moralischen Enthemmung und Entpolitisierung auf beiden Seiten, auf der des Staatsschutzes wie auf der des Terrorismus?
    Das technisch-positivistische Rechtsverständnis, Korrelat der logischen „Privatisierung“ des Rechts, ist das offene Tor, durch das die moralische Enthemmung des Rechts ins Recht eindringt und die Gerechtigkeit aus dem Recht ausgetrieben wird.
    Beginnen nicht der Staatsschutz und die RAF, sich jetzt endgültig spiegelbildlich einander anzugleichen? Unterliegen nicht beide Seiten dem Gesetz der fortschreitenden Entpolitisierung?
    Der Vorrang der eigenen Geschichte, die „nicht verraten“ werden darf, vor den GenossInnen, die dann zu Geiseln des Zwangs werden, der von der Unfähigkeit ausgeht, die eigenen Geschichte zu reflektieren, gründet in der Verwechslung von Reflexion und Verrat, deren Opfer Birgit Hogefeld geworden ist.
    Das Stichwort „Verrat der eigenen Geschichte“ ist das logische Pendant des Begriffs „Selbstbezichtigungsschreiben“. Beide verweisen auf den Hogefeld-Prozeß und konvergieren in ihm. Der Hogefeld-Prozeß konnte nur als Justiz-Maschine laufen, in der ihre Erklärungen (als Varianten der „Selbstbezichtigung“) ins Leere verhallten, und die gleichen Erklärungen haben die RAF zu einer Entscheidung gezwungen, der sie nicht gewachsen war: Anstelle des Wegs in die politisch-moralische Selbstbefreiung durch Reflexion der eigenen Geschichte hat sie die Dogmatisierung des Rechtsfertigungszwangs gewählt, die Verwerfung der Reflexion als „Verrat der eigenen Geschichte“.
    In den gleichen Kontext gehört der Angriff auf Hubertus Janssen, der ebenfalls von beiden Seiten erfolgte: Auch er sah sich plötzlich sowohl als Agent des Staatsschutzes wie als Unterstützer der RAF.
    Zu den zentralen inneren Problemen der RAF gehört ihre Unfähigkeit, den Wirkungszusammenhang von Sprache und Ökonomie, die Abhängigkeit der Sprachlogik von der Logik, die in der Geschichte der Ökonomie sich entfaltet, und damit die Einwirkung dieser Logik auf das Bewußtsein derer, die diese Sprache sprechen und in ihr denken, und d.h. auch auf das eigene Bewußtsein, zu reflektieren.
    Parallelität oder Wiederholungszwang? Sind nicht im Hinblick auf die Toten in Stammheim beide Versionen denkbar: die Mord-Version (Vertuschung der Morde an den Gefangenen durch die Selbstmordkonstrukte) wie auch die Selbstmord-Version (die Instrumentalisierung der Selbstmorde durch die RAF zu Mobilisierungszwecken), während in Bad Kleinen nun wirklich nur die Mord-Version (die Exekution von Wolfgang Grams, um die Pannen beim Tod des Beamten Newrzella zu vertuschen) Sinn macht, und die Selbstmord-Version eher dazu geeignet ist, auch die offizielle Stammheimer Version nachträglich noch in Zweifel zu ziehen? Verräterisch ist hier nun wirklich der absurde Versuch, das Stammheimer Konstrukt auch in Bad Kleinen nochmals zu Hilfe zu nehmen. Vor allem: Im Hogefeld-Prozeß ist jeder Versuch, im Kontext des Vorwurfs der Beteiligung von Birgit Hogefeld an dem „Mord an Newrzella“, der Wolfgang Grams angelastet wird, dessen Tod, der ja nun wirklich in ursächlichem Zusammenhang mit dem Gesamtvorgang in Bad Kleinen steht, zum Gegenstand der Beweiserhebung zu machen, mit wütender Verbissenheit abgewehrt worden. Und mit dem Trick des Freispruchs in dieser Sache, der die Feststellungen des Gerichts juristisch unangreifbar macht, ist nicht nur der Mordvorwurf gegen den toten Wolfgang Grams festgeschrieben worden, sondern damit zugleich ein Tathergang, der die Selbstmordthese mit abzustützen helfen soll. Wäre Bigit Hogefeld in diesem Punkt mit Gründen, die eigentlich schon bei Einreichung der Anklageschrift zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes hätten führen müssen, nicht freigesprochen worden, so wäre nicht auszuschließen gewesen, daß in einem Revisionsverfahren auch der angebliche Selbstmord von Wolfgang Grams zum Gegenstand der Beweiserhebung hätte werden können. Läßt sich, was im Hogefeld-Prozeß auf dem Spiel stand, nicht vielleicht doch genau an diesem Freispruch ermessen? – Und genau hier gehorcht die RAF dem Grundsatz aus der Feuerzangenbowle: „Da stelle mer uns janz dumm“, und riskiert, wie sie es im Falle Christoph Seidler, dem sie dann noch oberlehrerhafte Zensuren erteilt, offensichtlich sehenden Auges getan hat, daß Unbeteiligte jahrelang dem Verfolgungsdruck ausgesetzt sind und vielleicht sogar – wie möglicherweise in einer Reihe von von RAF-Prozessen, vielleicht auch im Falle Birgit Hogefelds – wegen Taten, die sie nicht begangen haben, bis hin zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt werden.
    Ist nicht dieses Wort von dem „Verrat der eigenen Geschichte“ zweideutig: logischer Angelpunkt einer Kollektivhaftung aller Mitglieder der RAF für alle Taten der RAF? Bezogen auf Birgit Hogefeld kann es RAF-intern bedeuten, daß ihr generell das Recht verweigert wird, sich von Taten der RAF zu distanzieren, während es in den Händen der Ermittlungs- und Strafverfolgungseinrichtungen der Unterstellung Nahrung liefert, daß die „eigene Geschichte“ auf die von Birgit Hogefeld sich bezieht, und z.B. als beweislogisch verwertbarer Hinweis auf ihre Beteiligung am Mord an Pimental verwandt werden kann, deretwegen sie dann auch verurteilt wurde.
    Ist nicht die Larmoyanz des Anklägers (ein Reflex ihrer Rolle in der Justizmaschine), der zur Selbstentlastung auf seine Pflicht sich beruft, im wörtlichsten Sinne „unerhört“ (geblieben): auch vom Gericht unerhört, weil es sich selbst darin wiedererkannte? Aber gibt es diese Larmoyanz nicht auf beiden Seiten, und ist sie nicht der Grund, daß der Eindruck sich längst verfestigt hat, daß die RAF sich eigentlich nur noch um ihr eigenes Schicksal sorgt, zur Gegenwartsanalyse aber ernsthaft nichts mehr beizutragen vermag? Es ist das Selbstmitleid, das ihnen den Blick verstellt (die Empfindlichkeit, die sie unsensibel macht).
    Natürlich hat der Name des Petrus etwas mit der Geschichte der Versteinerung der Kirche zu tun. In der Geschichte der Kirche selbst waren es das Bündnis mit der Macht, die Rezeption der Philosophie, des Hellenismus (des Weltbegriffs), der Ursprung und die Geschichte des Dogmas und der Orthodoxie und in deren Kern die Opfertheologie (die Instrumentalisierung des Kreuzestodes), über die die Versteinerungsgeschichte gelaufen ist. Der Anspruch Roms, in diesen Punkten federführend zu sein: als Bewahrerin der Orthodoxie, war danach durchaus konsequent.
    Ist nicht das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Widder und redet wie ein Drache, der falsche Prophet, das Symbol des Sündenbocks. Ist der Sündenbock (der Widder) nicht das männliche Pendant des weiblichen Lamms?
    Ist das Tier aus dem Wasser die politische Ökonomie (das Wasser Symbol der Ware, und damit der Völkerwelt), und sind die Banken das Tier vom Lande (der falsche Prophet)? Ist das Ende der Nationalökonomie (und damit auch das Ende der bisherigen Gestalt der Kritik der politischen Ökonomie), die Rolle in der Theorie durch die BWL übernommen wurde, die die Rentabilität (anstelle des „Reichtums der Nationen“) ins Zentrum rückt, nicht eine Folge der Hypostasierung des Blicks der Banken, der die Welt versteinert? Und ist nicht dieser Blick das Modell der „subjektiven Formen der Anschauung“?
    War nicht die Weltwirtschaftskrise (Dirk Baecker, S. 66ff) der Wendepunkt, und vor diesem Hintergrund der Faschismus in der Tat die Generalprobe?
    Dirk Baecker weist darauf hin, daß die ersten „Bankgeschäfte“ in Babylon Kreditgeschäfte (Agrar-, Handels- und Konsumkredite) auf der Grundlage der in den Tempeln gehorteten Vorräte waren, während erst in Griechenland – auf der Grundlage des Geschäfts der Geldwechsler und der Münzprüfer (der Ablösung des „Bankgeschäfts“ von der Tempelwirtschaft) – die „erste berufsmäßig betriebene Depositenbank …, in der aus Einlagen Kredite vergeben wurden, … eingerichtet worden zu sein (scheint)“ (S. 67). – Ist das nicht der Hintergrund der mathematischen Entdeckungen der Griechen (der Entdeckung des Winkels und der logischen Entfaltung der Geomtrie) , und in Zusammenhang damit des Ursprungs der Philosophie (der „Erfindung“ des Begriffs)?

  • 4.12.1996

    Muß man nach dem Hogefeld-Prozeß und nach der Rückkehr von Christoph Seidler vielleicht doch das Undenkbare denken? „Die von ihm gemachten Aussagen … bringen auch das Fahndungskonzept von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft ins Wanken: Das Gesicht der RAF hat mit den Gesichtern auf den Fahndungsplakaten mutmaßlich nicht allzuviel zu tun“ (so in der FR von heute). Was wäre, wenn die nie aufgeklärten Aktionen der RAF gar nicht von ihr kamen, daß sie von den Gefangenen der RAF, von denen, die sich im Untergrund als „Mitglieder der RAF“ verstanden und von denen, die sie unterstützten, die es alle nicht besser wußten, nur dafür gehalten worden sind, weil sie an diesen Aktionen, am Bild der Kontinuität ihres „Kampfes“, eine Stütze ihres Selbstbewußtseins, ihrer „Identität“ zu finden glaubten? War das „Aussteiger-Programm“ vielleicht ein Programm, daß sicherstellen sollte, daß niemand mehr aus dem „Untergrund“ sich ans Licht traute, weil das möglicherweise das ganze Konstrukt hätte platzen lassen? Was ist gemeint, wenn, der FR zufolge, „in Sicherheitskreisen … der Fortbestand des ‚Aussteigerprogramms‘ damit begründet“ wird, daß man „auf diese Art Illegale ‚der Justiz zu(führe)’“?
    Sind nicht die Bilder vom fahrenden Zug oder vom frei fallenden Fahrstuhl, an denen Einstein das Grundproblem seiner Relativitätstheorien demonstriert hat: das Problem der Beziehung des ruhenden zum bewegten Inertialsystem, Bilder der Beziehung des Naturbegriffs zum Weltbegriff, die Kant einmal durch die Beziehung des dynamischen zum mathematischen Ganzen der Erscheinungen zu definieren versucht hat?
    Heute sind nicht mehr nur die Kapitalisten „Charaktermasken des Systems“, sondern ebenso die, die glauben, durch Feindschaft gegen das System, durch seine Verurteilung und Bekämpfung, dem Bann schon entronnen zu sein. Wenn es einen Fortschritt gibt, dann den, daß heute – in einem noch aufzuklärenden Zusammenhang mit der Verurteilungslogik – beide Seiten zu Marionetten des Systems geworden sind, daß sie beherrscht.

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