Horkheimer

  • 26.12.87

    Habermas‘ Aufsatz „Die Verschlingung von Mythos und Aufklärung“ (in: K.H.Bohrer: Mythos und Modern. Ffm. 1983) lesen: Hier scheint präzise die Differenz der Frankfurter Schule zu ihren Urhebern beschrieben zu sein (die soweit geht, daß Hauke Brunkhorst bereits vom „Scheitern“ der DdA spricht; vgl. „Die Welt als Beute“ in: „Vierzig Jahre Flaschenpost. Die Dialektik der Aufklärung 1947-1987, hrsg. von Willem van Reijen und Gunzelin Schmid Noerr, Ffm. 1987, S. 154ff, insbes. S. 182f). Grund der Differenz scheint der undifferenzierte Begriff des Mythos zu sein, der hier im Sinne Bultmanns, nicht aber in dem Benjamins verstanden zu werden scheint. Danach wird der Begriff des Mythos nicht dem der Befreiung, sondern dem der wissenschaftlichen Aufklärung, letztlich dem naturwissenschaftlichen Weltbegriff, entgegengesetzt, in dem der gleiche Schicksals- und Verblendungszusammenhang wiederkehrt, dem Aufklärung einmal opponierte. Wer diese Konsequenz aus der DdA zieht, hat sie nicht verstanden und verharrt verstockt in dem Bereich, den sie kritisiert.

  • 22.4.1997

    Die Ursprungsgeschichte der Philosophie ist die Ursprungsgeschichte einer theoretischen Beziehung zur Objektivität, die in Alexander praktisch geworden ist (die Ursprungsgeschichte der stoischen Ataraxia – die Keimzelle des „eliminatorischen Antisemitismus“ – ist im Kollosseum in Rom als Kulturdenkmal der Erinnerung präsent und sinnlich erfahrbar).

    Die Geschichte der Häresien ist ein Indikator der inneren Geschichte des Christentums. Die Häresien waren ein projektiv entstellter Ausdruck der historisch-moralischen Probleme des Christentums. Mit der Verurteilung der Häresien sind diese Probleme nicht gelöst, sondern verdrängt – und eben damit perpetuiert – worden. Die Kirche hat ihre eigene Tradition zunächst in Isolationshaft, dann in Geiselhaft genommen: Das Dogma sind die Steine, die Bekenntnislogik der Mörtel und die Orthodoxie die Mauern des Gefängnisses, in die die Tradition eingesperrt worden ist. Der Schlüssel zu diesem Gefängnis ist die logische Figur von Schrecken und Verurteilung.

    Die drei Leugnungen Petri, Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister, der Kelch (Taumelkelch und Unzuchtsbecher, die Zebedäussöhne und Getsemane), der Weltbegriff und das Tier, Ankläger und Verteidiger (Satan und Paraklet).

    Zum Kelch: Hegel ist nur bis zum Taumelbecher gekommen, seine Philosophie ist die Grenze und der Übergang zum Unzuchtsbecher.

    Daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt, heißt das nicht, daß Gott seitdem keine Rückseite mehr hat?

    Gegen den Gebrauch des antisemitischen Begriffs Judenfrage (Marquardt) ist der Einwand durchschlagend, daß der Antisemitismus nichts mehr mit den Juden, sondern nur noch etwas mit den Antisemiten zu tun hat. Der Holocaust, die „Endlösung der Judenfrage“, war die Eröffnung in eine Sphäre, die sich seitdem nicht mehr schließen läßt. Nicht als ob es Vergleichbares nicht auch schon vorher gegeben hätte, nur hier ist der Durchbruch in die logisch-politische Sphäre der Öffentlichkeit gelungen, der irreversibel ist. Seitdem sind Menschenrechtsverletzungen, sind politische Unterdrückung und Verfolgung, Repression und Folter Objekte der „Weltöffentlichkeit“. Vor diesem Hintergrund sind die Habermas’sche Wendung zur Theorie des kommunikativen Handelns, ist das Motto „Dressur des inneren Schweinehunds“ so tief problematisch.

    Die Welt ist die Gebärmutter des apokalyptischen Tiers. Wer ist die „Frau am Himmel“?

    Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein: Wenn das Inertialsystem etwas mit der Feste des Himmels (mit der Scheidung der unteren von den oberen Wassern) zu tun hat, ist dann das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Hinweis auf die Identität von träger und schwerer Masse der Beginn der Lösung? Ist der zweite Schöpfungstag die Prophetie der Apokalypse?

    Wie hängen der Ursprung der Schrift und die Astronomie, die Sternenkunde, zusammen? Wie wird der Himmel von den Naturvölkern, den schriftlosen Völkern, erfahren? Im Islam ist Gott ein schreibender, kein sprechender Gott: ein Gott ohne Angesicht (ist das nicht die Widerlegung des Islam?).

    Läßt sich die Konstruktion der aristotelischen Philosophie nicht daraus ableiten, daß sie (wie dann wieder Hegel) das tode ti, das hic et nunc, unter dem Apriori der Logik der Schrift erfährt? Wird dadurch nicht zwangsläufig die noesis noeseos zum Ersten Beweger (und Alexander seine historische Verkörperung)? Und ist nicht die noesis noeseos zum Inbegriff der Logik der Schrift?

    Die Aufklärung verdankt sich der Rückprojektion der Logik der Schrift in die Dinge (die so zu Dingen werden).

    In der adäquatio intellectus ad rem ist die res der Reflex der Dinge in der Schrift, in der Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand ist der Gegenstand, das Objekt, der Statthalter des Subjekts in den Dingen.

    Es gibt heute einen vulgärmaterialistischen Begriff des Idealismus, der schon das Begreifenwollen als idealistischen Trieb denunziert.

    Man erkennt einen Menschen daran, was er erkennt, wie er die Dinge sieht. Was bedeutet dann der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, genauer: was bedeutet dieser Satz für die Gotteserkenntnis?

    Das Bilderverbot und das Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, sind drastische Hinweise darauf, daß Gott keine Rückseite hat (daß die Idee des Ewigen die Vergangenheit von sich ausschließt). Ist der Anfang des Sterns der Erlösung nicht nicht eine deutliche Erinnerung daran, daß das – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise – auch für Welt und Mensch gilt? Ist nicht darin das Nichtwissen von Gott Welt Mensch begründet?

    Theologie ist der Versuch, im Imperativ den Indikativ zu entdecken, während der Aufklärung (der Kosmologie) gleichsam unter den Händen der Indikativ zum Imperativ wird.

    Der am Objektbegriff gewonnene Begriff des Allgemeinen bezeichnet nicht das Allgemeine schlechthin, sondern das der Gattung. Deshalb konnte Hegel aus dem Begriff die Tatsache unterschiedlicher Arten und Gattungen der Tiere nicht ableiten. Deshalb kann Hegel zufolge „die Natur den Begriff nicht halten“. Hier ist er gezwungen einzubekennen, daß es die eine Welt nicht gibt. Die Idee der einen Welt ist im Angesicht der Geschichte nur zu halten, wenn die Weltgeschichte zum Weltgericht wird.

    Das Theologumenon, daß Gott die Welt erschaffen hat, die creatio mundi ex nihilo, ist der Grund jeglichen Fundamentalismus. Eine Theologie, die vom Begriff der Weltschöpfung ausgeht, macht Gott zum Absoluten, in dem am Ende nur der Staat sich spiegelt.

    Gibt es nicht einen Kirchen- und Gemeindebegriff, in dem die Kirche selber die Ghettomauern errichtet, in denen sie verrottet?

    Was die Nazis Humanitätsduselei und Ludwig Erhard die „Sünde wider die Marktwirtschaft“ nannten, trägt den theologischen Namen Barmherzigkeit.

    In den Worten Leib und Fleisch drückt die Differenz zwischen dem An sich und dem, was für andere ist, seiner Instrumentalisierung, sich aus (das Angesicht gehört zum Leib, wie die Person zur soma, niemals zum Fleisch). Das Blut hat nur diesen einen Namen, mit der Folge, daß wir allein das instrumentalisierte Blut darunter verstehen, während das An sich (die „Seele des Fleisches“) gegenstandslos geworden ist. Endgültig instrumentalisiert wurde das Blut – über die religiöse Vorgeschichte der Märtyrer- und Reliquienverehrung – in dem gleichen Säkularisationsprozeß, der diese religiöse Vorgeschichte beendete, in der Objektivierung des Blutkreislaufs, in dem gleichen Prozeß, in dem auch – im heliozentrischen System – die Objektivierung der Planetenbahnen sich vollendete. Das heliozentrische System ist das System der Subjektivierung und Instrumentalisierung der Zwecke. Es ist der gleiche Prozeß, in dem – in der Ursprungsgeschichte des Kapitalismus – die Zwecke zu Mitteln geworden sind, der transzendentalen Logik und dem Kausalitätsprinzip unterworfen wurden.

    Im Kontext des heliozentrischen Systems wird die biblische Blutsymbolik nicht nur unverständlich: Das heliozentrische System rückt die Blutsymbolik in eine Logik, in der sie zu den Voraussetzungen des Faschismus, des Rassismus und des Antisemitismus gehört (die gleiche Logik hat die Barmherzigkeit endgültig in Hysterie transformiert und die Barbaren durch die Wilden ersetzt).

    Das kopernikanische System hat mit der Teleologie die Idee des seligen Lebens, die Vorstellung des Endzwecks, in der Wurzel zerstört. Es hat sie durch die Rechtfertigungslehre ersetzt. Entscheidend war nicht mehr die Tat (und das göttliche Gericht über die Tat), sondern das Urteil über die Person („wie bekomme ich einen gnädigen Gott“), nicht mehr die Sünde, die ich zu meiden hatte, sondern die Schuld, der ich entgehen wollte.

    Jesus hat die Welt nicht entsühnt, er hat nicht die Schuld der Welt hinweggenommen, sondern die Sünde der Welt auf sich genommen. Hierfür ist die Kirchengeschichte der Beweis, und hierzu gehört die Geschichte von den drei Leugnungen Petri, von Maria Magdalena und den sieben unreinen Geistern, aber auch die ganze Kelchsymbolik sowie Hegels Wort, er sei „von Gott dazu verdammt, ein Philosoph zu sein“.

    Hat die fliegende Schriftrolle, „der Fluch, der über das ganze Land ausgeht“ (Sach 51) etwas mit dem Himmel, der wie eine Buchrolle sich aufrollt (Jes 344, Off 614), zu tun?

    Die Zentralbanken haben Himmel und Erde ehern und eisern gemacht (Lev 2619, Dt 2823). Zu ihrer Vorgeschichte gehören das Dogma und die Bekenntnislogik, zu ihrer Begleitgeschichte die kopernikanische Wende und die Naturwissenschaften. Die Geschichte der Banken ist die Ursprungsgeschichte des Inertialsystems.

    Das Urschisma und die Urhäresie (die Gnosis) gehören zu den Konstituentien der Bekenntnislogik, die Ausgrenzung der Frauen gehört zu ihren Folgen.

    Wenn es stimmt, daß der deutsche Name des Himmels etymologisch mit dem des Hammers zusammenhängt, hat das etwas mit Lev 2619 und Dt 2823 zu tun?

    Sind nicht das Inertialsystem, die subjektiven Formen der Anschauung und die Totalitätsbegriffe Natur und Welt Verkörperungen des „ehern“ und „eisern“ in Lev 2619 und Dt 2823? Spiegelt sich in der Differenz zwischen Lev und Dt die Differenz zwischen Kosmologie und Politik?

    Der Wertbegriff stammt aus der Ökonomie. Er gehört zu den synthetischen Urteilen apriori, die der Neutralisierung der Teleologie, der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel (der Zukunft unter die Vergangenheit) sich verdankt. Er gehört in den Bereich der reflektierenden Urteile, die unterm Apriori der Gewalt (des Rechts und des in ihm sich verkörpernden Gewaltmonopol des Staates) zu bestimmenden Urteilen werden. Wertordnungen sind politische Ordnungen. Reflex dieses Aprioris der Gewalt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die transzendentale Ästhetik.

    In der Kritik der Urteilskraft, in seiner Theorie der reflektierenden Urteile, die auf Ideen sich beziehen, die regulative, nicht konstitutive Bedeutung haben, steckt die kantische Kritik der Gewalt. Diese kantische Kritik der Gewalt ist durch den Faschismus in eine Engführung gebracht worden, aus der es nur dann einen Ausweg gibt, wenn es gelingt, den Bann zu brechen.

    Wer Gott zum Herrn der Geschichte macht, rechtfertigt nur das transzendentale Subjekt und leugnet Auschwitz.

    Wie hängt der Satz aus der Dialektik der Aufklärung über die Distanz zum Objekt (die vermittelt sei durch die Distanz die der Herr durch den Beherrschten gewinnt) mit dem Problem der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel zusammen?

  • 21.4.1997

    Das Vorurteil ist das Urteil vor aller Erfahrung, wobei die Erfahrung durchs Feindbild außer Kraft gesetzt wird, durchs Objektivationsgesetz: den apriorischen Objektbegriff und die subjektiven Formen der Anschauung, durch die Logik der Verurteilung. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich der Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz zum Objekt ist vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.“ Der Beherrschte (der Knecht) ist der besiegte Feind.

    Das Urteil gründet in der Verurteilung, es konstituiert sich – zusammen mit den subjektiven Formen der Anschauung – in der durch Herrschaft definierten Welt. Deshalb schließt die transzendentale Logik teleologische Urteile als gegenstandskonstituierende Urteile aus. Die Verurteilung versperrt den Ausblick auf die Zukunft. Deshalb ist das Licht, das nur in seinen raum-zeitlichen Reflexionsformen dingfest zu machen ist, selber kein Objekt der Physik. Zu diesen Reflexionsformen gehören das Gravitationsgesetz, die Elektrodynamik und die gesamte Mikrophysik.

    Das Licht ist ein Realsymbol, eine sinnlich-übersinnliche Kategorie.

    Pflanzen und Tiere unterscheiden sich durch ihre Beziehung zum Licht: Die Pflanzen streben nach dem Licht, Tiere sind Verkörperungen des Lichts; für die Pflanzen ist das Licht Ziel, für die Tiere ist es Schicksal. Allein die Menschen reichen an die Kraft der Bildung des Lichts (aber nur in der moralischen Sphäre, in der physischen haben sie nur Anteil an die Kraft der Reproduktion des Lichts).

    Hierauf bezieht sich das Wort vom Feuer vom Himmel. (Was ist das für ein Feuer, in dem die Welt verbrennt, und was ist das für eine Welt, die in diesem Feuer verbrennt?)

    Bezieht sich das Wort: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden“ auf das Wort vom Binden und Lösen? Aber hat nicht der Weltbegriff genau diesen Zusammenhang gegenstandslos gemacht?

    Der katastrophische Aspekt des „Weltuntergangs“ wird von denen erfahren, die sich mit der Welt identifizieren: von den Herrschenden, den Reichen. Die Anpassung an die Welt ist ein anderer Ausdruck für die Feindschaftslogik.

    Das synthetische Urteil apriori, die mathesis, konstituiert das Wissen und begründet die Trennung von Natur und Welt.

    Der Rosenzweig’sche Begriff des Nichtwissens („von Gott – von der Welt, vom Menschen – wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott – von der Welt, vom Menschen“) setzt den Begriff des Wissens voraus, setzt sich von ihm ab. Er bezeichnet die Grenze des Wissens, die nicht auch die Grenze des Seins ist.

    Enthält nicht der Prolog des Johannes-Evangeliums ein Stück negativer Kosmologie?

    Religion als Blasphemie: Alle Religionen sind naturwüchsige Gestalten der transzendentalen Logik, der Logik der Selbsterhaltung. Sie sind Gattungsreligionen, Tierreligionen, animalisch: Sie konstituieren eine gemeinsame, gattungsspezifische Welt. Lassen sich die Arten gattungsspezifischer Welten, ihre Konstituierungsprinzipien (Religion, Nation, Sprache) rekonstruieren?

    Der Schrecken läßt sich nur von innen auflösen. Von außen läßt er sich zwar bekämpfen, aber in diesem Kampf reproduziert er sich.

    Die Formel des Pfarrers, man müsse in der Bibel das Zeitbedingte vom Überzeitlichen fein säuberlich trennen, verdrängt präzise den prophetischen Zugung zur Bibel, zu ihrem Verständnis; sie verhindert die Gotteserkenntnis. „Zeitbedingt“ ist die Herrschaftskritik, „überzeitlich“ ist der Antijudaismus, der „die Juden“ unterm Apriori des Nationalismus wahrnimmt (aus dem „erwählten“ das „auserwählte“ Volk macht).

    Die reflexhafte Formel: „Du willst doch wohl nicht sagen, daß ich …“, die die Intention eines Angriffs, einer Beschuldigung unterstellt und im Dienst der Abwehr steht, gehört zur Deutschlehrer-Frage „Was will uns der Autor damit sagen“. Es geht überhaupt nicht darum, was einer sagen will, sondern allein darum, was objektiv in einem Text sich ausdrückt (und das ist allemal mehr, als der Autor sagen wollte). Beide Formeln unterstellen, daß alle nur noch „durch die Blume reden“, daß sie etwas anderes meinen, als sie sagen. Beide Formeln sind unverschämt.

    Hegel hat die herrschaftslogische Struktur der Trinitätslehre als zentralen Kern seiner Logik rein herauspräpariert. Damit hat er sie eigentlich widerlegt. Auch die Trinitätslehre wird erst wirklich begriffen, wenn sie im Licht des Satzes begriffen wird, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Der Indikativ des Urteils gründet in der Verurteilung. Die Beziehung von Begriff und Name (Indikativ und Imperativ) ist die Beziehung der Umkehr.

    Die Erschaffung der Feste des Himmels und die Scheidung der Wasser unterhalb von den Wassern oberhalb der Feste: Ist das nicht die Scheidung zwischen Israel und den Völkern (vgl. hierzu die ägyptischen Plagen und die Verstockung des Herzens Pharaos)?

    Wer selbst sich den Kopf anderer Leute zerbricht, wird hilflos, ohnmächtig und verletzbar, wenn andere sich seinen Kopf zerbrechen. In dieser Konstellation gründet der Tatbestand der Majestätsbeleidung (Paradigma der Empfindlichkeit).

  • 10.4.1997

    Die Auseinandersetzungen um die Errichtung einer theologischen Fakultät in der Stiftungs-Universität Frankfurt in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts werfen ein Licht auf den Zusammmenhang des Selbstverständnisses der universitären Theologie mit dem Nationalismus. Die Frage ist offen, wie weit z.B. Hermann Cohen und Franz Rosenzweig den logischen Prämissen dieses Selbstverständnisses verhaftet waren. Andreas Pangritz scheint die Reflexionen Benjamins, Horkheimers und Adornos u.a. deshalb nur bekenntnislogisch (als bloße Gesinnung) begreifen zu können, weil er die innere (ins Zentrum der Theologie hineinreichende) logische Brisanz dieser Geschichte nicht sieht.

    Die „Gesinnung“ ist ein Teil des nationalistischen (und des bekenntnislogischen) Syndroms. Die Gesinnung bedient sich der Urteilsmagie: Sie ersetzt moralisches Handeln durch die Verurteilung des Bösen, durch „Distanzierung“ (durch Ausgrenzung, durch Distanz zum Objekt). Symbol der Gesinnung ist der „verdorrte Feigenbaum“.

    Das „Kleiner- und Unsichtbarwerden der Theologie“ (und darin das Problem der Gesinnung) hängt mit der Katastrophe des Nationalismus zusammen.

    Zur Geschichte der Privatisierung, die seit je (seit der „Erfindung“ der Barbaren) mit dem „Globalisierungsprozeß“ zusammenhängt, mit der Innenwirkung der der Außenmächte, gehören die Privatarmeen des Faschismus und die „Endlösung der Judenfrage“, der barocke Pomp (der Absolutismus und die katholische Gegenreformation, der Ursprung der Oper).

    Verletzung des Bilderverbots: Der Staat, dem im Subjekt die Ausbildung der subjektiven Formen der Anschauung (das „da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“) entspricht, ist das Prisma, das den Namen in Begriff und Vorstellung aufgespalten hat. Dem Staat entspricht in der Natur der Himmel.

    Der prophetische Kampf gegen die Idolatrie war ein Kampf gegen die religiösen Reflexionsformen des Staates und gegen die Instrumentalisierung der Religion, ihre Subsumtion unters Herrendenken. Hierauf bezieht sich das prophetische Symbol des Kelchs (bis hin zur Beantwortung der Frage der Zebedäussöhne und bis zu Getsemane).

    Die Resignation, die in der Antwort an die Zebedäussöhne: „ihr werdet ihn trinken“, anklingt, weist schon vor auf das „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.

    Was hat das Rauchen mit dem Räucheropfer und den Gebeten der Heiligen zu tun?

    Professionalität setzt die Anerkennung der Welt und die staatliche Lizenz voraus (der Professionelle ist nicht „selbsternannt“).

    Das Eingedenken ist das Sich-selbst-im-Andern-Wiedererkennen: der fruchtbringende Boden der Barmherzigkeit.

    Die Kollektivscham ist eine unverschämte Scham, sie bringt den Feigenbaum dazu, Blätter hervorzutreiben, aber sie verhindert die Frucht.

    Zu Stammheim ist es nicht notwendig, Partei zu ergreifen, an eine der beiden Versionen zu „glauben“. Notwendig ist allein, beide Versionen reflexionsfähig zu halten. Als Adorno schrieb, daß die Welt immer mehr der Paranoia sich angleicht, die sie gleichwohl falsch abbildet, hat er diese Reflexionsfähigkeit gemeint. Ist Stammheim nicht ein letzter Abkömmling des Marx’schen „Klassenkampfs“? Die Kraft der Reflexion sprengt die verdinglichende Gewalt des Glaubens, sie löst den Bann der Erbaulichkeit (oder: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht).

    An einer Stelle nennt Pangritz den ersten Kafka-Essay Benjamins (mit Hilfe einer nicht unproblematischen Verwendung eines Benjamin-Satzes) „unausgegoren“ (S. 149). Gehört diese Metapher nicht zur gleichen Sphäre, zu der auch der ägyptische Mundschenk gehört?

    Erinnert das „Christum treiben“ Luthers nicht an den Hund, der die Herde treibt?

    Wer lernt, im Gesicht des Andern zu lesen (jemandem „einen Wunsch von den Augen ablesen“), mag erfahren, was mit dem Angesicht Gottes gemeint ist. Gibt es nicht heute Berufe (insbesondere in Verwaltung, Justiz, Polizei), zu deren Eingangsvoraussetzungen die Verhärtung dagegen gehört? Wo jeder Fall ein Präzedenzfall ist, gibt es kein Gesicht. Wer in dem, den er vor sich hat, alle andern sieht, sieht den Einen nicht mehr. Rosenzweigs Kritik des Alls bezieht sich auf diese logische Konstellation. Das Gesicht ist kein Objekt des Wissens. Die wissenbegründende Orthogonalität (die in die Theologie mit dem Begriff der Orthodoxie eingedrungen ist) macht aus dem Angesicht und dem Namen das Objekt und den Begriff, sie verwechselt das Wahre mit dem Richtigen und begründet eine Ordnung des Lebens, in der alle nur noch ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut. Die Unterscheidung der Wahrheit vom Richtigen gründet in der Unterscheidung des Im Angesicht vom Hinter dem Rücken, der Barmherzigkeit vom Gericht.

    Die Apokalypse ist das kostbare Instrument des aufgedeckten Angesichts.

    Auch wenn man das Bestehende nicht ändern kann, muß man es nicht auch zusätzlich noch rechtfertigen.

    Natürlich steckt in der Reflexion ein auf Realisierung drängendes Moment, aber ich kann die Reflexion nicht davon abhängig machen, ob die Realisierung hier und jetzt möglich oder auch nur denkbar ist.

    Haben nicht alle Initiationsriten etwas mit der Bindungskraft der Komplizenschaft zu tun? Steckt nicht in allen gemeinschafts- und staatsbildenden Kräften der Religionen, auch des Christentums, etwas davon?

    Steckt in der Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zum Relativitätsprinzip nicht der verborgene Name des Himmels, die Beziehung von Feuer und Wasser?

    Bezogen auf 1948 ist 1997 ein Jobeljahr.

    Der Begriff der Natur im Subjekt wird verständlich nur, wenn man darin das Zitat aus der Kritik der Urteilskraft mit hört, die diesen Begriff auf die Sphäre der ästhetischen Produktion (der Hervorbringung des Genies) bezieht. Dieser Naturbegriff ist in sich selber historisch-gesellschaftlich vermittelt, er ist ein Teil der Herrschaftsgeschichte, er bezeichnet den Objektbereich von Herrschaft, der in die Geschichte der Herrschaft verflochten ist, mit ihr sich ändert. Erst im Bann des Weltbegriffs wird die Natur zu etwas Festem, Unveränderlichen. Die Sonne Homers scheint auch uns, aber wir leben nicht in der gleichen Natur.

    Ist nicht die Vermutung begründbar, daß die naturwissenschaftliche Medizin heute in eine Krise gerät, die auf die innere Logik der Herrschaftsgeschichte zurückweist und u.a. auch an der RAF sich ablesen läßt, eine Krise, die mit der Konstellation von Objektverlust, Autismus und Geiselnahme sich bezeichnen läßt? Der Autismus wäre z.B. an der „Gen-Forschung“, in der – in der Konsequenz rassistischer Konstruktionen der „Erbforschung“ – die Forschung beginnt, ihre Objekte selber zu produzieren und die Kranken, die, was mit ihnen passiert, nicht mehr zu durchschauen vermögen, unterm Vorwand medizinisch notwendiger Maßnahmen, zur Experimentalmasse tendentiell paranoider Forschungen macht. In wie hohem Grade das auch ökonomisch determiniert ist, mag man an der Tendenz der Apparatemedizin erkennen, die die Nutzung der Geräte nicht mehr an den diagnostischen Erfordernissen der Krankheit, sondern an der Begründbarkeit im Rahmen der kassenärztlichen Abrechnungsmöglichkeiten, der Gebührenordnung, orientiert. Zu untersuchen wäre, in welchem Maße das, was heute „Gesundheitsreform“ heißt, durch Zwänge dieser Entwicklung determiniert ist.

    Die Konstellation von Autismus und Geiselnahme gründet in der Logik der fortschreitender Instrumentalisierung, einer Logik, in der Mittel und Zwecke ununterscheidbar sich vermischen und nicht mehr „objektiv“ sich trennen lassen.

    Ist nicht die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar ein Schlüssel zu diesem Vorgang, der nicht auf die genannten Bereiche sich beschränkt, sondern die gegenwärtige Phase der Herrschaftsgeschichte insgesamt charakterisiert (und ist nicht die RAF ein Indikator der Nachkriegs-Herrschaftsgeschichte, des gegenwärtigen Stands der Geschichte der Naturbeherrschung, auch der Nachkriegsgeschichte der Beziehung der Naturwissenschaften zum Staat, die nur sich begreifen läßt, wenn man die darin sich reproduzierende Geschichte des Faschismus erkennt)?

    Modell der Konstellation von Autismus und Geiselhaft ist die Beziehung des Staats zur Wirtschaft, die ökonomische Konstruktion des Lebens in einer Welt, in der nicht mehr nur die Produktions-Einrichtungen, sondern zugleich auch die sie regelnden staatlichen Institutionen ihre Autonomie endgültig eingebüßt haben und zu einem Anhängsel der davon unabhängigen Kapital-Gesetze und -Bewegungen geworden sind.

    Ontologischer Trieb: Heute ertragen es die Menschen nicht mehr, daß andere Menschen – Menschen außerhalb des Definitionsbereichs, dem sie sich selber zurechnen: der Familie, der Nation, dem Geschlecht, dem Stand, dem Beruf, der Religion – sich herausnehmen, auch Menschen zu sein. Sie sollen bleiben, was sie sind: Ausländer, Arbeiter, Frauen, Geschäftsführer, Väter, Verkäufer, Juden, Beamte.

  • 9.4.1997

    Heute wird auch die Philosophie zum Markenartikel: Es gibt weder die Kritische Theorie noch die Theologie.

    Adornos Programm der „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“ ist zweideutig: Die christliche Theologie, die orthodoxe dogmatische Theologie, ist bereits – als Theologie hinter dem Rücken Gottes (als „Rede von Gott“) – das Produkt ihrer vollständigen Säkularisierung, während Adornos Konzept auf das genaue Gegenteil: auf das Ende der verdinglichten Theologie und die Realisierung der Theologie als eine Gestalt eingreifender Erkenntnis abzielte, auf eine Theologie im Angesicht Gottes.

    Die Orthodoxie ist der Inbegriff der 99 Gerechten, die Geschichte der Häresien der des einen Sünders und seiner Wege des Irrtums. Über die Bekehrung dieses einen Sünders herrscht mehr Freude im Himmel als über die 99 Gerechten.

    Die Kritik der Metaphysik, wenn sie nicht im Mythos enden soll, ist nur möglich durch Kritik der Ontologie, an deren Stelle die Ethik zu treten hätte, im Kontext einer Theologie, die den Satz zur Richtschnur der Erkenntnis macht, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Dem entspricht der Benjamin’sche Begriff der Lehre.

    In dem die Geschichte der Dogmenbildung begleitenden Prozeß der Auseinandersetzung des Christentums mit den Häresien ist dieser Imperativ externalisiert, zum Instrument der Verurteilung und zum logischen Kern eines Schuldverschubsystems gemacht worden, mit den bekannten fürchterlichen Folgen fürs Christentum.

    Modell war die Internalisierung des Mythos, des Schicksalsbegriffs, in der Ursprungsgeschichte der Philosophie (des Begriffs). Anhand der Ursprungsgeschichte der Philosophie wäre der Zusammenhang des Ursprungs des Schuldverschubsystems mit der Konstituierung der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt zu demonstrieren.

    Der Begriff der Größe hängt mit dem des Erhabenen zusammen. Deshalb ist bei Kant der Sternenhimmel über mir ebenso „erhaben“ wie das moralische Gesetz in mir. Das Erhabene ist das über alles, was der Fall ist, Erhabene, das über die Welt Erhabene. Aus der gleichen Logik stammt das historische Attribut der Größe, das den historischen Prozeß der Konstituierung der Welt (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) begleitet.

    Der Begriff des Erhabenen erinnert ans Erhobene und ans Haben.

    Ist das Erhabene der selber nicht säkularisationsfähige Grund des Säkularisationsprozesses, ein Moment der inneren Logik des Eigentums?

    Wird die „irre Fahrt zu den Sternen“ heute nicht im Ernst zum Menetekel?

    Der biblische Fluch ist ein Instrument der Verurteilung, der Inbegriff seiner Logik (der biblische Reflex des Schicksals). Hat er nicht in der Tat etwas mit der Idee des Himmels zu tun?

    Wie hängt der zweite Schöpfungstag mit Lev 26 und Dt 28 zusammen?

    Das Problem der Theologie heute ist von dem der Apologie irgend einer der kirchlichen Denominationen streng zu trennen. Eine andere Frage ist, ob, was heute noch Theologie heißen darf, überhaupt an einer der akademischen Einrichtungen, seien sie kirchlich oder seien sie staatlich, noch seinen Ort finden kann. Theologie heute wäre

    – prophetische, und d.h. sowohl staats- als auch kirchenkritische Theologie,

    – messianische, auf Realisierung, Erfüllung zielende Theologie und

    – parakletische Theologie, das Organ des verteidigenden, das Gericht überwindenden, ihm enthobenen Denkens, das Organ des aufrechten Gangs.

    Das Buch der Richter ist ein prophetisches Buch, und als solches hat Lillian Klein es erstmals wieder begriffen (über der Prophetie steht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen).

    Zur Begründung des Kausalitätsprinzips: Die gemeinsame Logik der modernen Naturwissenschaft und des Kapitalismus ist die Logik der „List der Vernunft“, sie ist im genauesten Sinne hinterhältig (sie konstituiert sich hinter dem Rücken der Dinge). Der Listige spannt den Andern, ohne daß er es merkt, für seine Zwecke ein. Das biblische Symbol des Subjekts dieser Vernunft ist die Schlange, ihr grammatisches, sprachlogisches Korrelat das Neutrum.

    Wie hängt die List mit dem Unschuldssyndrom und dem Schuldverschubsystem zusammen?

    Die Fähigkeit zur Schuldreflexion entgründet den Universalismus, destruiert das Überzeitliche und bindet die Erkenntnis an die Aktualität, an ihren Zeitkern. Das Unum ist nicht die Grundlage, sondern – in dem Gebot der Einigung des Gottesnamens – das Ziel.

    Was geschieht, wenn der westliche Antizionismus und die antiislamischen Tendenzen sich vereinigen?

    Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Der „Hinterkopf“, die Fähigkeit, mit offenen Fragen zu leben und das Urteil zurückzustellen, ist das Organ der Gottesfurcht.

    Zu einer Theorie des Feuers: Sind die Objekte der Mikrophysik gemeinsame Abkömmlinge des „Wärmestoffs“ und des „Äthers“?

    Die Bundesanwaltschaft: das suizidale Experiment der gnadenlosen Anklage.

    Die kleine Veränderung, die der Messias an der Welt vornehmen wird, ist die Selbstreflexion des Hinter dem Rücken und die Selbstbegründung des Angesichts. Das wäre die endgültige Umkehr und die Befreiung von den sieben unreinen Geistern. Diesen Vorgang beschreibt die Apokalypse.

    Die Siebenzahl bezeichnet keine Fülle, sondern die Gesamtheit der Wege des Irrtums.

    Teufel und arme Seele: Wer den Begriff der Schöpfung auf die Welt bezieht, hält die Frage offen, ob die Menschen zur Welt oder auf die Seite des Schöpfers gehört. Das ist der Preis für die Vorstellung der Einheit der Welt.

    Der Historismus ergreift die Partei des Todes.

    Reflektierende Urteile – und die sind das Element, in dem die Theologie sich bewegt – sind nicht konstitutive, sondern regulative Urteile.

    Wäre es nicht notwendig, nachträglich noch einmal die Diskussion zwischen Benjamin und Horkheimer über die Vergangenheit des Vergangenen aufzunehmen? – Vgl. hierzu Horkheimers Frage, ob auf dem riesigen Leichenberg, auf dem wir stehen, die Idee einer richtigen Gesellschaft überhaupt noch sich denken läßt.

    Hat der Satz, daß Auschwitz uns umso näher zu rücken scheint, je weiter wir uns historisch von ihm entfernen, nicht etwas mit dem Satz Karl Thiemes, daß Hitler nicht der Antichrist, sondern nur die Generalprobe war, zu tun?

    Der letzte Satz des Jakobusbriefs ist das christliche Äquivalent zu Jer 3134. Zwischen beiden Worten liegt der Ursprung des Weltbergriffs.

    Die kopernikanische Wende hat die Differenz zwischen Himmel und Erde zwar nicht aufgehoben, aber so verwirrt, daß davon auch die Theologie nicht unberührt geblieben ist. Als die Erde unter die Planeten, und damit an den Himmel, versetzt wurde, ist auch der Himmel und mit ihm die Theologie endgültig entgegenständlicht worden. Seitdem sind wir selbst zum Gegenstand der Theologie, ist das zentrale Thema der Theologie, die Beziehung von Gericht und Barmherzigkeit, zu einem inneren Problem der Erkenntnis geworden.

  • 9.3.1997

    Die Nachkriegsgeneration: Kinder der Dingwelt.
    Selbstverdinglichung, der Versuch, die Last, die auf uns liegt, durch Abwälzung auf andere (durchs Schuldverschubsystem) zu reduzieren, potenziert die Last.
    Rechts und Links nicht unterscheiden können: Die Umkehr wird in der Regel auf die Beziehung zwischen vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) oder oben und unten (Gott und Kreatur) bezogen, nicht auf die von rechts und links (über die ich, wie es scheint, nichts vermag). Rechts und Links: Diese Umkehr wäre die Bekehrung des Andern, ein Motiv, das die Kirchen – über das Verfahren der Mission – zu willigen Helfern des Imperialismus gemacht hat. Aber gibt es nicht auch das andere Motiv, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, und daß über die Bekehrung des einen Sünders größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte?
    Hängt die Blut-Symbolik (das Abwaschen der Sünde, das Reinwaschen der Kleider durchs Blut des Lammes, aber auch die Blut-Symbolik in der Thora und bei den Propheten) mit diesem Rechts-Links-Paradigma zu tun? Ist sie vielleicht nur so vom Schein der Metzgertheologie zu befreien? Liegt hier die Lösung des Rätsels des Rassismus (das selbst bei Rosenzweig in einer Weise anklingt, die nach Auschwitz unerträglich geworden ist)? Liegt an der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links die Umkehr Gottes (die Möglichkeit einer Theologie im Angesicht Gottes)? Unsere eigene Seele ist in den Wegen des Irrtums des Sünders (in den subjektiven Formen der Anschauung, in der Logik des Geldes und in der Bekenntnislogik) mit gefangen.
    Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß: Enthält das Gespräch, das Heisenberg im Krieg mit Nils Bohr geführt hat, den Schlüssel zum Verständnis des Versuchs, nach dem Krieg eine „einheitliche Weltformel“ zu entwickeln? Hat sich das nationalistische Erbe in diesen hilflosen Versuch, Einstein zu übertrumpfen, zurückgezogen, verkapselt und in einen Objektivismus entstellt, der seitdem endgültig nicht nur die Naturwissenschaften, sondern die Welt verhext?
    Stand der Aufklärung: Heute reden alle übereinander, weil sie die allgemeine pathologische Empfindlichkeit daran hindert, mit einander zu sprechen. Selbst die Theologie ist zur „Rede von Gott“ verkommen.
    Am Beispiel des Begriffs der Empfindung wäre nachzuweisen, daß der historische Subjektivierungsprozeß (die Rückseite des Objektivierungsprozesses) ein Vergiftungsprozeß ist. Der Begriff der Empfindung verweist auf die pathologisierende Gewalt der Aufklärung, die zu reflektieren wäre. Statt dessen haben die Nachfolger der kritischen Theorie die Dialektik der Aufklärung liquidiert.
    Hängen nicht die Objekte der Subjektivierung: Empfindung, Kritik und Schuld, wie der Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang mit einander zusammen?
    Gesellschaftskritik als Waffe ist ein Instrument der Potenzierung des Kritisierten, Gesellschaftskritik hat nur ein Recht als Mittel der Reflexion.
    Die Subjektivierung der Empfindungen, der Meinungen und der Schuldgefühle sind Attribute der Feindbildlogik.
    Hat nicht Paul Watzlawik zum Gespräch zwischen Heisenberg und Bohr ein aufhellendes Beispiel geliefert, das nur den einen Mangel hat, das es nur die Psychologie, nicht die Logik dieses Gesprächs beleuchtet?
    Verstricken sich nicht die „Alternativen“, die außerhalb des Systems (in der Natur oder in der Religion) die Nischen einer „heilen Welt“ suchen, eben damit in den Netzen des Systems? Sie möchten dem Schuldzusammenhang nur entrinnen, anstatt der Mühe sich zu unterziehen, ihn durch Reflexion zu sprengen.
    „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“: Liegt der Unterschied zwischen Jonas und Tobias vielleicht nur in dieser Frist?
    Ersetzt nicht der Begriff der Buße, und zwar schon im Namen der lateinischen paenitentia, die Umkehr durch die Selbstbestrafung, durch die Verinnerlichung von Herrschaft? Buße ist gnadenlos.
    Drückt nicht in der Darstellung der Buße im Buch Jona in der Tat die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, sich aus?
    Haben Rechts und Links mit Tod und Auferstehung zu tun, und die Unterscheidung von Rechts und Links mit der Umkehr Gottes?
    Es gehört zur Logik der Unsterblichkeitslehre, daß sie mit dem eigenen Tod den der Anderen verharmlost, in Kauf nimmt, daß sie hilft, den Verdrängungsprozeß gegen die Vergangenheit zu legitimieren: die Finsternis zu befördern. Ist die Finsternis das Licht der Aufklärung (der Begriff der Klarheit erinnert an die klaren Verhältnisse, die das Feindbild hervorbringt)?
    Zur Geschichte der Aufklärung gehört das Bild der Wilden wie zum Ursprung der Philosophie das der Barbaren. Sind die Wilden das Produkt der Hellenisierung der Barbaren, die nur durchs Christentum möglich war?
    Ist der Streit in der Prozeßgruppe ein nachträglicher Sieg Hembergers und Schiefersteins, eine Folge der Unfähigkeit, das, was im Prozeß passiert ist, zu reflektieren? Und macht uns nicht unsere Empfindlichkeit zu Marionetten des Systems, zu willigen Vollstreckern der BANK, DIE IMMER GEWINNT?

  • 21.1.1997

    Ist das Inertialsystem das versiegelte Buch, dessen Siegel zu lösen sind: die Außenseite, auf dessen unsichtbarer Innenseite die ganze Geschichte verzeichnet ist? Dann sind die sieben Siegel die Bleigewichte der durch ihre Objektivierung verdrängten Vergangenheit.
    Nur durch die Kritik des Inertialsystems hindurch, der inneren Mechanik des Objektivierungsprozesses, läßt sich rekonstruieren, was Geist einmal hieß.
    Haben die Griechen den Punkt erfunden, den Ort, der kein Ort mehr ist?
    Ist nicht der Satz „Wer sein Leben bewahren will, wird es verlieren“ der deutlichste Hinweis auf den Stellenwert und die Bedeutung der Barmherzigkeit?
    Steckt nicht in dem „Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein“ schon der erste Hinweis auf die kopernikanische Wendung?
    Die Verurteilung löst den Schrecken nicht: Ist nicht die Kirche durch die Verurteilung der Häresien zum Inbegriff aller Häresien geworden, der sich von den Häresien selber nur durch das gute Gewissen unterscheidet?
    Mit der Unterscheidung zwischen den Sprachen der Völker und der Schrift der Juden enthält das Buch Esther den Schlüssel zur Apokalyptik. Esra war der erste Schriftgelehrte, und im Buch Kohelet wird beklagt: Des Bücherschreibens ist kein Ende.
    Die Bekehrung ist die ins Universalistische gewendete und verfremdete Umkehr: Umkehren kann nur ich, nur bekehren kann ich die Anderen. Und wenn ich mich bekehre, bekehre ich mich als anderer für andere (bekehre ich mich zu etwas). Zur Bekehrung gehört das Bekenntnis (zu dem ich mich bekenne), zur Umkehr das Tun.
    Die Widersprüche in der Schrift, die den Historikern die Haare zu Berge stehen lassen, nehmen den Theologen die Mühe ab, den Historismus gegen den Strich zu bürsten.
    Die kantische Wendung von der „Menschheit in mir“ wird erst begriffen, wenn sie auch die Vergangenheit der Menschheit mit einschließt und nicht mehr nur auf einen politischen, durch die Bedingungen des Handelns definierten (und die Erinnerung und Reflexion ausschließenden) Begriff der Menschheit eingeschränkt wird.
    Max Horkheimer, der Walter Benjamin einmal entgegengehalten hat, daß die Toten tot sind, ist selber dann von dieser Frage nicht mehr losgekommen, daß, wenn es denn zu einer richtigen Gesellschaft einmal kommen sollte, auch die Vergangenheit davon nicht unberührt bleiben dürfte.
    Arbeit macht frei: Hat nicht die Arbeit der Anderen immer schon die frei gemacht, die die Früchte dieser Arbeit genießen?
    Reflektiert nicht das Verhältnis von Immobilien und Möbeln das Relativitätsprinzip: die Beziehung von Ruhe und Bewegung im Inertialsystem?
    Nach dem Fall Babylons: Und ein Ton von Harfenspielern und Musikern und Flötenspielern und Trompetenbläsern wird nicht mehr in dir gehört werden, und kein Künstler in irgendeiner Kunst wird mehr in dir gefunden werden, und das Geräusch der Mühle wird nicht mehr in dir gehört werden, und das Licht der Lampe wird nicht mehr in dir scheinen, und die Stimme des Bäutigams und der Braut wird nicht mehr in dir vernommen werden … (Off 1822f).
    Ist nicht das Buch Daniel auch eine Variante zur Exodus-Geschichte (Daniel und Joseph deuten Träume, sind am Hof des Herrschers; Feuerofen: Mizrajim war der Eisenschmelzofen)?

  • 2.1.1997

    Nach Walter Pehle kann es „einfache Antworten auf die Frage, ‚wie aus einem Kulturvolk ein Volk von Mördern wurde‘, … nicht geben“ (Matthias Arning: „Wider die postmoderne Beliebigkeit“, FR von heute). Klingt das nicht ein wenig nach dem „Uns kann man nichts nachweisen“? Pehle zu Goldhagen: „Das ist alles Käse“.
    „Natur im Subjekt“: Natur konstituiert sich im Kontext der Geschichte der Naturbeherrschung. In dieser Geschichte hat der Ursprung und die Entfaltung des Geniebegriffs, aus dessen Reflexion die kantische Formel von der „Natur im Subjekt“ sich herleitet, seine genau bestimmbare Stelle und Funktion. Adornos Formel zitiert Kant.
    Verurteilung und Schrecken: Der Faschismus ist die erste Manifestation einer Entwicklung, in der Richter und Täter am Ende nicht mehr sich unterscheiden lassen. Der Vers aus dem Sonett Reinhold Schneiders: „Allein den Betern kann es noch gelingen, …“ wird vielleicht verständlicher, wenn man das „Schwert ob unsern Häupten“ als das Schwert in unsern Händen begreift, und die „richtenden Gewalten“ als Gewalten begreift, an denen wir teilhaben. Erst dann wird deutlich, daß es zu den „Betern“ (deren Gebet als Seele der Sprache sich begreift) und zum „geheiligt Leben“ keine Alternative mehr gibt.
    Die RAF hat den Beweis für die These erbracht, daß Richter und Täter (der Terrorismus und die Formen seiner Bekämpfung) ununterscheidbar werden.
    Sind es nicht die Historiker, die den Stein vor das Grab der Vergangenheit wälzen. Und als Maria Magdalena kam, um den Toten zu salben, und überlegte, wie sie den Stein fortbewegen könne, da war der Stein schon zur Seite gewälzt und das Grab leer.
    An welchem Zeichen gab Jesus den Verräter zu erkennen?
    – Mt 2623: Der, welcher mit mir die Hand in die Schüssel getaucht hat, …
    – Mk 1420: Einer von den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht.
    – Lk 2221: Doch siehe, die Hand dessen, der mich verraten wird, ist mit mir auf dem Tische.
    – Joh 1326: Der ist es, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde.
    Wer nicht mehr weiß, was er tut, braucht eine Instanz, die ihm die Verantwortung für sein Tun, das er nicht mehr durchschaut, (für seine Pflichterfüllung) abnimmt. Deshalb brauchte Habermas den „Verfassungspatriotismus“, als er, nachdem er die Kritik der Naturwissenschaften verworfen hatte, keine Möglichkeit mehr sah, richtiges Handeln im Gewissen zu begründen (das Gewissen ist nur im Kontext der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung zu begründen). Wenn es keine inhaltlichen Kriterien fürs Gewissen mehr gibt, dann hilft nur noch die Legitimation durch kollektive Entscheidungen.
    Die Würde einer demokratischen Verfassung, die allein darin liegt, daß sie dem Gewissen Raum gibt, wird durch den Begriff des Patriotismus haarscharf verfehlt.
    Hat Habermas nicht die Dialektik der Aufklärung doch sehr fundamentalistisch gelesen? Hat er nicht die reflektierenden Urteile als bestimmende, als objektkonstituierende Urteile gelesen, um sie dann verwerfen zu können? Fundamentalistisch ist dann auch seine Kommunikationstheorie geworden (in welcher Beziehung steht die Habermas’sche Version der Kommunikationstheorie zur double-bind-Theorie, die er verschweigt?).
    Hat nicht das Gleichnis von dem einen Sünder und den neunundneunzig Gerechten etwas mit der Beziehung von Schrecken und Urteil im Hinblick auf den Nationalsozialismus zu tun? Ist nicht die Reflexion des Schreckens der Weg zur Bekehrung des Sünders, die Verurteilung der Weg der neunundneunzig Gerechten?
    Zu jedem Schicksal gibt es Täter. Nur für Zuschauer, die aber eben dadurch zu Richtern der Opfer und zu Komplizen der Täter werden, gibt es ein reines Schicksal. Schicksal ist die Sünde der Welt als Natur. Die letzte Bastion der mythischen Schicksalslogik sind die subjektiven Formen der Anschauung.

  • 20.12.1996

    Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, ist identisch mit dem andern, daß er barmherzig ist.
    „Der Sinn ‚Gottes‘ ist die solidarische Gesellschaft“ (Ton Veerkamp, S. 99): Aber schließt das nicht auch die Vergangenheit mit ein: die Solidarität mit den Toten? Gilt nicht Horkheimers Satz immer noch: Wie kann auf diesem riesigen Leichenberg, auf dem wir leben, je eine richtige Gesellschaft errichtet werden?
    Nach Jer 423 entspricht der Erde das tohuwabohu, dem Himmel die Finsternis über dem Abgrund. Licht und Finsternis sind wie Wasser und Feuer Kategorien des Himmels, Kategorien der Reflexion des Himmels im Medium der Sprache. Im Kontext der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gibt es die Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis nicht mehr. „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 514, vgl. Joh 812).
    Erinnert nicht Ton Veerkamps Begriff der Weltordnung an den Habermas’schen „herrschaftsfreien Diskurs“? Es ist nicht nur eine Sache der freien Entscheidung, ob man sich für eine andere Weltordnung oder für den herrschaftsfreien Diskurs einsetzt. Es gibt neben der bestehenden Welt keine andere Weltordnung, die nicht durch die Reflexion dieser bestehenden Welt vermittelt wäre, und ebenso gibt es keinen herrschaftsfreien Diskurs, der nicht der Reflexion von Herrschaft bedürfte, um den Diskurs aus dem Bann der Herrschaft zu lösen.
    Mit der Marx’schen Kritik des deutschen Idealismus ist der Geist nicht erledigt. Marx hat Hegel nicht in dem Sinne widerlegt, daß man sich danach nicht mehr mit ihm zu befassen brauche. Er hat ihn „vom Kopf auf die Füße gestellt“: Seine Kritik war ein Akt der Umkehr.
    Der Weltbegriff ist der Inbegriff einer Eigentumsordnung, die vom individuellen Eigentümer abstrahiert, und deren Urheber der Staat, das Organisationsprinzip einer Gesellschaft von Privateigentümern, ist.
    Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein: Hat das nicht etwas mit der Welt zu tun, mit dem Knoten, den Alexander nur durchschlagen, nicht gelöst hat?
    Die Welt ist der Inbegriff einer apriorischen Logik, die uns die Erfahrung abnimmt.
    Wenn der Ursprung des Weltbegriffs zivilisationsbegründend war, dann war Auschwitz der Zivilisationsbruch, in dem die Welt untergegangen ist.
    Verstand und Einsicht: Während die Einsicht auf die Erkenntnis des Herzens, des Organs der Barmherzigkeit, sich bezieht, bezieht sich der Verstand auf das Auge, das Organ des Urteils, des Gerichts.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Als sie erkannten, daß sie nackt waren, haben sie gelernt, sich in den Augen der Andern wahrzunehmen. Dagegen steht der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht (auch dieser Satz steht im Imperativ, nicht im Indikativ).
    Das „Bedecken der Sünde“ hat etwas mit der Vergangenheit und mit der „Erinnerungsarbeit“ zu tun: mit der öffentlichen Reflexion der Kräfte der Vergangenheit, die so ihre anwachsend nachtragende Macht über uns verlieren, deren Bann über uns nur so gebrochen werden kann. Die Sünde ist dieser Bann, der das Licht der Reflexion nicht aushält, nicht erträgt.
    Läßt der „Zentralbank-Kult“ (Edward Luttwak in Lettre Nr. 35, IV/96, S. 8ff) als ein zwangslogischer Versuch, das kopernikanische System politisch-ökonomisch nachzubilden, sich verstehen? Die Finsternis über dem Abgrund ist das gesellschaftliche Äquivalent des kosmischen tohuwabohu.
    Hegels logische Korrespondenz von Ich und Ding läßt sich näher bestimmen, wenn man das Ding als Ware begreift und das Ich als Reflexionsform der Warenform.

  • 19.12.1996

    Objekte sind ausländisch: Jede Landesgrenze ist eine Verurteilungs- und Schuldgremze.
    Ton Veerkamp: Der erste Johannesbrief (TuK Nr 71/72):
    – „Raffgier“ (S. 45) antisemitisch?
    – Sprache und Inertialsystem: Ist die Sprache Bubers (und in der Folge die Ton Veerkamps) nicht eine Konsequenz aus der Anerkennung der Herrschaftslogik, die vom Inertialsystem nicht zu trennen ist? Folge: Unschuldstrieb (nicht Sünde, sondern Schuld – „Verfehlung“, „sich daneben benehmen“ (S. 65) – als Maßstab)
    . „Huld“/Barmherzigkeit (s.o.); „Bewährung“/Gerechtigkeit; „Weltordnung“/Welt; „Solidarität“/Liebe,
    . 68er Desiderat: affirmativer Gebrauch des Begriffs der Ideologie („falsches Bewußtsein“ nicht reflektiv, sondern nur als Waffe),
    . „klare politische Linie“, „unbedingte Ablehnung“, „kompromißlos“ (S. 66/88),
    . „wie ‚Gott‘ geschieht“ (vgl. „wie Gott funktioniert“ – in: Vernichtung des Baal): Ästhetisierung/Historisierung,
    . Tribut gezollt (nicht „gewährt“, S. 91): Tribut nur im „Ausland“, in unterworfenen Völkern, Einfuhrzoll für das Recht der Existenz unter der Besatzungsmacht,
    . „Bekenntnis zu“ (S. 85), Problem der Bekenntnislogik (dagegen: Bekenntnis des Namens),
    . Opfertheologie: „barbarischer Unsinn“ (S. 75) – reflektieren, nicht verdammen; Verurteilung, Feindbildlogik und Xenophobie („barbarisch“),
    . „Inspiration“/Geist: daß mit der Marx’schen Widerlegung der idealistischen Systeme der Name des Geistes obsolet geworden ist, ist wahr und unwahr zugleich.
    – Problemkreis Antichrist/Apokalypse/Antijudaismus (S. 52)?
    Verweist der Übergang vom hebräischen Satan auf den griechischen diabolos nicht auf einen Fortschritt, liegt dazwischen nicht der Weltbegriff, verweist die logische Figur des diabolos nicht darauf, daß das Satanische, das Prinzip der Anklage (der Verurteilung), in die Struktur der Welt mit eingegangen ist, ja eigentlich sie begründet? Deshalb gibt es im NT (und in der Folge davon in den Weltreligionen) Dämonen. Die Idee der creatio mundi ex nihilo ersetzt die Schöpfung durch einen Abstraktionsprozeß.
    Ton Veerkamps Begriff der „Weltordnung“ macht etwas deutlicher, aber zugleich verwischt es auch etwas. Es ersetzt die im Anblick von Rom notwendige Kraft der Reflexion (des Weltbegriffs) durch ein praktikables Feindbild. Auch diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Wer seinen Hegel kennt, weiß, daß Begriffs- und Herrschaftsgeschichte so mit einander verflochten sind, daß sich das eine vom andern nicht mehr ablösen läßt. Die Größe der Gefahr, die Rom verkörpert, wird erst sichtbar im Licht des Weltbegriffs. Der Begriff der „Weltordnung“, der diese Gefahr zum Feindbild verdichtet, ist schon Produkt einer Verharmlosung.
    Wird nicht, wenn man den Namen der Liebe durch den Begriff der Solidarität ersetzt, das Entscheidende herausdefiniert? Solidarität steht schon unter dem Gesetz der Instrumentalisierung (Liebe ist auch instrumentalisierbar: dagegen richtet sich der Rat der Keuschheit).
    Steckt nicht in der Praxis der Geldschöpfung, der Kreditschöpfung durch die Banken ein astronomiekritisches Potential (Grund der Beziehung des Begriffs der creatio mundi ex nihilo zur Ursprungsgeschichte des Staates, zur Ursprungsgeschichte des Gewaltmonopols des Staates)?
    Die Idee der Barmherzigkeit enthält das Potential einer Kritik der Transzendentalphilosophie, sie vermag insbesondere die Stellung und Bedeutung der transzendentalen Ästhetik in der Transzendentalphilosophie endgültig aufzuklären. Die Sprengung des Begriffs gründet in der Sprengung der ästhetischen Grundlagen des Begriffs (in der Beziehung des Begriffs zu den Formen der Anschauung, der Schaubühne unserer subjektiven Vorstellungen, unserer Vorstellungen von Natur und Geschichte).
    Gründet nicht die politische Theologie in der Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils (in der Vertauschung und Verwechslung von Subjekt und Prädikat), und verbindet das nicht deren gegenwärtige Verkörperungen mit ihrer Ursprungsgestalt in der politischen Theologie Carl Schmitts? Gilt das Freund-Feind-Paradigma nicht auch für die nachfolgenden (nachfaschistischen) Konstrukte? Das Problem der politischen Theologie gleicht dem der naturwissenschaftlichen Astronomie: Sie macht das Ungleichnamige gleichnamig, indem sie die Sphäre der Herrschaft mit der theologischen in eins setzt. Sie rührt an das Problem, das Derrida fast schon denunziatorisch an Benjamins „Kritik der Gewalt“ glaubte gesehen zu haben: an das Problem der Ununterscheidbarkeit des Holocaust von der göttlichen Gewalt.
    DIE BANK GEWINNT IMMER: Es gibt keine Chance, mit politischen Mitteln die Beziehung von oben und unten umzukehren; man kann nur die Personen austauschen, aber nicht die Strukturen ändern: und das hilft nicht viel. Die Beziehung von oben und unten unterscheidet sich von den anderen Richtungsbeziehungen dadurch, daß sie irreversibel ist. Die einzige Chance benennt Jakobus: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Name der Barmherzigkeit aber ist der des Geistes.
    Die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Gerechtigkeit durch den der Bewährung, der ihn in einen autoritären Grund verpflanzt, läßt sich an dem Satz Horkheimers prüfen: Ein Richter, der in einen Angeklagten nicht mehr sich hineinversetzen kann, kann kein gerechtes Urteil mehr fällen. Wer den Begriff der Gerechtigkeit durch den der Bewährung ersetzt, begibt sich der Möglichkeit der Rechtskritik (die zu den zentralen Gegenständen der Prophetie gehört). Er kann Recht und Gerechtigkeit (Links und Rechts) nicht mehr unterscheiden.

  • 16.12.1996

    „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“: Die Bekenntnislogik war das Instrument der Auflösung des Naturbegriffs durch eine Zwangsreflexion, die durch die Opfertheologie (und durch die Geschichte des Weltbegriffs, in der diese gründet) vermittelt ist. Die Bekenntnislogik reflektiert einen Bekenntnisbegriff, der seinem Ursprung im Schuldbekenntnis hat, aus ihm durch ihm durch eine systematische logische Umkehrung hervorgegangen ist (sic, B.H.). In der Bekenntnislogik wird das Schuldbekenntnis, das auf die Fähigkeit zur Schuldreflexion als Selbstreflexion sich gründet, zum Fremdbekenntnis, zum Schuldverschubsystem, zu einem systematischen Instrument der Abwehr, Verschiebung und Projektion. Es ist die gleiche Umkehr, die bei Kant das Verhältnis von reflektierendem und bestimmendem Urteil in der Sache bestimmt (das Instrument dieser Umkehr ist die transzendentale Ästhetik, sind die subjektiven Formen der Anschauung und in ihnen die durch Orthogonalität und Reversibilität definierten Beziehungen der Richtungen im Raum, die das Ungleichnamige gleichnamig machen). Zu den Wirkungen der Bekenntnislogik (aus denen ihre Ursprungsgeschichte sich ablesen läßt) gehört die Selbstzerstörung der an die Sprache gebundenen Sensibilität, die sie durch Empfindlichkeit ersetzt. Die Empfindlichkeit (die insgesamt pathologisch ist) gründet im Rechtfertigungszwang, der selber als Umkehrung der Fähigkeit zur Schuldreflexion, als Produkt der Verdrängung und Unterdrückung dieser Fähigkeit, sich begreifen läßt. Im Kontext dieses Rechtfertigungszwangs gründet eine Logik, unter deren Bann die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen sich verwischt, unkenntlich wird: die Logik der Verurteilung (die dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrundeliegt). So bleibt Auschwitz unter moralischem Apriori „unverständlich“, während das, was hier geschehen ist, ohne daß das an dem Urteil über das Grauenhafte etwas ändert, unter den Prämissen der Schuldreflexion (die durch den Weltbegriff außer Kraft gesetzt werden) sehr wohl sich verstehen läßt.
    (Hierzu:
    – Verurteilung des Nationalsozialismus ohne Reflexion des Schreckens nicht möglich;
    – Reflexion des Schreckens und Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung;
    – Schuldverschubsystem, „Entsühnung der Welt“, Entlastung und Enthemmung, das Problem des Strafrechts und die Ohrenbeichte, Kirche und Staat als Produkte der Vergesellschaftung des Opfers und der Rache;
    – das Dogma, die Orthodoxie, das Geld, das Inertialsystem und die Logik der Verurteilung, des Schuldverschubsystems;
    – das Gebot der Feindesliebe und der imperativische Gehalt der Attribute Gottes;
    – die Astronomie und der Name des Himmels.)
    Das Problem der Bekenntnislogik ist ein lateinisches (und in der Folge dann ein deutsches) Problem. Die confessio ist ein halbiertes homologein. Sie unterscheidet sich wie das Bekenntnis vom homologein durch die Abstraktion von der Nachfolge (dem christlichen Äquivalent der Umkehr). Augustinus‘ Confessiones stellen dann die Beziehung zum „Sündenbekenntnis“, zur Schuld, her. Das homologein ist als Name der Umkehr aufs zukünftige Handeln bezogen, die confessio aufs vergangene, auf die „Bekehrung“, deren Geschichte Augustinus in seinen Confessiones erzählt, am Ende nur noch auf den Taufakt. Die confessio hat das homologein der Herrschaftslogik unterworfen. Erst als Bekenntnis wird das Bekenntnis endgültig und unentrinnbar zu einem Instrument der Herrschaftslogik: Durch die Umkehr des Schuldbekenntnis im Glaubensbekenntnis bekenne ich die Schuld der Andern, die ich weder bekennen kann noch darf. Durchs Glaubensbekenntnis wird das Christentum zum Christentum für Andere, hat es sich selbst instrumentalisiert. Diese Logik der Instrumentalisierung, die in der Theologie sich entfaltet hat, ist dann zum Modell der naturwissenschaftlichen Aufklärung geworden.
    Die Bekenntnislogik reprodziert und stabilisiert die Gewalt des Begriffs, während die Nachfolge den Begriff zurückübersetzt in den Namen (die Blätter des Feigenbaums zurückübersetzt in die Frucht).
    Gewinnt die Tatsache, daß nach dem Ende der Märtyrerzeit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in (männliche) Bekenner und (weibliche) Jungfrauen erfolgt, im Kontext dieser Logik nicht eine ungeheure symbolische Bedeutung?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne das projektive (feindbildlogische) Moment, das in dem Namen der Barbaren erstmals sich ausdrückt. Dieses projektive Moment ist in der Bekenntnislogik zur logischen Automatik geronnen: Deshalb gehört zur Bekenntnislogik ein eliminatorischer Wahrheitsbegriff: das Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter (der Häresien) und die Frauenverachtung.
    Sind nicht die Christen reflektierte Barbaren, und gehörte zur Rehellenisierung des Christentums nicht die erneute projektive Ableitung dieses Syndroms im Namen der Wilden (auch im Begriff der „rohen Natur“, die nur durch Bearbeitung zu humanisieren ist)?
    Wer mit dem Verurteilen das Verstehen tabuisiert, die Fähigkeit, auch ins Verurteilte noch sich hineinzuversetzen, unterdrückt, fördert die Barbarei, die aus dem Vorurteil folgt. Und diese Geschichte (die Geschichte des Vorurteils) hat angefangen in der Geschichte der Dogmas, im Kampf gegen die Häresien, die auch nur verurteilt, aber nie verstanden wurden. Wer heute eine transzendentale Logik schreiben wollte, müßte sie als Reflexion der Bekenntnislogik schreiben, ihr Ziel wäre eine Theorie des Antisemitismus, der Xenophobie und des Sexismus. Diese Reflexion könnte dann allerdings vor dem Naturbegriff nicht halt machen, sie würde ihn sprengen.
    Im Bekenntnisbegriff ist das Pharisäische zu einem Teil des logischen Systems und damit instrumentalisiert worden. Und die kirchliche Rezeption Pharisäer-Kritik, der Verurteilung der Pharisäer, gehörte zu den Grundlagen des Bekenntnisbegriffs. Das Symbol dieser Geschichte ist das biblische Symbol des Feigenbaums.
    Zur Logik der Verurteilung gehört Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts, und es ist nun wirklich ungeheuerlich, daß es – soweit ich sehe – zu Derridas „Gesetzeskraft“, zu seinen Reflexionen zu Benjamins Kritik der Gewalt, aus dem Bereich der Frankfurter Schule keine Erwiderung gibt.
    Das Problem, die Geschichte der RAF zu verstehen, gehört in den Umkreis der Reflexion der Logik der Verurteilung (und der Bekenntnislogik). Die RAF ist in extremer und signifikanter Weise (für sich selbst wie für die staatliche Verfolgung) zum Opfer der Logik der Verurteilung geworden. An den RAF-Prozessen wäre nachzuweisen, daß das Problem RAF auf diesem Wege nicht zu lösen ist, es sei den über die Selbstzerstörung der Gesellschaft.
    Die Reflexion der Bekenntnislogik schließt die Revision der Geschichte der Aufklärung, die mit der Dialektik der Aufklärung begonnen wurde, mit ein.
    Die Bekenntnislogik und das Dogma sind Stabilisatoren der Rechtfertigungszwänge, die durch Reflexion aufzulösen wären.
    Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ widerlegt die Bekenntnislogik, entzieht ihr die Grundlage.
    Die Logik der Verurteilung ist ein Sinnesimplikat der Geschichte des Begriffs. Deshalb ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Und deshalb konnte Hegel diesen Schiller’schen Satz als Schlußstein seines Systems verwenden. – Aber dagegen steeht der Satz aus dem Jakobus-Brief: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
    Aufgabe einer Theologie heute wäre es, das Dogma zurückzuübersetzen in eine Theologie der Erfahrung, in eine Logik-Kritik, die eins wäre mit dem Konzept, die Theologie hinter dem Rücken Gottes zurückzuübersetzen in eine Theologie im Angesicht Gottes. Das wäre zunächst ein sprachlogisches Problem, in dem ein reales Problem sich verbirgt: das der Apokalypse. Hierzu hat Franz Rosenzweig die ersten Stichworte geliefert: der Name ist nicht Schall und Rauch, und das Problem des Gottesnamens ist gründet in dem logischen Problem des Namens überhaupt. Das logische Problem der Verurteilung ist in der Logik des Begriffs selber präsent in der Frage der Konstituierung des Objekts, in der die Identität des Begriffs gründet. Oder anders: Das Problem des Gottesnamens, das Ton Veerkamp zu Recht ins Zentrum seiner „Autonomie und Egalität“ gerückt hat, ist das Problem der Selbstreflexion des Nominalismus, das in der Philosophie als das Problem der Rettung Kants durch seine Hegel’sche Widerlegung hindurch sich beschreiben läßt. Die Logik selber verändert sich, sie wird mit der Reflexion der Logik der Verurteilung, ihres blinden Flecks (des blinden Flecks, in den allein die Prophetie Licht zu bringen vermag), selber zum Medium der Reflexion. Ein sprachlogisches Hilfskonstrukt der Logik der Verurteilung, das zur Ursprungsgeschichte der Philosophie (und zur Konstituierung des Naturbegriffs) gehört, war der Name der Barbaren. Durch ihn ist der Objektbegriff als Repräsentant des Verurteilten, in dem der Begriff des Begriffs gründet, vermittelt.
    Die Reflexion der Verurteilung ist ohne die Reflexion des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, in dem der Objektbegriff im Kontext seiner Konstituentien sich entfaltet, nicht mehr möglich. Deshalb ist das Kant-Studium immer noch unerläßlich.
    Die Fundamentalontologie ist der Statthalter des Fundamentalismus in der Philosophie. Merkwürdig, daß dieser Fundamentalismus, der einmal als weit folgenreicher sich erwiesen hat, weniger Widerstand hervorruft als der religiöse.
    Hat nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun? Ist nicht die Klugheit der Schlangen der Traum des Nebukadnezar? Oder anders: Ist nicht die Hegel’sche Philosophie einer der Verkörperungen sowohl der Klugheit der Schlangen als auch des Traums des Nebukadnezar, und war nicht Hegel ein halbierter Daniel, dem nur die Arglosigkeit der Tauben fehlte, um als ganzer Daniel den Traum seiner Philosophie auch deuten zu können?
    Die Instrumente der Subjektivierung (der Sinnesqualitäten, der Kritik und der Schuld) wird innerhalb der Gersamtzusammenhangs der transzendentalen Logiken repräsentiert durch die Form des Raumes, durch das Geld und durch die Bekenntnislogik, die das Subjekt in die Rechtfertigungszwänge und deren projektive Verarbeitung hineintreiben.
    Die Feindbildlogik transformiert die transzendentale Logik in die Urteilsmoral, sie verwandelt die Moral in eine Herrschaftsinstrument (in die Universalität einer Moral für andere).
    Das verteidigende Denken ist nicht nur auf Gesellschaftliches bezogen: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Die Logik der Naturwissenschaften ist als reine Objektlogik die Logik der Verurteilung, einer Verurteilung, die heute dahin tendiert, das verteidigende Denken schon vom Grund her auszuschließen.
    Die Logik der Verurteilung ist die Logik des Vorteils, sie lebt von der Gewalt des Feindbildes.
    Der Staat reproduziert sich durch die Sanktionierung und Ausbeutung des Rachetriebs in der Institution des Rechts, während die Kirche sich über die Sanktionierung und Ausbeutung Unschuldtriebs reproduziert.
    Gab es in Israel Knäste (und waren die Schuldknechtschafts-Regelungen wie Sabbatjahr und Jubeljahr Institute zur Knastvermeidung)? Haben die Brunnen, in die Joseph und Jeremias geworfen wurden, etwas mit den Knästen zu tun?
    Die Landesgrenze ist wie jede Abstraktionsgrenze eine Verurteilungs- und Schuldgrenze.

  • 1.12.1996

    Das Modell der Beziehung der transzendentalen Logik zum Objekt ist die Feindbildlogik.
    Der Begriff des Akkusativ ist nicht nur ein falsche Übersetzung aus dem Griechischen, sondern eine Übersetzung, in der die sprachlogische Differenz der lateinischen zur griechischen Sprache sich ausdrückt. Der Akkusativ ist in der Tat ein Element der lateinischen Grammatik, und dazu ein sehr ausdruckskräftiges. Die zugrundeliegende Differenz hängt zusammen mit der zwischen einer prädogmatischen (griechischen) und einer postdogmatischen (lateinischen) Sprache. Diese Differenz entfaltet sich in der Konstellation der grammatischen Unterschiede insgesamt, zu denen u.a. der Fortfall des bestimmten Artikels, das Verschwinden des Medium und Aorist, sowie die Neubildung des Futur II wie auch der Formen des Supinum, Gerundium und Gerundivum gehören.
    Es gibt keine erste Natur. Was wir die erste Natur nennen, ist die dritte Natur als Spiegel der zweiten.
    Bezeichnet nicht der Begriff der Information das sprachliche Korrelat des mechanischen Stoßprozesses? Information, das ist auch die Mitteilung eines Impulses von einem mechanischen Objekt auf ein anderes, wobei der Ausdruck Information darauf hinweist, daß mit dem „Impuls“ auch das Formgesetz (das Referenzsystem) übertragen und „mitgeteilt“ wird, in dem der Impuls definiert ist. Die Bestimmung des Stoßprozesses war die Geburtsstunde des Inertialsystems, das mit der Informatik auf die Sprache und auf die Logik übertragen wurde.
    Dieser Informationsbegriff ist der Grundbegriff der Luhmannschen Systemtheorie, aber auch der Linguistik und am Ende der Habermasschen Kommunkationstheorie.
    Im Kontext dieses Informationsbegriffs wird z.B. der Begriff der Beobachtung (so bei Dirk Baecker, der sich auf den quantentheoretischen Ursprung dieses Begriffs beruft) zu einem Moment in einem System bedingter Reflexe: Hier wird die Logik zum Pawlowschen Hund.
    Was hier in die Sprache eindringt, gleicht auf den ersten Blick der Sintflut, während es in Wahrheit die Entzündung des Feuers ist, das nicht mehr sich löschen läßt. Des Feuers, in dem die Sprache verbrennt, Ursprung einer Finsternis, die bewirkt, daß die, die dieses Feuer entzünden und nähren, es selbst nicht mehr wahrnehmen. Gegen diese Finsternis ist die, die mit Heidegger und dem Faschismus hereingebrochen ist, harmlos.
    Zur Selbstzerstörung der kritischen Theorie durch ihre Schüler (zu der es keine Alternative gab): Die Reduzierung von Kritik auf subjektive Meinung (aufs Raisonnement) ist ein Teil der Anbetung der versteinerten Verhältnisse, in denen die Kommunkationstheorie sich häuslich einzurichten versucht. Das Konzept des „herrschaftsfreien Diskurses“ ist ein Phantom. Es gibt keinen herrschaftsfreien Diskurs, weder im wissenschaftlichen Seminar, noch noch im Rechtsstreit, noch in der innerbetrieblichen Kommunikation, nicht einmal im privaten Bereich. Was allein aus dem Bann der Herrschaft herausführt, ist die Fähigkeit zur Reflexion der Gewalt, die jeden Begriff, jede Erkenntnis, aber auch jedes Gespräch in der durch starre Über- und Unterordnungsbeziehungen determinierten Welt durchherrscht. Im Bann des universalen Objektivierungsprozesses ist die Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften in diesen Herrschaftsprozeß eingebunden, und Horkheimers Konzept der instrumentellen Vernunft hat die Vernunft nicht denunziert, sondern war der Anfang ihrer Selbstreflexion.
    René Girard hat insoweit recht: Im historischen Säkularisationsprozeß ist das Heilige in die Gewalt eingewandert, die heute alles durchherrscht.
    Jürgen Habermas hat seinen Frieden mit dem Bestehenden geschlossen, als er den Ballast der Naturreflexion, des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“, über Bord geworfen hat.
    Die Stellen über den hebräischen Sklaven (im Deuteronomium und bei Jeremias) weisen darauf hin, daß die Israeliten das, was sie für andere sind, nicht auch für einander sein sollen. Im Gegensatz zum Namen der Barbaren, der als Projektionsfolie zu den Bedingungen der Naturerkenntnis und dann der Philosophie (des „bestimmenden Urteils“) gehörte, ist der der Hebräer einer der Reflexion, Voraussetzung der prophetischen Erkenntnis (vgl. hierzu René Girards Reflexionen zur Institution des Sündenbocks: Während der Mythos die Welt aus der Sicht der Verfolger repräsentiert, rückt die jüdische wie auch die christliche Tradition sie ins Licht der Erfahrungen der Opfer).

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