Wer immer nur ein gutes Gewissen hat, klinkt sich aus der Solidarität aus.
Der schärfste Einwand gegen den Unschuldtrieb, gegen den Zwang des guten Gewissens, liegt darin, daß die Freiheit von Schuldgefühlen das Gericht definiert (frei von Schuldgefühlen ist der Ankläger, der Satan).
Die apokalyptischen Tiere: sind das nicht Verkörperungen des Verfolgers?
Der Punkt ist die vollständig zusammengeschrumpfte Kugel, die kein Inneres mehr hat, die nur nach nach außen blickt, für die das Innere der anderen ebenso wenig existiert wie das eigene Innere, und die dieses Innere nicht nur nicht erkennt, sondern als inexistent setzt. Die Kugel ist Ausdruck der Gewalt der Rückseite über das Angesicht, der Linken über die Rechte und der unteren über die obere Welt. Der Punkt ist die Basis der Zahlen.
Haben nicht die Babylonier die Arithmetik und die Ägypter die Geometrie entdeckt? Die Griechen haben Arithmetik und Geometrie mit einander verbunden (nicht versöhnt), und zwar durch die Entdeckung des Winkels.
Die Entdeckung des Punktes ist eine Folge der Entdeckung des Inertialsystems: Der reine Punkt ist der Schwerpunkt. Die „Definition“ des Punktes ist durch das Bild des „ruhenden Inertialsystems“ vermittelt; der Versuch, dieses „ruhende Inertialsystem“ zu bestimmen, führt in die Paradoxien, deren Ausdruck die beiden Relativitätstheorien Einsteins sind, er führt zu den hochsymbolischen Bildern des fahrenden Zugs und des frei fallenden Fahrstuhls.
Im Bild des Punktes vollendet sich die Abstraktion, deren Wurzel die Winkelgeometrie ist (der Punkt ist der Eckpunkt eines Winkels, auch im Inertialsystem).
Daß der Punkt ohne dieses Referenzsystem (das „ruhende Inertialsystem“) nicht sich definieren läßt, drückt im Korpuskel-Welle-Dualismus der Mikrophysik sich aus, einer Konsequenz aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die das Inertialsystem selber dynamisiert. Hier werden beide, der Punkt und das ihn definierende Referenzsystem, in eine gemeinsame, wechselseitig sich reflektierende Bewegung hineingezogen. Hier erscheint das Referenzsystem in dreifacher Gestalt: als doppeltes Referenzsystem: nämlich sowohl der Korpuskel- als auch der Wellenbewegung, und in dieser Wellenbewegung zugleich als Objekt, als Erscheinung im System. Diese selbstreferentielle Konstruktion, deren systemische Wurzel das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, ist der Inhalt der mikrophysikalischen Strukturen, die in dieser Vermittlung überhaupt erst sich konstituieren.
In den Dingen ist die Beziehung von Verfolgern und Verfolgtem auf die abstrakteste Form zusammengeschnurrt: auf ihre Beziehung zur Zeit. Die Zukunft des einen ist die Vergangenheit des andern. Die Begriffe Natur und Welt sind logische Zwillinge, die wie Zukunft und Vergangenheit als getrennte auf einander sich beziehen. Die Ontologie ist die Hypostasierung dieses Akts der Trennung (sh. Rosenzweigs „verandernde Kraft des ‚ist’“).
Ist nicht die Pharao (in der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen und der Verhärtung seines Herzens) der verfolgte Verfolger, und drückt das nicht in den Pyramiden aufs genaueste sich aus?
Wie hängt der Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen …“ zusammen mit dem andern „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“?
War das nicht einer der fatalen Effekte des Historikerstreits, daß mit dem Bestehen auf der „Einmaligkeit“ von Auschwitz es danach eigentlich nichts Einmaliges mehr geben kann? Und ist das nicht gerade die Voraussetzung der Metastasen von Auschwitz? Manifestation des Einmaligen ist der Name, und indem dieses Einmalige in die Vergangenheit versetzt wird, wird auch der Name ins Perfektum, in die vollendete Vergangenheit versetzt: Kein Ruf, der ihn noch erreicht. So hängt Auschwitz mit der Theologie zusammen.
Der Begriff instrumentalisiert den Tod, dem er das Objekt, auf das er sich bezieht, überantwortet. Dagegen steht der Name und die Idee der Auferstehung, ohne die es den Namen nicht geben würde. Wenn einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, so drückt genau darin (in der Beziehung der Dinge zum Raum) die Beziehung der Dinge zum Namen sich aus.
Von der Idee der Auferstehung kennen wir nur das sprachlogische Symbol, das am Namen haftet (und vom Begriff geleugnet wird).
Ist nicht Jer 3134, wonach am Ende keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen, ein Hinweis darauf, daß die direkte Belehrung (das „Überzeugen“) in der Tat unfruchtbar ist? Es bleibt allein noch die reine Erkenntnis Gottes und die Hoffnung, daß sie die Kraft hat, sich mitzuteilen, die Erkenntnis des Namens, in dem die Kraft der Erweckung der Toten beschlossen ist.
Wäre nicht die Kritik der Ästhetik eine zentrale Aufgabe der Philosophie, die an der Kritik der reinen Vernunft anzusetzen hätte (was hat die „transzendentale Ästhetik“, was haben die subjektiven Formen der Anschauung mit der Kunst zu tun)? Die Ästhetik ist das Feuer im brennenden Dornbusch: Es brennt, aber es verbrennt den Dornbusch nicht. Und dieses Feuer ist nicht Gott, sondern Gott spricht aus diesem Feuer.
Zu den Grenzen gehören: die Grenzen der Nation (die die „Völker“ und das Ausland ausschließen); das Schaufenster (und die Reklame), das den Käufer von der Ware trennt; die subjektiven Formen der Anschauung, die das Anschauen vom Angeschauten trennen, die Sprachgemeinschaft mit dem Angeschauten neutralisieren. Die Wurzeln dieser Grenzen sind die Grenze zum Himmel und die Grenze zur Vergangenheit, zum Hades.
Zu Kanther fällt mir nur noch ein: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
Selbstreferentielle Asymmetrie: Wenn wir heute, in unserer politischen Selbstverständnis, das Handeln des „Auslandes“ zur Norm unseres eigenen Handelns machen, dabei merkwürdigerweise das „Urteil des Auslandes“ (als „Heuchelei“: sie treiben es ja auch nicht anders) ausblenden, weil wir es als Angriff erfahren, holen wir dann nicht über die Metastasen von Auschwitz Auschwitz wieder in unser Handeln zurück? Das Feindbild Ausland bleibt uns so auf jeden Fall erhalten.
Feindbilder haben seit je auch die Funktion, das, was als Handeln des Feindes erfahren wird, zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen und damit zur Norm des eigenen Handelns zu machen: die gleiche logische Konstruktion liegt dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zugrunde, sie begründet die Logik der „Naturgesetze“ wie auch die Gesetze des Rechts. Diese Logik wird durchbrochen durchs Gebot der Feindesliebe, das sie aus der Starrheit erlöst und reflexionsfähig macht.
Die Feindbildlogik ist in sich selber atheistisch, und die einzige Gestalt der Theologie, die heute noch möglich ist, wäre die, die dieses Feindbildlogik sprengt (und die Religion aus dem Bann des Fundamentalismus befreit ohne sie zu verraten). In die Feindbildlogik (und seine religiöse Variante, den Fundamentalismus) gerät zwangsläufig hinein, wer zum Herrendenken keine Alternative mehr kennt.
Wer Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft als Angriff erfährt, ist ihr bereits verfallen.
Wie verhält sich der Satz Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen … und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ zu den Reflexionen René Girards über das Heilige und die Gewalt? Ist nicht der Säkularisationsprozeß (der Prozeß der „Verweltlichung der Welt“) Teil einer Geschichte, die diese Forderung eines „geheiligten Lebens“ nachgerade erzwingt? Wie verändert sich der Begriff des Heiligen im Säkularisationsprozeß? Der Säkularisationsprozeß, die Geschichte der Aufklärung, ist ein Prozeß, der, indem er die Idee des Heiligen aus der Objektivität vertreibt, sie ins Subjekt zurücknimmt. Jeder Versuch, das Heilige in der Welt zu erhalten, ist fundamentalistisch, und damit ein Produzent von Gewalt. In diesem Kontext löst sich das Problem der Derridaschen Anfrage an Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und den Begriff der göttlichen Gewalt, die in keinem Punkt mit irgend einer Form der staatlichen Gewalt sich berührt, es sei denn als Element ihrer Auflösung.
Johann Baptist Metz‘ Konzept der Verweltlichung der Welt, führt in die Irre, wenn sie nicht die Kritik der Gewalt in sich aufnimmt. Die Kritik der Gewalt ist nicht zu verwechseln mit der Forderung nach Gewaltfreiheit: Während die Forderung nach Gewaltfreiheit sich unter das Gewaltmonopol des Staates stellt, zielt die Kritik der Gewalt auf die Auflösung des Gewaltmonopols des Staates: auf die Manifestation der göttlichen Gewalt. Die göttliche Gewalt leitet sich her aus dem Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, sie manifestiert sich im „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“, im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Dieser Akt ist der einzige Inhalt der Apokalypse.
Wer glaubt, das Gewaltmonopol des Staates sei verfügbar im Interesse der Verwirklichung der richtigen Gesellschaft, verkennt u.a. auch den Marxschen Hinweis, daß in der richtigen Gesellschaft der Staat sein Ende findet, sich auflöst. Deshalb sind Staatsschutzsenate und ist der Titel Staatsanwalt schon vom Grunde her reaktionär.
Wenn es dem Staatsschutz wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus ginge, müßte er sein Ziel, nachdem die RAF dem Terrorismus abgesagt hat, im wesentlichen erreicht haben. Was er aber jetzt tut, beweist, daß es ihm garnicht um das Ende des Terrorismus, sondern um Rache geht. Verfolgt wird nicht der Terrorismus, sondern verfolgt wird die Reflexion, die schon der Terrorismus selber verraten hatte. Deshalb war dieser Staatsschutzsenat nicht einmal fähig, die Erklärungen Birgit Hogefelds auch nur sich anzuhören; das Urteil lautet so, als hätte es diese Erlärungen überhaupt nicht gegeben.
Hegels Reflexion über das Problem des Anfangs in der Philosophie läßt an ersten Sätzen in der Philosophie sich demonstrieren, angefangen mit dem ersten Satz der Philosophie überhaupt (Thales: Alles ist Wasser) über den ersten Satz der Dissertation Thomas von Aquins: Parvus error in principio magnum est in fine, bis hin zum Anfang von Schellings Weltalter: … die Zukunft wird geahndet. Auch die ersten Sätze im Stern der Erlösung und in Wittgensteins Logisch-philosophischem Traktat gehören hierher. Außerdem: Seit wann (und aus welchem Grunde) werden zu philosophischen (und wissenschaftlichen) Werken Einleitungen geschrieben (und im Falle der Phänomenologie des Geistes zur Einleitung noch eine Vorrede)? Ist die Furcht, die Werke könnten mißverstanden werden, und damit der Versuch, diese möglichen Mißverständnisse schon im vorhinein durch eine Vorrede oder Einleitung zu zerstreuen, so unbegründet (haben nicht Rosenzweig und Wittgenstein auf eine Einleitung verzichtet)?
Sind nicht eigentlich alle naturwissenschaftlichen Bücher Einleitungen zu Texten, die keine mehr sind: zu den Formeln, die die Texte dann nur unzulänglich zu erläutern vermögen? Wer vermöchte wirklich Das Gravitationsgesetz, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die These von der Identität von träger und schwerer Masse in Sprache zu übersetzen?
Die drei zivilisationskritischen Großprojekte der Aufklärung, Marx, Freud und Einstein, beschreiben sie nicht die Brennpunkte des Aufklärungsprozesses aus der Opferperspektive, Marx aus der des Proletariats, Freud aus der des Unbewußten, und Einstein aus der des materiellen Objekts? Und gehören hierzu nicht die Objekte der Kritik: das Tauschprinzip, das Realitäts- und Lustprinzip und das Trägheitsprinzip?
Der Unschuldstrieb (das „reine Gewissen“) wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins symbolisiert und widerlegt.
Kommt bei René Girard die Geschichte des Stephanus (und des Saulus) vor, und was bedeutet sie für sein Sündenbockkonzept? Ist nicht die Bekehrung des Paulus (die eine Bekehrung und keine Umkehr war) die eines Verfolgers, dessen Opfer „den Himmel offen“ sah?
Horkheimer
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22.11.1996
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9.11.1996
1945: Der unreine Geist, nachdem er wasserlose Orte durchzogen und keine Ruhestätte gefunden hat, in sein Haus zurückkehrt, es leer, gereinigt und geschmückt vorfindet, geht hin und nimmt sieben andere Geister mit, die schlimmer sind als er, und sie ziehen ein und wohnen dort, und es wird nachher mit jenem Menschen schlimmer als vorher. (Mt 1243ff, vgl. Lk 1124ff)
Ist nicht die rhetorische Frage in der Regel die Frage der Empörung, oder auch das in Frageform gekleidete kontrafaktische Urteil? Wie hängt die Massenbildung mit der Empörung zusammen?
Die rhetorische Frage, wie auch das kontrafaktische Urteil, ist ein Element der Klage; in ihr gründet das Problem der Theodizee. Ist nicht diese Klage das Element, aus dem Anklage erwächst, und dann das Schuldurteil?
Wenn eine Vorstellungswelt zerbricht, zerbricht nicht die Welt.
Die Sprengung der Herrschaftslogik schließt die Sprengung der Vorstellung des Zeitkontinuums mit ein, das aber heißt, sie schließt die Idee der Auferstehung der Toten mit ein.
Die heroische Attitüde Heideggers gibt es auch schon bei Hegel, dort wo er von der Kraft, der Negativität und dem Tod standzuhalten, ihnen ins (leere, nicht vorhandene) Angesicht zu sehen, spricht.
Der Satz „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ ist ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht mehr zu denken.
Kann es sein, das das „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ in dem Allereinfachsten besteht, daß dann jede Träne abgewischt wird: daß Herrschaft ihr Objekt, auf das sie sich stützt, verlieren und das nicht ertragen wird? Wäre das nicht der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht?
Hat nicht der 5. Strafsenat Birgit Hogefeld dafür mit dieser wütenden Verbissenheit zur Rechenschaft gezogen und verurteilt, weil sie ihn in eine Situation gebracht hat, der er nicht gewachsen war? Sie hat diesen Senat vor eine Entscheidung gestellt, die er nur hätte treffen können, wenn er den Mut und den Verstand gehabt hätte, die er nicht hatte.
Dieser Prozeß und dann dieses Urteil hat etwas verändert. Jetzt wird man reden müssen
– über den Geist und das Handeln der Strafschutzsenate und der Bundesanwaltschaft,
– aber auch über die RAF, die einerseits diesen Institutionen die Vorwände geliefert hat, so zu werden, wie sie heute sich darbieten, andererseits aber zugleich den Opfern dieser Institutionen die Solidarität verweigert,
– und nicht zuletzt über die Öffentlichkeit, die ihre Wahrnehmungsfähigkeit eingebüßt hat und wieder einmal das Wegsehen einübt, und an der es sich jetzt rächt, daß in diesem Lande die Aufarbeitung der Vergangenheit in folgenlose Bekenntnisse sich verflüchtigt hat, real aber nie gelungen ist.
Manchmal überkommt mich der böse Verdacht, ob die Frage des Richters Klein an die Angeklagte nicht eigentlich hätte lauten müssen: Hat es die RAF überhaupt noch gegeben? Und ist es wirklich ganz auszuschließen, daß der Anschlag auf Weiterstadt auf eine konspirative Provokation (BAW/VS/Steinmetz?) zurückzuführen ist, die dann ihren Zweck voll erfüllt hat, nämlich der Öffentlichkeit zu den nie aufgeklärten Taten der 80er Jahre nachträglich eine RAF zu liefern, die es eigentlich schon nicht mehr gab? Und bekennen sich die Hardliner der RAF vielleicht heute zu Handlungen, von denen sie selbst nicht wissen, wer sie begangen hat, an denen sie nur deshalb festhalten, weil ihre von der Realität abgespaltene Phantasie sie als Identitätsstütze braucht? Und das bis zu der bitteren Konsequenz, daß sie die eine, die den Sinn dieser Handlungen in Frage stellt, mit dem Bann belegen und aus ihrer wahnhaften Bekenntnisgemeinschaft zwangshaft ausschließen müssen? Zugleich muß der Staatsschutz sie mit der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft aus dem Verkehr ziehen, weil sie, ähnlich wie Irmgard Möller nach der Stammheim-Katastrophe, die einzige ist, die vielleicht auf die Spuren stoßen und sie öffentlich machen könnte, die den Alptraum, zu dem dieser Staat in gleichem Maße zu werden scheint, in dem keiner es mehr für möglich zu halten fähig ist, als Realität erweisen würden.
Die Nazis haben ihre Untaten durch ihre Dimensionen und ihr Ausmaß vor der Öffentlichkeit schützen können: Die Greuel waren leicht als Greuelmärchen zu dementieren, weil niemand (außer ihren Opfern, die sie real an sich selbst erfuhren) sie mehr für möglich halten konnte. Nur waren damals die Grenzen zwischen Realität und Vorstellungsvermögen noch nicht so scharf definiert: Zur Stabilisierung des abgespaltenen Vorstellungsvermögens, als wirksame kollektive Verdrängungshilfe, brauchten die Nazis das Gerücht von der Realität, das Klima des Terrors als allgegenwärtige und für alle spürbare Gewalt, die die Menschen zum Wegsehen zwang. Dieses Konstrukt hat die Nazizeit überlebt in dem Wort „Nestbeschmutzer“. Diskriminiert wurden nach dem Krieg nicht die Täter, sondern die, die ihre Taten an die Öffentlichkeit brachten.
So gleicht sich die Realität immer mehr der Paranoia an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Oder anders: So wird die Paranoia zu einem Erklärungsmuster der Realität, mit der Folge, daß heute die Realität nicht mehr begreift, wer nicht bereit ist, auch das Undenkbare zu denken, ohne daraus ableiten zu können, es sei so. Die Logik der Paranoia ist eine Erkenntnishilfe, aber man darf ihr nicht verfallen.
Gegen diese Logik sind die Lyotardschen Reflexionen über das perfekte Verbrechen (die an die Erinnerung an Auschwitz anknüpfen) noch harmlos, weil sie zum Vebrechen verdinglichen, was in Wahrheit nur als kritische Reflexion eines logischen Sachverhalts sich begreifen läßt. An diesen logischen Sachverhalt, der an den Grund des Strafrechts selber rührt, reicht der strafrechtliche Begriff des Verbrechens nicht mehr heran.
Der Versuch, das Undenkbare zu denken, liefert den Schlüssel zu den finsteren Geheimnissen des Staates (oder auch der Bekenntnislogik und der Opfertheologie, die die Religion zur Staatsreligion gemacht haben), vielleicht hilft er, Licht in dieses Dunkel hineinzubringen.
Das Undenkbare denken: Dazu gehört auch, daß man einer Logik, die davon ausgeht, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, sich entzieht, daß es gelingt, die Kräfte, die es unterm Nationalsozialismus erlaubten, reale Greuel als „Greuelmärchen“ zu dementieren und so ihre Wahrnehmung zu verhindern, zu reflektieren und damit unwirksam zu machen. Ein Denken, das Herrschaftsinteressen, die heute mit dem Eigeninteresse derer, die an dem Privileg des Denkens noch teilhaben, konvergieren, sich unterordnet, mag sich als klug erweisen, es mag von einem hohen Grad der Intelligenz zeugen, es ist doch im Kern zugleich auch dumm, es verlernt, die Verblendung, deren Opfer es wird, zu durchschauen, es sieht insbesondere nicht mehr, was es anrichtet.
Was einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt wurde, ist eine in die Logik des Bewußtseins selber mit eingebaute Automatik; diese Automatik hat die kantische Philosophie, und zwar in der transzendentalen Ästhetik, erstmals rein herauspräpariert, sie ist damit bestimmbar und analysierbar geworden. Der erste, bis heute freilich nicht verstandene Beginn der Analyse dieser Automatik war Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung, ein im Kern logisch-philosophisches Werk, das nur aufgrund seiner Konsequenzen der speziellen Disziplin der Religionsphilosophie zugeordnet und so neutralisiert worden ist (der Gedanke, daß der Kern der Logik in der Theologie liegt, gehört zu dem Undenkbaren, auf das die Forderung, es endlich zu denken, sich bezieht). Der Stern der Erlösung gehört zu den epochalen Werken der Philosophie dieses Jahrhunderts, von gleichem Rang wie das Werk Walter Benajmins, Georg Lukacs‘ „Geschichte und Klassenbewußtsein“ oder die „Dialektik der Aufklärung“.
Der Begriff Greuelmärchen war ein prophylaktischer Teil des aus ihm entwickelten Mechanismus, der nach dem Krieg den kollektiven Verdrängungsprozeß mit getragen hat. Danach konnten alle (und das subjektiv ehrlich) sagen, sie hätten nichts gewußt.
„Satanisch, teuflisch, dämonisch“: An diesen Begriffen läßt die Magie des Urteils sich demonstrieren. Deren Bann wird erst gebrochen, wenn man, ohne Verharmlosung in der Sache, diese Begriffe reflexionsfähig macht, wenn man im Satanischen den Ankläger, im Teuflischen die feindbild-logische Instrumentalisierung der Sprache, ihre Subsumtion unter fremde Zwecke, im Dämonischen die Sprache der Rechtfertigung erkennt, in ihnen allen die Formen der Selbstzerstörung der erkennenden Kraft der Sprache; auch das ist ein Teil des Versuchs, das Undenkbare zu denken. Der Ansatz zur Lösung des Banns ist in dem Jesus-Wort vom Geist enthalten: „Wenn sie euch dann hinführen, um euch zu überliefern (Einheitsübersetzung: und <man> euch vor Gericht stellt), so sorget euch nicht im voraus darum, was ihr reden sollt, sondern was euch in jener Stunde gegeben (E.: eingegeben) wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der heilige Geist.“ (Mk 1311) Der heilige Geist ist das Subjekt der erkennenden, aus dem Bann ihrer Instrumentalisierung befreiten Sprache. Der Kern dieses Banns ist die Logik der Welt: die Feindbildlogik, die dem Feind aus freien Stücken die Waffen liefert, mit denen er uns besiegt.
Das Undenkbare denken, auch im Anblick des Schreckens den klaren Verstand zu behalten: Das wäre der Schlüssel zu einer Theologie im Angesicht Gottes.
Zur Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit: Die stoische Ataraxia, die dann in den Begriff und in die Konstruktion der Öffentlichkeit mit eingegangen ist, ist kollektiv eingeübt worden in den römischen Arenen, in dem freiwilligen und zum Genuß (zur „Augenlust“) dargebotenen Anblick des Schreckens, der nur die Opfer, nicht die Zuschauer des Spektakels traf. Schon die aristotelischen Affekte Furcht und Mitleid, die die Tragödie im Zuschauer hervorruft, hatten Teil an dieser Ataraxia: Dem Mitleid war durch die ästhetische Grenze, durch die Abstraktion vom eingreifenden Handeln, die den Zuschauer vom tragischen „Geschehen“ trennt, die moralische Gemeinschaft mit dem ästhetischen Objekt aufhebt, der Weg zur Barmherzigkeit abgeschnitten: Im Mitleid genießt das Publikum (der Zuschauende) nur noch seinen eigenen Affekt, es erreicht sein Objekt nicht mehr. Die Arenen haben diese (die logische Konstruktion der Öffentlichkeit begründende) ästhetische Grenze zum Objekt vergesellschaftet. In diese Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit gehören die Scheiterhaufen, auf denen die Ketzer und Hexen verbrannt worden sind, die öffentlichen Hinrichtungen. Auch der Kreuzestod Jesu ist durch die christliche Opfertheologie zu einem öffentlichkeitskonstituierenden Akt geworden (der in den Christen das schlechte Gewissen installiert hat, das dann bekenntnislogisch abgearbeitet werden mußte). Die Theologie war seit den Kirchenvätern nur das Exil der Philosophie, diese war das Schiff, auf dem sie aus Furcht vor ihrem Auftrag, Ninive den Untergang anzusagen, nach Tarschisch zu fliehen versucht hat.
Aber war die Philosophie nicht auch der eine unreine Geist, der am Ende mit sieben anderen Geistern in das leere, gereinigte und geschmückte Haus zurückkehren wird; und die letzten Dinge werden dann ärger sein als die ersten?
Der Staat ist die Quelle und der Produzent des „Seitenblicks“, der in den Arenen (und in der nachfolgenden Geschichte der Kunst) zunächst eingeübt und dann auch reflektiert worden ist. Und das hegelsche Absolute ist der Gott, der in diesem Staat sich verkörpert (und durch ihn hindurch das Reich der Erscheinungen als seine Welt erschafft, die am Ende niemand von der wirklichen mehr unterscheiden kann).
Das kantische Religionsverständnis unterscheidet sich vom hegelschen dadurch, daß es das Moment der Hoffnung (auch für die Toten) noch in sich enthält, es weder verleugnet, noch verdrängt, noch unterdrückt hat, und in dieser Hoffnung die Kraft der Reflexion, die er in der Kritik der Urteilskraft zu entfalten versucht hat.
Das Undenkbare denken, oder die Bundeanwaltschaft als Verkörperungen der Staatsparanoia.
Der Konkretismus und die Personalisierung verstören die Sprache der Reflexion, versuchen ständig, sie eine Sprache des bestimmenden Urteils (der synthetischen Urteile apriori), des Indikativs, zu übersetzen.
Das Undenkbare denken (Gliederung):
– Indikativ und Imperativ (Levinas),
– Verstörung des reflektierenden Denkens durch die Mechanismen der Verdinglichung,
– die Auflösung des Problems der Verhärtung des Herzens (Pharao und hodie, si vocem eius audieritis),
– Theologie im Angesicht Gottes,
– die Sünde wider den heiligen Geist (die Sünde der Übersetzung des reflektierenden Urteils ins bestimmende Urteil, der Verdinglichung, der Feindbildlogik, die Sünde der Welt <im Kontext des Nachfolgegebots, nicht der Opfertheologie>).
Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine herzzerreißende Theologie: Sie zerreißt das steinerne Herz (das sentimentale Herz) und ersetzt es durch das fleischerne Herz (ein Herz, in dessen Verletzlichkeit seine erkennende Kraft gründet). – „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“
Auch der Satz, daß Gott am Ende das steinerne Herz durch ein fleischernes ersetzen wird, steht im Imperativ, nicht im Indikativ.
Zu Kafkas Bau: Das Tier hat vierzig Jahre im Untergrund gewühlt, und jetzt steckt es die Nase heraus in der Hoffnung, daß da nicht ein Gärtner mit dem Spaten steht und es erschlägt.
Das Undenkbare denken: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns (Kafka). Auf diesen Satz antwortet eine Theologie, die die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele aufgibt, dafür aber an der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten festhält. Nicht für mich (und nicht für die, die unter Rechtfertigungszwängen auf einen gnädigen Gott hoffen), nur für die Andern gilt: Die Liebe deckt eine Menge Sünden zu. Das Jakobus-Wort, daß, wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums befreit, seine eigene Seele vor dem Tode rettet, schließt die Frage mit ein, wer ist dieser Sünder? Ist es nicht der gleiche, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über die 99 Gerechten?
(Adressaten: Christiane Dannemann, Michael Schwenn, auch Pfarrer Nieder, Antje Vollmer?)
Wenn ich die „objektive“ Analyse einer Sache durch die Erfahrung, die ich mit ihr gemacht haben, ersetze, so ist das der einzige Ausweg, über den ich die Sache selbst noch herauszubringen vermag.
Instrumentalisierung der Anklagepraxis durch die Bundesanwaltschaft (mit dem Ziel der Aussagenerpressung: Angebot der Kronzeugenregelung bei Birgit Hogefeld, Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz, Anklage mit Kronzeugenangebot bei Frau Andrawes), dazu paßt die fiktive Anklage im Hogefeld-Prozeß (eine Anklage, die aus den gleichen Gründen, die dann zum Freispruch führten, eigentlich schon bei Prozeßeröffnung hätte zurückgewiesen werden müssen, die aber nur so ihren Zweck erfüllen konnte: die zwar nicht nachgewiesene, aber wegen der Freispruchs der Angeklagten auch nicht mehr revisionsfähige gerichtliche Feststellung, daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten Newrzella erschossen hat). Steht nicht die Anklagepraxis der BAW, die ein Teil ihres Politikverständnisses ist, in einem so exzessiven Maße unter dem Zwang der Feindbildlogik, daß sie deren Reflexion schon vom Grunde her auszuschließen gezwungen ist?Adorno, Andrawes, Aristoteles, Ästhetik, Auschwitz, Bekenntnislogik, Benjamin, Dannemann, Feindbildlogik, Grams, Hegel, Heidegger, Hogefeld, Horkheimer, Inquisition, Justiz, Kafka, Kant, Lukacs, Lyotard, Möller, Nieder, Paranoia, Philosophie, Rosenzweig, Schwenn, Sprache, Steinmetz, Theodizee, Theologie, Vollmer -
7.11.1996
Gründen nicht Wortbildungen wie Judenfrage, Seinsfrage und deutsche Frage in einem Begriff der Frage, die keinen Adressaten mehr hat: Ausdruck eines gleichsam heroischen Atheismus, der ein faschistischer ist, Bodensatz einer Sprache, die – bis weit in die Theologie hinein – das Gebet nicht mehr kennt? – Diese Fragen sind eigentlich rhetorische Fragen (in „Sein und Zeit“ finden sich ganze Kaskaden solcher rhetorischer Fragen, in deren Produktion Heidegger – wie nach Paul Celan der Tod – ein Meister aus Deutschland ist). Sie haben keine Adressaten und erwarten keine Antwort. Sie erinnern an das, was Ulrich Sonnemann einmal den „folgenlosen Protest“ genannt hat. In diesen Fragen spiegelt sich die Gewalt wider, die inzwischen in die Sprache selber eingedrungen ist und ihr den Weg zu Adressat und Antwort abschneidet, und es bleibt der Eindruck, daß diese Fragen mit dieser Gewalt, die sie so eindrucksvoll bezeugen, sich längst gemein gemacht haben. Diese Fragen gehören in den gleichen Kontext wie das Aussitzen oder auch das Durchsetzen politischer Entscheidungen mit den Mitteln der Gewalt anstatt mit den eigentlich politischen Mitteln der Sprache, sie sind Ausdruck eines „Strukturwandels der Öffentlichkeit“, den Habermas nicht einmal gesehen hat. Ist nicht die RAF ein Ausdruck dieser sprachlogischen Situtation: einer Welt, in der die Moral, nachdem sie mit der Macht sich gemein gemacht hat, solange sie aus dieser Symbiose nicht sich befreit, zur rhetorischen Frage verkommt? Im Imperativ stehen nicht mehr die Attribute Gottes, sondern allein das nackte „Seyn“.
Hängt der Unterschied zwischen den Worten Volk und Leute (dem im Hebräischen, dann aber auch in den Apokalypsen, der zwischen Stamm und Volk zu entsprechen scheint) mit dem zwischen „wir“ und „ihr“ zusammen (der ersten und zweiten Person Plural)? Und sind die „Nationen“, die Heiden, auch die Barbaren und am Ende die Wilden, Verkörperung des pluralen „sie“, der dritten Person Plural, die im Deutschen in einer merkwürdigen Beziehung zum Femininum steht: Hitler hat die „Masse“, die dieses „sie“ in genauer Verkehrung des Namens der Hebräer mit der ersten Person Plural amalgamiert, als ein Femininum erfahren: Ist das der Unzuchtsbecher? Und ist hieraus nicht die Funktion des Antisemitismus als Instrument der Massenbildung abzuleiten?
Die transzendentale Logik, die mit den subjektiven Formen der Anschauung den Feindbild-Mechanismus zur Grundlage hat, erzeugt ihr eigenes Reich der Erscheinungen. Ins Recht lassen sich die Bedingungen der Konstruktion synthetischer Urteile apriori über die Feindbildlogik (die hierbei die Rolle der „subjektiven Formen der Anschauung“, des Vorurteils, übernehmen) hereinbringen.
Wer unfähig wird zu sehen, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, und sie indikativisch versteht, macht den Indikativ zum Imperativ, er erzwingt die Anpassung ans Bestehende und die Unterwerfung unter die je herrschenden Mächte. Das ist die fatale Wendung einer Theologie, die sich selbst nicht begreift, zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. Der Kern des zum Imperativ gewordenen Indikativs ist der Staat. Der Staat ist auch ein sprachlogisches Konstrukt. Das macht die Beziehung der Schlange in der Geschichte vom Sündenfall zum Neutrum durchsichtig und zwingend.
Ist nicht die Feindbildlogik die Grundlage des Indikativs (und des Urteils)?
Ist die Beziehung Hiobs zu seinen Freunden nicht ein Paradigma der Beziehung einer Theologie im Angesicht Gottes zu einer Theologie hinter seinem Rücken?
Der „Jäger und Fallensteller, der sich in den von ihnen selbst ausgelegten Fallen verfängt“, (Ebach I, S. 155, zu Hi 19). Unterschätzt Ebach nicht die Reichweite dieses Bildes, das in die Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs und die jesuanische Antwort darauf gehört? Ist nicht dieses Bild eines in seinem eigenen Netz gefangenen Jägers das Modell einer Interpretation des Kreuzestodes bei den Kirchenvätern, ist nicht das Kreuz diese Falle und Rom (der „Teufel“) der Jäger? Läßt die Logik dieses Bildes auf die Gegenwart (z.B. auf das Selbstverständnis des Staates, auf die Beziehung von Anklage und Gericht, auf den feindbildlogischen Kern in den Staatsschutzprozessen) übertragen?
Welche Rollen spielen Frauen in der Feindbildlogik (warum kann man sich Bordellbesuche der Bundesanwälte so gut vorstellen)? Wäre nicht – nach den ersten erhellenden Reflexionen hierzu bei Ulrich Sonnemann – das Problem der Art, wie angeklagte Frauen in Mord- und insbesondere in „Terroristenprozessen“ von den Gerichten erfahren werden, erneut zu thematisieren? Material hierzu liefern die Prozesse gegen Birgit Hogefeld und Monika Haas übergenug.
Hängt die Feindbildlogik in der Justiz nicht mit dem Eigentumsanspruch des Staates an seinem Volk zusammen? Feind ist, wer sich diesem Eigentumsanspruch widersetzt (die feindliche Bevölkerung im Krieg ebenso wie das Proletariat im Klassenkampf). Demokratie ist der Versuch, die Politik von der Eigentums- und damit von der Feindlogik zu befreien. Deshalb ist der Versuch, Demokratie mit freier Marktwirtschaft in eins zu setzen, so gefährlich.
Justitielles Denken steht unter dem Bann des Schuldbegriffs, der in ihm sich nicht auflöst, sondern durch es instrumentalisiert wird. Genau darin aber reproduziert sich der Bann.
Der Staatsschutz ist ein Instrument der Staatsrache, die BAW und die Senate sind deren willige Vollstrecker.
Wichtig der Hinweis, daß auch die Blutrache in den Themenbereich des Lösens, Auslösens, Erlösens gehört (Ebach I, S. 163ff). Ist nicht der Kreuzestod die Auslösung der Blutrache, auch der Blutrache in ihrer verstaatlichten Form, im Recht? Wird von hierher nicht allein die Blutsymbolik, die die Opfertheologie staatsmetaphysisch verfälscht hat, verständlich? Diese Blutsymbolik eignet sich dann nicht mehr, das Strafrecht und die Todesstrafe zu begründen.
Die theologische Enteignung der Juden (vgl. die Ausführungen Ebachs zu Hi 1925-27 in Hiob I, S. 161ff) war die Selbstenteignung der Christen durch den Staat.
Gibt es nicht so etwas wie ein in der Sprache selber verborgenes Subjekt der Sprache, eines, das erfahrbar wird, wenn die Sprache den Bann ihrer Instrumentalisierung sprengt? Gibt es nicht in der Sprache sprachlogische Verkörperungen des Anklägers, des Angeklagten, des Verteidigers, der Herrschaft, der Eigentumsbeziehungen, des Objekts? Deshalb sind sprachlogische Probleme nicht nur sprachlogische Probleme, deshalb ist die Sprachreflexion ein Medium theologischer Erfahrung. Und mir scheint, allein in diesem Kontext, und nicht in dem seiner griechischen Verfremdung, die es schon in der Stunde seiner literarischen Geburt erfahren hat, ist der Name des Logos theologisch verstehbar.
Max Horkheimers Satz, daß ein Richter, der nicht fähig sei, in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, auch kein gerechtes Urteil mehr sprechen könne, gründet in der Beziehung des Richtens zur Gottesfurcht. Richter, die nicht in den Angeklagten sich hineinversetzen können, müssen zwangsläufig den Satz verdrängen, daß Gott, vor dem sie ihr Urteil einmal werden vertreten müssen, ins Herz der Menschen sieht (wenn es überhaupt so etwas gibt, ist dieser Satz ebenso wie der andere, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, eine Definition Gottes).
Theologische Anfrage ans Gericht: Seid ihr sicher, daß diese Urteil nicht ein Akt der Selbstverfluchung ist?
Wer außer der geheuchelten keine Wahrheit mehr kennt, für den ist natürlich ein Pfarrer nur einer, der sich selbst Pfarrer nennt, und für den sind Erklärungen einer Angeklagten apriori Ausflüchte, Schutzbehauptungen, eigentlich nur Mittel der Prozeßverzögerung. Und die Prozesse würden in der Tat schneller (und vielleicht sogar mit günstigerem Ergebnis) ablaufen, wenn die Verteidiger zusammen mit dem Angeklagten – wie vor ihnen schon das Gericht – sich zu Hilfsorganen der Anklage machen würden. Das Ansinnen, sich der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung zu stellen, ist dann nur logisch und konsequent. Im Kontext der Feindbildlogik gibt es zur Alternative Kronzeuge oder Feind keine weitere Alternative. Und gibt es nicht von der anderen Seite inzwischen die gleichen Erpressungsversuche, die Drohung, dem Genossen die Solidarität zu entziehen, wenn er aus der korrespondierenden Feindbildlogik der RAF durch Reflexion (die von der Anklage und vom Gericht ohnehin nicht verstanden werden) auszubrechen.
Es ist die Beziehung zur Gegenwart, die die bloße Verurteilung des Faschismus so hilflos und verhängnisvoll zugleich macht. Befreiend und hilfreich ist nur der Gegenwartsbezug, der durch die Erinnerung des Schreckens hindurch sich herstellt. Wer meint, es könne nicht mehr um die „Konservierung des Schreckens“ gehen, plädiert für die Verdrängung; er vergißt, daß er damit nicht nur denen, die den Schrecken nicht loswerden – wie z.B. den Nachfahren der Opfer -, nochmals Gewalt antut, sondern auch sich selber. Denn das Entsetzen konserviert sich real in der Konstruktion der Gesellschaft und in den Verhältnissen. Und wer „das Entsetzen nicht konservieren“ will, will sich hiergegen unempfindlich machen.
Die Verdrängung des Schreckens hat ihre christliche Vorgeschichte: in der Urteilsmagie, mit deren Hilfe der Kreuzestod opfertheologisch instrumentalisiert worden ist.
Zum griechischen Naturbegriff wie auch zum Idee der Zivilisation, die gemeinsam mit dem Naturbegriff entspringt, gehört auch der Name der Barbaren: als Projektionsfolie für die Verdrängungen, mit denen der Naturbegriff erkauft worden ist.
Nietzsches Abwehr des Mitleids war motiviert durch das Bewußtsein, daß in dem, was wir Mitleid nennen, das Selbstmitleid (die Sentimentalität) sich maskiert und versteckt. Dieses Mitleid gründet in einem gleichsam passiven Akt der Identifikation, so wie man sich mit dem Helden eines Romans identifiziert, eine Identifizierung, die u.a. das begründet, was Max Weber Charisma genannt hat, und die der Fundus jeglicher Ästhetisierung ist. Diesen ästhetischen Bann vermag allein das aktive sich Hineinversetzen in den Andern, die Barmherzigkeit, zu sprengen, der Grund jeder realen Erfahrung. Adornos und auch Rosenzweigs Votum für denm Vorrang des Objekts bezieht sich auf das Produkt der Vergegenständlichung, das Resultat des historischen Objektivationsprozesses, sondern auf dessen Sprengung, auf die im Objekt verborgene, aus ihm aktiv herauszuhörende Sprache. Diese Sprache ist das Medium, in dem Theologie als Theologie im Angesicht Gottes sich zu entfalten vermag. Diese Sprache ist die parakletische Sprache, die sich zum Anwalt der auf die Erlösung harrenden Schöpfung macht, sie der Gewalt des Anklägers entreißt, und die dem Ankläger den Anspruch, Herr der Dinge zu sein, weil er der Herr der Sprache ist, die sie verstummen läßt, streitig macht.
Der Faschismus und alle Fundamentalismen nach ihm sind Selbstwiderlegungen der Sprache des Absoluten, uns fehlt nur die Sensibilität, das wahrzunehmen. Diese Sensibilität ist allein über die Idee einer Theologie im Angesicht Gottes wiederzugewinnen.
Der Satz: Wenn du zum Opfer gehst und du weißt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann bringe das Opfer dar, dieser Satz sprengt den Absolutheitsanspruch des Indikativs, des Urteils.
Das Problem der „Sünden der Väter“ verbindet Ezechiel mit den Evangelien (vgl. Ebach I, S. 172, sowie dazu Lk 117, 248f und Mt 822). Ist diese väterkritische Tradition nicht dann zum Gefangenen und zur Beute der „Vätertheologie“ geworden?
Der Begriff einer „verkehrten Welt“ legt den Gedanken nahe, es gäbe eine richtige. Aber ist nicht die Welt das Prinzip der Verkehrung jeder Gestalt einer möglichen richtigen Welt?
Der Diamat hat Merkur und Mars verwechselt. Der Klassenkampf ist kein Krieg, und er kann nicht wie ein Krieg geführt werden.
Die Schlange ist zwar das klügste der Tiere, aber hat sie nicht Anteil an der Dummheit aller Tiere, denen die Fähigkeit fehlt, sich frei durch die Kraft, in den Andern sich hineinzuversetzen, selber zu verstehen? Diese Dummheit ist der Grund, auf dem die Klugheit der Schlangen erwächst. Und es kommt alles darauf an, sich von dieser Dummheit, die die Dummheit der Herrschenden ist, nicht anstecken zu lassen. Nicht zufällig sind Tiere Herrschaftssymbole. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. Diese Dummheit im Kern der Klugheit ist nur durch Sprachreflexion und durch die Kraft der Barmherzigkeit aufzulösen. Die Kraft der Sprache ist die Kraft der Barmherzigkeit. Die Sprache des Gerichts ist stumm.
Inzwischen bleibt nur der Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört.
Erst die doppelte Buße, die auch den König erreicht und dann die Tiere mit einbezieht, sprengt den Bann des Privaten, der seit ihrer Instrumentalisierung durch Herrschaft die Buße verhext und der Umkehr den Weg verlegt.
Der blinde Fleck der Philosophie, in den die Prophetie Licht bringt („Ihr seid das Licht der Welt“), ist nicht ein blinder Fleck, sondern eine Konstallation von sieben blinden Flecken. -
2.11.1996
„Ich allein bin entronnen …“: Dieser Refrain der „Hiobsbotschaften“ (vgl. Ebach, Hiob, S. 20ff) gilt nicht nur fürs Erzählen (wozu auch an Primo Levi und Jean Amery zu erinnern wäre), sondern auch für die Philosophie: Ohne dieses Motiv sind die Minima Moralia und die Dialektik der Aufklärung nicht zu verstehen. Und Metz Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist ein bis heute uneingelöstes Programm.
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Gemeinheit ist präventive Rache (und deshalb ein spezielles Polizei- und Knastdelikt). Strafe aber wird zur Rache, wenn der, über den sie verhängt wird, keine Chance hat, in ihr sich wiederzuerkennen.
Die Vorstellung, es könne, wenn alle nett zueinander wären, eine harmonische, konfliktfreie Welt geben, wurzelt in der Privatsphäre, wo sie auch schon illusionär ist. Sie wird zu einer Quelle der Gewalt, wenn sie übergangslos auf die Politik angewandt wird.
In reflektierenden Urteil hat das „ist“ keine feststellende Funktion; reflektierende Urteile sind nicht ontologisch, sie sind keine verurteilenden Urteile: Sie widerstehen dem Tod und leben von der Weigerung, seiner Gewalt sich zu unterwerfen. Nur zu Heideggers Fundamentalontologie gehört das „Vorlaufen in den Tod“.
Ist eigentlich an dem Eindruck etwas dran, daß irgendwann bei Ebach wie auch bei Metz etwas umgekippt ist? Und vorher schon und geradezu paradigmatisch bei Habermas: Führt nicht die Habermas’sche Kommunikationstheorie, zu der sein „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ eine Vorstufe war, in den Insektenstaat hinein, in dem Kritik zum folgenlosen Raisonnement wird, das an den versteinerten Verhältnissen abprallt?
Wenn Weizsäckers Begriff der Philosophie (zusammen mit den Konstruktionen der Kopenhagener Schule in der Physik, aus denen sie hervorgegangen ist) aus der Verdrängung der speziellen Relativitätstheorie sich herleiten läßt, dann der Habermas’sche aus der Verdrängung des Allgemeinen Relativitätsprinzips.
Ein Beitrag zur Reflexion der Gravitationstheorie: Der vom Objektivierungsprozeß untrennbare Prozeß der Subjektivierung (zunächst der sinnlichen Erfahrung, dann der Kritik und am Ende der Schuld) wird irreversibel, wenn die Kritik des Naturbegriffs aus der Philosophie ausgeschieden wird; jetzt gibt es kein Halten mehr: Dieser Prozeß geht (ähnlich wie die Idee des Rechststaats in den Staatsschutzprozessen) über in den freien Fall, dessen Bahn vorgezeichnet ist durch das Gravitationsfeld der Rechtfertigungszwänge, die mit der Subjektivierung der Schuldgefühle, mit dem Schwinden der Kräfte der Schuldreflexion, unüberwindlich werden.
In den Staatsschutzprozessen gegen die RAF setzen Anklage und richtender Senat dadurch, daß sie die Identifikation mit den Angeklagten grundsätzlich ausschließen und verwerfen, sich selbst dem Rechtfertigungszwang aus, dem Zwang, das Prinzip „in dubio pro reo“ nur noch auf sich selbst statt auf die Angeklagten anzuwenden. Die Logik dieser Bewegung ist die des freien, von keinen moralischen Hemmungen mehr behinderten Falls. Wenn das Urteil, das am Ende herauskommt, nur noch ein Instrument der Selbstverteidigung der Ankläger und der Richter ist, wenn es den Angeklagten nur noch physisch trifft, wie der Hammer den Nagel, nämlich auf den Kopf, dann gibt’s für den Rechtsstaat keinen Halt mehr.
Das Urteil, das hier herauskommen wird, ist noch auf eine ganz andere Weise ein Symptom der bewußten und gewollten Reflexionsunfähigkeit dieses Gerichts, das sich zum Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft hat machen lassen: Der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand, das sie juristisch nicht zu fassen ist, gewinnt seine volle Bedeutung erst im Zusammenhang mit der weiteren Bemerkung, daß es im Ernstfall diese Gemeinheit ist, die die Grenzen des Rechtsstaats definiert, indem sie sie elastisch macht. Die Aufforderung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidts, „bis an die Grenzen des Rechtsstaats zu gehen“, der man nur zugute halten kann, daß sie von einem Nichtjuristen kam, war eigentlich die Aufforderung, diese Grenzen wenn nicht zu überschreiten, so doch bis Grenze ihrer Belastbarkeit auszudehnen (diese Belastbarkeit des Rechtsstaats ist in den letzten RAF-Prozessen, insbesondere aber im Hogefeld-Prozeß, der einige besondere Anforderungen an dieses Testverfahren gestellt hat, einem Materialtest unterworfen worden: Es waren Versuche, auszutesten, wie weit man gehen kann). Dem entsprach die Prozeßführung im Hogefeld-Prozeß, die Birgit Hogefeld in ihrer Schlußerklärung durchaus zutreffend beschrieben hat. Dieser Prozeß war kein Angriff mehr auf den Rechtsstaat, in diesem Prozeß hat der Rechtsstaat Harakiri begangen.
Wird man nicht in dem gleichen Maße, in dem man dabei ist, den Sozialstaat abzubauen, die Instrumentarien der Verbrechensbekämpfung und der Vorurteilsproduktion ausweiten müssen? Und wird dieser „Rechtsstaat“ dann nicht fürchterlich sein?
Während die Reflexionsunfähigkeit auf Seiten der RAF bisher darauf hinauslief, durch blindes Reagieren auf das Unverständliche der Prozesse deren Irrationalität für die Öffentlichkeit zu rechtfertigen, hat im Falle des Hogefeld-Prozesses die Reflexionsfähigkeit der Angeklagten das Gericht gleichsam auf dem linken Bein erwischt; Anklage und Senat waren hierauf nicht vorbereitet und haben stellenweise geradezu hilflos darauf reagiert. Nur, die Öffentlichkeit hat’s unterm dem Bann des Tabus „RAF-Prozeß“, des Trägheitsgesetzes der eigenen Vorurteile, nicht bemerkt.
Wenn der Bundesanwalt, ohne daß der Senat dazu etwas sagt, in seiner letzten Erklärung der Angeklagten noch einmal das Kronzeugenangebot unterbreitet hat, dann wird man davon ausgehen müssen, daß er dieses Angebot im Einvernehmen mit dem Senat gemacht hat. Und man wird schließlich davon ausgehen müssen, daß die Weigerung der Angeklagten, auf dieses Angebot einzugehen, in die Urteilsfindung mit eingehen wird: Das Urteil, nachdem es als Instrument der Erpressung nicht brauchbar war, wird zu einem Instrument der Rache.
In den RAF-Prozessen ist der Rechtsstaat zu einem Produkt der Verstaatlichung des gesunden Volksempfindens gemacht worden. Hat nicht der Staat selber in der Geschichte seiner Auseinandersetzung mit der RAF durch eine Reihe von Spezialgesetzen die Instrumente der Reflexionsverweigerung, die der Begriff des „gesunden Volksempfindens“ einmal bezeichnete, so geschmiedet, daß sie beginnen, wirksam zu werden? – Das wäre eines der Themen, die dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ wirklich angemessen wären.
Die Gemeinheit produziert selber die Blenden, die sie davor schützen, gesehen, wahrgenommen zu werden.
Im Gegensatz zur den Vertretern der Bundesanwaltschaft, die wissen, was sie tun, ist der Vertreter der Nebenklage nur dumm; er ist nur ein apokalyptischer Wadenbeißer.
Das beweislogische Problem, das dem Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ zugrundeliegt, weist zurück auf den gleichen Sachverhalt, aus dem auch die Feindbildlogik sich herleitet: Jeder Satz läßt sich sowohl inhaltlich verstehen als auch danach abhören, welcher Zweck damit erreicht werden soll. Die Feindbildlogik, die die Sprache vom Verstehen trennt (das dialogische, kommunikative Element aus ihr entfernt), sie auf ihre instrumentalisierte Form reduziert, ist gleichsam die transzendentale Ästhetik zu einer transzendentalen Logik, die auch in der Justiz synthetische Urteile apriori möglich macht, indem sie die Paranoia instrumentalisiert; das Modell und der genaueste Ausdruck dieser Instrumentalisierung, gleicham ihre naturwüchsige Variante, ist der Antisemitismus.
Die Unfähigkeit, das Selbstverständnis des Angeklagten in die Beweiserhebung mit hereinzunehmen, macht den Angeklagten zum Objekt (was in diesem Kontext heißt: zum Feind) im strengen transzendentallogischen Sinne. In den bisherigen Prozessen hat dieses Verfahren im Verhalten der Angeklagten aus der RAF, die dieser Rolle aufgrund ihres eigenen, von der gleichen Feindbildlogik determinierten Selbstverständnis allzu willig sich überließen, seine „objektive“ Begründung gefunden. Das Verhalten der Angeklagten paßte zur Verhandlungsführung wie das Verhalten von Billardkugeln zu den Gleichungen der Mechanik, die es erklären, nur daß es hier keine Billardkugeln waren, sondern Menschen, die, weil sie nicht als Menschen wahrgenommen wurden, sich wie Objekte verhielten. Es gab gleichsam eine prästabilisierte Harmonie zwischen Prozeßführung und Angeklagten, die ihren Grund in einer beiden Seiten gemeinsamen Logik hatte, einen Feindbild-Clinch, dem keine Seite sich zu entziehen vermochte, weil keiner die Gewalt der Logik, die sie aneinander fesselte, durchschaute. Hierbei stand von vornherein fest, wer gewinnen und wer das Opfer sein würde.
Was man der RAF politisch vorwerfen kann und muß, ist, daß sie zu den Kräften gehört, die die Gesetze und die Beschleunigungsmechanismen, deren Opfer sie dann selber geworden ist, mit hervorgerufen hat.
Der Hogefeld-Prozeß unterscheidet sich von allen bisherigen Prozessen eigentlich nur durch das Verhalten der Angeklagten (und durch das ihrer VerteigerInnen), die erstmals versucht, der Objektrolle sich zu entziehen, den Kopf oben zu behalten, indem sie über beides, die Geschichte und das Selbstverständnis der RAF, aber auch die Mechanik der Prozeßführung und des Prozeßverlaufs, durch Reflexion sich Rechenschaft zu geben versucht. Ihre Erklärungen sprechen eine ebenso deutliche wie mutige Sprache. BAW und Gericht haben sich davon nicht beirren lassen, sie führen ihren Krieg weiter gegen einen „Feind“, von dem sie nicht wahrhaben wollen, daß er keiner ist. Sie scheinen die Reflexionskraft der Angeklagten als eine besonders infame Angriffswaffe zu erfahren, die sie zu besonders harten Abwehrmaßnahmen zwingt (die Erklärungen der Angeklagten mußten in pure Heuchelei umdefiniert werden; ein Pfarrer, der auf Wunsch der Angeklagten um Genehmigung eines seelsorglichen Gesprächs gebeten hatte, wurde per Senatsbeschluß zu einem, „der sich selbst als Pfarrer bezeichnet“, in Wahrheit aber nicht nur Sympathisant, sondern Unterstützer der RAF ist). Und es ist zu befürchten, daß das Urteil danach ausfallen wird.
Kann es sein, daß Birgit Hogefeld dafür jetzt wird büßen müssen, daß sie versucht hat, den Bann durch Reflexion aufzulösen, unter dem beide Seiten stehen? Dieses Gericht erträgt es nicht, daß ausgerechnet die Angeklagte das zu benennen versucht, was es (das Gericht) hier tut. Wenn die „Belastungen“, denen ein Gericht, das zum Instrument der Rache sich machen läßt, ausgesetzt ist, ohnehin schon so groß sind, dann sollen sie nicht auch noch durch Schuldgefühle vermehrt und verstärkt werden. Das logische Gesetz der Rache, einmal enthemmt, ist nicht mehr aufzuhalten.
Parvus error in principio magnus est in fine: Ist nicht der Ursprung der Zivilisation mit dem Ursprung von Mechanismen erkauft, die inzwischen in der Lage sind, diese Zivilisation in den Abgrund zu befördern?
Wer den Antisemitismus durch den Begriff des Rassismus zu einer Weltanschauung macht, verharmlost ihn nicht nur, er bestätigt ihn damit zugleich. Er trägt zu seinem Überleben bei, indem er ihm die Würde einer logischen Konsistenz verleiht, die er nicht hat. Der Antisemitismus ist der reinste Ausdruck eines in Aggression und Vernichtungsdrang umschlagenden Rechtfertigungszwangs (und damit dann ein machtpolitisches Instrument zur Enthemmung und Entfesselung dieser Aggression und dieses Vernichtungstriebs). Er enthält kein „theoretisches“ Element, das ihn auf der Theorie-Ebene kritikfähig machen könnte, er ist nur durch Reflexion aufzulösen.
Elefantengedächtnis: Wer Erinnerungen, die ihm unangenehm sind, verdrängt hat, hat dafür andere Dinge, die er nie vergessen wird. -
31.10.1996
Doppelbedeutung von „fit“: Hängt nicht der Kinderspruch „fit, fit, fit“, mit dem sie lernen, mit der Häme umzugehen, mit dem „Fitness-Training“ zusammen?
Drei Funktionen der Banken, die auch (in variabler Zusammensetzung) unterschiedlichen Formen der Banken zugrundeliegen: Zentralbanken, Depositenbanken, Kreditbanken (haben sie nicht etwas mit der Beziehung von Akkusativ, Genitiv und Dativ zu tun, und mit der Zerstörung des Nomens, seiner Umwandlung zum Substantiv?).
Betonblock: Die Finanzierungsformen der Wirtschaft, die generell über Kredite laufen (auch Aktien sind Kredite, ebenso wie die Liquiditätskredite der Banken), erzwingen das Rentabilitätsprinzip, das vom subjektiven „Gewinnstreben“ ebenso abgekoppelt ist wie (durch die Schlachthäuser) der Fleischverzehr vom Selberschlachten oder (durch die Justiz) die Strafe von der individuellen Rache. Als Rentabilitätszwang ist das Gewinnstreben zu einer Sache der Verwaltung und damit zu etwas Objektivem geworden. Der Gewinn ist nicht mehr der Gewinn dessen, der ihn „erwirtschaftet“, sondern als Zins oder Rendite (denen ihr Ursprung nicht mehr anzusehen ist) der des Kreditgebers, der „sein Geld arbeiten läßt“. Das verwandelt die Ökonomie in ein Stück Natur, die die ganze lohnabhängige Arbeit unter sich begreift, die so der Reflexion ebenso entzogen zu sein scheint wie das Objekt der Naturwissenschaften. Aber werden durch diesen Prozeß die Kritik der politischen Ökonomie und die Kritik der Naturwissenschaften nicht vom Gang der Dinge selbst in eine Beziehung gerückt, in der sie entweder beide ausgeblendet werden oder nur noch gemeinsam möglich sind?
Die identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft der Feindbildlogik ist eine gesellschaftliche und eine logische Kraft zugleich: sie begründet auch die Subsumtionsbeziehung des Begriffs zum Objekt, in der die Feindbildlogik als Herrschaftslogik (als Instrument der Naturbeherrschung) sich materialisiert. In dem Augenblick, in dem die Urteilsfindung in einem Prozeß auf die Subsumtionslogik regrediert und die Reflexion (das Sich-Hineinversetzen in den Angeklagten) aus dem Recht ausgetrieben wird, wird der Angeklagte zum Feind und werden die Knäste zu einer sinnlichen Verkörperung des Objektbegriffs und der Subsumtionslogik.
Max Horkheimers Satz, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen darf, bewahrheitet sich heute auch noch darin, daß die Verdrängung der Vergangenheit in der Tat zur Grundlage des ökonomischen Handelns geworden ist.
Es gibt keine Feindbildlogik, die sich nicht durch Berufung auf den Feind legitimiert, dadurch aber einer tendentiell paranoiden Zwangsreflexion sich unterwirft, die die freie Reflexion verhindert, indem sie ihren Gegenstand mit Hilfe eines Tabus, dessen Instrument die Empörung ist, unsichtbar macht (wie die Fixierung auf das unmoralische „Gewinnstreben“ die gesamtgesellschaftlichen Wirkungen des Rentabilitätsprinzips unsichtbar macht).
Waren nicht Kopernikus, die Entdeckung der später kolonialisierten Welten und die Anfänge des Kapitalismus Vorankündigungen einer Explosion der Eigentumslogik, die noch bevorsteht?
In der kantischen Transzendentalphilosophie haben die subjektiven Formen der Anschauung die Funktion, der transzendentalen Logik das apriorische Objekt bereitszustellen, das dann die Konstruktion synthetischer Urteile apriori nicht nur möglich macht, sondern erzwingt. In der Konsequenz dieser Konstruktion lieferte die transzendentale Logik nicht nur den Nachweis, daß, sondern auch die Begründung, weshalb Naturwissenschaft als Wissenschaft möglich ist, vor allem aber eine Kritik ihres Erkenntnisanspruchs. Diese Kritik ist entweder nicht zur Kenntnis genommen worden, oder aber sie war Anlaß für den wütenden Aufschrei aller Orthodoxien, von der Theologie bis zum Diamat, über den angeblichen Agnostizismus Kants. Beide, das Wegsehen wie auch die Empörung, hatten ein herrschaftslogisch determiniertes Interesse daran, die Unterscheidung der (erkennbaren) Erscheinungen von den (nicht erkennbaren) „Dingen, wie sie an sich selber sind“, die die Notwendigkeit der Reflexion begründete, nicht anzuerkennen, sie zu leugnen und mit einem Tabu zu belegen. Dieses herrschaftslogische Interesse gründet in der Beziehung der Identifizierung von Erscheinung und An sich zur identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Kraft der Feindbildlogik.
Gründet nicht der Zwang, der in der Habermas’schen affirmativen Kommunikationstheorie und in seinem Konstrukt des „Verfassungspatriotismus“ sich manifestiert, in der Zurückweisung einer Wissenschafts- und Erkenntniskritik, die auch vor dem Naturbegriff nicht haltmacht?
Der Knast war seit je ein Repräsentant des feindlichen Auslandes im Inland (Joseph im Gefängnis des Pharao). War er nicht in seinem Ursprung eine Privatsache, wie die Blutrache, eine Zwischenstufe zur Institution des Sklaverei, die dann vergesellschaftet worden ist in der Gestalt der Lohnarbeit, des Proletariats?
Ist nicht der Staatsschutz eine Potenzierung des Schutzes des Privateigentums, dem nicht nur das Strafrecht, sondern eigentlich das Recht insgesamt in letzter Instanz dient?
Ist nicht der Knast ein Zwangskloster, in dem das Armuts-, Keuschheits- und Gehorsams-Gelübde von außen auferlegt werden, und die Isolationshaft die Zwangsform des Eremitentums? Verhält sich nicht der Knast zum Mönchstum wie die Bekehrung zur Umkehr oder die Natur zur Schöpfung? Die neutralisierte Raumvorstellung ist ein Symbol der Mauern, die die Menschen im Knast von den 99 Gerechten draußen trennen.
Zu Max Webers Kapitalismustheorie: Waren die Heroen des Kapitalismus nicht die Mönche der Mammonsreligion? Und hängt die Begriffsverschiebung, die aus der Umkehr die Buße gemacht, nicht mit dieser Geschichte zusammen?
Unter dem Begriff des Lebens beten wir heute die Kreisläufe an, in die alles Lebendige eingebunden ist, ohne daraus sich befreien zu können. Der theologische Begriff des Lebens ist kein Naturbegriff, sondern gründet in der Idee der Auferstehung.
Die Leibnizsche Monade ist das Symbol eines immer noch ungelösten Problems. Daß Leibniz der Ungelöstheit dieses Problems sich bewußt war, beweist seine Wahrnehmung, daß kein Blatt eines Baumes einem anderen Blatt gleicht.
Hegels Wort, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, ist umzukehren: Dort, wo Natur nicht nur Natur ist, sprengt sie den Begriff (es ist die Gewalt des Begriffs, die dem Befreienden die Maske des Chaotischen aufdrückt).
Wie hält eigentlich der Vers: „Mach unser Herz von Sünden rein, damit wir würdig treten ein zum Opfer deines Sohnes“ die Erinnerung an die Greuel der Konquistadoren, der Entdeckungs- und Kolonialisierungsgeschichte insgesamt, stand?
Käme es angesichts des Satzes aus dem Jakobusbrief von der Bekehrung des Sünders nicht darauf an, diesen Namen des Sünders aus der Gewalt des definitorischen Blicks der 99 Gerechten (aus der Gewalt der Männerphantasien) endlich zu befreien? Es sind diese Gerechten, die aus der Tatsache, daß Maria Magdalena im katholischen Heiligenkalender als „Büßerin“ geführt wird, immer nur den Schluß gezogen haben, sie müsse es aber schlimm getrieben haben. Auch das folgenlose „wir sind allzumal Sünder“ hilft darüber nicht hinweg.
Die Feindbildlogik hängt mit der Logik der Reklame zusammen, die der Menschheit einbläut, daß man, wenn man nicht betrogen sein will, Sprache nicht mehr wörtlich nehmen darf, sondern nur noch instrumentell, indem man sie darauf hin abhört, was andere mit ihr im Schilde führen. Der Verdacht, daß einer nicht meint, was er sagt, sondern eben das meint, was er nicht sagt (daß er „durch die Blume redet“), ist eine der Quellen der Paranoia, er begründet und verstärkt das Gefühl der Bedrohung, das erst ein Feindbild rational zu machen scheint.
Das „Liebhaben“ verwandelt das geliebte Objekt in Eigentum. Wer Feinde, anstatt sie im jesuanischen Sinne zu „lieben“, nur liebhaben möchte, will sie in Wirklichkeit einsperren.
Rechtsstaat: Wer nicht in der Lage ist, sich in einen andern hineinzuversetzen, wer dessen Selbstverständis rigoros ausblendet, verbietet damit die Empathie und sperrt alle in die Isolationshaft ihres Egoismus und ihrer paranoiden Phantasien ein. Für sie teilt die Welt sich auf in die, die haben und zu denen man gehört, und die, die nicht haben, die man nicht mehr sieht, die ausgegrenzt werden.
Man kann nicht Haben gegen Sein ausspielen: in dieser Welt ist nur der etwas, der was hat. -
27.10.1996
Die Grenzen der Asymmetrie sind die Grenzen der Barmherzigkeit: Für die Barmherzigkeit bin ich niemals Objekt, ist der Andere (für mich) niemals Subjekt. Barmherzigkeit schließt Selbstmitleid prinzipiell aus.
Die Welt lernt nur verstehen, wer in andere sich hineinversetzen kann: Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Unterscheidet sich das Christentum nicht dadurch von der Prophetie, daß es – außer den Armen und den Fremden – auch die Herrschenden in die Intention der Barmherzigkeit mit einschließt, allerdings im Sinne des Jakobus-Worts: des Triumphs der Barmherzigkeit über das Gericht?
In der Schrift ist der Name des Geistes der Name der Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Zu diesem Namen gehören die drei Sätze: von der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz, von einer Zeit, in der keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen, und vom Geist, der die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
Die Idee der Barmherzigkeit gründet in der Idee des Ewigen und trennt sie vom Überzeitlichen. Gegen die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen richtet sich Levinas‘ Begriff der Asymmetrie, auch der Satz vom Rind und vom Esel.
Zur Herauslösung von Joh 129 aus der Opferthologie und zu seiner Einbeziehung ins Nachfolgegebot gibt es keine Alternative mehr.
Hat nicht auch die Jesaias-Stelle über den Leviatan und die Schlange etwas mit dem Neutrum zu tun? – Ist das Neutrum der Turm, der bis an den Himmel reicht, die sprachlogische Gewalt, die den Namen des Himmels (schamajim) sprengt und die Sprachen verwirrt? Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Beziehung des deutschen Namens des Himmels zu dem des Hammers (Nietzsche hat „mit dem Hammer philosophiert“). In welcher Beziehung steht die Geschichte vom Turmbau zu Babel zur Sintflut, und hat der Bogen in den Wolken (an der Stelle, an der einmal der Menschensohn erscheinen wird) etwas mit dem Feuer im hebräischen Namen des Himmels zu tun?
Hängt der erkenntnistheoretische Begriff des Gegebenen mit dem Dativ zusammen, verweist nicht der Ursprung beider auf die Geschichte des Staates (ist die Verwechslung von Genitiv und Dativ in der Sprachlogik der Medien nicht ein Indiz für zunehmende Privatisierung staatlicher Aufgaben, für die fortschreitende verwüstende Gewalt der Marktkräfte)? Haben Genitiv und Dativ etwas mit der Unterscheidung von Land und Meer im Sinne des § 257 der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts zu tun?
Was sind das für Sträucher, unter denen Adam sich versteckte, unter den Hagar sich legte, auch Elias legte sich unter einen Strauch sowie Jona; haben die etwas dem Gleichnis vom Senfkorn zu tun (sowie mit der Jotam-Fabel und dem Baum im Buch Daniel)?
Nach dem Register zur Hegel-Ausgabe von Suhrkamp kommt der Begriff der Anklage in der Hegelschen Philosophie nicht vor. – Vgl. aber die Anmerkung zu § 225 der Rechtsphilosophie, in der Hegel auf die „Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität (ob z.B. ein Mord oder Tötung) … im englischen Rechtsverfahren“ verweist, in dem sie „der Einsicht und Willkür des Anklägers überlassen“ sei, während er sonst etwas unserer Strafprozeßordnung Vergleichbares nicht zu kennen und insbesondere die Konstellation Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter, nicht für erwähnenswert zu halten scheint (wie zu vermuten ist, aus Gründen, die mit der Konstellation, die seinem Begriff der Dialektik zugrundeliegt, zusammenhängen: nicht nur, daß diese Konstellation mit der prozessualen nicht kompatibel ist, ein Vergleich würde das Moment der Gewalt in Hegels Konstrukt kenntlich machen).
Ist nicht der Titel Staatsanwalt das Produkt eines logischen Kurzschlusses, ein Stück verhängnisvoll automatisierter Staats- und Rechtslogik (ein systemwidriger Hegelianismus im logisch aus anderen Gründen determinierten Strafrecht)? Der Titel Staatsanwalt instrumentalisiert (und neutralisiert) beide: den öffentlichen Ankläger und den Staat.
Zu Off 13: „Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende Element, das Meer.“ (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 247; Hervorhebungen geändert, H.H.) Vgl. hierzu Carl Schmitt: Land und Meer, Stuttgart 19933, in der er in einer Nachbemerkung von 1981 auf diese Hegel-Stelle hinweist.
Das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird: Liegt die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt nicht darin, daß er der Schmach und der Schande, die die Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen erzeugt und deren Objekt er wurde, sich nicht widersetzt, sie widerstandslos auf sich nimmt und eben damit reflexionsfähig macht, ihrer endgültigen Instrumentalisierung die Grundlage entzog? So begründete er den Akt der Befreiung.
Wer das Opfer instrumentalisiert, landet bei der Heldenverehrung, im Bann des Mythos. So gehört die deutsche Einrichtung der „Kriegsgräberfürsorge“ zur Logik einer Staatsmetaphysik, die immer noch versucht, dem Krieg einen höheren Sinn zu verleihen, indem sie unterstellt, daß diese Opfer nicht umsonst waren, und so die Toten nochmal schändet und verhöhnt.
Seit wann gibt es Krieger- und Heldendenkmäler? Stammt diese Tradition nicht aus der Geschichte der „Befreiungskriege“, die nur so hießen und keine waren: Befreit wurde nur der Nationalismus als Ideologie, in deren Folge dann der christliche Antijudaismus endgültig zum Rassen-Antisemitismus geworden ist, seine eliminatorische Qualität gewonnen hat.
Heute gibt es für die Philosophie nur noch die eine Möglichkeit: die der Selbstreflexion, des Übergangs in Prophetie.
Der Staat wird zum Insektenstaat in dem Augenblick, in dem er glaubt, seine Aufgabe darin zu erkennen, zum Ungeziefer-Vernichtungs-Staat werden zu müssen. Oder: Es gibt kein besseres Mittel, den Staat zum Insektenstaat und Gemeinschaften zu Heuschreckenschwärmen zu machen, als wenn man ihnen die Aufgabe der Ungeziefer-Bekämpfung gibt. Das Böse konstituiert sich in der Pflicht, das Böse zu vernichten.
Definiert nicht der Satz aus dem Jakobusbrief, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, die Idee der Unsterblichkeit der Seele neu (und erstmals in einem vernünftig nachvollziehbaren Sinn)?
Wie hängt das Ahnden mit dem Ahnen zusammen? Nach dem Eingangssatz von Schellings Weltalter wird die Zukunft „geahndet“ (nicht geahnt). Hängt das Ahnden sprachlich mit Begriffen wie Gemeinde, Behörde zusammen (durch das gleiche abschließende, perfektische -de), damit aber in der Sache mit dem Logik und Bedeutung des Naturbegriffs (als es Inbegriffs aller Objekte von Urteile)? Ist die Konstituierung des Objekts (und damit des Naturbegriffs) nicht in der Tat Produkt einer Konstruktion, in der „die Zukunft geahndet“ wird, und das in einem dem strafrechtlichen Gebrauch des Wortes Ahnden durchaus angemessenen Sinne? Ist nicht der Objektbegriff, und mit ihm der Naturbegriff, der ihn absichert, Produkt einer Konstruktion, in der die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, zur Vergangenheit verurteilt wird? Im Objekt- und damit im Naturbegriff wird in der Tat „die Zukunft geahndet“. Die Logik des Objektbegriffs ist die Logik des Anklägers (des „Staatsanwalts“). – Wie hängen die RAF-Prozesse mit Schelling zusammen?
Der „blinde Fleck der Logik“ gründet in ihrem apriorischen Objektbezug, und es gibt keinen Begriff, der diesen blinden Fleck genauer bezeichnet als der der Natur.
Haben nicht der Ursprung und die Logik der historischen Bibel-Kritik etwas mit der Ursprungsgeschichte des modernen Nationalismus zu tun, zu deren Vorgeschichte auch Spinozas „Pantheismus“ gehört? Jeder Nationalismus ist ein Pantheismus, und der spinozasche dessen allgemeine logische Form.
Als die Amsterdamer Synagoge den Bann über Spinoza verhängte, hatte sie zwar formal Recht, zugleich aber hatte sie die wirkliche Intention des Denkens Spinozas gröblich verkannt, die nicht mehr durch einen Bann zu verurteilen, sondern allein durch Reflexion aufzulösen gewesen wäre. Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Korrespondenz zwischen dieser Spinoza-Geschichte und der Geschichte Sabbatai Zwis?
Ist nicht Lessings Ring-Fabel insofern unvollständig, als es sich nicht um drei getrennte Ringe handelt, sondern um die ineinander kreisenden Räder der ezechielischen Vision?
Die Beziehung der Elektrodynamik zum Licht hat etwas mit der Beziehung des Dogmas zum Zentrum der christlichen Tradition, das erst im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes sich enthüllt, zu tun.
Bezeichnet nicht der Name der Barbaren den Rohstoff, aus dem die ersten Waren genommen worden sind: Sind nicht die Barbaren potentielle Sklaven, der menschliche Rohstoff der ersten Handelsware? Und gehört nicht der Name der Name der Barbaren zur Ursprungsgeschichte des heutigen Weltzustandes, in dem die „dritte Welt“ immer noch in erster Linie Rohstofflieferant ist?
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein Instrument, das mit der Ursprungsgeschichte der Warenform und mit der des Dingbegriffs zusammenhängt, in dieser Ursprungsgeschichte mit seiner eigenen, die es doch zugleich verdrängt, konfrontiert wird? Sie sind damit ein Instrument der Verdrängung der eigenen Ursprungsgeschichte. So aber sind die Naturwissenschaften zu automatisierten Instrumenten der Selbstlegitimation des Bestehenden und der kollektiven Selbstverblendung zugleich geworden.
Der Faschismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus insbesondere dadurch, daß der Antisemitismus in ihm nie die Funktion und Bedeutung gehabt hat, die er im Nationalsozialismus hatte. Kann es sein, daß die Verwechslung beider Begriffe auf Seiten der Linken etwas damit zu tun hatte, daß der Marxismus als Herrschaftsinstrument (als Ideologie, wie er dann selbst sich nannte) den Gebrauch des Antisemitismus nicht mehr grundsätzlich auszuschließen vermochte? Wer den Nationalsozialismus als Faschismus bekämpft, blendet damit genau den Grund aus, aus dem er antisemitisch war: das Feindbilddenken als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft. Die Unterscheidung von Nationalsozialismus und Faschismus rechtfertigt nicht den Faschismus, aber sie vermeidet die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die in der Gleichsetzung beider liegt.
Ist nicht diese Verwechslung des Nationalsozialismus mit dem Faschismus ein Indiz dafür, daß die 68er Linke von der Gefahr eines undialektischen Materialismus, des Konkretismus, des Feindbilddenkens, der Unfähigkeit zu Reflexion (der Verdrängung des Problems des „falschen Bewußtseins“), nie sich hat freimachen können? Genau dieses Apriori, diese Vorentscheidung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte, hat diese Linke dazu verleitet, im Recht nur ein Machtinstrument (und in der Macht ein neutrales Instrument) zu sehen, mit der Folge, daß sie das Gemeinsame der nationalsozialistischen Konzentrationsläger mit dem Archipel Gulag oder des Volksgerichtshofs mit den stalinistischen Prozessen nicht mehr wahrzunehmen vermochte; sie hat sie unfähig gemacht zur Rechtskritik (zur Kritik des Staates von innen).
Es sollte heute nicht mehr zulässig sein, die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Idee mit ihrer befreienden Kraft zu verwechseln. Identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft gewinnt eine Idee nur, wenn sie die Wahrheit verrät, sie gegen ein stabiles Feindbild eintauscht und auf die Kraft der Reflexion verzichtet. Zentrum der Reflexion ist die des Objektbegriffs, von dem es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Der Objektbegriff ist von den Herrschaftsstrukturen in der Gesellschaft nicht zu trennen. Herrschaftskritik, die diese Reflexion nicht leistet, sie ausspart, reproduziert die gleichen Herrschaftsstrukturen, die sie zu kritisieren glaubt, wird selber zum Instrument von Herrschaft.
Der Objektbegriff ist ein Denkmal und ein Repräsentant der Überwindung und Versklavung des Feindes und zugleich des Ursprungs der Geschichte der Zivilisation. Diese Wunde im Kern der Zivilisation gilt es reflexionsfähig zu halten, anstatt sie über Feindbilder immer wieder zu verdrängen.
Das Ganze reicht zurück in die subjektiven Formen der Anschauung, deren Funktion und Bedeutung anhand der unterschiedlichen Folgen des Anschauens für den Anschauenden und den Angeschauten sich demonstrieren läßt. Zu diesen Folgen gehört es, daß sie, indem sie das Angeschaute zum Objekt machen, seine Wahrnehmung, die sie doch begründen sollen, gerade verhindern, sich als Wahrnehmungsverhinderungsapparat etablieren. Sie liefern die Farbe und den Pinsel, mit denen die Fenster in dem Zug, der in den Abgrund rast, bemalt werden.
In der RAF bestrafen die Staatsschutzsenate ihr eigenes Prinzip.
In einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der RAF wird man nicht davon abstrahieren können, daß die RAF der Reaktion den Vorwand geliefert hat, mit dessen Hilfe sie sich rekonstruieren und reetablieren konnte. -
19.10.96
Es kommt nicht darauf an, Schuldgefühle zu vermeiden oder loszuwerden, sondern sie reflexionsfähig zu machen, und es kommt nicht auf die Bewahrung der Identität, sondern auf die der Lernfähigkeit an. Wer, um seine Identität zu wahren, Schuldgefühle nur abwehrt, anstatt sie zu reflektieren, wird lernunfähig.
Wer Schuldgefühle nur abwehrt, für den wird jeder, der Schuldgefühle weckt, zum Feind (Logik des Antisemitismus; Tötung des Urvaters).
Als Habermas den Verfassungspatriotismus erfunden hat, hat er das Gewissen (und mit ihm den Quell seiner philosophischen Inspiration) an die Verfassung delegiert.
War nicht die kantische Unterscheidung eines femininen von einem neutrischen Erkenntnisbegriff (die/das Erkenntnis) ein Versuch, Erkenntnis vom Bann der Reversibilität freizuhalten?
Der Feind meines Feindes ist nicht in jedem Falle mein Freund; aber er ist nicht schon deshalb, weil er nicht mein Freund ist, mein Feind. Diese eindeutige Reversibilität gibt es nur auf der Grundlage der Logik des Feindbildes.
Die schwindelerregende Logik, die den gegenwärtigen Weltzustand beherrscht, läßt sich nur durch ein Feindbild auf einfachere Strukturen bringen, aber nur um den Preis der Selbstverblendung.
Die Bekenntnislogik gründet in dem gemeinsamen Nenner eines gemeinsamen Feindbildes. Die Selbstghettoisierung durch ein gemeinsames Feindbild ist das logische Modell der subjektiven Formen der Anschauung und der Isolationshaft.
Zum Projekt Selbstaufklärung gibt es keine Alternative mehr.
Wer heute im Ernst Kritik der politischen Ökonomie zu treiben versucht, kann sich nicht auf die Kritik der Ökonomie beschränken in der Erwartung, daß die politischen Konsequenzen sich daraus von selbst ergeben, sondern er muß die Kritik der politischen Ursprünge der Ökonomie (Ursprung der Ware in Raub und Eroberung: die Sklaven und die Frauen sind die ersten Waren) in die Reflexion mit einbeziehen. Ihr gegenwärtiger Ansatzpunkt wäre die heute epidemisch sich ausbreitende Xenophobie.
Der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos geht die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation, der Aneignung des Eigentums an Grund und Boden und der Grundlegung des Sklavenhauses Ägypten durch Joseph voraus. So dialektisch ist die Bibel. Nur das Sklavenhaus Ägypten konstituiert sich als Sklavenhaus in dem Augenblick, als ein Pharao kommt, der sich Josephs nicht mehr erinnert: der die Ursprungsgeschichte des Sklavenhauses verdrängt. Diesen Pharao, der auch JHWH nicht kennt, und zu dem Moses dann im Namen des Gottes der Hebräer spricht, trifft die Geschichte der zehn Plagen und der Verhärtung des Herzens. Für ihn wird Moses zum Gott und Aaron zu seinem Propheten.
Ist nicht Mizrajim ein sprechender Name, dessen Verstummen im Griechischen (schon in der LXX) und dann in der christlichen Tradition Buber in seiner Bibelübersetzung ratifiziert.
Enthält der Name der Hebräer, in dem die Fremdheit und der Blick der andern Völker reflektiert wird, nicht die Forderung, diesen Blick auszuhalten und die Schuld, das Korrelat dieses Blicks, reflexionsfähig zu halten? Schon Abraham war ein Hebräer. Ebenso bekennt sich Jona vor den Schiffsleuten als Hebräer, und ebenfalls Judith im Lager des Holofernes. Jona verkündet Ninive den Untergang, Judith tötet den Holofernes.
Die giftige Atmosphäre im Hogefeld-Prozeß gehört zu den Naturqualitäten eines RAF-Prozesses.
Zum Zug, der in den Abgrund rast: Unsere Gerichte halten sich ans allgemeine Relativitätsprinzip Einsteins, wenn sie die beschleunigte Bewegung als einen der Ruhe äquivalenten Zustand ansehen (wenn sie die Bewegung des Zuges, die Außenwelt und den Abgrund leugnen): Ist der Zug ein Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist? Das allgemeine Relativitätsprinzip gründet in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse, und es ist die Grundlage der Theorien vom Urknall und von den schwarzen Löchern. Verkörpert nicht das allgemeine Relativitätsprinzip das Gesetz der Katastrophe im Zentrum der Physik? Und ist die Logik dieses Prinzips nicht die gleiche Logik, die auch dem Schuldbegriff zugrunde liegt (der Konstellation von Feindbild-Symbiose, Abwehrmechanismen und Projektion)?
Verhält sich die spezielle Relativitätstheorie zur allgemeinen wie die Barmherzigkeit zum Gericht?
Das Feindbild konstituiert das Bild von der Schwere der Schuld (um die es im Kampf gegen die RAF jetzt allein noch zu gehen scheint).
Läßt der Jakobus-Satz, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums befreit, seine Seele rettet, nicht auf das Werk Horheimers und Adornos anwenden?
Wer das Böse nur verurteilt, gewinnt zwar für sich den Schein der Unangreifbarkeit, er trägt aber nichts mehr bei zur Auflösung des Banns des Bösen.
Sed libera nos a malo: Das Übel ist etwas, das uns zustößt, während wir im Namen des Bösen mitgemeint sind. Die Strafe befreit nicht vom Bösen, sie verewigt es (das Ideal der Strafe ist die Strafe für eine unendlich schwere Schuld). Dem Konzept der „Endlösung der Judenfrage“ lag die Vorstellung einer Erlösung der Welt durch Bestrafung derer, auf die die Antisemiten ihre eigenen Schuldgefühle projiziert hatten, zugrunde.
Die Fähigkeit in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, hängt im Falle der RAF von der Fähigkeit zur Reflexion der deutschen Vergangenheit ab: Sind nicht die Urteile in den RAF-Prozessen allesamt auch Versuche, auf diesem Wege die Vergangenheit endlich loszuwerden?
Die „kleine Verschiebung“, die die messianische Zeit von der Vorgeschichte trennt, ist die Verschiebung der Logik der Verurteilung von der Vergangenheit in die Gegenwart: Es ist die gleiche Verschiebung, die aus dem Weltgericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht macht: der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht.
Schmerz und Schrecken: Nicht der Schrecken lähmt, sondern der Schmerz, der den unaufgelösten Schrecken noch in sich enthält. Nur wer dem Schrecken standhält, entwickelt die Kräfte des Widerstands (die Kräfte, die in den Mechanismen der Empörung und Verurteilung bloß verpuffen; Empörung und Verurteilung führen auch dort noch zum Einverständnis mit dem Bestehenden. wo man glaubt, es zu bekämpfen). -
18.09.1996
Wer bereschit, das erste Wort der Schrift, anstatt mit „im Anfang“ mit „im Prinzip“ übersetzt (Ton Veerkamp?), bringt zwar eine notwendige Korrektur, aber verschiebt er das Problem nicht doch nur von der zeitlichen (naturalen) auf die logische (weltliche) Ebene, transportiert er es nicht aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, mit der Gefahr der Vergöttlichung des transzendentalen Subjekts?
Erfüllt der gegenwärtige Weltzustand nicht die Voraussetzungen, auf die das Wort sich bezieht, daß der Vater am Ende, wenn der Sohn ihm alles unterworfen hat, alles in allem sein wird?
Ist das Heideggersche „Dasein“ nicht ein Produkt der subjektiven Formen der Anschauung, das alte tode ti, nach seiner philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Transformation und nach Verdrängung des Bewußtseins seiner Ursprungsbedingungen (vergleichbar der Geschichte des „Seins“ nach der Hypostasierung des Begriffs und der Abspaltung vom Possessivpronomen der dritten Person singular männlich)?
Ist nicht das Begreifen ein instrumentalisiertes Besitzergreifen (nach Abstraktion vom Besitzer)?
Wäre es nicht Aufgabe der Erinnerungsarbeit, die Abstraktions-und Verdrängungsschritte, die unser Bewußtsein konstituieren, zu rekonstruieren? Und ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Spiegel der Ursprungsgeschichte dieses Bewußtseins?
Läßt sich das Johannes-Evangelium in Beziehung setzen zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos (und hat der Kreuzestod etwas mit dem Opfer zu tun, das den Ägyptern ein Greuel ist)? Entspricht nicht das erste Wunder Jesu (bei der Hochzeit zu Kana) der ersten der ägyptischen Plagen?
An welchen ägyptischen Plagen hat Aaron Anteil, sind es nicht fast die gleichen, in denen auch die ägyptischen Zauberer vorkommen (1 – 4 <!> u. 6; die Zauberer dagegen 1 – 3 u. 6)?
Welche Motive bleiben unerledigt: die Prophetenschaft Aarons, das Opfer (das den Ägyptern ein Greuel ist)?
Der Versuch, die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu entschlüsseln, gelingt nur als Selbstversuch. Und beschreibt nicht diese Geschichte aufs genaueste die Genesis des Irrwegs des Sünders, an dessen Bekehrung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist? Allein an diesem Modell, nicht aber an der verkürzten und egozentrischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, läßt sich das Problem der Gnade demonstrieren: die Bekehrung des Sünders ist nicht erzwingbar, sie liegt nicht in unserer Macht, aber gleichwohl können wir nicht davon lassen. Jede Zwangsbekehrung ist eine verzweifelt-hybride Leugnung der Gnade. Selbst, was in der Moderne Mission heißt, hat etwas von dieser Zwangsbekehrung an sich, gleichgültig, ob durch den Appell an die Übermacht der „westlichen Welt“, für die das Christentum heute steht, oder durch die Mittel, die von denen der Reklame allzu oft nicht zu unterscheiden sind (jede Reklame intendiert die Heiligung des Markennamens und die Bekehrung des Konsumenten zu dem im Markennamen gegenwärtigen Warengott – hat nicht Ludwig Ehrhard gelegentlich von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen?).
Bekehrung: „ginosketo hoti ho epistrepsas hamartolon ek planes hodou autou …“ (Jak 520).
Reinhart Staats weist darauf hin, daß die Opfertheologie, die Lehre vom Sühnetod Jesu, westlichen Ursprungs ist, daß erst seit Tertullian das pro nobis an das crucifixus angehängt wurde (vgl. S. 160). Liegt hier nicht der sprach- und bekenntnislogische Kern der von Tertullian geprägten lateinischen Begrifflichkeit der Theologie (bis hin zum Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre)? Diese Begrifflichkeit aber hat dann die Sprache und die Logik der westlichen Philosophie nach dem Ende des Mittelalters geprägt.
Das Subjekt ist zum erkenntnistheoretischen Subjekt in dem Augenblick geworden, in dem es sich selbst zum Objekt geworden ist (durch präventive Mimesis ans Objekt die Konstituierung des Objektbegriffs vorbereitet hat). Das aber ist allein über die subjektiven Formen der Anschauung, die nicht nur die Objektvorstellung, sondern mit ihr auch das Selbstverständnis des Subjekts determinieren, gelaufen. Mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, und d.h. mit der Aufrichtung der Grenzen zwischen Subjekt und Objekt (mit den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Grenzen definieren), wurden diese Grenzen zugleich aufgehoben, ist das Subjekt zu einem Teil der Objektwelt geworden.
Jürgen Ebach, dem zur Apokalypse nur die atomare Drohung, nicht aber die faschistische einfällt, wäre darauf hinzuweisen, daß er damit bereits von einer Entlastungslogik Gebrauch macht, die in Deutschland nie, auch nicht von der 68er Bewegung (die raf eingeschlossen), durchbrochen worden ist. Deshalb hat Daniel Goldhagen die deutsche Öffentlichkeit so unvorbereitet und so empfindlich getroffen.
Der kopernikanische Blick auf die Welt entspricht dem Blick des Historikers auf die Geschichte: Der vergegenständlichende Blick ist der Seitenblick, der Blick der Selbstobjektivierung, des Aus-sich-Heraustretens und Sich-von-außen-Sehens. Das Medium dieser Bewegung ist räumlich und zeitlich zugleich: Das Verhältnis der Äußerlichkeit, das der Raum herstellt, ist tingiert durch die Logik der Projektion ins Vergangene. Wenn der Historiker die Vergangenheit vergegenwärtigt, so projiziert der Naturwissenschaftler das Gegenwärtige in die Vergangenheit. Erst diesem Blick eröffnen Raum und Zeit sich ins Unermessliche, werden sie zum Maß der Dinge, das selber jedem Maß sich entzieht.
Alle Chronologie-Konstrukte (die historischen wie die naturwissenschaftlichen) sind Rechtfertigungskonstrukte, die dazu dienen, die Gegenwart gegen die Schuldreflexion zu immunisieren (sie gegen den Anblick Gottes abzuschirmen). Das Inertialsystem ist atheistisch.
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist ein Konstrukt, das zunächst nur auf die mathematische Form des Raumes sich bezieht; hier liegt einer der Gründe Kants, den Raum als subjektive Form der Anschauung zu bestimmen. Realität hat die Reversibilität gewonnen
– in der Mechanik, in der Bestimmung der Stoßprozesse, bei denen Richtung und Gegenrichtung (in der zur Fallrichtung senkrechten Ebene) dynamisch nicht unterscheidbar sind, sodann
– im Gravitationsgesetz, die auch den Fall, die Beziehung von Oben und Unten unter dieses Gesetz subsumierte;
– mit der Elektrodynamik wurde diese Reversibilität auf die Zeit übertragen, die Zukunft endgültig unter die Vergangenheit subsumiert.
Erst zu den Maxwellschen Gleichungen gehört das Inertialsystem.
Die Vergegenständlichung der Vergangenheit läßt die Zukunft nicht unberührt: Durch Antizipation ihrer Vergangenheit macht sie die Zukunft für Herrschaft verfügbar. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, hat sowohl gesellschafts- als auch wissenschaftskritische (und in dem Sinne „naturwissenschaftliche“) Bedeutung.
Merkwürdig, daß wir für die Physik (im Kontext der Naturbeherrschung) den griechischen Naturbegriff verwenden, im Kontext der Ästhetik und der Theologie hingegen den lateinischen. Hätte ein Buch wie das des Johannes Scottus Eriugena (de divisione naturae) auch über die physis geschrieben werden können? Gehört nicht der Standardtitel der Vorsokratiker (peri physeos) in einen andern sprachlogischen Zusammenhang? Sind nicht der „natürliche Ort“ und „das Leichte“ des Aristoteles nur im Kontext der physis denkbar (während im Naturbegriff das ortlose Inertialsystem und die universale Schwere bereits mitgesetzt sind und in der lateinischen Theologie ihre sprachlogischen Entsprechungen haben)? Für die Griechen ist die Welt ein geschmückter Leib (kosmos), für die Römer ein gereinigtes All (mundus).
War die Arena das Konzil der Märtyrer, die real den wilden Tieren ausgesetzt wurden, in denen sie das Römische Imperium erkannten? Und waren die Konzilien domestizierte Arenen (in denen der physische Kampf durch den geistigen ersetzt wurde und die Märtyrer, nach Identifikation mit dem Aggressor und Partizipation an der Macht, zu Bekennern geworden sind)?
Wenn die „Einheit des Reiches“ zu den Charakteristika des Reiches des Beelzebub gehört (während das Reich des Vaters viele Wohnungen hat), hat dann die Kirche nicht in der Tat in den Konzilien (in der Geschichte des Glaubensbekenntnisses, in der sie immer wieder die Autorität der Kaiser in Anspruch genommen hat) versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben?
Bezeichnet nicht das ex nihilo in der Schöpfungslehre den Akt der Verdrängung, und wäre nicht gerade dieses nihil endlich zu reflektieren? Was übrigens Kant als erster getan hat, als er eine begriffliche Differenzierung des nihil (in der Kritik der reinen Vernunft) vorlegte. Diese Differenzierung ist dann bei Hegel in der Einheit von Sein und Nichts untergegangen, die dem Begriff des Negativen diese unendlich schwere Bedeutung verliehen hat (es zur treibenden Kraft seiner Dialektik, der Logik, gemacht hat). Erst Franz Rosenzweig, der das Nichts als ein Nichts des Wissens (als seine innere Grenze, und damit als ein dreifaches Etwas) zu bestimmen versucht hat, hat das Problem einer Lösung nähergebracht. Erst Franz Rosenzweig hat die Grenze der Erkenntnis ins Wissen verlegt, das Nichtwissen als ein konstitutives Element des Wissens, das durch Erkenntnis aufzuheben wäre, begriffen.
Als die Deutschen nach dem Krieg unisono verkündeten, sie hätten „von nichts gewußt“, haben sie das Wissen selbst zu einem Instrument der unglaublichsten Verdrängung gemacht. Der Satz wird wahr, wenn man dieses Nichts substantivisch nimmt: davon nämlich haben sie (sehr wohl) gewußt.
Gibt es nicht drei Demonstrativpronomina zum Nichts: dieses, jenes und das andere Nichts, und haben diese drei etwas mit Rosenzweigs Gott Mensch Welt zu tun?
Ein „pflichtbewußter Hund“, der einen Ast im Maule schleppt (und so davon abgehalten wird, Spaziergänger anzufallen): Sind es nicht generell die Pflichtbewußten, die – unter dem Zwang ihrer Pflicht – nicht mehr wissen, was sie tun? -
24.08.1996
Der postdogmatische Charakter der lateinischen Sprache gründet in ihrer instrumentalisierenden Sprachlogik. Die lateinische Sprache ist die Sprache des Römischen Imperiums, dessen Herrschaftslogik sie widerspiegelt. Hegel hat schon die römische Religion als Religion der Zweckmäßigkeit bezeichnet (vgl. Philosophie der Weltgeschichte, Dritter Band: Die griechische und die römische Welt, Meiner 1944, S. 677); dieser Charakter hat sich im lateinischen Christentum erhalten. Ist das Futur II eine lateinische Erfindung, oder findet es sich schon im Griechischen (mit Hilfsverb-Konstruktion, in Anlehnung an den Perfekt Konjunktiv/Optativ)? Perpetuum mobile: Der eliminatorische Charakter des deutschen Antisemitismus gründet in einem Mechanismus, der darauf hinausläuft, daß man die Opfer für das bestraft, was sie den Tätern antun, wenn sie sie zwingen, sie zu verfolgen und zu töten. Und strafen kann sie man nur, wenn man sie, bevor man sie tötet, quält und demütigt. Dieser Mechanismus, dessen naturwüchsige Form der Antisemitismus ist, wurde in der Folter zu einem technischen Verfahren, zu dem eine spezielle Ausbildung und Konditionierung der Folterer gehört, instrumentalisiert. Steht nicht die Frage Heideggers: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts, unter dem Bann des theologischen Konstrukts der creatio mundi ex nihilo? Hat Heidegger damit nicht den Abgrund eröffnet, der hinter diesem Konstrukt sich auftut, den Abgrund nicht zuletzt einer Politik, die den Problemen, die sich ihr stellen, nicht mehr gewachsen ist, und deshalb den Verdrängungsraum des nihil eröffnet? Einer Wirtschaftspolitik, für die Arbeit nur ein Kostenfaktor ist, werden die Arbeitenden zum nihil. Steckt nicht in der Diskriminierung der Slawen, die Erinnerung an die Sklaven, die in ihrem Namen mit enthalten ist? Und sind die Sklaven nicht das logische Verbindungsstück zwischen Arbeitern und den unterworfenen, zur Sklaverei gezwungenen Fremden? Für die (antisemitische) Logik des Es waren die Slawen, der Bolschewismus und das Judentum eine einzige graue Masse, in der sich nichts mehr unterscheiden ließ. Ist es wirklich reiner Zufall, daß gleichzeitig im naturwissenschaftlichen Begriff der Masse die Akzente sich verschoben haben, in Richtung der Zerstörungskräfte, die der Masse innewohnen (und deren Beherrschung zum Testfall der gesellschaftlichen Naturbeherrschung geworden ist)? Sklaven und Arbeiter: Fremdarbeiter und Gastarbeiter erinnern an den Ursprung der Arbeit in der Sklaverei; Kriegsgefangene und Angehörige unterworfener Völker waren (als Sklaven) die ersten Arbeiter, die durch ihre Tätigkeit im Dienst fremder Herren sich definierten. Nur die Herren verstanden sich als Menschen, während die Sklaven, die nicht über sich selbst verfügen konnten, der Natur zugerechnet wurden, die sie bearbeiteten; Menschsein war (ebenso wie eine ökonomische) auch eine nationale Kategorie. Die wirre Ausländer-Diskussion (das „Das kann doch nicht wahr sein“, mit dem einer seine Wahrnehmung kommentierte, daß man „fast keine Deutschen mehr“ sieht) gründet in dieser Unterscheidung von Mensch und Sklave, die der Unterscheidung von Deutschen und Ausländern zugrunde liegt. Der Wahrheitsbegriff, der in dem „Das kann doch nicht wahr sein“ zitiert wird, ist der der „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“; in seinen identitätstiftenden logischen Grundlagen steckt real ein nationalistisches Element (deshalb war die Logik so wirksam, wonach nur Deutsche Menschen und zur Weltherrschaft berufen waren; Juden waren keine Menschen). Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, entfaltet heute seine unheilvolle Logik: In der positivistischen Beharrung auf der intentio recta steckt die ganze Herrschaftsmaschinerie, die Ausblendung der Arbeiter, der Haß auf die Fremden und die Verachtung der Ausländer. Im Kern dieser Logik, sie gleichsam stabilisierend, steckt ihr ästhetischer Grund, stecken die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere die Raumvorstellung. Ist nicht der Name des Gottesknechts der Kern der Nachfolgelogik? Und müßte die Xenophobie nicht eigentlich Gastfeindschaft heißen (die Bekenntnislogik hat der Gastfreundschaft den Boden entzogen)? Habermas braucht die Theologie nicht mehr: die Naturwissenschaften liefern ihm einen entsühnten Weltbegriff ohne den Umweg der Opfertheologie. Gehört nicht zur Kritik der Moderne die Reflexion der Geschichte ihres Begriffs? Ist er nicht zuerst im Namen der devotio moderna aufgetreten, und gehort zur devotio moderna nicht die Ersetzung der Nachfolge durch die imitatio (Thomas a Kempis)? Die Vernichtungsphantasien, die die Bilder der Masse auslösen, sind das Produkt einer projektiven Verschiebung des Bewußtseins der Ich-Vernichtung, der Selbst-Aufgabe, die das „Aufgehen in der Masse“ impliziert. Darin gründet die Brisanz, das – weiß Gott – nicht Ungefährliche des Slogans „Wir sind das Volk“. Wer sich selbst als Volk, und d.h. als Teil einer Schicksalsgemeinschaft begreift, ist auf dem Sprunge, zum Schicksal für andere zu werden. Die Nazis haben den Judenmord als präventive Notwehr verstanden. Die Katstrophe wird absehbar, wenn es zu der Logik, die den Faschismus beherrschte, keine Alternative mehr geben wird: wenn die Theologie aufgibt. Wenn der Atheismus siegt, und es gibt auch einen Atheismus in der Theologie, hat Hitler gesiegt. Es gibt eine Situation, in der die Theologie auf den einfachen Satz sich reduziert, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Dem selbstreferentiellen, projektiven und paranoiden Blick der Welt ist dieses Herz verschlossen. In den gleichen Zusammenhang gehört der Satz, daß das Jüngste Gericht nicht das Hegelsche Weltgericht ist, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Hegels Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen“, ist der Schlüssel für diesen ganzen Bereich. Das Andere ist das Andere für mich (und für alle Anderen); die Logik des Andersseins ist die Logik des Reichs der Erscheinungen, das beherrscht wird von den Totalitätsbegriffen Natur und Welt. Die Differenz zwischen den Kosmogonien und den Kosmologien, die die Grenzscheide markiert zwischen Mythos und Philosophie, kehrt in den Kosmologien, im Bereich der Philosophie, wieder als Differenz von Natur und Welt. Alle Naturbegriffe sind durch den Weltbegriff domestizierte kosmogonische Begriffe, während alle Weltbegriffe im Naturbegriff reflektierte kosmologische Begriffe sind. Alle Weltentstehungslehren sind Mythologien, nicht zuletzt auch die Theorie vom Urknall, die die aus dem Entropiebegriff entwickelten Endtheorien in eine Anfangstheorie umgekehrt hat.
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5.8.96
„Der Messias braucht Hilfe durch das Volk“ (Bedenbender TuK 68, S. 36). Das sollte aber um Gottes willen nicht heißen, daß der Messias „Anhänger“ braucht: nur der Führer braucht Anhänger, er wäre ohne das Volk ein Nichts; auch der Führer weiß alles, nur: während der Führer einer ist, den alle fragen müssen, ist der Messias der, den niemand zu fragen braucht. Der Messias braucht die Hilfe des Volkes nicht, wie eine Avantgarde die Hilfe der Massen braucht, er braucht sie nicht im Sinne der Machtfrage. – Braucht der Messias die Hilfe des Volkes, braucht nicht das Volk die Hilfe des Messias, die in der Verbreitung des verteidigenden Denkens (des Geistes) sich manifestiert? Das Volk braucht den Messias: um aus dem Bann, nur Volk zu sein, endlich sich zu befreien. Max Horkheimer hat einmal gesagt, daß ein Richter, der nicht in den Angeklagten sich hineinversetzen kann, nicht fähig sei, ein gerechtes Urteil zu fällen. Aber gibt es nicht Strafrechts-Tatbestände (und prozessuale Verfahrensregeln), die, in bestimmten Fällen, insbesondere in Fällen der politischen Justiz (aber auch schon beim Mord), darauf abzielen, diese Identifikation, die Fähigkeit, in den Angeklagten sich hineinzuversetzen, apriori auszuschließen? Es gibt Fälle, in denen diese Identifikation bereits als strafrechtlicher Tatbestand gilt (und gesetzlich als solcher definiert ist), mit der Folge, daß der Angeklagte zum Feind und das Recht zu einem Instrument des Vorurteils wird.
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1.8.96
Stephanus sah die Himmel offen und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 756). Wenn sich heute die Himmel öffneten, was würden wir sehen? Meine Entscheidung, Benediktiner zu werden, war – außer durch meine Beziehung zu Wolfgang Mias, die dann eher zu einem Hemmnis geworden ist – im wesentlichen auch durch zwei Bücher bestimmt: durch Henri Bremond: Das wesentliche Gebet (Regensburg 1936), und durch Theodor Filthauts Darstellung der Mysterientheologie (Die Kontroverse über die Mysterienlehre, Warendorf 1947). Die Geschichte der Säkularisation war auch die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Nominalismus, der Depotenzierung der erkennenden Kraft der Sprache, die auf die Kraft des Namens zurückweist, die Substituierung und Ersetzung der erkennenden Kraft der Sprache (des Namens) durch eine Gestalt der Erkenntnis, die glaubt und vorgibt, der Sprache äußerlich zu sein. Die Vorstellung, daß das Erkennen der Sprache eigentlich nicht bedarf, weil es unmittelbar auf Objekte sich richtet, während die Sprache erst ins Spiel kommt, wenn es darum geht, diese Erkenntnis an andere zu vermitteln; diese Vorstellung, die unterstellt, daß Sprache nur der Kommunikation, nicht jedoch der Erkenntnis dient, ist nicht widerspruchsfrei zu begründen. Sie entspringt zwei getrennten, jeder für sich inkonsistenten, dann aber, und zwar nicht real, sondern ästhetisch, durch Spiegelung, sich wechselseitig begründenden und legitimierenden Zusammenhängen: dem naturwissenschaftlichen und dem ökonomischen. Beide, so scheint es, begründen einen Begriff der Objektivität, der zu seiner Konstituierung der Sprache nicht mehr bedarf. Bezieht sich hierauf nicht das Gebot der Heiligung des Gottesnamens, dessen Erfüllung allein den Bann zu sprengen vermöchte? Johannes: Sein Vater ist Sacharja, seine Mutter Elisabeth; Jesus: Vater Joseph, Mutter Maria. Definition des Rechts: Organisation des Rachetriebs. Deshalb bezieht sich das Strafrecht generell auf Handlungen, auf Taten, nur im Falle des Mords auf den Täter: den Mörder. Das Recht kennt nur Strafe, keine Wiedergutmachung: Ihm geht’s nicht um die Opfer, sondern nur um die Restitution des Gewaltmonopols des Staates, um die Erhaltung einer Ordnung, die im Selbsterhaltungsprinzip gründet (zitiert nicht Susannah Heschel in ihrem Aufsatz in TuK Nr. 70, S.33ff, einen evangelischen Theologen, der erklärt, die christliche Ethik kenne keine Wiedergutmachung?). Was begriffen ist, ist definitiv; was verstanden ist, ist dialog- und diskursfähig. Ist nicht die pax Augusta die Grundlage des herrschaftsfreien Diskurses: eine Gewaltordnung? Auch der Verfassungspatriotismus ist ein auf Gewalt gegründeter Patriotismus. Zum Problem der Väter in den Evangelien siehe auch die von Bedenbender zitierte Mk-Stelle (deren Signifikanz B. nicht gesehen hat): Mk 1028ff, TuK 67, S. 19. Hat das Verschwinden der Väter („Laßt die Toten ihre Toten begraben“) etwas mit der Zerstörung Jerusalems zu tun? Und ist nicht das, was man den Antisemitismus in den Evangelien genannt hat, Ausdruck der Verzweiflung angesichts einer heraufziehenden Katastrophe, die sich nicht mehr aufhalten ließ, nicht aber ein Hinweis auf eine angebliche Mitschuld „der Juden“ an einem „Gottesmord“? Gehört nicht auch die Wahrnehmung hierher, daß der Begriff der „Vaterstadt“ nur im Kontext des Wortes erscheint, daß in ihr kein Prophet etwas gilt? (Wie kommt Nathanael, der einzige Apostel, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, zu der Frage, ob denn aus Nazareth etwas Gutes kommen könne?) Kinder und damit „Erben“ Gottes können nicht Kinder und Erben von Vätern sein? Feigenblatt: War nicht die Bekenntnislogik die Ursprungsform der theoretischen Objektivierung, mit dem Opfer als Kern des Objektbegriffs? Und gehört zur Bekenntnislogik nicht die Logik der Verurteilung, Grund der Distanz zum Objekt, das so der Erkenntnis durch Mimesis, durch Identifikation entzogen wird? Gehört nicht zu den Voraussetzungen des Verurteilungsmechanismus, der den Faschismus-Diskurs beherrscht, seine Nutzung als Feigenblatt, die ungeheure Verdrängungsleistung nach dem letzten Krieg (die die Bekenntnislogik erstmals unverhüllt hat hervortreten lassen)? Und stellt Daniel Goldhagen nicht diesen Verurteilungsmechanismus in Frage, wenn er die Nachkriegsverdrängung in Frage stellt? Eine der Konsequenzen aus diesem Verurteilungsmechanismus ist Habermas‘ Kommunikationstheorie, die mit der Verwerfung der Idee einer Kritik der Naturwissenschaften die Reflexion dieses Verurteilungsmechanismus ausgeblendet hat. Die Dialektik der Aufklärung ist dann auch konsequenterweise nur verdrängt, nicht wirklich aufgearbeitet worden. Die Sprache der Dialektik der Aufklärung war die Sprache der Verzweiflung, die erst im Munde der Schüler der Frankfurter Schule (die keine Schule war) zu dem Jargon geworden ist, den heute alle nur noch herauszuhören scheinen. Die Verurteilungslogik zündelt bloß, wo es darauf ankäme, selber durch das Feuer hindurchzugehen. Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen geholfen hat, war der Vater des Alexander und des Rufus (Rufus ist ein lateinischer Name; er bezeichnet einen Rothaarigen). In Röm 1613 läßt Paulus einen Rufus grüßen „und seine und meine Mutter“: War Simon von Cyrene der Vater des Paulus?
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3.7.96
Gegen den 68er Bruch: Der Faschismus war keine Naturkatastrophe, und das Horkheimer-Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen dürfe, wird heute durch Umkehrung wahr: Vom Kapitalismus darf nicht reden, wer vom Faschismus schweigt.
Die 68er Bewegung hat den faschistischen Zivilisationsbruch als Kulturbruch ratifiziert. Mit der Beziehung zum (weiterhin realen) Staat hat sich auch die Beziehung zur Sexualität, das Verhältnis von Eigentum und Besitz, verändert. Die traditionelle Sexualmoral war Ausdruck der am Eigentumsbegriff sich orientierenden Beziehung der Person zu sich selbst. Ist nicht an die Stelle der Eigentumsbeziehung (deren Respektierung die Sexualmoral leisten sollte) das Besitzverhältnis (an die Stelle des Respekts vor dem Andern die Freiheit der Güternutzung) getreten? Gibt es (nach der Globalisierung des Marktes und der Verrottung des Staates) überhaupt noch „Eigentum“? Ist sein Verschwinden nicht am Verschwinden des Tabus auf der Sexualität (mit den Folgen, die das insbesondere für den weiblichen Teil der Gesellschaft hatte) ablesbar?
Das Privateigentum konstituiert die Privatsphäre (den idiotes).
Rühren die Probleme der Theorien Heinsohns nicht daher, daß er einem Theorie- und Objektivitätsmodell sich verpflichtet fühlt, daß aus der Physik stammt? Die vermittelnde Kategorie scheint der Eigentumsbegriff zu sein, der in der Tat einmal den Naturbegriff konstituiert hat: Der Eigentumsbegriff verhält sich zur Geldwirtschaft wie die träge Masse zur Physik insgesamt.
Die begriffliche Trennung von Eigentum und Besitz, die mit der von Tausch- und Gebrauchswert zusammenhängt, determiniert die Widersprüche, die Heinsohns Konzept durchziehen (vgl. z.B. S. 129 und 137 zum Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Geschichte).
Wenn Heinsohn die Geschichte sowohl braucht als auch abwehrt, so drückt sich darin genau die Ambivalenz seiner Theorie aus: Er braucht die Geschichte als Mittel zur Erkenntnis der Logik der Ökonomie, er muß sie abwehren, weil sie diese Logik zugleich zum Sprechen zu bringen droht.
Besitz ist eine Gebrauchskategorie, Eigentum eine Geldkategorie (vgl. Heideggers Unterscheidung des Zuhandenen vom Vorhandenen). Hat nicht Polyani den Ursprung der Eigentumsgesellschaft sehr viel genauer beschrieben, nämlich anhand der Übertragung der Wareneigenschaften auf Grund und Boden (Eigentum), auf die Arbeit (Lohnarbeit) und aufs Geld (Banken)? Heinsohn selber verweist darauf, daß die Lohnarbeit erst in der modernen Entwicklung hinzukommt; verweist das nicht auf eine qualitative Differenz auch beim „Eigentum“ und beim Geld (doppelte Buchführung)?
Der philosophische Reflex des Eigentumsbegriffs ist der Begriff der Substanz (der mit dem Begriff des Substantivs das Verständnis der Grammatik und der Sprache verändert hat, der das Nomen gelöscht und die Sprache zu einem Mittel der Information gemacht hat).
Das Substantiv ist eine Fortbildung des Begriffs der Substanz. Drückt nicht im Begriff des Substantivs eine qualitative Veränderung im Eigentumsbegriff sich aus?
Der Konkretismus Heinsohns manifestiert sich nicht nur in der Theorie der Venus-Katastrophe (in der Ersetzung der gesellschaftlichen Naturkatastrophe durch eine reale kosmische Katastrophe), sondern auch in seinem Eigentumsbegriff, der ihm zu einem festen Grundlagenbegriff wird, und an dem er den historischen Prozeß, dem er entspringt und in dem er sich verändert, nicht wahrnimmt. Die Trennung von Eigentum und Besitz manifestiert sich in den Änderungen der ökonomischen Gesellschaftformen, in der Übertragung der Geschäftsführung an ein Management und im Ursprung und in der Entfaltung und Ausdifferenzierung der Verwaltung (die die Besitzfunktionen des Eigentums realisiert). Aber ist nicht das Eigentum unabhängig vom Besitz (vom Gebrauch, der es qualifiziert) eine leere Abstraktion? Wie das Eigentum im ökonomischen Prozeß sich verändert, kann man heute von jedem Landwirt (noch krasser freilich an den Vorgängen in der Dritten Welt, die jetzt langsam anfängt zu begreifen, was ihr geschieht) erfahren.
Durch seinen Eigentumsbegriff wird dieses Buch zum Kompendium einer Hausbesitzer-Ideologie.
Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war notwendig, weil der genetische Zusammenhang des Eigentumsbegriffs mit dem Begriff und der Praxis der Gewalt in der Gesellschaft ausgeblendet wird. Gehört nicht der Eroberungskrieg (wie am modernen Kolonialismus drastisch sich zeigen läßt) zur Ursprungsgeschichte des Eigentums (die Ureinwohner der kolonialisierten Länder „kennen keine Schrift, kein Geld, sind nackt“; sie sind deshalb nicht fähig, über ihren Besitz wie über Eigentum zu verfügen; als „Wilde“ sind sie apriorische Objekte von Gewalt)?
War die Kosntituierung des Eigentums das Ergebnis einer Revolution von innen (bei den Griechen als Revolution gegen den mykenischen Feudalismus), oder war sie das Ergebnis einer Eroberung von außen, durch umherstreifende Brüder- und Männerhorden (Rom, die Hapiru, die „Hebräer“)? Unterscheidet sich darin nicht das Eigentums-Buch vom Patriarchats-Buch Heinsohns?
Irgendjemand hat einmal die Tempel als Säkularisations-Instrumente beschrieben (Entzauberung der Welt durch Konzentration des Heiligen im Tempel). Eine ähnliche Funktion scheinen die christlichen Kirchen, Kathedralen und Dome im Mittelalter gehabt zu haben. Als Säkularisations-Instrument hat der Tempel die Welt eigentumsfähig und damit zur Welt gemacht; deshalb gehören zur Tempelwirtschaft die Kosmogonien.
Waren der Islam das Persien, Frankreich und England hingegen das Griechenland des Mittelalters? Dann war Deutschland das Rom.
Adorno hat mich in die Lage versetzt, mein Faschismus-Trauma zu bearbeiten; anders wäre ich das Opfer dieses Traumas geworden.
Heinsohn: der Drewermann der Nationalökonomie?
Die Orthogonalität ist das Abstraktionsgesetz der Erkenntnis, sie ist zugleich das Formprinzip des Urteils. Durch die Orthogonalität werden die Richtungen des Raumes getrennt und unterschieden und zugleich zueinander in Beziehung gesetzt; das gleiche Formgesetz gilt für die Beziehung von Raum und Zeit und dann auch für die Beziehung von Raum und Zeit zur Materie. Die Orthogonalität (die Entdeckung der Winkelgeometrie durch die Griechen) ist das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt. Wie hängt die Entdeckung der Orthogonalität mit dem Ursprung des Eigentumsbegriffs, mit der Unterscheidung von Eigentum und Besitz und mit dem Ursprung des Staates zusammen?
Im Buch Josue wird das Land Kanaan durchs Los auf die Stämme Israels verteilt. Wann und auf welche Weise erfolgte die individuelle Eigentumsbegründung (zusammen mit der Begründung weiblicher Erbrechte)? In der Bibel wird vom Kauf eines Grundstücks nur im Hinblick auf kanaanitisches Eigentum (bei Abrahams Kauf des Grundstücks für das Grab Saras und bei Davids Kauf der Tenne Araunas) berichtet.
Sind die Probleme, vor die die Philosophie in jeder Epoche neu sich gestellt sieht, die logischen Probleme des Eigentums; und ist die Philosophie deshalb der Reflex der Herrschaftsgeschichte?
Das Armutsgebot, das wir heute ganzen Erdteilen aufzwingen, der Export der Armut in die Dritte Welt: Die Eigentumslosigkeit schlägt die Eigentumslosen zur bloßen Natur, macht sie zu einer brachliegenden Ressource, für die es keine Verwendungsmöglichkeiten mehr gibt: zu herrenlosem Gut.
Nachdem die Aufklärung, und ihrer Folge Kant und der deutsche Idealismus, der Natur schöpferische Kräfte angedichtet hat, hat da nicht Marx, als er glaubte, im Proletariat das Subjekt der Revolution zu erkennen, daraus nur die Konsequenz gezogen (das Proletariat: die Verkörperung er resurrectio naturae)?
Werden heute nicht alle Siege zu Pyrrhus-Siegen?
Ist nicht jede Personalisierung ein Indiz mangelnder Autonomie? Zitiert nicht jede Personalisierung (und jeder Konkretismus) die kollektive Absicherung einer Projektion?
Hängt nicht die mittelalterliche Fälschungsgeschichte mit den übermächtigen Legitimationsbedürfnissen, die die Begründung der Eigentumsgesellschaft wachgerufen hat, zusammen?
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