Horkheimer

  • 12.9.1995

    Sehen und Hören: Der Kelch symbolisiert das ins Sehen übersetzte Hören (die „subjektiven Formen der Anschauung“), im Hinblick auf einen Text die Logik der Schrift, politisch-ökonomisch wie auch zivilisations- und wissenschaftsgeschichtlich das Herrendenken (Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften als Teil der Herrschaftsgeschichte: „die Distanz zum Objekt ist vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“, Dialektik der Aufklärung); mit dem Kelch-Symbol hängt es zusammen, wenn die Idee der Erfüllung der Schrift auf die Passion und den Kreuzestod Jesu sich bezieht (vgl. Getsemane und Emmaus), die der Erfüllung des Wortes hingegen auf die Parusie. Das Christentum hat nach Eingliederung in die Herrschaftsgeschichte mit der Opfertheologie und dem darin gründenen Erlösungsbegriff die Passion mit der Parusie gleichgesetzt: Ursprung der Bekenntnislogik und des Dogmas (Petrus und die Geschichte von den drei Leugnungen; Bekenntnislogik als Äquivalent der subjektiven Formen der Anschauung in der Theologie, Kirche als Kelch). Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Erweiterung des Kelch-Symbols – des Taumelkelchs und des Kelch des göttlichen Zorns – zum Unzuchtsbecher in der Johannes-Apokalypse?
    Genitiv und Dativ unterscheiden sich wie Indikativ und Imperativ bei Levinas. Auch der dem Genitiv korrespondierende Indikativ ist ein Imperativ, aber einer, der nicht mehr durch die Sprache, durchs Hören, vermittelt ist, sondern zum puren Vollzug des Gehorsams (zum mechanischen Kadaver-Gehorsam) regrediert: er ist ein instrumentalisierter Imperativ. Der auf Präsens und Zukunft (auf nicht Vergangenes) bezogene Indikativ ist ein Vollstreckungsurteil, er verwandelt das Handeln in ein subjektloses, naturhaftes Geschehen. Die Ontologie hypostasiert diesen Indikativ (und entlastet das Subjekt – ähnlich wie das Gesetz die Verwaltung – von der Last der Verantwortung und des Handelns).
    Wie hängt das symbiotische „wir“ (das ärztliche „wie geht es uns denn heute“, „haben wir gut geschlafen“) hiermit zusammen, in welcher Beziehung steht es zum „naturwissenschaftlichen“ Apriori der Medizin, zur Symptom-Medizin, zur konstitutiven Funktion des Fall-Begriffs in der Medizin?
    Gehört nicht auch dieses symbiotische „wir“ zu den Metastasen (oder auch zu den Ursprungsformen) der Bekenntnislogik, deren „gemeinschafts“-konstituierende Kraft in einer symbiotischen Konstellation gründet (die Bekenntnislogik instrumentalisiert – wie das Plancksche Wirkungsquantum? – den symbiotischen Grund, aus dem sie hervorgeht). Gemeinschaftsbegründend aber wird diese Beziehung von Bekenntnislogik und Symbiose nur in der Gestalt hierarchischer Strukturen (Hegels Philosophie kennt keine hierarchischen Strukturen, weil sie den Begriff hypostasiert; deshalb kann die Natur den Begriff nicht halten: Hat nicht die kopernikanische Wende mit dem astrologischen Verständnis der planetarischen Welt auch den kosmologischen Grund und die kosmologische Legitimation der Hierarchie: die frühmittelalterliche Engellehre, zerstört?).
    Doppelt asymmetrische Reflexion: Wie verhält sich das objektivierende Beobachten zum Begriff des Angesichts? Gibt es einen sprachlogischen Zusammenhang zwischen dem geschichtlichen Ursprung des Beobachtens und ihrer Vorgeschichte im Namen und Amt des episkopos?
    Drückt nicht in dem Psalm-Wort „Dixit Dominus ad Dominum meum: hodie genui te“ auch eine Kritik des Zeugungsbegriffs sich aus? Die beiden Herren sind weder gleichnamig noch gleichen Wesens. Im hebräischen Text stehen an dieser Stelle zwei Namen: JHWH und Adonai, die nicht gleichgesetzt werden dürfen. Die homousia, die in der Gleichsetzung beider Namen gründet, ist ein Produkt der LXX, des griechischen (und dann des lateinischen, deutschen, englischen etc.) Bibeltextes. Das homousios und die Vergöttlichung Jesu haben den Vater zum Objekt gemacht (und das ist in die Gesamtstruktur des christlichen Dogmas und in die kirchliche Erlösunglehre als eine ihrer verschwiegenen Voraussetzungen mit eingegangen).
    In der Geschichte von den drei Leugnungen Petri fällt das Krähen des Hahns mit der Überlieferung Jesu an den weltlichen Richter zusammen (die Verspottung durch die „Diener“ und das Verhör durch den „Hohen Rat“ liegt nur bei Lukas zwischen den Leugnungen und der Überlieferung an Pilatus, bei Johannes zwischen der ersten und zweiten Leugnung).

  • 8.9.1995

    Anblick und Angesicht: Die subjektiven Formen der Anschauung trennen den Anblick vom Angesicht (das Sehen vom Hören), fundieren und fixieren die intentio recta, verdrängen jede Erinnerung an eine Alternative dazu. Das Angesicht (Verkörperung des Gegenblicks und Widerpart des Anblicks) bezeichnet einen sprachlichen Sachverhalt. Es wird repräsentiert sowohl vom Angesicht Gottes als auch vom Angesicht der Kinder. „Wissende“ Kinder (Kinder ohne Angesicht) sind Kinder, deren Vertrauen in die Welt enttäuscht wurde (Schule in der verwalteten Welt drohen zu Produktionsstätten „wissender“ Kinder zu werden; im Angesicht der Kinder leben heißt, die Welt so hell machen, daß Kinder in ihr nicht mehr endgültig enttäuscht werden können. Kinder weinen, bevor sie sprechen (Kindern das Weinen verbieten heißt, sie am Sprechenlernen hindern; Jungen dürfen nicht weinen: mit der Erinnerung ans Weinen wird der Sprachgrund, die erkennende Kraft des Namens, gelöscht, hier entspringt das Lachen, Produkt der verdrängten Erinnerung an das Angesicht im Lächeln des Kindes); Erwachsene lachen, wenn sie aufhören zu sprechen: durchs Lachen (durchs schallende Gelächter) schaffen sie eine Gemeinschaft von Stummen, die eine Bekenntnisgemeinschaft ist; Lachen ist die Ursprungsgestalt der Bekenntnislogik, ihr genauester Ausdruck (mit Feindbild, Ketzerverfolgung und Frauenfeindschaft). Jedes Bekenntnis (und das drückt in dem durch seine Beziehung zum Bekenntnis definierten Begriff des Glaubens sich aus) ist ein Auslachen dessen, was es als seinen Inhalt ausgibt (sh. den Streit um das Kruzifixurteil, in dem alle Heuchler sich zusammenfinden). In der Konsequenz seiner eigenen Logik ist der Glaube blasphemisch.
    Die indoeuropäischen Sprachen haben das Lachen (und damit die Bekenntnislogik) zum Grund ihrer sprachlogischen Organisation gemacht (das Substantiv ist das ausgelachte Nomen – der bestimmte Artikel im Hebräischen mit dem sprchlichen Ausdruck des Lachens identisch -, die letzte Konsequenz aus dem Neutrum, an dessen Ursprung und Geschichte die der indoeuropäischen Sprachen sich erkennen läßt; das symbolische Korrelat des Neutrum in der Schrift ist die Schlange). So sind die indoeuropäischen Sprachen zu Herren-, zu Männer- und zu Weltsprachen geworden. – Was heißt im Anblick dieser Sprachlogik „Heiligung des Gottesnamens“?
    Die Bildung des Neutrum gründet in der Vergegenständlichung der Vergangenheit (in der Bildung der grammatischen Vergangenheitsform, die dann die Bildung der Futur- und Präsensformen nach sich zieht: in der Vorstellung des Zeitkontinuums). Hier – durch die reflexive Gewalt des Gerichts über die Vergangenheit, die die Richtenden unter das Gericht der Vergangenheit stellt – entspringt zusammen mit dem Begriff des Wissens der Objektbegriff (und in seiner Folge das Substantiv, als Form der Vergewaltigung des ausgelachten Namens).
    Hören und Sehen: Die Beziehung von Wasser und Feuer im Namen des Himmels gründet in der sprachlogischen Beziehung des Namens zur Vergangenheit. Durch die Subsumtion der Dinge unter die Vergangenheit, durch die sie zu Objekten des Wissens werden, wird die erkennende Kraft des Namens (das „Feuer des Himmels“) gelöscht. Wer den Himmel offen sieht, sieht in einen Raum, der erst mit der Sprengung der Formen der Anschauung sich öffnet: in einen Raum, dessen Form in der Kraft des Namens sich bildet und öffnet.
    Hören (nicht Gehorsam), Armut und Keuschheit: Die erkennende Kraft des Namens wird durch die subjektiven Formen der Anschauung, durch die Eigentumslogik (die als dessen innerstes Prinzip den Staat begründet und beherrscht) und durch die Bekenntnislogik (die die Idolatrie, die Religionen, begründet) gelöscht.
    Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß „die Distanz zum Objekt … vermittelt (ist) durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“, wäre dahin zu ergänzen, daß diese Distanz seit ihrem Ursprung in bestimmbaren Institutionen sich verkörpert, selber dingliche Form annimt: im Tempel, im Geld und in der Schrift. Alle drei Institutionen haben einen gemeinsamen Ursprung und erzeugen selber ihren gemeinsamen Grund: den Staat.
    – Der Tempel, die Konzentration des Göttlichen an einem Ort, war auch ein Mittel des Kampfes gegen die Magie, ein Instrument der Entzauberung der Welt (die in dieser Entzauberung als gegenständliche Welt sich konstituiert);
    – das Geld, das im Kontext der Schuldknechtschaft und nicht im Tausch entspringt (wie auch das Inertialsystem zwar in der Analyse der Stoßprozesse sich bewährt, aber ohne die Ordnung des heliozentrischen Systems, das im Gravitationsgesetz seine Begründung findet, nicht sich herausgebildet hätte) war das erste Instrument, das Herrschaftsbeziehungen in sachliche, gegenständliche, selber wieder beherrschbare Beziehungen von Dingen („Waren“) transformiert;
    – und die Schrift, die die Sprache über das Hören, über ihren affektiven und dialogischen Ursprung hinaustreibt, ihre objektivierende Gewalt (und die dieser Gewalt fundierende, sie unterstützende sprachlogische Struktur: die durchgebildete Grammatik) begründet, hervorbringt und stabilisiert, eröffnet damit den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß.

  • 7.8.1995

    Die Heiligung des Gottesnamens ist das Korrelat des Leuchtens Seines Angesichts.
    Wir haben die ganze Schrift zu einer jenseitigen, schicksalhaften Sache gemacht, während die Schrift insgesamt, einschließlich der Apokalypse, in Wahrheit unters Nachfolgegebot fällt.
    Die Bildung des Neutrum hängt mit der Vergegenständlichung des Vergangenheit (der Bildung der Vergangenheit, die dann die Bildung von Futur und Präsens nach sich zieht) zusammen. Hier entspringt zusammen mit dem Begriff des Wissens der Objektbegriff (und in seiner Folge das Substantiv).
    In den Medien breitet ein grammatischer Fehler sich aus, dessen sprachlogische Analyse ein Licht wirft auf das journalistische Weltverständnis (und auf einen anderen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“): die epidemische Ausbreitung der Verwechslung von Genitiv und Dativ. In einem Fernsehbericht am 6.8.95 zum 50. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima wurde „den“ Toten der Katastrophe (anstatt der Toten) gedacht. Das Objekt des Gedenkens erscheint im Dativ anstatt im Genitiv. Es gibt ähnliche (auch umgekehrte) Fälle insbesondere bei der Verwendung von Präpositionen wie trotz, wegen u.ä. Auffällig ist der wie es scheint systematische Effekt: Der Genitiv wird durch einen Dativ, der Dativ durch einen Genitiv ersetzt. Die Verwechslung betrifft generell den Adressaten einer Handlung. Sie scheint mit einer veränderten Beziehung von Schenken und Eigentum zusammenzuhängen: Der Genitiv drückt eine Eigentumsbeziehung, ein Besitzverhältnis, aus, der Dativ nennt den Adressaten einer Gabe, eines Geschenks. Gegenüber Unmündigen wird aber die Gabe, das Geschenk gern als Verpflichtung, als Symbol eines Besitztitels gegen den Beschenkten gebraucht. Bezeichnet dieser Sachverhalt vielleicht eine Grundstruktur des medialen, kommunikativen Umgangs mit der Wirklichkeit? Verweist diese Verwechslung nicht auf einen Defekt in den Grundlagen der Kommunikationstheorie, die die Abstraktion, der die „subjektiven Formen der Anschauung“ sich verdanken, auf die Sprache überträgt? So wie im Begriff der Anschauung vom Gegenblick abstrahiert wird, so abstrahiert der kommunikative Sprachbegriff vom Dialog. Leben nicht die Medien von der Zerstörung des dialogischen Elements in der Sprache: Die Zeitung, das Radio, das Fernsehen sind Medien der Information, der „Nachricht“. Sie schließen die dialogische Beziehung zum Leser, zum Hörer, zum Zuschauer aus. Hier wird der Adressat in kollektive Isolationshaft genommen. Zur gleichen sprachlogischen Situation, der die Verwechslung von Genitiv und Dativ sich verdankt, gehört das fernsehübliche „In der nächsten Sendung sehen wir uns wieder …“, bei dem allen Beteiligten klar ist, daß der Moderator, der Sprecher, der „Ansager“ die Zuschauer niemals sehen wird (außer in der peinlichen einseitigen „Bekanntheit“ der Bildschirmperson auf der Straße, im Geschäft, im Restaurant). Der Film war die astrologische Vorstufe der kopernikanischen Wende der Medienwelt: des Fernsehens. Heute sind die „Stars“ aus den Himmeln des Films herabgestiegen und zu alltäglichen intimen Bekannten aller geworden, in deren Vorstellungswelt sie anfangen, die wirklichen Verwandten und Bekannten zu ersetzen.
    In der monologisch gewordenen Sprache der Medien kehrt sich die Beziehung von Dativ und Genitiv um. Grund ist das Werden der Substanz zum Subjekt: die allgegenwärtige, alles durchdringende und alles beherrschende Gewalt des Neutrum.
    Hier findet der wirkliche „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ statt, der mit den Kategorien der Habermasschen Kommunkationstheorie nicht mehr zu fassen ist. – Paßt dazu nicht der Ausdruck „Wir Deutschen“ (in dem ein ganzes Volk sich selbst zum Objekt wird: und sie erkannten, daß sie nackt waren)?
    Ist nicht das Fernsehen Kanaan, der weil Ham die Blöße seines Vaters schaute, zum Knecht seiner Brüder wurde?
    Die Vertauschung von Genitiv und Dativ in der medialen Sprachlogik ist ein Ausdruck davon, daß Information, Unterhaltung und Manipulation und Beherrschung der Öffentlichkeit sich nicht mehr unterscheiden lassen (das Fernsehen kann kann Kriege an- und abstellen). Damit hängt es zusammen, daß die Medien immer mehr zur „Hofberichterstattung“ tendieren, offizielle Versionen nachbeten. Die Medien machen die Information zum Drachenfutter: Sie stellen den Staub her, den die Schlange frißt.
    Die Vertauschung von Genitiv und Dativ ist eine Konsequenz aus der neutralisierenden Gewalt der Logik der Schrift (die Logik der Schrift und der Ursprung des Neutrum).
    Die Abstraktion vom Gegenblick im Begriff der Anschauung, vom dialogischen Grund der Sprache, oder die Abstraktion von der Selbstreflexion im Andern: Zur medialen Sprachlogik paßt eine Theologie, die sich als „Rede von Gott“ versteht und das Evangelium zur „Guten Nachricht“ gemacht hat: Hier gibt es zum Reich der Erscheinungen keine Alternative mehr; hier ist der Name Gottes vergessen. Max Horkheimer hat einmal unter Hinweis auf Hegels „Phänomenologie des Geistes“ gesagt: Wenn das die Wahrheit ist, ist dies (sc. dieses Buch) der liebe Gott; hätte er nicht korrekterweise sagen müssen: so ist dies der Name Gottes?
    Licht und Finsternis, oder das sprachliche Wesen des Lichts: Ist der Gegenblick, von dem die subjektiven Formen der Anschauung ebenso wie vom Licht abstrahieren, die Sprache? Und gründet darin nicht das „Leuchten Seines Angesichts“, die Heiligung des Gottesnamens? Ist der Gottesname der Grund der Sprache (und deshalb unnennbar)? – Vgl. Ezechiel, das Hören und Sehen und den Begriff der Vision.
    Beitrag zum Weltbegriff, zur Passionsgeschichte und zur Opfertheologie: In der Sprachlogik der Medien erfüllt sich die Logik der Schrift.
    Kritik der Schöpfungstheologie: Gibt es nicht eine Querverbindung zwischen der Sprachlogik der Medien und den Allmachtsphantasien der Verwaltung? Schafft nicht diese Sprachlogik (die Ausscheidung der Kritik aus der Sprache durch die Verabsolutierung des Indikativs, die zur Vertauschung von Genitiv und Dativ führt) den Freiraum für die Allmachtsphantasien der Verwaltung, ihre tatsachenschaffende, sprachzerstörerische Definitionsgewalt?
    Identifikation mit dem Aggressor: Die Sprachlogik der Medien ist ein Indiz für ihre Selbsteinbindung in die verwaltete Welt. Die gleiche Kapitulation vor der Sprache hat in der Philosophie dazu geführt, daß der erkenntniskritische Impetus der kantischen Philosophie verdrängt worden und nur der affirmative Wissenschaftsbegriff, der durchs Interesse der Selbsterhaltung gestützt wird und zur Automatik der Selbstrechfertigung des Bestehenden gehört, übrig geblieben ist. Die Kräfte der Verdrängung waren stärker als der argumentative Gehalt der kantischen Texte.
    Hängt die Vertauschung von Dativ und Genitiv mit der Beziehung von Feststellung und Begründung, Information und Meinung, mit der indikativischen Trennung von Sprache und Realität zusammen?

  • 21.6.1995

    Ist nicht die Instrumentalisierung des Leidens – nach der Dialektik der Aufklärung die Verinnerlichung des Opfers – eine der Grundlagen der Zivilisation; liegt sie nicht der Logik des Welt- und Naturbegriffs, der Logik der Trennung dieser Begriffe, zugrunde? Die Geschichte des Opfers (und seiner Objekte: Rind und Esel, Lamm und Taube) rührt an diesen Sachverhalt. Aus diesem Grunde ist Habermas‘ Umformulierung des Adornoschen Konzepts des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ in ein „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“ Ausdruck einer logischen Verwirrung des Problems, keine Verständnishilfe. Hier liegt der Sprengsatz, den Habermas unter Verschluß halten möchte, um sein Diskurskonzept, die Kommunikationstheorie und insbesondere einen ihrer zentralen Begriffe, den der Intersubjektivität, zu retten. Beide, das „Eingedenken der Natur im Subjekt“ und der Begriff der Intersubjektivität, können nicht zusammen bestehen. Und hier wird die Metzsche Unterscheidung zwischen dem eigenen und fremden Leid wichtig: die Unterscheidung zwischen Selbstmitleid und Barmherzigkeit, die der Begriff der Intersubjektivität verwischt und, da das nicht gelingen kann, zugunsten des Selbstmitleids (als dessen kollektive Verkörperung z.B. der Nationalismus sich begreifen läßt) vorentscheidet. Adornos Konzept (das der negativen Dialektik insgesamt) setzt diese Unterscheidung voaus, auch wenn es sie nicht thematisiert. Ihre Thematisierung hätte eine Kritik des Naturbegriffs nach sich gezogen, die Habermas geahnt haben mag, als er von der spekulativen Idee, daß die richtige Gesellschaft auch die Natur mit ergreift, unter Verweis auf den Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sich distanzierte. Auch die Objektivität der Natur ist (und ebenso der Begriff der Intersubjektivität, der die These der Objektivität der Natur zur Voraussetzung hat, an sie gebunden ist) nicht unmittelbar gegeben, sie steht unter einem Apriori, dessen Reflexion übrigens vom Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis selber erzwungen wird. Von dieser Reflexion muß Habermas abstrahieren, um sein Konzept zu retten. Das Adjektiv (im Begriff der gequälten Natur), mit dem er Adornos Konzept verfälschte, ist eine Konsequenz aus dieser Abstraktion.
    – Dadurch unterscheidet sich übrigens die Autorität der Leidenden von der naturwissenschaftlichen Objektivität, die in sich selber vermittelt ist, daß sie sehr wohl unmittelbar gegeben ist: Nur weil der Anblick von Leid den spontanen Trieb zu helfen auslöst, ist das Leiden über seine mediale Reproduktion und Vermittlung instrumentalisierbar. Erklärungsbedürftig und in der Tat in sich selber vermittelt ist nicht der Trieb zu helfen, sondern seine Verdrängung, das Wegsehen („Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“).
    Das „Verständigungsapriori“ (in dem Leserbrief in der FR vom 19.6.95) ist die Mauer um ein selbsterrichtetes Ghetto. Es schließt alle, mit denen man nicht kommuniziert, aus. Dazu gehören Rituale, die diesen Ausschluß vollstrecken. Am Leserbrief lassen diese Rituale sich studieren.
    Metz‘ Idee einer Autorität der Leidenden rührt an einen Punkt, der die traditionelle theologische Beziehung von Natur und Übernatur nicht nur präzisiert, sondern im Kern verändert: Sie sprengt den Bann des Naturbegriffs, unter dem nicht nur der „prinzipielle Ideologieverdacht“ des Leserbriefschreibers noch steht, sondern eigentlich die gesamte theologische Tradition, übrigens nicht nur die christliche.
    Die Natur und ihr Begriff stehen unterm Bann des Prinzips der Selbsterhaltung: Darauf bezieht sich das Adornosche Konzept des Eingedenkens, das Habermas zu früh verworfen hat. Der Begriff einer „gequälten Natur“, den Habermas Adorno unterstellt, wäre eine contradictio in adjecto, er bezeichnete in der Tat ein magisches Relikt. Es gibt keine gequälte Natur, weil der Begriff der Natur die Erinnerung ans allein leidensfähige Subjekt apriori ausschließt, aber die Realität des Leidens rührt an den Grund der Natur (wie umgekehrt der Begriff der Natur an den Grund des Leidens).
    „Schiffsbrüchige machen es genau so“ (Rosencof/Huidobro: Wie Efeu an der Mauer, S. 244): Der Satz bezieht sich auf die Geschichte der Menschheit, die in der Katastrophe, als die die „Schöpfung“ sich erweist, ums Überleben kämpft. Nicht die Frage nach den Urhebern der Katastrophe ist wichtig, sondern nur noch die, ob und wie sie sich wenden läßt, ob und wie es möglich ist, ihr zu entrinnen.

  • 19.6.1995

    Logik der Schrift: Die Schrift erzwingt die Vergegenständlichung der Einsicht zur Erkenntnis (der Sprache zum Instrument der Mitteilung).
    Leserbrief zu Metz „Religion und Politik …“ in der FR von heute (Prof.Dr.Thomas Feuerstein, FH Wiesbaden):
    – „‚Die Autorität der Leidenden‘ ist nicht unmittelbar gegeben. Stellvertreter dieser Autorität stehen unter prinzipiellem Ideologieverdacht ‚im Lichte‘ diskursiver Vernunft“. Dieser Satz stellt verteidigendes Denken unter Ideologieverdacht („Ihr laßt die Armen schuldig werden“), macht Barmherzigkeit gegenstandslos, verwirft apriori jede Alternative zu der (bis in unsere Naturvorstellungen hinein) vom Selbsterhaltungsprinzip beherrschten Welt. Sie verschiebt den Begriff der Ideologie von der Bezeichnung des Verblendungszusammenhangs auf alles, was diesen Verblendungszusammenhang durchbrechen könnte. Ist nicht schon der Begriff der diskursiven Vernunft ein Instrument des Verblendungszusammenhangs: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, weil sie durch diskursive Vernunft nicht bestimmbar ist, weil sie der Beweislogik sich entzieht. (Zu den Grenzen der Beweislogik vgl. Kants Aporien der reinen Vernunft.)
    – Es sollte nicht geleugnet werden, daß auch die memoria passionis instrumentalisierbar ist; nachzuweisen am Christentum, an der Opfertheologie und der damit systematisch verbundenen Orthodoxie (am Dogma und seiner Logik).
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht bleibt abstrakt, er verfällt der gleichen Logik, gegen die er sich wendet: Indem er das Problem von der sachlichen auf die Bekenntnisebene verschiebt, macht er aus einer Frage der Einsicht eine Bekenntnisfrage und gehorcht so der gleichen Bekenntnislogik, deren Folgen er kritisiert. So werden das reale Leiden, die Armut wie auch Unterdrückung und Verfolgung durch einen logischen Trick zum Verschwinden gebracht. Der prinzipielle Ideologieverdacht gründet in einem logischen Trick, der die Differenz zwischen der Realität des Leidens und ihrer Instrumentalisierbarkeit selber nochmal instrumentalisiert; dieser Logik zufolge wäre jedem Bettler zunächst einmal zu unterstellen, er habe hinter der nächsten Straßenecke seinen Mercedes stehen (soll er doch das Gegenteil beweisen).
    – Zu reflektieren wäre die Instrumentalisierung des Leidens (liegt hier nicht der Kern der christlichen Opfertheologie und eine der christlichen Wurzeln des Antisemitismus?), und das wäre allerdings in der Tat die Aufgabe einer Theologie nach Auschwitz (wie auch Johann Baptist Metz sie fordert).
    – Ein alltäglicher Ausdruck des „prinzipiellen Ideologieverdachts“ ist der Elternspruch: „Stell dich nicht so an“ (er unterstellt, der Schmerz sei nicht real, sondern nur ein Mittel, damit ein anderes Ziel zu erreichen).
    – Der „prinzipielle Ideologieverdacht“ wird gleichsam zur Schufa der Philosophie; er verringert das Risiko, selber zum Opfer eines Betrugs zu werden, das aber zu dem Preis, daß er das reale Leiden ins Dunkel rückt, es unsichtbar macht. Hier wäre ein Beleg für Metz‘ Hinweis auf die Gewalt des Markt-Apriori auch in der Philosophie.
    – Was hier ins Dunkel gerückt wird, ist schon in den Anfängen der Moderne an einer realprojektiven Verschiebung nachzuweisen: am Begriff des Wilden.
    – Die Diskurslogik hat die Erinnerung an die Theologie bloß abgeschafft, anstatt, wie Adorno einmal die Intention Benjamins zu umschreiben versucht hat, alle theologischen Gehalte restlos zu säkularisieren.
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht vermittelt das erhebende Gefühl, über der Sache zu stehen, ohne zu bemerken, daß er damit aus der Sache heraus ist. Er ist in Wahrheit ein Instrument des mitleidlosen Herrendenkens. Im sicheren Bewußtsein, daß dieser Beweis nicht zu führen ist, legt er den Opfern die Pflicht auf zu beweisen, daß sie Opfer sind. Auch so schafft man, wenn nicht eine reale heile Welt, so doch ihren allgegenwärtigen Schein.
    – Gehörte nicht die Sympathisantenjagd im Kontext des Terrorismus zu den manifesten Folgen des prinzipielle Ideologieverdachts: der Unfähigkeit, zwischen dem humanen Impuls der Empathie und ihrer politischen Instrumentalisierung zu unterscheiden? Ist nicht die Geschichte der (auf ihre juristischen Aspekte reduzierten) Auseinandersetzung mit der raf so unendlich mit den verhängnisvollen Folgen dieser Logik belastet (und hat nicht die raf selbst durch ihre Wendung zum Terrorismus diese Folgen mit zu verantworten)?
    Der Metz’sche Versuch, das Konzept einer anamnetischen Vernunft zu entfalten, ist – weiß Gott – nicht schon „gelungen“; er ist weiterhin entfaltungsfähig und -bedürftig. Es ist überhaupt keine Hilfe, diesen Versuch gleichsam apriori abzuwehren. Der prinzipielle Ideologieverdacht (der heute aus sehr tiefen gesellschaftlichen Gründen so nahe liegt, daß er fast durch Reflexion nicht mehr aufzulösen ist) wird zur Quelle der Paranoia, deren erstes Opfer – zusammen mit dem Antijudaismus, der innerkirchlichen Quelle des Antisemitismus – die kirchliche Theologie selber einmal geworden ist.
    In welcher Beziehung stehen die aufbrechenden Nationalismen und die Wendung zu fundamentalistischen Instrumentalisierungen der Religionen (auch dies ein Gegenstand einer politischen Theologie) zum derzeitigen Stand der Geschichte der politischen Ökonomie? (Ursprung der Einen Welt in der Geschichte des Marktes; Zerfall der Souveränität; Übergang von Regierung in Verwaltung, Abgabe von Regierungsaufgaben an die Verwaltung: Übergang der Souveränität an Institutionen wie Bundesverfassungsgericht, Bundesbank, EG, UNO, Weltbank und IWF.)
    Wiederkehr der kantischen Antinomien der reinen Vernunft in der Politik:
    – Die Verwaltung sprengt die Gewaltenteilung (durch Implosion): sie übernimmt zu den ihr obliegenden Aufgaben der Exekutive inzwischen auch die der Legislative und der Jurisdiktion – Angleichung von Rechtsprechung und Verwaltung; Verwaltung als Selbstorganisation des gesellschaftlichen Gewaltpotentials.
    – Verwischung der Grenzen von Innen- und Außenpolitik: Folgen für den Begriff der Gewalt (der nach innen anders definiert ist als nach außen): Läßt sich das Gewaltmonopol des (nationalen) Staates auf internationale Organe übertragen (vgl. den Golfkrieg und die Probleme der UN-Blauhelm-Truppen im Jugoslawienkonflikt).
    – Sonderstellung der Bundesbank und der Weltbank: Dekonstruktion des Prinzips der Gewaltenteilung; Teilhabe eines in der reinen Lehre nicht vorgesehenen Instituts an der Gewalt (an einer Quelle des Gewaltbegriffs: im Falle der Bundesbank im Bereich der Währungshoheit des Staates, der „Subjekt“-Länder; im Falle der Weltbank Eingriff in die Souveränität der „Objekt“-Staaten, der „Entwicklungsländer“).
    – Neonationalismen gründen in dieser Krise des Gewaltbegriffs; sie sind rational und irrational zugleich: Nation als transzendentales Subjekt in einer Welt, die zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr kennt.
    – Fortschreitende „Privatisierung“ staatlicher Aufgaben; Folge der Expansion der Marktlogik in den Bereich der Souveränität; Begriff des Neofeudalismus zu harmlos. Ausdruck der Strukturänderungen im Gewaltbegriff (im „Begriff“: in der Herrschaftslogik des Ganzen wie in der Depotenzierung des Bewußtseins).
    Sprache und Mathematik: Kant hat die Welt als mathematischen, die Natur als dynamischen Totalitätsbegriff definiert; spiegelt sich darin das Verhältnis von Mathematik und Sprache?
    Auffallend, daß Habermas Horkheimers Skrupel hinsichtlich der Neuauflage der Dialektik der Aufklärung als Ausdruck eines offenen Problems verdrängt, sie statt dessen als „Beweis“ dafür nimmt, daß die Dialektik der Aufklärung überholt sei. Er nutzt Horkheimers Skrupel als Mittel der Neutralisierung der Dialektik der Aufklärung anstatt als Impuls ihrer Weiterentwicklung.

  • 14.6.1995

    Die Blinden und die Lahmen: Gibt es nicht ein Erblinden und Erlahmen durch die Theologie?
    Hängt Joh 129 zusammen mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, und bezieht sich das in den Evangelien (Mt 33) auf Johannes bezogene Prophetenwort (Jes 403): „die Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet seine Straßen gerade“, auf die Johannes-Apokalypse?
    Gehört es nicht zum Begriff der Moderne, daß sie die „Wilden“ erfunden hat?
    Der Garant der transzendentalen Logik ist das transzendentale Subjekte, das die Distanz zum Objekt herstellt, durch die es in den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß verflochten ist: seine Einheit. Es ist kein Zufall, daß die Philosophie auf ihrer Spitze, in Hegels Logik und Staatsphilosophie, zur Selbstbegründung des Nationalismus geworden ist.
    Bezeichnet nicht der Name der Basilika den unter den Bedingungen des Hellenismus säkularisierten, auf den König anstatt auf den nationalen Gott bezogenen Tempel (die Handels-, Bank-, Gerichts- und Versammlungsstätte)?
    Die subjektiven Formen der Anschauung konstituieren das Objekt, und sie trennen den Namen, den sie zugleich depotenzieren, vom Begriff.
    Die Person ist der Statthalter des Namens unter den Bedingungen des Staates (des Rechts).
    Zu den Confessiones des Augustinus: Der Vater und die Geliebte bleiben namenlos, während die Mutter und der Sohn mit Namen genannt werden.
    Ich und Du: Im Deutschen wird zwischen Antlitz und Angesicht unterschieden. Worin liegt der Unterschied, und ist dieser Unterschied nicht in der deutschen Sprachlogik (in ihrer Verarbeitung der christlichen Tradition) begründet? Bezeichnet nicht das Antlitz das Entgegenblickende, das Angesicht das Angesehene?
    Zur Frage des Maimonides (ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal dagewesen ist) gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit: Es könnte sein, daß der, der am Ende kommen wird, das gleiche Gesicht haben wird wie der, der im Stall geboren und am Kreuze hingerichtet worden ist; aber werden wir ihn wiedererkennen? Vgl. hierzu Theodor Haeckers Bemerkung über die Evangelien, in denen das Aussehen Jesu nicht überliefert wird, und den Zusammenhang dieser Bemerkung mit der unmittelbar nachfolgenden Verwechslung des Israeliten mit dem Hebräer. Ist nicht die Ikonographie Jesu, sein in der Kunst überliefertes Aussehen, selber schon ein Produkt der Theologie hinter dem Rücken Gottes, und ist dieses Antlitz nicht schon Ausdruck des kirchlichen Antisemitismus?
    Was findet sich im Personalausweis und auf Fahndungsfotos: das Antlitz oder das Angesicht? (Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Kruzifix und dem Fahndungsfoto?)
    Politische Theologie leistet keinen Beitrag zur Institutionenlehre, zur Begründung der Organisation des Staates. Politische Theologie ist Herrschaftskritik.
    Der deutsche Schöpfungsbegriff hat die Welt insgesamt in den Kelch transponiert. Heideggers Dasein als In-der-Welt-Sein, Produkt des Vorlaufens in den Tod, ist der genaueste Ausdruck davon.
    Ist nicht Heideggers Eigentlichkeit ein letzter Nachhall von Hegels Bewußtsein der Freiheit, das selber schon den Hinweis darauf mit einschließt, daß hier das Subjekt zum Opfer seiner eigenen List der Vernunft geworden ist? Hegels Bewußtsein der Freiheit ist Ausdruck der tiefsten Verzweiflung, der Heidegger mit seinem Begriff der Eigentlichkeit noch einen positiven Sinn abzugewinnen versucht: den Sinn von Sein. Die Eigentlichkeit hängt mit dem Sinn von Sein auch insofern zusammen, als sie daran erinnert, daß die Subjektqualität an die Funktion des Urteilens gebunden ist, dessen Kern die Kopula, das Sein, ist. Aber Eigentlichkeit konstituiert sich nur, wenn zugleich verdrängt wird, daß der Urteilende das Urteil auch über sich selbst aufrichtet, selber zum Objekt des Urteils wird (Ableitung der Schicksalsidee aus der Urteilsform). Wenn Kants erhabene Nüchternheit gegen den ontologischen Gottesbeweis an der Differenz zwischen dem realen und einem bloß gedachten Vermögen festhält, so rührt Kant damit an die im Weltbegriff selber verankerte Beziehung des Infinitivs Sein zum Possessivpronomen der dritten Person singular, männlich, das ebenfalls durch das Wort „Sein“ ausgedrückt wird.
    Lassen sich nicht die Bemerkung aus der Dialektik der Aufklärung, daß „jedes Tier an ein abgründiges Unglück (erinnert), das in der Urzeit sich ereignet hat“, und der darauf bezogene Wunsch, „daß der Mensch, der durch Vergangenes mit ihm eins ist, den erlösenden Spruch findet und durch ihn das steinerne Herz der Unendlichkeit am Ende erweicht“ (Neupublikation 1969, S. 264), die ohnehin an prophetische Zusammenhänge erinnern, auf das apokalyptische Tier, auf die Kirche (das steinerne Herz der Welt) und auf das Wort vom Binden und Lösen beziehen?
    Wenn man sieht, daß ein Kind in den Brunnen fällt, bedarf es keiner Autorität, die einem sagt, was zu tun ist. Aber gibt es nicht auch den andern Fall, daß einer in den Abgrund geschaut hat, in den nicht mehr nur ein Kind fällt, dem vielmehr die Welt, die ihn aus sich selbst erzeugt, zurast: Sind die Konsequenzen dann nicht ebenso zwingend und spontan wie im Falle des Kindes und des Brunnens? Ist es dann nicht ebenso wichtig, die Mechanik dieses Vorgangs zu studieren in der absurden Hoffnung, vielleicht doch noch die Stelle zu finden, an der ein Eingreifen möglich ist?
    Die kopernikanische Wende hat die Voraussetzungen für den Kapitalismus geschaffen, sie hat den Weg freigemacht.
    „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.“ (Dialektik der Aufklärung, 1969, S. 19)

  • 10.6.1995

    Der christliche Fundamentalismus nimmt das Dogma wörtlich, der islamische den Koran. Beide sind unfähig zur Reflexion (zur Sprachreflexion).
    Der Ursprung des Bewußtseins (seine Trennung von der Wirklichkeit) hängt mit dem Ursprung der List und der Verstellung zusammen. Der Begriff der Welt bezeichnet ein System aus List und Verstellung.
    Leitfaden der Erinnerungsarbeit ist der Name.
    Geschichte ist Weltgeschichte, und die Geschichte vor der Geschichte ist Vorgeschichte. Die altorientalische Geschichte ist die Ursprungsgeschichte der Weltgeschichte (die Wasserscheide ist die Schrift).
    Die Trennung des Dings von der Sache bezeichnet einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Urteils. Die Beziehung von Ding und Sache wird in der Hegelschen Philosophie durch die Beziehung der Logik zur Geschichtsphilosophie repräsentiert.
    Hegels List der Vernunft bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, eigentlich das objektive Korrelat der Philosophie. (Was drückt darin sich aus, wenn nach aristotelischer Tradition der intellectus agens jenseits der Mondsphäre angesiedelt war?)
    Der Reni’sche Blick ist der Pfaffenblick, die geheuchelte Gottesfurcht (die Gottesfurcht für andere), wie sie in jüngster Zeit an Höffner und am Papst zu sehen war.
    Daß zuerst das Licht und erst danach die Leuchten am Firmament erschaffen wurden, verweist auf die Priorität des Worts vor den sprechenden Wesen. Hängt damit das Versprechen an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich sein wie die Sterne des Himmels, zusammen?
    Die Theologie hat die Logik der Welt in sich aufgesogen; dadurch ist sie zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Einfallstor der Welt, oder auch die Nabelschnur zur Welt, war der Bekenntnisbegriff.
    Warum ist es mir als Kind nie zum Bewußtsein gekommen, was es für die Familie Maashänser bedeuten mußte, daß Gerhard in Dachau war? War nicht die KZ-Haft von Gerhard für mich nur ein Abstraktum, etwas nicht Vorstellbares: Verfolgt wurde, und im KZ war für mich die Kirche (und Gerhard nur als Repräsentant der Kirche). – Hängt das nicht mit dem Paulinismus zusammen (auch Paulus hat – seinem eigenen Bewußtsein nach – nicht Stephanus, sondern die Gemeinde verfolgt und gesteinigt)? – Wäre ich in der Lage gewesen, die Sache auf Gerhard Maashänser zu beziehen, dann hätte ich auch den Antisemitismus damals anders erfahren. Der Katholizismus war eine Verkörperung des Begriffsrealismus, und der Thomismus nur eine Kompromißbildung, die es der Kirche erlaubt hat, den Nominalimus zu überwintern. Dieser Begriffsrealismus hat Auschwitz nicht überlebt. (Ist nicht die memoria passionis von Metz, wenn er sie wirklich begreift, der Ausbruch aus dem Begriffsrealismus?)
    Auschwitz ist auch ein Vorgang in der Geschichte der Philosophie. Die Dialektik der Aufklärung ist der Anfang des Bewußtseins davon.
    Hängt es nicht damit, daß die Kirche als Verkörperung des Begriffsrealismus sich begreifen läßt, zusammen, wenn die Beziehung der Theologie zu den Naturwissenschaften zentral geworden ist?

  • 15.5.1995

    Theologie ist die öffentliche Dimension des Gebets: Wäre das nicht der eigentliche Gegenstand des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“?
    Der Satz „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen“ läßt sich umkehren: Das Herz läßt sich definieren als das, was von Gott gesehen wird. Das Herz, als Ort der Barmherzigkeit, wird im Hebräischen mit dem Namen der Gebärmutter bezeichnet. Die Beziehung der Mutter zu dem Kind, das in ihrem Schoße heranwächst, ist das Realsymbol der Barmherzigkeit, nicht die bloße Gesinnung, auf die das Herz sich bezieht. Gründet hierin nicht das Wort, daß Gott den Propheten im Mutterleib beruft?
    Hängt nicht das „leer, gereinigt und geschmückt“ in dem Gleichnis von den sieben unreinen Geistern mit dem Anfang des Schöpfungsberichts zusammen: Die Erde aber war wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes brütend über den Wassern? Sind die sieben unreinen Geister der Widerruf der sieben Schöpfungstage?
    Der zweite Schöpfungsbericht durchkreuzt den ersten.
    Das Programm der Dialektik der Aufklärung ist heute von der Theologie aufzunehmen. Das wäre die einzige Möglichkeit der Begründung ihrer Legitimation nach Auschwitz.
    – Nach Auschwitz: die Erde wüst und leer;
    – nach der kopernikanischen Wende: Finsternis über dem Abgrund;
    – die Theologie: der Geist Gottes brütend über den Wassern.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Abgrund und die Finsternis darüber.
    Steckt in dem Präfix Er-, mit dem die Begriffe Erscheinung, Erfahrung, Erlebnis, Erfolg u.ä. gebildet sind, das Personalpronomen der dritten Person singular männlich, seine Sprachlogik, die verandernde Gewalt des Weltbegriffs, der Öffentlichkeit, des Neutrum wie auch des Staates, die auch der Trinitätslehre zugrundeliegt?
    Der Begriff der Erscheinung ist ebenso, wie er ein naturwissenschaftlicher Begriff ist, auch ein politischer Begriff: Jede Erscheinung ist auf Öffentlichkeit bezogen. Zu den Konstituentien der Öffentlichkeit gehören die subjektiven Formen der Anschauung (ebenso wie die Begriffe Natur und Welt). Die kopernikanische Wende hat (durch die Vorstellung des unendlichen Raumes) diesen Begriff der Öffentlichkeit begründet, der dann zur Grundlage und zum Motor des Säkularisationsprozesses geworden ist.
    Drückt nicht in der Konstitutierung der Öffentlichkeit und ihrer Trennung von der Privatsphäre die Trennung zweier Aspekte des Raumes: des Sehens vom Gesehenwerden sich aus: die Leugnung des Angesichts?
    Kritik des Bußsakraments oder die zweite Leugnung: Mythisch ist jede Form der Sündenvergebung, die nicht auch die Intention zur Versöhnung mit dem Opfer mit einschließt. Gibt es in der Kirche überhaupt noch einen Versöhnungsbegriff, der nicht von strategisch-taktischen Herrschaftsinteressen bestimmt ist? Hat die Kirche nicht ihre Vollmacht, Sünden zu vergeben, verspielt?

  • 11.5.1995

    Liebet eure Feinde: Das heißt nicht, daß wir sie als Feinde lieben sollen, sondern daß wir in der Feindschaft, in der eigenen wie auch in der des Feindes, den Bann der Vergangenheit (und darin den eigenen projektiven Anteil) erkennen.
    Die kopernikanische Wende war der Beginn und das gegentändliche Korrelat sowohl des bürgerlichen Autonomie-Konzepts als auch der Vergesellschaftung von Herrschaft: Seit der kopernikanischen Wende (die die Kritik des „Anthropomorphismus“ radikalisiert hat) gibt es kein wirksames Argument mehr gegen den Mord. (Spiegeln sich nicht im Verhalten der vom Kolonialismus Befreiten die Erfahrungen mit den ehemaligen Kolonialherren wider; wiederholen die befreiten Völker und ihre neuen Herren nicht wie unter einem Zwang das gleiche Verhalten, das ihnen zuvor von den europäischen Herren eingebläut worden ist?)
    Prophetie heißt nicht die Zukunft voraussagen (so wie ein Physiker das Ergebnis eines Experiments voraussagt). Die Zukunft, auf die die Prophetie sich bezieht, ist eine, die der prophetischen Erkenntnis nicht äußerlich ist; die Beziehung des Wissens zu seinem Objekt (das an der Beziehung zu Vergangenem sich orientiert) ist für die Prophetie kein Maßstab: Prophetische Erkenntnis sprengt die Grenzen des Wissens, indem sie vom Bann der Vergangenheit sich befreit, der auf dem Wissen liegt. An den Grund der Prophetie rührt die Bemerkung aus der Vorrede zur Dialektik der Aufklärung: „Nicht um die Konservierung der Vergangenheit, sondern um die Einlösung der vergangenen Hoffnung ist es zu tun“ (Neupublikation 1969, S. 5).

  • 9.5.1995

    Steckt nicht in dem Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“ (Neupublikation 1969, S. 19), die ganze Kritik des Inertialsystems und der Raumvorstellung? Die Distanz zum Objekt und die Beziehung des Herrn zum Beherrschten gründen in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Ist nicht, was bei Kant Erinnerung heißt, eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Planung?
    Sind die Planeten Instrumente zur Austarierung des Zeitkontinuums (und damit auch des Inertialsystems: des dreidimensionalen Raumes)?
    Das Menetekel: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden, ist ein frühes Symbol des Inertialsystems (und jeder Ästhetik): der Abstraktion von der Schwerkraft.
    Was haben Rind und Esel mit der Gravitation zu tun? Gibt es nicht auch eine astronomische Anwendung des Satzes vom Rind und Esel (auch ihrer Beziehung zum Opfer, zur Auslösung der Erstgeburt)? Sind nicht Sünde und Schuld die moralischen Äquivalente der Gravitation (und Objekt und Begriff Reflexe der Abstraktion von der Gravitation)?
    Ist die Technik der Esel und die Ökonomie das Rind? Und ist nicht die Beziehung von Technik und Ökonomie (von äußerer und innergesellschaftlicher Naturbeherrschung) ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Beziehung von Astronomie und Banken? Verweist nicht die Unterscheidung der Zentralbanken von den Geschäftsbanken und innerhalb der Geschäftsbanken die Unterscheidung von Depositen- und Kreditbanken auf den Grund der Dreidimensionalität des Raumes?
    Was bedeutet eigentlich der Spruch „quod licet Jovi non licet bovi“?
    War nicht die Astrologie so etwas wie das frühe Modell einer Regierung: mit Jupiter (Baal?) als Regierungschef, Mars (Nebu?) als Verteidigungsminister, Venus (Ischtar?) als Familienminister und Merkur als Handels- und Wirtschaftsminister; Saturn wäre dann der Finanzminister? Von den klassischen Ressorts fehlen (aus rekonstruierbaren Gründen) insbesondere der Außen- und der Justizminister.
    Und ist nicht die Musik das Echo des Seufzens der Kreatur, das am Ende seinen Wiederhall in den Posaunen des Gerichts und den sieben Donnern finden wird? (Haben die sieben Donner etwas mit dem Brüllen JHWHs zu tun, oder auch damit, daß der Himmel am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollen wird, und hängt es damit zusammen, daß ihre Botschaft nicht niedergeschrieben werden durfte?)
    Der übermächtige Rachetrieb im Nachkriegsdeutschland, der die Politik, das Recht, aber auch die privaten Verhältnisse durchsetzt, gründet in den Racheängsten nach Auschwitz. Die Kollektivscham hat die Kollektivschuld nicht aufgelöst, sondern stabilisiert und zugleich verdrängt. Durch Transformation in die Kollektivscham ist die Kollektivschuld unauflösbar geworden.
    Läßt sich nicht an dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ die Beziehung von Selbstreflektion und Vergegenständlichung sich demonstrieren. Was bei Aristoteles aus diesem Satz geworden ist, ist bereits ein Produkt der Veranderung der Thalesschen Intention.
    Den Positivismus aus dem Gesetz der doppelten Negation ableiten.
    Im Begriff des Notwendigen bezeichnet die Not eher das Subjekt als das Objekt des Wendens.
    Drückt nicht das Moment der Abwehr in der Habermasschen Philosophie aufs deutlichste in der Irrationalisierung der Mimesis (im Nachwort zur Neupublikation der Dialektik der Aufklärung) sich aus (hier prallt der Habermassche Gedanke von der Härte des unreflektierbar gewordenen Raumes ab)?
    Newtons Theorie des absoluten Raumes war darin begründet, daß die Drehung des Raumes um eine seiner Achsen zwar die Form des Raumes, nicht aber die Bewegungen in ihm, unberührt läßt. Das Relativitätsprinzip gilt nur für Translationsbewegungen (für geradlinig gleichförmige Bewegungen), nicht für Rotationen. Ein ruhender Körper in einem um eine seiner Achse rotierenden Raum läßt sich von der Kreisbewegung eines Objekts in einem ruhenden Raum durch das Auftreten von Zentrifugalkräften (in denen die Inertialkräfte sich manifestieren) unterscheiden. Reale kreisförmige Bewegung (wie die Planetenbewegungen im kopernikanischen System) sind in einem Inertialsystem nur möglich, wenn die Zentrifugalkräfte durch Gegenkräfte aufgehoben werden, die nicht auf Inertialkräfte sich zurückführen lassen (wie z.B. die Gravitationskräfte). Noch verwickelter werden die Probleme im Falle der Anwendung des Inertialsystems auf das Licht: Die Erscheinung der Fortpflanzung des Lichts im Raume zieht zwangsläufig (und keineswegs nur empirisch) den ganzen Formalismus der Elektrodynamik und der Mikrophysik (einschließlich des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Paradoxien der Mikrophysik) nach sich: Das Inertialsystem verwandelt die Welt in die Totalität dessen, was der Fall ist.

  • 3.5.1995

    Sind die subjektiven Formen der Anschauung nicht der konsequenteste Ausdruck der Verdrängung des Schreckens?
    – Der Drache ist das Subjekt der Natur, das es nicht gibt: der Inbegriff des Scheins und der Verblendung (die Verkörperung des Naturgrundes von Herrschaft),
    – das Tier aus dem Meer: der Inbegriff der politisch-ökonomischen Herrschaft (das Telos ihrer historischen Entfaltung) und
    – das Tier vom Lande (der falsche Prophet): Symbol der Bekenntnislogik (oder auch des Fundamentalismus).
    Max Horkheimer hat einmal darauf hingewiesen, daß die Ethik, insbesondere das Liebesgebot, außerhalb der Theologie sich nicht begründen lasse. Es wäre in der Tat streng nachweisbar, daß eine Welt, die endgültig vom theologischen Gedanken sich emanzipiert hat, eine Welt wäre, in der es nicht mehr aufs Handeln, sondern nur noch darauf ankommt, sich nicht erwischen zu lassen.
    Buße ohne Umkehr oder der Ursprung des steinernen Herzens: Ist nicht die Rechtfertigungslehre ein Versuch, die Gnade so zu definieren, daß die Barmherzigkeit vom realen Leiden in der Welt auf die Sündenvergebung verschoben und diese Sündenvergebung auch für die offengehalten wird, die selber nicht bereit sind zu vergeben?
    Sünde und Schuld verhalten sich wie Objekt und Begriff (oder auch wie Volk und Staat). Die Beziehung des Begriffs zum Objekt ist die eines Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs (Schuld macht die Sünde, indem sie sie vor aller Augen stellt, unsichtbar).

  • 30.4.1995

    Verhalten sich nicht Objekt und Begriff wie Angesicht und Name?
    Daß die Distanz zum Objekt (nach der Dialektik der Aufklärung) durch die Distanz vermittelt ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, gehört zu den Wurzeln des Weltbegriffs und verweist auf die vom Weltbegriff nicht abzulösende Herrschaftsstruktur. Im Erkenntnisapparat drückt sich das in den subjektiven Formen der Anschauung aus.
    Hic et nunc: Während die Unendlichkeit des Raumes ein Binneneffekt ist: ein in der über die Beziehungen der Punkte im Raum sich fortpflanzender Effekt der Struktur des Raumes (jeder Raumpunkt, jedes Hier, ist Ursprung des ganzen Raumes), ist die Vorstellung des Zeitkontinuums ein Außeneffekt: Sie bildet sich in der Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit, in einem Akt, in dem ich mich an das Ende einer an sich unendlichen Zeitreihe oder das (in der Zeit verschiebbare) Jetzt (und mit ihm die Vergangenheit) absolut setze, damit aber zugleich die Zukunft (ihre Differenz zur Vergangenheit) auslösche. Durch ihre Objektivation mache ich die Vergangenheit erst zur Vergangenheit, tilge ich die Erinnerung an die Auferstehung. Diesen Frevel sucht die Erinnerungsarbeit zu heilen. Diese Erinnerungsarbeit verhält sich zur Objektivation der Vergangenheit wie das Gericht der Barmherzigkeit zu seinem Objekt: zum gnadenlosen Weltgericht.
    Gegen die Objektivation der Geschichte (gegen das Gericht über die Vergangenheit) richtet sich der Satz: Mein ist die Rache, spricht der Herr.
    Im Inertialsystem erweist sich die wirkliche Funktion und Bedeutung der kantischen subjektiven Formen der Anschauung, die zum Inertialsystem erst dann sich verselbständigen (und zugleich ihre innere Logik freilegen), wenn die subjektiven Formen der Anschauung nicht mehr auf das eigene Anschauen, sondern auf das Anschauen der Andern, das in der eigenen sich spiegelt, bezogen werden: Jeder Raumpunkt, nicht nur der, an dem ich selber mich befinde (und dieser eigentlich erst durch Reflexion auf die Logik seiner Reproduktion außer mir), ist Ursprung des Inertialsystems. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Vergesellschaftung der Erfahrung und des Denkens im Subjekt, das Instrument der „Veranderung“, deren Produkt die Erscheinungen sind, die Kant dann auch von den Dingen, wie sie an sich selber sind, unteschieden hat. Die verkürzte Form der Logik, die das Reich der Erscheinungen organisiert (der Logik der Veranderung), drückt in den kantischen Totalitätsbegriffen, insbesondere in den Begriffen Natur und Welt, sich aus.
    Ist nicht die Spenglersche Sicht zu radikalisieren: Das „organische“ Wachsen der Kulturen ist kein pflanzenhaftes Wachsen (ist nicht in eine Folge von Kreisläufen einbezogen), sondern die Evolution und die Bildungsgeschichte des Tieres (vgl. Hegels Satz, daß „die Natur den Begriff nicht zu halten“ vermag und seine Begründung: Eigentlich dürfte es keine verschiedenen Arten geben, sondern innerhalb der Logik einer aus der Idee frei entlassenen Natur nur ein Tier).
    Die paulinische Gesetzeskritik gewinnt ihre ungeheure Bedeutung, wenn man sie aus dem antijudaistischen Kontext, in den die kirchliche Tradition sie versetzt hat, herauslöst und sie auf ihren Grund zurückführt: Das Gebot wird verfälscht, wenn man es zum Gesetz macht. Vgl. hierzu
    – Cohens und Levinas‘ Bemerkungen über die Attribute Gottes (die Cohen zufolge Atttribute des Handelns, nicht des Seins, sind, und nach Levinas im Imperativ, nicht in Indikativ stehen (der Satz: Gott ist barmherzig, bedeutet: sei auch du barmherzig),
    – Adornos „erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“ (der Ankläger – der „Widersacher“ – macht aus dem Gebot für mich ein Gesetz für alle: aus der Richtschnur des Handelns einen Maßstab des Urteils für andere),
    – Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar (und zum Vergleich Jer 3134),
    – das deuteronomistische Wort vom Rind und Esel (Joch und Last),
    – den Begriff der „Erbsünde“, der nicht auf die Sexuallust, sondern auf die Urteilslust (die das Gebot für mich in ein Gesetz für alle transformiert), zu beziehen ist,
    – den Begriff des Gesetzes selber, der die Sünde von der Tat auf das Urteil über die Tat verschiebt (von der Handlung aufs Erwischtwerden), und seine Funktion bei der Begründung des Rechts und der Selbstbegründung des Staats,
    – das projektive Erkenntniskonzept, den Objektivationsprozeß, die Begriffe Natur und Materie, den Weltbegriff, insgesamt auf den philosophischen Erkenntnisbegriff,
    bezieht. Hier erst wird die Gnadenlehre konkret.

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