Wird nicht die Theologie des Augustinus erst dann durchsichtig, wenn man sein Konzept aus dem Referenzsystem der bürgerlichen Konkurrenz und Selbsterhaltung herausnimmt und auf das Problem der objektiven Erlösung der Welt bezieht, oder: wenn man die Gottesfurcht mit hereinnimmt, dazu dann allerdings auch den letzten Satz des Buches Jona. Ist nicht die Untersuchung über die Gnadenlehre von 397 ein nur leicht entstellter Traktat über die Gottesfurcht (Ausgangspunkt, daß man sich der Gnade nicht rühmen darf, mit der besonderen Problematik, daß das Thema an einen Bereich rührt, der einer „objektiven“ Darstellung nicht fähig ist)?
Dämonische Züge gewinnt dieses augustinische Konzept aus den Prämissen, die eigentlich erst nach ihm sich durchgesetzt und verstärkt haben: aus dem Gemisch von Ohnmacht, Selbstmitleid, Konsumentenhaltung oder aus dem gleichen Grund, den Adorno einmal so zutreffend beschrieben hat: „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben in der Lage ist“. Dieser Habitus der Ohnmacht im Entscheidenden, der zusammenhängt mit der Enttäuschung der Parusieerwartung, die Martin Werner als eine der Ursachen des Dogmatisierungsprozesses nachgewiesen hat. Er rührt her aus der Welterfahrung unter den Prämissen des Römischen Reiches. Zu untersuchen wäre generell, in welcher Gestalt und auf welchen Wegen der Weltbegriff in die Theologie sich einschmuggelt und zu welchen Folgen in der Theologie das geführt hat. Es ist die gleiche Ohnmacht, die im Weltbegriff sich vergegenständlicht und der die gleiche minimale Verschiebung sich verdankt, die dann die christliche Sexualmoral begründet und geformt hat, und zwar im Kontext jenes Problems, das in Begriffen wie iustificatio (Rechtfertigung oder Gerechtmachung?) und confessio (Problem der Bekenntnislogik) sich anzeigt.
Am Ende wäre dann auch noch auf den postapokalyptischen Jonas zu verweisen, insbesondere auf den letzten Satzes des Buches Jona („Wie sollte ich mich nicht erbarmen …“). Und ist nicht in der Tat Jona die Kirche:
– die von Anfang an sich geweigert hat, ihren prophetischen Auftrag an Ninive, „die große Stadt“, anzunehmen,
– die nach Tarschisch fliehen wollte, ins Meer geworfen und vom Fisch gefressen wurde, in dessen Bauch sie ihren Lobgesang anstimmt, wieder ausgespien wird, nach erneutem Auftrag eine Tagesreise nach Ninive hereingeht und dort verkündet: „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“.
Und dann kommt die ganze Nachgeschichte, Gottes Erbarmen und der Hader Jona’s mit Gott, den Gott mit seinem Hinweis auf sein Erbarmen beendet.
Es geht beim Augustinus nicht um die Synthese von Gnade und Freiheit, und wer auf den manifesten Sinn der augustinischen Erörterungen sich einläßt, ist schon verloren.
Sind nicht die Erörterungen des Augustinus in erster Linie Erörterungen zum Problem der Gottesfurcht, und werden sie nicht zwangsläufig mißverstanden, wenn man sie unter dem Stichwort Gnadenlehre liest?
Das Problem des Augustinus scheint mir darin zu liegen, über das Nichtrühmen das „Richtet nicht …“ in die Gnadenlehre hereinzubringen.
Kommt nicht das Problem auch dadurch, daß A. ein typologisches mit einem historischen Problem (oder ein prophetisches mit einem philosophischen) verwechselt?
Die Ethik ist eine Richtschnur des Handelns; zu einem Element der Erkenntnis wird sie in dem Augenblick, in dem sie als Grund des moralischen Urteils nicht mehr verwendbar ist, d.h. wenn sie reflektiert und bewußt aufhört, Wertethik zu sein.
Ich bin zweimal beim Versuch, eine Dissertation zu schreiben, gescheitert:
– das erstemal an Max Schelers Wertethik, deren obszöne und blasphemische Strukturen herauszuarbeiten gewesen wären;
– das zweitemal an einer Arbeit über Hume, an dessen radikalem Empirismus ich die Probleme des kantischen und hegelschen Erkenntnisbegriff noch einmal aufarbeiten wollte (Zusammenhang von Ich-Identität und Dingbegriff).
An beiden bin ich gescheitert.
Hat dieser Begriff des Scheiterns etwas mit dem Scheiterhaufen zu tun? Jedenfalls verdanke ich es Karl Jaspers, wenn ich das Scheitern nicht nur als etwas Negatives erfahren habe, wenngleich ich den gleichen Horror vor der jasperschen Heroisierung des Scheiterns habe. Mir scheint es käme eher darauf an, eine Theorie des Feuers aus dem Begriff des Scheiterns zu entwickeln, in dem Sinne, in dem Franz von Baader einmal die hegelsche Philosophie das Autodafe der bisherigen Philosophie genannt hat.
Die Theorie des Feuers als Entfaltung einer Theorie der rettenden Kritik: Diese Theorie fände sich dann in der Theologie als Lehre vom Heiligen Geist wieder. Eines ihrer ersten Objekte wäre die verdinglichte Feuerlehre der vergangenen Theologie: die Lehre von der Hölle und vom Fegefeuer (vgl. Le Goff)
Erinnerung an Karl Kraus, an „Die letzten Tage der Menschheit“, in denen er das Wiener Cafehaus zugleich als Logenplatz des Weltuntergangs und Produktionsstätte der Phrase, die die Welt in Brand gesetzt hat, vor Augen führt. Dieses Cafehaus definiert letztmals die Grenze von Fegefeuer und Hölle und markiert genau ihren historischen Ort. Und sind nicht „Die letzten Tage der Menschheit“ die Probe aufs Exempel jener Stelle im Jakobusbrief, die von der menschlichen Zunge handelt, und sind diese Zungen nicht wieder ein Exempel für die Feuerzungen im Pfingstereignis der Apostelgeschichte? Dazu das Jesus-Wort „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“.
Die Logik des Schreckens ist die Logik des Bekenntnisbegriffes. Sie hängt zusammen mit der Beziehung von Lachen und Schrecken, und das wäre zu entfalten.
Das Bilderverbot richtet sich gegen die Trägheit des Vorstellens, somit auch gegen die Mathematik: Läßt sich deren Beziehung zur Sprache vielleicht einer Theorie des Feuers bestimmen?
Ursprung und Folgen der Sexualmoral: Verwechseln heut nicht alle den Kampf mit den Windmühlen mit dem Kampf gegen den Drachen?
Hume
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22.05.92
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27.01.92
Die kopernikanische Wendung hat das, was Adam Smith in der Ökonomie die „invisible hand“ genannt hat, in der Natur als eine Instanz etabliert, die sich dann bei Kant als das transzendentale Subjekt enthüllt.
Die auftrumpfende Bescheidenheit des deutschen Idealismus.
Ist ein „Kronzeuge“, der in den Händen eines vom Verfassungsschutz beauftragten Therapeuten war, überhaupt noch in der Lage, die Aufgabe eines Kronzeugen wahrzunehmen?
Das Verhältnis von Idee und Begriff hat Teil an dem Verhältnis von „Im Angesicht“ und „Hinter dem Rücken“. Nur durch seine Beziehung zu den Ideen gewinnt der Begriff seine benennende Kraft.
Das „liberum arbitrium“ ist Indiz für eine Gesellschaft, die rechts und links nicht mehr unterscheiden kann. Die Wahlfreiheit setzt Verhältnisse voraus, in denen ich frei wählen kann, ob ich ein Auto, einen Fernseher oder eine Waschmaschine kaufe; und er setzt ein Weltverständnis voraus, in dem ich mich im Raum frei nach allen Seiten wenden (und bewegen) kann, in dem die Freiheitsgrade des Raumes für mich (unter den Prämissen der Geldwirtschaft, und sei es der Schuldknechtschaft) real geworden sind. Das „liberum arbitrium“ hat sowohl die Geldwirtschaft als auch das Inertialsystem zur Voraussetzung.
Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele ist insoweit falsch, als sie die Vorstellung mit enthält, daß man für sich allein selig werden könne. Sie genetisch von der Hades-Vorstellung nicht zu trennen.
Mit jeder Häresie hat die Kirche auch ein Stück ihrer selbst verurteilt. Und jede Häresie war ein Hinweis auf ein Unaufgelöstes in der Kirche selbst, das sich dann mit der Verurteilung der Häresie auch verhärtet hat, unkenntlich gemacht wurde. Sofern es doch wahrgenommen wurde, blieb diese Wahrnehmung punktuell, folgenlos.
Gibt es außer im Buch Jona noch andere Schiffskatastrophen in der Schrift (außer bei Paulus auf dem Wege nach Rom).
Ist die Gottesknecht-Vorstellung nicht auch ein Hinweis auf den Charakter und die Bedeutung der „hebräischen“ Schrift?
„Das Heil kommt von den Juden“: das sagt Jesus zur Samariterin.
Hängt die „Erschaffung“ der Seetiere damit zusammen. daß nur der Vater den Tag und die Stunde kennt?
Die Mathematik und die Naturwissenschaften verhärten sich, bevor die Stimme das Ohr erreicht.
Der Begriff der Materie enthält die Erinnerung an die Geschichte des Mordes und der Opfer.
Nietzsches Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ ist die moderne (verinnerlichte) Variante des antiken Sternendienstes: Die Anbetung des sinnlosen Kreisens der Planeten. Es ist das Herrendenken, das zwangsläufig in den Götzen- und Sternendienst hineinführt, und in dessen Bannkreis kein Weg herausführt. Insofern gehören der Wille zur Macht und die Idee der ewigen Wiederkehr des Gleichen zusammen.
Es ist der ungeheure Anspruch des Christentums, daß durch das Leben und den Tod Jesu die Sünde der Welt hinweggenommen ist. Und es ist dieses Exkulpationsversprechen, dieses Versprechen, schuldfrei leben zu können, das die Menschen immer noch ans Christentum bindet. Aber der Grund und die Bedeutung dieses Versprechens wird durch die Theologie nicht mehr eingelöst. Es hat keinen rationalen Hintergrund mehr. Und das ist die Situation, in der die Drewermänner ihr Geschäft machen können.
Drewermanns Kirchenkritik ist nicht prophetisch, sondern wird durch die Struktur des Schuldverschubsystems bestimmt, das ohne Projektion nicht funktioniert.
Die Kirche hat ihr Herrschaftssystem u.a. dadurch begründet und etabliert, daß sie das Mitleid von den real Armen und Bedrängten auf sich selbst umgeleitet hat. Das war nur möglich im Rahmen und auf der Grundlage des Schuldverschubsystems. Sie hat damit in sich selber und in den Gläubigen den Keim des Selbstmitleids eingepflanzt. Ein Opfer dieses Selbstmitleids ist Drewermann, der diese Mechanismen phantastisch beherrscht und das für Psychotherapie hält. Ist nicht Drewermann Ausdruck einer Gefahr, die ihre Wurzeln nicht in ihm, sondern in der Kirche hat, und deren erstes Opfer selber ist?
Drewermann versucht die vermeintlich exkulpatorische Kraft des Bekenntnisses (die es erst durch die Annahme des Bekenntnisses seitens des Opfers wird) durch Privatisierung zu retten. Er hat etwas von einem Theologen der freien Marktwirtschaft (ein Ludwig Erhard der Kirche: auch sein Konzept war nur eine Währungsreform).
Gibt nicht Kohl der raf im Nachhinein recht, wenn er den ermordeten Rohwedder in die Tradition der Göringschen Treuhand-Gesellschaft stellt (übrigens der gleiche Kohl, der selber von jenem Herrn Ries gesponsert worden ist, der selbst ein Nutznießer der ersten Treuhand-Gesellschaft war).
Es kommt darauf an, die erkenntniskritische Tradition, die von Berkeley über Locke und Hume bis Kant und Ernst Mach die Naturwissenschaft kritisch begleitet hat, endlich auf den Punkt zu bringen, an dem sie greift.
Gibt es ein Konsens-Ideal ohne Feindbild? Ist der Konsens ein erstrebenswertes Ziel (sofern nicht die eigene wissenschaftliche Karriere davon abhängt)? Würde es nicht auch mit dazugehören, daß man begreift, daß es Fragen gibt, zu denen es keine konsensfähige Antwort gibt? Kant hat das reflektiert in seinen Antinomien der reinen Vernunft. Das Problem, das Kant hier angesprochen hat, ist eigentlich nie wirklich aufgearbeitet worden, auch von Hegel durch Harmonisierung eher verdrängt als gelöst worden. Die Hegelsche Verarbeitung war an den affirmativen Gebrauch der List gebunden („das Eine ist das Andere des Anderen“); genau damit hat Hegel das verbleibende kritische Moment neutralisiert.
Darin liegt die große Bedeutung des Begriffs der Gottesfurcht, daß er in die Lage versetzt und den Grund dafür liefert, daß auch Schuld Gegenstand der Reflexion ist, und daß auch Diskonsens auszuhalten und zu ertragen ist. Die Fragen, die die Kantischen Antinomien der reinen Vernunft aufwerfen, sind dann (z.B. hinsichtlich des Raumes zugunsten der Verstellung seiner unendlichen Ausdehnung) nach dem Prinzip Bequemlichkeit gelöst worden, nicht nach dem Anspruch der Vernunft. -
27.04.91
Jes 22f und Mi 41f auf das Bekenntnis und das verdinglichte Dogma anwenden. Beide sind in der Geschichte des Christentums zur Waffe geworden; an ihnen klebt Blut.
„Schwerter zu Pflugscharen“: d.h. Objektivierung durch Nachfolge ersetzen (Entkonfessionalisierung). „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen (den Acker bebauen).“ -Damit hängt auch Benjamins Wort über Rosenzweig zusammen, daß er es vermocht hat, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie seßhaft zu verwalten. Die Verwaltung ist das gegenständlich-politisch-gesellschaftliche Korrelat des Bekenntnisses. Es gibt keine Verwaltung ohne Bekenntnis, und kein Bekenntnis ohne Verwaltung (so wie keine Verwaltung ohne Hierarchie und keine Hierarchie ohne Verwaltung). Das erste kirchliche Verwaltungsamt ist das des Bischofs, des Aufsehers (des Hüters des Bekenntnisses: Heideggers Hirt des Seins ist ein spätes Echo davon).
Über den geschichtsphilosophischen Zusammenhang von Bekenntnis und Empörung, oder Empörung als Versuchung.
Woher stammt die Legende (und welche Bewandnis hat es mit ihr), daß Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sein soll?
Die Diakonie wäre das Wesen des Christentums, wenn die Interpretation von Elisabeth Moltmann-Wendel (unter Bezugnahme u.a. auf Schüssler-Fiorenza) zutreffen würde. Dann wäre das Dienen ein nicht mehr vom Herrendenken entstelltes und verhextes Dienen.
Gibt es eine Beziehung zwischen unserer Beziehung zur präzivilisatorischen Vergangenheit und unserer Beziehung zur Natur (ist die Grenze zur Vorgeschichte auch die zur Natur: der Ödipuskomplex)?
Der Schlüssel zum Lösen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und erscheint deshalb als unzugänglich; unterschätzt wird die Kraft der Erinnerungsarbeit, des Eingedenkens. Vgl. hierzu Ezechiel (Auferstehung). Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der Gnosis ein Teil der Lösung im Sinne von Mt 1618 (?) wäre. Hier, in der Auseinandersetzung mit der Gnosis hat die Kirche erstmals gebunden und nicht gelöst. Und diese erste Bindung hatte möglicherweise etwas von dem parvus error in principio (hat die Kirche nicht den gnostischen Demiurgen dann in der Tat zum Gott der Christen gemacht; oder hat die Gnosis nicht nur offen ausgesprochen, was unter den Händen der Kirche aus Gott geworden ist).
Nicht das Ergebnis des Säkularisationsprozesses ist falsch, sondern seine Interpretation. Hier wird die Humesche Tradition, die durch Kant nicht widerlegt, nur lokalisiert worden ist, wichtig.
Der säkularisierte Staat ist es erst wirklich, wenn er die Rechtfertigungszwänge abbaut, die insbesondere in den schuldbezogenen Institutionen wie die Justiz fortleben. In welcher Beziehung zum Bekenntnissyndrom steht die Institution des Bundespräsidenten (des säkularisierten Königs)?
Modell für die Verdoppelung ist das Sich-Verstecken Adams. Wo versteckt sich Adam? Haben die Bäume, unter denen er sich versteckt, etwas mit den Dornen und Disteln zu tun? Adam redet sich dann auf Eva heraus, Eva auf die Schlange; und was sagt die Schlange?
Geliebt wirst du einzig, wo du ohne Furcht dich schwach zeigen darfst (Adorno: Minima Moralia). Das hängt zusammen mit der Utopie eines Lebens ohne Rechtfertigungszwang. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen … Ohne Rechtfertigungszwang kann man nur leben, wenn man den Schein durchschaut, der anklagendem, richtenden Denken zugrundeliegt. Das Durchschauen dieses Scheins wäre das Ziel einer Kritik der Säkularisation, aber eine Kritik dieses Scheins ist nur in theologischem Zusammenhang möglich. Beweis: Eine Kapitalismus-Kritik, die die Prämissen des Kapitalismus, die Herrschaft des Tauschprinzips, nicht antastet, führt in schlimmere Dinge hinein als der Kapitalismus. – Die Gottesfurcht ist nichts anderes als der Grund der Freiheit vom Rechtfertigungszwang, und der Rechtfertigungszwang hat keine theologischen, sondern nur gesellschaftliche Gründe. Der Schein ist nur aufzulösen durch Auflösung des Schuldzusammenhangs, oder durch Auflösung des Schuldverschubsystems, der den Schuldzusammenhang konstituiert. D.h. er ist nur aufzulösen in Befolgung des Nachfolgegebots, des Gebots, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, der Arglosigkeit oder des Verzichts darauf, Selbstentlastung durch Projektion der Schuld zu erreichen.
Die Gnadenlosigkeit des Christentums ist eine Folge der Gnadenlehre.
Eindruck beim Lesen des Interviews mit Jehoshua Leibowitz: er scheint gelegentlich so zu antworten, daß er nur die Frage ad absurdum führt; das hängt dann mit der Qualität der Fragen zusammen. – Es scheint eine Beziehung zu geben zwischen seiner Kritik der Psychoanalyse und der Ablehnung des Christentums; unklar, ob ihm diese Beziehung selber bewußt ist. – Der Interviewer fragt gelegentlich wie ein beflissener Schüler; gibt es eigentlich einen Lehrer, der nicht darauf hereinfällt? Genau hierin drückt sich etwas vom prekären Verhältnis des Professors zur Öffentlichkeit aus, das mit einer gleichsam existentiellen Verunsicherung verbunden ist, die durch die Bestätigung durch Schüler gemildert wird (der Professor ist auch eine öffentliche Person, wie Schauspieler, Politiker, Huren, Journalisten: alle müssen über eine Schamgrenze sich hinwegsetzen).
Es scheint eine Querbeziehung zu geben zwischen der Konstitution von Wissenschaft, der Prostitution und der Hexenverfolgung. Die Hexenverfolgung scheint ein erster Ausdruck dessen zu sein, was Ralph Giordano die zweite Schuld genannt hat. An diesen (nicht ungefährlichen) Punkt rührt die Kritik des Bekenntnisses; sie könnte zum Auslöser der „verfolgenden Unschuld“ werden, die in der Konstruktion und Dynamik des instrumentalisierten Bekenntnisses, die heute fast nicht mehr zu umgehen ist, gründet. Der Hinweis auf die christlichen Ursprünge von Auschwitz – ein Komplex, zu dem J. Leibowitz auch den Marquardt zitiert – scheint hiermit zusammenzuhängen. An die gleiche Frage rührt der Satz, den Georg Büchner Danton in den Mund legt: „Was ist das, was in uns hurt, mordet, lügt, stiehlt …“
Galileis Blick durchs Fernrohr und der Habitus des Zuschauers: Es ist der Habitus des Zuschauers, der den ganzen Apparat von Schuld, Verdrängung und Projektion mit einschließt, absichert und stabilisiert. Hiermit hängt es zusammen, wenn Auschwitz nicht vergangen ist, sondern gegenwärtig in seinen Metastasen in der Dritten Welt fortlebt, wo in unserem Auftrag gehungert und gefoltert wird. Frage: Wann greift der Mechanismus wieder aufs Zentrum über?
Gibt es eine Beziehung zwischen den Mizwot und den evangelischen Räten?
Wie verhält es sich mit Bileam? (Bileams Esel, der Engel mit dem feurigen Schwert und dazu in der Apokalypse die Warnung davor, Bileams Lehre zu folgen – bezieht sich auf das der Bileam-Geschichte folgende Kapitel).
Der Feminismus (z.B. Christa Mulack) gibt gelegentlich zu sehr der Versuchung nach, historische Sachverhalte wie auch biblische Lehren moralisch anstatt strukturell zu interpretieren. Hier reproduziert er den Fehler, den er kritisiert. Hier tritt er patriarchales Erbe an. Der biblische Gottesname gilt für die erste Person, er liegt vor der Scheidung in männlich und weiblich. Er ist nicht in die dritte Person (in der es erst die Geschlechtertrennung gibt) übersetzbar. Und hier – so scheint mir – übersetzt auch Martin Buber falsch. -
20.12.90
Verführung durch den positiven Naturbegriff (das „Zurück zur Natur“ ist die Regression in die Barbarei): Vorstellung eines Grundes, auf dem alles aufruht, unzutreffend; das Widerständige, Böse ist nicht von außen in eine an sich heile Natur hereingekommen und kann deshalb durch menschliche Praxis, durch wissende Veränderung auch nicht eliminiert werden; die Vorstellung, daß die Welt danach wieder in Ordnung wäre, ist Ideologie. Völlige Veränderung der Perspektive, wenn begriffen wird, daß die Hypostasierung der Natur Produkt einer (paranoiden) Projektion ist (Humes Kritik der Kausalität und des Dingbegriffs sowie in seiner Nachfolge die positivistische Kritik der Äther- und Molekulartheorien wurden deshalb so wütend abgewehrt, weil sie an das dogmatische Selbstverständnis und das pathologisch gute Gewissen des wissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, an die Grundlagen des autoritären Charakters, nicht zuletzt des Antisemitismus, rührten). Heute hätte die Verdinglichungskritik ihr zentrales Objekt an der gesamten Mikrophysik, an der Abwehr aller Versuche, die mikrophysikalischen Strukturen aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit abzuleiten: Voraussetzung wäre die präzise Diskussion des mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit verbundenen Bewegungsbegriffs; das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit destruiert die Vorstellung eines mit Lichtgeschwindigkeit sich bewegenden Objekts; den mathematischen Strukturen angemessener wäre die mit einer Umkehrung des Richtungssinns verbundene Vorstellung einer Bewegung des Raumes, nicht des Objekts: Korrelat des Falls, der Vergängnis: diese Vorstellung löst auch die Rätsel des Quantenproblems.
Die Instrumentalisierung ist eins mit der Verdinglichung, der Austreibung der Sinnlichkeit; das gilt für die Dogmengeschichte wie für die Geschichte der Naturwissenschaften. Die christliche Sexualmoral ist die Grundlage für die Entrealisierung und Verdrängung der primären Sinnesqualitäten: Nicht zufällig erinnert der Empfindungsbegriff an den der sinnlichen Lust.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie