Wer die Nazizeit post festum nur verurteilt, aber sich weigert, seine Entstehungsbedingungen wirklich zu reflektieren, hat nichts begriffen.
Trauerarbeit, wie Alexander und Margarete Mitscherlich sie forderten, sollte helfen, die beim Ende des Faschismus zerbrochenen symbiotischen Beziehungen, die nur verdrängt worden sind, aufzuarbeiten. Die andere, sehr viel wichtigere Form der Trauerarbeit, die auf die Gemeinheitserfahrung im Faschismus und auf das darin gründende Verschwinden des Christentums sich bezieht, wäre noch zu leisten.
Die medienlogische Unterscheidung von Meinung und Information ist ebenso notwendig wie verhängnisvoll. Wenn alles, was nicht Information ist, zur Meinung wird, dann braucht’s auch die Meinung nicht mehr. Aber im Bann des Indikativs, in dem die Information gründet, wird alles, was nicht Information ist, zur Meinung.
Das Kelch-Symbol ist Ausdruck der Prävalenz der Vergangenheit über die Zukunft (genau das drückt sich in Getsemane aus). Dem entsprechen im Erkenntnisapparat die subjektiven Formen der Anschauung, die genau diese Funktion erfüllen. Insoweit steht das Kelch-Symbol in genauer Opposition zur Idee des Ewigen. Heideggers Begriff des In-der-Welt-Seins bezeichnet eine Kurzfassung oder eine Engführung der Funktion der subjektiven Formen der Anschauung, von denen im Begriff des Daseins nur das ins Passive, ins Objekthafte gewendete deiktische Moment erhalten bleibt (der Mensch ist etwas, worauf man zeigt). Ist nicht der Weltbegriff das Äquivalent des Kelchs (und dessen Inhalt der Inbegriff all dessen, was die Herrschenden konsumieren)?
Unzuchtsbecher: Das happy end des Kriminalromans ist die Überführung des Verbrechers. Ist nicht der Unzuchtsbecher die Erfolgslogik?
Der systematische Grund autoritärer Systeme liegt in einer Welt, in der niemand mehr weiß, was er tut, in der jeder einen Herrn braucht, der ihm sagt, was er zu tun hat.
Ist nicht die Physik heute weithin kontrafaktisch? Hinter den Erscheinungen sind die Erscheinungen selbst (Definition der Erscheinung). Die Weltraumforschung und die Großforschungsanlagen der Mikrophysik haben keinen anderen Zweck als den, das zu beweisen (zu beweisen, daß es hinter den Erscheinungen nichts gibt).
Schon die erste Gestalt der Physik, die Mechanik, war Metaphysik, ein Reich jenseits, hinter den sinnlichen Erscheinungen. Die Mechanik, Inbegriff der dritten Leugnung, hat das Opfer der Vernunft in der Objektivität, im Begriff der Realität selber, installiert. So hängt sie mit der Geschichte des Dogmas und mit der Opfertheologie zusammen. Zu Reflexion der Mechanik gehört aber die Reflexion auf die beiden Vorstufen des Objektivationsprozesses, auf die beiden ersten Leugnungen: auf die Geschichte der Hellenisierung und dann der Islamisierung der Theologie.
Sind das nicht die drei in die Theologie eingebauten Feindbilder:
– der Hellenismus leugnet den Vater,
– die Islamisierung den Sohn und
– die Aufklärung den Geist.
Die Trinitätslehre hat die Offenbarung in dieses Feindbild-Konstrukt mit aufgenommen. Der Objektivierungsprozeß, der in der Theologie entspringt, wiederholt zwangshaft die Verurteilung, die dem Kreuzestod zugrundeliegt.
Die Geschichte der drei Leugnungen beschreibt den Prozeß, in dem die Religion zur „Religion für andere“, in dem sie blasphemisch geworden ist.
War nicht der „jüdische Selbsthaß“, selber ein Produkt der Assimilation, ein Reflex des viel tiefer reichenden Selbsthasses, der die Geschichte des Christentums beherrscht? Dieser Selbsthaß definiert die Grenze zwischen den beiden Gestalten des Christentums, auf die Max Horkheimer einmal hingewiesen hat: Es gibt keine menschenfreundlichere Religion als das Christentum, aber es gibt auch keine Religion, in deren Namen solche Untaten begangen worden sind.
Theologie im Angesicht Gottes ist der Versuch, in der Erkenntnis Gottes den Bann des Selbsthasses zu brechen, unter dessen Herrschaft die Theologie hinter dem Rücken Gottes steht.
Islam
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24.9.1995
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4.9.1995
Empfindlichkeit verharrt im Leidensdruck, während Sensibilität die Reflexion auf das Leiden anderer, auf den Imperativ, der von diesem Leiden ausgeht, in sich mit aufnimmt. Diese Sensibilität ist Resultat einer Befreiung, die in der Reflexion von Herrschaft anhebt. Das Bekenntnis gewinnt im Angesicht Gottes (durch Selbstbefreiung von der Bekenntnislogik) eine andere Qualität: Es wird zur Verkörperung des Geistes. Hatte nicht die griechische Kirche recht, als sie darauf beharrte, daß der Geist vom Vater ausgeht? Und war das filioque der lateinischen Kirche, in der Konsequenz der homousia, der zweite Sündenfall der Orthodoxie? Es sei denn, die imago des Sohnes wird als Verkörperung der Wahrnehmung des Leidens anderer: als Inbegriff der Sensibilität, begriffen. Das aber setzt die Auflösung der verdinglichten Gestalt der Wahrnehmung des Leidens anderer im Kruzifix, das die Sensibilität blockiert, von den „geringsten meiner Brüder“ ablenkt und die Leidenswahrnehmung ausblendet, voraus. Das Kruzifix instrumentalisiert diese Blockade, diese Ablenkung, dieses Ausblenden: es ist ein Instrument des Herrendenkens. Gewinnt vor dem Hintergrund dieser Konstellation und im Kontext der Einbindung des Christentums in die Herrschaftsgeschichte nicht 1 Kor 1527f (Denn alles hat er seinen Füßen unterworfen … Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei) in Verbindung mit Ps 87 (… alles hast du ihm unter die Füße gelegt<: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels, die Fische des Meeres, was da die Pfade der Fluten durchzieht>) einen nachvollziehbaren Sinn: dann wird auch die hypostasierte „Trinität“ in eine Welt im Angesicht Gottes sich auflösen. Ist das Planetensystem das Instrument der Stabilisierung des Gewölbes, der Feste des Himmels? In einer Theorie des Feuers wäre zu klären, wie die Feuer im Namen des Himmels mit der Konstruktion der Verdrängungsmechanismen und ihrer Funktion im Kontext der Erkenntnis zusammenhängen. Himmel und Erde: Im Schöpfungsbericht „bringt“ die Erde die Pflanzen und Tiere „hervor“, der Mensch ist aus dem Lehm der Erde gemacht, während die Feste (die dann Himmel genannt wird) die oberen von den unteren Wassern trennt. Dafür gibt es die Sterne des Himmels, die Vögel des Himmels und die Himmelsheere. Gotteserkenntnis ist in seinem Kern politisch: sie schließt die Reflexion von Herrschaft (die der Gotteserkenntnis den Weg versperrt) mit ein. Gotteserkenntnis, wenn sie ihren imperativen Kern begreift, ist der Grund der Autonomie. „Mein Gott“: Die Bekenntnislogik hängt mit dem Geschwätz, und beide hängen mit dem Gottesgejohle zusammen. Das Bekenntnis rückt Gott in eine Possessivbeziehung zum Gläubigen (es ist das Gegenteil, der Widerpart, der Heiligung des Gottesnamens), das Geschwätz („mein Gott, was hast du denn da schon wieder angestellt?“) ist die Einübung dieser Possessivbeziehung und das Gottesgejohle die Drohung gegen jeden, der sich dem nicht anpaßt. Das „mein Gott“ ist das blasphemische Instrument der Vergesellschaftung des Herrendenkens durch Religion. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen (Mt 2746, Ps 222): Ist diese Verlassenheit nicht eine sprachlogische Folge des Possessivpronomens? Das Bekenntnis ist (bis hin zu den Skinheads) ein Ausdruck der Gottverlassenheit. Ist nicht das Bekenntnis der Greuel am heiligen Ort? Das deutsche Wort Besessenheit (griechisch: daimonizomenos, echontos pneumata akatharta) erinnert nicht zufällig an den Besitz. Besitz ist eine Reflexionskategorie: Man ist besessen von dem, was man besitzt. Drückt in der Besessenheit (im Namen der Dämonen, der unreinen Geister) nicht ein objektiver, in die Geschichte des Tauschprinzips fallender Sachverhalt sich aus: der Ursprung und die individuelle Verkörperung der Herrschaft der Reflexionsbegriffe, der Ursprung des Weltbegriffs? Dann aber wäre das Bekenntnis, das den Glauben zu einem Possessivum macht, die genaueste logische Form der Besessenheit. Steckt darin nicht die Lösung des Problems des Dämonenglaubens in den Evangelien (der kein Dämonenglauben war, den hat erst der Islam hervorgebracht) und der Gechichte von den sieben unreinen Geistern? NB: Mt 424 bringt die Besessenen mit Mondsüchtigen (und mit Gelähmten) zusammen. Mt 1715 definiert einen Mondsüchtigen als einen, der „oft ins Feuer und oft ins Wasser“ fällt (nach Mk 917 handelte es sich um einen „stummen Geist“); die Jünger konnten ihn „wegen ihres Kleinglaubens“ nicht heilen (vgl. den „Kleinglauben“ an den anderen Stellen des Matthäus-Evangeliums: 630, 826, 1431, 168, 1720, sowie Lk 1228 – entspr. Mt 630). Besessenheit und Lachen (Jesus hat nicht gelacht, aber die Dämonen ausgetrieben): Das Lachen ist die reinste Form des Hinter dem Rücken, das Auslachen löscht den Geist (das Dogma lacht die Wahrheit aus). Wer in der Gegenwart eines andern über ihn redet, ohne ihn in das Gespräch mit einzubeziehen (so wie die Theologie über Gott „redet“), lacht ihn aus (macht ihn tendentiell autistisch). Orthogonalität und Trägheit (Maria Magdalena wurde von den sieben unreinen Geistern befreit): In der Form des Raumes lacht jede Richtung die Gegenrichtung und jede Dimension die andere aus, in der Vorstellung des Zeitkontinuums lacht die Vergangenheit die Zukunft aus, und im Inertialsystem lacht das System die Dinge aus. Die Ontologie lacht sich selbst aus: Dieses Auslachen begründet das Bewußtsein der Eigentlichkeit (den Schein der Unschuld im Kern der faschistischen Selbstzerstörung der Moral, der im realitätsverleugnenden Bewußtsein der „heilen Welt“ überlebt; war die Eigentlichkeit Produkt einer Entscheidung, ein dezisionistischer Akt, so bedarf das Bild der heilen Welt der ständigen Erneuerung und Reproduktion: hier liegt der seins- und sprachlogische Grund des Fernsehens – gegenständliches Korrelat der heideggerschen Entschlossenheit). Was etwas „eigentlich“ ist, ist das, was es dem Begriffe nach ist, aber der Begriff ist ambivalent: Deshalb gibt es keine Eigentlichkeit ohne die Diffamierung des Uneigentlichen, das eigentlich identisch ist mit dem Eigentlichen, als Schein. Das Eigentliche ist das Wahre und Echte (das Wahre ist nach Hegel „der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“). Das Eigentliche und Echte ist das Ungeheuchelte, das Nicht-Pharisäische. So hängt der Begriff der Eigentlichkeit mit dem Antijudaismus, der Tradition der Diskriminierung der Pharisäer, zusammen. Eigentlichkeit ist die Narbe an der Stelle der verdrängten Reflexionsfähigkeit, der zerstörten Sensibilität. Eigentlichkeit ist der blinde Fleck der Philosophie. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist der Grund des Mythos, der Ästhetik und der Herrschaftslogik. Hierauf (auf die Umkehr-Beziehung von Sehen und Hören) bezieht sich das biblische Bilderverbot. Die Metastasen der Eigentlichkeit leben fort in der Moral der Polizei und des Militärs (Zusammenhang von Uniform und Folter). Nur die Symbole des Staates lassen sich verunglimpfen: Gegenstand der Verunglimpfung ist das Eigentliche. Im Stern der Erlösung kommt das Purim-Fest nicht vor. Ihr seid das Licht der Welt: Die Prophetie ist das Licht im blinden Fleck der Philosophie (des Weltbegriffs). „Kultur für alle“: Wer die Religionen als kulturelles Erbe begreift und sie konservieren möchte, möchte sie ins religionshistorische Museum (dem historischen Pendant des naturwissenschaftlichen Labors) einsperren. Er blendet genau das aus, was die Religionen ihrer Substanz beraubt und zu einem Teil des Kulturerbes gemacht hat: die Gewalt des alles durchdringenden Wertgesetzes. Religionen sind Formen der Besessenheit und zugleich Denkmäler der Geschichte der politischen Kosmologie; die Kritik der politischen Ökonomie ist ein Teil der Kritik dieser Geschichte. Konservierte Religionen sind (wie die konservierte Kultur insgesamt) fürs Bestehende ungefährlich; die Mauern der Museen sind ein sicherer Schutz.
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23.8.1995
Wenn der Bann (gegen Amalek oder die Kanaaniter) gegen die ökonomische Motivation, gegen das Beutemachen, sich richtet, dann schließt er auch den Erwerb von Sklaven durch Kriege aus: dann ist er gegen den Ursprung des Handels gerichtet (gegen „Kanaan“ auch in diesem Sinne). Ausgeschlossen sind somit alle Formen der Razzia (Überfälle, die zum Zweck des Beutemachens geführt werden).
Das Barock hat das System Achaschwerosch (den demonstrativen Pomp als Quelle des Sexismus und des Antisemitismus) auf der Stufe des Feudalsystems vergesellschaft. Heute hat diese Vergesellschaftung alle erreicht: als Faschismus.
Wann taucht der Name des Volkes (der als Plural sich konstituiert) erstmals in der Schrift auf? Und erscheint er nicht jedesmal in der Konstellation „Völker, Stämme, Nationen, Sprachen“, insbesondere bei Daniel (bzw. in der Apokalypse, zuvor aber schon vollständig in Gen 10/11, dann in Ansätzen bei Esth, Jes, Ez)?
Ist nicht der Name des „auserwählten Volkes“ ein Name, der den nationalen (= indikativischen) Mißbrauch grundsätzlich (schon aus sprachlogischen Gründen, die mit der Beziehung des Gottesnamens zur Sprache, zu ihrer Namenskraft, zusammenhängt) ausschließen sollte? Hinweis: Das Subjekt der Psalmen ist keine Privatperson, sondern (das etwa in Davids Königtum sich verkörpernde) Israel.
Geschichtsphilosophie des Volkes: Stämme sind Lebensgemeinschaften, Völker Schicksalsgemeinschaften, Reflex des Ursprungs und der Geschichte des Weltbegriffs. Der Name des Volks entspringt gemeinsam mit der Institution des Königtums. Der Name des Volkes gründet in herrschaftsgeschichtlichem Kontext.
Hängen nicht Struktur und Funktion des Islam damit zusammen, daß hier der „Übergang“ in die Welt vermieden, die „Sünde der Welt“: der Prozeß der Individuation, nicht vollzogen wurde. So konnte der Bann der Stammesgesellschaft nicht gebrochen werden. Der Islam ist der (mißlungene) Versuch, in einem „vorweltlichen“ Unschuldszustand zu verharren. Deshalb ist der Übergang in den Säkularisationsprozeß so schwierig (und deshalb hat der Islam diese Anziehungskraft für Völker, die dem Eintritt in die säkularisierte Welt sich widersetzen).
Gibt es im Islam die Institution des Königs? Und ist nicht die Prophetie – als deren Widerpart – an diese Institution gebunden? Ohne die Institution des Königs verändert sich auch die Prophetie, und zwar sowohl im Islam (mit Muhammed, der nur noch der Sekretär eines Gottes ist, der seinen Koran selber schreibt) wie auch im Christentum. Auch Jesus war ein Prophet, aber einer, der nicht mehr den König, sondern den Caesar als Objekt hat, und deshalb mit den Insignien eines zur Schande, zum Spott gewordenen Königs (Dornenkrone, „Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum“) ans Kreuz geschlagen wurde.
Die Reflexion der Grammatik hat die Spuren der Herrschaftsgeschichte in der Sprache zum Gegenstand.
Kruzifix-Urteil: Als Instrument der Rechtfertigung ist das Bekenntnis zynisch: die Verharmlosung einer tödlichen Waffe (und die Verdrängung des Bewußtseins seiner Außenwirkung).
Der „Mut zur Bürgerlichkeit“ (Odo Marquard in der FR vom 22.8.95) erinnert nicht zufällig an den „Mut zur Erziehung“; zu fordern wäre, diesen Mutbegriff endlich einmal zu reflektieren. Dieser Mut ist Ausdruck der Feigheit, die dem, was ohnehin alle denken, nicht mehr entgegen zu treten wagt. Dieser Mut erinnert an die faschistoiden Mutproben von peer-groups, an die gemeinschaftsstiftende Kraft z.B. von Grabschändungen (die auf einen ähnlichen gruppendynamischen Hintergrund zurückweisen), oder an einen soldatischen Mut, der nur zu feige ist, den mörderischen Handlungen, an denen er teilzunehmen sich gezwungen sieht, sich zu widersetzen (und sein Gewissen, den „inneren Schweinehund“, durch die Vorstellung der Ehre übertäubt). Es sollte eigentlich eine Warnung sein, daß der faschistische Mut, der aus dieser Konstellation erwachsen ist, seit je an den Schwächsten (an Juden, Frauen, Ausländern, Behinderten) sich abreagierte (und heute wieder abreagiert). Der Mut gehört zur Bekenntnislogik, diese aber ist ein Produkt des Herrendenkens, das von seinem theologischen Ursprung sich emanzipiert hat. Und der „Bürger“, auch wenn er heute kein „Untertan“ mehr ist, ist längst zur Parodie der hegelschen Dialektik von Herr und Knecht geworden: die reinste Verkörperung einer Knechtsgesinnung, die ihren eigenen Herrn noch überlebt und darin den Grund seines Herrendenkens findet.
Läßt sich bei Jeremias (oder überhaupt bei den „großen“ Propheten) nicht die Konstellation, der der Übergang vom Namen der Hebräer zu dem Juden sich verdankt, rekonstruieren? Ich denke an die Beziehung des Satzes „Bete nicht mehr für dieses Volk“ zu dem anderen „Bete für das Wohl der Stadt“ (zusammen mit einigen anderen Motiven, die genau zur Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs und deren Zusammenhang mit der „babylonischen Gefangenschaft“ paßt)? – Dazu gehören das „Grauen um und um“, der Gottesknecht des Deuterojesaia, die Visionen des Ezechiel.
Differenz im Begriff des Daseins: Bei Heidegger bezeichnet er das reine deiktische Moment des Draußen (der Geworfenheit), während er im Gottesnamen in der buber-Rosenzweigschen Bibel-Übersetzung das Bei-uns-Sein Gottes bezeichnet, Seine Barmherzigkeit. Der Name der Barmherzigkeit ist nichts, ist wesenlos und gegenstandslos ohne die Idee der Heiligung des Gottesnamens. Heiligung des Gottesnamens, das heißt: das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.
Wird nicht der Glaube im Angesicht Gottes aus seiner Beziehung zum Wissen (die ihn verhext) herausgelöst und zum Vertrauen?
Macht die Rechtfertigungslehre seit Luther nicht einen unzulässigen Gebrauch von dem Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (und gilt dieser Satz nicht im Kern schon fürs Dogma, insbesondere für die Trinitätslehre)?
Handelt es sich bei dem Himmel, der am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollt, um das Werk des zweiten Tags: das Gewölbe, die Feste des Himmels? Und erscheint darin nicht das Jüngste Gericht (in dem jeder sich selbst wiedererkennt), das aufgedeckte Angesicht, der geheiligte Name Gottes, das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht?
Zum Unterschied zwischen Himmel- und Gottesreich: Gebunden und gelöst wird (so wie zuvor auf Erden) im Himmel, nicht „in Gott“.
Darin, daß das Licht vor den Leuchten erschaffen wurde, liegt die biblische Begründung der Kritik der Verdinglichung. -
29.6.1995
Umfeld des Begriffs der Wahrheit: wahr, wahrnehmen, bewahren (aufbewahren), bewähren, Währung. Die moderne Definition des Begriffs der Wahrheit (Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand) bindet die Wahrheit an den Begriff des Wissens, an die Urteilsform, an die getrennte Existenz der Außenwelt.
Zur Konstituierung der Außenwelt: Das Problem wird erkennbar im Rückgriff auf das der Konstituierung der Mathematik, die einem Abstraktionsakt sich verdankt, in dem das Subjekt von sich selbst abstrahiert. Der gleiche Abstraktionsprozeß liegt dem Begriff und der Vorstellung einer vom Subjekt unabhägigen Außenwelt zugrunde. Ist nicht die mathematische Abstraktion eine doppelte? Vgl. die „ägyptische“ Geometrie und die „babylonische“ Algebra , die übrigens schon die „Zahl“ 0 enthielt, die die Griechen wieder vergessen mußten, und die über Indien und die Araber (den Islam) erst im Mittelalter nach Europa gekommen ist. Dieser Unterscheidung (von Geometrie und Algebra) liegt die Logik der Innen-Außen-Trennung zugrunde. Und hat nicht auch das Wissen einen doppelten Gegenstand: die Geschichte und die Natur?
Die Sänger im jüdischen Tempel waren kein Kirchenchor, sondern repräsentierten die orale Tradition der Schrift. In welcher Beziehung standen sie zu den späteren „Schreibern“?
„Auf der Flucht erschossen“: Von wem werden die Jogger gejagt? Werden sie nicht von ihren Problemen verfolgt, und am Ende sind nicht ihre Probleme, sondern sie selbst weg?
Jogging ist ein Politiker-, ein Präsidentensport. Erinnert es nicht an die Theorie, daß das Königtum aus dem Opfer hervorgegangen ist?
„To be or not to be“ ist nicht gleichbedeutend mit „Sein oder Nichtsein“, eher schon mit „zu sein oder nicht zu sein“. Die Differenz verweist auf den imperativen Charakter des Infinitivs und auf die Beziehung von Indikativ und Imperativ, auf das Problem des Namens: Der Nominalismus, der den Namen in Schall und Rauch verwandelt, entspringt mit der Trennung von Indikativ und Imperativ (mit dem Ursprung des Objektbegriffs); er gründet in der Entfernung des Imperativs aus dem Namen, seiner Übersetzung in den Indikativ.
Die ontologische Rückverwandlung des Indikativs in einen Imperativ, die dem Naturbegriff zugrunde liegt, (die Rückverwandlung des Handelns in ein naturhaftes, subjektloses Geschehen, auf das das Subjekt keinen Einfluß mehr hat, das ohne sein Zutun sich vollzieht, dem es bloß zuschaut, an dem es „unschuldig“ ist, m.e.W. die Rückverwandlung des Handelns in den Vollzug der Seinshörigkeit, des blinden Gehorsams) ist faschistisch.
Bei Hegel ist das Subjekt, als welches die Substanz der Welt in ihrer logischen Explikation sich erweist, der Staat, bei Heidegger, bei dem diese Explikation zum fundamentalontologischen kurzen Prozeß des Seins verkommt, das Volk.
Joh 129, oder die Opfertheologie und das Nachfolgegebot: Die Differenz zwischen Ontologie und Ethik als prima philosophia ist die Differenz zwischen einem Weltgeschehen, das ohne mein Zutun sich vollzieht, dem ich als unschuldiger Zuschauer bloß beiwohne, und einer Welt, in der das Leiden, das sie produziert, in die Verantwortung aller fällt. Hier liegt der Grund der Gottesfurcht, die der Anfang der Weisheit ist. Der Fluchtpunkt der christlichen Furcht vor der Gottesfurcht war die Opfertheologie, die Neutralisierung und Instrumentalisierung des Kreuzestodes.
Nach der jüdischen Tradition werden Sünden wider den Nächsten am Versöhnungstag nicht vergeben, nur Sünden gegen Gott. Der Weltbegriff hat die Sünde wider den Nächsten in sich mit aufgenommen und so universalisiert: Hierauf bezieht sich die neutestamentliche „Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann“. Die Sünde der Welt in Joh 129 ist der im Weltbegriff verkörperte Inbegriff der Sünde wider den Nächsten, die auch nach jüdischer Tradition durch Gott nicht vergeben werden kann (sondern nur durch Versöhnung mit dem Nächsten). Diese Sünde hat das Lamm Gottes nicht hinweg-, sondern auf sich genommen. Damit aber verschiebt sich ihr theologischer Sinn von der Opfertheologie ins Nachfolgegebot.
Steckt nicht die ganze Theologie in der sprachlogischen Beziehung von Imperativ und Indikativ?
Der Kelch ist das Symbol der Schrift, deren logische Grundlage sind die subjektiven Formen der Anschauung, die Grammatik ist das Produkt ihrer „organischen“ Ausgestaltung. Deshalb ist die „Erfüllung“ der Schrift von der des Wortes zu unterscheiden: Diese ist durch Umkehr auf jene bezogen. Die Schrift ist logozentrisch, das Wort wird erfüllt in der Heiligung des Gottesnamens. -
24.6.1995
Auch Micha Brumlik verwechselt das Ewige mit dem Überzeitlichen (und damit den Staat mit Gott), wenn er mit Plato die „Ewigkeit“ von Schrift und Bild gegen das flüchtige Wort ausspielt und die Unterscheidung von Philosophie und Prophetie anhand der Unterscheidung von Sehen und Hören als Klischee bezeichnet.
Was Adorno Verdinglichung nannte, ist durch die Logik der Schrift vermittelt (wie die Kritik der Verdinglichung durch die Fähigkeit, mit den Ohren zu denken).
Es ist kein Zufall, daß die Universitäten, die die Logik der Schrift nicht nur zur Grundlage der Wissenschaften, sondern über Recht und Theologie auch des Staates und der Kirche gemacht haben, in der Auseinandersetzung mit dem Islam entstanden sind.
Auch ein Beitrag zur Apokalypse: Ein Jogger mit einem T-Shirt, das hinten den Aufdruck trägt: Neue Welle, neues Erlebnis, neues Gefühl.
Definitionen des Jogging: Sie laufen nicht, sondern sie werden gelaufen, sie sind in der Regel passionierte Werbeträger. Jogging: Produkt der Vergesellschaftung des Sports (verinnerlichte Einheit von Verein, Sportler und Schiedsrichter); individualisiertes Gemeinschaftserlebnis mit eingebauter Bekenntnislogik.
Die Idee der Sündenvergebung schließt als Intention die der Änderung des Vergangenen mit ein.
Gründet die „Autorität der Leidenden“ nicht in der Geschichte und im Symbol des brennenden Dornbuschs?
Der Satz: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun, enthält einen prophetischen Bezug zum Ursprung, zur Geschichte und zur Realität der Verwaltung.
War nicht das scholastische supranaturalis die Übersetzung der Metaphysik ins Adjektivische?
Der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, verweist auf eine reflektierte Form des Begriffs des Absoluten, er reflektiert das Moment der Asymmetrie in der Idee des Absoluten; der Begriff des Absoluten ist kein universaler Begriff: Das Absolute für mich ist nicht zugleich auch ein Absolutes für andere. Die Unterscheidung von Rind und Esel gilt auch für die Idee des Absoluten. Auschwitz ist die Konsequenz einer Logik, die Last abwirft und sie zum Joch für andere macht. Lassen sich aus dieser Konstellation nicht die Regeln der israelitischen Opfertradition (das Opfer als Auslösung der Erstgeburt), die symbolische Bedeutung von Lamm und Taube, sowie die Differenz zwischen Stier-Opfer und Stier-Kult ableiten?
Die Bekenntnislogik ist eine Konsequenz aus der Logik der Verdinglichung und Instrumentalisierung. Die Differenz zwischen dem, was etwas an sich, und dem, was es für andere ist: die Differenz zwischen Esel und Rind, Last und Joch, ist unaufhebbar. Totalitätsbegriffe entspringen dort, wo das Produkt der Instrumentalisierung zum An-sich geworden ist, wenn man den Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ zugunsten des Andersseins auflöst, die Erinnerung an das Eine verdrängt (bei gleichzeitiger Übertretung des Deuteronomium-Verbots, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen). Hegel ist diese Auflösung nur unter Zuhilfenahme der List der Vernunft und um den Preis der Aufnahme des Scheins in die Idee der Wahrheit gelungen.
Am Islam lassen die Wurzeln des Fundamentalismus sich erkennen, am Christentum die Früchte. -
10.6.1995
Der christliche Fundamentalismus nimmt das Dogma wörtlich, der islamische den Koran. Beide sind unfähig zur Reflexion (zur Sprachreflexion).
Der Ursprung des Bewußtseins (seine Trennung von der Wirklichkeit) hängt mit dem Ursprung der List und der Verstellung zusammen. Der Begriff der Welt bezeichnet ein System aus List und Verstellung.
Leitfaden der Erinnerungsarbeit ist der Name.
Geschichte ist Weltgeschichte, und die Geschichte vor der Geschichte ist Vorgeschichte. Die altorientalische Geschichte ist die Ursprungsgeschichte der Weltgeschichte (die Wasserscheide ist die Schrift).
Die Trennung des Dings von der Sache bezeichnet einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Urteils. Die Beziehung von Ding und Sache wird in der Hegelschen Philosophie durch die Beziehung der Logik zur Geschichtsphilosophie repräsentiert.
Hegels List der Vernunft bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, eigentlich das objektive Korrelat der Philosophie. (Was drückt darin sich aus, wenn nach aristotelischer Tradition der intellectus agens jenseits der Mondsphäre angesiedelt war?)
Der Reni’sche Blick ist der Pfaffenblick, die geheuchelte Gottesfurcht (die Gottesfurcht für andere), wie sie in jüngster Zeit an Höffner und am Papst zu sehen war.
Daß zuerst das Licht und erst danach die Leuchten am Firmament erschaffen wurden, verweist auf die Priorität des Worts vor den sprechenden Wesen. Hängt damit das Versprechen an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich sein wie die Sterne des Himmels, zusammen?
Die Theologie hat die Logik der Welt in sich aufgesogen; dadurch ist sie zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Einfallstor der Welt, oder auch die Nabelschnur zur Welt, war der Bekenntnisbegriff.
Warum ist es mir als Kind nie zum Bewußtsein gekommen, was es für die Familie Maashänser bedeuten mußte, daß Gerhard in Dachau war? War nicht die KZ-Haft von Gerhard für mich nur ein Abstraktum, etwas nicht Vorstellbares: Verfolgt wurde, und im KZ war für mich die Kirche (und Gerhard nur als Repräsentant der Kirche). – Hängt das nicht mit dem Paulinismus zusammen (auch Paulus hat – seinem eigenen Bewußtsein nach – nicht Stephanus, sondern die Gemeinde verfolgt und gesteinigt)? – Wäre ich in der Lage gewesen, die Sache auf Gerhard Maashänser zu beziehen, dann hätte ich auch den Antisemitismus damals anders erfahren. Der Katholizismus war eine Verkörperung des Begriffsrealismus, und der Thomismus nur eine Kompromißbildung, die es der Kirche erlaubt hat, den Nominalimus zu überwintern. Dieser Begriffsrealismus hat Auschwitz nicht überlebt. (Ist nicht die memoria passionis von Metz, wenn er sie wirklich begreift, der Ausbruch aus dem Begriffsrealismus?)
Auschwitz ist auch ein Vorgang in der Geschichte der Philosophie. Die Dialektik der Aufklärung ist der Anfang des Bewußtseins davon.
Hängt es nicht damit, daß die Kirche als Verkörperung des Begriffsrealismus sich begreifen läßt, zusammen, wenn die Beziehung der Theologie zu den Naturwissenschaften zentral geworden ist?
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8.6.1995
Hermes oder Idealisierung als Schuldverschiebung: Die Waage (Symbol des Gerichts) macht Gewichte (Schuld) vergleichbar, indem sie auf sich selbst ableitet (die Schuld auf sich nimmt, scheinbar hinwegnimmt, und die Objekte zu Objekten idealisiert). – Haben die Schalen der Waage etwas mit dem Kelchsymbol (und mit der Logik der subjektiven Formen der Anschauung) zu tun?
Ist die Anwendung des Gravitationsgesetzes auf das Sonnensystem nicht vergleichbar mit der Anwendung des Strafrechts auf zwischenstaatliche Probleme (und ist sie nicht ähnlich problematisch)? – Kann man die Massen von Sonne, Mond, Erde und Planeten, ihre „Gewichte“, (auch nur in Gedanken) mit Hilfe einer Waage vergleichen und bestimmen? Oder ist nicht das Gravitationsgesetz diese Waage (der logische Grund der Vergleichbarkeit der „Massen“ von Sonne, Mond, Erde und Planeten, und damit der Grund der Anwendbarkeit dieses Begriffs in dieser Sphäre); auf welchem Boden steht diese Waage: welche Waage und welcher Boden würde dem gemeinsamen Gewicht von Sonne, Mond, Erde und Planeten standhalten? – Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz sind beide Waage und Boden zugleich: Darin ist die Identität von träger und schwerer Masse begründet, oder genauer: Das Inertialsystem und das Gravitationsgesetz begründen sich wechselseitig.
Sch’ma Jisrael (mit den Ohren lesen): Der Islam nimmt den Koran „wörtlich“, das Christentum das Dogma, das „orthodoxe“ Verständnis der Schrift (nur der Theologe weiß, was der biblische Autor gemeint hat). Beide stehen unter dem Bann der Logik der Schrift (der Bekenntnislogik), beide sind unfähig zur Sprachreflexion: Beide haben verlernt zu hören, sind taub.
Peter Brown: Macht und Rhetorik in der Spätantike. In der machtorientierten Welt der Spätantike (des römischen Reiches) ist die Sprache zur Rhetorik geworden: zu einem Instrument der Demonstration, der Verschleierung und der Ausschmückung von Macht. In welcher Beziehung stehen hierzu die Vätertheologie, das Selbstverständnis der Kirche und die Ausformulierung des Dogmas, die Orthodoxie (der Begriff und die Sache)?
Die Trennung von Macht und Rhetorik ist ein Teil der Geschichte der Trennung von Wirklichkeit und Sprache (die von der Entmächtigung der Sprache, die nur noch äußerlich auf die Sache sich bezieht, ausgeht).
Der Name gründet in Gott, der Begriff im Staat.
Das Neutrum entspringt gemeinsam mit der Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum, die mit der anderen Vorstellung verbunden ist, daß jede Zukunft einmal vergangen sein wird. Das Neutrum antizipiert die Vergangenheit der Zukunft, es kennt das Leben ebenso wie das Licht nur als vergangenes. -
2.6.1995
Die letzte Stelle, an der Josef in den Evangelien genannt wird, ist auch die erste, an der Jesus Gott seinen Vater nennt.
„Ha Ha“: Im Hebräischen wird das Lachen durch die Trennung des bestimmten Artikels vom Nomen und seine anschließende Verdoppelung ausgedrückt. Vertritt nicht der bestimmte Artikel überhaupt das Lachen in der Logik der Sprache, und ergreift dieses Lachen mit der Deklination des bestimmten Artikels das Nomen insgesamt (und verwandelt – durch Bindung an das vom Nomen getrennte Objekt – es ins Substantiv)?
Rosenzweig hat den Islam ein Plagiat genannt. Ein Plagiat wäre er dann aber in einem doppelten Sinne: im Hinblick sowohl auf die jüdische, als auch auf die christliche Religion. Ist er nicht Produkt eines mißlungenen Versuchs der Vereinigung beider? Der Islam ist in einem prononzierten Sinne eine Schrift- und Buch-Religion, und er ist unmittelbar eine politische, das Gemeinwesen bestimmende Relition: Allah hat den Koran selbst diktiert, und der Koran gilt unmittelbar als staatliches Gesetz. Er kennt nichts, was der Unterscheidung von Schrift und Wort, und er kennt nichts, was der Erfüllung des Worts (der Dramatik des Tags des Herrn, des Jüngsten Gerichts) in der jüdisch-christlichen Tradition entsprechen würde. Die Schrift ist bereits das Wort, nicht der Mutterschoß, aus dem es, wenn es sich erfüllt, hervorgehen wird. Deshalb bleibt sie der kritischen Reflexion entzogen. Die Schrift, in der der Koran geschrieben wurde, ist keine „hebräische“; die Erinnerung an den Zusammenhang von Schrift (Logik der Schrift) und Fremdheit ist aus dem Koran getilgt. Wo die biblische Tradition herrschaftskritisch ist (als Gebot), ist der Koran affirmativ (Gesetz). Während der Koran wörtlich genommen werden will, ist die Wörtlichkeit der Bibel eine real- und sprachgeschichtlich vermittelte und sich entfaltende und in dem Sinne eine symbolische. (Das Symbolische hat einen Zeit- und Sprachkern.) Läßt der Islam als Versuch sich begreifen, die Herrschaftslogik der indoeuropäischen Sprache gegen den Geist der semitischen Sprache in dieser durchzusetzen? -
6.4.1995
Naturwissenschaften als Umkehr der Prophetie: Theoretisches Handeln (das Handeln des Begriffs und die Entfaltung der Raumvorstellung) ist symbolisches Handeln, das umso wirksamer ist, als es namenlos ist: Es hat kein Bewußtsein seiner selbst. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist das Produkt der Neutralisation der Umkehr und zugleich Symbol der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (darauf bezieht sich das Wort vom horror vacui, den wir längst erinnerungslos verinnerlicht haben). Die Geschichte der Entfaltung der Raumvorstellung gehört zur Geschichte der Konfessionalisierung des Symbolums. Die Säkularisierung aller theologischen Gehalte: Das ist schon geleistet in den Naturwissenschaften. Umkehr- und Spiegelpunkt dieser Geschichte war das Symbolum (das Dogma, in dem die Vergangenheit verdrängt, die Zukunft verdunkelt, der prophetische Geist gelöscht wurde). Der verworfene Eckstein: Joh 129. Das Symbolum ist die Erinnerungsspur des vergessenen Traums des Nebukadnezar.
Die Reversibilität aller Richtungen im Raume und die Neutralisierung der Unterschiede zwischen den einander entgegengesetzten Richtungen ist eine Folge der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, sie ist das Werk der Neutralisierung aller theologischen Gehalte.
Woher stammt der Ausdruck „nordische Rasse“? Hat er etwas mit der biblischen Richtungssymbolik zu tun (mit dem Norden der Schrift)?
Ist nicht die Idee des Absoluten der Inbegriff der vergessenen göttlichen Namen, auf die die sechs Richtungen des Raumes nach einer kabbalistischen Tradition versiegelt sind?
Die Sodomie ist ein anderer Ausdruck für Xenophobie: Auch der Fremdenhaß hat etwas mit der Unzucht mit Tieren zu tun.
Verweisen nicht die Frauen im Stammbaum Jesu darauf, daß im Christentum (aufgrund seiner Beziehung zum Weltbegriff und durch die Kraft des Neutrum) das Fremdheitsmotiv auf die Frauen übertragen worden ist und seitdem durch sie repräsentiert wird? Merkwürdig auch die Rolle der Frauen in den drei Xenophobie-Geschichten: In Sodom Lots Frau und Töchter, in Jericho die Hure Rahab und in Gibea die bethlemitische Nebenfrau des Leviten.
Die Schrift ist ein durchsichtiger Körper, dessen Dimensionen im Objektivationsprozeß um den Preis der Verdunkelung des Körpers herausgearbeitet worden sind.
Zur Abtreibungsdebatte: Der Biologismus der kirchlichen Sexualmoral ist nicht weit vom Rassismus. Das Keuschheitsgebot scheidet sich wie das Gehorsamsgebot am Weltbegriff: Im Bann der Logik des Weltbegriffs sind sie Instrumente der Neutralisierung (der Desexualisierung und Dinge und ihrer Entfremdung gegen die Sprache), während sie im Lichte der göttlichen Verheißungen als Grund der Gewaltkritik und als Mittel der Barmherzigkeit sich enthüllen. Die gnadenlose und gewaltevozierende Abtreibungsdebatte ist ihr eigener Gegenstand, sie weiß es nur noch nicht.
Die Verwandlung des Singulars tän hamartian in den Plural peccata mundi bezeichnet genau den Ursprung des Symbolon: Die (gegenwärtige) Sünde der Welt ist in der gleichen Bewegung zu „Sünden der Welt“ vergegenständlicht und pluralisiert worden, als die symbolische Erkenntnis durch ihre Dogmatisierung ins Vergangene des toten Bekenntnisses verdrängt worden ist (Sterben: ire ad plures).
Islamisierung und und Objektivationsprozeß: Das All ist das Viele, das dem Prinzip der Einheit unterworfen worden ist. Bezieht sich hierauf (und auf die logische Beziehung von Materie und Form, die im Inertialsystem sich vollendet) der Begriff der Unzucht? -
9.3.1995
Umkehr: Die Frage ist nicht, ob man nach Auschwitz noch beten kann, sondern was es heißt, nach Auschwitz zu beten. In der heutigen Morgenpredigt, in der der Theologe die Frage von J.B. Metz zitierte, wurde die Frage nach Versöhnung an das Opfer statt an die Täter gerichtet. Und den Opfern, nicht den Täter wurde Verhärtung, die Versteinerung der Herzen unterstellt. Vgl. aber Mk 1125 und Mt 524. Steht unsere Theologie sich hier nicht selber im blinden Fleck?
Nicht eine narrative Theologie – die Zeit des Erzählens ist vorbei -, sondern begreifen, daß in der Haggada die Prophetie sich verbirgt.
Verhalten sich nicht die Naturwissenschaften zur Wahrheit wie das Recht zur Gerechtigkeit? Darin ist die Notwendigkeit einer Kritik der Naturwissenschaft begründet.
Anmerkung zu Heinsohn: Gibt es nicht auch einen islamischen Antisemitismus, mit gleichem Effekt, aber ohne Menschenopfertradition?
Was bedeutet es eigentlich,
– wenn die Hure Rahab die Kundschafter des Jesus (wie Flavius Josephus den Josue nennt) vor der xenophoben Verfolgung durch den König von Jericho schützt,
– wenn die Tamar durch den Verkehr mit dem Schwiegervater den Stammbaum Davids und Jesu begründet,
– wenn Jericho gegen das Verbot, es wieder aufzubauen, nur wieder aufgebaut werden kann durch das Opfer des Erstgeborenen und des Jüngsten?
Die Sekten sind die letzte Gestalt der Häresie. Sie erinnert die Kirche daran, daß sie endlich die Apokalypse begreift und sie denen entreißt, die sie als Angstgenerator benutzen, um die Schäflein in ihre eigenen profitablen Hürden zu treiben. Es gibt fatale Ähnlichkeiten (bis hin zur Identität) heute zwischen den Methoden, mit denen Sekten neue Mitglieder werben, und der Kundenwerbung unseriöser Wirtschaftsunternehmen.
Sind nicht die theologischen Mucken der Waren die Geschäftsgrundlage der Sekten; und sind sie nicht solange wirksam, wie sie nicht in die theologische Reflexion mit aufgenommen werden?
Ebenso wie das Selbsterhaltungsprinzip und das Eigeninteresse ist auch das Inertialsystem ein Vorurteilsgenerator und eine Verdrängungsmaschine. Der naturwissenschaftliche Blick auf die Dinge gründet in einer Tradition, die in den Naturwissenschaften sich vollendet: in der Tradition der Anschauung. Fällt dieser Blick nicht unter das Ezechiel-Wort: „Mein Auge soll nicht gütig blicken, und ich will mich nicht erbarmen“ (Ez 818 u.a.).
Ist nicht durch die kleine Differenz, die das Anschauen vom Schauen, von der Vision, unterscheidet, indem sie das Schauen von seinem sprachlichen Grund trennt, der Quellpunkt der Unbarmherzigkeit? Ist nicht das Anschauen der mitleidlose, nur dem Eigeninteresse gehorchende Blick? Die Anschauung Gottes macht Ihn verstummen; sie macht den Anschauenden blind und lähmt ihn.
Das Anschauen ruft, mit der Objektivation des Angeschauten, hinter seinem Rücken die „Form der Anschauung“: den Kelch (den Taumelbecher, den Kelch des göttlichen Zorns und den Unzuchtbecher) hervor. Die durch die Form der Anschauung veränderte Sprache ist der Inhalt des Kelchs. Während nur fürs Schauen der „Himmel sich öffnet“, ist es das Anschauen, das ihn verschließt. Die „Wörtlichkeit“ des Fundamentalismus steht (seit dem „ad litteram“ des augustinischen Genesis-Kommentars) unter dem Bann (den Gesetz) dieses Anschauens (des Kelchs). Paulus, der nicht den Himmel offen sah, sondern „in den dritten Himmel entrückt“ war, steht am Anfang, an der Wasserscheide dieser Geschichte. War nicht Stephanus, an dessen Mord Saulus beteiligt war, der Letzte, der den Himmel offen (und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes“) sah (Apg 755)? War der Mord an Stephanus (dessen am zweiten Weihnachtstag gedacht wird) das Zwischenglied zwischen dem Kreuzestod und der Opfertheologie?
Hat das Präfix Er- in Begriffen wie „Erscheinung“ etwas mit dem Personalpronomen der dritten Person m. sing. zu tun? Im Begriff der Erscheinung steckt die Reflexionsbeziehung zu den Formen der Anschauung mit drin.
Bezeichnet nicht der Begriff der Weltanschauung den Unzuchtsbecher? Gegenstand der Anschauung ist das Naturobjekt; so macht die Weltanschauung die Welt zu einem Naturobjekt, damit aber zu einem Herrschaftsobjekt. Jede Weltanschauung ist ihrer eigenen Logik nach ein Instrument der Weltherrschaft (mit ebenso destruktiven wie nekrophilen Konsequenzen: nicht zufällig war der erste „Weltanschauungskrieg“, der gegen „den Bolschewismus“, ein Vernichtungskrieg).
Karl Kraus hat einmal auf die Beziehungen zwischen der Phrase und ihren blutigen Folgen hingewiesen. Die schlimmsten Dinge künden sich in der Sprache an, und wer die nötige Sensibilität besitzt, nimmt sie wahr, bevor sie eintreten (Beispiel: die „Dritte Walpurgisnacht“ von Karl Kraus). Wäre nicht endlich das homologein aus seiner verdinglichten Bindung ans „Bekenntnis“ herauszulösen und als Sprachsensibilität zu begreifen? Das „Bekenntnis des Namens“ wird so zum Inbegriff der Nachfolge. Im Namen wird der Indikativ zum Imperativ, das Sein zum Handeln, die Ontologie zur Ethik. Im Namen gründet die eingreifende Qualität der Erkenntnis, durch die sie über das Wissen hinausweist. Diese Erkenntnis begnügt sich nicht mehr mit „überzeitlichen Wahrheiten“, sie sucht in den Zeitkern der Wahrheit einzudringen, in dem sie Anteil an der Prophetie gewinnt. Das ist in der Schrift mit Gotteserkenntnis gemeint, die so mit der Erfüllung des Worts konvergiert. Ihr Organ wäre eine Theologie, die frei im Angesicht Gottes statt unter den von der Welt aufgezwungenen Rechtfertigungszwängen hinter seinem Rücken sich bewegt. Hierauf bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen (Mt 1619 und 1818).
Die Söhne Leas (der Kuh) waren Ruben, Simon, Levi, Juda, Issachar und Sebulon, die Söhne Rahels (des Mutterschafs): Josef und Benjamin.
Jericho: Welcher König hat Jericho wieder aufgebaut, und kommt in den Evangelien, außer in der Geschichte vom barmherzigen Samariter, Jericho noch einmal vor?
Zwei Stellen aus Büchners „Lenz“:
– „Aber ich, wär ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten“ (S. 106) und
– „… und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und faßte ihn ganz sicher und ruhig und fest“ (S. 100).
Was Hegel so gelassen niederschreibt: Das Eine ist das Andere des Anderen, ohne die Gewalt dieses Andersseins zu reflektieren, führt genau in den leeren Kern des Weltbegriffs (in das darin sich reflektierende Verhältnis von Lachen und Schrecken). Die Dialektik von Lachen und Schrecken läßt sich an der Ästhetik des modernen Kirchenbaus demonstrieren, wenn im Innern die Ornamente und die Fresken verschwinden und die Außenwand nach innen gekehrt wird, so als wäre die Differenz der kirchlichen Innenwelt gegen die Außenwelt (gegen Ökonomie und gegen die durch Naturbeherrschung definierte Natur) aufgehoben, die Außenwelt zur alles beherrschenden Macht geworden.
Die Geschichte der Barmherzigkeit hat die zivilisationsbegleitende Phase, ihre Metamorphose in der Hysterie, mit Freud beendet, aber so, daß sie zu einer strukturellen Bestimmung der Objektivität selber geworden ist: Die Geschichte ist in ihre faschistischen Phase eingetreten. Nachdem die Hysterie in der Gestalt psychosomatischer Erkrankungen den Frauenkörper durchwandert hat, hat sie als Lüge die Dingwelt ergriffen. -
8.3.1995
Der Plural majestatis ist ein Produkt der Logik der Schrift. Durch die Monologisierung der Sprache (eine Folge der Logik der Schrift) wird sie zum Selbstgespräch. Ein König hat Berater, aber entscheiden muß er für sich (dieser Satz scheint eine conditio des autoritären Charakters zu sein, der wie die Majestät, dialogunfähig ist).
Scheler hat das Paradigma einer Religionsphilosophie geliefert, deren Grundlage die theologischen Mucken der Ware sind.
Die Prophetie ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben.
Die Grundlage des theologischen Satzes von der Erhaltung der Welt ist nicht die Form des Raumes (das Inertialsystem), sie liegt in der Konstruktion des Himmels verborgen.
Was bedeutet es, wenn nach islamischer Tradition Gott jeden Tag die Welt neu erschafft? Wie verhält sich der islamische Schöpfungsbegriff zum biblischen Schöpfungsbericht (insbesondere zum siebten Tag)?
Haben das tohu wa bohu und die Finsternis über dem Abgrund und der Geist Gottes, brütend über den Wassern, etwas mit den drei abrahamitischen Religionen zu tun, mit Judentum, Islam und Christentum (jeweils in dieser Reihenfolge)?
Eine Kritik des Ansatzes der Kant-Laplaceschen Weltentstehungs-Theorie würde auch deren moderne Derivate (Urknall und schwarzes Loch) treffen.
Der Orion und die Plejaden: Sind sie die Reflexion des Planetensystems am Fixsternhimmel?
Die Naturwissenschaften rücken die Welt in die Perspektive des Eigeninteresses. Aber dieses Eigeninteresse steht unterm Bann der Äquivalenz von Einzelnem und Allgemeinem (der Beziehung von Privateigentum und Staat). Das Gewaltmonopol des Staates und der Nationalismus (das logische Fundament der Privateigentums-Gesellschaft) gehorchen einer Logik, die in den Naturwissenschaften gegen die Natur sich richtet. Kein Zufall, daß die Objektivation der Natur zu Beginn sowohl der alten als auch der neuen Geschichte mit der Astronomie anhebt (als Legitimationswissenschaft des Staates: Newtons „absoluter Raum“ war einer der logischen Gründe des politischen Absolutismus: der Privatisierung der Herrschaft).
Die kopernikanische Wende hat die „Völker, Stämme, Sprachen und Nationen“ im Begriff der Nation kontrahiert (und neutralisiert): Die rassistische Wendung der Sprachwissenschaft (die Rückführung der indogermanischen Sprachen auf eine indogermanische Rasse) gründet in dieser Logik. Die sprachgeschichtliche Aufklärung des zugrunde liegenden Sachverhalts wird erst möglich sein, wenn es gelingt, den sprachlogischen Grund der indogermanischen Sprache zu entschlüsseln.
Einstein hat die im Relativitätsprinzip verkörperte Beziehung von Bewegung und Ruhe neu definiert und durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit konkretisiert. Das Licht, nicht der Raum definiert die Dauer, von der Folge und Zugleichsein (die anderen Attribute der Zeit) unterschieden werden müssen. Nicht mehr zu halten ist das im Raum verkörperte Moment des Zugleichseins, zumindest in dem Sinne, in dem es Vergangenheit und Zukunft von sich (vom Präsens) ausschließt, den Raum zur Wasserscheide der durchs Inertialsystem äqualisierten (zum Zeitkontinuum verräumlichten) Dimensionen der Zeit macht. Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die Rache der Asymmetrie von Zukunft und Vergangenheit an der homogenisierten Zeitvorstellung. Es gibt ein Zugleichsein mit dem Vergangenen (die auch die zukünftige Vergangenheit umgreift): das Überzeitliche, und mit dem Zukünftigen (auch der vergangenen Zukunft): die Idee des Ewigen.
Hat der Satz über die „Lichter … an der Feste des Himmels“: „sie sollen als Zeichen dienen und zur Bestimmung von Zeiten, Tagen und Jahren“ (Gen 114), etwas mit den Zeichen an Hand und Stirn (in Ex 131ff, 1311ff, Dt 64ff und 1113ff) und haben beide etwas mit den Zeichen an Hand und Stirn in Off 1316 zu tun? Hat die kopernikanische Wende das Zeichen an Stirn und Hand geheftet (sowohl Kopernikus als auch Newton waren Geldtheoretiker), und hat dieses Zeichen etwas mit dem Zeichen des Kain zu tun?
Der Traum von einer Laientheologie, den ich mit einigen Freunden während des Theologiestudiums kurz nach dem Krieg geträumt habe, war ein Nebukadnezar-Traum: Ich mußte den Traum erst finden, um ihn dann deuten zu können.
Heute morgen eine Karikatur in der FR, zum Welt-Frauentag: ein Globus mit dem Abdruck eines Kußmundes. Angesichts der Zustände, an die dieser Tag erinnern soll, schlicht eine Geschmacklosigkeit. Aber erinnert es nicht an das Problem der Schiller-Beethovenschen Ode an die Freude: Auch hier gibt es „diesen Kuß der ganzen Welt“, und das im Kontext einer schrecklichen (dazu anatomisch unmöglichen) Vision: Alle Menschen werden Brüder. Wäre es nicht an der Zeit, daß endlich alle Brüder Menschen werden? -
26.2.1995
Falsch an der Astrologie ist nicht ihr Widerspruch gegen die Naturwissenschaften, gegen das kopernikanische System, sondern falsch ist ihre Zuordnung zum individuellen Schicksal der Menschen. Aber ist sie nicht genau dadurch, durch ihre Anbindung ans Prinzip der Selbsterhaltung, zur Vorstufe der wissenschaftlichen Naturerkenntnis, die aus dem Prinzip der Selbsterhaltung sich herleitet, geworden?
Nicht die Seelen, sondern die Namen der Verstorbenen sind im Himmel, der am Ende als Buch des Lebens sich enthüllt, aufbewahrt.
Das Substantiv ist der Repräsentant der namenlos gewordenen Toten in einer Grammatik, in der die Kraft des Namens erloschen (der Himmel gegenstandslos geworden) ist. Eine Vorstufe dieses Sprachverständnisses war der Ursprung des Weltbegriffs und dessen theologische Rezeption in der Lehre der creatio mundi ex nihilo. Vgl. hierzu den katholischen „Weltkatechismus“, der glaubt, den ersten Satz der Genesis durch den Hinweis, daß Himmel und Erde nur ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, erklären zu können.
Daß der Himmel aufgespannt ist: Ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß diese fast unerträgliche Spannung des Symbolischen zum Wörtlichen (im realhistorischen Sinne) auszuhalten ist, wenn die Idee des Himmels nicht ganz verloren gehen soll?
Der Fundamentalismus nimmt die Schrift wörtlich, nachdem er das Wort vergessen (gelöscht) hat; er ist die Rache der Opfertheologie an der Schrift (dessen erste Manifestation war der Islam, der der Opfertheologie nicht mehr bedurfte, weil er sie schon im „Islam“, im Opfer der Vernunft, verinnerlicht hatte).
Das Dogma hat den Knoten durchschlagen, nicht gelöst (und die Kirche hat seitdem nur gebunden, nicht gelöst). Das Schwert, mit dem der Knoten durchschlagen worden ist, läßt sich genaue bezeichnen: es steckt im Begriff der homousia, einem Vorboten des Inertialsystems. – Bezieht sich der gordische Knoten nicht auch auf das Verhältnis von Rind und Esel (von Joch und Last), und löst nicht das Wort des Jesaia das gordische Rätsel?
Die Sünde der Theologie: Das Dogma ist das vergrabene Talent.
Der Rosenzweig-Benjaminsche Begriff des Mythos, der ihn in Widerspruch zu Offenbarung anstatt zur Auklärung setzt, findet deshalb so schwer Eingang in die christliche Theologie, weil deren Tradition selber in die Geschichte der Aufklärung verstrickt ist. Und diese Verstrickung reicht bis in den Kern der theologischen Inhalte hinein. Die christliche Theologie ist in den Säkularisationsprozeß verstrickt; so sie ist zur Theologie hinter dem Rücken Gottes geworden.
Zum Ursprung des Neutrum: Gibt es nicht für den Tod den Ausdruck „ire ad plures“? Und verweist dieser Ausdruck nicht sowohl auf den Ursprung des Objektivationprozesses wie auch auf den des Begriffs der Materie (sowie der Begriffe Welt und Natur)? Heidegger hat dieses „ire ad plures“ in seinem „Vorlaufen in den Tod“, das dann in der völkischen Fundamentalontologie sich wiederfindet, wörtlich genommen. In Getsemane erscheint dieses „ire ad plures“ unter dem Symbol des Kelches.
Gibt es nicht eine ganze Gruppe frühchristlicher Häresien, die sich alle um das Verständnis des Kreuzestodes gruppieren, an der die Ursprünge des Projekts der opfertheologischen Instrumentalisierung des Kreuzestodes sich ablesen und demonstrieren lassen? Lassen nicht alle diese Häresien daraus sich ableiten, daß das Ereignis in einer vom Neutrum beherrschten Sprache in der Tat unverständlich ist (dem inneren Objektivationstrieb dieser Sprache sich widersetzt)?
Zum Säkularisationskonzept von Johann Baptist Metz (zu seinem affirmativen Verständnis der „Verweltlichung der Welt“) wäre differenzierend auf die „Dornen und Disteln“ (und deren Interpretation durch Eleazar von Worms) sowie auf Walter Benjamins Bemerkung über die Beziehung des Messianischen zum Profanen hinzuweisen. Die Verweltlichung der Welt ist eins mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, deren Reflexion die Theologie vom Bann der Herrschaft befreien könnte.
Haben wir nicht längst vor dem Problem, das Verhältnis der drei Dimensionen im Raum zu begreifen, kapituliert? Und ist nicht alles weitere eine Folge dieser Kapitulation?
Ist nicht der Begriff der „Rede“ (in der „Rede von Gott“) ein im schlechten Sinne politischer (die säkularisierte Gestalt der ebenfalls schon monologischen Predigt)? Dieser Begriff der Rede hat in Hitler seine apokalyptische Dimension offenbart. Ist er danach (als „Rede von Gott“) auf den Begriff der Theologie noch anwendbar? Er hat mehr mit der propaganda fidei und dessen göbbelsschen Ausläufern zu tun, als der Theologie lieb sein darf. „Rede von Gott“: Das ist der „Schrecken um und um“ der Theologie. Theologie würde sich in einer Sprache erfüllen, die die Kraft des Namens wieder erweckt, und in der der Name – als Sprache der Erkenntnis – wieder theophore Züge annimmt: in der Heiligung des Gottesnamens. Das „Heute, wenn ihr seine Stimme hört“ ist das Heute, an dem wir unsern Namen hören (deshalb gehört das „Ich, mit Vor und Zunamen“, „Ich, Franz Rosenzweig“, zu den objektiven Gründen des Sterns der Erlösung).
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie