J.Benjamin

  • 12.1.1997

    Die „feministische Kritik … hat auch gezeigt, daß Neutralität an sich ein Merkmal von Maskulinität ist, ein Zeichen ihres Bündnisses mit Rationalität und Objektivität“. (Jessica Benjamin, S. 182) Die indoeuropäische Sprachlogik ist die Sprachlogik des Patriarchats (und das Symbol der Schlange – das Symbol des Neutrums – sein Symbol). Die subjektiven Formen der Anschauung (die Abstraktion vom Gegenblick, vom Angesicht) sind die Verkörperung der neutralisierenden Gewalt.
    Das „Leuchten seines Angesichts“ lebt von der Erinnerung an das Gesicht der Mutter. Im Gesicht der Mutter erblickt das Kind das Licht der Welt. – „Ihr seid das Licht der Welt“. Lebt davon nicht die Erinnerung ans Paradies, und ist dann der Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert nicht das Patriarchat?
    Kai ho logos sarx egeneto/et verbum caro factum est – und das Wort ist Fleisch geworden: So wurde im Kern der Theologie die Geburt ins Machen und das Machen ins Werden übersetzt: die Frau durch den Vater und der Vater duchs subjektlose Werden ersetzt.
    Im Schöpfungsbericht ist das Werden das Tun des Worts: Gott sprach „es werde Licht“, und es ward Licht. Die subjektiven Formen der Anschauung trennen das Licht vom Wort (den Blick vom Gegenblick).
    „Laßt die Toten ihre Toten begraben“: Joseph von Arimathia hat den toten Jesus begraben.
    Der Salbung des Toten durch Maria Magdalena ist der Engel, der den Stein vom Grab gewälzt und den Toten erweckt hat, zuvorgekommen.
    Im Johannes-Evangelium kommt der Name des Apostels Johannes nicht vor (nur der „Jünger, den der Herr liebhatte“), auch nicht in den Briefen des Johannes. Der Autor des zweiten und dritten Briefes nennt sich den Ältesten, er benutzt den gleichen Namen, der in der Johannes-Offenbarung den immer gemeinsam mit den vier Wesen genannten 24 Ältesten vorbehalten ist. Hier, in der Johannes-Offenbarung, nennt sich der Autor, der sich mit „ich“ einführt, „ich, Johannes“.
    Gibt es nicht ein Problem des Namens im Neuen Testament, zeugt nicht die Notwendigkeit zusätzlicher Attribute (Beinamen wie Alphäus, Thaddäus, vielleicht auch Matthäus und Markus, Simon Kananäus; Name des Vaters <Barjona, Bartholomäus, Zebedäussöhne, Sohn des Zimmermanns, Sohn Davids, Sohn Gottes>; Name der Herkunft, des Ortes <Joseph von Arimathia, Simon von Kyrene, auch Jesus von Nazareth, der Nazoräer, Nathanael aus Kana>; griechische Namen <Andreas, Philippus, Stephanus>; Namenswechsel: Simon -> Petrus, Saulus -> Paulus) vom Zerfall des Namens, der dann im Begriff des Bekenntnisses sich ausdrückt (homologein, confiteri: in dieser Übersetzung steckt die ganze Differenz zwischen griechischem und lateinischem Christentum)? Was bedeutet Iskarioth (eine feminine Pluralbildung wie Sabaoth)? Sh. auch den Hinweis auf den Ursprung des Namens „Christen“ in der Apostelgeschichte.

  • 11.1.1997

    Die ödipale Geschlechterpolarität (Jessica Benjamin: Die Fesseln der Liebe) reicht bis in die historisch „gewachsene“ Logik der Sprache hinein. Sie drückt u.a. in den kantischen Totalitätsbegriffen: in der Unterscheidung von Natur und Welt, sich aus. Und sie gehört zu den Gründen des Problems der „apagogischen Beweise“ (der Antinomie der reinen Vernunft), sowie in der weiteren Folge davon zu den Bedingungen der Möglichkeit der Kritisierbarkeit der staatsanwaltschaftlichen Logik (der „Gemeinheitslogik“).
    Der Faschismus hat den frei fallenden Fahrstuhl endgültig aus seinen Verankerungen gelöst. Die Feindbildlogik hat sich so tief in unsere Erfahrung eingesenkt, daß es fast unmöglich geworden ist, sie zu reflektieren. Aber das beweist nur die Notwendigkeit dieser Reflexion. Hat nicht das -d-, durch das das Ahnden vom Ahnen sich unterscheidet, etwas mit dem Suffix -de zu tun, das in Begriffen wie Gemeinde oder Behörde (Gebärde, Gelände) enthalten ist? Und steckt das gleiche -de nicht in dem deutschen Wort Werden? Und verweist dieses Werden in einer ähnlicher Weise auf das Wer wie das Wasser auf das Was? Und hat das Werden in der Hegel’schen Weltphilosophie, in Hegels Logik, eine ähnliche Funktion wie das Ahnden in der Naturphilosophie Schellings (ist das Werden das abgestorbene Wer, das Ahnden die Verfolgung der Zukunft durch die Vergangenheit: ist das Werden eine Emanation des Weltbegriffs, das Ahnden eine des Naturbegriffs)?
    Was drückt eigentlich im futurischen Gebrauch des Werden sich aus (wer ist das Subjekt des zukünftigen Tuns)? Das Werden ist der ins Affirmative gewendete Fall, der Anfang der Wege des Irrtums (sh. Hegels Planetentheorie).
    In einen andern sich hineinversetzen heißt, die Welt rekonstruieren, deren Logik sein Denken und Verhalten bestimmt (und die Welt rekonstruieren heißt, die ökonomischen Gesetze und Konstellationen rekonstruieren, die die Bedingungen seiner Selbsterhaltung ausmachen). Tiere sind reine Weltwesen, deren Existenzbedingungen durch die Natur vorgegeben sind, während die Menschen ihre Existenzbedingungen im Prozeß ihres Gattungslebens selber hervorbringen. Menschen sind Tiere, die den Bann der Gattung sprengen, für die die Welt – über die Beziehung zu den Andern, die in der Sprache gründet – reflexionsfähig geworden ist. Tiere sind nicht bessere Menschen, auch wenn sie nicht schuldfähig sind: Sie stehen unter dem Bann des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs der Natur, den sie nicht zu reflektieren vermögen.

  • 10.1.1997

    Zwischen der Prophetie und der Apokalypse, dem Taumelbecher und dem Unzuchtsbecher, liegt die Trennung von Natur und Welt, die logische Gewalt des Urteils, die ödipale Polarisierung der Geschlechter: liegt die griechische Sprache.
    Vor dem Ankläger gibt es Geheimnisse (Dinge, die man verbergen möchte), und der Ankläger hat Geheimnisse zu verteidigen (deshalb heißt in Deutschland der Ankläger Staatsanwalt). Korrespondiert nicht der Begriff der Tiefe dem des Geheimnisses, beziehen sich nicht beide auf das, was unten ist, ist die Tiefe die Finsternis über dem Abgrund?
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Bastionen der Welt in dem im Prozeß der fortschreitenden Naturbeherrschung unterworfenen und besetzten Feindesland Natur.
    Im Griechischen lautet der mit „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ übersetzte Satz im Jakobusbrief (213): katakauchatai eleos kriseos (katakauchaomai – tue groß, brüste mich; eleos – Mitleid, Erbarmen; krisis – Gericht, Richten; Urteil). Ist die Erinnerung an den Triumph in der Übersetzung des griechischen Textes der Sache eigentlich angemessen?
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Ist Seine Rache nicht die Barmherzigkeit, die den Tätern (wie den Ägyptern das Opfer, das die Israeliten dem Herrn in der Wüste bringen wollten) ein Greuel ist?
    Es gibt Weisheit und Einsicht, aber zum Denken gibt es im Hebräischen keine Entsprechung. Das Denken (die Sache und der Begriff) entspringt gemeinsam mit dem Natur- und dem Weltbegriff. Das Denken ist ein Reflex der Herrschaftsorganisation des Staates, an der es sich spiegelt und sich den Kopf einrennt (die Mathematik ist die dunkle Sprache und das verstockte Herz, die harte Stirn und das harte Angesicht – Ez 37ff).
    Der Begriff ist über der Sache und außerhalb der Sprache; er unterdrückt die Dinge und beutet sie aus, indem er sich die Sprache zum Feind macht, während der Name in der Sache und in der Sprache zugleich ist.
    Das erste Kapitel von Jessica Benjamin beschreibt eine Sphäre, in der Sprache, Sache und Gemeinschaft noch ungetrennt und eins sind. Dann springt sie gleich über ins Erwachsenendasein; die ganze Geschichte der Vergesellschaftung, der Initiationsriten, zu der heute insbesondere die Schulerfahrung der Kinder gehört, bleibt unreflektiert.
    Psychologie liefert keine Handlungsanweisungen, sondern Reflexionshilfen; wer von ihr Rezepte erwartet, den richtet sie.
    „Des vielen Büchermachens ist kein Ende …“ (Koh 1212 – vgl. auch Kafkas Landarzt: Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt, es ist nicht wieder gutzumachen): Habermas und Drewermann sind Beispiele dafür, daß der Umfang von Büchern auch ein Maß für die Rechtfertigungszwänge sein kann, denen sie ihre Existenz verdanken.

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