Johannes Paul II

  • 10.6.1995

    Der christliche Fundamentalismus nimmt das Dogma wörtlich, der islamische den Koran. Beide sind unfähig zur Reflexion (zur Sprachreflexion).
    Der Ursprung des Bewußtseins (seine Trennung von der Wirklichkeit) hängt mit dem Ursprung der List und der Verstellung zusammen. Der Begriff der Welt bezeichnet ein System aus List und Verstellung.
    Leitfaden der Erinnerungsarbeit ist der Name.
    Geschichte ist Weltgeschichte, und die Geschichte vor der Geschichte ist Vorgeschichte. Die altorientalische Geschichte ist die Ursprungsgeschichte der Weltgeschichte (die Wasserscheide ist die Schrift).
    Die Trennung des Dings von der Sache bezeichnet einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Urteils. Die Beziehung von Ding und Sache wird in der Hegelschen Philosophie durch die Beziehung der Logik zur Geschichtsphilosophie repräsentiert.
    Hegels List der Vernunft bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, eigentlich das objektive Korrelat der Philosophie. (Was drückt darin sich aus, wenn nach aristotelischer Tradition der intellectus agens jenseits der Mondsphäre angesiedelt war?)
    Der Reni’sche Blick ist der Pfaffenblick, die geheuchelte Gottesfurcht (die Gottesfurcht für andere), wie sie in jüngster Zeit an Höffner und am Papst zu sehen war.
    Daß zuerst das Licht und erst danach die Leuchten am Firmament erschaffen wurden, verweist auf die Priorität des Worts vor den sprechenden Wesen. Hängt damit das Versprechen an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich sein wie die Sterne des Himmels, zusammen?
    Die Theologie hat die Logik der Welt in sich aufgesogen; dadurch ist sie zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Einfallstor der Welt, oder auch die Nabelschnur zur Welt, war der Bekenntnisbegriff.
    Warum ist es mir als Kind nie zum Bewußtsein gekommen, was es für die Familie Maashänser bedeuten mußte, daß Gerhard in Dachau war? War nicht die KZ-Haft von Gerhard für mich nur ein Abstraktum, etwas nicht Vorstellbares: Verfolgt wurde, und im KZ war für mich die Kirche (und Gerhard nur als Repräsentant der Kirche). – Hängt das nicht mit dem Paulinismus zusammen (auch Paulus hat – seinem eigenen Bewußtsein nach – nicht Stephanus, sondern die Gemeinde verfolgt und gesteinigt)? – Wäre ich in der Lage gewesen, die Sache auf Gerhard Maashänser zu beziehen, dann hätte ich auch den Antisemitismus damals anders erfahren. Der Katholizismus war eine Verkörperung des Begriffsrealismus, und der Thomismus nur eine Kompromißbildung, die es der Kirche erlaubt hat, den Nominalimus zu überwintern. Dieser Begriffsrealismus hat Auschwitz nicht überlebt. (Ist nicht die memoria passionis von Metz, wenn er sie wirklich begreift, der Ausbruch aus dem Begriffsrealismus?)
    Auschwitz ist auch ein Vorgang in der Geschichte der Philosophie. Die Dialektik der Aufklärung ist der Anfang des Bewußtseins davon.
    Hängt es nicht damit, daß die Kirche als Verkörperung des Begriffsrealismus sich begreifen läßt, zusammen, wenn die Beziehung der Theologie zu den Naturwissenschaften zentral geworden ist?

  • 14.4.1995

    Gibt es eine Beziehung des Buches Josue, des Berichts über die Eroberung Kanaans, zu den historischen Fälschungen im Mittelalter? Die Eroberungs-Berichte scheinen Rache-Phantasien in historischem Gewande zu sein, die nicht unmittelbar auf historische Ereignisse sich beziehen lassen. In der Phantasie wird dem Feinde das angetan, was man selbst von ihm erfahren hat. Hierzu ist das achte Gebot heranzuziehen: Hier wird kein „falsches Zeugnis wider den Nächsten“ abgegeben, hier wird nur gelogen. Aber das ist der ganze Unterschied: Während das falsche Zeugnis den Unschuldigen dem Gericht überliefert, verbietet das Gebot „Du sollst nicht lügen“ dem Opfer, seine realen Leiden über Rachephantasien zu verarbeiten: Es versperrt die Fluchtwege, und läßt nur den Ausweg der Identifikation mit dem Aggressor (der Konstituierung des Weltbegriffs). Drückt nicht in der Diskriminierung der „altorientalischen Rachephantasien“ die Angst der Täter sich aus, diese Rachephantasien der Opfer könnten vielleicht doch einmal wahr werden? Aber davor steht das Wort „Mein ist die Rache, spricht der Herr“. – Im Unterschied zum Buch Josue dienten die mittelalterlichen Fälschungen nicht der Verarbeitung der Leidenserfahrung, sondern der Herrschaftssicherung: Nur die Herren, die von den Untertanen fordern, sie sollten nicht lügen, können im Vertrauen darauf lügen, nicht erwischt zu werden. Und erst diese Lüge ist zugleich ein falsches Zeugnis wider den Nächsten.
    Christen, sind das nicht die, die das Opfer dessen, der „sein Leben für sie hingegeben“ hat, hinnehmen und sich davon nicht irritieren lassen?
    Sind die Texte Adornos nicht so formuliert, daß jede Kritik dem Verdacht der Projektion sich aussetzt, auf sie selbst zurückfällt? Die Kritik trifft nicht Adorno, sondern die eigene Phantasie, die an unverstandenen Adorno-Sätzen sich entzündete.
    Die Sexualethik, wenn sie sich nicht als Kritik der Gewalt begreift, wird selber zu einem Instrument der Gewalt. Darin gründet die Verführungskraft des Fundamentalismus. Und es ist kein Zweifel: Die Geschichte der Sexualität ist in die Geschichte von Herrschaft und Gewalt, die ihre Wurzel in der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur, in der Geschichte der Ökonomie, hat, verflochten. Sie ist ein Indikator dieser Geschichte.
    Hysterie: Der Name und die Sache erinnert an das Verhältnis von Barmherzigkeit und Kunst. Das Leiden, aus dem die Kusnt sich speist, ist das Leiden an der Unmöglichkeit, barmherzig zu sein. Und wem der Weg in die Kunst versperrt ist, wird „hysterisch“. In diesem Terrain ist die Abtreibungsdebatte angesiedelt.
    Johannes Paul II: Und er verfluchte sich selbst und leugnete abermals.
    Das Rad ist das Symbol der Reversibilität. Zur Reversibilität gehört die Orthogonalität als Norm, das säkularisierte Gebot: das Gesetz. (Fällt die Erfindung des Rades mit dem Ursprung des Rechts zusammen?)
    Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang ist der Reflex des Raumes in der Sprache (der Schatten, den der Raum auf die Sprache wirft).
    Der Raum ist das Instrument der Instrumentalisierung. Darin liegt seine selbstlegitimatorische Kraft, an der alle Argumente, die es gegen die Hypostasierung des Raumes gibt, abprallen.
    Ist nicht die Tatsache, daß es nur eine begrenzte Zahl nichteuklidischer Geometrien gibt, ableitbar aus der Logik der Konstruktionselemente der euklidischen Geometrie?
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf eine Sphäre, die im Querdenken gründet: Was für den andern vorn und hinten ist, ist für mich, der ich ihn von außen anschaue, rechts und links. Die Beziehung des Lichts zur „Finsternis“, zum Dunklen, aber auch zur Scham (zur Fähigkeit, sich in den Augen anderer zu sehen), hängt damit zusammen.
    Das Inertialsystem ist das im „Querdenken“ gründende „von allen Seiten hinter dem Rücken“. Es ist das System, das in der Geschichte der Objektivierung der Dinge hinter dem Rücken dieses Objektivierungsprozesses als dessen Referenzsystem sich gebildet hat (und die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind die Formen ihrer subjektiven Adaptation: Formen der Identifikation mit dem Aggressor).
    Ohne das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Inertialsystem reflexionsfähig gemacht hat, wäre die erkenntnistheoretische Diskussion des Inertialsystems nicht möglich.
    Zum Problem der Knäste, die seit je auch selber Brutstätten der Verbrechen waren, die sie eindämmen sollten: Käme es nicht auch hier darauf an, die irren Kreisläufe der Planeten endlich zu durchbrechen? Und bezieht sich nicht auch darauf das Wort: „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“?
    Stephanus sah den Himmel offen: Verweist das nicht auf einen Begriff der Vision, die die Blockade, für die das Planetensystem (die paulinischen Archonten) steht, zu durchdringen vermag? Auf den Ursprung dieser Blockade des Sehens (auf seine Trennung von dem im Begriff der Vision, des Gesichts bezeichneten Sehen) bezieht sich das Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Diese Blockade des Sehens hat sich in den subjektiven Formen der Anschauung, in deren Kontext die Welt zu „allem, was der Fall ist“, geworden ist, als Selbstblockade enthüllt. Hier gründet die Differenz zwischen Stephanus und Paulus: Der eine sah den Himmel offen, der andere wurde in den dritten Himmel entrückt.

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