Johannes vom Kreuz

  • 10.10.87

    Theologischer Materialismus: Die Einsamkeit, die Levinas (und ähnlich F. Ebner) als „Grund“ und Konstituens der Materie bestimmt, ist in gleicher Weise (und mit vergleichbaren Folgen) Konstituens jenes Theologieverständnisses, das insbesondere die kirchliche Theologie, den kirchlichen Dogmatismus charakterisiert. Eine Erkenntnistheorie der Theologie, wenn es so etwas denn überhaupt geben kann, hätte diesen Sachverhalt zu reflektieren; historisch gibt es Hinweise hierfür in den mystischen Beschreibungen der Wege und Stufen zur Gotteserkenntnis. Frage, ob es eine Vorstellung oder Idee Gottes überhaupt gibt ohne das, was früher einmal „Gott suchen“ genannt wurde.

    Die „mystische Nacht“ beim Johannes vom Kreuz (vgl. Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Studie über Johannes a Cruce. Druten/ Freiburg-Basel-Wien 19833) bezeichnet nicht nur einen innerlichen Vorgang oder Zustand, sondern etwas sehr Objektives: das Dunkel, in das die Natur im Kontext des Trägheitsgesetzes und die Welt insgesamt unter der Herrschaft des Tauschprinzips getaucht wird, steht in einer aufzuklärenden Beziehung dazu. Innen und Außen sind nicht nur getrennt, nicht nur in einem Korrespondenz- oder Analogieverhältnis, sondern Extreme in einem Kontinuum. Welche Konsequenzen hat das aber für den Wahrheitsgehalt der mystischen Erkenntnis? – (Überprüfen, genauer!)

  • 10.07.93

    Ist es richtig, daß die Bücher der Könige sich vorrangig auf die israelische, die der Chronik sich auf die judäische Königsgeschichte beziehen? Die isrealische Tradition, die nach Salomo und gegen ihn begründet wird, beruft sich auf Saul, die judäische, die dann die messianische Tradition begründet (Jesus: Das Heil kommt von den Juden), auf David (der den Goliat, Typos des zwar starken, aber dumpfen Heiden, besiegt hat). Die israelische Tradition ist von Anbeginn an eine des Abfalls, die judäische erst seit der Verschwägerung mit dem israelischen Königshaus. -Hat die nachsalomonische Beziehung Israel/Juda etwas mit dem dem Königtum vorausgehenden (und zuletzt in den das Königtum begründenden Kämpfen mit den Philistern erscheinenden) Verhältnis der Namen der Israeliten und Hebräer zu tun? Was bedeutet dieser Paradigmenwechsel? Haben die „Juden“ (die den Namen eines einzelnen Jakobssohnes, eines Stammes, tragen und nicht mehr Namen Abrahams, der als erster „ein Hebräer“ war: den Volksnamen) in der sich stabilisierenden Staatenwelt (und nach dem Verschwinden der restlichen zehn Stämme Israels) das Erbe der Hebräer angetreten, und was drückt sich in diesem Namens- und Statuswechsel aus (Hebräer: Kleinviehnomaden, Sklaven, Söldner; Juden: Objekte des Vorurteils, das mit dem Staat und dem Weltbegriff entspringt, und des Vernichtungswillens)? Welche anderen Namenswechsel gibt es: Abram/Abraham, Jakob/Isaak, Simon/Petrus, Saulus/Paulus?) Haben die „Juden“ etwas mit der Geschichte des Kelchs (und dessen Beziehung zu Babylon: der Name der Juden erscheint als allgemeiner Volksname erstmals bei Esra und Nehemia, nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft) zu tun? – Vgl. die Bemerkungen Michael Hiltons zum Namen der Juden.
    Rückt das nicht auch das Jesus-Wort „Das Heil kommt von den Juden“ (sowie den Antisemitismus und Auschwitz) in ein neues Licht? (Vgl. auch Sach 923: So spricht der Herr: In jenen Tagen werden zehn Männer aus Völkern aller Sprachen einen Mann aus Juda (nicht aus Israel, H.H.!) an seinem Gewand fassen, …)
    Michael Hilton weist hinsichtlich des Namen der Juden darauf hin: „the term Jewish … was a term which seems to have been used mainly by other people about Jews: the term occurs in the Book of Esther, and was the normal term used by the Romans and in the Gospels. … This implies that the word Jew could bear a sense different from Yisrael. A Yisrael ist somebody who follows the religion of Moses; a Jew is somebody who is part of a social group, who follows the customs of that people.“ (S. 125) Gehört zum Namen der Juden nicht auch die Geschichte mit Juda und Tamar?
    Der jüdisch-christliche Dialog ist kein Stellvertreter-Dialog: Unsere „Dialog-Partner“ sind die Ermordeten von Auschwitz, d.h.: außer den Ermordeten haben wir keine. Bezieht sich nicht darauf das Wort von der notwendigen Versöhnung mit der Bruder, bevor du zum Opfer gehst, und ist nicht daran das unendliche Gewicht zu ermessen, das dieses Wort nach Auschwitz bekommen hat? Daran hängt in der Tat die ganze Weltgeschichte.
    Sind die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn wiederkehrt, die Wolken von Zeugen (Hebr 121): die Märtyrer (und die Geringsten seiner Brüder)?
    In den Tag- und Nachtbüchern Theodor Haeckers gibt es eine schlimme Stelle, an der er auf eine vorgebliche Ausnahme von der Regel, daß „in den Evangelien niemand in solcher Art (sc. welche Augen, welche Haare, welche Nase die Person einer Geschichte hat) beschrieben“ werde, hinweist: „Die einzige Ausnahme macht gewissermaßen Christus selber, da er einen seiner Jünger, ganz allgemein freilich, als echten Hebräer (sic!) anspricht, im Äußeren schon (sic!). Das setzt aber doch voraus, daß man sich über den Typus eines echten Hebräers durchaus im klaren war.“ (S. 50f) Dieser Hinweis kann sich nur auf die Berufung des Natanael (Joh 145ff) beziehen, den Jesus aber nicht einen echten Hebräer, sondern einen „echten Israeliten, einen Mann ohne Falschheit“ nennt. Spielt hier nicht der herrschende Antisemitismus dem Theodor Haecker einen nun wirklich entsetzlichen Streich, wenn er den Israeliten durch einen Hebräer ersetzt und diesen dann umstandslos auf sein „Äußeres“ reduziert: Wer „sich über den Typus eines echten Hebräers durchaus im klaren“ ist, kann nur die antisemitische Karikatur im Kopf haben. Daß einer, der im übrigen die Ereignisse der Zeit mit so großer Sensibilität beschreibt, selber zum Opfer der schlimmsten Vorurteile dieser Zeit geworden ist, ist entsetzlich. Aber vergleiche hierzu die ähnlichen Stellen:
    – S. 62: „… sind die Juden niemals Philosophen, Dichter, Maler, Bildhauer, Architekten ja nicht einmal Techniker gewesen“;
    – S. 77: „Den alten Juden wurde von Gott das Recht gegeben, Palästina zu erobern und Völker zu vernichten oder zu entrechten. Wir dürfen annehmen, daß diese Völker entartet waren …“;
    – S. 113f, über die Auferstehungslehre des Paulus: „Das ist die brutale Lehre eines fleischlichen Juden, der die Seligkeit ohne Verbindung mit dem Leibe sich nicht vorstellen kann“.
    Ist das nicht alles auch christliches Traditionsgut, das Theodor Haecker hier unreflektiert wiedergibt? Aber daß Theodor Haecker gleichwohl ein wirklicher Theologe war, beweist der Satz: Man soll und darf nur sich selber den Vorwurf machen, daß man kein Heiliger ist, beileibe keinem anderen (S. 305).
    Ein schlimmer Satz: Was geht’s mich an, was in der Welt vor sich geht, solange meine eigene Seele noch nicht heil ist? (Theodor Haecker, S. 239) Aber nach dem vorhergehenden Text ist klar: Es ist ein verzweifelter Satz.
    Durch ihre Verfolgung der Juden nähern sich nämlich die Deutschen innerlich immer mehr den Juden und ihrem Schicksal an. (S. 243f)
    Was aber, wenn das offenbare Scheusal (nämlich Hitler) doch nur der uns gnädig vorgehaltene Spiegel wäre, der mit exzeptioneller Schamlosigkeit und Aufrichtigkeit genau wiedergibt, wie wir in Wahrheit sind und vor Gott aussehen? Was dann? (S. 262)
    Gründet nicht das Problem Theodor Haeckers darin, daß er an der hierarchischen Struktur der Wahrheit und der Kirche festhält, zugleich aber mit größter Sensibilität das Grauen und die Gemeinheit notiert: Er ist nicht bereit, den Faschismus als eine Krankheit am Leib der Kirche selber zu begreifen. Enthüllen sich nicht die hierarchischen Strukturen am Ende als die sieben unreinen Geister?
    Zum Titel „Tag- und Nachtbücher“:
    – Er von stammt Theodor Haecker selbst (sh. S. 11).
    – Klingen nicht die Tage und Nächte der Schöpfungsgeschichte (als Begründung des hierarchischen Begriffs der Wahrheit) mit an?
    – Ist es ein Zufall, daß Johannes vom Kreuz (den Edith Stein übersetzt hat) zitiert wird?
    – Ist es nicht ein letzter Versuch, Licht und Finsternis zu scheiden?
    Läßt sich nicht an den Tag- und Nachtbüchern Haeckers ablesen, was der Faschismus für die Kirche wirklich bedeutet hat, und wie weit die Kirche, trotz aller Kritik und Distanz zum Nationalsozialismus, in diese Dinge verstrickt war. Hier scheint der Grund zu liegen, der bis heute die innerkirchliche Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit unmöglich gemacht und die entsetzliche Verwirrung, die nach dem Kriege immer deutlicher geworden ist, verursacht hat.
    Lingua latina: die lateinische Sprache.
    Ist der Begriff des Substantivs (in dem das Verb als Begriff das Nomen überwunden, besiegt hat, statt das Nomen in das eigene und sich selbst ins Licht des Namens zu rücken: Produkt der verdinglichten Grammatik und Denkmal der abgestorbenen benennenden Kraft der Sprache) antisemitisch?
    Drückt nicht das Schematismus-Kapitel bei Kant aufs genaueste den logischen Zusammenhang der subjektiven Form der inneren Anschauung mit dem Ursprung und der Geschichte des Nominalismus aus: die Selbstzerstörung und Substitution des Hörens durch die Gewalt der Vorstellung einer homogenen Zeit.
    An den Vorgängen von Bad Kleinen wird sich erweisen, wie weit das Prinzip des Aussitzens sich in diesem Lande der unbegrenzten Zumutbarkeiten durchhalten läßt.
    Bei einem Systemfehler hilft kein Auswechseln der Personen mehr, sondern nur noch das insistente Nachfragen und das Bestehen darauf, daß der Vorgang aufgeklärt und die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen werden.
    Wird das deutsche Volk nicht immer mehr zur Inkarnation des Weltbegriffs (Folge seiner ambivalenten Beziehung zur Welt, zum Ausland, zur Geschichte)?

  • 01.10.91

    Zum Zusammenhang von „Schicksal“ und „schneiden“ (W.v.Soden, S. 168): Nachklang im „scheiden“ im biblischen Schöpfungsbereicht (Licht von der Finsternis, Wasser oben vom Wasser unten etc.)?
    Die Kurzfassung des biblischen Schöpfungsberichts, wonach Gott die Erde gegründet und den Himmel aufgespannt hat, hat zweifellos sprachliche Wurzeln, ihr gegenständliches Korrelat ist sprachlicher Natur; ihr entspricht heute die Unterscheidung von
    – Wissenschaft (Begründungs-Institution, Herrschaft des Kausalprinzips; Frühform: die „sumerischen“ Omina-Listen)
    – und Kunst (vom langen Atem der ästhetischen Formbegriffs bis hin zur Technik der Erzeugung von Spannung, z.B. in Literatur und Musik <Lösung des Problems der U-Musik?>).
    Der Unterschied zwischen Ästhetik und Kunstkritik (zwischen Adorno und Benjamin) hängt am Begriff der Autorität, die der Kunst beigemessen wird.
    Vor dem Hintergrund des „aufgespannten“ Himmels gewinnt der Sternendienst, die Sternenreligion, im alten Orient seinen besonderen Stellenwert (die Sterne „bedeuten“, weil sie der Praxis nicht zugänglich sind, nur Gegenstand der Kontemplation; sie sind gleichsam Projektionen dessen, was der Himmel „bedeutet“: der absoluten Zukunft gegen das Vergangenheits- und Totenreich des Irdischen; Projektion nur möglich im Kontext der Ausbildung frühstaatlicher Herrschaftsstrukturen, die ebenfalls die <irdische> Zukunft beherrschbar machen sollen – Sternendienst und Sprache: ist die Sprache an der Astronomie zerbrochen <Turmbau zu Babel>? – Anwendung aufs Zeitalter der Raumfahrt?).
    Jedes Opfer enthält ein Stück Magie: die Vorstellung, daß man (durchs Opfer) Einfluß nehmen könne auf das Handeln Gottes und auf das Schicksal der Natur; gegen diese Opfertheologie steht das paulinische: „Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. … Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Röm 817ff; vgl. hierzu Gen 316 sowie auch Ps 10430). Der Weltbegriff als Inbegriff von Herrschaft (das Tauschprinzip) ist die Grundlage des Naturbegriffs als Inbegriff aller Objekte von Herrschaft (des Inertialsystems): Erst vor diesem Hintergrund wird das messianische „die Schuld der Welt auf sich Nehmen“ sinnvoll und verständlich.
    Natur und Welt sind die Totalitätsbegriffe, die den realen Verblendungszuammenhang begründen, unter dessen Bann wir heute alle stehen. Dieser Bann ist ist für den, der ihn nicht durchstoßen kann, zirkulär, und d.h. ausweglos. Der Marxsche Satz, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt und nicht das Bewußtsein das Sein, ist zu differenzieren (und zu berichtigen): das Sein, das das Bewußtsein bestimmt, ist ein auch durchs Bewußtsein bestimmtes Sein. Es ist – konkret – ein durch vergangenes Bewußtsein bestimmtes Sein, und die Gewalt dieser Vergangenheit ist die Last, die auf uns lastet. Der Stalinismus ist nichts anderes, als der Versuch, von dieser Differenzierung gleichsam den unerlaubten Gebrauch zu machen, nämlich mit Hilfe politischer Gewalt das Sein zu bestimmen, das dann das Bewußtsein der Menschen bestimmen soll. So wurde der Marxismus (durch Instrumentalisierung) zur Ideologie.
    „Du hast unsere Sünden vor dich hingestellt; unsere geheime Schuld ist das Licht deines Angesichts“ (Ps 908): Erkennen wir sein Angesicht nur im Lichte unseres Schuldbekenntnisses? (Vgl. „Israel“ – Gen 3229ff)
    Die Verwechslung von Virgo und Bekenner ist der Ursprung des pathologisch guten Gewissens (des Faschismus – Zusammenhang mit der weiblichen Sonne und dem männlichen Mond?). Die Ausländerfeindschaft ist eine direkte Folge der Veräußerung des Gewissens (ins Urteil des Auslandes, der Welt): sie glaubt durch den Mord an den Ausländern das eigene schlechte Gewissen beseitigen zu können.
    Die Schöpfungsgeschichte zu Beginn der Bibel ist bereits prophetisch; sie steht nicht in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Weltentstehungslehren. Aber sie benennt an der Natur deren Korrespondenz zur Prophetie. Das Chaos im Anfang der Schöpfung und die sechs Nächte, die die Schöpfungstage von einander trennen, haben – wie mir scheint – mit den sieben unreinen Geistern zu tun, die an zwei Stellen des NT erwähnt werden (zu Johannes vom Kreuz: es gibt nicht eine mystische Nacht der Erkenntnis, sondern sieben Nächte der Erkenntnis; und deren Hypostasen sind die sieben unreinen Geister, die bisher nur bei Maria Magdalena ausgetrieben wurden (d.h. Maria Magdalena ist die einzige, die die Umkehr vollzogen hat; darauf weist es hin, wenn sie als einzige im Heiligenkalender als Büßerin geführt wird, während umgekehrt dem Petrus, als Typos der Kirche, die dreimalige Leugnung vorausgesagt ist).
    Die Vorstellung, daß Sternkatastrophen in der von Heinsohn u.a. vorgestellten Weise die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt hätten, gleicht der, die die Geschichte der Aufklärung aus dem Erdbeben von Lissabon herleitet. Beide werden sinnvoll, wenn man unterstellt, daß die Geschichte der gesellschaftlichen Realität und des Bewußtseins in beiden Fällen soweit vorgearbeitet hatte, daß es „nur noch“ dieses äußeren Anstoßes bedurfte, um die entsprechenden geschichtlichen Wirkungen dann auszulösen. Nur als sinnliche Korrespondenz einer vorausgehenden gesellschaftliche Naturkatastrophe konnte die reale ihre geschichtliche Wirkung entfalten. Frage an Heinsohn: Warum muß man den Ursprung des Monotheismus und nicht den der Idolatrie erklären?

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