Justiz

  • 11.11.87

    Ontologie ist die Hypostase des Indikativs, die Festschreibung der richtend-urteilenden Erkenntnis als Mittel der Selbsterhöhung (die Wurzel der Empörung) des urteilenden (transzendentalen) Subjekts. Analog zu den „fürchterlichen Juristen“ kann man von den „fürchterlichen Philosophen“ sprechen. Der Konjunktiv eher als der Indikativ ist das Medium der Wahrheit. Der Indikativ schreibt den Schuldzusammenhang fest (und entlastet, exkulpiert das apodiktisch urteilende Subjekt).

    In den Kontext des Wahrheitsbegriffs, der am Indikativ, an den „Tatsachen“ festgemacht ist, gehört auch die kriminalpolizeiliche Fahndung und Ermittlung. Sie verweist auf das Feld der Schuld, in dem diese Empirie sich bewegt und das hier als eine unveränderliche Gegebenheit vorausgesetzt wird; und auch hier gibt es – wie in den Naturwissenschaften – eine Experimental- und Testphase, eine mörderische Gleichgültigkeit gegen Nebenfolgen, bis hin zur Inkaufnahme der Existenzvernichtung. Unbarmherzig gegen die, die sich nicht wehren können und deren Verteidigungschancen durch gezielten und taktisch manipulierten Verdacht gegen das „Umfeld“, das so zum Schweigen gebracht wird, vernichtet werden (= Herstellung von Laborbedingungen: vgl. Isolationshaft; ebenso hat die Einschränkung der Verteidigung in Terroristenprozessen nur Sinn, wenn die Verfahren als Mittel im politischen Kampf gegen den Terrorismus begriffen werden und das Schicksal wie auch die konkrete Schuld der einzelnen überhaupt nicht mehr interessieren).

    Wirksam war dieses Verfahren in allen vom Vorurteil beherrschten Bewegungen, von den Ketzer- und Hexenverfolgungen bis hin zum Antisemitismus. Weitergeführt wird es im Bereich der sogenannten Terroristenfahndung (in der die bis heute nur verdrängte, nicht wirklich aufgearbeitete Vergangenheit wiederkehrt, deshalb das aggressive Klima. in dem diese Dinge ablaufen). Hier gibt es inzwischen den gleichen Automatismus wunderbarer Schuldvermehrung und als Pendant dazu die panische Angst derer, die Grund zu haben glauben und fürchten zu müssen, daß sie in diese Netze hineingeraten können. Und Grund zur Furcht ist nicht mehr eine individuelle Schuld, sondern ein allgemeiner (z.T. an zufällige Merkmale wie Kleidung, Haarschnitt anknüpfender) Verdacht.

  • 26.05.88

    Wer die Urteile in Terroristenverfahren auf Naziverbrechen anwenden wollte, müßte das ganze Volk, das ein Volk von Sympathisanten war, in Isolationshaft halten; aber verhält sich dieses Volk nicht bereits so, als befände es sich in Isolationshaft? – Die Einführung eines Sozialversicherungsausweises paßt gut dazu: so bekommt man das Volk in den Griff; man versetzt alle sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer unter Verdachtsanklage, Schwarzarbeiter – „Ausbeuter“, wie Herr Blüm sie zu nennen beliebt – zu sein, ein Verdacht, von dem man sich nur befreien kann, wenn man Inhaber eines Ausweises ist: „wer nichts zu verbergen hat, …“ – Das Schlimme ist, daß diese Aktion genau die Stimmung bestimmter Gewerkschaften und in der rechten SPD zu treffen scheint, die nicht merken, vor welchen Karren sie gespannt werden.

  • 16.06.88

    Das Bürgertum – als Subjekt des Rechts – ist der Ursprung der Utopie, der Idee einer Gesellschaft, die – ihrer selbst mächtig – der Unterdrückung eigentlich nicht mehr bedarf. Die Funktion der Strafe sollte es sein, den Irrenden auf den rechten Weg zurück zu führen; ihre reale Funktion jedoch war die Abschreckung: sie war Strafe für andere, und der einsitzende Delinquent nur zufälliges Opfer wie das Tier im Experiment. Eigentlich jedoch – und das verweist auf das Moment des Scheins im Ursprung der Utopie – war die Strafe (die der Intention nach immer nur den anderen treffen durfte, mit dem niemand sich zu identifizieren wagte) reine Demonstration der Macht, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt in der von Macht geprägten Gesellschaft, eine Grenze, die mitten durchs Subjekt verläuft (und hier Ich und Es, Bewußtsein und Unbewußtes trennt). Oberhalb dieser Grenze ist die eine, wahre und eigentliche Welt, der der anständige Mensch angehört; unterhalb liegt das Verdächtige, Verrufene, die Schuld. Strafe ist das Instrument der Internalisierung des Terrors, sie wirkt zugleich auf eine infame Art desorientierend: Strafe wirkt nur von oben nach unten; die Vorstellung, das Verhältnis ließe sich umkehren, die Oberen könnten zur Rechenschaft gezogen werden, ist der Grund für das Mißlingen jeder Revolution bis heute (Austausch des Personals, nicht Änderung der Verhältnisse). Die wirkliche Revolution wäre die Abschaffung der Strafe (und des richtenden Rechts).

  • 10.07.88

    Der christliche Höllenglaube ist nicht nur Produkt der Auseinandersetzung mit dem Mythos, sondern zugleich Grund der Wiederkehr des Mythos im Christentum. Und zwar vor allem als Grund und Rechtfertigung des Rechts, der Strafe, eigentlich des theologischen Kompromisses, das notwendig war zur Begründung und Rechtfertigung des Staates.

    Je mehr ich mich mit dem Deutschen Herbst und seinen Folgen befasse, umso entsetzter und fassungsloser; Verdrängung der Realität, Durchsetzung von Gesinnungen und Fakten durch Rechtsmittel, gefährliche Entwicklung, Verdrängung des Gewissens, der Humanität (des „inneren Schweinehundes“). Zusammenhang der Isolationshaft von Irmgard Möller mit den ungeklärten Toden in Stammheim; Interesse der Justiz sowohl an den Toden als auch an der Verweigerung der Aufklärung setzt sich fort in der Aufbauschung der gesamten alternativen Szene zum Terrorismus; wieviel Isolationshäftlinge gibt es eigentlich inzwischen? was ist an dem Hinweis von Klaus Jünschke, wonach die verantwortlichen Stellen wissen, daß aufgrund von Aussagen im Vorgriff auf die Kronzeugenregelung Urteile gefällt (und Menschen verurteilt) wurden, obwohl diese Aussagen nachweislich falsch sind? Herr Bode, den Herr Jünschke direkt angesprochen hat, hat nicht widersprochen (in einer Talkshow vor kurzem).

    Verdacht, daß eine parlamentarische Aufklärung – wie in der Parteispenden-Affaire – nicht zu erwarten ist, weil alle beteiligt sind (SPD/FDP als damals verantwortliche Regierung; CDU ohnehin).

    Vorfall Startbahn:

    . Staatsanwaltliche Ermittlung ohne Ergebnis: nicht herauszubekommen, wer die Festnahme überhaupt vorgenommen hat;

    . Schreiben an einen Landtagsabgeordneten landet bei der Polizei.

    Weitere Erfahrungen:

    . Frage nach dem Namen eines Polizeibeamten: „Ich heiße Anders, heute heißen hier alle Anders (anders)“,

    . Frage nach der Dienstnummer: „4711“.

    Zu den sieben Werken der Barmherzigkeit vgl. Matth. 25, V. 34-40.

  • 2.5.1997

    Heute schilt man die Reflektierenden rücksichtslos, weil sie auf die Verdrängungen der Andern keine Rücksicht nehmen. Empfindlich ist das zur Schuldreflexion unfähige Gewissen.

    Zur antisemitischen Vorgeschichte der Denunziation: Stefan Wyss berichtet von einem Fall aus der Geschichte der Inquisition, in dem ein Beichtvater einer Beichtenden, die einer marranischen Gruppe angehörte, die Absolution nur unter der Auflage erteilte, daß sie die anderen Mitglieder dieser Gruppe bei der Inquisition denunzierte.

    Aus dem gleichen Umkreis stammt auch der Begriff der „Selbstbezichtigung“, der auf ein Verhalten sich bezog, durch das ein Verdächtiger unter gewissen Bedingungen der Verfolgung sich entziehen konnte. Der Ausdruck war insofern begründet, als mit einer Selbstbezichtigung nur der Verdacht sich bestätigen, nicht aber die Tat sich nachweisen ließ; eine Selbstbezichtigung unterschied sich vom Schuldbekenntnis, vom Eingeständnis der Tat, dadurch, daß sie auch falsch sein konnte. Nach der Inquisition haben erst die stalinistischen Schauprozesse wieder von diesem Mittel Gebrauch gemacht.

    Im Munde der Bundesanwaltschaft gewinnt der Begriff der Selbstbezichtigung die Qualität eines instrumentalisierten Freudschen Versprechers: Hier wird ein begriffliches Merkmal der Anklage, die in der Tat eine bloße Bezichtigung ist, auf das Bekenntnis der Täter verschoben: hier wird das Bekennerschreiben, das eins ist, zum „Selbstbezichtigungsschreiben“, das offen läßt, ob der, der es verfaßt und veröffentlicht hat, auch die Tat begangen hat, deren er sich „bezichtigt“. Imgrunde kann die Anklage in Staatsschutzprozessen nur davon ausgehen, daß die Angeklagten grundsätzlich lügen, Beweismittel manipulieren oder vernichten, daß m.a.W. ein rationaler Diskurs mit den Angeklagten nicht möglich ist; deshalb gibt es zur Isolationshaft keine Alternative. So „bezichtigt“ z.B. die BAW Birgit Hogefeld nur der Taten, von denen sie selbst nicht weiß, ob sie sie auch begangen hat; für das Gericht gelten diese Bezichtigungen so lange, wie sie nicht widerlegt werden, als bewiesen. Und diese „Beweisführung“ wird dadurch erleichtert, daß die Angeklagte durch die Haftbedingungen in ihren Verteidigungsmöglichkeiten behindert wird (apagogische Beweisführung unter Laborbedingungen).

    Zur inneren Differenzierung des Begriffs der Selbstbezichtigung: In der Geschichte der Verfolgung der Marranen ging es darum, die Infamie mit ihren eigene Waffen zu bekämpfen, um sich selbst, das eigene Jüdischsein, zu retten; in den stalinistischen Prozessen dagegen um das Mitspielen in einem Schauspiel, das, um die Idee der Befreiung zu retten, die Öffentlichkeit hinters Licht führen sollte, auch wenn man selbst dabei zum Opfer wurde (wie hängt die Idee der proletarischen Revolution mit Hegels „Weltgericht“ zusammen, und die Selbstbezichtigungen der Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen mit Marx‘ „Veränderung der Welt“?).

    Über das Verfahren des apagogischen Beweises hängt das Marranenproblem mit der Geschichte der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung zusammen, die in den Staatsschutzprozessen endet.

    „Schweinehund“: Marranen (zwangsgetaufte Juden, die nur äußerlich der christlichen Umwelt sich anpaßten, im Innern aber Juden geblieben waren) waren „Sauhunde“; die Wut, die sie in ihrer Umwelt hervorriefen, gründete darin, daß die zwangsangepaßten Christen in ihnen sich selbst und die Logik des Zwangsbekenntnisses, dem sie sich unterworfen hatte, wiedererkannten. Erweist sich nicht vor diesem Hintergrund Name des Schweinehundes und der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ (heute: die „Dressur des inneren Schweinehundes“) als das missing link in der Geschichte des Übergangs vom Antijudaismus zum Antisemitismus, bezeichnet er (im Bilde des Marranen) nicht den Punkt, an dem der Antijudaismus rassistisch wird?

    Zur Vorgeschichte der Klandestinität gehört das Marranentum (vgl. auch die Geschichte der Schiiten, die „Praxis der Verheimlichung, verbunden mit politischer subversiver Tätigkeit“ im Kontext der „Privatisierung öffentlicher Macht“ bei Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 459f).

    Die Parabel vom Weizen, der auf den Weg, auf steinigen Grund, unter die Dornen fällt, ist eine Parabel über den Zustand der Welt, in die das Christentum hineingeschickt wird.

    Bis heute haben alle Rachephantasien nur dem Feind genützt, haben ihn stärker werden lassen.

    In der Schrift sind nur männliche Namen theophore Namen, weibliche Namen sind im allgemeinen aus der Pflanzen- und Tierwelt.

    Die Frage nach dem Naturgrund von Herrschaft ist eins mit der kantischen Frage, warum die subjektiven Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind. Weist sie nicht zurück auf den zweiten Schöpfungstag, die Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern trennt?

    Ist das Relativitätsprinzip das naturwissenschaftliche Pendant der „Feste des Himmels“, und ist es nicht – als Instrument der Instrumentalisierung – der Unzuchtsbecher, das Instrument der Dauervergewaltigung?

    Im Feuer manifestiert sich die Beziehung zwischen dem Angesicht und dem Seitenblick: zwischen dem Licht und seiner Abbildung im Inertialsystem, der Elektrodynamik. Das Feuer wird in der Physik selber repräsentiert durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und durch die Planck’sche Strahlungsformel.

    Die Beziehung von Natur und Freiheit bei Kant ist Ausdruck dieser Beziehung des Seitenblicks zum Im Angesicht: des Feuers.

    Der Bann der Anpassung an die Welt (an den objektivierenden Seitenblick) läßt sich nur durch die Theologie im Angesicht Gottes, in dem ich mir selbst durchsichtig werde, lösen.

    Theologie heute: Der Versuch von etwas zu reden, von dem man – wie Franz Rosenzweig von Gott Mensch Welt – nichts weiß. Die Bewegung, die dieses Nichtwissen bei Franz Rosenzweig durchläuft: Ist das nicht die Bewegung, in der Daniel den Traum des Nebukadnezar, den dieser nicht mehr weiß, rekonstruiert?

    Zur Gegenreformation gehört eine Moraltheologie, die als Pornographie im Gewande der Moral sich begreifen läßt. Sie stellt Adornos Satz „Erstes Gebot der Sexualethik: Der Ankläger hat immer Unrecht“ auf den Kopf.

    Hat das Wort „Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ etwas mit der Beziehung von Occident und Orient zu tun, mit Westen und Osten (ex oriente lux)?

    Ist nicht der apagogische Beweis, der das heliozentrische System fast unangreifbar macht, der Instrumentalisierungsbeweis (der Beweis durchs Experiment)? Dehalb gehört zum apagogischen Beweis, der insbesondere als Instrument des Staatsschutzes Anwendung findet, die Folter. Die Zwangsbekehrung der Juden (das Marranentum) war ein Instrument der Selbstinstrumentalisierung der Religion, die experimentelle Erprobung der Reichweite der Bekenntnislogik. Der Preis war die Universalisierung der Feindbildlogik und die Außerkraftsetzung des „in dubio pro reo“. Sie hat den Angeklagten zum Feind gemacht, gegen den die Anwendung der Folter zulässig ist. In der Konsequenz dieser Logik wird der Ankläger zum Anwalt des Staates, des Rechts, nicht der Gerechtigkeit (der Gebrauch, der im Titel des Staatsanwalts vom Namen des Staats gemacht wird, setzt an die Stelle der Gerechtigkeit das Recht, trennt das phainomenon vom noumenon).

    Wie hängt der apagogische Beweis mit der Selbstbegründung der Mathematik (mit der Konstruktion des adialogischen synthetischen Urteils apriori) zusammen, der Begründung einer Welt, die sowohl vom Licht wie von der Sprache abstrahiert?

    Das Gravitationsgesetz ist das Bild des Schuldverschubsystems.

    Gibt es einen Zusammenhang der Pluralisierung des tän hamartian tou kosmou zu den peccata mundi mit der Konfessionalisierung des homologein (dem Ursprung der Bekenntnislogik)? Und wie hängt die Konfessionalisierung des symbolon zusammen mit der Geschichte der Confessiones (von Augustinus bis Rousseau)?

    Gehört der Selbstmord des Uriel da Costa (der seiner Confessio, dem Exemplar humanae vitae, folgt) in die Geschichte der Selbstmorde, die mit dem kollektiven Selbstmord in Massada beginnt und mit Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) endet?

    Ist nicht die Amsterdamer Bannformel (gegen Uriel da Costa und dann, veschärft, gegen Spinoza), ein Indiz der Infizierung der Synagoge durch die Bekenntnislogik?

    Das Problem der Beichte verweist auf das der Sündenvergebung, der Bekehrung des einen Sünders, über dessen Bekehrung größere Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, der Bekehrung des Sünders von seinen Wegen des Irrtums, und in diesem Zusammenhang auch auf das Problem des Worts vom Binden und Lösen. Nicht die Verurteilung der Wege des Irrtums, sondern ihre Reflexion ist der Beginn dieser „Bekehrung“.

    Emmanuel Levinas zufolge verkörpert das Angesicht des Andern das Gebot: „Du sollst nicht töten“. Zugleich widerlegt das Angesicht des Andern das Konstruktionsprinzip der subjektiven Formen der Anschauung: den Staat.

    Der erste Handel war Fernhandel, die erste Form des Erwerbs der Raub, zu den ersten Waren gehörten die als Sklaven auf dem „Markt“ angebotenen Kriegsgefangenen (zu denen auch die Frauen gehörten: Exogamie, Inzest-Verbot).

  • 1.4.1997

    Die christliche Transformation des Bibelverständnisses ins Erbauliche beginnt mit der Transformation des Prophetischen ins Exemplarische, vorbildhaft Historische.
    Der Antisemitismus reflektiert reflexionslos den Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Er ist ein Indiz dafür, was von der Aufklärung zu erwarten ist, wenn die Reflexion aus ihr vertrieben wird.
    Zu den Gründen des Antisemitismus gehört die Feigheit vor dem frontalen Diskurs, der Antisemitismus verwechselt Kritik mit Eliminierung. Antisemiten kritisieren keine Bücher, sie verbrennen sie. Das ist ihre Form des Urteils, die Reflexion nicht mehr kennt, aber auf sofortigen Vollzug dringt: auf Bestrafung. Die antisemitische Gewalttat zielt auf die Zerstörung des Angesichts, sie kennt ihr namenloses Opfer nur von hinten (aus der Sicht des Gerüchts) und von oben (als Objekt des Begriffs), als das Ding, zu dem sie es macht.
    Das reflexionslose Urteil (Kants „bestimmendes Urteil“) ist ein Instrument der Ausgrenzung und Eliminierung (die „Dinge, wie sie an sich sind“ verkörpern sich im Namen und im Angesicht, im Reich der Erscheinungen sind sie unerkennbar).
    Das Präfix be- ist ein Instrument Schuldverschiebung und der projektiven Instrumentalisierung (Kristallisationskern der Feindbildlogik, die mit dem Namen der Barbaren einmal als Erkenntnisinstrument, als Instrument der Naturerkenntnis und als Grund des Wissens, sich konstituierte). Ist das be- der Indikator des Knotens?
    Die Trinitätslehre hat die exemplarische Gestalt der Reflexion hypostasiert, damit aber als Mittel der Reflexion unbrauchbar gemacht.
    Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, ist die Sünde wider den Heiligen Geist. Bei Jonas bezeichnet sie den Grund für den Aufschub der Zerstörung Ninives (die dann im Buch Tobias doch noch erfolgt).
    Der Unzuchtsbecher ist das Symbol der Unterwerfung und Vergewaltigung der Welt (vgl. den Raub der silbernen und goldenen Geräte des Tempels durch Nebukadnezar und deren Gebrauch durch Belsazzar).
    (Mene, tekel upharsin: Sind die subjektiven Formen der Anschauung diese geraubten und dann genutzten silbernen und goldenen Geräte?)
    Die Prophetie beginnt erst zu sprechen, wenn die Gegenwart in ihr sich erkennt.
    Hörner: Wenn die Aggression der gehörnten Tiere eine gehemmte Flucht ist, ist dann nicht das Fluchtverhalten der Nager eine gehemmte Aggression?
    Zweifellos ist die Astrologie Produkt einer Projektion; aber mit dieser Projektion ist etwas entstellt und verwirrt worden, was zu begreifen wichtig wäre. Dagegen hat Astronomie nur das Problem unsichtbar gemacht.
    Die Quintessenz war der Hysteriekern der neuzeitlichen Alchimie und Astrologie.
    Das Wie bezieht sich auf die Frage nach den Mitteln (auf die Konstellation Wissen, Natur und Welt), mit dem Wie ist das Neutralisierungskonzept und das Inertialsystem mit gesetzt (Naturwissenschaften und Geschichte beantworten nur das Wie).
    Die Sprache ist der Raum, in dem wir uns bewegen. Das Inertialsystem konstituiert sich in dem Versuch, diesen Raum schuldfrei zu machen (die Schulderinnerung grundsätzlich zu unterdrücken). Erst in diesem Versuch wird die Sprache zu etwas gegen das All der Dinge Äußerlichem, von der Wirklichkeit Unterschiedenem.
    Wohnen wir nicht in Sprachruinen, nachdem wir verlernt haben, den logischen Sprachzusammenhang zu reflektieren? Die Verluderung der Sprache ist ein Reflex der Verrottung des Staates. Heute übertrifft die Realität das Böllsche Wort: Nicht mehr Verrottung, die immer noch einen organischen Zustand bezeichnet, sondern Verwüstung (die einen anorganischen Prozeß bezeichnet) wäre die angemessene Bezeichnung. (Die Zerfallsprodukte der Frankfurter Schule sind Ruinen im zerstörten Garten der Philosophie: Wie in der heutigen Architektur gibt es auch hier Ruinen, die es seit ihrer Konzeption bereits waren).
    In dem Satz, daß nichts Vergangenes nur vergangen ist, drückt der letzte Grund der Hoffnung sich aus. Instrument dieser Hoffnung ist das Eingedenken.
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Das ist nur ein anderer Ausdruck für das Gebot der Feindesliebe. Der Satz enthält keine „Aussage“ über Gott, sondern nur einen Imperativ an uns.
    Was bedeuten die Namen Alexander und Karl?
    Die Kultur der Empfindlichkeit wäre die Selbstverurteilung zur Isolationshaft, der selbstverordnete Autismus. Bekenntnislogik und Empfindlichkeit sind zwei Seiten einer Medaille, beide haben einen gemeinsamen pathologischen Grund.
    Es gibt zwei Arten der Phantasie, und damit auch zwei Arten des Mangels an Phantasie, die zu einander wie kommunizierende Röhren sich verhalten: die Phantasie der Empfindlichkeit und die der Sensibilität.
    Zum Verständnis der Apokalypse gehört der Hinweis, daß die Wahrheit (auch die der Apokalypse) nicht berechenbar ist. Wäre sie berechenbar, würde sie nicht einleuchten. Apokalypse ist das einzige Mittel gegen jeglicher Art von Geheimnissen. Dazu ist die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar (und seiner Rekonstruktion und Deutung durch Daniel) ein Schlüssel.
    Heute gibt es Gerichtsurteile, in denen das Gericht sich selbst verurteilt.
    Lachen ist die subjektive, Weinen die objektive Seite der Verurteilung. – Jedoch am Ende wird jede Träne abgewischt.
    „In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; in neuen Zungen werden sie reden; Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden genesen.“ (Mk 1617f)
    Was bedeutet das Wort vom „Ende der Geschichte“ (Ilka Quindeau: Geschichtswunder, in der FR von heute), wenn man zugleich an Hegels Hinweis auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte sich erinnert? Bezieht sich das „Ende“ auf Geschichte als reales Geschehen oder auf als deren objektivierte Erinnerung? Unterliegt Quindeau nicht einer unbewußten, logisch unaufgelösten Subreption? Erinnert der Text der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Sigmund Freud-Instituts in Frankfurt nicht an den ungelösten Konflikt zwischen H.-E. Richter und seinen „Kritikern“ aus dem Umkreis der RAF?
    Gilt Hegels Bemerkung über den Begriff der Geschichte nicht auch für den Weltbegriff?
    Das Ende der Kollektivscham: Der Slogan „Es geht nicht um die Konservierung des Entsetzens“ läuft auf die Psychotisierung des wirklichen Entsetzens, dem die Kollektivscham bereits die Sprache geraubt hatte, hinaus.
    Texte haben ein Gesicht: Gründet die Unterscheidung von Rechts und Links in der von Anschauung und Sprache?
    Detlef Claussens aktuelle Analyse der RAF (aus 1977 ?) verweist auf einen lang nachwirkenden Sachverhalt. Der ersten Verdrängungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg (die das Begreifen des Schreckens durch die Verurteilung des Faschismus ersetzt hat) entspricht eine zweite, deren Grundlage sie war: die Verdrängungsgeschichte, die die RAF eingeleitet und bis zum Exzeß weitergetrieben hat: das Ende der Reflexion.

  • 10.3.1997

    Nochmals: Ist der Streit in der Prozeßgruppe nicht ein nachträglicher Sieg Hembergers und Schiefersteins, eine Folge der Unfähigkeit, das, was im Prozeß passiert ist, zu reflektieren und den Ohnmachtsschock, den das Urteil erzeugt hat, anders als durch Projektion zu verarbeiten? Und macht uns nicht unsere Empfindlichkeit zu Marionetten des Systems, zu willigen Vollstreckern der BANK, DIE IMMER GEWINNT? – Ist das Ganze nicht eine naturwissenschaftliche und metaphysische Erfahrung zugleich (Empörung und Verurteilung als Ich-Prothese; Kettenreaktion: Ausgrenzungen in der Linken als atomare Spaltprozesse; welche Halbwertzeiten haben linke Gruppenbildungen heute; sind die Halbwertzeiten ein Gradmesser der Reflexionsunfähigkeit)? Was bedeutet es eigentlich, wenn die Linke sich als Massenpartei versteht?
    Ist das nihil in dem Satz von der creatio mundi es nihilo nicht sinnlich anschaubar: Sieht es nicht aus wie Kohl oder Kanter?
    Verhalten sich Akkusativ und Genitiv zum Dativ wie die Welt zur Natur?

  • 9.3.1997

    Die Nachkriegsgeneration: Kinder der Dingwelt.
    Selbstverdinglichung, der Versuch, die Last, die auf uns liegt, durch Abwälzung auf andere (durchs Schuldverschubsystem) zu reduzieren, potenziert die Last.
    Rechts und Links nicht unterscheiden können: Die Umkehr wird in der Regel auf die Beziehung zwischen vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) oder oben und unten (Gott und Kreatur) bezogen, nicht auf die von rechts und links (über die ich, wie es scheint, nichts vermag). Rechts und Links: Diese Umkehr wäre die Bekehrung des Andern, ein Motiv, das die Kirchen – über das Verfahren der Mission – zu willigen Helfern des Imperialismus gemacht hat. Aber gibt es nicht auch das andere Motiv, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, und daß über die Bekehrung des einen Sünders größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte?
    Hängt die Blut-Symbolik (das Abwaschen der Sünde, das Reinwaschen der Kleider durchs Blut des Lammes, aber auch die Blut-Symbolik in der Thora und bei den Propheten) mit diesem Rechts-Links-Paradigma zu tun? Ist sie vielleicht nur so vom Schein der Metzgertheologie zu befreien? Liegt hier die Lösung des Rätsels des Rassismus (das selbst bei Rosenzweig in einer Weise anklingt, die nach Auschwitz unerträglich geworden ist)? Liegt an der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links die Umkehr Gottes (die Möglichkeit einer Theologie im Angesicht Gottes)? Unsere eigene Seele ist in den Wegen des Irrtums des Sünders (in den subjektiven Formen der Anschauung, in der Logik des Geldes und in der Bekenntnislogik) mit gefangen.
    Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß: Enthält das Gespräch, das Heisenberg im Krieg mit Nils Bohr geführt hat, den Schlüssel zum Verständnis des Versuchs, nach dem Krieg eine „einheitliche Weltformel“ zu entwickeln? Hat sich das nationalistische Erbe in diesen hilflosen Versuch, Einstein zu übertrumpfen, zurückgezogen, verkapselt und in einen Objektivismus entstellt, der seitdem endgültig nicht nur die Naturwissenschaften, sondern die Welt verhext?
    Stand der Aufklärung: Heute reden alle übereinander, weil sie die allgemeine pathologische Empfindlichkeit daran hindert, mit einander zu sprechen. Selbst die Theologie ist zur „Rede von Gott“ verkommen.
    Am Beispiel des Begriffs der Empfindung wäre nachzuweisen, daß der historische Subjektivierungsprozeß (die Rückseite des Objektivierungsprozesses) ein Vergiftungsprozeß ist. Der Begriff der Empfindung verweist auf die pathologisierende Gewalt der Aufklärung, die zu reflektieren wäre. Statt dessen haben die Nachfolger der kritischen Theorie die Dialektik der Aufklärung liquidiert.
    Hängen nicht die Objekte der Subjektivierung: Empfindung, Kritik und Schuld, wie der Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang mit einander zusammen?
    Gesellschaftskritik als Waffe ist ein Instrument der Potenzierung des Kritisierten, Gesellschaftskritik hat nur ein Recht als Mittel der Reflexion.
    Die Subjektivierung der Empfindungen, der Meinungen und der Schuldgefühle sind Attribute der Feindbildlogik.
    Hat nicht Paul Watzlawik zum Gespräch zwischen Heisenberg und Bohr ein aufhellendes Beispiel geliefert, das nur den einen Mangel hat, das es nur die Psychologie, nicht die Logik dieses Gesprächs beleuchtet?
    Verstricken sich nicht die „Alternativen“, die außerhalb des Systems (in der Natur oder in der Religion) die Nischen einer „heilen Welt“ suchen, eben damit in den Netzen des Systems? Sie möchten dem Schuldzusammenhang nur entrinnen, anstatt der Mühe sich zu unterziehen, ihn durch Reflexion zu sprengen.
    „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“: Liegt der Unterschied zwischen Jonas und Tobias vielleicht nur in dieser Frist?
    Ersetzt nicht der Begriff der Buße, und zwar schon im Namen der lateinischen paenitentia, die Umkehr durch die Selbstbestrafung, durch die Verinnerlichung von Herrschaft? Buße ist gnadenlos.
    Drückt nicht in der Darstellung der Buße im Buch Jona in der Tat die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, sich aus?
    Haben Rechts und Links mit Tod und Auferstehung zu tun, und die Unterscheidung von Rechts und Links mit der Umkehr Gottes?
    Es gehört zur Logik der Unsterblichkeitslehre, daß sie mit dem eigenen Tod den der Anderen verharmlost, in Kauf nimmt, daß sie hilft, den Verdrängungsprozeß gegen die Vergangenheit zu legitimieren: die Finsternis zu befördern. Ist die Finsternis das Licht der Aufklärung (der Begriff der Klarheit erinnert an die klaren Verhältnisse, die das Feindbild hervorbringt)?
    Zur Geschichte der Aufklärung gehört das Bild der Wilden wie zum Ursprung der Philosophie das der Barbaren. Sind die Wilden das Produkt der Hellenisierung der Barbaren, die nur durchs Christentum möglich war?
    Ist der Streit in der Prozeßgruppe ein nachträglicher Sieg Hembergers und Schiefersteins, eine Folge der Unfähigkeit, das, was im Prozeß passiert ist, zu reflektieren? Und macht uns nicht unsere Empfindlichkeit zu Marionetten des Systems, zu willigen Vollstreckern der BANK, DIE IMMER GEWINNT?

  • 9.2.1997

    „Ein Mischnalehrer lehrte vor Raw Nachman, Jitzchaks Sohn: Jeder, der das Gesicht seines Gefährten vor den Vielen erbleichen läßt, ist, als ob er Blut vergießt.“ (Bawa mezia 58a, zitiert nach Der Talmud, ausgewählt, übersetzt und erklärt von Reinhold Mayer, Goldmann München, S. 508) Läßt nicht die Theologie das Angesicht Gottes „vor den Vielen erbleichen“, ist diese Beschämung nicht der genaueste Ausdruck des Paradigmas „Hinter dem Rücken“ (des „Redens von Gott“), eigentlich des Objektivierungsprozesses insgesamt? Ist die Natur die Schöpfung im Zustand dieses Erbleichens? Und ist das Beschämen (das den Andern Nackt-Vorführen) nicht das Werk der subjektiven Formen der Anschauung: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren?
    Der intentio recta ist alles nackt. Und eine Theologie im Angesicht Gottes läßt auch als der Versuch, die Nackten zu kleiden, sich begreifen. Ist das nicht ein Hinweis auf das in dem Wort von den im Blut des Lammes gereinigten Kleidern Gemeinte?
    Durch die intentio recta wird der Taumelkelch zum Unzuchtsbecher.
    Der Ankläger läßt den Angeklagten erbleichen, der Verteidiger stellt ihn wieder auf die Füße. Das Beschämen gründet im Vorrang des Sehens vor dem Hören.
    In welchen Zusammenhängen erscheint der messianische Titel kyrios, Herr, und wer nannte Jesus zum erstenmal Herr (und wer nannte ihn Herr, und wer Meister, Rabbi)?
    Bedeutet der Satz, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, eigentlich auch, daß die Kirche ewig sein wird? Gibt es einen biblischen Hinweis auf den Namen der ecclesia triumphans?
    Ist der Ausdruck Sternendiener (für die Angehörigen der Völker) talmudisch, oder ist er biblisch begründet? Hat er nicht etwas mit dem Namen des Sünders und den Wegen des Irrtums zu tun?
    Im Begriff der Geschichte und im Verfahren des Historismus steckt ein apriorisches Element (gegen das Franz Rosenzweig seinen Stern der Erlösung geschrieben hat).
    Beamtenmentalität: Sich auf eine Weise den Kopf anderer Leute zerbrechen, daß man unfähig wird, sich in sie hineinzuversetzen.
    Nicht die frontale Anklage, der man sich stellen kann, sondern das Urteil hinter dem Rücken, gegen das man sich nicht wehren kann, ist tödlich.
    Das Verfahren der RAF-Prozesse gründet in der Anklage hinter dem Rücken, die nur pro forma der Gegenwart des Angeklagten bedarf. In einer Gesellschaft, in der alle über alle reden, aber niemand mehr mit dem, über den er redet, wird die verhängnisvolle Logik dieses Sachverhalts nicht einmal mehr wahrgenommen.
    Birgit Hogefeld hat sich nicht in die Rolle gefügt, in die die Unterstützer sie hineinzwingen wollten, sie hat sich nicht zur Geisel der „Unterstützer“ machen lassen; deshalb haben sie sie fallen gelassen.
    RAF-Phantom: Dieser Prozeß und dieses Urteil hatten mit der Angeklagten ebensoviel oder ebensowenig zu tun wie der Antisemitismus mit den Juden. Es gibt nur einen Unterschied, durch den die RAF-Prozesse deutlich vom Antisemitismus sich unterscheiden. Die RAF, die unter dem Programm angetreten ist, den Staat zu zwingen, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat diese Vorurteilssituation selber provoziert und durch ihr Handeln geholfen, sie herbeizuführen.
    Es gibt zwei Begriffe des Irrationalen, die sich durch das Kriterium, an dem sie sich messen, unterscheiden. Der eine orientiert sich an der Logik der Selbsterhaltung (in der das Programm der Aufklärung gründet), der andere am Zustand der Welt, der nur im Kontext der Selbstreflexion und nur durch Erinnerungarbeit sich begreifen läßt.

  • 23.1.1997

    Paranoia ist die Verführung des Wissens. Hat der Sturz von der Zinne des Tempels etwas mit der Paranoia zu tun, ist die Paranoia die Gottesversuchung (vgl. Mt 47 parr)? Ist die Paranoia das Instrument der Ästhetisierung (des Mythos), das eigentliche Objekt der transzendentalen Ästhetik: der Taumel-/Unzuchtsbecher?
    War nicht er 68er Marxismus ein Entlastungskonstrukt? Und war das nicht der Grund der Verwerfung der Reflexion des Begriffs des falschen Bewußtseins und des kritischen Ideologiebegriffs? Ist dieser Marxismus nicht der schon bei Engels sich anzeigenden Verführung durch den Wissenschaftsbegriff erlegen?
    Die Paranoia in den Geschichtskonstruktionen lebt von der Verführungskraft des kontrafaktischen Urteils (das sich den Kopf der Toten zerbricht). Die paranoiden Konstruktionen sind Entlastungsversuche und Verharmlosungen zugleich: Sie unterschätzen das Gewicht des Realen, mehr noch: sie leugnen dieses Gewicht.
    Durchs Inertialsystem wird die Verführung des kontrafaktischen Urteils zur Erkenntnisgrundlage der Naturerkenntnis.
    Der Paranoiker verwechselt die Dummheit mit der Bosheit, weil er die Reflexion verwirft. Er leugnet den Dummheitskern in der Bosheit. Und dieser Dummheitskern ist nur aufzulösen im Sinne des Satzes „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (das Strafrecht leugnet die Dummheit und verstärkt die aus ihr resultierenden Zwänge).
    Der Raum ist der Statthalter der Welt in der Natur, die Zeit die Rache der Natur an der Welt.
    Hegel und Heidegger: Der Begriff des Werdens reflektiert die Zeit unter dem Aspekt des Hervorbringens („Die Erde bringe hervor …“), der Begriff des Geschehens reflektiert sie unter dem Aspekt des Vergehens, der Verwesung, der Verrottung.
    Wirft die Bubersche Übersetzung des Gottesnamens mit dem Personalpronomen nicht ein Licht auf die Unterscheidung im Begriff der Ebenbildlichkeit des Menschen: Ist nicht das „Bild Gottes“ das Bild Elohims (des Namens der richtenden Gewalt), „Sein Ebenbild“ das Bild JHWHs (des Namens der Barmherzigkeit)?
    Zu den Siebener-Gruppen der Johannes-Offenbarung gibt es bei Daniel keine Entsprechung, außer in den „sieben Zeiten“, die über Nebukadnezar hingehen sollen (Kap 4).
    Der messianische Titel Herr verweist auf den Imperativ, der von den Armen, den Leidenden, den Unterdrückten, von den Opfern ausgeht. Auf diesen Imperativ bezieht sich der evangelische Rat des Gehorsams.

  • 10.1.1997

    Zwischen der Prophetie und der Apokalypse, dem Taumelbecher und dem Unzuchtsbecher, liegt die Trennung von Natur und Welt, die logische Gewalt des Urteils, die ödipale Polarisierung der Geschlechter: liegt die griechische Sprache.
    Vor dem Ankläger gibt es Geheimnisse (Dinge, die man verbergen möchte), und der Ankläger hat Geheimnisse zu verteidigen (deshalb heißt in Deutschland der Ankläger Staatsanwalt). Korrespondiert nicht der Begriff der Tiefe dem des Geheimnisses, beziehen sich nicht beide auf das, was unten ist, ist die Tiefe die Finsternis über dem Abgrund?
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Bastionen der Welt in dem im Prozeß der fortschreitenden Naturbeherrschung unterworfenen und besetzten Feindesland Natur.
    Im Griechischen lautet der mit „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ übersetzte Satz im Jakobusbrief (213): katakauchatai eleos kriseos (katakauchaomai – tue groß, brüste mich; eleos – Mitleid, Erbarmen; krisis – Gericht, Richten; Urteil). Ist die Erinnerung an den Triumph in der Übersetzung des griechischen Textes der Sache eigentlich angemessen?
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Ist Seine Rache nicht die Barmherzigkeit, die den Tätern (wie den Ägyptern das Opfer, das die Israeliten dem Herrn in der Wüste bringen wollten) ein Greuel ist?
    Es gibt Weisheit und Einsicht, aber zum Denken gibt es im Hebräischen keine Entsprechung. Das Denken (die Sache und der Begriff) entspringt gemeinsam mit dem Natur- und dem Weltbegriff. Das Denken ist ein Reflex der Herrschaftsorganisation des Staates, an der es sich spiegelt und sich den Kopf einrennt (die Mathematik ist die dunkle Sprache und das verstockte Herz, die harte Stirn und das harte Angesicht – Ez 37ff).
    Der Begriff ist über der Sache und außerhalb der Sprache; er unterdrückt die Dinge und beutet sie aus, indem er sich die Sprache zum Feind macht, während der Name in der Sache und in der Sprache zugleich ist.
    Das erste Kapitel von Jessica Benjamin beschreibt eine Sphäre, in der Sprache, Sache und Gemeinschaft noch ungetrennt und eins sind. Dann springt sie gleich über ins Erwachsenendasein; die ganze Geschichte der Vergesellschaftung, der Initiationsriten, zu der heute insbesondere die Schulerfahrung der Kinder gehört, bleibt unreflektiert.
    Psychologie liefert keine Handlungsanweisungen, sondern Reflexionshilfen; wer von ihr Rezepte erwartet, den richtet sie.
    „Des vielen Büchermachens ist kein Ende …“ (Koh 1212 – vgl. auch Kafkas Landarzt: Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt, es ist nicht wieder gutzumachen): Habermas und Drewermann sind Beispiele dafür, daß der Umfang von Büchern auch ein Maß für die Rechtfertigungszwänge sein kann, denen sie ihre Existenz verdanken.

  • 4.1.1997

    Das Inertialsystem ist ein Konstrukt aus Abwehr, Projektion und Rechtfertigungszwang. Das spezielle Relativitätsprinzip beschreibt die Todesgrenze, das allgemeine Relativitätsprinzip die Schuldgrenze.
    Hat der fallende Fahrstuhl (das Reflexionsmodell des allgemeinen Relativitätsprinzips) etwas mit dem Gattungswesen (mit der Lösung der Frage, weshalb die Sexualmoral in den drei „Weltreligionen“ diese zentrale Bedeutung hat gewinnen können) zu tun, bezeichnet er den logischen Punkt, an dem der Taumelbecher in den Unzuchtsbecher übergeht? Hierzu würde es passen, wenn im deutschen Strafrecht Trunkenheit als Strafmilderungsgrund gilt. Und es liegt in der Konsequenz dieser Logik, wenn in Deutschland die Strafe (und mit ihr der Staat, dessen Gewalt darin sich manifestiert) immer mehr der Vergewaltigung sich angleicht, damit aber ihre raison d’etre verliert. Deshalb fällt es deutschen Gerichten so schwer, in der Vergewaltigung ein Verbrechen zu erkennen (im Hogefeld-Prozeß waren die Assoziationen an eine Vergewaltigung fast sinnlich präsent). – Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Beschreibt nicht der Staatsschutz in der Rechtssystematik die Stelle, an der die Abwehr des Verbrechens mit der Schuldabwehr (dem „Staatsschutz“) sich mischt und in Aggression umschlägt (z.B. in dem Gebrauch, den die Bundesanwaltschaft von der Kronzeugenregelung macht)? – Vgl. hierzu Jud 18 und die parallele Stelle in 2 Pet 210 (Stichworte: Befleckung des Fleisches, Verachtung der Herrschergewalt und Lästerung der Majestät).
    Habermas unterscheidet zwischen der „Wahrheit“ gegenständlicher Aussagen, der „Richtigkeit“ handlungsbezogener Normen (zu denen auch die mathematischen Gesetze gehören) und der „Wahrhaftigkeit“ des ästhetischen Ausdrucks, der Expression (sh. u.a. I, S. 69). Gehört nicht die Wahrhaftigkeit der gleichen autoritären Sphäre an, in der das Gebot, „kein falsches Zeugnis wider den Nächsten“ zu geben, durch das andere „Du sollst nicht lügen“ ersetzt worden ist? Das moralische Verbot, einem andern bewußt oder fahrlässig durch ein „falsches Zeugnis“ zu schaden, wird durch das Verbot der Lüge in die Sphäre des paranoiden Aufklärungsinteresses der Herren, die im Bereich ihrer Herrschaft kein Geheimnis dulden können, gerückt. Insgesamt wird das für den Wahrheitsbegriff konstitutive Moment der Reflexion auf den Andern durch die Habermas’schen Denominationen der Wahrheit aus deren Begriff eliminiert.
    Hierzu paßt es, wenn Habermas den Begriff der Barmherzigkeit nur in ironischem Sinne gebraucht (vgl. die „hermeneutische Barmherzigkeit“, S. 79).
    Erinnert nicht der Begriff des Richtigen, den Habermas auf den Bereich des Handelns bezieht, an die – durch die abstraktive Gewalt der Orthogonalität vermittelte – Beziehung von Objektivierung und Instrumentalisierung; gründet nicht der auf gegenständliche Erkenntnis eingeschränkte Wahrheitsbegriff in dem Interesse an der Instrumentalisierung, das sie mit diesem, auf die intentio recta eingeschränkten Gebrauch des Wahrheitsbegriffs zugleich verdrängt? Diese Verdrängung wird in der Orthogonalität als gegenständliche Gewalt angeschaut.
    Wie verhalten sich die „Geheimnisse“, die die politischen Ermittlungs- und Aufklärungsbehörden in Feindländern wie in der Privatsphäre der Bürger aufzudecken versuchen, zum Herzen, in das nur Gott sieht?
    Wie hängt der Begriff des falschen Zeugnisses mit dem Namen des falschen Propheten (des Tiers vom Lande) zusammen?

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