Justiz

  • 21.7.1995

    Objektbeziehungen: Um ein Ding zum Objekt zu machen, müssen alle Beziehungen zu ihm abgebrochen werden (muß das Ding in eine Zone kalter Wut eingetaucht werden). Der Angeklagte in einem Prozeß ist die reinste Verkörperung des Objekts. Deshalb gehört zum reinen Prozeß (und d.h. zum Staatsschutzprozeß) der Ausschluß der Verteidigung.

  • 16.7.1995

    Dieser mit Verbotsschildern durchsetzte Wald paßt zu den Joggern, die in ihm den verbissenen Kampf gegen die eigene Wahrnehmungsfähigkeit führen. Wenn der Wald von den „zuständigen“ Naturschutzbehörden in Schutzhaft genommen wird, werden nur noch Besucher zugelassen, die sich selbst freiwillig die Bedingungen der Isolationshaft (im Wald nichts hören, nichts sehen) auferlegen.
    Woher kommt der Name Gutachten, und welche Funktion haben Gutachten in der verwalteten Welt?
    Kritik der Bekenntnislogik: Die Theologie aus dem Bann der Urteilsform, des Indikativs, der Vergegenständlichung und des Begriffs: aus dem Kontext ihrer nationalistischen Verfügbarkeit befreien. Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie.
    Die Entdeckung der Winkelgeometrie und der Orthogonalität, des Gesetzes der Beziehungen der Dimensionen Raum, gehört zu den Voraussetzungen des Ursprungs der Philosophie, des philosophischen Beweisverfahrens und des philosophischen Begriffs der Objektivität und des Wissens. Über die Theologie, als Orthodoxie, ist sie dann in den kosmos noetikos eingedrungen, über die Theologie ist sie dann verinnerlicht worden. Die Orthogonalität, Prinzip der Erstarrung der Form des Raumes, ist das Modell des logischen Zangs, Grund eines Beweisverfahrens, das durch Verinnerlichung der Beziehung zu den anderen (der Herrschaftsbeziehung) des Zeugen zur Ermittlung der Wahrheit und der Erlangung des Wissens nicht mehr bedarf.
    Das Problem des Zeugen (und der Orthogonalität) kehrt in der Theologie im Begriff des Opfers und im Namen des Märtyrers wieder (im theologischen Beweisverfahren nimmt der Märtyrer die Stelle des Zeugen im juristischen Beweisverfahren ein). Hier liegt der Grund der kirchlichen Opfertheologie, über die (wie im juristischen Verfahren über das Urteil und seine Beziehung zur Strafe) die Gemeinheit in den theologischen Wahrheitsbegriff eindringt. Das Bekenntnis und die Bekenntnislogik gründet in der Verinnerlichung des Opfers (der Altar wurde über den Reliquien der Märtyrer errichtet, vgl. Off 69).
    Der Begriff der Materie bezeichnet die Narbe an der Stelle der Wunde, die mit der Vergegenständlichung des Opfers geschlagen worden ist.
    Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie, das Instrument ihrer Verdinglichung, das Instrument ihrer Übersetzung in den Indikativ (Grund des Dogmas).
    Graffiti: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden: Das Menetekel an der Wand ist das Symbol der Logik der Schrift, des Abstraktionsprozesses, der in den Naturwissenschaften sich vollendet: In der Abstraktion von der Schwere. Wie das Tauschprinzip von der Schuldknechtschaft abstrahiert, so das Trägheitsprinzip von der Schwere. Beide Abstraktionen gründen in der Verwechslung von Joch und Last (das theologische Äquivalent dieser Abstraktion ist die Opfertheologie, die opfetheologische Vergegenständlichung des Kreuzestodes). In den Naturwissenschaften wurde dieser Abstraktionsprozeß von Newton, mit der Formulierung des Gravitationsgesetzes und der dynamischen Begründung des kopernikanischen Systems, vollendet. Erst Einstein, und darin liegt die entscheidende Einsicht der Allgemeinen Relativitätstheorie, hat in der Trägheit das Moment der Schwere wiedererkannt. Die Anwendung des Doppler-Prinzips auf die Rotverschiebung in den Spektren der Sterne und deren Abhängigkeit von der Entfernung und die kosmologischen Folgetheorien (vom Urknall bis zu den Schwarzen Löchern) dienen allesamt der Legitimierung der Trennung von Trägheit und Schwere, der Stabilisierung des Inertialsystems.
    Die Gotteserkenntnis unterscheidet sich vom Bekenntnis wie der Imperativ vom Indikativ, oder wie das Im Angesicht vom Hinter dem Rücken, der Name vom Begriff (die Schwere von der Trägheit?).

  • 12.7.1995

    Zu den schlimmsten Folgen der raf gehört es, daß es seit einigen Jahren keine kritische Begleitung der Rechtssprechung mehr gibt. Die Medien haben vor der Aufgabe, das Recht an der Idee der Gerechtigkeit zu messen, kapituliert. Das Recht ist zu einer Partei- und Gewaltfrage geworden. Kann es sein, daß das von der raf (in der Absicht, „Fronten“ zu klären und in grotesker Verkennung der Beziehung von Recht und Politik) gewollt war?
    Zur Geschichte und zum Begriff der Bekenntnislogik: Anhand einer Theorie und Geschichte der Banken wäre zu begreifen, daß die Armut schon in den Anfängen der Weltgeschichte zur Ware geworden ist. In der Geschichte des Kolonialismus ist sie dann erstmals zum Exportgut geworden; jetzt schlägt diese Logik auf den Binnenmarkt zurück. (Das Bankengeschäft ist das Modell der logischen Beziehung der Bekenntnislogik zum Schuldbekenntnis.)
    Kommt es nicht in der Tat darauf an, Gesellschaftskritik aus dem Bann des Neidsyndroms herauszuführen? Nicht der Profit ist das Grundübel des Kapitalismus, sondern der Preis der dafür zu zahlen ist.
    Kriege sind Katalysatoren und Mobilisatoren des Nationalismus: Sie schweißen ein Volk zusammen.
    Die zoologischen Gärten waren immer schon Einrichtungen des kolonialistischen Imperialismus; auch dieser Trend schlägt jetzt unter dem Titel Naturschutz ins Innere der imperialistischen Staaten zurück: Naturschutz nimmt die Natur in Verwaltungsregie.
    Die Verwaltungslogik hat den Grundsatz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, verinnerlicht. Die Gemeinheit der Verwaltung gründet nicht in Bosheit, sonden nur in Phantasielosigkeit (die Verwaltungslogik sperrt das Nichtbeweisbare schon apriori aus der Vorstellungskraft aus).
    Wie hängt die Bekenntnislogik mit dem projektiven Erkenntnisbegriff der Philosophie zusammen (mit dem Namen der Barbaren und den Begriffen Natur und Materie)? Der Glaubensbegriff, den das Christentum in die Welt gebracht hat, gründet in dieser Konstellation. Das Moment der Reversibilität im Bekenntnisbegriff, das das Schuldbekenntnis mit dem Glaubensbekenntnis verknüpft, gründet in dem projektiven Moment im Erkenntnisbegriff, das den Begriff des Wissens begründet (das Wissen macht das Vergangene vergangen).
    Die Trennung des „dimitte nobis debita nostra“ vom „sicut et nos dimittimus debitoribus nostris“ (die Sündenvergebung ohne Versöhnung), der Begriff des Glaubens und die Bekenntnislogik fundieren sich wechselseitig. Das Glaubensbekenntnis trennt die Erlösung von der Versöhnung, in direktem Widerspruch zu den Worten Jesu über die Beziehung des Opfers und des Gebets zur Versöhnung. Diese Einsicht (in die Unmöglichkeit des Opfers heute) hat Camilo Torres zum Guerillero gemacht. Vorher ist der Misthaufen abzuräumen, der das Opfer von der Versöhnung trennt (steht der Hahn auf diesem Misthaufen?).
    Die Bekenntnislogik trennt den Glauben von der Gotteserkenntnis und vom Gebet (die Bekenntnislogik ist ein Nebenprodukt der verinnerlichten Blutrache).
    Waren nicht der Begriff und die Kritik der Bekenntnislogik (Umkehr des Schuldbekenntnisses) schon angelegt in den Problemen, die mir einmal der philosophische Gebrauch des Wertbegriffs (Schelers „Wertethik“) bereiteten, und finden diese Probleme nicht ihre Lösung in einer Theorie der Banken (Armut als Ware)?
    Was bedeuten eigentlich die ägyptischen Plagen (die z.T. als apokalyptische Plagen wiederkehren):
    1. Verwandlung des Wassers des Nil in Blut (die ägyptischen Zauberer taten dasselbe),
    2. der Nil soll von Fröschen wimmeln, sie sollen aufsteigen, in das Schlafgemach des Pharao, die Häuser, die Backöfen und Backtröge,
    3. aus dem Staub die Mücken, sie kommen über Mensch und Vieh (die Zauberer taten dasselbe, aber konnten es nicht),
    4. die Häuser und der Boden, auf dem die Ägypter stehen, sollen voll werden mit Bremsen, im Lande Gosen, wo „mein Volk wohnt“, sollen keine Bremsen sein (Scheidewand zwischen meinem und deinem Volk),
    5. auf alles Vieh der Ägypter (Pferde, Esel, Kamele, Rinder und Schafe) soll die Pest kommen, das Vieh der Ägypter starb, das der Israeliten blieb verschont,
    6. Ofenruß wird zu Staub, bei den Ägyptern wird Mensch und Vieh von Geschwürbeulen befallen (die ägyptischen Zauberer vermögen nichts dagegen),
    7. Donner, Hagel und Feuer geht auf Ägypten nieder, alles, was auf dem Felde ist, Mensch und Vieh, auch alles Feldgewächs und alle Bäume werden zerschlagen,
    8. Heuschrecken fallen ein, bedecken den Boden, daß man die Erde nicht mehr sieht, fressen alles, was der Hagel noch verschonte,
    9. Finsternis kommt über Ägypten, keiner konnte den andern sehen, keiner stand auf von seinem Platze, drei Tage lang, aber die Israeliten alle hatten hellen Tag an ihren Wohnsitzen,
    10. alle Erstgeburt in Ägypten, vom Pharao auf dem Thron bis zur
    Sklavin hinter der Handmühle, auch vom Vieh wird sterben, es wird großes Wehklagen sein, gegen Israel aber soll nicht ein Hund mucken, der Herr macht einen Unterschied zwischen Ägypten und Israel.

  • 12.6.1995

    Zur memoria passionis gehört auch die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Leidensseite des Handelns, die Fähigkeit zur Empathie, zur Barmherzigkeit, die Einübung der Sensibilität, der Identifikation mit dem Anderen: die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen.
    Die Schrift verwirrt die Unmittelbarkeit, das Geld die Barmherzigkeit und das Bekenntnis das Angesicht.
    Die Trinitätslehre ist eine Schutzimpfung gegen das biblische Symbol.
    Die Apologetik verrät, was sie verteidigt.
    Der der Personalisierung zugrunde liegende Rachetrieb verharmlost, was er anprangert, und verhindert die Erkenntnis, daß die Strukturen überleben.
    Verwaltung: Die wohldotierte Verantwortungslosigkeit.
    Wie es scheint, geht es dem BAW nicht mehr um Erkenntnis, sondern nur noch um Diskriminierung. Er hat sich längst selber politisch instrumentalisiert.
    Die altkirchliche Basilika (der Name gründet in einem Adjektiv basilikä = königlich: die königliche <Halle>) ist hervorgegangen aus der römischen Basilika, einem kommunalen Mehrzweckbau mit repräsentativem Charakter, der als Markthalle, Bankgebäude und Börse, als Gerichtssaal und allgemeiner Treffpunkt diente (dtv-Atlas zur Baukunst I, S. 231). Vor den Christen hatten bereits jüdische Gemeinden den Typ der Basilika für ihre Synagogen übernommen (S. 259). Im Gegensatz zum Tempel, der in erster Linie Haus des Gottes (des göttlichen Namens bzw. der Statue des Gottes) war, war die Basilika ein Versammlungsraum, der Ort der Gemeinde, der ekklesia. Zum Namen: War die Basilika nicht in der Tat die königliche Halle, der Ort, der den gesamten Bereich königlicher Kompetenzen, den Bereich, für den dann der Name der Welt sich durchsetzte, repräsentierte, vom Kommerz über das Geldwesen bis zum Gericht. Die Basilika war gleichsam der Mikrokosmos, die embryonale Welt, der Quellpunkt des Objektivationsprozesses. Und genau dieser Ort wurde zum Ort der Kirche. In welcher Beziehung steht dieser Zusammenhang zur Geschichte der Architektur, die – unter christlichem Vorzeichen – in erster Linie eine Geschichte der krichlichen Architektur war: Läßt sich daran nicht die Herrschaftsgeschichte ablesen (Herrschaftsgeschichte als Vorgeschichte der der naturwissenschaftlichen Aufklärung, die selber als Geschichte der Verinnerlichung der Architektur sich begreifen läßt)?

  • 31.5.1995

    Das Glaubensbekenntnis, die instrumentalisierte Umkehrung des Schuldbekenntnisses, gründet in der Logik des Weltbegriffs, es gehört zur Ursprungsgeschichte und zu den Konstituentien der Raumvorstellung. Die Struktur der Bekenntnislogik (die Konstellation von Feinddenken, Verrätersyndrom und Paranoia sowie männlicher Selbstbeherrschung und Frauenfeindschaft) läßt aus dieser Beziehung zum Schuldbekenntnis sich herleiten. Daß die Kirchen am Ende die Idee der Erlösung, der Befreiung von Schuld, ins Glaubensbekenntnis verlegt haben, hängt hiermit zusammen (und ist eine der Folgen der Vergegenständlichung des Kreuzestodes). Die Bekenntnislogik hat das Schuldverschubsystem begründet und in der Theologie verankert. Ihre logischen Wirkungen lassen am Fall des juristischen Schuldurteils (als Form des synthetischen Einzelfall-Urteils apriori) sich demonstrieren: an der logischen Funktion des Bekenntnisses zum Staat in jedem Schuldurteil, insbesondere aber in sogenannten Staatsschutz-Verfahren (in Hegels Rechtsphilosophie erscheint diese Form des synthetischen Einzelfall-Urteils a priori in der logischen Ableitung des Monarchen – vgl. Rechtsphilosophie, 280). Das Urteil des römischen Statthalters über Jesus, seine Vorgeschichte und seine Vollstreckung am Kreuz gehören in diesen Zusammenhang (und ebenso wie die Idee des Absoluten, die Zerstörung der Erinnerung an den Namen Gottes, in den Kontext des Worts von der Erfüllung der Schrift).
    Das Subjekt eines jeden Schuldurteils ist die Welt, die selber Identität nur durch ihre Beziehung zum Staat hindurch gewinnt. Jede Metaphysik ist Staatsmetaphysik. Schuld gibt es nur im Kontext von Herrschaft, wie es auch Herrschaft nur im Kontext der Schuld gibt. Schuld und Herrschaft sind wechselseitig sich konstituierende Reflexionsbegriffe. Der Objektbegriff selber, mit dem Herrschaft in der Außenwelt sich begründet, indem sie sich an ihrem gegenständlichen Substrat den nötigen Halt verschafft, ist das Modell des apriorischen Schuldurteils.
    „Männer machen Geschichte“: Kontrafaktische Urteile sind Produkte des Rechtfertigungszwangs, sie gründen in einem apologetischen Geschichtsverständnis, mit dem der Historiker gegen den Indizienprozeß, den die Geschichte gegen ihn führt, um ihm die Sünde der Welt aufzubürden und anzulasten, sich zu verteidigen versucht. Ihr Ziel ist es, den Schuldzusammenhang mit der Vergangenheit durch Personalisierung, durch Verschiebung und Zurückdrängung der Schuld ins Vergangene, zu neutralisieren.
    Der Begriff der Verweltlichung der Welt hat einen kleinen logischen Mangel: Unabhängig von der Verweltlichung gibt es keine Welt, die dann gleichsam nachträglich und von außen sich verweltlichen ließe. Der Begriff der Welt bezeichnet nicht mehr und nicht weniger als den jeweiligen Stand der „Verweltlichung“.
    Das Problem der Theologie liegt in dem apologetischen Kontext ihrer Ursprunggeschichte. Apologetik läßt das, was sie zu verteidigen meint, nicht unberührt; sie verändert es unter der Hand. Wenn die Orthodoxie in der Auseinandersetzung mit den Häresien sich gebildet und entfaltet hat, so heißt das auch, daß mit der Verurteilung der „Irrtümer“ der Häresien die Probleme, deren Ausdruck diese Irrtümer“ waren, innerhalb der Orthodoxie prinzipiell zwar gelöst, mit der Verurteilung ihrer häretischen Folgen aber ebensosehr auch verdrängt worden sind. Die Aufarbeitung dieser Vergangenheit wäre noch zu leisten.
    Mit dem apologetischen Prozeß ist die Bekenntnislogik in die Theologie eingewandert und hat sie von innen verändert. Apologetik ist die Instrumentalisierung des Satzes: Wer sich verteidigt, klagt sich an. Mit jeder Verurteilung einer Häresie hat die Orthodoxie sich selber mit verurteilt.
    Das Dogma verletzt das Gebot der Heiligung des Gottesnamens.
    Steckt nicht hinter dem Bilde des Perpetuum mobile ein sehr ernsthaftes Problem, und zwar eines, das mit dem Apparat zusammenhängt, der die Menschheit ernährt, die ihn bedient, und sie zugleich in die Katastrophe hineintreibt: mit dem Staat?
    Seit heute sind die Gundbach-Wiesen südwestlich vom Anglerteich mit dem Hinweis gesperrt: „Kein Durchgang! Betreten verboten gem. § 3 Ziffer 8 der Verordnung über das Naturschutzgebiet Mönchbruch von Mörfelden und Rüsselsheim vom 3. Februar 1995 (Staatsanzeiger für das Land Hessen Nr 9 vom 27.02.1995, S. 698ff). Regierungspräsidium Darmstadt“. – Das gleiche Durchgangsverbot findet sich an der Birkenseewiese, am Erlenbruchweg und am Weg, der den Gundbach entlang führt. Ein präzises Beispiel für die Logik des Verwaltungshandelns: für ein Handeln hinter dem Rücken der Betroffenen (es schafft vollendete Tatsachen). Die Erinnerung an die wilhelminische Vorgeschichte ist eindeutig. Gegen den Startbahnbau und gegen den Bau von Cargo City waren Naturschutzgründe unerheblich, aber gegen den täglichen Spaziergänger schlagen sie durch.

  • 30.5.1995

    Barmherzigkeit, nicht Opfer: Die Geschichte des Objektivationsprozesses ist die Ursprungseschichte des steinernen Herzens.
    Öffentlichkeit (das „öffentliche Bewußtsein“) setzt eine von der Öffentlichkeit unterschiedene Realität voraus. Die Grenze zwichen der Öffentlichkeit und der Realität, auf die sie sich bezieht, ist nicht fest, sie bewegt sich im historischen Prozeß. Darin ist die der Hegelschen Philosophie zugrunde liegende Einheit der Herrschaftsgeschichte mit der Geschichte des Begriffs begründet. Die Bewegung dieser Grenze läßt an der Sprachgeschichte sich ablesen.
    Schuldurteile: Nur das Recht kennt synthetische Urteile apriori als Einzelfallurteile. Das Indizienurteil kommt diesem Urteil nahe; seine „Vollendung“ findet es in den Urteilen der Staatsschutzsenate. Diese Konstruktion synthetischer Urteile apriori wäre ohne Rückgriff auf die deutsche Staatsmetaphysik (die hier die Stelle der transzendentalen Ästhetik einnimmt) nicht möglich.
    Die Idee des Absoluten verdankt sich der undurchdringlichen Verschlingung von Ästhetik und Logik.

  • 24.5.1995

    Das Angesicht leuchtet im Licht der Sprache.
    Das Licht, das den Tag hell macht, und dessen Gegenteil das Dunkel, die Finsternis, die Nacht, ist, ist eine Erkenntniskategorie, aber keine naturwissenschaftliche: Ist nicht das Licht der „Aufklärung“ (wie das der Bühne, des Films, des Fernsehens) das des Mondes, der nicht selbst leuchtet, sondern das Licht der Sonne nur reflektiert? Und sind nicht die Lichter der Wandelsterne die getrennten, durch definierte Aspekte determinierten Lichter (des Herrendenkens, des Feinddenkens, des Geliebtwerdenwollens, des Handels: Eigentum und Tausch); sie allesamt sind Lichter der Nacht. Sie sind der Grund der ihnen korrespondierenden „Erscheinungen“, die hervortreten, wenn die anderen Aspekte ausgeblendet werden.
    Der Tierkreis: Inbegriff der Totalitätssymbole?
    Das moderne Drama unterscheidet sich von der antiken Tragödie u.a. durch seine Beziehung zum Licht: Das Drama findet im geschlossenen Raume auf der Bühne statt (vor dem Publikum, das im Dunklen sitzt), die Tragödie im Amphitheater am hellen Tag unter freiem Himmel.
    Das Inertialsystem verletzt das achte Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten.
    Der Zeuge muß die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit, während der Angeklagte lügen darf. In der Regel wird vor Gericht davon ausgegangen, daß der Angeklagte lügt. Darin gründet der Indizienprozeß (das rechtliche Korrelat der transzendentalen Logik, des synthetischen Urteils apriori).
    Die transzendentale Logik wäre anhand der Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit den Terroristenprozessen zu demonstrieren: Alle gesetzlichen Vorkehrungen dieser Prozesse waren Maßnahmen zur Begründung und Absicherung synthetischer Urteile apriori. Prämisse war, daß der Angeklagte nicht nur lügen darf, sondern daß er grundsätzlich lügt (die vorgeblich politischen Motive der terroristischen Handlungen waren nur Vorwände zur Befriedigung der Mordlust, zum Ausleben krimineller Triebe). Nach Auffassung von Staat und Gerichten waren selbst die „Selbstmorde“ in Stammheim noch Teil einer Aktion, die nach draußen die „Lüge“ transportieren sollte, der Staat habe die Gefangenen ermordet. Unter der Voraussetzung, daß die Wahrheit nicht zu ermitteln ist, weil Sprache keine Wahrheit mehr auszudrücken vermag, sondern nur noch hinterhältig-mörderische Absichten, die es rechtzeitig zu durchschauen gilt, gibt es zur Gewalt (zur terroristischen Aktion wie zu Hochsicherheitstrakt und Isolationshaft) keine Alternative mehr.
    Das Grundurteil, das jedem synthetischen Urteil apriori zugrundeliegt, ist das Urteil: Der Angeklagte lügt. Damit aber ist der paranoische Zirkel geschlossen, aus dem beide Seiten nicht mehr herauskommen. (Bestätigt nicht Gisela Dutzis Wort vom „Rechtsstaatsgetöse“, das das synthetische Urteil apriori nur umkehrt, nicht aufhebt, nachträglich den Faschismus? Ist die Vermutung so unbegründet, daß diese Generation die Geschichte revidieren möchte, indem sie den Ermordeten, die keine Chance hatten, auch nicht die eines Rechtsstaats, im Nachhinein zeigt, was sie hätten tun können, ohne zu bemerken, daß sie in die Logik der Täter sich verstrickt?)
    Die Lust der Philosophie, der Wissenschaft und des Rechts, die Lust des argumentativen Streits, ist die Lust des Rechtbehaltens, während es die Lust der Theologie ist, zu retten, zu ändern.
    Das Schwert des Richters ist das Schwert Alexanders, das den gordischen Knoten durchschlagen, nicht aufgelöst hat. Das Bild dieses durchschlagenen Knotens ist die Waage der blinden Justitia, die erst, wenn sie die Binde von den Augen nimmt, in der Lage sein wird, den Knoten zu lösen.
    Anti, contra, gegen: Was drückt in diesen Kategorien sich aus?
    Die Verkörperung der Logik der symbolischen Erkenntnis ist der Engel. Darin gründet ihre Beziehung zu den Himmelsheeren (zu den paulinischen Elementarmächten, den Archonten, den „Thronen und Mächten, Herrschaften und Gewalten“).
    Die Hellenisierung der Theologie, nach Harnack der Grund des Dogmatisierungsprozesses, hat dem Glauben, der das Zukünftige zu erkennen versucht, die Form des Wissens aufgeprägt und die Kirche dann zur Hüterin dieses Wissens gemacht. Kein Wunder, daß den Kirchen heute dieser Schatz unter den Händen sich auflöst.
    Aus alten Notizen:
    Eine der Ursachen weitreichender Mißverständnisse und Verwirrungen in der Theologie ist die Verwechslung von Schöpfung und Sündenfall. (24.06.83)
    Über Gott kann man nicht sprechen? – In der Tat, über Anwesende kann man nicht, ohne sie zu beleidigen, sprechen. (11.09.83)
    Religion hat keine reale Bedeutung mehr, sondern nur noch eine sozialisationstechnische (als Erziehungsmittel): Kommt daher die wachsende Zahl von Singles?
    Langer Atem: Keiner hält die Spannung zwischen den erkenntniskritischen Einwänden gegen die Naturwissenschaft und dem realen Erkenntnisfortschritt mehr aus.
    Physik heute: Entspannte (spannungslose) Erkenntnis; Erkenntnis, die sich selbst zu tragen scheint, in Wahrheit aber auf den Grund zurückgesunken, zugrunde gegangen ist. Physik geht nicht mehr der Sache auf den Grund, sondern ist das Zugrunde-Gehen der Sache, ihre Vernichtung, und das im wörtlichen Sinne: Ihre Projektion ins Vergangene. (04.11.84)
    Jede Theodizee heute wäre blasphemisch, die Entfaltung des Begriffs der Blasphemie hingegen die einzig noch mögliche Theodizee. (28.03.85)
    Das Grauen des Faschismus bildet das Chaos vor der Schöpfung ab. Die Leugnung dieses Grauens hat mit der Gottesleugnung zu tun. (06.06.85)
    Helmut Kohl verkörpert ein irrationales Harmoniebedürfnis, dessen aggressive Gewalt der Gradmesser einer zugrunde liegenden Katastrophenstimmung ist. (02.01.86)

  • 23.5.1995

    Prozeß gegen Birgit Hogefeld: Auf die Frage der Verteidigerin nach dem Grund der erneuten Festnahme einer Prozeßbesucherin, erklärt der Vorsitzende Richter (Dr. Schieferstein) erkennbar wütend und mit aggressiver Lautstärke: „Damit habe ich nichts zu tun“. Die Art seiner Reaktion weist darauf hin, daß er den Vorgang sehr wohl kennt und offensichtlich doch etwas damit zu tun hat (die Anfrage der Verteidigerin hat ihn nicht überrascht, nur verärgert; deshalb seine gereizte Reaktion). Bei der Festnahme (am vergangenen Donnerstag, an ihrem Geburtstag!) hatten sich die Polizeibeamten auf eine „Anordnung des Vorsitzenden Richters“ berufen.
    Synthetisches Urteil apriori: Wieder einmal erweist sich, daß nur die Verteidigung und die Angeklagte in diesem Prozeß souverän agieren (aber was bleibt ihnen auch anders übrig), während Bundesanwälte und Richter nur noch gereizt reagieren. Man hat das Gefühl einer Verhandlung beizuwohnen, in der die Beziehung des Gerichts zur Angeklagten auf den Kopf gestellt ist: Das Gericht verhält sich, als sei es selbst angeklagt, als müsse es sich fortwährend gegen Beschuldigungen wehren, die es nicht entkräften, sondern nur noch durch repressive Maßnahmen unterdrücken kann: Jede Erörterung der Fakten wird verweigert, ihr bloßes Lautwerden diskriminiert. So sieht sich das Gericht immer wieder gezwungen, den Grundsatz „In dubio pro reo“ für sich selbst geltend zu machen (aber in keinem Fall und um keinen Preis für die wirklich Angeklagte, die ohnehin, schon durch die Inszenierung des Verfahrens, vorverurteilt ist). – Das jedoch ist die zwangsläufige Folge davon, daß der Prozeß mit all seinen Begleiterscheinungen (zu denen auch die Nichtwahrnehmung durch die Medien gehört) objektiv als politischer Prozeß geführt wird: Die Angeklagte ist nicht nur Angeklagte, sie ist Feind; und die Besucher sind Parteigänger des Feindes, „Sympathisanten“, sie werden ausnahmslos wie potentielle Terroristen angesehen und behandelt (Empfang durch maschinenpistolenbewehrte Polizeibeamte und Hundeführer, im Eingang dann schikanöse, entwürdigende und diskriminierende Kontrollen, die demonstrieren, daß die Würde des Menschen im wörtlichen Sinne antastbar ist). Durch rigoros gehandhabte Sprachregelung jedoch soll um jeden Preis der Schein eines rechtsstaatlichen Verfahrens aufrechterhalten werden.
    Wie es scheint, ist inzwischen zumindest ein Teil der Prozeßbesucher dem Gericht und der Polizei mit Namen bekannt (so wurde ein regelmäßiger Prozeßbesucher, der bisher weder mit dem Gericht noch mit der Polizei persönliche Berührung gehabt hat, von einem Polizeibeamten mit seinem Namen angesprochen; die Frage, woher er ihn kenne, wurde von dem Beamten nicht beantwortet). Einige Besucher wurden, nachdem sie vor dem Gerichtsaal festgenommen worden waren, erkennungsdienstlich behandelt; der Polizei im Gerichtsgebäude liegen Fotos dieser Prozeßbesucher vor (ob auch von anderen Prozeßbesuchern, war nicht erkennbar; aber die Größe des Packens ließ darauf schließen, daß weitere Fotos vorliegen).
    Gründet nicht die merkwürdige, redundante Selbstbezeugung der subjektiven Formen der Anschauung („Ich und der Vater sind eins“) in ihrem Grundprinzip: in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangeheit: so bezeugt sich Zukunft als vergangen?
    Die Form des Raumes ist der gelungene (und zugleich neutralisierte) hieros gamos.
    Werden die Zitate aus dem „Alten Testament“ in der Johannes-Apokalypse unverändert wiedergegeben, oder in der Formulierung oder durch den Zusammenhang verändert oder ergänzt (vgl. die vier apokalyptischen Reiter; das Buch, das der Seher ißt; der Himmel, der wie eine Buchrolle sich aufrollt; der Unzuchtsbecher; das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande u.ä.)?
    Max Webers Unterscheidung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik greift zu kurz: Selbstverständlich kann man mit Gesinnungen keine Sachzwänge aushebeln. Aber das heißt nicht, daß man Sachzwänge unreflektiert hinnehmen muß. Die Anerkennung von Sachzwängen schließt ihre Reflexion (und damit ihre Konfrontation mit anderen Notwendigkeiten, ihre Variabilität) nicht aus.
    Nicht nur die Außenbeziehunger der Staaten erweisen sich als Naturverhältnisse. Über die Armut dringt die rohe Natur der Außenwelt ins Innere der Gesellschaft ein.
    Die explosive Entwicklung des Militär- und Rüstungsbereichs, die in Wechselbeziehungen zu den sich ändernden Strukturen im Innern der Staaten steht, wird unterstützt und stabilisiert durch den irren Griff nach den Sternen und durch den ebenso irren Griff ins vorgebliche Innere der Materie.
    Merkwürdige Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu den kantischen Antinomien: Hier wird das Problem, ob die Ausdehnung des Raumes endlich oder unendlich ist, in der Längenkontraktion handgreiflich und auf neue Weise bestimmbar. Paradox die Konsequenzen hinsichtlich der Zeit: Die Zeitdilatation verlegt das Ende der Zeit in ihren Anfang.

  • 19.5.1995

    Hodie, si vocem eius audieritis: Ist nicht Seine Stimme die der schreienden Ungerechtigkeit? Aber die Allgegenwart dessen, was man heute Musik nennt, verstopft die Ohren, anstatt sie zu öffnen.
    Sein, Haben, Werden: Kategorien der Selbstbehauptung der Dinge gegen den horror vacui, den Schrecken des Raumes.
    Im Rechtsstreit gibt es synthetische Urteile apriori nur mit Hilfe falscher Zeugen. Darin liegt die besondere, aus allen Rechtskodifikationen der Alten Welt herausragende Bedeutung des achten Gebots im Dekalog. In der transzendentalen Logik wird die Zeugenschaft ersetzt durch die subjektiven Formen der Anschauung; diese sind die falschen Zeugen in dem gegen Gott geführten Rechtsstreit um die Schöpfung.
    Ist nicht die Begründung, die Argumentation, die letzte Gestalt der Reflexion auf den Andern in der Philosophie? Aber sie ist zugleich eine Form der Reflexion auf den Andern, die schon durch das agonale Prinzip, durch das Konkurrenzprinzip, verhext ist: Deshalb geht, was aus dem Grunde kommt, wieder zugrunde. Und deshalb bleibt aus der Grundbeziehung nur die Reflexion, der Schein und das Wesen.
    Die Hegelsche Logik zeichnet sich dadurch aus, daß sie das, wovon die subjektiven Formen der Anschauung abstrahieren, über die Reflexion in die Logik wiederum mit aufnimmt, wobei sie vergißt, daß die Logik insgesamt unter dem Bann der subjektiven Formen der Anschauung steht, der in ihr nicht gebrochen. sondern nur reflektiert wird. Damit hängt es zusammen, daß die geschichtliche Seite der Hegelschen Logik die herrschaftsgeschichtliche ist, und daß die Hegelsche Logik nur bis zum Bewußtsein der Freiheit, aber nicht zur Freiheit führt.
    Ist nicht das Bewußtsein der Reflex der Öffentlichkeit (der Logik des Weltbegriffs) in der Subjektivität, und die Sexualmoral eine Moral zur Etablierung und Stabilisierung dieses Bewußtseins (und des Weltbegriffs, von dem es abhängt)?
    Rassismus: Ein durch die Logik des Weltbegriffs (und der Sexualmoral) determinierter Kurzschluß eines sprachlogisch begründeten Sachverhalts. Stammt dieser Kurzschluß nicht aus dem gleichen logischen Kraftfeld, aus dem auch der Zeugungsbegriff in der Trinitätslehre hervorgegangen ist?
    Das Lateinische hat die Kraft der Erinnerung in die grammatischen Begriffe verlegt: Der Akkusativ verweist durch seinen Namen auf seine objektkonstituierende Kraft; das ne-utrum ist der Statthalter der Logik des Raumes in der Sprache, Instrument der „Neutralisierung“ der Richtungsdifferenzen (vorn und hinten, rechts und links, oben und unten), erst durchs Neutrum ist der Sprachgrund für das Bewußtsein der Reversibilität aller Richtungen im Raum geschaffen worden. Ähnliches gilt für Genitiv und Dativ, Praesens, Praeteritum, Plusquamperfekt, Gerundium, Gerundivum etc.
    Im Hebräischen und im Deutschen gründet der Name des Wassers in der Pluralisierung des auf Sachen (nicht Personen) bezogenen Fragepronomens Was, während das lateinische aqua das Wasser in eine logische Abhängigkeit vom sächlichen Fragepronomen rückt. Auf welchen Sprachhintergrund verweist das griechische hydor? – Gibt es einen vergleichbaren sprachlichen Kontext zum Feuer (ist im Hebräischen die Beziehung zum Namen des Mannes: esch/isch nachweisbar: die Beziehung zum Wer; vgl. die in der Kabbala notierte Beziehung des Namens des Himmels zu Feuer und Wasser, zu Wer und Was)?
    Hat der über den Wassern brütende ruach etwas mit dem Symbol des Kelchs zu tun: Ist es der Kelch, der den ruach in den Zorn, den Grimm transformiert, macht der ruach den Kelch, den die Herrschenden trinken, zum Taumelkelch und am Ende zum Unzuchtsbecher? – Der Kelch: Ist das die Mathematik, die Beziehung der Mathematik zur Sprache?
    Zorn und Grimm: Drückt der Zorn in den Augen, der Grimm in der Mundpartie sich aus?
    Was ist das: Im Magen bitter und im Munde süß (Off 109, vgl. Ez 28 bis 33)?

  • 10.5.1995

    Actus purus oder die raf und die Logik der Schrift: Müßte nicht die raf, wenn sie konsequent wäre, die Akten zu Objekten ihrer Aktionen machen und nicht die, die sie nur bearbeiten, von ihnen abhängig sind und in ihnen den Grund ihrer Existenz finden? Eine Revolution, die nur auf den Austausch von Charakermasken hinausläuft, ist keine.
    Quod non est in actis, non est in mundo: In den Akten legen die Herrschenden den Grund der Welt, über die sie herrschen.
    Zu Joh 203ff: Fällt nicht die Entwicklung der Vorstellung des Raumes unter den Text aus dem Symbolum: „gekreuzigt, gestorben und begraben“? Und ist nicht die Natur das (am Ende leere) Grab und die Welt der Stein vor diesem Grab?
    Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam: sy ei Petros kai epi tautä tä petra oikodomäso moy tän ekklesian. Was drückt sich sprachlogisch in dem „tu es Petrus“ aus? Welche seiner Jünger spricht Jesus auf diese Weise „persönlich“ an? Ist das Du bist nicht ein Echo des Ich bin’s? Bei der Bekehrung des Saulus vor Damaskus spricht ihn die Erscheinung mit „Saulus, Saulus“ an; den Namen Paulus erhält Saulus erst anläßlich des Besuchs bei dem Statthalter Sergius Paulus auf Cypern: Der neue Name wird ihm nicht von Jesus verliehen (wie der Name Petrus dem Simon), sondern mit der lakonischen Bemerkung eingeführt „Saulus, der auch Paulus heißt“ (Apg 139).
    Aufmerksamkeit (das natürliche Gebet der Seele) ist die in eine Wahrnehmung mit hereingenommene (und sie verändernde) Reflexion auf den Andern. Mit der Reflexion auf die Empfindung wird die Aufmerksamkeit (das Gebet) aus der Wahrnehmung ausgetrieben.
    Steckt nicht in der Erinnerungsarbeit der Keim der Befreiung des Vergangenen, und läßt sich nicht aus diesem Konzept der Erinnerungsarbeit der Grund entnehmen, sich mit den Erfahrungen (nicht mit den Taten) der raf ernsthaft zu befassen (und die Zwangslogik, die ebenso wie die Taten und die Erfahrungen der raf dann auch den Staat und die raf – über das Feindbild beider – aneinander fesselt, endlich zu sprengen)?

  • 18.4.1995

    Fallen nicht die sogenannten nichteuklidischen Geometrien alle unter das Problem der kantischen Antinomien (unter das Beweisproblem)? Sind diese Antinomien (wie überhaupt die mit der Raumvorstellung verbundenen Vorstellung des Unendlichen) nicht ein Hinweis auf eine Art logischer Redundanz, die an der „Unbeweisbarkeit“ des Parallelenaxioms (dem innergeometrischen Äquivalent der kantischen Antinomien) sich dingfest machen lassen müßte? Sie rührt an den Grund des Problems des logischen Beweises in der Mathematik (ein Problem, das Kant mit seiner Konstruktion der synthetischen Urteile apriori zu lösen versucht hat).
    Die Mathematik gehört zu den Konstituentien des Begriffs des Wissens, das sprachhistorisch als vergangenes und erinnertes Sehen sich definiert, damit auf die Genesis der subjektiven Formen der Anschauung zurückweist. Der mathematische Beweis ist ein Beweis, bei dem die der Mathematik eigene Form der Objektivität den im Rechtsstreit erforderlichen Zeugen ersetzt. Die subjektive Form der Anschauung ist gleichsam die innere Repräsentanz des Andern (der Intersubjektivität) im Subjekt, eine Form des verinnerlichten und automatisierten Zeugenbeweises. Die Mathematik konstruiert im Kopf der Einsamen eine Objektivität, in der die dialogische Differenz zwischen mir und dem Andern aufgehoben scheint. Die Mathematik entspringt in der Logik der Schrift, die der Sprache die monologische Struktur und mit ihr die Logik des Beweises (des anschaulichen Präsentierens und des Begründens eines Sachverhalts) überhaupt erst eingeprägt hat. Die Mathematik bedarf des Rekurses auf den Andern nicht mehr, weil dieser Andere bereits ins eigene Denken integriert worden ist (Ursprung des Weltbegriffs). Die Objektivität des Angeschauten ist nicht mehr nur eine Objektivität für mich, sondern für alle; zumindest erhebt die Anschauung diesen Anspruch. In der Mathematik steckt die Reflexion auf die Andern, von der zugleich abstrahiert wird, mit drin. Und diese Beziehung von gegenständlicher Reflexion und Abstraktion von ihrer Genesis, reproduziert sich insbesondere in der Raumvorstellung selbst in der (orthogonalen) Beziehung der Dimensionen des Raums. Jede Dimension des Raumes ist als das Andere der anderen Dimensionen, mit denen sie doch auch identisch ist, zugleich das Andere ihrer selbst. Deshalb verschwinden in der reinen Form des Raumes die Unterschiede seiner Richtungen: Vorn und hinten, rechts und links, oben und unten lassen in der neutralisierten Form des Raumes nicht mehr sich unterscheiden.
    Die Beziehung von Zeuge und Märtyrer (der besondere Wert des Blutzeugen) rückt den Raum in eine besondere Beziehung zum Opfer: Die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers ist die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der Raumvorstellung. Die säkularisierende Wirkung der subjektiven Formen der Anschauung gründet in dieser Beziehung zum Opfer (die es im übrigen verständlich macht, daß und aus welchem Grunde die Geschichte der christlichen Theologie, aus deren Reflexion die Ursprungsbegriffe der modernen Naturwissenschaften hervorgegangen sind, zu den Voraussetzungen der modernen Aufklärung gehört).
    Die Redundanz der Logik des mathematischen Beweises ist der Grund der kantischen Lehre von den synthetischen Urteilen apriori und der Beweiskritik, die in den Antinomien der reinen Vernunft (in der großartigen Darstellung der Grenzen des Beweises) sich reflektiert. Die Redundanz der mathematischen Logik gründet in der Neutralisierung der Asymmetrie der Beziehung zwischen mir und dem Andern; die Antinomien rücken diese Asymmetrie ins Licht, und zwar durch den Nachweis, daß in den mathematischen Grenzbegriffen vom Adressaten des Beweises nicht mehr sich abstrahieren läßt: Hier zerbricht die Objektivität der mathematischen Erkenntnis, und dieser Bruch rückt das Problem der Genesis dieser Erkenntnis ins Licht. Der transzendentallogische, antiontologische Charakter der kantischen Philosophie gründet in den Antinomien der reinen Vernunft.
    Im juristischen Beweisverfahren gibt es zu den subjektiven Formen der Anschauung ein Äquivalent: in dem Problem der Glaubwürdigkeit des Zeugen, des „falschen Zeugen“, das das Recht auf seine Ergänzung durch die „Billigkeit“ verweist, auf die Beweiswürdigung durch den Richter. Jeder Versuch, ins Recht die „zwingende“ Logik der Mathematik einzuführen, das Beweisverfahren redundant zu machen, führt in die Paranoia hinein.
    Vgl. das Zeugenproblem im NT: Neben den „falschen Zeugen“ gehört hierher die Bezeugung des Sohnes durch den Vater, die Zeugenschaft der Apostel (Zeugen der Auferstehung) und das Blutzeugnis, das Martyrium (nicht das Opfer, das vielmehr ein Mittel ist, die Redundanz des mathematischen Beweises auch in der Theologie zu begründen, damit aber zwangsläufig in die logischen und erkenntnistheoretischen Probleme des Dogmas und in die herrschaftsgeschichtlichen Probleme der Orthodoxie hineinführt).
    Erinnerungsarbeit scheint nicht möglich zu sein, ohne daß sie die Erinnerungsfähigkeit anderer in Frage stellt.
    Welchen Stellenwert und welche Funktion hat die Erinnerung in der kantischen Vernunftkritik, in der transzendentalen Logik? Auch die Erinnerung ist eine Form der Zeugenschaft (und die Mathematik eine Form der Instrumentalisierung der Erinnerung, ihrer Verschiebung ins Gegenständliche). Die Erinnerung ist dem Problem der Glaubwürdigkeit ebenso unterworfen wie der Zeuge vor Gericht. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das leere Grab der Theologie.
    Die Raumvorstellung ist ein Endprodukt der Logik der Schrift (eine Form der „Erfüllung der Schrift“).
    Stellen nicht die drei idealistischen Systeme nach Kant die Geschichte der drei Leugnungen gleichsam in Kurzfassung vor Augen:
    – Fichte – die Leugnung des Fremden;
    – Schelling – seine Barbarisierung und Mythisierung und
    – Hegel die Hybris und die Selbstverfluchung?
    Gehört nicht zur descensio ad inferos das Vertrauen, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden?
    Der Satz „Was braucht es noch Zeugen?“ läßt sich als der Kern der philosophischen Hybris begreifen (aber auch als Kern der Beweisführung in raf-Prozessen).
    Der Kronzeuge ist der durch Straferlaß bestochene Zeuge. – Der Kronzeuge ist das Realsymbol der subjektiven Formen der Anschauung (was hat der Kronzeuge mit dem Stephanus und der paulinischen Wendung des Christentums zu tun; ist nicht der Titel Erzmärtyrer das theologische Äquivalent des Kronzeugen? Stephanus jedoch sah den Himmel offen).
    Philosophischer Zoo: Erinnert nicht die ganze Diskussion der nichteuklidischen Geometrien, insbeondere der nur noch projektiv zu verstehende Satz vom Gauss über Kant und Hegel, an das irre Wandern des Tigers im Käfig. Die Geometrie ist die Käfighaltung des Geistes.
    Sind die Fälschungen des Mittelalters nicht Dokumente der Wirkung des Rechtfertigungszwangs in einer undurchschaubaren herrschaftsgeschichtlichen Situation? Von diesem Rechtfertigungszwang hat sich der gesamte Erkenntnisprozeß seitdem nicht mehr lösen können. Und die Frage der Existenz Karls des Großen hat einen mit der Frage nach der Ursache der Tode in Stammheim vergleichbaren Rang.
    Ist es nicht auch ein Stück negativer Erinnerungsarbeit, wenn in einen raf-Prozeß Urteile und Urteilsbegründungen aus vorangegangenen Prozessen eingeführt werden, um einen Sachverhalt als „gerichtsbekannt“ der Beweisdiskussion (und damit der Gefahr, durch die Verteidigung widerlegt zu werden) zu entziehen?
    Synthetisches Urteil apriori: Gibt es nicht bereits Prozesse, in denen man, um den fehlenden Schuldnachweis zu ersetzen, nicht einmal mehr auf „falsche Zeugen“ angewiesen ist?
    Verwischte Spuren: Durch Schaffung von Tatsachen, die dann andern angelastet werden, wird der Erinnerung der Weg verlegt. Ist nicht die Raumvorstellung das Resultat des kollektiven Spurenverwischens (das „reine Anschauen“), und verlegt nicht die Orthogonalität (indem sie die Zukunft ins Vergangene projiziert) der Erinnerung den Weg („Ick bün all do“, sagt der Igel, während der Hase sich zu Tode läuft)?

  • 9.4.1995

    Nehmen die Kerubim in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte und in der Vision des Ezechiel die Stelle ein, die im Schöpfungsbericht die Feste des Himmels einnimmt? (Der Herr der Heerscharen ist der, der auf den Kerubim thront; aber: der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße.)
    Bei Ezechiel kommt der Name des Himmels nur als Äquivalent der göttlichen Gesichte und als Attribut der Vögel und der Sterne vor (und nicht als der Thron). – Und in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte? Hat die Schlange etwas mit der Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern scheidet, und mit den großen Seetieren zu tun (am Ort der Scheidung, am Eingang des Paradieses, lagern die Kerubim)?
    Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt: Ist das das Buch, das der Apokalyptiker ißt, und es ist „im Munde süß, im Magen bitter“? Im Munde süß: Ist das nicht die sapientia?
    Haftet nicht an der Lehre von den vier Elementen (und den vier humores) der Mangel, daß das Bittere und das Süße darin nicht vorkommt (nur die äußeren, quasi physikalischen Qualitäten: trocken und feucht, warm und kalt)?
    Grimm und Zorn sind durch ihre Richtungsdifferenz zu unterscheiden: Was als Zorn nach außen sich kehrt, geht als Grimm nach innen.
    Die Beziehung des Kelches zu den subjektiven Formen der Anschauung gründet in der beiden gemeinsamen Abstraktion von der Gottesfurcht.
    Haben die Verben erschaffen, creare und ktizein (hebr. bara) außer ihrer gemeinsamen Bedeutung auch gemeinsame Konnotationen?
    Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit – endlich lesen? Reflektiert nicht der Begriff der Öffentlichkeit die Herrschaft des männlichen Blicks (den objektivierenden Bann des Weltbegriffs), und sein „Strukturwandel“ die Geschichte dieses männlichen Blicks? Gründet der habermassche Begriff der Kommunikation, des Diskurses, sein Begriff der Objektivität als Intersubjektivität, nicht in dieser Konstellation, auch seine Weigerung, Natur in die Reflexion mit aufzunehmen? Zugrunde liegt die Neutralisierung der dialogischen Struktur der sprachlich fundierten Objektivität, die Leugnung des Lichts (oder die Leugnung der Scham, der Wurzel der asymmetrischen Struktur des Begriffs der Objektivität, auch der „Öffentlichkeit“: die Scham ist zusammen mit ihrem objektivitätsbegründenden Pendant, dem Weltbegriff, der Grund der Asymmetrie zwischen mir und dem Andern).
    Kritik des Absoluten: Das Eine ist nicht nur das Andere des Anderen. Die Beziehung des Einen zu seinem Anderssein (zu seinem Sein-für-Andere) ist asymmetrisch: Die Scham bezeichnet die Grenze. Die Idee des Absoluten leugnet diese Schamgrenze; sie begründet den Objektbegriff und eröffnet das Reich der Gemeinheit.
    Urbild der Gemeinschaft ist die Schicksalsgemeinschaft: die Volksgemeinschaft. Zu den Gründen jeder Gemeinschaft gehört die Bekenntnislogik; wie diese ist die Gemeinschaft ein Produkt der Vergesellschaftung, kein Ausweg daraus. Die Gemeinschaft transformiert die Asymmetrie der Scham ins Kollektiv: Der schambegründende (und so die Gemeinschaft „zusammenschweißende“) Außenblick wird dingfest im Feindbild (dem stärksten Kitt jeder Gemeinschaftsbildung).
    Die raf hatte diese ungeheure Bedeutung, dem Feind im Innern der Gemeinschaft ein Symbol zu geben. In dieser neuen Konstellation, die die Nachkriegsära kennzeichnet, gehört zur Gemeinschaft als Gegenbild die Bande (Produkt der Externalisierung der Familienbande). – Gehört nicht auch Stammheim zu den Metastasen von Auschwitz (und ist das, was hier geschehen ist, deshalb so schwer aufzuarbeiten)? Fast macht es schon keinen Unterschied mehr, ob die Tode von Stammheim auf Mord oder Selbstmord zurückzuführen sind: Auch der Selbstmord wäre nur als induzierter Selbstmord in einem ungeheuren vorurteils-logischen Konstrukt, das längst beide Seiten ergriffen hatte, zu begreifen. Das dämonische Zwielicht und die dämonische Zweideutigkeit, die diese Ereignisse kennzeichnen (und die es so schwer machen, Taten der raf und das Handeln der Geheimdienst des Staates auseinander zu halten), beherrschen die ganze Nachgeschichte über die Startbahn-Morde bis hin zu Bad Kleinen (über Ingo Herbst zu Steinmetz). Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, läßt sich an der Geschichte des linken Terrorismus in Deutschland wie an einem Laborfall studieren.
    Umkehrung der transzendentalen Logik: Hat nicht die Bundesanwaltschaft die selffulfilling prophecy (oder auch das double bind) längst zu einem technischen Instrument der Erkenntnisgewinnung (der „Ermittlung“) und der technischen Beherrschung der Strafverfahren gemacht (und das Urteil am Ende zu einem synthetischen Urteil apriori)?
    Was bedeutet es, wenn in der speziellen Relativitätstheorie ein empirisches Moment zu einem apriorischen des Systems geworden ist? In welche Beziehung werden die Kategorien Ding und Ereignis gerückt (Tatsache: der Begriff ist im 18. Jhdt aus dem engl. matter of fact, dieser aus dem lat. res facti entstanden)?
    Beziehung der „Sünde der Welt“ zu den „subjektiven Formen der Anschauung“ (Kritik der Form des Raumes): Den Begriff der Sünde aus dem autoritären Kontext (aus dem Blick des Herrn) herauslösen.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie