Justiz

  • 22.12.1996

    Die Barmherzigkeit, die ins Herz der Menschen sieht, deckt eine Menge Sünden zu: Sie macht sie nicht ungeschehen, und sie vergibt die Sünden nicht, sie „nimmt sie auf sich“, sie erkennt in der Sünde des Andern die eigene Schuld und bekennt sie. Darin liegt die Hoffnung der Bekehrung des Sünders, in der die Rettung der eigenen Seele beschlossen ist. Bezieht sich hierauf das Wort vom Binden und Lösen? Was sind die Wege des Irrtums?
    Wege des Irrtums: Käme es nicht darauf an, die Planetenbahnen als sprachlogische Bahnen zu begreifen? In diesem Zusammenhang bekäme auch der Satz: „Wir haben seinen Stern gesehen“, Sinn.
    Modell des Verurteilten ist das Objekt, und das Objekt ist das Grab der Sprache (die subjektiven Formen der Anschauung sind das Kreuz und der Stein, der das Grab verschließt, und der die Sorge Maria Magdalenas war, als sie zum Grab ging, um den Toten zu salben). Sind nicht die Begriffe Denkmäler der Namen auf dem Grab (oder auch das Reich der armen Seelen der abgestorbenen Sprache)?
    Durch die Opfertheologie ist das Christentum wieder zu einer Naturreligion geworden.
    Die Opfertheologie ist der Kern der Bekenntnislogik und der Grund ihrer Ambivalenz: Sie ist offen für die Identifikation mit dem Opfer als auch für die Identifikation mit den Verfolgern, den Tätern. Sie ist offen für die Barmherzigkeit und für ihre Instrumentalisierung durch die Welt und den Staat.
    Nach der Märtyrerzeit, mit der geschlechtsspezifischen Trennung der Heiligengestalten in Confessor und Virgo, ist die Ambivalenz der Bekenntnislogik durch Anwendung auf die Geschlechtertrennung nur neutralisiert, nicht aufgehoben worden. Die Männer haben die Bekenntnisreligion in Regie genommen, die Frauen sind fromm geworden.
    Wie lautet Apg 139 „Saulus aber, der auch Paulus heißt, blickte ihn an, erfüllt mit dem heiligen Geist, und sprach …“ im Griechischen? – „Saulos de, ho kai Paulos, plästheis pneumatos hagiou atenisas eis auton eipen …“
    Hat die Geschichte von den sieben unreinen Geistern etwas mit der Zahl 666 zu tun? Ist es der gleiche Mensch, den der eine unreine Geist verläßt, um dann mit sieben weiteren unreinen Geistern zurückzukehren: „und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten“, von dem es dann heißt: „… sie ist die Zahl eines Menschen; seine Zahl ist 666“?
    Für die Christen war Rom Babylon, für die Juden Edom (mit der Folge, daß „die Könige, die im Lande Edom regiert haben, ehe ein König regierte in Israel“ aus Gen 3631ff Gegenstand der jüdischen Mystik geworden sind): Was drückt in dieser Differenz sich aus (Herodes war ein Idumäer, Pilatus war der Statthalter Roms; Herodes hat Johannes enthaupten lassen, Pilatus hat die Rebellen, unter ihnen auch Jesus, gekreuzigt – und Paulus war bei der Steinigung des Stephanus anwesend; zu den messianischen Titeln Jesu gehört neben dem des Gottessohns und dem des Menschensohns auch der des Sohnes Davids)?
    Ton Veerkamp weist gelegentlich darauf hin, daß es im Hebräischen das Verb „haben“ nicht gibt. Es wird hier ersetzt durch eine Dativ-Konstruktion, entsprechend dem hessischen „das ist mir“. Hat das „gehören“, das wir an die Stelle des „ist“ setzen würden, etwas mit dem Gehorsam zu tun: Ist der Gehorsam die Tugend dessen, der einem andern „gehört“?
    Haben und Sein: Das „haben“ bezeichnet neben dem Besitz auch das Perfekt, die vollendete Vergangenheit: Ist die Übersetzung ins Perfekt, ins Vergangene, die das Inertialsystem an den Dingen vollzieht (und deren Vorform die indoeuropäische Form des Perfekt ist, die Bindung der Konjugation an die Zeit), ihre Übersetzung in ein potentielles Besitzverhältnis? Und gründet darin die sprachliche Beziehung des Infinitivs „Sein“ zum Possessivpronomen der dritten Person singular männlich (sein)? Ist das Sein ein in die Potentialität zurückgedrängtes Haben?
    Strafrecht: Durch das Urteil und die daraus abgeleitete Strafe gewinnt der Staat ein Besitzrecht an dem Verurteilten. Der Ursprung der Knäste liegt in dem Institut der Schuldknechtschaft, mit der das Geld die ganze Welt überzieht, sie zur Welt macht.

  • 19.12.1996

    Objekte sind ausländisch: Jede Landesgrenze ist eine Verurteilungs- und Schuldgremze.
    Ton Veerkamp: Der erste Johannesbrief (TuK Nr 71/72):
    – „Raffgier“ (S. 45) antisemitisch?
    – Sprache und Inertialsystem: Ist die Sprache Bubers (und in der Folge die Ton Veerkamps) nicht eine Konsequenz aus der Anerkennung der Herrschaftslogik, die vom Inertialsystem nicht zu trennen ist? Folge: Unschuldstrieb (nicht Sünde, sondern Schuld – „Verfehlung“, „sich daneben benehmen“ (S. 65) – als Maßstab)
    . „Huld“/Barmherzigkeit (s.o.); „Bewährung“/Gerechtigkeit; „Weltordnung“/Welt; „Solidarität“/Liebe,
    . 68er Desiderat: affirmativer Gebrauch des Begriffs der Ideologie („falsches Bewußtsein“ nicht reflektiv, sondern nur als Waffe),
    . „klare politische Linie“, „unbedingte Ablehnung“, „kompromißlos“ (S. 66/88),
    . „wie ‚Gott‘ geschieht“ (vgl. „wie Gott funktioniert“ – in: Vernichtung des Baal): Ästhetisierung/Historisierung,
    . Tribut gezollt (nicht „gewährt“, S. 91): Tribut nur im „Ausland“, in unterworfenen Völkern, Einfuhrzoll für das Recht der Existenz unter der Besatzungsmacht,
    . „Bekenntnis zu“ (S. 85), Problem der Bekenntnislogik (dagegen: Bekenntnis des Namens),
    . Opfertheologie: „barbarischer Unsinn“ (S. 75) – reflektieren, nicht verdammen; Verurteilung, Feindbildlogik und Xenophobie („barbarisch“),
    . „Inspiration“/Geist: daß mit der Marx’schen Widerlegung der idealistischen Systeme der Name des Geistes obsolet geworden ist, ist wahr und unwahr zugleich.
    – Problemkreis Antichrist/Apokalypse/Antijudaismus (S. 52)?
    Verweist der Übergang vom hebräischen Satan auf den griechischen diabolos nicht auf einen Fortschritt, liegt dazwischen nicht der Weltbegriff, verweist die logische Figur des diabolos nicht darauf, daß das Satanische, das Prinzip der Anklage (der Verurteilung), in die Struktur der Welt mit eingegangen ist, ja eigentlich sie begründet? Deshalb gibt es im NT (und in der Folge davon in den Weltreligionen) Dämonen. Die Idee der creatio mundi ex nihilo ersetzt die Schöpfung durch einen Abstraktionsprozeß.
    Ton Veerkamps Begriff der „Weltordnung“ macht etwas deutlicher, aber zugleich verwischt es auch etwas. Es ersetzt die im Anblick von Rom notwendige Kraft der Reflexion (des Weltbegriffs) durch ein praktikables Feindbild. Auch diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Wer seinen Hegel kennt, weiß, daß Begriffs- und Herrschaftsgeschichte so mit einander verflochten sind, daß sich das eine vom andern nicht mehr ablösen läßt. Die Größe der Gefahr, die Rom verkörpert, wird erst sichtbar im Licht des Weltbegriffs. Der Begriff der „Weltordnung“, der diese Gefahr zum Feindbild verdichtet, ist schon Produkt einer Verharmlosung.
    Wird nicht, wenn man den Namen der Liebe durch den Begriff der Solidarität ersetzt, das Entscheidende herausdefiniert? Solidarität steht schon unter dem Gesetz der Instrumentalisierung (Liebe ist auch instrumentalisierbar: dagegen richtet sich der Rat der Keuschheit).
    Steckt nicht in der Praxis der Geldschöpfung, der Kreditschöpfung durch die Banken ein astronomiekritisches Potential (Grund der Beziehung des Begriffs der creatio mundi ex nihilo zur Ursprungsgeschichte des Staates, zur Ursprungsgeschichte des Gewaltmonopols des Staates)?
    Die Idee der Barmherzigkeit enthält das Potential einer Kritik der Transzendentalphilosophie, sie vermag insbesondere die Stellung und Bedeutung der transzendentalen Ästhetik in der Transzendentalphilosophie endgültig aufzuklären. Die Sprengung des Begriffs gründet in der Sprengung der ästhetischen Grundlagen des Begriffs (in der Beziehung des Begriffs zu den Formen der Anschauung, der Schaubühne unserer subjektiven Vorstellungen, unserer Vorstellungen von Natur und Geschichte).
    Gründet nicht die politische Theologie in der Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils (in der Vertauschung und Verwechslung von Subjekt und Prädikat), und verbindet das nicht deren gegenwärtige Verkörperungen mit ihrer Ursprungsgestalt in der politischen Theologie Carl Schmitts? Gilt das Freund-Feind-Paradigma nicht auch für die nachfolgenden (nachfaschistischen) Konstrukte? Das Problem der politischen Theologie gleicht dem der naturwissenschaftlichen Astronomie: Sie macht das Ungleichnamige gleichnamig, indem sie die Sphäre der Herrschaft mit der theologischen in eins setzt. Sie rührt an das Problem, das Derrida fast schon denunziatorisch an Benjamins „Kritik der Gewalt“ glaubte gesehen zu haben: an das Problem der Ununterscheidbarkeit des Holocaust von der göttlichen Gewalt.
    DIE BANK GEWINNT IMMER: Es gibt keine Chance, mit politischen Mitteln die Beziehung von oben und unten umzukehren; man kann nur die Personen austauschen, aber nicht die Strukturen ändern: und das hilft nicht viel. Die Beziehung von oben und unten unterscheidet sich von den anderen Richtungsbeziehungen dadurch, daß sie irreversibel ist. Die einzige Chance benennt Jakobus: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Name der Barmherzigkeit aber ist der des Geistes.
    Die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Gerechtigkeit durch den der Bewährung, der ihn in einen autoritären Grund verpflanzt, läßt sich an dem Satz Horkheimers prüfen: Ein Richter, der in einen Angeklagten nicht mehr sich hineinversetzen kann, kann kein gerechtes Urteil mehr fällen. Wer den Begriff der Gerechtigkeit durch den der Bewährung ersetzt, begibt sich der Möglichkeit der Rechtskritik (die zu den zentralen Gegenständen der Prophetie gehört). Er kann Recht und Gerechtigkeit (Links und Rechts) nicht mehr unterscheiden.

  • 11.12.1996

    Wenn der Satz stimmt, daß der Klügere nachgibt, sind dann nicht die Richter die Dummen?
    Wenn die Attribute Gottes im Imperativ stehen, dann ist der Satz, daß etwas „nicht geht“ (weil es unmöglich ist), als Ausrede nicht mehr brauchbar: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
    Ist nicht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, nur ein anderer Ausdruck dafür, daß die erste Philosophie die Ethik ist?
    Es gehört zu den Aprioris der RAF-Prozesse, daß die Lücken der Beweislogik zu Lasten der Angeklagten ausgenutzt werden.
    Barmherzigkeit und Erkenntnis: Nicht die (passive) Hoffnung, sondern die (aktive) Barmherzigkeit löst die Probleme der Beweislogik.
    Heute ist die Konstruktion des Lebens selber herzzerreißend. Der Zustand der Welt nimmt alle in Geiselhaft.
    Hat nicht Heidegger die Hegel’sche Idee des Absoluten auf die kürzeste Formel gebracht: auf das „Vorlaufen in den Tod“? Nur: Hegel war noch verzweifelt über das Resultat seiner Philosophie, er wußte sich „von Gott verdammt, ein Philosoph zu sein“; Heidegger hingegen ist ein begeisterter Sympathisant des Seins.
    Der Bann, unter dem die Natur steht, der Bann des Naturbegriffs selber, hat seine Wurzel in dem gesellschaftlichen Primat der Selbsterhaltung; er hat mit der Instrumentalisierung der Vernunft einen gemeinsamen Ursprung. Gegen diese Instrumentalisierung der Vernunft stehen die drei evangelischen Räte (die von der Kirche durch Instrumentalisierung nochmals verraten worden sind).
    Zu den Einsichten, die der Sprachreflexion sich verdanken, gehört, daß Gott nicht stumm ist. Das Wort Gottes drückt aufs deutlichste in dem imperativischen Charakter der göttlichen Attribute sich aus.
    Wenn wir den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft wirklich begreifen würden, würde es uns dann nicht „wie Schuppen von den Augen fallen“? Stammt das Wort, daß einem etwas wie Schuppen von den Augen fällt, nicht aus dem Buch Tobit? Die Salbe, mit deren Hilfe die Schuppen von den Augen des Tobit lösten, wurde aus der Galle des Fisches gewonnen, den Tobias und Rafael, als der Fisch den Tobias verschlingen wollte, aus dem Fluß Tigris gefangen hatten.
    Als Jesus zur Samariterin vom Quell des lebendigen Wassers sprach, hat er da nicht Jesaias zitiert?
    Zum Zug, der in den Abgrund rast: Die Schienen dieses Zuges sind die subjektiven Formen der Anschauung (und mit ihnen das Geld und die Bekenntnislogik). Jürgen Habermas hat, als er den kritischen Naturbegriff der kantischen Tradition verwarf und die Natur aus dem Bereich der Reflexion ausschied, dazu beigetragen, den Zug auf diese Schiene zu setzen. Damit hat er dem reflektierenden Urteil die Erkenntniskraft abgesprochen.
    Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae. Dieser Geist, der das Antlitz der Erde erneuern wird, ist der Geist der Barmherzigkeit, der Geist, der über das Gericht triumphiert, in dessen Bann das Antlitz der Erde steht, dessen Bann dieses Antlitz entstellt. – Ist nicht das kopernikanische System (als Säkularisationsprodukt des Pantheons) das entstellte Antlitz der Erde?
    Haben nicht die subjektiven Formen der Anschauung Kants etwas mit den paulinischen Elementargeistern zu tun?
    Im Feindbild-Clinch betreibt jede Seite, auch wenn keine es weiß, das Geschäft des Feindes. Und die Staatsschutzsenate sind nur noch Institute des Feindbild-Clinchs. Der Satz Jutta Ditfurths, daß der Staat seine Terroristen braucht, ist heute dahin zu ergänzen, daß ebenso die Terroristen, nachdem sie aus ihren Rechtfertigungszwängen nicht mehr sich lösen können, den Staat brauchen. Für den Zug, der in den Abgrund rast, war die RAF ein Energie-Lieferant.
    Wenn die Begriffe der Pflicht und der Verantwortung den Gesetzen der Selbsterhaltung untergordnet werden, dann weiß keiner mehr, was er tut. Die Vorstellung, daß der Markt es schon richten werde, ist gemeingefährlich und am Ende selbstmörderisch.
    Heute wird die Religion von denen verraten, die in ihr Trost suchen.
    Die Frage nach falsch oder richtig, die heute im Allgemeinen mit der Frage nach der Wahrheit verwechselt wird, wird grundsätzlich im Nachhinein (nicht beantwortet, sondern) entschieden: sie gilt (wie der Begriff des Wissens) nur für Vergangenes, und für Zukünftiges nur in dem Maße, in dem seine Vergangenheit sich antizipieren läßt. Es ist dieser Begriff des Richtigen, der Begriffen wie Orthodoxie, Orthogonalität ihre Schlüssigkeit und ihre objektive Bedeutung verleiht. Der Begriff des Richtigen ersetzt das Was durch das Wie; das Referenzsystem, auf das er sich bezieht, ist das Inertialsystem (der Inbegriff des Richtigen). Im Kontext des Richtigen lassen sich Rechts und Links nicht mehr unterscheiden. Hat hiermit das „Sitzen zur Rechten des Vaters“ (die Rechte ist die Seite der Barmherzigkeit, die Seite des Heiligen Geistes, die der Begriff des Richtigen ins Gegenstandslose verflüchtigt) etwas zu tun?

  • 10.12.1996

    Gemeinde, Behörde, ahnden: Was bedeutet und welche sprachlogische Funktion hat das Suffix -de?
    Herrlichkeit, Persönlichkeit: Was drückt in dem doppelten Suffix -lichkeit sich aus?
    Dirk Baecker, S. 98: Wenn Unternehmen, anstatt die Dienste der Banken in Anspruch zu nehmen, „auf direkte Kreditmärkte ausweichen“, wird das Geschehen für die Banken intransparent, verlieren sie die „Aufsicht“, die sie kraft ihrer Marktfunktion innehaben. Hat diese „Aufsicht“ funktionslogisch etwas mit dem Titel und der Aufgabe des episkopos zu tun?
    Zur Rezension von Titeln zum Thema RAF (von Norbert Seitz) in der FR von heute: das „gigantische Integrationsbemühen zur Dressur von inneren Schweinehunden“ erinnert an den „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ in der Nazizeit, der die deutsche Bevölkerung durch Befreiung vom Gewissen, durch moralische Enthemmung in die nationale Gemeinschaft integrieren sollte, in eine „Schicksalsgemeinschaft“, in der jeder seine Pflicht tut und keiner mehr weiß, was er tut; dieser Kampf hat die Menschen auf die „großen nationalen Aufgaben“ vorbereitet, er hat sie für den Krieg und die Endlösung der Judenfrage verfügbar gemacht. Eines der wichtigsten Instrumente dieses Kampfes war in der Tat der Antisemitismus, die Feindbildpflege, die seit je ein Mittel der moralischen Enthemmung gewesen ist. Zählt Norbert Seitz auch die RAF-Prozesse zu den Dressurmitteln, die man um der „gigantischen Integrationsbemühen“ willen hinnehmen muß? Und läßt diese „Dressur“, zu der die Feindbildpflege gehört, noch von den wahrhaft apokalyptischen Mechanismen des Feindbild-Clinchs, der wechselseitigen Angleichung der Feinde, wie sie heute auf beiden Seiten der „Front“ immer deutlicher sich abzeichnet, sich ablösen? Ist es nicht die „Dressur von inneren Schweinehunden“, die am Ende die Schweinehunde züchtet? Schweinehunde gehören zu einer Tiergattung, die jedenfalls nicht dressurfähig ist.
    Ein ganzes Volk zieht sich in den Winkel (in die Ecke der Scham) zurück in der Hoffnung, daß das Unwetter, das es selbst verursacht hat, vorüberzieht.
    Es gibt eine Freiheit von Scham, die weder unverschämt, noch schamlos ist. Gibt es zu diesem Satz nicht auch eine astronomische Anwendung?
    Nach dem Thales’schen „Alles ist Wasser“ ist die Person eigentlich nur noch juristisch faßbar: als eine, die zur Verantwortung gezogen werden kann. Ist die Person nackt und unverschämt, und das Subjekt schamlos? Das Subjekt ist der blinde Fleck der Sensibilität, die Person ist empfindlich (im Sinne des grammatischen, nicht des biologischen Geschlechts sind Männer Subjekte, Frauen Personen; der Anschauende ist nackt und unverschämt, das der Anschauung sich darbietende Objekt ist schamlos).
    Die Persönlichkeit gründet im Ansehen einer Person (die im Licht der Gerechtigkeit niemals Grundlage des Urteils sein darf), mit der doppelten Konsequenz: daß nämlich die Persönlichkeit mit dem Anspruch auftritt, dem Recht enthoben zu sein, wie umgekehrt im Kontext eines gerechten Prozesses die Persönlichkeit gegenstandslos ist.
    Herrlichkeit ist der Inbegriff des Ansehens des Herrn. kabod, der hebräische Name der Herrlichkeit, verweist auf das Gewicht: Auch die Persönlichkeit kann ihr „Gewicht in die Waagschale werfen“. (Der Ort der Zärtlichkeit ist der Blick. Verbindlichkeiten sind öffentlich geltend zu machen.)
    Wollte man den Begriff der „niedrigen Gesinnung“, die den Mörder charakterisiert, definieren, seinen Anwendungsbereich beschreiben, käme man zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Niedrige Beweggründe sind im einzelnen bestimmbar und es gibt nur eine begrenzte Anzahl, sie sind abzählbar: Es sind
    – politische,
    – religiöse,
    – sexuelle und
    – aus einem Eigentumsstreit ableitbare
    Beweggründe. Verweist diese Aufzählung nicht auf die Astrologie, auf die den vier „Himmelsrichtungen“ zugeordneten Planeten, und kann es sein, daß die Astrologie einmal als ein Konstrukt zur Rechtfertigung des staatsbegründenden Mords sich erweisen wird? Worauf bezieht sich dann das christlich-mythische Sohnesopfer und der freudsche Gegenmythos: der Vatermord? Sind nicht die Planeten insgesamt Verkörperungen der Gewalt (zu denen auch die paulinischen Elementarmächte und ihre Entfaltung in den mittelalterlichen Engelhierarchien zu gehören scheinen)?
    Voyeur: Aus dem sprachlogischen Sinn des Begriffs der Tatsache (vgl. Dirk Baecker, S. 109) läßt sich ableiten, weshalb Tatsachen nackt sind: Der Begriff der Tatsache verhält sich zur Welt wie das Opfer zum Verfolger, wie das Entblößte zum Unverschämten (zum Begriff der Tatsache gehört der der Beobachtung).
    Theologie im Angesicht Gottes: Das ist auch der Ausbruch aus dem Gefängnis der Mathematik (aus der Stummheit der subjektiven Formen der Anschauung).

  • 5.12.1996

    Bericht der FR über ein Schreiben der RAF zum „Aussteigerprogramm“ („RAF sagt nein zum Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes“):
    – Danach lehnt die RAF das Aussteigerprogramm u.a. deshalb ab, weil „damit … RAF-Mitglieder dazu gebracht werden (sollen), ’sich zum Werkzeug des Staatsschutzes zu machen und so nicht nur ihre GenossInnen, sondern auch ihre eigene Geschichte zu verraten’“. Die Formulierung zeigt, daß, was ohnehin seit langem zu erkennen ist, der RAF heute die „eigene Geschichte“ wichtiger ist, als die eigenen GenossInnen. Sie sind wirklich nur noch Gefangene ihrer Geschichte, damit aber unfähig geworden, die Ziele, für die sie vorgeben sich einzusetzen, überhaupt noch wahrzunehmen, denn das würde die Fähigkeit zur Reflexion – und zwar zur öffentlichen Reflexion – der eigenen Geschichte mit einschließen. Deshalb mußte z.B. Birgit Hogefeld, die damit einen Anfang gemacht hat (der auf das Urteil über sie keinen Einfluß hatte) auch von ihren eigenen GenossInnen ausgegrenzt werden. Wie es scheint, sieht die RAF zu den Rechtfertigungszwängen, unter denen sie steht, keine Alternative mehr.
    – Der Satz, daß die Entscheidung Christoph Seidlers, für die die RAF Verständnis bekundet, gleichwohl „nicht einfach in Ordnung“ sei, erscheint begründet, hat aber auch die fürchterliche Konsequenz, daß hier die Forderung nach Solidarität von einer Beziehung, die der Geiselnahme der eigenen GenossInnen gleicht, fast nicht mehr sich unterscheiden läßt. Will die RAF wirklich den Hinweis auf das mögliche Handeln der Staatsschutzorgane als Mittel der Erpressung gegen GenossInnen, die „aussteigen“ wollen, verwenden (wobei offenkundig ist, daß das zur Intention des Aussteigerprogramms gehört, das nur die „Kronzeugenregelung“, den Verrat als Ausweg offenläßt)?
    – „Sicherheitsexperten … (wunderten) sich darüber, daß in dem Schreiben nicht auf das Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld eingegangen wurde“ (Hervorhebung von mir):
    . Daß sie sich darüber wundern, ist entweder Heuchelei oder Dummheit. Der Grund, weshalb Birgit Hogefeld nicht erwähnt wird, ist dem Schreiben zu entnehmen: Sie hat nach Auffassung der RAF mit ihren Erklärungen in dem Prozeß gegen sie die „eigene Geschichte (gemeint ist die Geschichte der RAF, H.H.) verraten“.
    . Im übrigen war das Urteil kein „Urteil der ehemaligen RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld“, sie hat sich nicht selbst verurteilt, sondern es war ein Urteil gegen sie. Diese Formulierung paßt zu einem Begriff, der neuerdings im Wortschatz der Bundesanwaltschaft wie auch der Medien auftaucht, wo aus Bekennerschreiben „Selbstbezichtigungsschreiben“ werden. Hier wird durch die Sprachlogik unterstellt, daß die RAF und ihre Mitglieder sich selbst anzeigen („bezichtigen“) und dann auch verurteilen, daß das Staatsschutzverfahren eine unschuldige Maschine ist, die von Menschen bedient werden, die, wenn sie sich an die Bedienungsregeln halten, mit dem, was sie tun, nicht mehr sich zu belasten brauchen. Eine Maschine ist nicht kritisierbar, sie ist nicht ansprechbar und nicht reflexionsfähig, sie ist nur brauchbar oder unbrauchbar. Nur: Das Recht mag maschinell herstellbar sein, die Gerechtigkeit, zu deren Idee das „rechtliche Gehör“, und das heißt: eine sprachliche Beziehung des Gerichts zum Angeklagten, der Versuch, ihn zu verstehen, gehört, diese Gerechtigkeit, zu deren Hervorbringung eine Maschine nicht fähig ist, ist es nicht. Die Verweigerung dieses „rechtlichen Gehörs“, oder auch die darin begründete moralische Enthemmung des Rechts, die den Angeklagten zum Feind macht, drückt in einem Begriff wie „Selbstbezichtigungsschreiben“ und in einer Wendung wie „das Urteil der ehemaligen RAF-Terroristin Birgit Hogefeld“ sich aus.
    Die Materie ist der Ausdruck der Verschuldung der Dinge (vgl. hierzu den Hinweis auf die Verschuldung der Banken bei Dirk Baecker, S. 60).
    Die Währungshoheit ist der Ausdruck der Verschuldung des Staates, die über die „Kreditschöpfung“ der Banken privatisiert wird.
    Die verwaltete Welt ist eine Maschine, in der jeder seine Pflicht tut, aber keiner mehr weiß, was er tut. Hat das nicht etwas mit den Planetenbahnen zu tun, deren Notwendigkeit den anderen Sachverhalt nicht aufhebt, daß die Wege der Planeten Wege des Irrtums sind?
    Gehorchen nicht auch die RAF-Prozesse der Logik der Privatisierung, und liegt in dieser Logik der Privatisierung nicht der ökonomische Grund der Feindbildlogik, der moralischen Enthemmung und Entpolitisierung auf beiden Seiten, auf der des Staatsschutzes wie auf der des Terrorismus?
    Das technisch-positivistische Rechtsverständnis, Korrelat der logischen „Privatisierung“ des Rechts, ist das offene Tor, durch das die moralische Enthemmung des Rechts ins Recht eindringt und die Gerechtigkeit aus dem Recht ausgetrieben wird.
    Beginnen nicht der Staatsschutz und die RAF, sich jetzt endgültig spiegelbildlich einander anzugleichen? Unterliegen nicht beide Seiten dem Gesetz der fortschreitenden Entpolitisierung?
    Der Vorrang der eigenen Geschichte, die „nicht verraten“ werden darf, vor den GenossInnen, die dann zu Geiseln des Zwangs werden, der von der Unfähigkeit ausgeht, die eigenen Geschichte zu reflektieren, gründet in der Verwechslung von Reflexion und Verrat, deren Opfer Birgit Hogefeld geworden ist.
    Das Stichwort „Verrat der eigenen Geschichte“ ist das logische Pendant des Begriffs „Selbstbezichtigungsschreiben“. Beide verweisen auf den Hogefeld-Prozeß und konvergieren in ihm. Der Hogefeld-Prozeß konnte nur als Justiz-Maschine laufen, in der ihre Erklärungen (als Varianten der „Selbstbezichtigung“) ins Leere verhallten, und die gleichen Erklärungen haben die RAF zu einer Entscheidung gezwungen, der sie nicht gewachsen war: Anstelle des Wegs in die politisch-moralische Selbstbefreiung durch Reflexion der eigenen Geschichte hat sie die Dogmatisierung des Rechtsfertigungszwangs gewählt, die Verwerfung der Reflexion als „Verrat der eigenen Geschichte“.
    In den gleichen Kontext gehört der Angriff auf Hubertus Janssen, der ebenfalls von beiden Seiten erfolgte: Auch er sah sich plötzlich sowohl als Agent des Staatsschutzes wie als Unterstützer der RAF.
    Zu den zentralen inneren Problemen der RAF gehört ihre Unfähigkeit, den Wirkungszusammenhang von Sprache und Ökonomie, die Abhängigkeit der Sprachlogik von der Logik, die in der Geschichte der Ökonomie sich entfaltet, und damit die Einwirkung dieser Logik auf das Bewußtsein derer, die diese Sprache sprechen und in ihr denken, und d.h. auch auf das eigene Bewußtsein, zu reflektieren.
    Parallelität oder Wiederholungszwang? Sind nicht im Hinblick auf die Toten in Stammheim beide Versionen denkbar: die Mord-Version (Vertuschung der Morde an den Gefangenen durch die Selbstmordkonstrukte) wie auch die Selbstmord-Version (die Instrumentalisierung der Selbstmorde durch die RAF zu Mobilisierungszwecken), während in Bad Kleinen nun wirklich nur die Mord-Version (die Exekution von Wolfgang Grams, um die Pannen beim Tod des Beamten Newrzella zu vertuschen) Sinn macht, und die Selbstmord-Version eher dazu geeignet ist, auch die offizielle Stammheimer Version nachträglich noch in Zweifel zu ziehen? Verräterisch ist hier nun wirklich der absurde Versuch, das Stammheimer Konstrukt auch in Bad Kleinen nochmals zu Hilfe zu nehmen. Vor allem: Im Hogefeld-Prozeß ist jeder Versuch, im Kontext des Vorwurfs der Beteiligung von Birgit Hogefeld an dem „Mord an Newrzella“, der Wolfgang Grams angelastet wird, dessen Tod, der ja nun wirklich in ursächlichem Zusammenhang mit dem Gesamtvorgang in Bad Kleinen steht, zum Gegenstand der Beweiserhebung zu machen, mit wütender Verbissenheit abgewehrt worden. Und mit dem Trick des Freispruchs in dieser Sache, der die Feststellungen des Gerichts juristisch unangreifbar macht, ist nicht nur der Mordvorwurf gegen den toten Wolfgang Grams festgeschrieben worden, sondern damit zugleich ein Tathergang, der die Selbstmordthese mit abzustützen helfen soll. Wäre Bigit Hogefeld in diesem Punkt mit Gründen, die eigentlich schon bei Einreichung der Anklageschrift zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes hätten führen müssen, nicht freigesprochen worden, so wäre nicht auszuschließen gewesen, daß in einem Revisionsverfahren auch der angebliche Selbstmord von Wolfgang Grams zum Gegenstand der Beweiserhebung hätte werden können. Läßt sich, was im Hogefeld-Prozeß auf dem Spiel stand, nicht vielleicht doch genau an diesem Freispruch ermessen? – Und genau hier gehorcht die RAF dem Grundsatz aus der Feuerzangenbowle: „Da stelle mer uns janz dumm“, und riskiert, wie sie es im Falle Christoph Seidler, dem sie dann noch oberlehrerhafte Zensuren erteilt, offensichtlich sehenden Auges getan hat, daß Unbeteiligte jahrelang dem Verfolgungsdruck ausgesetzt sind und vielleicht sogar – wie möglicherweise in einer Reihe von von RAF-Prozessen, vielleicht auch im Falle Birgit Hogefelds – wegen Taten, die sie nicht begangen haben, bis hin zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt werden.
    Ist nicht dieses Wort von dem „Verrat der eigenen Geschichte“ zweideutig: logischer Angelpunkt einer Kollektivhaftung aller Mitglieder der RAF für alle Taten der RAF? Bezogen auf Birgit Hogefeld kann es RAF-intern bedeuten, daß ihr generell das Recht verweigert wird, sich von Taten der RAF zu distanzieren, während es in den Händen der Ermittlungs- und Strafverfolgungseinrichtungen der Unterstellung Nahrung liefert, daß die „eigene Geschichte“ auf die von Birgit Hogefeld sich bezieht, und z.B. als beweislogisch verwertbarer Hinweis auf ihre Beteiligung am Mord an Pimental verwandt werden kann, deretwegen sie dann auch verurteilt wurde.
    Ist nicht die Larmoyanz des Anklägers (ein Reflex ihrer Rolle in der Justizmaschine), der zur Selbstentlastung auf seine Pflicht sich beruft, im wörtlichsten Sinne „unerhört“ (geblieben): auch vom Gericht unerhört, weil es sich selbst darin wiedererkannte? Aber gibt es diese Larmoyanz nicht auf beiden Seiten, und ist sie nicht der Grund, daß der Eindruck sich längst verfestigt hat, daß die RAF sich eigentlich nur noch um ihr eigenes Schicksal sorgt, zur Gegenwartsanalyse aber ernsthaft nichts mehr beizutragen vermag? Es ist das Selbstmitleid, das ihnen den Blick verstellt (die Empfindlichkeit, die sie unsensibel macht).
    Natürlich hat der Name des Petrus etwas mit der Geschichte der Versteinerung der Kirche zu tun. In der Geschichte der Kirche selbst waren es das Bündnis mit der Macht, die Rezeption der Philosophie, des Hellenismus (des Weltbegriffs), der Ursprung und die Geschichte des Dogmas und der Orthodoxie und in deren Kern die Opfertheologie (die Instrumentalisierung des Kreuzestodes), über die die Versteinerungsgeschichte gelaufen ist. Der Anspruch Roms, in diesen Punkten federführend zu sein: als Bewahrerin der Orthodoxie, war danach durchaus konsequent.
    Ist nicht das Tier vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Widder und redet wie ein Drache, der falsche Prophet, das Symbol des Sündenbocks. Ist der Sündenbock (der Widder) nicht das männliche Pendant des weiblichen Lamms?
    Ist das Tier aus dem Wasser die politische Ökonomie (das Wasser Symbol der Ware, und damit der Völkerwelt), und sind die Banken das Tier vom Lande (der falsche Prophet)? Ist das Ende der Nationalökonomie (und damit auch das Ende der bisherigen Gestalt der Kritik der politischen Ökonomie), die Rolle in der Theorie durch die BWL übernommen wurde, die die Rentabilität (anstelle des „Reichtums der Nationen“) ins Zentrum rückt, nicht eine Folge der Hypostasierung des Blicks der Banken, der die Welt versteinert? Und ist nicht dieser Blick das Modell der „subjektiven Formen der Anschauung“?
    War nicht die Weltwirtschaftskrise (Dirk Baecker, S. 66ff) der Wendepunkt, und vor diesem Hintergrund der Faschismus in der Tat die Generalprobe?
    Dirk Baecker weist darauf hin, daß die ersten „Bankgeschäfte“ in Babylon Kreditgeschäfte (Agrar-, Handels- und Konsumkredite) auf der Grundlage der in den Tempeln gehorteten Vorräte waren, während erst in Griechenland – auf der Grundlage des Geschäfts der Geldwechsler und der Münzprüfer (der Ablösung des „Bankgeschäfts“ von der Tempelwirtschaft) – die „erste berufsmäßig betriebene Depositenbank …, in der aus Einlagen Kredite vergeben wurden, … eingerichtet worden zu sein (scheint)“ (S. 67). – Ist das nicht der Hintergrund der mathematischen Entdeckungen der Griechen (der Entdeckung des Winkels und der logischen Entfaltung der Geomtrie) , und in Zusammenhang damit des Ursprungs der Philosophie (der „Erfindung“ des Begriffs)?

  • 4.12.1996

    Muß man nach dem Hogefeld-Prozeß und nach der Rückkehr von Christoph Seidler vielleicht doch das Undenkbare denken? „Die von ihm gemachten Aussagen … bringen auch das Fahndungskonzept von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft ins Wanken: Das Gesicht der RAF hat mit den Gesichtern auf den Fahndungsplakaten mutmaßlich nicht allzuviel zu tun“ (so in der FR von heute). Was wäre, wenn die nie aufgeklärten Aktionen der RAF gar nicht von ihr kamen, daß sie von den Gefangenen der RAF, von denen, die sich im Untergrund als „Mitglieder der RAF“ verstanden und von denen, die sie unterstützten, die es alle nicht besser wußten, nur dafür gehalten worden sind, weil sie an diesen Aktionen, am Bild der Kontinuität ihres „Kampfes“, eine Stütze ihres Selbstbewußtseins, ihrer „Identität“ zu finden glaubten? War das „Aussteiger-Programm“ vielleicht ein Programm, daß sicherstellen sollte, daß niemand mehr aus dem „Untergrund“ sich ans Licht traute, weil das möglicherweise das ganze Konstrukt hätte platzen lassen? Was ist gemeint, wenn, der FR zufolge, „in Sicherheitskreisen … der Fortbestand des ‚Aussteigerprogramms‘ damit begründet“ wird, daß man „auf diese Art Illegale ‚der Justiz zu(führe)’“?
    Sind nicht die Bilder vom fahrenden Zug oder vom frei fallenden Fahrstuhl, an denen Einstein das Grundproblem seiner Relativitätstheorien demonstriert hat: das Problem der Beziehung des ruhenden zum bewegten Inertialsystem, Bilder der Beziehung des Naturbegriffs zum Weltbegriff, die Kant einmal durch die Beziehung des dynamischen zum mathematischen Ganzen der Erscheinungen zu definieren versucht hat?
    Heute sind nicht mehr nur die Kapitalisten „Charaktermasken des Systems“, sondern ebenso die, die glauben, durch Feindschaft gegen das System, durch seine Verurteilung und Bekämpfung, dem Bann schon entronnen zu sein. Wenn es einen Fortschritt gibt, dann den, daß heute – in einem noch aufzuklärenden Zusammenhang mit der Verurteilungslogik – beide Seiten zu Marionetten des Systems geworden sind, daß sie beherrscht.

  • 29.11.1996

    Hat die Erschaffung Evas aus der Seite Adams etwas mit der Exogamie zu tun?
    Das plancksche Strahlungsgesetz bezieht sich auf eine Versuchsanordnung, zu der insbesondere ein „dunkler Hohlraum“ gehört: ein von allen Seiten umschlossener Raum, in dessen Innern der gleiche Zustand bestehen soll wie außerhalb, nur daß die unmittelbare Wechselwirkung zwischen den Verhältnissen draußen und dem Geschehen im Innern ausgeschlossen werden soll, mit einer Ausnahme, deren Isolierung der Zweck der Versuchsanordnung ist: die thermische Einwirkung. Die Versuchsanordnung soll im Innern des Raumes einen Gleichgewichtszustand herstellen und stabilisieren, der nur noch von einem Parameter abhängt: von der Temperatur.
    Der statistische Charakter der planckschen Strahlungsformel drückt nicht nur ihre Unabhängigkeit von der Konkretisierung mechanischer oder elektromagnetischer Prozesse aus; sie verweist auf einen Systemeffekt, auf den Systemcharakter des Erhaltungssatzes, der hier auf den Gesamtzustand im Innern des Hohlraums sich bezieht. Ob diesem Systemeffekt die mechanischen und elektromagnetischen Modelle, die unsere Vorstellung dem Gesetz zugrundelegt, wirklich zugrundeliegen, ist eine sekundäre Frage.
    Beschreibt nicht Girard in seinem Konzept des „versöhnenden Opfers“ die Ursprungsgeschichte des Rechts? Wenn das Urteil „im Namen des Volkes“ gefällt wird, so ist das in dieser Urteilsformel zitierte Volk der Repräsentant der Opfernden in diesem versöhnenden Opfer, und der Verurteilte das Opfer. Aus dieser Konstellation läßt der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, sich herleiten.
    Beschreibt René Girard in „Das Heilige und die Gewalt“ nicht aufs genaueste die Wolfsreligion, der auch das Christentum mit der Opfertheologie sich angeglichen hat? Als Staatsreligion hat das Christentum sich auf die Seite der Verfolger (der Wölfe) geschlagen. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Wolfsgesicht (das Gesicht, das nicht mehr barmherzig blickt: das Gesicht des Hundes, das nach christlicher wie nach jüdischer Tradition das Zeitalter des Antichrist kennzeichnet). Nur die Kraft, die in der Lage ist, die subjektiven Formen der Anschauung wieder reflexionsfähig zu machen, ist fähig, ihre verhexende Gewalt aufzulösen.
    Benennt Gott nicht am Ende des Buches Jona, mit dem Hinweis auf die 120000, die rechts und links nicht unterscheiden können, den Grund, weshalb Jona nach Tarschisch geflohen ist?
    Die Bundesrepublik: Ist sie die Finsternis über dem Abgrund, in den das nationalsozialistische Deutschland sich gestürzt hat?
    Staatsschutzprozesse machen eigentlich kurzen Prozeß, und sie dauern nur so lange, und sind nur deshalb so aufwendig, weil sie das vertuschen müssen.
    Das merkwürdige Gefühl bei den ersten Prozeßbesuchen, daß Ankläger und Gericht sich offensichtliche unter dem Zwang sehen, das „in dubio pro reo“ auf sich selber anzuwenden.
    Zu Hubertus J./JU:
    – des Kaisers neue Kleider,
    – der Versuch, die eigene Geschichte zu reflektieren, steht in ausgesprochenem Kontrast dazu, daß das in diesem Urteil völlig unter den Tisch gefallen zu sein scheint,
    – statt dessen der infame Freispruch, das ein Licht wirft auf die instrumentalisierende Logik, die dieses Verfahren insgesamt beherrscht hat,
    – nachdem es eine kritische Öffentlichkeit für diese Prozesse nicht mehr zu geben scheint („RAF-Mitglieder“, die läßt man fallen wie eine heiße Kartoffel), mußte natürlich Hubertus Janssen, der diese Rolle fast als letzter noch übernommen hat, die Infamie geradezu magnetisch anziehen.
    Daß es noch einige gibt, die keine Sympathisanten der RAF sind, die aber diese Art der Prozeßführung gleichwohl erschreckt, hat das vielleicht etwas damit zu tun, daß sie den Schrecken des Faschismus nicht loswerden, mit dem diese ganze Geschichte – übrigens auf beiden Seiten der „Front“ – unendlich viel zu tun hat.
    Eine wutbebende „heilige Empörung“, die Humanität und Reflexionsfähigkeit „christliches Geschwafel“ nennt, weckt nun wirklich schlimmste Erinnerungen.
    Käme es nicht in der Tat darauf, das ungelöste Problem, für das die RAF steht, endlich reflexionsfähig zu machen, anstatt diese Reflexion so wütend und denunziatorisch zu vedrängen?
    Ist hier nicht die JU auf einer Linie mit den Hardlinern der RAF, sind nicht beide darauf aus, diese Reflexion durch Ausgrenzung und Gegendiskriminierung zu unterbinden? Das „leider!“ der JU erschreckt mich mindestens ebensosehr wie die RAF. Hieraus höre ich den Ton der größten terroristischen Vereinigung, die es in diesem Lande gegeben hat, und deren Potential offensichtlich fortbesteht.
    Einer der Effekte der Feindbildlogik ist es, daß sie, ohne es zu merken, den Feind zur Norm des eigenen Handelns macht. Feinde werden nur allzu leicht zu Doppelgängern: Jeder erkennt im andern, was er in sich selbst verdrängen muß. Der Verfolgungswahn ist ein Produkt der Unfähigkeit zur Selbstreflexion.
    Wer den Feind als Wolf erfährt, wird selbst zum Wolf. Für den Wolf aber ist auch das Lamm ein Wolf, das er glaubt, zerreißen zu müssen, um sich zu verteidigen.
    Ist nicht der Girard’sche Doppelgänger ein Feindbildeffekt?

  • 28.11.1996

    Zum Sternkreis gehört der Widder, nicht das Lamm, wie zu den Sternzeichen überhaupt der Adler, nicht die Taube gehört. Zum Sternkreis gehört auch die Jungfrau.
    Inzestverbot: Der Satz, daß auch die Natur durch Kultur vermittelt ist (Girard, S. 330), gilt nicht nur für die Verwandschaftsverhältnisse und die Heiratsregeln.
    Die Symbollogik unterscheidet sich sowohl von der Logik des Begriffs wie auch von der korrespondierenden Logik der Zeitfolge (des Historismus). Der Fundamentalismus versucht, die Logik des Begriffs und die der Zeit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Aber dieser Nenner ist der der Gewalt. Das hegelsche Weltgericht ist noch harmlos gegen das, was die Nazis daraus gemacht haben.
    Wie ist das mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern des Drachen und des Tiers aus dem Meer? Das Tier vom Lande hat zwei Hörner (wie ein Widder) und redet wie ein Drache.
    Haben die zehn ägyptischen Plagen nicht eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte? Zur Vorgeschichte gehört die Geschichte von den Stäben, die zu Schlangen werden, aber die Schlange Aarons frißt die der ägyptischen Zauberer; die Nachgeschichte, das ist die Geschichte des Passa und der Tötung der Erstgeburt in Ägypten.
    Hören, nicht Gehorsam: Die Idee des Heiligen Geistes bedeutet u.a., daß der Kreuzestod kein Vorbild irgendeiner Nachahmung (kein Objekt der mimesis) ist, sondern Ursprung des Nachfolgegebots, das die Forderung der Autonomie und der Öffentlichkeit mit einschließt.
    Wie hängt das Inertialsystem mit dem Inzestverbot (mit der Exogamie) und mit dem Namen der Barbaren zusammen?
    In der grammatischen Geschichte des Urteils entsprechen das Subjekt und das Nomen dem Namen der Barbaren, während das Objekt und das Substantiv dem Begriff des Wilden korrespondieren. Der durch die kopernikanische Wende neu definierte Naturbegriff bezeichnet eine Natur, zu der die Wilden gehören.
    Niemand kennt den Tag und die Stunde, weder die Engel im Himmel, noch der Sohn, sondern allein der Vater: Der Kapitalismus hat aus den Tagelöhnern die Arbeiter mit Arbeitsvertrag und Stundenlohn gemacht.
    Zum Hogefeld-Urteil:
    Dieses Urteil hat nur die Anklage ratifiziert, und das selbst in dem Punkt, in dem es die Angeklagte freispricht (die Gründe des Freispruchs waren schon bei Einreichung der Anklageschrift offenkundig und hätten eigentlich zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes führen müssen; aber es ging um etwas anderes: um die gerichtliche Feststellung, daß – ohne entsprechende Beweiserhebung – Wolfgang Grams den GSG 9-Beamten Newrzella erschossen hat, und das war nur über eine entsprechend instrumentalisierte Anklage gegen Birgit Hogefeld möglich; nach dem Freispruch ist diese gerichtliche Feststellung nicht mehr revidierbar – ist nicht auch die Nutzung der Rechtsprechung zu rechtsfremden Zwecken eine Rechtsbeugung?).
    Den Weg zur Ratifizierung der Anklage durch dieses Urteil hat dieser Senat sich freigeschaufelt
    – durch Ablehnung fast aller Anträge der Verteidigung, insbesondere der Anträge
    . auf Hinzuziehung neutraler, von den ermittelnden Behörden unabhängiger Gutachter,
    . auf Ladung und Befragung der behördeneigenen Gutachter (deren Feststellungen dann zur Grundlage des Urteils geworden sind) – wie begründet diese Anträge waren, konnte man bei Vernehmung eines suspendierten BKA-Beamten erkennen, der von massiven Eingriffen der BAW in die Ermittlungen des BKA berichtete und selber, nachdem er in seinen Ermittlungen zu vom Anklageinteresse der BAW abweichenden Ergebnissen gekommen war, suspendiert und aus dem Verkehr gezogen worden ist,
    . auf Ladung von Zeugen, die die Geschehensabläufe in Bad Kleinen hätten aufklären können, an denen das Gericht jedoch nicht interessiert war,
    – sowie durch eine Beweiserhebung, die z.T. erst nach suggestiver Befragung der Zeugen durch Mitglieder des Senats die für dieses Urteil brauchbaren Ergebnisse brachten,
    – und nicht zuletzt dadurch, daß die Erklärungen der Angeklagten am Gericht wie an einer Betonwand abprallten; im Urteil findet sich nicht einmal mehr der Versuch, auf diese Erklärungen einzugehen: so als wären sie ins Leere gesprochen.

  • 25.11.1996

    Der durch die Ökonomie instrumentalisierte und verwüstete Staat gewinnt im Nationalismus die mythische Qualität seines Ursprungs zurück: die Gewalt der Verrottung und der Ausblendung dieser Verrottung aus dem Bewußtsein. Aufgabe des Staatsschutzes ist es, diesen Vorgang mit Hilfe der remythisierten Logik des Rechts zu stabilisieren.
    Die gekreuzigte, gestorbene und begrabene Sinnlichkeit wird, wenn es ihr gelingt, den Bann der Anschauung zu sprengen, im Leib der Sprache wieder auferstehen.
    Die Sinnlichkeit aus dem Bann der Anschauung befreien heißt, die Empfindlichkeit in Sensibilität transformieren. Diese Sensibilität sprengt den Bann des Naturbegriffs, sie erneuert das Antlitz der Erde.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Instrumentalisierung der Vernunft.
    Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße: Haben wir nicht den Himmel zum Schemel unserer Füße gemacht und sitzen mit dem Arsch im Dreck?
    Der Begriff der Reinheit wird durch das definiert, was er ausschließt: durch das Unreine. Das können die Sexualität und der Schmutz sein, es kann aber auch die Befleckung durch Gewalt sein. In beiden Fällen muß, allerdings mit konträren Folgen, das Opfer rein und makellos sein.
    Zur Kritik der reinen Vernunft: Was verunreinigt die Vernunft? Ist die reine Vernunft eine, die sich mit dem, was außer ihr liegt, nicht mehr beschmutzt, die sich nur mit dem, was sie aus sich selbst hervorbringt, befaßt: eine Vernunft, die nichts mehr erkennt?
    Vor den Staatsschutzsenaten geht es nicht mehr um die Taten, sondern nur noch ums Erwischtwerden (das Gericht muß nicht mehr die Tatbeteiligung beweisen, sondern der Angeklagte muß die Konstrukte der Anklage widerlegen). Zugrunde liegt die Logik des Sündenbocksyndroms, in dem die Unschuld dessen, der nach dieser Logik verfährt, durch die Unwiderlegbarkeit der Schuld des Sündenbocks (nicht durch den Nachweis ihrer Realität) bewiesen wird. Aufgabe der Staatsschutzsenate ist es, die Unschuld des Staates zu beweisen, damit beweist er die Schuld des Sündenbocks (der Hexe, des Juden). Die Sündenbocklogik ist ein Teil der Bekenntnislogik, die aus der Umkehr des Schuldbekenntnisses sich herleitet, aus dieser Umkehr das Bewußtsein der eigenen Schuldosigkeit gewinnt.
    Ist nicht die Pluralisierung der Sünde der Welt (Joh 129), die übrigens nicht schon in der Vulgata erfolgte, sondern erst in der Liturgie erscheint, die im Agnus Dei aus dem peccatum mundi die peccata mundi gemacht hat, das genaueste Indiz für den postdogmatischen Status der ins Lateinische übersetzten Theologie? Diese Übersetzung gehört zur Geschichte der drei Leugnungen Petri.
    Sind die Planeten die Pferde, die den Sonnenwagen ziehen? Und hat nicht der Tierkreis etwas mit dem Sündenbocksyndrom zu tun, sind im Tierkreis nicht alle Motive dieses Syndroms versammelt (Steinbock, Wassermann, Fische, Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze)? – Vgl. Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 237f (im Kontext der Zitate aus Euripides‘ Bakchen).
    Das kabbalistische Motiv, wonach die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, bezieht sich nicht allein auf ihre Unendlichkeit, sondern ebensosehr auf ihren Ursprung in der Orthogonalität. Die Orthogonalität bezeichnet den Verhärtungs- und Verblendungspunkt, dem die „schlechte Unendlichkeit“ des Raumes sich verdankt, ihr Ursprung fällt in die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos. Beziehen sich hierauf nicht insbesondere die Insekten-Plagen: die Mücken, die Bremsen und die Heuschrecken?
    Welche Zeichen konnten auch die Zauberer tun, und welche konnten sie nicht mehr tun, weil sie von ihnen selber befallen waren? Und an welcher Stelle kommt der Satz, daß, was die Israeliten opfern werden, den Ägyptern ein Greuel ist (liefert hierzu nicht das Sündenbocksyndrom den Schlüssel)?
    Gehören nicht das Sklavenhaus Ägypten und der Eisenschmelzofen in die Vorgeschichte des Sündenbocksyndroms? Der Sklave ist der instrumentalisierte (nicht mehr real geopferte) Sündenbock, die Sklaverei eine der ersten Stufen der Geldwirtschaft: Sklaven sind Waren, die arbeiten (im Kapitalismus arbeitet das Geld). Und Frauen sind Sklaven, die man genießt.
    Die Frau des Potiphar kehrt die durch die Sklaverei definierte Geschlechterbeziehung um: Sie will mit dem Sklaven tun, was sonst nur der Herr mit der Sklavin tut; und sie kehrt, als es ihr mißlingt, das Argument um: sie denunziert den Sklaven, daß er sie, wie es nur der Herr mit seiner Sklavin darf, hat mißbrauchen wollen. Gehört diese Geschichte nicht zur Mythoskritik: zur Auflösung des Vatermord/Inzest-Motivs (in dem der Sohn an die Stelle des Sklaven tritt: Ist nicht der Gottessohn der Gottesknecht)?
    Die Schlange und der Drache beziehen sich auf Babylon.
    Der Personbegriff, dem im Griechischen noch ein logischer Begriff korrespondiert, tritt rein erst im Lateinischen hervor, er vollendet die Arbeit des Begriffs, indem er dessen Formgesetz auf den Namen überträgt: so löscht er (in der Trinitätslehre) den Namen.
    Nach Emmanuel Levinas ist das Angesicht die Verkörperung des Gebots: „Du sollst nicht töten“. Sind dann nicht Fahndungsplakate und Personalausweise (als sozialisierte Fahndungsplakate) blasphemisch? Der Personalausweis ist der Beweis der Identität von Verfolger und Opfer. Jedes Fahndungsplakat denunziert das Angesicht.
    Zu den Terroristen-Plakaten (die – seit wann eigentlich? – in jedem deutschen Krimi gezeigt werden): Wieviele der dort Abgebildeten waren gar nicht in der RAF, und sind nicht etliche, nur weil sie auf Plakaten gestanden sind, für Taten verurteilt worden, die sie nicht begangen haben?
    Hat nicht Fichte den Personal-Ausweis erfunden, und war diese Erfindung nicht eine zwangsläufige Folge des Begriffs des Nicht-Ich?
    Der Geist ist das „Feuer vom Himmel“, von dem er wollte, es brennte schon.
    Erst der Paraklet befreit das apologetische Denken vom Rechtfertigungszwang.
    Ist nicht die Welt der Traum Nebukadnezars, und fehlt uns nicht nur noch der Daniel, der diesen Traum dem Vergessen entreißt und deutet? Propheten sind keine Träumer, sondern Traumdeuter.
    Der Satz aus dem Hebräerbrief: Der Gastfreundschaft vergeßt nicht, denn durch diese haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt (Hebr 132), ist ein Schlüssel zur Engellehre: Er verweist auf die Konvertibilität der Namen des Fremden und der Engel. Hat er nicht damit die Engel der Apokalypse und den Namen des Evangeliums in ein neues Licht gerückt?
    War nicht Joseph für den Pharao ein Engel, und ist nicht für den Pharao, der Joseph nicht mehr kannte, Moses zum Gott und Aaron zum Propheten geworden? Ist diese Konstellation nicht auch ein Symbol der Kirche?

  • 24.11.1996

    Ist das Vaterland nicht eine römische Erfindung (patria), und ist der Gottename Vater nicht dagegen gerichtet (und hat das Problem der Väter in den Evangelien überhaupt hier seine Ursache, wie z.B. das „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ oder die Frage: „Welcher Vater würde, wenn sein Kind ihn um ein Stück Brot bittet, ihm einen Stein geben“ – steckt in dieser Frage nicht die ganze Staatskritik der Evangelien)?
    Die subjektive Form der äußeren Anschauung ist der Repräsentant des Gewaltmonopols des Staates im Subjekt, die subjektive Form der inneren Anschauung das Instrument seiner Vertuschung. Das gegenständliche Korrelat der subjektiven Form der inneren Anschauung ist der Hades, das Totenreich, die Hölle.
    An den Gleichungen der Lorentz-Transformation läßt sich das Gesetz der Umkehrung erkennen, dem das Inertialsystem sich verdankt.
    Das spezielle Relativitätsprinzip macht die vier Himmelsrichtungen (rechts und links, vorn und hinten) konvertibel, das allgemeine Relativitätsprinzip Himmel und Erde (oben und unten). Nur: Die Bewegung des fallenden Fahrstuhls ist nicht umkehrbar. Das aber heißt, daß die Beziehung von oben und unten genau durch die Operation, die sie reversibel macht, irreversibel wird.
    Ähnlich sind die Staatsschutzprozesse als politische Prozesse Prozesse der Entpolitisierung.
    Während das Strafrecht sonst dem Trägheitsgesetz, der Mechanik korrespondiert, korrespondiert das Staatsschutzrecht dem Gesetz der Schwere, das nur über die Identität von träger und schwerer Masse dem Trägheitsgesetz kompatibel gemacht werden kann. Der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ gilt unmittelbar nur fürs Strafrecht, dessen Grenze er definiert; in den Staatsschutzverfahren, die die Grenzen des Strafrechts ausloten, wird er zum Prinzip und zur Grundlage der Verfahren. Staatsschutzverfahren suchen (durch Anwendung der Logik des Schuldverschubsystems) den schwerelosen Zustand herzustellen, der das Innere des fallenden Fahrstuhls definiert. Staatsschutzverfahren gehorchen zwangshaft und blind dem Unschuldstrieb des Staates, der ihn vollends böse macht.
    An dem Bild des frei fallenden Fahrstuhls läßt sich die Beziehung der Naturwissenschaft zur politischen Ökonomie demonstrieren und klären: Im frei fallenden Fahrstuhl ist das Kausalverhältnis eindeutig von seinem Bewegungszustand auf den Zustand im Innern des Fahrstuhls gerichtet. Im Bereich der politischen Ökonomie kehren sich die Verhältnisse um: Der Versuch, im Innern eines ökonomischen Systems einen schwerefreien Zustand herzustellen, versetzt dieses System in den Zustand des freien Falls. Das Problem der Beziehung von Naturwissenschaft und Ökonomie ist das Problem der Reversibilität (die dem Unschuldstrieb folgende Unfähigkeit zur Schuldreflexion macht die Schuld erst irreversibel, sie zerstört die Sprache, die von der Idee der Reversibilität der Schuld: von der Idee der Umkehr lebt).
    Laborbedingungen sind Exkulpationsbedingungen: Sie gehorchen dem Schuldverschubsystem und haben den gleichen Effekt wie Schlachthäuser, Irrenhäuser, Gefängnisse („Zuchthäuser“). Gründet die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, nicht in dieser Konstellation? Die sechs Richtungen des Raumes sind insgesamt dann noch mal auf die Irreversibilität der Zeit versiegelt: das ist das siebte Siegel; deshalb ist der siebte Tag der Tag der Ruhe (und der Menschensohn der Herr des Sabbat). Das „ruhende Inertialsystem“ (das zwangsläufig in zwei Versionen sich konstruieren läßt) ist die absolute Parodie des Sabbat.
    Gehorsam und Hören: Die Grenze zu den Barbaren ist die Grenze der sprachlichen Kommunikation. An der gleichen Grenze erfolgte die Erfindung der alphabetischen Schrift bei den ersten Handelsvölkern (der erste Handel war Fernhandel), den Phöniziern. Ist nicht die griechische Sprache eine Folge der Erfindung der Schrift: Ist nicht die innere sprachlogische Ausgestaltung des Griechischen der zweite Schritt, der dieser Sprache (wie das Aramäische dem Hebräischen) den Charakter einer Verkehrssprache verliehen hat? Hier erst ist diese Schrift zivilisationsbegründend („hellenistisch“) geworden.
    Haben die Inder das Wissen, die Griechen die Natur und die Römer die Welt erfunden? Ein Prozeß mit einer merkwürdigen logischen und zeitlichen Verschiebung: Er beginnt mit den „Veden“ und vollendet sich mit einer über die Araber vermittelten indischen Erfindung: mit der Erfindung der Null, die die moderne Algebra und die Konstruktion des Inertialsystems überhaupt erst ermöglichte.
    Was vermag das Sündenbocksyndrom und das Konzept der wechselseitigen Begründung des Heiligen und der Gewalt zu leisten im Hinblick auf die Selbstaufklärung des Begriffs der Öffentlichkeit (Hinrichtungen waren und Strafprozesse sind öffentlich)?
    Haben nicht die Staatschutzprozesse aus den Fehlern des Volksgerichtshofs gelernt? Ist nicht diese unheilige Trinität aus BKA, BAW und Staatsschutzsenaten ein Versuch, das Vorurteil zu rationalisieren, es technisch verfügbar zu machen? Oder anders: Ist nicht der Begriff der „Organisierten Kriminalität“ (und sind nicht einige andere ähnliche Konstrukte) auch ein Stück Projektion, steckt dain nicht etwas, in dem der Staat sich selbst wiedererkennen müßte? Sind nicht die mafiösen Strukturen, die ihren Namen von der italienischen Mafia haben, heute dagegen exemplifiziert werden an Organisationen, die aus China, aus Vietnam, aus Rußland oder aus Rumänien stammen, ein Abbild von Strukturen, die unter dem logischen Zwang der Aufgaben in staatlichen Einrichtungen sich herausgebildet haben und erkennen lassen? Sind nicht die Formen der „Organisierten Kriminalität“ Reflexionsformen des „freien Marktes“, und dienen die Hinweise auf die „Organisierte Kriminalität“ nicht mittlerweile als Alibi für die entsprechende Ausgestaltung der Einrichtungen, die sie bekämpfen (und zugleich auf andere Aufgaben sich vorbereiten) sollen ? Ist das nicht eine der Folgen der Feindbildlogik, die seit je mit dem Hinweis auf den Feind bewußtlos die eigene Angleichung an den Feind betrieben hat?
    Sind nicht alle Feindbilder: Organisierte Kriminalität (Mafia), Terrorismus (Iran, Libyen, PKK, IRA, ETA, Fundamentalismus, insbesondere der Islam) zugleich Bilder von feindlichen oder verbrecherischen Organisationen ausländischer Herkunft oder des Internationalismus im Innern des Staates? In den gleichen Kontext gehört das Wiederaufleben der Religions- und Weltanschauungskriege.
    Gehören hierher nicht die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und im Anblick der aus dem Bann des Ost-West-Konflikts herausgetretenen Ökonomie (Globalisierung, Freisetzung der Kräfte des „freien Marktes“, „Reform“ des Sozialstaats) notwendigen Versuche der Reorganisation (der Neudefinition der Aufgaben) der Militärapparate, der Geheimdienste, der Terrorismus- und der Kriminalitätsbekämpfung?
    Ähnlich wie die Privatisierung des Fernsehens die Medienlandschaft verwüstet hat, verwüsten die Privatisierung staatlicher Aufgaben die Politik und die Staatsschutzprozesse den Rechtsstaat.
    Lassen sich nicht heute schon die mafiösen Strukturen in der Politik an Parteien festmachen: an der Komplizenschaft von Religion und intriganter Machtpolitik, an der Speerspitze des Neoliberalismus, der nur noch die Interessen seiner Klientel vertritt, und an der Einbindung der Sozialdemokratie, die für sich selbst das „Bangemachen gilt nicht“ längst außer Kraft gesetzt hat?
    Das Problem läßt sich am Beispiel Helmut Schmidt demonstrieren, der einmal den Ermittlungsbehörden und den Gerichten die Weisung mitgegeben hat, in der Terrorismus-Bekämpfung „bis an die Grenze des Rechtsstaats“ zu gehen, während er in der Frage der Währungspolitik der Deutschen Bundesbank seine kritische Reflexionsfähigkeit sich bewahrt zu haben scheint.
    Ähnlich die Kirche, die die Spannung ihre eigenen inneren Widerspruchs (des Widerspruchs zwischen dogmatischer und moralischer Tradition und den materiellen Zwängen des ökonomischen Weltzustandes) heute bis zum Zerreißen an sich selbst erfährt (die Last, unter der sie steht, ist in der Gestalt des gegenwärtigen Papstes, der kein Zyniker ist, aber trotzdem das Opus Dei stützt und seiner Hilfe sich bedient, geradezu sinnlich erfahrbar). Die Kirche in Deutschland dagegen scheint allein an der repressiven Sexualmoral zu leiden, während sie das Problem des Dogmas, des Bekenntnisses, der Orthodoxie nicht sieht und die ökonomischen Weltprobleme nur bis zu dem Punkt zu sehen scheint, an dem sie beginnen, den eigenen Status in Frage zu stellen.
    Es gibt nicht mehr den einen Angelpunkt, an dem alle Probleme sich festmachen lassen. Ist nicht das Problem heute in der Schrift schon präzise bezeichnet: in der Geschichte der drei Leugnungen und in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern (in den Gestalten des Petrus und der Maria Magdalena).
    Zu verweisen ist insbesondere auf die sieben unreinen Geister, von denen keiner mehr für sich alleine in Anspruch nehmen darf, den Angelpunkt der Lösung der Weltprobleme zu bezeichnen.
    Zu René Girard: Ist nicht das Lamm Gottes, das würdig ist, die sieben Siegel zu lösen, die Umkehrung der Perspektive des Sündenbock-Syndroms?
    Nicht in der Sonne und nicht im Mond, aber auch nicht in Jupiter und Mars oder Venus und Merkur, sondern im Saturn, und dann erst in der Konstellation der anderen „Planeten“, ist die Lösung der Welträtsel beschlossen. In den vergeblichen Versuchen der sechs anderen Planeten, in sich selbst die Imago der Ruhe nachzubilden, die im Saturn ihren Grenzbegriff findet. Die Abbilder des ruhenden Zentrums sind allesamt Verführungen des Unschuldstriebs.
    Venus und Merkur: Liegt die Exogamie nicht noch vor dem Ursprung des Fernhandels?
    Jupiter und Mars: Liegt der Krieg vor der Konstituierung des Rechtsstaats?
    Adornos Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt war ein saturnisches Konzept.
    Was hat diese ganze Geschichte mit dem Wasser und dem Feuer zu tun, mit der Taufe und dem Geist?

  • 22.11.1996

    Wer immer nur ein gutes Gewissen hat, klinkt sich aus der Solidarität aus.
    Der schärfste Einwand gegen den Unschuldtrieb, gegen den Zwang des guten Gewissens, liegt darin, daß die Freiheit von Schuldgefühlen das Gericht definiert (frei von Schuldgefühlen ist der Ankläger, der Satan).
    Die apokalyptischen Tiere: sind das nicht Verkörperungen des Verfolgers?
    Der Punkt ist die vollständig zusammengeschrumpfte Kugel, die kein Inneres mehr hat, die nur nach nach außen blickt, für die das Innere der anderen ebenso wenig existiert wie das eigene Innere, und die dieses Innere nicht nur nicht erkennt, sondern als inexistent setzt. Die Kugel ist Ausdruck der Gewalt der Rückseite über das Angesicht, der Linken über die Rechte und der unteren über die obere Welt. Der Punkt ist die Basis der Zahlen.
    Haben nicht die Babylonier die Arithmetik und die Ägypter die Geometrie entdeckt? Die Griechen haben Arithmetik und Geometrie mit einander verbunden (nicht versöhnt), und zwar durch die Entdeckung des Winkels.
    Die Entdeckung des Punktes ist eine Folge der Entdeckung des Inertialsystems: Der reine Punkt ist der Schwerpunkt. Die „Definition“ des Punktes ist durch das Bild des „ruhenden Inertialsystems“ vermittelt; der Versuch, dieses „ruhende Inertialsystem“ zu bestimmen, führt in die Paradoxien, deren Ausdruck die beiden Relativitätstheorien Einsteins sind, er führt zu den hochsymbolischen Bildern des fahrenden Zugs und des frei fallenden Fahrstuhls.
    Im Bild des Punktes vollendet sich die Abstraktion, deren Wurzel die Winkelgeometrie ist (der Punkt ist der Eckpunkt eines Winkels, auch im Inertialsystem).
    Daß der Punkt ohne dieses Referenzsystem (das „ruhende Inertialsystem“) nicht sich definieren läßt, drückt im Korpuskel-Welle-Dualismus der Mikrophysik sich aus, einer Konsequenz aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die das Inertialsystem selber dynamisiert. Hier werden beide, der Punkt und das ihn definierende Referenzsystem, in eine gemeinsame, wechselseitig sich reflektierende Bewegung hineingezogen. Hier erscheint das Referenzsystem in dreifacher Gestalt: als doppeltes Referenzsystem: nämlich sowohl der Korpuskel- als auch der Wellenbewegung, und in dieser Wellenbewegung zugleich als Objekt, als Erscheinung im System. Diese selbstreferentielle Konstruktion, deren systemische Wurzel das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, ist der Inhalt der mikrophysikalischen Strukturen, die in dieser Vermittlung überhaupt erst sich konstituieren.
    In den Dingen ist die Beziehung von Verfolgern und Verfolgtem auf die abstrakteste Form zusammengeschnurrt: auf ihre Beziehung zur Zeit. Die Zukunft des einen ist die Vergangenheit des andern. Die Begriffe Natur und Welt sind logische Zwillinge, die wie Zukunft und Vergangenheit als getrennte auf einander sich beziehen. Die Ontologie ist die Hypostasierung dieses Akts der Trennung (sh. Rosenzweigs „verandernde Kraft des ‚ist’“).
    Ist nicht die Pharao (in der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen und der Verhärtung seines Herzens) der verfolgte Verfolger, und drückt das nicht in den Pyramiden aufs genaueste sich aus?
    Wie hängt der Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen …“ zusammen mit dem andern „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“?
    War das nicht einer der fatalen Effekte des Historikerstreits, daß mit dem Bestehen auf der „Einmaligkeit“ von Auschwitz es danach eigentlich nichts Einmaliges mehr geben kann? Und ist das nicht gerade die Voraussetzung der Metastasen von Auschwitz? Manifestation des Einmaligen ist der Name, und indem dieses Einmalige in die Vergangenheit versetzt wird, wird auch der Name ins Perfektum, in die vollendete Vergangenheit versetzt: Kein Ruf, der ihn noch erreicht. So hängt Auschwitz mit der Theologie zusammen.
    Der Begriff instrumentalisiert den Tod, dem er das Objekt, auf das er sich bezieht, überantwortet. Dagegen steht der Name und die Idee der Auferstehung, ohne die es den Namen nicht geben würde. Wenn einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, so drückt genau darin (in der Beziehung der Dinge zum Raum) die Beziehung der Dinge zum Namen sich aus.
    Von der Idee der Auferstehung kennen wir nur das sprachlogische Symbol, das am Namen haftet (und vom Begriff geleugnet wird).
    Ist nicht Jer 3134, wonach am Ende keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen, ein Hinweis darauf, daß die direkte Belehrung (das „Überzeugen“) in der Tat unfruchtbar ist? Es bleibt allein noch die reine Erkenntnis Gottes und die Hoffnung, daß sie die Kraft hat, sich mitzuteilen, die Erkenntnis des Namens, in dem die Kraft der Erweckung der Toten beschlossen ist.
    Wäre nicht die Kritik der Ästhetik eine zentrale Aufgabe der Philosophie, die an der Kritik der reinen Vernunft anzusetzen hätte (was hat die „transzendentale Ästhetik“, was haben die subjektiven Formen der Anschauung mit der Kunst zu tun)? Die Ästhetik ist das Feuer im brennenden Dornbusch: Es brennt, aber es verbrennt den Dornbusch nicht. Und dieses Feuer ist nicht Gott, sondern Gott spricht aus diesem Feuer.
    Zu den Grenzen gehören: die Grenzen der Nation (die die „Völker“ und das Ausland ausschließen); das Schaufenster (und die Reklame), das den Käufer von der Ware trennt; die subjektiven Formen der Anschauung, die das Anschauen vom Angeschauten trennen, die Sprachgemeinschaft mit dem Angeschauten neutralisieren. Die Wurzeln dieser Grenzen sind die Grenze zum Himmel und die Grenze zur Vergangenheit, zum Hades.
    Zu Kanther fällt mir nur noch ein: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Selbstreferentielle Asymmetrie: Wenn wir heute, in unserer politischen Selbstverständnis, das Handeln des „Auslandes“ zur Norm unseres eigenen Handelns machen, dabei merkwürdigerweise das „Urteil des Auslandes“ (als „Heuchelei“: sie treiben es ja auch nicht anders) ausblenden, weil wir es als Angriff erfahren, holen wir dann nicht über die Metastasen von Auschwitz Auschwitz wieder in unser Handeln zurück? Das Feindbild Ausland bleibt uns so auf jeden Fall erhalten.
    Feindbilder haben seit je auch die Funktion, das, was als Handeln des Feindes erfahren wird, zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen und damit zur Norm des eigenen Handelns zu machen: die gleiche logische Konstruktion liegt dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zugrunde, sie begründet die Logik der „Naturgesetze“ wie auch die Gesetze des Rechts. Diese Logik wird durchbrochen durchs Gebot der Feindesliebe, das sie aus der Starrheit erlöst und reflexionsfähig macht.
    Die Feindbildlogik ist in sich selber atheistisch, und die einzige Gestalt der Theologie, die heute noch möglich ist, wäre die, die dieses Feindbildlogik sprengt (und die Religion aus dem Bann des Fundamentalismus befreit ohne sie zu verraten). In die Feindbildlogik (und seine religiöse Variante, den Fundamentalismus) gerät zwangsläufig hinein, wer zum Herrendenken keine Alternative mehr kennt.
    Wer Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft als Angriff erfährt, ist ihr bereits verfallen.
    Wie verhält sich der Satz Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen … und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ zu den Reflexionen René Girards über das Heilige und die Gewalt? Ist nicht der Säkularisationsprozeß (der Prozeß der „Verweltlichung der Welt“) Teil einer Geschichte, die diese Forderung eines „geheiligten Lebens“ nachgerade erzwingt? Wie verändert sich der Begriff des Heiligen im Säkularisationsprozeß? Der Säkularisationsprozeß, die Geschichte der Aufklärung, ist ein Prozeß, der, indem er die Idee des Heiligen aus der Objektivität vertreibt, sie ins Subjekt zurücknimmt. Jeder Versuch, das Heilige in der Welt zu erhalten, ist fundamentalistisch, und damit ein Produzent von Gewalt. In diesem Kontext löst sich das Problem der Derridaschen Anfrage an Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und den Begriff der göttlichen Gewalt, die in keinem Punkt mit irgend einer Form der staatlichen Gewalt sich berührt, es sei denn als Element ihrer Auflösung.
    Johann Baptist Metz‘ Konzept der Verweltlichung der Welt, führt in die Irre, wenn sie nicht die Kritik der Gewalt in sich aufnimmt. Die Kritik der Gewalt ist nicht zu verwechseln mit der Forderung nach Gewaltfreiheit: Während die Forderung nach Gewaltfreiheit sich unter das Gewaltmonopol des Staates stellt, zielt die Kritik der Gewalt auf die Auflösung des Gewaltmonopols des Staates: auf die Manifestation der göttlichen Gewalt. Die göttliche Gewalt leitet sich her aus dem Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, sie manifestiert sich im „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“, im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Dieser Akt ist der einzige Inhalt der Apokalypse.
    Wer glaubt, das Gewaltmonopol des Staates sei verfügbar im Interesse der Verwirklichung der richtigen Gesellschaft, verkennt u.a. auch den Marxschen Hinweis, daß in der richtigen Gesellschaft der Staat sein Ende findet, sich auflöst. Deshalb sind Staatsschutzsenate und ist der Titel Staatsanwalt schon vom Grunde her reaktionär.
    Wenn es dem Staatsschutz wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus ginge, müßte er sein Ziel, nachdem die RAF dem Terrorismus abgesagt hat, im wesentlichen erreicht haben. Was er aber jetzt tut, beweist, daß es ihm garnicht um das Ende des Terrorismus, sondern um Rache geht. Verfolgt wird nicht der Terrorismus, sondern verfolgt wird die Reflexion, die schon der Terrorismus selber verraten hatte. Deshalb war dieser Staatsschutzsenat nicht einmal fähig, die Erklärungen Birgit Hogefelds auch nur sich anzuhören; das Urteil lautet so, als hätte es diese Erlärungen überhaupt nicht gegeben.
    Hegels Reflexion über das Problem des Anfangs in der Philosophie läßt an ersten Sätzen in der Philosophie sich demonstrieren, angefangen mit dem ersten Satz der Philosophie überhaupt (Thales: Alles ist Wasser) über den ersten Satz der Dissertation Thomas von Aquins: Parvus error in principio magnum est in fine, bis hin zum Anfang von Schellings Weltalter: … die Zukunft wird geahndet. Auch die ersten Sätze im Stern der Erlösung und in Wittgensteins Logisch-philosophischem Traktat gehören hierher. Außerdem: Seit wann (und aus welchem Grunde) werden zu philosophischen (und wissenschaftlichen) Werken Einleitungen geschrieben (und im Falle der Phänomenologie des Geistes zur Einleitung noch eine Vorrede)? Ist die Furcht, die Werke könnten mißverstanden werden, und damit der Versuch, diese möglichen Mißverständnisse schon im vorhinein durch eine Vorrede oder Einleitung zu zerstreuen, so unbegründet (haben nicht Rosenzweig und Wittgenstein auf eine Einleitung verzichtet)?
    Sind nicht eigentlich alle naturwissenschaftlichen Bücher Einleitungen zu Texten, die keine mehr sind: zu den Formeln, die die Texte dann nur unzulänglich zu erläutern vermögen? Wer vermöchte wirklich Das Gravitationsgesetz, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die These von der Identität von träger und schwerer Masse in Sprache zu übersetzen?
    Die drei zivilisationskritischen Großprojekte der Aufklärung, Marx, Freud und Einstein, beschreiben sie nicht die Brennpunkte des Aufklärungsprozesses aus der Opferperspektive, Marx aus der des Proletariats, Freud aus der des Unbewußten, und Einstein aus der des materiellen Objekts? Und gehören hierzu nicht die Objekte der Kritik: das Tauschprinzip, das Realitäts- und Lustprinzip und das Trägheitsprinzip?
    Der Unschuldstrieb (das „reine Gewissen“) wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins symbolisiert und widerlegt.
    Kommt bei René Girard die Geschichte des Stephanus (und des Saulus) vor, und was bedeutet sie für sein Sündenbockkonzept? Ist nicht die Bekehrung des Paulus (die eine Bekehrung und keine Umkehr war) die eines Verfolgers, dessen Opfer „den Himmel offen“ sah?

  • 12.11.1996

    Ähnlich wie die Staatsschutzsenate die Grenzen des Rechtsstaats, testen die „Sparprogramme“ der Regierungen in der Europäischen Union unter dem Zwang des Maastricht-Vertrags die Schmerzgrenzen derer, die unten sind. Beide Grenzen, die der Gemeinheit wie auch die der Armut, sind dehnbar: die letzten dehnbaren Grenzen in der versteinerten Welt. Die versteinerte Welt ist die von den Gesetzen der Verwaltung beherrschten Welt.
    Gemeinheit ist kein moralischer, sondern ein logischer Tatbestand. Ihre Grenzen sind die Grenzen der Beweisbarkeit, auf die es in der Verwaltung allein noch ankommt (Tatsachen werden erst durch ihre Beweisbarkeit zu Tatsachen; Akten sind potentielle Beweise: Tatsachen werden erst durch Akten zu Tatsachen. Der Augenschein macht Tatsachen gerichtskundig: zu Akten).
    Eigentlich ist es ein archaisches Relikt, wenn in Staatsschutzprozessen überhaupt noch Zeugen benötigt werden. Verwertbare Zeugen sind insbesondere „Kronzeugen“, oder Zeugen, die entweder selber unter Anklagedruck stehen (erpreßte Zeugenaussagen) oder aus anderen Gründen eine Gewähr dafür bieten, daß ihre Aussagen dem Verurteilungswillen nicht im Wege stehen werden (z.B. Staatsbedienstete mit eingeschränkter Aussagegenehmigung). Der vollkommene Staatsschutzprozeß wäre einer, in dem die Beweiserhebung gleichsam nur behördenintern erfolgt (über Akten, eigene Ermittlungsergebnisse, behördeneigene Gutachten und „gerichtsbekannte Tatsachen“, die über Urteile aus früheren Prozesse ins Verfahren eingeführt werden; nicht im Sinne des Verurteilungswillens verwertbare Akten können durch verwaltungsmäßiges Anbringen von Geheimvermerken der prozessualen Beweiserhebung entzogen werden). M.a.W. der ideale Staatsschutzprozeß wäre ein reiner Verwaltungsakt, der von diesem nur durch das Öffentlichkeitsgebot, dessen Wirksamkeit auf anderem Wege neutralisiert werden muß, sich unterscheidet. Es ist dieser – objektiv bereits abgeschlossene – Verwaltungsakt der federführenden BAW, der im Prozeß unter der Moderation des Staatsschutzsenats der desinteressierten Öffentlichkeit vorgeführt wird und in der Regel dann auch mit dem in der Anklage bereits begründeten Urteil endet (bezeichnend ist selbst noch die Ausnahme von dieser Regel im Urteil im Hogefeld-Prozeß: der Freispruch im Falle Bad Kleinen ist nicht durch den Verhandlungsverlauf begründet; die Gründe dieses Freispruchs hätten schon zu Beginn des Prozesses zur Zurückweisung dieses Anklagepunktes führen müssen, was nur deshalb nicht erfolgt ist, weil nur so ein revisionssicheres gerichtliches Urteil über den „Mord an dem GSG-9-Beamten Newrzella“ durch den toten Wolfgang Grams gefällt werden konnte; der Nebeneffekt, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck eines „objektiven Verfahrens“, in dem das Gericht vom Antrag der BAW abweichen konnte, entstanden ist, war sicher nicht unerwünscht; den Prozeßbesuchern ist das hierzu passende Grinsen aus dem Prozeß bekannt).
    Der Feindbild-Clinch ist der Dynamo, der den in den Abgrund rasenden Zug beschleunigt.
    Das Kapital beherrscht heute nicht mehr nur die Kapitalisten, sondern auch ihre Feinde: Während die einen Charaktermasken des Kapitals sind, sind die anderen seine Marionetten, die, ohne es zu wissen, an den Fäden seiner Logik hängen, die längst zur Logik der Welt geworden ist.
    Links und Rechts unterscheiden: Der „Seitenblick“, in dem wir nicht nur die andern und die Welt, sondern auch uns selbst nur noch von außen sehen, ist die gemeinsame logische Basis sowohl des kopernikanischen Systems als auch der kapitalistischen Revolution in Europa. Im Hinblick auf diesen Blick allerdings gibt es kein Außen mehr, gibt es die „Seite“ nicht mehr, von der aus er selber „objektiv“ zu bestimmen wäre, sondern nur noch das Mittel der Reflexion, dessen Kraft am Andern, an der Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, allein sich entfaltet. In der Ausschaltung und Unterdrückung dieser Reflexion konstituiert sich DIE BANK, DIE IMMER GEWINNT.
    Jürgen Ebach weist darauf hin, daß die „großen Meeresdrachen“ insofern „eine Sonderstellung unter den Lebewesen haben …, als von ihnen nicht eindeutig gesagt wird, sie seien ’nach ihren Arten‘ erschaffen, Auf diese Weise sind sie als ‚Un-Tiere‘ gekennzeichnet“ (Hiob II, S. 151). Vgl. hierzu die Bemerkung Hegels zur „Ohnmacht der Natur, die Strenge des Begriffs nicht festhalten und darstellen zu können und in diese blinde Mannigfaltigkeit sich zu verlaufen“. Diese „Ohnmacht der Natur“ begründet Hegel mit dem Hinweis, daß „in der Natur … in einer Gattung mehr als zwei Arten“ sich finden (Logik II, Felix Meiner Leipzig 1951 <Nachdruck der Ausgabe von 1934>, S. 247). Nach Hegel dürfte es nur zwei Arten in einer Gattung geben, die wie Allgemeines und Besonderes zueinander sich verhalten: Allgemeines und Besonderes ist für ihn nicht Ausdruck der (Subsumtions-)Beziehung, durch die Gattung und Art in der traditionellen Logik aufeinander sich beziehen, er begreift beide als getrennte, reversible, ineinander sich spiegelnde Reflexionsbestimmungen, zu denen sie jedoch erst durch die idealistische Prämisse werden (die unter dem logischen Zwang der subjektiven Formen der Anschauung die Umkehr säkularisiert, die Irreversibilität der Beziehung von Objekt und Begriff, damit aber am Ende die Idee der Barmherzigkeit leugnet). Zu fragen wäre überdies, ob nicht Allgemeines und Besonderes im Kontext des Gattungsbegriffs nichts weniger repräsentieren als die „Arten“, die in der Tat allein in theologischem Zusammenhang (als Werk der sie hervorbringenden „Erde“) sich begreifen lassen, ob sie nicht vielmehr die im Gattungsbegriff selber mit benannte Geschlechtertrennung bezeichnen, die erst unter idealistischem Vorzeichen am Ende zu getrennten Arten sich verselbständigen. Die „Ohnmacht des Begriffs“ ist ein offener Hinweis auf den „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“.
    „Nach ihrer Art“ (Gen 1):
    – Die Erde lasse sprossen … Die Erde ließ sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, je nach ihrer Art,
    – Es wimmle das Wasser … Gott schuf die großen Meerestiere und alles, was da lebt und webt, wovon das Wasser wimmelt, und alle geflügelten Tiere, ein jegliches nach seiner Art,
    – die Erde bringe hervor … Gott machte alle die verschiedenen Arten des Wildes und des Viehs und alles dessen, was auf dem Erdboden kriecht.

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