Justiz

  • 1.1.96

    Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns verdankt sich der Logik der Ästhetisierung: der Abstraktion vom Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, von der Schwerkraft, vom Tod, von der Sexualität. Der entscheidende Schritt der Abstraktion von der Schwerkraft (der Konstituierung des Trägheitsgesetzes) war die newtonsche Theorie, die Vergegenständlichung der Schwerkraft durchs Gravitationsgesetz, die sie zu einer Reflexionsbestimmung gemacht hat. Erst Newton ist es gelungen, den Schrecken der Schwerkraft, den die Theologie unter dem Titel der Erbsünde reflektiert hat, durch Vergegenständlichung zu bannen (nicht freilich, ihn aufzulösen).
    Die newtonsche Gravitationstheorie hat die Erinnerung an den Fall verdrängt; so ist die Welt zu „allem, was der Fall ist“ geworden.
    Ihr seid das Licht der Welt: Wenn das Licht die erinnerte Schwere ist, ist dann nicht die Lichtgeschwindigkeit das Instrument der Verdrängung dieser Erinnerung?
    Die letzte Phase der Physik – in der Konsequenz der Vergegenständlichung der Schwere – war die Selbstverzehrung und die Löschung des Lichts.
    Beschreibt nicht das Licht den Weg des Namens?
    Sind nicht alle Theorien seit dem Ursprung des christlichen Dogmas Theorien, deren Zweck es ist, die Reflexion von Herrschaft auszuschließen und einen schuld- und herrschaftsfreien Raum zu konstituieren, ist das nicht das Gesetz ihres „Fortschritts“?
    Sind Satan und der Teufel die Gegenbilder von JHWH und Elohim, Reflexe des Gottesnamens im Säkularisationsprozeß? Und hängt die Unterscheidung von Satan und Teufel mit der Trennung von Natur und Welt zusammen (oder auch mit der Unterscheidung des Planetensystems vom Tierkreis)?
    Ist nicht der Beamte, der aus seinem Nichtsein, aus seiner Selbstverleugnung, sein Selbst gewinnt, ein Beleg für die creatio mundi ex nihilo?
    Die Bekenntnislogik ist die Logik des entäußerten Gewissens.
    Die Frage, was geht in den Köpfen derer vor, die dieses Verfahren (den Hogefeld-Prozeß) so durchziehen zu müssen glauben, gewinnt Bedeutung vor dem Hintergrund, daß dieser Prozeß seitens der Anklage im Namen des Staates und seitens des Gerichts im Namen des Volkes geführt wird. Aber wenn die Öffentlichkeit nach dem Motte reagiert: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, gerät sie in den Bann der Komplizenschaft.
    War nicht die raf (der Terrorismus) ein Angriff von einer Seite, von der er nicht erwartet wurde: ein Überraschungsangriff, der der Öffentlichkeit die Sprache geraubt hat?
    Zum Erbe des Faschismus gehört die Neigung, historische Erscheinungen zu verurteilen, bevor man sie begriffen hat (Zusammenhang mit dem Unschuldssyndrom und der Bekenntnislogik). Gilt nicht Hegels Satz: Das Wirkliche ist vernünftig, das Vernünftige ist wirklich, in dem Sinne auch weiterhin, daß er generell vor das moralische Urteil das Begreifen dessen, worauf das Urteil sich bezieht, setzt? Bezeichnet die Formel „Solidarität ohne Komplizenschaft“ nicht auch Beziehung zur Vergangenheit, die in der Lage wäre, dem moralischen und dem kontrafaktischen Urteil über Vergangenes den Boden zu entziehen?

  • 26.12.95

    Für den „Leidenskelch“, von dem Bedenbender gelegentlich spricht, gibt es zwei neutestamentliche Belegstellen: die Getsemane-Geschichte und die Stelle, an der Jesus den Jakobus fragt, ob Jakobus den Kelch trinken könne, den er, Jesus, wird trinken müssen. Aber meinen diese Stellen nicht eigentlich etwas anderes: Ist der „Leidenskelch“ nicht in Wahrheit der Taumelkelch, der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende der Unzuchtsbecher: Symbol der Geschichte des Herrendenkens (der Taumelkelch ist der Kelch, den die Herrschenden trinken, der sie besoffen macht; vgl. Hegels Definition des Wahren in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, Theorie-Werkausgabe, S. 46)?
    Zur Jotham-Fabel: Der Feigenbaum ist ein Symbol des Friedens (das Sitzen unterm Feigenbaum). Die Dornen und Disteln wachsen in der Wüste (mit der Wüste als Symbol der wachsenden Herrschaft des Äußeren über das Innere: der Geschichte des Weltbegriffs).
    Verweist nicht der strafrechtliche Begriff des Mordes auf eine merkwürdige Über-Kreuz-Verschiebung (ursprünglich verweist das lateinische mors, aus dem der Begriff des Mordes sich herleitet, auf das subjektlose Sterben, während der Begriff des Todes auf ein Töten durch einen andern zurückweist)? Im Begriff des Mords ist nicht mehr die Tat, sondern der Täter das eigentlich definierende Moment: in ihn ist das Moment der Konkurrenz zum Staat mit eingegangen, das den Mord zum Mord und den anderen Tod zu einem neutralen Ereignis, einem Naturereignis, gemacht hat (darin spiegelt sich die Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Staats zum Ursprung und zur Geschichte des Naturbegriffs).
    Gehört nicht das strafrechtliche Konstrukt des Mörders zu den logischen Bedingungen des Objektbegriffs, fällt es nicht unter die Kritik der Verdinglichung? Die Begründung einer Eigenschaft durch eine vergangene Tat, die zugleich verurteilt wird (die Begründung der Eigenschaft und des Dings in der Logik der Verurteilung): Steht dagegen nicht Joh 129, die Forderung der Übernahme der Sünde Adams, die den christlichen Namen begründet? Es gibt keine Theologie ohne die so begriffene Idee der Erbsünde: Die Sünde der Welt ist die Erbsünde (und die Taufe, die „von der Erbsünde befreit“, das Symbol der Erfüllung des Nachfolgegebots).
    Die Theologie im Angesicht Gottes gründet in der Erinnerung des Paradieses.
    Im Gegensatz zum Gott der Philosophen ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs einer, den etwas gereut: der lernfähig ist. Diese Lernfähigkeit gehört zu den Attributen Gottes, die im Imperativ, nicht im Indikativ stehen.
    Die kantische Vernunftkritik hat (als Kritik des Wissens) die Idee eines „allwissenden“ Gottes widerlegt; sie hat damit eine Gottesvorstellung widerlegt, zu deren Konsequenzen die Leugnung der Lernfähigkeit: die Leugnung des Attributs der Barmherzigkeit, gehört.
    Der aristotelische Gott war der „erste Beweger“; den „allwissenden“ Gott hingegen haben die Muslime erfunden, die dann konsequenterweise aus der Barmherzigkeit Gottes seine unterschiedslose „Allbarmherzigkeit“ gemacht haben.
    Gott ist nicht allwissend, er sieht ins Herz der Menschen (das ist das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte, und er wollte, es brennte schon).
    Die InfoAG gleicht darin dem Gericht sich an, daß sie die Beziehung der „Kirchenleute“ zur Angeklagten zu diskriminieren versucht, ihnen in ähnlicher Weise wie das Gericht Hubertus Janssen unterstellt, er unterstütze die raf, den Verdacht, „objektiv“ für den VS zu arbeiten, anzuhängen versucht. Beide Konstrukte sind paranoid, beide arbeiten nach der Methode der Umkehr der Beweislast: der Ankläger braucht seine Unterstellung nicht zu begründen, der Beschuldigte soll seine Unschuld beweisen. Beide machen Gebrauch von dem Satz, wonach Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Das Feinddenken und die Ausgrenzung und Diskriminierung des Verräters sind, weiß Gott, nicht unbegründet, sie sollten aber reflexionsfähig gehalten werden, weil sie anders in eine Logik hineinführen, die am Ende als Logik der Identifikation mit dem Aggressor sich erweist. Diese Logik ist die Logik des Staates, die es zu durchbrechen gilt.
    Die Bekenntnislogik hat einen paranoiden Kern.
    Der Begriff der Erscheinung erinnert nicht zufällig an den Bereich des Gespenstischen: Sind nicht die neutestamentlichen Dämonen Vorläufer der Naturwissenschaften (in deren Bann die Welt insgesamt heute steht)?
    Hegel hat den kantischen Kritikbegriff vergegenständlicht (ins Vergangene transformiert), ihn in den Begriff der Objektivität selbst hineingetrieben, wo er dann in der Idee des Weltgerichts sich verkörpert. So ist Kritik zu einer im Interesse der Herrschaft instrumentalisierten und domestizierten Kritik geworden. Dieser Kritikbegriff hat die Dialektik begründet, er ersetzt Solidarität durch Komplizenschaft. Er hat den Erkenntnisbegriff durch ein eingebautes Freund-Feind-Denken vergiftet.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt auch eine Interpretation zu, in der die Lichtgeschwindigkeit selber als unendliche Geschwindigkeit sich erweist, während die schlechte Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung (und mit ihr das die Raumvorstellung konstituierende Prinzip der Gleichzeitkeit) auf die Logik der Zeitumkehr, der im Objekt nichts entspricht, zurückweist. Nur im Kontext dieser Logik, die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet (die Zukunft zu einer zukünftig vergangenen Zukunft macht), sind die Richtungen des Raumes reversibel. Die Logik der Zeitumkehr verwirft die Idee der Rettung, sie macht den katastrophischen Lauf der Geschichte unumkehrbar. In den indoeuropäischen Sprachen beherrscht diese Logik über die Formen der Konjugation (insbesondere über das Präsens und über den darin fundierten Ursprung des dritten Geschlechts, des Neutrums) die Grammatik (in der Geschichte vom Sündenfall symbolisiert die Schlange das Neutrum). Die Logik der Zeitumkehr ist der Kern der Logik der Schrift.
    Zum Verständnis der „subjektiven Formen der Anschauung“: Ein Kind, das etwa 20 m hinter seiner Mutter hergeht, blickt mich, als ich ihm begegne, ganz kurz aus seinen Augenwinkeln an, senkt dann seinen Blick, verschließt sein Gesicht und drückt so seine Weigerung aus, aus dem Status des Objekts meiner Anschauung (dem Status des räumlichen Objekts) herauszutreten und mit mir, und sei es nur durch den Blick, zu kommunizieren.
    Es gibt nichts Neues unter Sonne (Kohelet): Es ist die gleiche Sonne, die Homer und die uns bescheint, aber es sind nicht die gleichen Sterne.
    Gehört nicht das Auftreten der Ehrenbataillone beim Empfang fremder Staatsmänner im Fernsehen ebenso zu den Formen der politischen Verdummung wie der Auftritt der MP- und Schußwesten-bewehrten Polizeibeamten beim Hogefeld-Prozeß? In beiden Fällen verselbständigt sich die öffentliche Demonstration gegen das, was wirklich dort passiert (und gegen die Öffentlichkeit abgeschirmt werden soll). Dieser Prozeß darf nicht einmal mehr ein Schauprozeß sein, weil er sich damit selbst entlarven würde. Daß Justitia eine Binde vor den Augen trägt, heißt, daß sie ohne Ansehen der Person urteilt (sie soll nicht den Rang der Person, sondern nur die Tat vor Augen haben). Dieser Grundsatz jeden rechtsstaatlichen Verfahrens wird suspendiert, wenn statt des Angeklagten ein Feind zum Gegenstand des Verfahrens wird.
    Zu den Konstruktionsprinzipien synthetischer Urteile apriori gehört das Prinzip der Austauschbarkeit, der Reversibilität von Subjekt und Prädikat. Im Rahmen dieser Logik begründet der Satz „Alle Mörder sind Staatsfeinde“ den Schluß „Alle Staatsfeinde sind Mörder“. Das aber ist die Logik des Vorurteils (der moralischen Version des synthetischen Urteils apriori) ebenso wie die der mathematischen Erkenntnis (diese Logik liegt u.a. der kopernikanisch-newtonschen Astronomie zugrunde): Sie macht das Ungleichnamige (e.g. Himmel und Erde) gleichnamig. Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft (die Hegel, um seine dialektische Logik zu begründen, neutralisieren muß) beziehen sich auf diesen Sachverhalt, sie haben ihn erstmals kenntlich gemacht, und zwar mit Hilfe der logischen Figur des „apagogischen Beweises“, mit dessen Hilfe Kant dem Prinzip der Reversibilität von Subjekt und Prädikat endgültig die Grundlage entzogen hat. Dieser Nachweis aber reicht weiter, als es zunächts erscheint: Er rührt an den Grund und die Grenze der Beweislogik, und damit an den Grund und die Grenze des Satzes, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (der u.a. dazu dient, das Verfahren der Umkehr der Beweislast unangreifbar zu machen). Der kantische Nachweis ist die erste Demonstration der logischen Relevanz des Levinas’schen Hinweises auf die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern, ein Hinweis, der den logischen Universalismus sprengt (und in diesem Zusammenhang den Erkenntnisbereich, auf den in der theologischen Tradition der Begriff Lehre sich bezog, neu begründet). In der kantischen Antinomie der reinen Vernunft hat die Philosophie das Prophetenwort vom Rind und Esel (und dessen biblischen Konnotationen, die tief in den theologischen Begriff des Opfers hineinreichen) eingeholt.
    Das Prinzip der Umkehr der Beweislast begründet das positivistische Rechtsverständnis, indem es das Recht zu einem Subsumtionsrecht macht (das dann den Weg frei macht für ein Verfahren, in dem der Angeklagte zum Feind wird).
    Gemein ist jede Präventiv-Anklage, die dem andern die Last des Unschuldsbeweises zuschiebt, die davon ausgeht, daß die Verteidigung allein Sache des Angeklagten sei. Diese Form der Präventiv-Anklage geht davon aus, daß Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit erlaubt sind (und das ist der logische Abgrund, aus dem der Staat hervorgeht). Dieser Logik hat Kant den Boden entzogen.
    Was ist von einem Verfahren zu halten, in dem durch Gerichtsbeschluß die Wege verstellt werden, auf denen vielleicht der Unschuldsbeweis zu führen möglich wäre?
    Ist nicht die Bekenntnislogik der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, der eigentlich zu lösen wäre: der Knoten, der den gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zusammenbindet? Wäre nicht die Kritik der Bekenntnislogik das Ende des Bücherschreibens (die Widerlegung des Kohelet), das Heraustreten aus dem Bann der Logik der Schrift, das Heraustreten aus dem Bann der Logik des Weltbegriffs?
    Hängt die Bedeutung der apokalyptischen Formel „der ist, der war und der sein wird“ nicht auch von der Reihenfolge der Zeitbestimmungen ab?
    Zu den Orionen (vgl. das Jesaia- Zitat bei Bedenbender) wäre die Hiob-Stelle hinzuzunehmen (über den Orion und die Plejaden). Beschreiben nicht die Planeten die Außengrenzen, zu denen neben dem König, dem Krieg und dem Handel (der Geldwirtschaft) auch die Frauen gehören (Zitat eines Ethnologen: das ist ein feindlicher Stamm, mit dem heiraten wir nur).
    Empfindlichkeiten sind Wege in die Opferfalle: Bezeichnen sie nicht genau den Punkt, in den das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden, Hoffnung zu pflanzen versucht?
    Pharisäer und Schriftgelehrte: Nur unterm Rechtfertigungszwang, der selber aus dem Vergangenheitscharakter des Gebots entspringt, wird das Gebot zum Gesetz.
    Zu Kafkas Parabel vom Schauspieldirektor, der eine Neuinszenierung vorbereitet: Müßte er nicht den zukünftigen Schauspieler, dessen Windeln er wechselt, erst zeugen?
    Diente nicht die Verschiebung des Naturbegriffs von der Zeugung zur Geburt (von physis zur natura) dazu, die messianischen „Wehen der Geburt“ zu verdrängen, sie unsichtbar zu machen, sie zu individualisieren, sie als individuelle Strafe für die „Sünde der Welt“ dem ganzen Kollektiv der Frauen anzuhängen? Verweist die Bedeutungsverschiebung in den Begriffen Natur und Welt nicht auf eine sprachlogische Differenz, die auf die Beziehung der griechischen zur lateinischen Grammatik zurückweist? Und liegt dieser sprachlogischen Differenz nicht die Differenz in den politischen Institutionen zugrunde, der Unterschied der institutionellen und imperialen Entfaltung des Römischen Reiches und des Caesarismus zur philosophiebegründenden polymorphen Gestalt der griechischen Polis?
    Gab es die hagiographische Unterscheidung von Confessor und Virgo schon in der griechischen Kirche, oder gehört sie zur Gründungsgeschichte der lateinischen Kirche? Hängt sie mit der Umformung des Symbolums in eine Confessio, mit der nicht nur der Name, sondern zugleich die Logik der Sache sich ändert, zusammen? Die Vermutung wäre zu begründen, daß das Symbolum (das für Augustinus noch ein sacramentum war) im Schuldzusammenhang der imperialen lateinischen Sprachlogik zur Confessio geworden ist.

  • 24.12.95

    Die Blätter des Feigenbaums: „Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter“ (Mk 1113). Nach Johannes Scottus Eriugena symbolisieren die Blätter des Feigenbaums den Gebrauch der Schrift als Mittel der Rechtfertigung: Schriftzitate sollen die Blöße bedecken, was nur möglich ist, wenn die Erinnerung an ihren imperativen Charakter verdrängt wird (Schuldverschubsystem). Ist nicht im Ernst die Erinnerung an die Feigenblätter, mit denen die ersten Menschen nach dem Sündenfall, nachdem sie erkannt hatten, daß sie nackt waren (als sie lernten, sich im Blick der andern wahrzunehmen), in das Verständnis dieser Stelle mit hereinzunehmen? Hat nicht die Rechtfertigungslehre dem Feigenblatt die Last eines Instruments der Erlösung aufgebürdet? Sich im Blick der andern wahrnehmen, heißt das nicht, dem Blick der andern Definitionsmacht in der Selbstwahrnehmung zuzuerkennen (Ursprung der „subjektiven Formen der Anschauung“, fundamentum in re des Kelchsymbols)?
    Dazu: „Ihr habt Moses und die Propheten“ (Geschichte vom „armen Lazaraus“); „Erfüllung der Schrift“ (TuK, 68, S. 18), Logik der Schrift (Erfüllung des Worts). Feigenblatt > Rock aus Fellen (Anachronismus wie das Opfer Abels: Fleisch von Tieren wird zum Teil des Nahrungsgebots erst bei Noah)?
    Verweist nicht der „Rock aus Fellen“ auf die Umkehrung des Feigenblatts? Das Feigenblatt schützt die eigene Blöße vor dem Blick der andern, der Rock aus Fellen schützt die Blöße der andern vor dem eigenen Blick. Gleicht die Beziehung nicht der der subjektiven Formen der Anschauung zum Inertialsystem (der verdinglichten und vergegenständlichten Form der subjektiven Formen der Anschauung)? Ist nicht in der Tat das Inertialsystem das Abstraktum des Tieres in seiner Beziehung zur „anorganischen Natur“ (wie die Ökonomie das Abstraktum der Beziehung des Staates zu seiner Außenwelt)?
    Ableitung des Inertialsystems aus dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen: Mit der Erkenntnis des Guten und Bösen durchdringt die Subjektivität die Objektivität in einer Form, die im Inertialsystem sich vergegenständlicht (im Kontext des Relativitätsprinzips erweist sich das Inertialsystem als ein Produkt der subjektlosen Einheit von Erkenntnis und Bewegung).
    Wenn der Mord ein Täter-, kein Tatdelikt ist, so hängt das auch damit zusammen, daß hier die „Gesinnung“ als Tatmerkmal in die Definition des Tatbestandes (ins Strafrecht) mit eingeht, was nur scheinbar systemwidrig ist: Das Strafrecht ist insgesamt ein Gesinnungsrecht; jedes Verbrechen ist insoweit ein Gesinnungsverbrechen, als es nicht nur durch die Tat, sondern zugleich (ähnlich wie die physikalische Materie durchs Inertialsystem) durch deren Beziehung zum Staat, zur staatlich organisierten Eigentumsordnung, sich definiert. So liegt der Abscheu, den die Tat des Mörders in der Gesellschaft hervorruft, nicht in der Verletzung des Gebots: Du sollst nicht töten, denn dann hätte es weder eine Todesstrafe noch Militär und Kriege geben dürfen, sondern der Grund der Abscheu liegt in der Verletzung der staatlich organisierten Eigentumsordnung (die z.B. ein Krieg nur beim Verlierer, dem Inbegriff des Anderen, verletzt, während der Sieger – durch „Eroberung“, durch Annexion eroberter Gebiete – eine neue Eigentumsordnung begründet): Bestraft wird nicht, was der Mörder dem Opfer, noch was er sich selbst angetan hat, sondern nur, was er den „Angehörigen“ des Opfers (in deren Eigentum er eingegriffen hat) und was er dem Staat (dessen Tötungsrecht, das ein Monopol des Staates ist, er verletzt) antut. Das Entscheidende ist nicht die Tötung, sondern die vorausgehende Absicht, die rationale Vorbereitung und Planung der Tat, und die „niedrige Gesinnung“ (ein Tatbestandsmerkmal, durch das der Staat sein eigenes Recht zu töten, aus der Morddefinition ausschließt).
    Warum greift die öffentliche Empörungsmaschine, die unterschiedslos jedes raf-Mitglied trifft, nicht die Urheber des Todes von Benno Ohnesorg oder McLeod?
    Ist die Aufforderung zum Verrat, die in der deutschen Fassung der Kronzeugenregelung enthalten ist, nicht das Produkt einer technischen Perfektionierung der faschistischen Denunziation? Und ist das subjektive Korrelat der Kronzeugenregelung nicht die Gestalt einer Selbstdenunziation, die die Menschen in diesem Lande dumm macht? Heute hat jeder seinen eigenen Bundesanwalt im Kopf.
    Die Staatsschutz-Verfahren sind ein Versuch, das juristische Urteil aus dem Bereich der Kritik der Urteilskraft in den der transzendentalen Logik zurückzudrängen, ihm die Form des synthetischen Urteils apriori zu geben.
    Wer den Faschismus nur als Vergangenheit, und d.h. nur als Objekt der Verurteilung kennt, wird durch die immanente Logik dieser Beziehung zum Faschismus irregeführt: In dieser Logik reproduzieren sich die faschistischen Strukturen.
    Liegt nicht der Unterschied zwischen einer überzeugenden und einer einleuchtenden Argumentation darin, daß die eine nur zur Bekehrung, die andere aber zur Umkehr führt?
    In der Geschichte vom Feigenbaum hört Petrus aus einem Wort der Einsicht und der Trauer angesichts des Feigenbaums, der keine Früchte trägt, eine Verfluchung heraus: Ist hier nicht die Ursprungsgeschichte des Dogmas und der Umschlag in den Antisemitismus mit Händen greifbar? Und ist es nicht diese Verfluchung, die ihn in der dritten Leugnung selbst ereilt und trifft?
    Ist nicht der Feigenbaum (wie der Kelch, die Schlange) ein sprachlogisches Symbol (Indikativ und Imperativ)?
    Die Herrschaft der Sekundärliteratur über die Literatur trägt alle Züge der Vergewaltigung. Das Medium der Sekundärliteratur sind die Geschichtsschreibung und die Naturerkenntnis.
    Historische Erkenntnis hat – ähnlich wie die naturwissenschaftliche Erkenntnis – einen hohen Preis: den Preis der Vergegenständlichung, den Widerruf der Erlösung. Aber in beiden wächst ein Keim, der, wenn er die Schale der Erkenntnis sprengt, beide Gestalten der Erkenntnis in den Bereich der Wahrheit überführen wird.

  • 23.12.95

    In der Geschichte vom Beelzebub und den Dämonen wird immer übersehen, daß das Wort von der Einheit des Reichs nur auf das Reich des Beelzebub sich bezieht, darüber hinaus aber nicht anwendbar ist. Im Reich des Beelzebub wären die Dämonen nicht zu vertreiben.
    Gehört nicht die kabbalistische Interpretation des Werks des zweiten Tages, wonach die Wasser nicht „an einem Ort“, sondern „am Ort der Eins (der Einheit, der Identität)“ sich sammeln, in den gleichen Zusammenhang (und ist nicht dieser Ort der Eins das mystische Korrelat des Objektbegriffs)? Deshalb sind die Wasser ein Symbol sowohl der Völkerwelt als auch des Begriffs, und deshalb sind die großen Seeungeheuer das Symbol sowohl der Herren dieser Völkerwelt als auch der philosophischen Idee des Absoluten; und deshalb wird das Meer am Ende nicht mehr sein.
    Heute sind alle Kriege Religionskriege. Jeder will nur noch auf der richtigen Seite stehen, der Unschuldtrieb ist stärker als der Wille zur Gerechtigkeit.
    Könnte es nicht sein, daß es sich als wichtiger erweisen wird, die Bekenntnislogik zu durchschauen, als ihr zu gehorchen? Nur so, scheint mir, läßt die zerstörerische Gewalt, die von ihr ausgeht, vielleicht am Ende doch noch sich neutralisieren.
    Mnemosyne zitiert das Wort aus den Minima moralia, wonach es ein richtiges Leben im falschen nicht gibt. Angesichts des Zustands der Welt, ist der Komfort, sich unschuldig zu fühlen, der mit Hilfe des Rechtfertigungszwangs und der Bekenntnislogik sich abzusichern versucht, nicht mehr zu rechtfertigen.
    Die Rechtfertigung des Tötens verdrängt bloß das Grauen des Tötens, sie hebt es nicht auf.
    Es kommt darauf an zu begreifen, daß der Begriff des Staatsfeinds eine paranoide Konstruktion ist: Der Staat ist kein Wesen, das man lieben oder hassen könnte; möglich und deshalb notwendig ist nur seine herrschaftskritische Reflexion. Das Freund-Feind-Denken ist ein Produkt der Instrumentalisierung der herrschaftskritischen Reflexion.
    Merkwürdig und symptomatisch der Schrecken, den die „Kirchenleute“ auf beiden Seiten hervorrufen. Nur so lassen der Tenor des Beschlusses, mit dem das Gericht das seelsorgliche Gespräch zwischen Birgit Hogefeld und Hubertus Janssen (der sich nicht nur „Pfarrer nennt“) ablehnen zu müssen glaubte, als auch die Reaktion der InfoAG auf eine öffentliche Erklärung der „Kirchenleute“ zum Prozeß sich erklären.

  • 21.12.95

    An den Reaktionen der InfomacherInnen (des Prozeßinfos zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld) läßt sich der Zusammenhang von
    – Rechtfertigungszwang und autoritärem Stil sowie von
    – Lernunfähigkeit und Unfähigkeit zu offener (an praktischen Zielen anstatt an Rechtfertigungszwängen orientierter) Diskussion
    zwanglos demonstrieren.
    Reicht die Wahrnehmung von Jürgen Ebach, daß der apokalyptische Behemoth, das Nilpferd, zu einem Schmusetier geworden ist, nicht an wirklich apokalyptische Zusammenhänge heran? Gehört das heute über die Kinderwelt hinaus so beliebte Schmusetier (wie auch einige in die gleiche Richtung weisenden Formen des „Tierschutzes“, einige Tendenzen der neuen Religiosität) nicht schon zu den Verkörperungen des „falschen Propheten“ (Automatisierung des Verlangens, geliebt zu werden, das die Liebe unterbindet, in der Wurzel zerstört)?
    Die Transformation in den Indikativ hat den Heiligen Geist zum „Tröster“ gemacht (sind nicht die heute so beliebten Schmusetiere säkularisierte Verkörperungen dieses „Trösters“?); wenn dagegen Levinas zufolge die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, dann erweist sich der Name des Parakleten als Gebot, als der Imperativ des verteidigenden Denkens.
    Der Theologie, die aus ihren eigenen Wurzeln sich zu begreifen versucht, liegt die Verteidigung allemal näher als die Anklage (die zu den Wurzeln des Staates gehört).
    Schon die Reaktion des Infos auf den Brief der „Kirchenleute“ (eine Bezeichnung, der die Formulierung des Richters Klein: „der sich als Pfarrer bezeichnet“, aufs genaueste korrespondiert) hat gezeigt, daß einige Leute in der InfoAG mit Kritik ebensowenig umgehen könne wie das Gericht. Wenn das Gericht zwischen Kritik am Verfahren und Unterstützung der raf nicht unterscheiden kann, wenn es den Kritiker umstandslos zum Sympathisanten erklärt, so ist diese Logik nicht weit entfernt von der anderen, die den „Kirchenleuten“ unterstellt, die Interessen der raf-Gegner zu vertreten. Auf Seiten des Gerichts führt diese Logik in die Paranoia, die das Verfahren in ein Instrument zur Konstruktion synthetischer Urteile apriori zu machen versucht, auf Seiten des Infos aber führt sie zur Unfähigkeit, mit diesem Verfahren wirklich konstruktiv sich auseinandersetzen zu können. Die Prozeßbeobachter aber dürfen es sich am wenigsten erlauben, den Prozeß nur als Mittel zur Bestätigung der eigenen Vorurteile zu mißbrauchen. Hier ist Sensibilität, Wahrnehmungs- und Lernfähigkeit unabdingbar. Wer alles schon im Voraus weiß …
    Kritik am Info sollte nicht zur Kündigung der Solidarität führen; wird hier nicht Solidarität mit Komplizenschaft verwechselt? Und liefert diese Verwechslung nicht der anderen Seite die Munition?
    Daß Gott die Welt aus Nichts geschaffen hat, wird sich am Ende als ein Satz erweisen, der auf einen ganz anderen Sachverhalt sich bezieht: Nicht Gott, sondern der Staat hat die Welt aus einem Nichts erschaffen, das er selber produziert. Dieses Nichts ist das Produkt einer Annihilierung: der Annihilierung der Tradition, in der die Theologie gründet. Vgl. hierzu die Stelle im neuen Weltkatechismus der Katholischen Kirche, an der der Himmel und die Erde im ersten Satz der Genesis als mythischer Ausdruck für „alles, was ist“, d.h. für die Welt, begriffen wird, während das, was Himmel und Erde von sich aus bedeuten, bereits verdrängt ist. Hier ist die Annihilierung abgeschlossen, das Annihilierte aus der Erinnerung entfernt. Mit der Dogmatisierung ist der Säkularisationsprozeß (die Umformung des Imperativs in den Indikativ: die Annihilierung des Imperativs) in die Theologie eingedrungen, hat sie im Kern zerstört, hat sie durch ein Konstrukt ersetzt, das, obwohl es von seiner Ursprungsgestalt fast nicht mehr sich unterscheiden läßt, doch das genaue Gegenteil darstellt. An diesem Vorgang lassen der Sinn und die Notwendigkeit des Bilderverbots sich demonstrieren.
    Ist nicht die Kronzeugenregelung, insbesondere mit der Zielsetzung, mit der sie in der BRD eingeführt und angewandt wird, ein Versuch, die Grenzen der Beweislogik, auf die der Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, verweist, zu instrumentalisieren, jene Lücke zu schließen, die die Konstruktion synthetischer Urteile bis heute verhindert? Die Kronzeugenregelung, die politische Instrumentalisierung der Logik des Verfahrens und die Umformung des Angeklagten in den Feind (mit Verteidigern als „Unterstützern“ und Prozeßbesuchern als „Sympathisanten“: nur so läßt die Identifikation mit dem Angeklagten, die aus der Unschuldvermutung folgt, sich verhindern) sind drei Seiten einer und der gleichen Sache und zugleich das Fundament, auf das die Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori sich stützt.
    Im Staatsschutzprozeß vollendet sich das Strafrecht, werden die Abgründe aufgedeckt, die es in sich birgt, dekonstruiert es sich selbst.

  • 20.12.95

    „Israeliten und Israelis bekennen sich als Abendländer. Was wollen sie vom Abendland bewahren.“ (Levinas: Der Fall Spinoza, in Schwierige Freiheit, S. 104) Ist Israel (im Sinne Levinas‘) ein christlicher Staat? – Das könnte die These belegen, daß der Zionismus den Antisemitismus beerbte: Sehen nicht die Dämonen wieder einmal genauer als die Anderen? Erkennen die zu Antizionisten mutierten Antisemiten in Israel wieder einmal das, was sie in sich selber hassen, werden sie hier endgültig als „Christen“, als konsequente Vertreter der Bekenntnislogik, erkennbar?
    „Unsere Sympathie für das Christentum … bleibt freundschaftlich und brüderlich. Sie kann nicht väterlich werden.“ (ebd. S. 108) Hängt das mit dem merkwürdigen Phänomen in den Evangelien zusammen, daß das Verschwinden Josephs, das Vaters Jesu aus den Texten, einhergeht mit dem Hervortreten der Vater-Hypostase, die dann wiederum den Namen, mit dem Gott selbst sich geoffenbart hat, verdrängt?
    Solidarität ohne Komplizenschaft: Wer den Mord rechtfertigt, weiß nicht, was er tut. Die (nachträgliche) Rechtfertigung wird ihm unter der Hand zur Norm, deren einziger Zweck es zu sein scheint, das Grauen und den Schrecken zu verdrängen, die mit dem Töten verbunden sind; das gleiche Grauen und den gleichen Schrecken, die das eigentliche Erbe des Nationalsozialismus sind, und die durch jede Norm, durch die, die das Töten rechtfertigt, wie auch durch die, die es verurteilt, verdrängt wird. Dem Strafrecht zufolge wird nicht die Mord, sondern der Mörder bestraft; der Mord ist kein Tat-, sondern ein Täterdelikt. Die Tat fällt nicht unters Recht, weil sie ein Teil der Gewalt ist, die das Recht begründet; der Mord ist ein Täterdelikt, weil der Staat im Mörder seinesgleichen erkennt. Was am Mord verurteilt wird, ist nicht die Verletzung des Gebots: Du sollst nicht töten, denn die würde die Grundlagen des Staates, das Recht ebenso wie das Militär (das seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht alle zu Komplizen zu machen versucht), mit verurteilen. Im Mörder verurteilt der Staat nicht den Mord, sondern die Hybris dessen, der sich ein Recht anmaßt, das nach dem Selbstverständnis des Staates nur ihm zusteht. Deshalb darf zur Begründung der Strafbarkeit des Mordes nur auf den Schaden, den er dem Opfer zufügt, Bezug genommen werden, nicht aber darauf, was einer, der einen anderen tötet, sich selbst antut. Die Befriedigung der Rachegefühle (die zu seinen eigenen Existenzbedingungen gehört) ist dem Staat wichtiger als deren Auflösung, die allein in der Lage wäre, dem Gewaltpotential, das die gemeinsame Grundlage des Staats und der Verbrechen ist, ein Ende zu machen.
    Jedes Urteil ist inhuman, das unfähig ist, sich in den Angeklagten hineinzuversetzen. Wird diese Unfähigkeit zum Prinzip erhoben, wird der Angeklagte zum Feind (wie generell im Bereich der Staatsschutzverfahren heute).
    Solidarität ohne Komplizenschaft kündigt auch das Einverständnis mit der Philosophie. Der theologische Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, bezeichnet genau die Stelle, an der der Staat blind ist, und an der sich alle blind machen, die sich – sei es als seine Anwälte, sei es als „Feinde“ des Staates – mit ihm gemein machen. Es gehört zur Tradition der deutschen Staatsmetaphysik, daß hier der öffentliche Ankläger Staatsanwalt heißt. Er vertritt die Anklage nicht als Person, die ihr Tun öffentlich zu verantworten hat, sondern als Anwalt des Staates, der ihn legitimiert und exkulpiert, im genauesten (nämlich im theologischen) Sinne „verantwortungslos“ macht.
    Der Staatsfeind ist eine contradictio in adjecto: der Staat ist kein Wesen, dem man Feind sein könnte: man kann ihn weder lieben noch hassen (beide Verhaltensweisen wären pathologisch). Aber ist nicht der Staat das pathologische Wesen, das Feinde produziert (und, indem er in seine Bürger das Feinddenken induziert, sie beherrschbar macht)?
    Ohne Sport und ohne Stofftiere ist der Staat nicht mehr zu ertragen, aber mit ihnen wird er unerträglich.
    Wer sich gegen das „Herz“ der Menschen blind macht, kann zwischen einem seelsorglichen und einem konspirativen Gespräch nicht mehr unterscheiden (das Feinddenken macht ihn paranoid).
    Das Grundgesetz enthielt auch den Versuch, einige Vorkehrungen zu treffen, die Möglichkeiten eröffnen sollten, dem Zwang der Komplizenschaft sich zu entziehen. Dazu gehörten das Recht auf Wehrdienstverweigerung (gegen die Komplizenschaft mit dem Recht zu töten), das Recht auf Widerstand (gegen die Komplizenschaft mit dem Mißbrauch der Gewalt im eigenen Land) und das Asylrecht (gegen die Komplizenschaft mit den Unrechtsstaaten draußen).

  • 17.12.95

    Die Barmherzigkeit ist der Mutterschoß der zukünftigen Welt. Hängt nicht die Rosenzweigsche Übersetzung von Gen 12a: „Geist Gottes brütend über den Wassern“ (Stern der Erlösung, Frankfurt 1988, S. 170), hiermit zusammen? Und wenn die Propheten „im Mutterschoß“ berufen wurden, heißt das nicht, daß sie im Namen der Barmherzigkeit berufen wurden?
    War nicht die 68er Bewegung ein Ausbruchsversuch aus der gleichen Lähmung, die mich in den 60er Jahren am Schreiben gehindert hat? Aber ein Ausbruchsversuch, der die Voraussetzungen seines möglichen Gelingens zugleich verdrängt hat? Meinen Hoffnungen, mit denen ich die 68er begleitet habe, war eigentlich von Anfang an das Bewußtsein, daß es so nicht möglich war, beigemischt. Die 68er waren einer Logik verfallen, die aus ihrer Beziehung zum Faschismus, aus den daraus erwachsenen Rechtfertigungszwängen, sich herleiten läßt: Die Verurteilung des vergangenen Faschismus, die jedes Verständnis ausschloß, umschrieb die ganze Spannweite der philosophischen Bewegung von Spionoza bis Hegel: das Urteil über den Faschismus war im Anfang der „index veri et falsi“, es erwies sich dann als der „bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist“. Die Verurteilung des Faschismus war ein „historisches“ synthetisches Urteil apriori, es kehrte sich als juristisches „synthetisches Urteil apriori“ in den „Staatsschutzprozessen“ gegen die, die im Licht dieses Urteils die Gegenwart zu zu begreifen versucht hatten. Der Grundfehler lag in dem unausweichlichen logischen Zwang, der mit dem doch so evidenten Schuldspruch über den Faschismus die gesamte Vergangenheit neutralisierte, die Erinnerung gegenstandslos machte.
    Welche rechtslogische Bedeutung hat die Umwandlung des Angeklagten in einen Feind: Gewinnt nicht das juristische Urteil erst durchs Feindbild sein apriorisches Objekt (so wie die transzendentale Logik durch die subjektiven Formen der Anschauung)?
    Die juristische Adaptation des Feindbildes (deren Logik der Carl Schmittsche Rechtsphilosophie zugrundeliegt) ist der Kern der Notstandslogik, die in den Staatsschutzverfahren den Rechtsstaat dekonstruiert.
    Wenn der Rechtfertigungszwang zum Gerüst der transzendentalen Logik des Rechts wird, wird der Strafvollzug zur Grundlage des „Reichs der Erscheinungen“, die selber kein Teil des Reichs der Erscheinungen ist, wird der Strafvollzug zu dem hinter den Erscheinungen verborgenen Ding an sich.

  • 15.12.95

    Der Definitionsmacht des Staates, die eine männliche Logik ist, sich entziehen, das heißt vor allem: die Logik dieser Definitionsmacht, die Logik des Herrendenkens, reflektieren, um ihr nicht selber zu verfallen. Nicht trotzig das Urteil der Bundesanwaltschaft sich zu eigen machen und nur das Vorzeichen umkehren (und das Unmögliche zu versuchen: den Mord, der nicht zu rechtfertigen ist, zu rechtfertigen): So betreibt man gleichsam präventiv und zugleich in vorauseilendem Gehorsam das Geschäft des Feindes. So macht man die Kronzeugen überflüssig, wird man zum Kronzeugen gegen die eigenen Genossen, fügt sich dem synthetischen Urteil apriori, dessen williges Opfer man so wird. In einem der ersten Versuche über die Folgen der KZ-Haft ist der Freudsche Begriff der „Identifikation mit dem Aggressor“ verwendet worden. Er bezeichnete das merkwürdige Phänomen, daß Häftlinge der Verführung, die Logik und die Urteile ihrer Peiniger sich zu eigen zu machen, nur schwer sich entziehen konnten; diese „Identifikation“ war ein Teil ihrer Überlebensstrategie (sind nicht die Rituale der Staatsschutzprozesse, und sind nicht insbesondere die Haftbedingungen nur als Teil des Versuchs, diesen Mechanismus zu instrumentalisieren, zu verstehen?).
    Die wechselseitige Durchdringung von Justiz und Verwaltung, die der Exkulpationslogik (der Ersetzung der gerechten durch die rechtfertigende Verantwortung) manifestiert sich insbesondere in den Staatsschutzverfahren, in denen es um die Rechtfertigung der rechtfertigenden Instanz (des Staates) geht, an der Beziehung der Fertigung synthetischer Urteile apriori (Überleitung der Rechtsprechung in ein Subsumtionsverfahren) zur Vorherrschaft des Feinddenkens (der Feind ist das gesellschaftliche Äquivalent des Objekts, des Gegenstands der Subsumtion).
    In den Texten der InfoAG gibt es Argumente, die den Eindruck erwecken, daß sie der Logik der Bundesanwaltschaft – nur gleichsam seitenverkehrt – aufs genaueste entsprechen. Für einen Augenblick erweckten sie den Verdacht, daß sie von einem Provokateur stammen könnten. Gehört nicht diese Argumentation zum Objektbild der Bundesanwaltschaft, das sie braucht, um die Verfahren in dieser Form durchzuziehen?
    Anstatt in offene Fallen hineinzurennen, wäre es sicher wichtiger, die Konstruktion dieser Fallen zu studieren. Nur so ließe sich ihre Wirksamkeit dekonstruieren.
    Wenn Anklagevertreter und Gericht die Angeklagte und ihre Verteidiger als Feinde und die Prozeßbesucher als Sympathisanten ansieht, so ist das deren Problem, nicht unser Problem. Es ist nur ein Hinweis auf mangelnde Differenzierungsfähigkeit. Wer sich davon nicht düpieren läßt, wird in der Lage sein zu bemerken, in welche Fallen sie hineinrennen.
    Sind die merkwürdigen Reaktionen auf die „Kirchenleute“ eigentlich so weit entfernt von der Logik des Senatsbeschlusses, mit dem er das beantragte seelsorgliche Gespräch ablehnte?
    Daß man Dinge verstehen kann, ohne sie gutzuheißen (und daß „alles verstehen“ nicht „alles verzeihen“ heißt), ist der wichtigste Grundsatz jeder Aufarbeitung der Vergangenheit. Aber haben die 68er nicht genau diesen Grundsatz verworfen? Es war einfacher, alles zu verurteilen, und in diese Verurteilung die ganze Generation derer, die den Faschismus miterlebt hatten, mit einzubeziehen. Daß der Faschismus vergangen war, daß er für die nachgeborene Generation nur noch gegenständlich war, hat ihr Urteil so gnadenlos gemacht. Es war so einfach: Über Schuld oder Unschuld entschied allein das Datum der Geburt, und dieser Generation kam es weniger darauf an, daß das nicht wieder passierte, als vielmehr darauf, daß, wenn es wieder passierte, sie jedenfalls zu denen gehörte, die daran nicht schuld waren. Nicht um Gerechtigkeit, sondern um Unschuld war es zu tun: Das aber führte mitten in die Logik der Rechtfertigungszwänge hinein, die die feindlichen Parteien seitdem gemeinsam hatten. Heute wird der Kampf gegen den Rassismus fast allein unter den Bedingungen einer Logik geführt, die zu den Wurzeln des Rassismus gehört: unter den Bedingungen der Bekenntnislogik, die den Rassismus zu einer Gesinnung, einer Weltanschauung macht, aber seine Funktion im Vernunfthaushalt, nämlich die Entlastung vom Anspruch und von der Last der Mündigkeit, den Zusammenhang der Exkulpationsstrategien, in denen er sich konstituiert, nicht begreift. Zu den Grundmotiven der inneren Begründung des Rassismus gehört insbesondere die Entlastung vom Tötungsverbot (die zugleich seine Nähe zum Sexismus begründet). Der Rassismus ist ein logischer Teil der Staatsmetaphysik, in der er in einer bestimmten Phase der Herrschaftsgeschichte sich konstituiert; er entspringt in der gemeinsamen Geschichte mit dem Ursprung des Gewaltmonopols des Staates und zusammen mit der Unfähigkeit zur Reflexion dieser Ursprungsgeschichte. Das rassistische Syndrom ist im Ernst nur aufzulösen im Kontext der Fähigkeit zur herrschaftskritischen Reflexion.
    Hängt nicht die Abschaffung der Todesstrafe nach dem Krieg, die eine unmittelbare Reaktion auf den exzessiven Gebrauch, den die Nazis davon gemacht hatten, war, auf eine höchst vertrackte Weise auch damit zusammen, daß nach dem Krieg die Neubegründung des Staates nicht gelungen ist (und nicht gelingen konnte). Der Staat gründet in der Todesdrohung (in dem „Recht“ zu töten), und wenn der Mord im Strafrecht das einzige Täterdelikt ist (alle anderen Straftatbestände sind Tatdelikte), so verweist das darauf, daß der Staat im Mörder einen erkennt, der ihm das Recht zu töten durch die Tat streitig macht: Der Mord ist ein Angriff auf die Souveränität des Staates. Umgekehrt aber, wenn der Staat sich selbst des Rechts zu töten begibt (indem er die Todesstrafe abschafft), kann er dies nur unter zwei einander ausschließenden Bedingungen: entweder er schafft – mit der Begründung einer befreiten Gesellschaft – sich selbst ab (so mag Marx sich das Absterben des Staates vorgestellt haben), oder aber er verzichtet auf die Ausübung dieses Rechts (und damit auf eine der Rechtsquellen seiner Macht), weil es von den Gewalten usurpiert wurde, aus denen es einmal hervorgegangen ist und auf die damit auch die Macht wieder übergegangen ist: Ökonomie und Militär. Heute gibt es andere Formen der Todesdrohung, und diese stehen aller Welt vor Augen: in den Elendsgebieten, in den Auswirkungen der Schuldenkrisen, in der Bedrohung durch eine Armut, zu der es weithin keine Alternativen, und aus der es – nachdem die Marktgesetze universal geworden sind – keine Auswege mehr gibt, und die nur mit direkter Gewalt unter Kontrolle zu halten ist: durch Militärdiktaturen, Folterregime vor Ort und durch ein militärisches Vernichtungspotential, mit dem der Reichtum der Industrienationen gegen die Armut, die er produziert, sich abzuschirmen versucht.
    Jede Verurteilung zieht den Urteilenden in den Bann der Logik der Taten hinein, auf die das Urteil sich bezieht. Hilflos, und in der letzten Konsequenz selbstmörderisch, ist jeder Antifaschismus, der den Schrecken nur durch Verurteilung zu bannen versucht, anstatt ihn zu reflektieren. Nicht daß der Staat „sein wahres Gesicht zeigt“, hilft aus der Gefahr, sondern nur eine Erkenntnis, die ihm den Spiegel der Erinnerung vorhält, in dem er sich selbst erkennt. Im Faschismus hat der Staat sein wahres Gesicht gezeigt, und wer die Wiederholung heraufbeschwören möchte, weiß nicht wovon er redet.
    Scheitert nicht die Kritik Carl Schmitts bis heute daran, daß sie ein logisches Problem mit einem ideologischen verwechselt, daß sie eine verzweifelte Einsicht in die Fundamente des Staates, der Welt und der Zivilisation zu einer bloßen Gesinnung verharmlost und neutralisiert.
    Die Notstandsgesetzgebung hat versucht, den Schmittschen „Ausnahmezustand“ beherrschbar zu machen; sie hat damit an eine Tradition angeknüpft, die einmal Hitler den Weg frei gemacht hat.
    Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Tötung des GSG-9-Beamten in Bad Kleinen nicht durch Wolfgang Grams erfolgte, daß die Schüsse von Wolfgang Grams, die möglicherweise niemanden getroffen haben, in Notwehr erfolgten, und daß umgekehrt Wolfgang Grams selber von durchgedrehten Beamten, die damit den einzigen Zeugen beseitigen wollten, hingerichtet worden ist. Kann es sein, daß dagegen ein „rechtskräftiges“ (damit aber nicht notwendig wahres) Urteil gesetzt werden soll, das der Erforschung der Wahrheit eine juristische Hürde in den Weg stellen soll, auch um den Preis, daß eine nachweislich Unschuldige stellvertretend verurteilt und bestraft werden soll. Kann die Bundesrepublik vor diesem Hintergrund sich einen Prozeß wie den gegen Birgit Hogefeld überhaupt leisten?

  • 13.12.95

    Heute zerstört das Hegelsche Weltgericht die moralischen und natürlichen Grundlagen des Lebens.
    Propheten: Nicht die Väter und nicht die Herren, sondern die Söhne und Töchter werden weissagen, die Greise werden Träume träumen, die Jünglinge Gesichte sehen, über die Knechte und Mägde wird Gott seinen Geist ausgießen.
    Zu Birgit Hogefeld vgl. Christina von Brauns Bemerkungen über die Ursprung und Geschichte der Hysterie (ein Produkt männlicher, sexistischer Definitionsmacht), die Beziehung von Hysterie und Barmherzigkeit (deren hebräischer Name aus dem der Gebärmutter sich herleitet).
    Der Prozeß gegen Birgit Hogefeld ist ein Prozeß, der auch gegen die Öffentlichkeit geführt wird: Die Diskriminierung der Linken unterwirft die Öffentlichkeit Rechtfertigungszwängen und desensibilisiert sie zugleich. Nur in diesem Kontext wird der Angeklagte zum Feind, werden Verteidiger und Prozeßbesucher zu Sympathisanten. Restituierung des mittelalterlichen Rechtsprinzips „Mitgefangen, mitgehangen“. Das Perverse ist, daß Birgit Hogefeld, deren Erklärungen durch ein hohes Maß an Reflexion sich auszeichnen, weder durch ihr Verhalten noch durch den bisherigen Prozeßverlauf das Bild bestätigt, in das die Anklage und offensichtlich auch das Gericht sie hineinzwingen wollen (gespenstisches Gefühl, der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori beizuwohnen). Stigmatisiert wird die Angeklagte nur durch die Rahmenbedingungen des Prozesses, der als „raf-Prozeß“ mit dem eingespielten Ritual (martialisches Polizeiaufgebot, teilweise mit Maschinenpistolen, Polizeihunden; entwürdigende, die Besucher diskriminierende und die Öffentlichkeit abschreckende Eingangskontrollen) geführt wird. Offene Angriffe gegen Prozeßbesucher (auch gegen die Mutter der Angeklagten), nicht nur von Polizeibeamten, sondern auch von Bundesanwaltschaft und Nebenkläger, ohne daß der Senat sich veranläßt sähe, einzugreifen, während die Angeklagte und ihre Verteidigung Einschränkungen unterworfen werden, die teilweise den Eindruck erwecken, daß sie der strategischen Absicherung der „Beweisführung“ dienen.
    Wie hängt die Feindbildlogik, die das Verfahren zu beherrschen scheint, mit dem theologischen Erbe des „stellvertretenden Opfers“ zusammen? Nach staatlicher Rechtslogik bedarf der „Mord“ an dem GSG-9-Beamten der „Sühne“. Die ist aber am toten Wolfgang Grams juristisch nicht mehr möglich (man kann keinen Prozeß gegen einen Toten führen). Diese „Sühne“ ist an ihm möglicherweise schon vollstreckt worden, was jedoch aufgrund eines Senatsbeschlusses nicht in die Beweisführung mit eingebracht werden darf. Die Unschuld des Staates, die dann auch die, die ihn vertreten, freispricht, ist erst gewährleistet, wenn die Tat, die nicht aufgeklärt werden darf, stellvertretend an einer Person gesühnt wird, auch wenn mit Sicherheit feststeht, daß sie sie nicht begangen hat.
    Ein ganzes System von Schuldverschiebungen ist erforderlich, um hier zu einem Urteil zu kommen, das das leistet, was es leisten soll: den Staat freisprechen, und mit ihm die Bundesanwaltschaft und das Gericht, die ohnehin den Eindruck erwecken, daß sie den Grundsatz „In dubio pro reo“ für die Angeklagte nicht mehr verfügbar haben, da sie ihn schon für sich verbraucht haben.
    Ist nicht der Titel Staatsanwalt Teil einer Rechtslogik, deren erster Zweck nicht die Begründung und Förderung von Gerechtigkeit, sondern die Freisprechung des Staates ist? Nur dieser Staat braucht – wie sonst nur ein Beschuldigter – einen Anwalt. In zivilisierteren Ländern gibt es den öffentlicher Ankläger, der schon sprachlich, durch seine Berufsbezeichnung, der Komplizenschaft mit dem Staat enthoben ist. Beim Staatsanwalt, der nicht in eigener Verantwortung die Anklage vertritt, besteht ein gleichsam existentielles Interesse am rechtsförmlichen Nachweis der Unschuld des Staates. Nur so kann der Staat das leisten, was der Staatsanwalt von ihm als Gegenleistung für seinen Dienst erwartet: Ihn von der Verantwortung für die belastende Tätigkeit des Anklägers befreien (er tut nur seine Pflicht).
    Die Verdrängung der Sensibilität, die bewußtlose Form der Gemeinheit, die Gemeinheit mit gutem Gewissen, produziert den empfindlichen Staat, einen Staat, den man nicht ungestraft verunglimpfen darf. Die Empfindlichkeit des Staates ist ein Gradmesser seiner Schuldverstrickung und seiner Verdrängungsleistung (gründet nicht jeder Fundamentalismus in einer solchen Empfindlichkeit, und ist deren subjektive Wurzel nicht die Empörung?).

  • 10.12.95

    Die Idee des Heiligen ist jener Verdinglichungslogik zu entreißen, in die Rudolf Otto sie verbannt hat.
    Im Kontext der drei theologischen Gegenstände: Angesicht, Name und Feuer, steht das Feuer fürs Gebet (vgl. den Vers aus dem Sonett Reinhold Schneiders: „Allein den Betern kann es noch gelingen, …“, den letzten Satz in Blochs „Geist der Utopie“: „… und die Wahrheit als Gebet“, und die Verknüpfung des Gebets mit dem Versöhnungsgebot im Evangelium).
    Es gibt nicht „das Gute“, das ist eine platonische Erfindung. Das Gute ist immer das Gute für jemanden, und das gilt auch für den Gebrauch dieses Begriffs im Schöpfungsbericht (und Gott sah, daß es gut war), wobei der Name Elohim, das Sehen und das Adjektiv „gut“ zusammengehören. Das Gute ist ein Korrelat des Sehens, nicht der Hörens, es ist ein Korrelat des Gerichts (des Urteilens), nicht der Barmherzigkeit. Beim J gehört die Erkenntnis des Guten und Bösen (als Teil der richtenden Erkenntnis) zum Sündenfall, sie ist eine herrschaftsbegründende Erkenntnis.
    Ist es nicht eine fatale Verschiebung, die durch die Übersetzung ins Griechische, zuerst durch die LXX, in die Schrift hereingebracht worden ist, wenn der Gottesname JHWH mit kyrios, Herr, wiedergegeben wird? In Ps 1101: „Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten“, ist hiernach der Herr (die Verkörperung der Barmherzigkeit) vom Herrn (dem Namen der Herrschaft) nicht mehr zu unterscheiden. Rühren nicht wesentliche Probleme der Evangelien daher, daß die Unterscheidung der Gottesnamen fast unmöglich geworden ist:
    – Im messianischen Titel Gottessohn ist nicht mehr erkennbar, ob der darin zitierte Gottesname auf Elohim oder auf JHWH sich bezieht. Was bedeutet das für die, die Jesus Gottessohn nennen (Petrus, die Dämonen)? Ist der Titel Gottessohn (hyos theou) wirklich identisch mit dem Namen des Sohnes in dem Satz „mein Sohn bist du“, in dem das „mein“ vom Ursprung her auf JHWH (den Barmherzigen), und nicht auf „Gott“ (die Übersetzung von Elohim) sich bezieht?
    – Ist der Vatername die neutestamentliche Version des Namens JHWH (auch das würde den Titel Gottessohn in ein anderes Licht rücken)?
    Haben das Dogma, die Opfertheologie, die Bekenntnislogik aus dem Sohn der Barmherzigkeit den Sohn des Gerichts gemacht?
    Bindung Isaaks: Die Aufforderung, den einzigen Sohn als Opfer darzubringen, geht vom Engel Elohims, gerettet wird Isaak (und mit ihm das Erbe Abrahams) durch den Engel JHWHs. Es ist JHWH, der das Volk Israel begründet.
    Hodie, si vocem ejus audieritis: Hegel hat den Isaak geopfert, seine Ohren gegen das Wort des Boten JHWHs verstopft.
    Gehören nicht die beiden Sätze (vom Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, und der andere: Ehe Abraham ward, bin ich) zusammen, und werden nicht beide falsch, wenn man sie indikativisch versteht? Gehören nicht beide in den Kontext des Nachfolgegebots, und werden sie nicht aus diesem Kontext und dann auch von einander getrennt durch die Opfertheologie, durch das theologische Konstrukt des „stellvertretenden Opfers“?
    Der Staat ist die Instrumentalisierung Elohims; darin gründet seine weltkonstituierende Funktion.
    Solidarität ohne Komplizenschaft: Auch die Aktionen der raf müssen reflexionsfähig gehalten werden. Lernfähigkeit schließt auch die Fähigkeit mit ein, Vergangenes an seinen Folgen zu messen.
    Zur Kritik der Beweislogik (oder zur Logik des nachfaschistischen Staates): Dem Titel Staatsanwalt liegt ein instrumentalisiertes Verständnis des Begriffs der Anklage zugrunde: Während ein öffentlicher Ankläger seine Ermittlungen und die daraus abzuleitende Anklage selber verantworten muß, wird dem Staatsanwalt diese Verantwortung durch den Staat abgenommen. Die Anklage wird zu einem Attribut des Staates, zu einem Teil seines Wesens. Der Titel des Staatsanwalts begründet eine ihm eigene Exkulpationsautomatik, er macht den Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, indem er ihn instrumentalisiert, unangreifbar. Eben damit aber verwischt er die Grenze zwischen dem Angeklagten und dem Feind.

  • 8.12.95

    Gibt es ein kosmologisches Äquivalent der Logik der Schrift? Ist nicht die Kosmologie (und der Ursprung des Weltbegriffs) insgesamt ein Produkt der Logik der Schrift? Wäre vor diesem Hintergrund nicht die biblische Wendung „Erfüllung der Schrift“ (und ihre Beziehung zur Katastrophe, zuletzt zum Kreuzestod Jesu) genauer zu bestimmen?
    In welcher Beziehung steht die Logik der Schrift zum Buch des Lebens?
    Die Bekenntnislogik, das sind die Dornen und Disteln; sie definiert das Gesetz der Profangeschichte.
    Die Bekehrung ist die instrumentalisierte Umkehr; die Bekenntnislogik beschreibt das Gesetz dieser Instrumentalisierung.
    Nicht auf die Hypostasierung der Ursprünge: auf die Reflexion der Ursprungsgeschichte kommt es an.
    Die Kriminalpolizei rät: Schüren die Ratschläge der Kriminalpolizei nicht genau die Ängste, denen sie dann abhelfen sollen? Diese Ängste sind nicht von vornherein irrational, sie werden es durch Einbeziehung in ein Kriminalisierungskonzept, indem sie das Machtdenken befördern (law and order).
    Reflektiert sich darin nicht ein Stück Logik-Geschichte (und ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte): Die Kriminalisierung ist in der Sphäre zwischen Begriff und Objekt angesiedelt, sie ist ein Instrument zur Stabilisierung des Begriffs, was nur zu Lasten des Objekts (im Kontext seiner Kriminalisierung) möglich ist. Kein Urteil (kein Begriff und kein Objekt) ohne Verdrängung. Auch das Strafrecht, die Justiz und die Knäste (mit denen der Staat dem Volk einen Teil seiner Verdrängungsleistung abnimmt) haben eine bewußtseinsstabilierende Funktion.
    Liegt nicht der Beschluß des 5. Senats des OLG Frankfurt im Hogefeld-Prozeß, der jede Rückfrage zum Tod von Wolfgang Grams unterbindet, auf der gleichen Ebene wie der Beschluß, in dem es zu Hubertus Janssen heißt: „der sich als Pfarrer bezeichnet“? Beides gehört zum Komplex der Beziehung von Gemeinheit und Beweislogik.
    Die Ausblendung der Umstände des Todes von Wolfgang Grams hat natürlich auch die Funktion, alles auszublenden, was der Mordthese, in die dann Birgit Hogefeld mit einbezogen werden kann, im Wege stehen könnte. Der Beschluß des Senats ist ein Baustein in der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori (Indiz eines Versuchs der Rechtsbeugung?).
    Das Verhalten des Senats erweckt den Verdacht, daß seine Beschlüsse strategische Beschlüsse sind, deren vorrangiger Zweck es ist, die Verfertigung eines synthetischen Urteils apriori sicherzustellen.
    Ob der, dem man nichts nachweisen kann, auch vor sich selber unschuldig ist, ist eine andere Frage. Ist es nicht in der Tat wichtiger, mit sich selbst ins Reine zu kommen, als unter dem Zwang des guten Rufs den Rechtfertigungszwängen zu verfallen?
    Wie hängt der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ mit dem Eindruck zusammen, daß im Hogefeld-Prozeß, wie in den raf-Prozessen überhaupt, der Angeklagte nicht mehr Angeklagter, sondern Feind ist? Wie hängt das Feinddenken mit der Gemeinheitslogik zusammen?
    Die Sozialdemokratische Partei scheint nicht zu begreifen, was z.Z. in Frankreich sich tut: Verweisen nicht die Streiks in Frankreich aufs deutlichste auf den Zusammenhang der Bedingung der Geldwert-Stabilität, an die die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung gebunden ist, mit dem Zwang zum Abbau der Sozialleistungen? Ist nicht schon dieses Nicht-Begreifen der Beitrag der SPD zum Sozialabbau in Deutschland? Aber hat das Bedürfnis der Sozialdemokraten in Deutschland, von den Herrschenden anerkannt zu werden, nicht schon seit je ihre Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit aufs empfindlichste und aufs folgenreichste behindert?
    Die subjektiven Formen der Anschauung rücken die Welt ins Licht des Prinzips der Selbsterhaltung, in dem sie zur Welt erst wird.
    Das indogermanische Präsens gehört zu einer Welt, die ihr perfectum nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit hat; einer Welt, die sich nicht ändern läßt. Diese Welt konstituiert sich im Kontext der Anschauung, als deren Korrelat.

  • 6.12.95

    Definition der Prophetie (für Jürgen Ebach): So tief in einen Sachverhalt eindringen, daß die Zukunft in ihm ablesbar wird. Diese Zukunft ist katastrophisch: Prophetie ist per definitionem „Unheilsprophetie“, unter den Bedingungen des Weltbegriffs ist sie apokalyptisch.
    Die Logik der Schrift wird erst durchsichtig, wenn in ihr die Logik des Weltbegriffs, das objektivitätskonstituierende Element in der Logik der Schrift, erkennbar wird. (Anmerkung: Hubertus Janssen berichtet, daß H.-E. Richter die Erklärung zum Hogefeld-Prozeß nicht unterschrieben hat mit der Begründung, er kenne die Fakten nicht und könne nicht zu Dingen Stellung nehmen, die er nur vom Hörensagen kennt. Der Hogefeld-Prozeß gewinnt demnach erst Realität, zu ihm kann man erst Stellung nehmen, wenn öffentlich über ihn berichtet wird: Die Existenz einer Sache ist ein logischer Sachverhalt, der konstituiert wird durch Öffentlichkeit: durch die Schrift, die selber wiederum zu den Konstituentien der Öffentlichkeit gehört (beide, Schrift und Öffentlichkeit, begründen den Weltbegriff). Das begründet hinreichend das ambivalente Verhältnis des 5. Senats des Frankfurter OLG zur Öffentlichkeit, wenn er diese aufteilt in Sympathisanten, eine Art nichtöffentlicher Öffentlichkeit, und eine „seriöse“ Berichterstattung, die sich an die Vorgaben der amtlichen Pressestellen hält.)
    Medien und Banken: Nicht nur die Schrift, auch das Geld ist existenz- und weltbegründend (ähnlich wie das Inertialsystem nur im Zusammenhang seiner objekt- und naturbegründenden Funktion sich bestimmen läßt). Ist hier nicht der Vermittlungspunkt, an dem sich zeigen läßt, daß und weshalb Geschichte durch Geschichtsschreibung sich konstituiert und Realität gewinnt?
    Kelch des göttlichen Zorns: Die Vorstellung des Zeitkontinuums ist vermittelt (bedingt) durch die des dreidimensionalen Raumes; die Unendlichkeit der Zeit ist ein Reflex der Unendlichkeit des Raumes: Der Raum ist der Betondeckel auf der Vergangenheit, die Leugnung der Idee der Auferstehung. Diese Leugnung gehört zu den Konstituentien des Herrendenkens.
    Simulieren nicht die Fernsehnachrichten (die Berichterstattung im Fernsehen allgemein, die inzwischen zur Norm auch der übrigen Medien geworden ist, und das in einem durchaus geometrisch begründbaren Sinne) den privaten Blick auf die Dinge: den Blick aus dem Wohnzimmer? Machen sie sich nicht schon präventiv mit den Zuschauern gemein, die durch die Information in ihrer Privatruhe nicht gestört sein wollen und selber wiederum einer genau darauf abgestimmten Organisation der Information bedürfen, um diese Ruhe abzusichern (Drachenfutter)? Wie wäre es anders zu erklären, wenn heute „nationale“ Sportereignisse politischen und wirtschaftlichen Informationen in der Berichterstattung den Rang streitig machen können? Die Information rückt die Welt aus dem Bereich des Handelns in den des Urteils. Die transzendentale Logik der Medien wäre noch zu schreiben (Voraussetzung wäre die Bestimmung der zugrundeliegenden transzendentalen Ästhetik der Medien, ihrer „subjektiven Formen der Anschauung“, die auf den Schuldzusammenhang, der ein Urteilszusammenhang ist, zurückweisen).
    Nicht nur der Schuldzusammenhang, auch der Herrschafts- und Verblendungszusammenhang ist ein Urteilszusammenhang, die Urteilsform ist ihr Kristallisationskern.
    Nachrichten: Einübung in die Entsolidarisierung der Kritik. Sie fordern anstatt zum Handeln zum Urteilen heraus (Schuldverschubsystem, Esel und Rind). Entsolidarisierung schafft den Boden, auf dem die Sensationen wachsen und gedeihen (Beispiel: die Scharping-Kampagne, die von einem bestimmten Zeitpunkt an zum Selbstläufer geworden ist, der keines der Medien sich mehr zu entziehen vermochte).
    Der wechselseitigen Konstituierung von Privatsphäre und Information korrespondiert die „Amtlichkeit“ der Nachrichten, ihr gleichsam hoheitlicher Charakter: Moderatoren und Sprecher werden präsentiert, als stünden sie hinterm Schalter oder säßen an einem Schreibtisch (und Schalter oder Schreibtisch werden dann via Fernsehen ins Wohnzimmer transportiert). Ist der Nachrichtensprecher ein später Nachfahre des „Engels Elohims“ (der Abraham aufforderte, seinen Sohn zu opfern)?
    Die Medien verarbeiten die Informationen imd Interesse des „beschränkten Untertanenverstandes“.
    Jürgen Ebachs Bemerkung: „wir haben nur unsere Ohren“ (Junge Kirche), wäre im Hinblick auf den Gebrauch des Possessivpronomens zu überprüfen. Verstopft nicht dieses Possessivpronomen die Ohren? Die Norm des Hörens, die im „Heute“ begründet ist (Heute, wenn ihr seine Stimme hört), wird durchs Possessivpronomen gleichsam inertialisiert, von der Erinnerungsarbeit getrennt, die der Tatsache Rechnung zu tragen versucht, daß dieses Heute durchaus ein vergangenes sein kann (das der Prophetie, der Schrift, die „vergangene Hoffnung“ der Dialektik der Aufklärung). Nicht das Unser, sondern das Heute ist das Kriterium des Hörens, das der zukünftigen Welt den Weg freimacht.
    Die Zeugenschaft gründet im Sehen (das Ezechiel aufs Antlitz fallen läßt); deshalb ist die authentische Form der Zeugenschaft das Blutzeugnis. Die Auferstehung hingegen gründet im Hören (das Ezechiel wieder aufrichtet).
    In ihrer Ursprungsphase war die raf selber ein Teil des öffentlichen Diskurses. Sie stand in der Tradition der „symbolischen Aktionen“ (so der Kaufhausbrand in Frankfurt, aber auch der Anschlag auf das Heidelberger Hauptquartier der US-Army, mit dem der Anschlag auf den US-Airport in Frankfurt sich nicht mehr vergleichen läßt), diese zielten in erster Linie auf die kritische Öffentlichkeit. Terroristisch wurde die raf, als sie fundamentalistisch wurde, ihre Aktionen aus dem symbolischen Diskurs in den dogmatisch-politischen Indikativ übersetzte: als sie aus dem Bereich der Öffentlichkeit und der Sprache in den der Macht sich abdrängen ließ. Der zweiten und dritten Generation der raf fehlte das Sensorium für den kritisch-symbolischen Diskurs, sie ist aus der Öffentlichkeit (freilich nicht ohne Mitwirkung der Institutionen der Öffentlichkeit selber, die tatkräftig mitgeholfen haben, diesen Diskurs durch Diskriminierung zu neutralisieren) nur noch herausgefallen, wie die Szene dann nur noch stumm geblieben ist. Diese Generation ist zur Erinnerungsspur des Verdrängten geworden; sie wird nicht mehr wahrgenommen, sondern löst – wie alles Verdrängte – nur noch Ängste und Aggressionen aus.
    Merkwürdig das Stichwort „Generationenkonflikt“, das sehr früh ins Spiel gebracht, aber nie wirklich begriffen worden ist. Hat dieses Stichwort nicht einen ganz anderen Sachverhalt verdeckt: Dies war die erste Generation, für die der Faschismus Geschichte, Vergangenheit, nur noch Gegenstand des Urteils, nicht mehr der eigenen lebendigen Erfahrung war. Sie war die erste Generation, die ohne es durchschauen zu können, allein durch ihre Geburt in einen Schuldzusammenhang verstrickt war, an dem sie sich (zu Recht) unschuldig fühlte. Sie stand unter einem Rechtfertigungsdruck, dessen Ursprung für sie selbst im Dunkel lag. Die Gnade der späten Geburt erwies sich als deren genaues Gegenteil: als ein objektives, schicksalshaftes Urteil, dem sie nur durch die Verurteilung der Generation glaubte entrinnen zu können, die für sie diese Vergangenheit verkörperte und die sie durch ihre Beteiligung an dieser Geschichte in diese Lage gebracht hatte. Dieser Ausweg aber war keiner. Der Konflikt ist im Felde des Urteils nicht aufzulösen. Das Stichwort „Generationenkonflikt“ hat den Konflikt nur scheinbar verständlich gemacht; sein Preis war der Abbruch der Kommunkation. Dieser Konflikt war kein Generationenkonflikt, sondern Symptom einer herrschaftsgeschichtlichen Katastrophe, ein verzweifeltes Echo der „Endlösung“. Das Stichwort Generationenkonflikt entlastet nur, löst aber nichts auf. Im Gegenteil: Indem es entlastet, vermehrt es die Last.
    Beitrag zur Kritik der Phänomenologie: Symptomatisch, daß die Vermummung der Polizei gleichzeitig erfolgte wie das gesetzliche „Vermummungsverbot“, in dem die „Erscheinung“ des Jugendprotests als Handeln erkannt und diskriminiert wurde. Was ist da wirklich passiert? (Hinweis: Der Personbegriff verweist ebenso wie auf die Sphäre des Rechts auf die des Schauspiels. Persona war die Maske des Schauspielers, durch die hindurch seine Stimme tönte.)
    Hegels Hinweis, daß die Natur den Begriff nicht zu halten vermag, wird von ihm selbst begründet mit dem Hinweis auf die Differenzierung der Gattungen und Arten der Tierwelt; er ließe sich ebenso demonstrieren an der Differenzierung der „Gattungen und Arten“ der indoeuropäischen Sprachen, die den gleichen Sachverhalt widerspiegelt. Die indoeuropäischen Sprachen haben das Perfekt vom Handeln ins Urteilen verschoben, indem sie es in die Vergangenheit zurückgestaut haben.
    Betroffenheit: Das Wörterbuch des Unmenschen, das heute implodiert und die Sprache insgesamt in sich aufsaugt und verschlingt, entstammt der theologischen Tradition.
    Das Hegelsche Absolute ist die Seele des sterblichen Gottes, als dessen Namen Hobbes den Leviathan erkannte. Ist nicht das Absolute die in den Begriff erhobene Natur, das Tier, das nicht mehr in der Endlichkeit der Gattungen und Arten gefangen ist?
    Brauchten die Christen nicht einen „persönlichen Gott“, um dem Konstrukt der Sündenvergebung die erforderliche Grundlage zu geben? Erst, wenn ich mich zum Objekt der Sündenvergebung mache, wenn ich sie als Mittel der Vernichtung meiner Schuldgefühle mißbrauche, benötige ich als magischen Helfer einen „persönlichen Gott“ (das absolute Kuscheltier).
    Mit der Einführung des Priestertums ist die sadduzäische Tradition (das Bündnis mit der Macht) ins Christentum mit aufgenommen worden. (Wer ist die Magd und wer sind die Knechte des Hohenpriesters in der Geschichte von den drei Leugnungen?) Symptom dieser sadduzäische Tradition ist die Stellung zur Lehre von der Auferstehung: Das Christentum hat diese Lehre neutralisiert, als sie sie zum Gegenstand der Bekenntnislogik machte. Würde auch nur ein Theologe wirklich an die Auferstehung glauben, die Theologie würde anders aussehen.
    Die Idee des Heiligen läßt sich durch ihre Beziehung zum Possessivpronomen definieren. Das Heilige ist dem Anwendungsbereich des Possessivpronomens (den der Weltbegriff umschreibt und definiert) enthoben. Theologie im Angesicht Gottes ist die Erfüllung des Gebots der Heiligung des Gottesnamens, und die Kritik des Weltbegriffs ist die Kritik der universalen Anwendbarkeit des Possessivpronomens (das am Andern seine Grenze findet: das Antlitz des Andern ist die Sichtbarkeit dieser Grenze; deshalb ist das Gesicht die Verkörperung des Gebots „du sollst nicht töten“).
    Die „vollständige Säkularisation aller theologischen Gehalte“ ist eine contradictio in adjecto: Der Begriff der vollendeten Säkularisation postuliert den universalen Geltungsanspruch des Possessivpronomens; dagegen ist die Theologie der letzte Einspruch. Das Gesicht ist das Wunder in der Erscheinungswelt.

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