Kabbala

  • 14.05.93

    Erbsünde: Der Begriff bedeutet nicht, daß man sich diese Sünde zurechnen lassen muß, sondern daß man sie begeht, wenn man sich nicht ihrem Zwang (durch Übernahme der Schuld der Welt: durch Gottesfurcht) entzieht. Bekennt sich Jesus nicht in dem Satz „Ehe Abraham ward, bin ich“ als Täter der Sünde Adams?
    In dem kantischen „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ klingt jene Sponateität an, die in dem Ich=Ich des deutschen Idealismus dann abgeschnitten und verdrängt, in das System „meiner Vorstellungen“ mit einbezogen wird. Dieses Ich=Ich ist die Identifikation mit dem Aggressor: das Anderssein des Ich, das Ich des andern, dem ich unter Verdrängung der Spontaneität mich angleiche, ein Stück Welt.
    Wie sind die Pyramiden orientiert: sind die Flächen oder die Ecken den Himmelsrichtungen zugeordnet? Gibt es eine Beziehung zu dem Richtungssystem im Sohar, in dem den vier Himmelsrichtungen die acht oberen und unteren Zwischenrichtungen zugeordnet sind (während oben und unten fehlen)?
    Die drei evangelischen Räte richten sich gegen die Logik der Instrumentalisierung:
    – der Gehorsam gegen das Inertialsystem,
    – die Armut gegen das Tauschprinzip und
    – die Keuschheit gegen die Bekenntnislogik.
    Zum Inzestproblem bei Jean-Jacques Rousseau: Die Geschichte des Natur- und des Weltbegriffs ist die Geschichte zweier ineinander verflochtener Begriffe: der Grund der Geschichte der Sexualität. Vgl. die Beziehung von physis und kosmos, natura und mundus, Natur und Welt (Umkehrung von „leer, gereinigt und geschmückt“).
    Die neuplatonischen Emanationslehren, die unterm Bann der Verhältnisse im Römischen Reich stehen, erinnern nicht zufällig an eine Dynamik, bei der sich nicht mehr entscheiden läßt, ist sie das Bild der Onanie oder das einer Sturzgeburt. Es ist das in patriarchalem Kontext entstehende Problem der Beziehung von physis und natura, von Zeugung und Geborenwerden, bei gleichzeitiger Diskriminierung des Weiblichen: der Materie (Verteufelung der Produkte der eigenen projektiven Phantasien, die die ganze mittelalterliche Geschichte beherrscht und manifest wird in den Teufels- und Höllenphantasien und in der Geschichte der Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgungen).
    Zum et und atah im Sohar: wie steht es mit der Beziehung von et und at (2. Pers. fem.) in dem et haschamajim we’et haarez?
    War die Biologie (und mit ihr der Rassismus, insbesondere der sprachgeschichtliche, der heute die gesamte Sprachreflexion verhext) nicht erst möglich, nachdem die Erde und das Lebendige durch die modernen Naturwissenschaften (durch Kopernikus und Newton, letztlich durchs Inertialsystem) begrifflich geschieden waren? Beziehung der Nazi-Parole „Blut und Boden“ zum hakeldama, genetische Ableitung der Nazi-Parole? Ist nicht in dieser Nazi-Mythologie das Konzept der Gräberschändungen angelegt (Vergangenheitsvernichtung Folge der christlichen Vergangenheits-„Überwindungen“, Grund: Instrumentalisierung des Kreuzestodes)?
    Gibt es nicht einen Aspekt des Kreuzessymbols, der unters achte Gebot fällt, ist das Kreuzessymbol nicht vom Ursprung und von der ebenso realen und unbewußten Bedeutung her ein antisemitisches Symbol? Würden wir ein Bild aus Auschwitz in unseren Schlaf- und Wohnzimmern (ohne projektive Verarbeitung) ertragen, und mit welchen Folgen für unsere Kinder und für uns? Das Bild des Gekreuzigten ständig vor Augen zu haben, muten wir uns zu?
    Die Darstellung der Theologie im neuen Katechismus: Positivismus in Watte gepackt (was fehlt: Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit der antijudaistischen Tradition der kirchlichen Theologie; die Unfähigkeit zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit: Ketzer, Hexen, Geschichte der „Bekehrungen“, „Autorität“ und Befreiung; Demokratie; Befreiungstheologie und feministische Theologie; der kirchliche Wahrheitsbegriff, Verzicht auf Schuldreflexion und die Konfliktunfähigkeit der Kirche).

  • 13.05.93

    Ist nicht das „Wachet und betet“ in Getsemane auf die beiden Augen (den Unterschied des rechten und linken Auges) bezogen (vgl. Sohar, S. 77)?
    „Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.“ (Ez 3626)
    Zur Theologie Jes 287: Priester und Propheten schwanken vom Bier, sind überwältigt vom Wein.
    Zur Politik Jes 2814ff: Darum hört das Wort des Herrn, ihr Spötter, ihr Sprüchemacher bei diesem Volk in Jerusalem. Ihr habt gesagt: Wir haben mit dem Tod ein Bündnis geschlossen, wir haben mit der Unterwelt einen Vertrag gemacht. Wenn die Flut heranbraust, erreicht sie uns nicht; denn wir haben unsere Zuflucht zur Lüge genommen und uns hinter der Täuschung versteckt. …
    Den Anfang des Stern der Erlösung (die Todesfurcht) anstatt auf die Erfahrung des ersten Weltkriegs auf Getsemane beziehen.
    Warum hat eigentlich niemand aus der Nazi-Parole Blut und Boden das hakeldama, den Blutacker, herausgehört?
    Ist nicht der Begriff der Rasse ein Versuch, die in der Schrift noch unterschiedenen Begriffe Stämme, Völker, Sprachen und Nationen gleichnamig zu machen, in einem Objekt zusammenzuziehen? Und bietet sich da nicht das Deutsche als gleichsam natürlicher Bezugsrahmen an?
    Vaterland und Muttersprache, oder die Schuld der Väter und die Sünden der Mütter.
    Ist nicht die Biologisierung der Sprachgeschichte durch den Rassebegriff eine Verschiebung: Verdrängt sie nicht die Erinnerung an den Sprachleib?
    War das peri physeos der Vorsokratiker nicht eine Abwehrwaffe gegen die Schrecken der Mächte der Vergangenheit?
    … Hier gilt: Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren.
    Ist nicht das Inertialsystem ein Spinnennetz; und gibt es nicht Spinnen, bei denen das Weibchen das Männchen nach der Begattung frißt?
    Die Bemerkung im Sohar, „daß es das Ich ist, welches die Flut bringt“ (S. 119) wird durch den Satz des Tales: „Alles ist Wasser“ bestätigt: Die Hegelsche Philosophie ist die Sintflut (die vom Ich überschwemmte Welt).
    Idee einer Gestalt der Erkenntnis, die dadurch frei ist, daß sie den Rechtfertigungszwängen (der normativen Gewalt des Begriffs des Wissens) entronnen ist: Sie konvergiert mit dem Begriff einer Erkenntnis, die sich die Idee des seligen Lebens nicht ausreden läßt. Bangemachen gilt nicht.
    Als Walter Benjamin (und nach ihm auch Ernst Bloch) einmal den „berühmten Rabbi“ zitierten, als welcher sich dann später Gerschom Scholem bekannt hat, haben sie da nicht den Hahn und den Messias verwechselt. Die geringfügige Änderung, die alles zurechtrückt, betrifft den Gebrauch des Weltbegriffs.
    Das Dogma ist die versteinerte Wahrheit, und durch das Dogma zum steinernen Herzen der Welt geworden. Bezieht sich darauf nicht die Geschichte vom Hahn?
    Zum Hinter dem Rücken gehört Benjamins Wort über Franz Rosenzweig, er habe es vermocht, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, und die Übernahme der Last: der Sünden der Welt. Nicht nur stellvertretend die Schuld der Welt auf sich nehmen, sondern real, durch das Bekenntnis „ich war’s“: die Sünden der Welt. Aber das ist schwierig, fast unmöglich, in einer Welt, die vom Schuldverschubsystem lebt, sich vom Drachenfutter nährt.
    Das Problem der Beziehung von Philosophie und Prophetie ist das Problem der Beziehung von Name und Begriff, von Im Angesicht und Hinter dem Rücken und von Sünde und Umkehr.
    Im Symbolum wurde das Bekenntnis noch als ein Metaphorikum begriffen.
    Ist die feministische Theologie heute nicht in der Situation der Martha (oder war es Maria?), die angesichts des toten Lazarus zu Jesus sagte: Herr, er riecht schon? Über das tote Mädchen sagte Jesus: Sie ist nicht tot, sie schläft nur.
    In Büchners „Lenz“ gibt es die Szene, in der der verwirrte Lenz ein verstorbenes Kind ins Leben zurückzurufen versucht („Sehen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten“). Dem folgt die Stelle, an der Lenz real begreift, daß der Mond nur eine Steinwüste ist, und „in diesem Moment griff mit einem entsetzlichen Lachen der Atheismus in ihm Platz“. Dieses Lachen begreift mehr von der Physik und vom „naturwissenschaftlichen Weltbild“ als alle theologischen Harmonisierungsversuche. Und nach diesem Lachen (als Mimesis ans Subjektlose), meine ich, reicht die Wahrnehmung, daß Jesus in den Evangelien nie lacht, wohl aber die Dämonen austreibt, sehr nahe an den Wahrheitsgehalt der Evangelien heran.
    Im autoritären Denken (im Konkretismus und in der Personalisierung) präokkupiert der Herr die Stelle der Armen und Fremden. Hier liegt der Grund des Gebrauchs der projektiven Begriffe Barbaren, Natur und Materie, von dem das autoritäre Syndrom (Zusammenhang mit der Struktur der „indogermanischen“ Sprachen?) nicht abzulösen ist.

  • 12.05.93

    „Alle, die Deine Weisung lieben, empfangen Heil in Fülle.“ (Ps 119165, Einheitsübersetzung) Die gleiche Stelle wird im Sohar (Diederichs gelbe Reihe, S. 35) so übersetzt: „Friede viel denen, die Deine Thora lieben.“ Ist überall da, wo christlich vom Heil die Rede ist, der Friede gemeint? In der deutschen Übersetzung von Lukas und Johannes wird soteria (Rettung, wahrscheinlich über lateinisch salus) mit Heil übersetzt.
    Welt und Natur verhalten sich nicht wie Familien- und Vorname, sondern wie die heute so beliebten Doppelnamen.
    Das Problem der Metaphorik hängt mit dem der Vermittlung, und d.h. mit dem der Genesis des Nominalismus zusammen.
    In Ps 119.126 wird, was Franz Rosenzweig mit „zernichten“ übersetzt, im Sohar mit „gebrochen haben“ übersetzt (S. 27). Steht dieses Zerbrechen für das Problem der Vermittlung und der Metaphorik? Und ist die Bruchstelle die Welt? Hegel hat den Anfang gemacht mit der Reflexion dieses Bruchs (als Reflexion des Urteils), nur daß Hegel, anstatt das Zerbrochene zusammenzufügen, den Bruch totalisiert.
    Sind die drei evangelischen Räte nicht eine genauere Bestimmung dessen, was bei Johannes dem Täufer Umkehr, Buße heißt (vgl. auch die Buße im Buch Jonas)?
    Ist nicht die Kirche als apostolische Bekenntnisgemeinschaft die auf der Basis des Weltbegriffs reflektierte Stammesgemeinschaft? Und ist nicht unsere Blindheit, Taubheit und Lahmheit durch die Kirche versiegelt: Wie hängen die Blinden, die Tauben und die Lahmen in den Evangelien mit den drei evangelischen Räten zusammen?
    – Die Taubheit gehört offenkundig zum „Gehorsam“ (zum Herschaftssyndrom), aber wie lassen sich Blindheit und Lähmung der Armut und der Keuschheit zuordnen?
    – Heilt die Keuschheit von der Blindheit (Verblendung), und die Armut von der Lähmung (inertia, Trägheit)?
    Durch die Vergöttlichung Jesu wurde der Logos von der Schuldreflexion entlastet, damit aber auch die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt. So wurde der Logos zur Hypostase des Begriffs.
    Im Gefängnis gibt es drei Ausbruchswege: das Durchsägen der Gitter, die Überwältigung des Wärters und der Tunnel durch den Boden. Auf jeden Fall ist es falsch, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
    Der Weltbegriff enthält in sich ein dezisionistisches Moment: Quellpunkt des Gewaltmonopols des Staates. Das Ordnungsprinzip, das der Weltbegriff repräsentiert, wirkt durch Gesetze; diese aber sind durch Strafen in der Realität zu verankern. Das Strafbedürfnis in der Gesellschaft ist ein Gradmesser des historischen Stands der Geschichte des Weltbegriffs: der „Verweltlichung der Welt“.
    Der Verlust der Fähigkeit, die subjektiven Formen der Anschauung zu reflektieren, ist Produkt einer Entscheidung: Darin steckt das dezisionistische Moment. Der Begriff des Wissens verdankt sich der Abstraktion von der Schuldreflektion: Deshalb ist dieses Abstraktiosngesetz in die Grundlagen des Wissenschaftsbetriebs mit eingebaut.
    Bezeichnet nicht die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie aufs genaueste die Vergöttlichungsfalle, in die das Christentum hineingeraten ist? Um den Kreuzestod instrumentalisieren zu können, mußte Jesus nachträglich noch zweimal totgeschlagen werden: als Gott und als Mensch.
    Die gesamte Geschichte der Verweltlichung läuft über den Naturbegriff.
    Die Übersetzung von Nachfolge mit „imitatio“, ein Wort, das wiederum mit Nachahmung und nicht mit Nachfolge übersetzt werden müßte, liegt genau in der blasphemischen Tradition der dogmatischen Theologie. Hier wird die in Selbstmitleid gründende und Selbstmitleid produzierende Leidensmystik initiiert, die das reale Leiden in der Welt dem Blick und der Reflexion entzieht, die Reinheit der Sensibilität in die unreinen Gefilde der Empfindlichkeit transponiert und so das Gefühl (den Statthalter der inertia, der Trägheit im Subjekt) begründet, indem sie es demoralisiert. Die Empfindlichkeit ist Grund und Produkt der Sprachverwirrung (wäre an Kohl und der Kopenhagener Schule zu demonstrieren: beide stehen in der nominalistischen Tradition, sind Produkt der Unfähigkeit, sie durch Reflexion wieder sprachfähig zu machen).
    Steht nicht die politische Nutzung von Sprachregelungen in einer Tradition, die ebenfalls theologischen Ursprungs ist, nämlich in der der Apologetik? Es gibt heute einen katholischen Positivismus (eine „Wissenschaftsgläubigkeit“), der die Autorität, den letzten, verwesenden Rest des Dogmas, mit Mitteln rechtfertigt, die die Fähigkeit zur Sprachreflexion im Grunde destruiert, die verhindert, daß das Wort nicht leer zu ihm zurückkehrt.
    Kohl steht in der katholischen Tradition, die soweit ist, daß sie auch des Prinzips der Rechtfertigung entbehren kann. Das „Aussitzen“ Kohls ist ein Teil seiner Fähigkeit, mit der Methode des „Haltet den Dieb“ schon im vorhinein alle die Stellen zu besetzen, von denen der Angriff kommen könnte (von denen die Rechtfertigungszwänge ausgehen können). Es ist diese Herrschaft über die Definition der Mittel der politischen Auseinandersetzung, die ihm die Vorteile des Igels verschafft, der immer sagen kann „Ick bün all do“, während der Hase SPD sich die Seele aus dem Leibe läuft. Kohl braucht nur sitzen zu bleiben, um immer da zu sein, wo andere hinwollen.
    Hat es eigentlich nicht immer schon diese Korrespondenzen in der Politik gegeben, die an Figuren wie
    – Stalin und Hitler,
    – Adenauer, Pius XII,
    – Kennedy, Chruschtschow, Johannes XXIII, Brandt,
    – heute an Kohl, Johannes Paul II, Gorbatschow und Jelzin, Reagan und Bush
    sich festmachen läßt?

  • 06.05.93

    Apologetik ist zur Karate-Theologie geworden.
    Die „Privatisierung“ staatlicher Unternehmen wie Post und Bundesbahn ist eigentlich eine Vergesellschaftung. Gibt es eigentlich noch Privateigentum, ist nicht alles Eigentum, und mit ihm die Institution des Privaten selber, durch die Dynamik der ökonomischen Entwicklung vergesellschaftet worden in dem Sinne, daß es anonymisiert und zum Prototyp der Macht geworden ist, der wir alle unterworfen sind und von der wir alle abhängen? Sind nicht alle nur noch „Angestellte“, die die Maschinerie bedienen, die sie mehr oder weniger ausreichend ernährt?
    Gehorcht nicht auch die Wissenschaft dem Gesetz des Aufdeckens der Blöße (zum Begriff der Öffentlichkeit), und bezeichnet nicht der Objektbegriff aufs genaueste diese Blöße? Dann wäre eine „objektive“ Theologie Instrument der Aufdeckung der Blöße Gottes, das aber heißt: gegenstandslos (wie die Trinitätslehre, die durch den Begriff der Zeugung den Objektcharakter in der dogmatischen Theologie konstituiert und begründet).
    Indem die Naturwissenschaften vom Gesehenwerden abstrahieren (sich der subjektiven Form der Anschauung unterwerfen und das Licht verdinglichen), verfallen sie ihm, unterwerfen sie sich, ohne es zu wissen, dem Gesetz der Dingwelt. Darin ist die Totalisierung der Scham begründet, die in den Objekten sich im Begriff der Materie manifestiert.
    Die Materie-Form-Philosophie war einmal eine Handwerker-Philosophie, sie ist heute zur Industrie-Philosophie geworden.
    Die Übersetzung des zentralen Begriffs in Joh 129 mit „hinwegnehmen“ hat die benennende Kraft der Sprache zerstört: den Logos endgültig gekreuzigt. Sie hat die Theologie instrumentalisiert, sie zum Herrschaftsmittel gemacht, und in ihr das Trägheitsprinzip installiert. Das „Auf-sich Nehmen“ in Joh 129 ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben: der Kern des Nachfolgegebots.
    Das waw (in der Kabbala Symbol der sechs Richtungen des Raumes), ist das nicht das Oh oder die Klage?
    Das Dogma und die es beherrschende Bekenntnislogik sind Feigenblatt und Rock aus Fellen zugleich.
    Ist nicht das „Projekt Moderne“ (der Begriff scheint aus der Habermas-Schule zu kommen) falsch säkularisiertes Christentum: die Verdrängung der Vergangenheit.
    Es geht nicht darum, ob der Papst die Pille erlaubt oder verbietet, eher schon um die Lösung der Zölibatsfrage, zentral aber wäre, innertheologisch zu begreifen, daß die Erbsünde nicht über die sexuelle Lust, sondern über die Urteilslust sich fortpflanzt (über die Unfähigkeit zur Schuldreflexion). Diese Urteilslust wird z.B. in der kasuistischen Moral genährt (und macht nicht unerhebliche Teile der katholischen Sexualmoral so unerträglich pornographisch). In jeder Urteilslust steckt ein Stück jener Empörungslust, die die Struktur des Begriffs und seiner Genesis mit bestimmt, und die der Grund des projektiven Anteils in jeder Erkenntnis und das Medium des Schuldverschubsystems ist. Den evangelischen Rat der Keuschheit und die Sexualmoral insgesamt auf die Urteilslust beziehen, das macht die Geschichte der Urteilslust (die Hegelsche Geschichte des Begriffs) als Teil der Geschichte der Scham durchsichtig; sie läßt sich studieren anhand der Geschichte des Naturbegriffs. „Wenn die Welt euch haßt“: Ist der Naturbegriff nicht der projektive Indikator dieses desensibilisierten „euch“ (und ist dieses „euch“ nicht der Moloch, dem die Kinder geopfert werden)? Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ drückt das aufs genaueste aus, während Habermas‘ denunziatorische Verfälschung des Zitats, seine Einschränkung auf die „gequälte Natur“, zur Strategie der Neutralisierung des in der Dialektik der Aufklärung erreichten Stands der Reflexion gehört.
    Theologie im Angesicht Gottes: Ist das nicht Theologie als Erinnerungsarbeit, als gesamtgesellschaftliche und geschichtliche Gewissenserforschung?
    In den subjektiven Formen der Anschauung gewinnt die Vergangenheit Gewalt über unsere Erfahrung, unsere Erkenntnis, unser Denken.

  • 05.05.93

    Nach dem Sohar (Diederichs-Ausgabe, S. 232) ist Brot Symbol der Rechten (der Gnade) und Wein Symbol der Linken (des Gerichts, der Strenge). Vgl. hierzu Melchisedech, die Geschichte Josephs im Gefängnis (mit dem Weinschenk und dem Bäcker des Pharao), aber auch die Geschichte vom Abendmahl, die eine andere Bedeutung gewinnt, als die Kirche ihr in der Transsubstantiationslehre zugesprochen hat. In Emmaus hat Jesus nur das Brot gebrochen (daran haben die Jünger ihn erkannt), während er beim Abendmahl den Wein sich aufbehalten hat bis zur Wiederkunft. Löst sich hier das gräßliche Entsühnungskonzept auf (bis hin zu den Stellen im Hebräerbrief)?
    „Denn wäre das Salz nicht, so könnte die Welt das Bittere nicht ertragen“ (ebd., S. 233). Dazu: Ihr seid das Salz der Erde.
    Ist das Gewölk die Schechina (Sohar, Ausgabe Scholem, S. 83)? -Der Menschensohn wird „auf den Wolken des Himmels“ wiederkommen.
    Beachte den Zusammenhang von Waw, et und ata (sechs, und, du).
    Der Weltbegriff bezeichnet nicht nur die Zivilisationsschwelle, sondern an ihm scheidet sich der Begriff der Erkenntnis in der Theologie. Die Kritik des Weltbegriffs ist der Kern der Dogmenkritik, und zwar als Beginn einer Scheidung im Dogma selber: der Befreiung der Wahrheit.
    Die Ich-Schwäche bedarf des Bekenntnisses, und das Bekenntnis stabilisiert die Ich-Schwäche (durch Hypostasierung der Welt). Im Fremdenhaß kulminiert und explodiert die Bekenntnislogik.
    War die Vätertheologie ein Produkt der Hellenisierung, so war die Scholastik ein Produkt der Islamisierung des Christentums.
    Jesus hat den drei Versuchungen widerstanden, die Kirche ist ihnen in der Folge der drei Leugnungen erlegen, bis hin zur Selbstverfluchung:
    – Die Herrschaftsversuchung (Konstantin und die Entwicklung des Dogmas),
    – die Versuchung, Steine in Brot zu verwandeln (die sakramentale, insbesondere die eucharistische Versuchung),
    – die letzte Versuchung, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen (die babylonische Versuchung).
    Im Gegensatz zur Empfindlichkeit ist Sensibilität nur noch im Kontext der Gottesfurcht rekonstruierbar.
    Das Kapitel aus der Phänomenologie des Geistes über Herr und Knecht paßt nur auf das Verhältnis des Bürgertums zum Feudalismus, nicht auf die Beziehung des Proletariats zum Kapitalismus.
    Ist das Proletariat die Arbeiterschaft, wird hier nicht der Begriff gleichsam positivistisch eingeschränkt. Sind nicht alle Nicht-Eigentümer Proletarier, und deshalb der sich durchsetzende Kapitalismus die Hypertrophie der herrenlosen Knechtsgesinnung (oder die Vergesellschaftung des Herrendenkens)?
    Die Welt ist es, die kreuzigt, und die Natur ihr Opfer, aber ohne Ausblick auf eine Auferstehung. Hat eigentlich je schon jemand an die Auferstehung geglaubt?
    Erst mit ihrer Entkonfessionalisierung wird die Wahrheit aus der Lähmung durch den autoritären Bann befreit.
    Armut, Gehorsam und Keuschheit, sind das nicht Aufforderungen, den Ursprung des Geldes, der Schrift und des Staates endlich zu begreifen?
    Das Prinzip der Neutrumsbildung (und damit des Ursprungs des Weltbegriffs und der indogermanischen Sprachen) ist der Staat.

  • 04.02.93

    Erinnert das im zweiten Kapitel des ersten Teils des „Beschreiben …“ angesprochene Problem nicht an das Problem der Autorenschaft insbesondere in der apokalyptischen Literatur (aber auch beim Pseudo-Dionysius und beim Sohar), das sich, wie vielleicht das Fälschungs-Problem im Mittelalter und das Chronologie-Problem insgesamt, nicht mehr unter dem Titel Fälschung erledigen läßt? Die Authentizität eines Werks kann nicht immer daran gemessen werden, ob sich der Autor zu seinem Werk „bekennt“. Umgekehrt: Setzt dieses „Bekenntnis“ nicht eine Identität der Person voraus, die an die der subjektiven Formen der Anschauung (an die Einheit des Ich denke, bei der heute zu fragen ist, ob sie der Idee der Wahrheit noch standhält) gebunden ist und mit dieser steht und fällt.
    Reproduzieren sich nicht angesichts von Auschwitz die theologischen Probleme, in die sich die christliche Theologie nach der Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Kreuzestodes verstrickt hat?
    Zeitunglesen: das allmorgendliche Drachenfutter, weltlicher Exorzismus gegen die Gewalt der nächtlichen Träume.
    Ist die Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern nicht auch eine Form des Erkanntwerdens in dem Sinne, in dem es heißt, daß Adam sein Weib erkannte?
    Die Auflösung des Banns der Vergangenheit ist die Auflösung des Wissens durch erinnerndes Erkennen. (Hat das Prädix er- etwas mit der dritten Person sing. masc. zu tun?)
    Zum „Laß den Kelch an mir vorübergehen“: heißt das, er möge es mir ersparen, ihn trinken zu müssen? Und wie heißt das Vorübergehen im Griechischen?
    Die affirmative Rezeption des Weltbegriffs war erkauft mit der Versteinerung der Kirche. Und war das nicht vorbezeichnet im Namen des Kephas?
    Motive, die Adornos Interesse geweckt haben, waren wohl:
    – daß die Verwirklichung der Utopie sich daran messen läßt, daß es des Ich nicht mehr bedarf;
    – daß die gesamte Natur noch unter einem Bann steht; und
    – daß der Ursprung der Philosophie der Verinnerlichung des Schicksals sich verdankt.
    Hat sich nicht das gesamte Realitätsverständnis verändert, als physis mit natura und kosmos mit mundus übersetzt wurde?
    Wenn Prophetie Herrschaftskritik ist, dann ist – nach der Vergesellschaftung von Herrschaft – Erkenntniskritik die letzte Gestalt ihrer Verkörperung.
    Welchen Wert hat die Taufe, wenn sie nicht die Erinnerung an den Täufer in sich enthält: an das „Kehret um, denn das Himmelreich ist nahe“ und das „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt“

  • 14.10.92

    Nach dem Sohar sind Tohu und Bohu der Abgrund (mit der Finsternis darüber) und die Wasser (über denen der Geist Gottes brütet).
    Die Kirche ist das steinerne Herz der Welt; aber garantiert dieses steinerne Herz, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen? Vgl. Ranke-Graves: Hebräische Mythologie, S. 52f.
    Adorno hat einmal festgestellt, daß Philosophie heute deshalb von den Studenten nicht mehr verstanden werde, weil sie aus jedem Satz nur noch heraushören, wofür oder wogegen er sei. Ich glaube, das drückt aufs genaueste aus, was das Bild vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen im Zusammenhang mit dem Sündenfall bezeichnet.
    Der gordische Knoten war der Knoten, mit dem das Joch an die Deichsel des Ochsenkarrens gebunden war. Was ist das Joch, und was ist die Deichsel?
    Man kommt der Sache näher, wenn man die transzendentale Logik, den transzendentalen Apparat insgesamt, als eine Gottesfurcht-Vermeidungs-Maschine begreift. Zentrale Bedeutung bei dem Versuch, das zu reflektieren, hat der Weltbegriff.
    Die Idee der Schöpfung ist eine apokalyptische Idee. Das transzendentale Subjekt muß sich über den unendlichen, tantalischen Prozeß an das unerreichbare Ende der Zeit setzen, um die Vergangenheit als Totalität und sich als Subjekt (d.h. die Welt als Deckel auf der toten, vergangenen Natur) konstituieren zu können. Das Instrument, mit dessen Hilfe das allein gelingt, ist die Mathematisierung des Raumes (die Reversibilität der Richtungen und die Orthogonalität ihrer Beziehungen); das impliziert die Vernichtung der Schöpfungsidee und hat die Konstituierung des Objekt- und Materiebegriffs zur Folge (das „Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden“, zu dem gleichen Staub, den die Schlange frißt, von dem sie sich nährt: das Objekt steht in einer – durch das Ende der Zeit vermittelten – orthogonalen Beziehung zum Begriff; Orthogonalität als Kern der Urteilstheorie, Zentrum der Ontologie und der Orthodoxie, Grund der „verandernden Kraft des Seins“). Vorbild dieser ebenso verhängnisvollen wie skandalösen Erkenntnisbegründung ist die Dogmatisierung des Bekenntnisses (und ihres Kerns: die Entfaltung der Trinitätslehre, der Christologie und der Opfertheologie), die Begründung der Orthodoxie. Ist Petrus der Stein, der hier zu Staub zermahlen wird?
    Die Lauretanische Litanei wäre mal wieder neu zusammenzustellen. Erhalten bleiben würde allein Maria Magdalena (die „Büßerin“), alle anderen, vom Sanctus Karl (Marx) über Sanctus Sigmund (Freud) und Sanctus Albert (Einstein) zu den Sancti Martyres Franz (Kafka und Rosenzweig) und vom Sanctus Walter (Benjamin) zu den Sancti Max et Teddy (Horkheimer und Adorno) kämen neu hinzu.
    Wenn Nietzsche die jüdische und christliche Religion als Sklavenreligion denunziert, so hat er damit einen realen Sachverhalt sehr präzise beschrieben: die zentrale Bedeutung des Knecht-Gottes-Motivs. Aber dieses Knechtsein ist der Grund der Freiheit, dessen, was Autonomie bloß meint, nicht erreicht. Nicht zufällig läßt die Denunziation als Sklavenreligion keinen anderen Ausweg als den in die Lehre von der Ewigen Wiederkehr des Gleichen und in den Willen zur Macht. Beide zementieren den Deckel, mit dem die Vergangenheit endgültig verschlossen wird.
    Die Ängste, die die ersten Meldungen über die Greuel des Judenmords nach dem Krieg in Teilen der katholischen Bevölkerung ausgelöst haben, und die sich in Sätzen wie: „Das wird sich einmal rächen“ ausdrückte, scheinen sich heute im Zustand der katholischen Theologie in Deutschland, in der Verwirrung, der Konfliktunfähigkeit und den nicht mehr auflösbaren Problemen, zu erfüllen.
    Enthalten nicht die bei Neonazis so „beliebten“ Gräber- und Friedhofschändungen eine andere Bestätigung des franziskanischen Satzes „Unus daimon plus scit quam tu“? Schon im NT waren es die Dämonen, die ihn als erste erkannten.
    Das Problem des Lachens hängt mit dem des Bekenntnisses, und beide mit dem Realgrund der Dämonenlehre zusammen.
    Jedes Urteil partizipiert am Weltgericht: Das Sein ist der Inbegriff dieser Partizipation (Antizipation des Endes der Zeit, das das Prädikat, den Begriff, vom Objekt trennt). Die Begriffe Welt und Natur konstituieren sich zusammen mit dem des Wissens („nur Vergangenes wird gewußt“), und alle drei sind Abkömmlinge der Schicksalsidee.
    Das Sein, die Kopula im Urteil, trennt und verbindet Begriff und Gegenstand ähnlich wie die Orthogonalität die Dimensionen des Raumes, seine Beziehung zur Zeit und die Beziehung beider zur Materie. Auch die Begriffe Welt und Natur stehen in einer Art Orthogonalitätsbeziehung (wie Raum und Zeit). Erst die Naturwissenschaft, dieses System von Orthogonalitätsbedingungen (zu denen vorab das Inertialsystem und die Erhaltungssätze gehören), hat die Ontologie begründet. (Welche grammatische Funktion haben die Hilfszeitverben Sein, Werden und Haben, und welche Beziehung zu Raum und Zeit drückt sich ihnen aus?)
    Das Dogma vom Bann des Inertialsystems befreien: Das tollere (qui tollit) kann im Hinblick auf die peccata mundi als Hinwegnahme verstanden werden, wenn es futurisch, nicht als Bezeichnung einer schon abgeschlossenen Handlung, verstanden wird. Das Gleiche gilt für die Opfertheologie: Mit dem futurischen Sinn ist das Nachfolgegebot in beide mit hereinzunehmen. Unter dieser Voraussetzung wird auch die Mysterientheologie Odo Casels sinnvoll und verständlich, wenn sie nicht als Mysterium der Wiederholung einer vergangenen Handlung, sondern als Mysterium einer noch nicht abgeschlossenen, noch nicht vollendeten Handlung verstanden wird. Und das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ kann nur unter Einschluß des Nachfolgegebots richtig verstanden werden, nicht als folgenlose Erinnerung. Denn daran kann kein Zweifel sein: Diese Welt ist nicht so, daß man auch nur mit dem geringsten Schein von Recht von ihr sagen könnte, die Schuld sei bereits von ihr hinweggenommen. Aber ohne die Hinwegnahme der Sünde der Welt ist auch die Erlösung der Menschen nicht denkbar. Darin liegt die unermeßliche Bedeutung des Täufersatzes (sowie der Gethsemanegeschichte und des Satzes „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“).

  • 07.10.92

    Zu den sieben Siegeln der Apokalypse: Welche Funktion hatten in jener Zeit die Siegel (Zeichen der Teilhabe an der Macht des Königs, persönliche Bekräftigung der Geltung eines Vertrages, eines Dokuments), lag sie nicht zwischen Unterschrift und Personalausweis? In welcher Beziehung standen sie zum Eigennamen? Haben die Öffnung (das Brechen) des Siegels und die Lösung eines Knotens (eines Problems, eines Rätsels) etwas miteinander zu tun? Ist nicht der Begriff des Begriffs und sind die damit zusammenhängenden, davon abgeleiteten Begriffe wie Raum und Zeit, Welt, Natur, Materie, Person, Bekenntnis nicht alle Siegel (die die Wahrheit versiegeln)?
    Es gibt keine Erklärung der Gemeinheit ohne Zuhilfenahme der Antisemitismus-Analyse.
    Ist nicht auch das Marquardtsche Votum für Israel, das Leute wie Micha Brumlik und Edna Brocke so anspricht, zwar wahr, aber zugleich konkretistisch entstellt (etwas, woran man sich halten kann)?
    Ich bin garnicht so ganz sicher, ob die Natur die Menschen überlebt, ob das nicht ein Schein ist, den die Natur selber erzeugt (der gleiche Schein, aus dem in der Hegelschen Logik das Wesen hervorgeht). Welt und Natur sind Momente in der Generationenbeziehung, sind Momente im Kontext der Genealogien (auch der Schöpfungsbericht gehört zu den toledot). Das auf eine Formel gebracht zu haben, ist die Bedeutung der Trinitätslehre. In ihrer dogmatischen Gestalt ist die Trinitätslehre das Siegel, mit dem die Schöpfung zu Welt und Natur verschlossen wurden. Von innen begriffen, und d.h. von ihrer dogmatischen Umhüllung befreit, wäre die Trinitätslehre der Beginn des Kommens der zukünftigen Welt.
    Die jüdische Mystik, die Kabbalah, ist Schöpfungsmystik, die christliche müßte Auferstehungsmystik sein.
    Israel ist der Augapfel Gottes, Teil seines Angesichts, sein verletzlichstes Teil. Aber die Kirche bewacht und hütet das versteinerte Herz der Welt.
    Die Patriarchen: Marx, Freud und Einstein; die Sühne Jakobs: Cohen, Rosenzweig, Lukacz, Bloch, Benjamin, Scholem, Horkheimer, Adorno, Kafka, Kraus, Schönberg (wer fehlt noch?).
    Die Instrumentalisierung des Opfers in der christlichen Opfertheologie, die Verdrängung der Täufer-Theologie (durch die falsche Übersetzung des tollere): der Versuch, die Wunde ohne den Schmerz zu haben, Ursprung der Anästhesie.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, Raum und Zeit, sind Abkömmlinge und Repräsentanten der invisible hand in unserem eigenen Innern. Die Umkehrbarkeit der Richtungen im Raum gehört zu den Prämissen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die dann aber am Ende zu Protest gehen, nämlich mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Und das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages, ist auch die erste Manifestation der Umkehr und der Beginn der Erschaffung des Angesichts, das am sechsten Tage mit dem Menschen im Bilde Gottes, als sein Ebenbild, als Mann und Frau erschaffen wird.
    Die Naturwissenschaft gehorcht dem Prinzip des Von allen Seiten hinter dem Rücken, sie ist der Inbegriff der Ausweglosigkeit.

  • 01.09.92

    Im Futur II verletzt die Sprache das Bilderverbot (oder sie transzendiert es, wie im Christentum).
    Haben Natur und Welt etwas mit dem Ja und Nein bei Rosenzweig, in der Konstruktion des „Stern der Erlösung“, zu tun? Dann wäre das Nein die Welt?
    Der Naturbegriff ist nach dem Verfahren der Rosenzweigschen Konstruktion nur durch die Umkehr hindurch auf die Theologie zu beziehen. Und die Rezeption des Naturbegriffs in der dogmatischen Theologie war der Sündenfall, oder zumindest ein Indiz des Sündenfalls der Theologie.
    Rousseau, der dem modernen Naturbegriff die Bahn freigemacht hat, hat zugleich seine Funktion kenntlich gemacht: Die Parole „Zurück zur Natur“ war motiviert und begründet im Zusammenhang der Flucht vor den Zwängen und Pflichten der Welt, dem Versinken in den Schuldzusammenhang. Genau darin lag die Verführungskraft der Rousseauschen Parole (und des Naturbegriffs seitdem).
    Merkwürdige Parallele zwischen den drei Verleugnungen und den drei Stufen der correctio fraternae, der „brüderlichen Zurechtweisung“. Relativiert oder widerlegt nicht gar die Geschichte der drei Verleugnungen die Regel der correctio fraternae?
    Die drei Verleugnungen (ihre objektive Strukturfolge) in der Geschichte der Schrift nachweisen (Kanon, Reflexion, „Sekundärliteratur“ als Ersatz der Kritik). Die Sekundärliteratur zerstört die Literatur (die Schrift) von innen; und diese Selbstzerstörung hat auch noch ihr Referenzfeld (in der Geschichte der Naturwissenschaften) und ihre Geschichte (und diese hat – im deutschen Idealismus – die kanonische Gestalt ihrer Selbstreflexion).
    Die zweite Stufe der Verleugnungen, das ist die des Zuschauers, der die Dinge von der Seite (oder von hinten) betrachtet (die Stufe der moralischen Neutralisierung des Subjekts durch die „Theorie“). Die dritte Stufe ist die des barbarischen Umschlags des Zuschauens von außen nach innen, Ursprung des barbarischen Innen. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Hier lernten sie es, sich in den Augen der Anderen (der Zuschauer) zu sehen, und das ist wohl immer noch der schwierigste Punkt im „Sozialisationsprozeß“ (Ursprung des Weltbegriffs und der Scham, deren Geschichte in die des Weltbegriffs verflochten ist). Hegels Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“ ist ein spätes Echo des biblischen Satzes „Und sie erkannten, daß sie nackt waren“.
    Die Konstituierung des Bewußtseins einer (quasiräumlichen) homogenen Zeit, die grundsätzlich mit dem Erwachen des historischen Bewußtseins, endgültig aber erst mit der Konstituierung des Inertialsystems sich durchsetzt, verdankt sich dieser „Seitenansicht“ der Dinge; historisch fällt sie zusammen mit den kosmologischen (astronomischen) Konzepten der Antike und der Moderne.
    Der Begriff der trägen Masse konstituiert sich in der gleichen Bewegung, in der auch die Fallgesetze und die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts entdeckt werden.
    Der Begriff der Materie konstituiert sich im Kontext der „Seitenansicht“ der Zeit.
    Die Ableitung der Mikrostruktur der Materie aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit müßte bis zu dem Punkt möglich sein, an dem der Nachweis sich führen läßt, ob die mathematische Ableitung der mikrophysikalischen Naturkonstanten (Plancksches Wirkungsquantum, Elementarladung, Masse des Protons und Elektrons) möglich ist.
    Der Weltbegriff verdankt sich der Verinnerlichung des Opfers (oder auch: der Verinnerlichung des Schicksals). Und genau hier ist der Punkt, an dem sich die Beziehung zum Wort von Übernahme der Sünde der Welt durchsichtig machen läßt. Die Differenz zwischen der Hinwegnahme und der Übernahme der Sünde der Welt ist der Unterschied ums Ganze (Ursprung und Funktion der Opfertheologie, Zusammenhang der Opfertheologie mit der Konstituierung des Weltbegriffs; Naturbegriff als Inbegriff der nichtübernommenen Schuld). Die „Hinwegnahme“ ist der Grund der Ideologie, die das Christentum bis heute daran gehindert hat, sich selbst zu begreifen. Und die Geschichte dieser (bewußt- und hilflosen) Selbstbehinderung ist die Geschichte des Kampfes zwischen Orthodoxie und Häresie, die es ohne die Opfertheologie so nicht gegeben hätte.
    Mit dem Bischofsamt, im Amt des „Aufsehers“, wurde die Seitenansicht der Dinge in die Struktur der Kirche, in ihre hierarchische Struktur, mit installiert. Zusammenhang der Ämter in der frühen Kirche: Apostel, Diakon, Priester (Älteste) und Bischöfe (Aufseher).
    Ist die Hiob-Stelle, die in der Kabbala auf die dreifache Seelenwanderung bezogen wird, vielleicht auf die dreifache Leugnung zu beziehen?
    Die Konstruktion des Dualis im Hebräischen (mizraim, überhaupt die Endung im, z.B. in majim, schamajim, elohim u.ä.)?

  • 04.07.-13.07.92

    Krankenhausaufenthalt:
    Ist nicht der Weltbegriff Produkt der Verletzung des gesamten Dekalogs (insbesondere des 4. und 8. Gebots)?
    Die Opfertheologie, die Vorstellung von der Wiederholbarkeit des einen Opfers, hat die christliche Theologie an den Mythos gebunden. Der Preis war die Vergöttlichung des Geopferten (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs).
    Gesellschaftlicher Zusammenhang von Schuld: Täter – Opfer; Vater (Herr) – Sohn (Knecht); Schuld/Schulden; Schuld – Bekennntis -Rechtfertigung; Schuld gibt es nur vor jemandem (vor Gott); kann Robinson schuldig werden? Schuld ist ein gesellschaftliches Phänomen, auch als ontologisches.
    Vermittlung des christologischen Naturbegriffs durch den modernen Kunstbegriff (W.B. I 1, S, 64 – Novalis). Bedeutung des Naturschönen.
    Ist nicht die Religion gleichsam der verwesende Rest des mythischen Opfers, sein christlicher Umkehrpunkt das Martyrium (Zeugenschaft)? Verinnerlichung des Opfers im Bekenntnis (mythischer Ursprung des Bekenntnisses: Notwendigkeit einer letzten Summa contra gentiles).
    Außen und Innen: Auch die Funktionalität der modernen Architektur steht unterm Primat des Außen (Rasenmäher und Plätschern beim Krankenhaus nur für den zerstreuten Besucher (Betrachter), aber gegen die Bedürfnisse der Patienten, die ohnehin nur Objekte sind – Gewöhnung als Gewöhnung ans Objektsein, an die Entmündigung, die die Ärzte bereits voraussetzen – Ansätze beginnender Paranoia).
    Im Krankenhaus die Bedeutung des Satzes erfahren: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Hölle des Selbstmitleids).
    Die Stationsärztin, die bis heute kein Wort mit mir gesprochen hat, erklärt an meinem Bett mit allen Details meinen „Fall“ dem Chefarzt: So erfährt man, wie es um einen steht (vgl. die zweite Leugnung Petri).
    Außen und Innen: Naturwissenschaft als Produkt der Veräußerlichung und Verinnerlichung des Kosmos zugleich (= Weltanschauung). Das Innen ist das Außen des Außen.
    Ist nicht der Begriff der Weltanschauung im Sinne eines Genitivus subjectivus zu verstehen (Welt als Subjekt, nicht Objekt der Anschauung)? – Aus diesem Grund gibt es Weltanschauungen nur im Plural.
    Ist nicht die Anschauung die Leugnung des Angesichts?
    Erst die durchinstrumentalisierte Welt ist frei für nicht mehr kritisierbare subjektive Zwecke; sie ist „ideologiefrei“, weil es jedem offen steht, in ihr seine Interessen und Zwecke zu verfolgen. Hierbei wird nur die „Kleinigkeit“ übersehen, daß diese „Offenheit“ nur für den geringeren Teil der Menschheit real und gegeben ist; für alle anderen ist sie eine geschlossene Welt, ein Gefängnis, ein Irrenhaus, Grund des universalen Hospitalismus (Verhältnis von Raum und Geld!).
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes und das Tauschparadigma verdrängen den Widerspruch (kein Reichtum ohne Armut, keine Materie ohne Energie).
    Pharao, das „große Haus“: Hängt der Name des Pharao mit der geschichtsphilosophischen Bedeutung des Hauses (der Architektur mit dem Toten im Innern) zusammen? Ist das „Haus des Seins“ pharaonisch und ontologisch (der babylonische Turm hingegen instrumental)?
    Benjamin zufolge können „Gestalten keiner Dichtung je der sittlichen Beurteilung unterworfen“ sein (I 1, S. 133). Gilt das nicht mit fortschreitendem Objektivationsprozeß auch bereits für die Lebenden?
    S. 189: „von Haus aus“.
    Pharao: Haben die Juden sowohl die institutionellen Grundlagen (Josef) als auch die äußere, architektonische Realisierung des Pharaonentums (das Sklavenhaus) geschaffen? Ist der Josef-Roman das früheste Dokument der Dialektik von Herr und Knecht (aber anders als die Hegelsche)?
    Walter Benjamin I 1, S. 332f: Der neudeutsche Kult der Trägheit des Herzens (acedia).
    Rührt Benjamins Theorie der Allegorie nicht auch an den Ursprung der Schrift (S. 339f, 351)?
    Schrift und Vergesellschaftung: Mit der Schrift beginnt die Zivilisation (Modell und Ursprung der Beziehung von Begriff und Gegenstand, des Objektivations- und Vergesellschaftungsprozesses).
    Schlange als Bild der Zeit (S. 346): Seid klug wie die Schlangen.
    Benjamin II 1, S. 351: die „fallende Sucht“; wie verhält sich die Epilepsie zum Mond und zur Mutter?
    S. 352: Dummheit und Bosheit bereits Grundlage der herrschenden Politik, der Herrschaft überhaupt (keine Alternative dazu?). Der subjektlose Gemeinheitskern der Öffentlichkeit: Ontologie der Strudel, in dem die Moral versinkt.
    Ist die Eucharistie nicht mehr nur Zeichen, sondern bereits Ersatz der Nachfolge? Bezieht sich darauf der Satz vom Zusammenhang des unwürdigen Essens mit dem Gericht (1 Kor 1127)?
    Die islamische Polygamie verweigert die Erfahrung des ehelichen Konflikts ebenso wie die Verarbeitung dessen, worauf sich das vierte Gebot bezieht (den Ödipuskonflikt).
    Sabotiert der Islam (die Ergebung in den „Willen Allahs“) die Spontaneität und die Aufmerksamkeit?
    Ist der Islam die verdinglichte Version des jüdischen „Monotheismus“ (die jüdische Religion als Fall), und deshalb gleichsam „von Haus aus“ fundamentalistisch? Kein Ausweg aus dem Sexismus (Pascha: Herrschaft und Selbstmitleid)? Islam als Gottesfurcht-Vermeidungsstrategie, als scheinhafter Ersatz der Gottesfurcht?
    Ist der Islam nicht auch Ausdruck einer erschütternden Hilflosigkeit (wie jeder Fundamentalismus, und jede zum Terrorismus neigende politische Bewegung, einschließlich der durch den unaufgearbeiteten Faschismus bestimmten herrschenden Politik)? – Läuft nicht die Art, wie die Kinder des Pakistani ihrem Vater jeden Wunsch erfüllen, noch bevor er ihn überhaupt äußern kann, auf eine ganz sublime Entmündigung (Infantilisierung) des Vaters hinaus? Er ist nicht mehr fähig, die einfachsten Dinge selbst zu tun. So rächt sich die Familie an ihrem „Oberhaupt“. (Oder: Die arme, klagende Kreatur rächt sich für das, was ihr angetan wurde, an ihrer Umwelt.)
    Der Islam scheint eine Erlösung der Welt nicht zu kennen (deshalb der Freitag als Wochenfeiertag: der Tag vor dem Sabbat). Der Islam kennt Erlösung nur als individuelle Erlösung (Belohnung oder Bestrafung); deshalb ist er mehr noch als das Christentum auf die unerlöste Sexualität (und damit an die Frauenfeindschaft) fixiert. Paradigma der Erlösung ist die unio mystica oder die Rückkehr ins Paradies (den Garten mit den Flüssen) als reine Regression. Wenn die Welt nicht erlösbar ist, ist es auch die Frau nicht (Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem Patriarchat und der Frauenfeindschaft).
    Vgl. hierzu die Entrüstung, mit der der Autor von „Jesus starb in Indien“ auf die Salbung Jesu durch eine „Prostituierte“ reagiert (überhaupt die Empfindlichkeit gegen „Schande“, gegen eine Beeinträchtigung des Rufs, des öffentlichen Ansehens: deshalb darf Jesus nicht am Kreuz gestorben sein.)
    Zusammenhang von Nationalismus und Befreiungsbewegungen:
    – Konsequenz daraus, daß es ohne Geldwirtschaft (als subjektiver und objektiver Nationalitätsgrund) nicht geht, der Sozialismus hieran seine Grenze findet.
    – Grund des Wiederauflebens religiös-politischer Kräfte (Nordirland, Islam, Jugoslawien, GUS).
    – Grund für das theoretische Gewicht und die Bedeutung einer Analyse des Geld- und Bankenwesens.
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes setzt die ganze Welt unter Laborbedingungen, sterilisiert sie gleichsam, unterwirft sie dem Herrenblick, bringt das Andere zum Verschwinden.
    Mit der Verdrängung des Sterbens aus der Erfahrung schwinden die Toten aus der Erinnerung. Die Welt wird vom Sterben und von den Toten nicht mehr berührt: sie wird steril (durchs Inertialsystem zum universalen Labor).
    Der Personalismus in der Philosophie trat auf, als die Seele (und mit ihr der Gedanke der Unsterblichkeit und des seligen Lebens) aus dem Bewußtsein verdrängt wurde. Aber niemand (auch die „Gläubigen“ nicht) hat’s gemerkt, weil alle andere Ziele haben.
    Ist die Erschaffung der „großen Seeungeheuer“ der Hinweis auf die Erschaffung des Bösen? Vgl. auch Hiob: den Ankläger und Behemoth und Leviatan.
    Hat die Sara (im Buch Tobit) etwas mit Maria Magdalena zu tun (die sieben in der Brautnacht verstorbenen Männer mit den sieben unreinen Geistern)?
    Die Trennung von Begriff und Objekt, Geist und Materie, dient auch der Erhaltung und Absicherung von Herrschaft, schließt den Gedanken einer Änderung der Gesellschaft (und der Natur) vom Grunde her aus. Kein Zufall, daß jede Namenslehre in Gefahr steht, magisch mißverstanden oder mißbraucht zu werden (Beziehung der Astronomie zur Schrift?).
    Was bedeutet es, wenn die Schrift der Magie das Ende bereitet hat (Ausnahme: das Verhältnis von Kabbalah und Magie)?
    Herrschaft ist Herrschaft über die Vergangenheit. Keine Änderung ohne Änderung der Vergangenheit (Beziehung der Herrschaft zur Sternenwelt).
    Man kann nicht die Menschheit, um sie zu befreien, abschaffen. Die Wahrheit ist nicht durch Unwiderleglichkeit (gegen die Häretiker), sondern durch ihre Ausbreitungsfähigkeit (daß alle in ihr sich als gemeint wiederfinden) zu bestimmen. Die alltägliche Erfahrung, daß die Menschen über ihr unmittelbares Eigeninteresse hinaus nicht mehr ansprechbar sind, ist kein Anlaß zur Empörung, sondern zur Trauer. Empörung verwandelt auch die Wahrheit in ein Moment des gleichen bornierten Eigeninteresses, über das sie sich empört, macht sie zur Ideologie, die dann keinen anderen Weg mehr kennt außer dem der Gewalt, die die Wahrheit durch Unwiderlegbarkeit zerstört.
    Es ist ein an der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens geschulter böser Scharfsinn, der uns die Ursprünge des kirchlichen Christentums heute anders wahrnehmen läßt. Dagegen hilft keine Apologie.
    Zu Kants Bemerkung über das Verhältnis von Natur- und Weltbegriff die transzendentale Logik (Deduktion der synthetischen Urteile apriori) vergleichen: Der Ursprung der Unterscheidung und ihre Folgen sind hier ablesbar.
    In Benjamins Wort von der „Erektion des Wissens“ (I 1, S. 131) klingt sowohl die Erinnerung an der Turmbau zu Babel als auch ein Hinweis auf den Ursprung und die Geschichte der modernen Naturwissenschaften mit an. Diese Erektion des Wissens begründet den Weltbegriff.
    Gründet das Gefühl in der Trauer? (S. 139)
    Der Weltbegriff gründet in der gleichen objektiv vermittelten Abstraktion, der auch der Ursprung der Schrift sich verdankt.

  • 10.03.92

    Bedeutungswandel des Namens des Himmels im Christentum: Zusammenhang mit dem Namen des Logos und der Übernahme der Sünde der Welt? Konstitutiert sich dieser Himmelsbegriff in der Reflexion des Schuldzusammenhangs? Und wie hängt dieser Himmel mit dem empirischen Himmel (der „Feste“ und der Sternenwelt) zusammen? Ursprung der neuen Himmelsvorstellung in der Apokalypse, Zusammenhang mit der Schöpfungsidee und mit dem Weltbegriff?
    Dankbarkeit und Schuld sind Korrelate der Gnade und des Gerichts: Ist Undankbarkeit Schuld? Und ist erzwungene Dankbarkeit noch Dankbarkeit (Ursprung des Herrschaftsverhältnisses und des Schuldzusammenhangs)? – Anwendung auf das Verhältnis von Genitiv und Dativ.
    Zur Baum-Metaphorik: Unterscheidung des Baumes des Lebens vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Beide sind sprachlicher Natur, wie überhaupt Bäume mit Sprache zu tun zu haben scheinen (Erlaubnis, von den Früchten der Bäume – mit der bekannten Ausnahme – zu essen). Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen scheint die durch die Urteilsform geprägte und präjudizierte Sprache, die begriffliche Sprache, zu symbolisieren, der Baum des Lebens die Ausdruckssprache, die metaphorische, die Namenssprache (die Sprache, die ihre Wurzeln in ihrer benennenden Kraft hat, und in deren Krone die Vögel des Himmels nisten).
    Hat der Rhizynus-Strauch im Buch Jona etwas mit dem Senf-Strauch im Gleichnis Jesu tun? Auf diesen Strauch bezieht sich der Dialog, in dem am Ende Gott auf die 120000 Menschen, die rechts und links nicht unterscheiden können, und auf soviel Vieh verweist.
    Welche Bäume gibt es in der Schrift (Ölbaume, Weinbäume, Eichen, Zedern)? Nach der Kabbalah gibt es sieben Baumarten (Zusammenhang mit Schöpfung und Apokalypse, Astrologie).
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Hier ist der Ursprung des Weltbegriffs, die reinste Beschreibung des Falls, und zwar sowohl als Vorgang, als Prozeß, als auch der Bahn, auf der dieser Vorgang verläuft.
    Die Zeitdilatation ist richtungsabhängig und nicht unmittelbar auf den ganzen Raum bezogen. Bedeutung für die Frage der Chronologie, der Umkehr, der sieben unreinen Geister, der Schöpfung und Apokalypse?
    Das „Seid klug wie die Schlangen“ (griechische Tradition) ist leicht im Verhältnis zu dem „arglos wie die Tauben“ (jüdische Tradition).
    „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“: Hängt das mit der Umkehr und den sieben unreinen Geistern zusammen (vgl. auch die sieben Werke der Barmherzigkeit bei Matthäus)?
    Die Hebräer haben im Sklavenhaus Ägypten Ziegel gebrannt: wurden die Pyramiden mit Ziegeln oder mit Quadersteinen erbaut; war der Ziegelbau nicht eine Spezialität in Mesopotamien?
    Das christliche Dogma blockiert die Sprache und den Dialog auf ähnliche Weise wie das Rechtbehaltenwollen bei (nicht nachprüfbaren) Zukunftsaussagen (negative Prognosen).
    Parakletisches oder messianisches Denken vermag nicht die Schöpfung zu rekonstruieren, den Schöpfungsprozeß nachzuvollziehen, aber es reicht heran an den Ursprung des Sündenfalls (an den Grund der Sünde der Welt).
    „Ich bin das Licht der Welt“: Das Licht macht die Welt nicht durchsichtig, aber hell, und das ist möglich nur im Kontext der Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt.

  • 09.03.92

    Die Umwandlung der Welt in eine Touristikwelt nach dem zweiten Weltkrieg ist der Grund der Verniedlichung des Behemoth. Die Befassung mit der Schrift sollte mehr sein als Vergangenheitstourismus.
    Asymmetrie von Gott, Mensch und Welt: Die Grundlage der Vergöttlichungs- oder Vermenschlichungskonzepte ist die Verweltlichung.
    Kann es sein, daß die sabbatianische Bewegung (und schon ihr Vorläufer: Isaak Luria) Opfer einer Verdinglichung der mystischen Tradition ist: Opfer der Verräumlichung der mystischen Phantasie oder der Unfähigkeit, die Weltkritik und die Idee der Übernahme der Sünde der Welt ins mystische Konzept mit hereinzunehmen (Zusammenhang mit den magischen Tendenzen in der Kabbalah und mit der barocken Gestalt der Entzauberung von Herrschaft durch Privatisierung)?
    Macht, Herrschaft, Gewalt: Der Satz an der Startbahnmauer „Anarchie ist Macht ohne Herrschaft“ könnte wahr sein. Wenn Macht als Änderungskompetenz begriffen wird. – Was bedeutet der Satz „Er redete wie einer, der Macht hat“? – Herrschaften und Mächte waren einmal Teile der Engelhierarchien.
    Hängt die Bezeichnung „Barbaren“ so wie mit den Hebräern auch mit bara zusammen (d.h. mit dem Bilde derer, die „Schöpfung, Schöpfung“ stammelten)? Dann wären Barbaren diejenigen, die die Logik des Weltbegriffs nicht akzeptieren (und in der Gottesfurcht bleiben). Die Verdoppelung des bara im Begriff Barbarei ist höhnisch, nicht ironisch.
    Auch das gehört zu den großen Einsichten des „Stern der Erlösung“: Schöpfung, Offenbarung und Erlösung gehören zusammen, lassen sich nicht trennen, und alle drei Begriffe bezeichnen Vorgänge im sprachlichen Bereich. Der wesentliche Effekt des Weltbegriffs ist die Leugnung von Schöpfung, Offenbarung, Erlösung. Der Versuch, den „Glauben“ im Kontext dieser Leugnung zu erretten, zu erhalten, führt zwangsläufig ins kirchliche Herrschaftssystem.
    Was bei den Griechen die Heroen sind, sind in der jüdischen Tradition die Richter. Und der „Triumph of Irony“ ist das notwendige Mittel der Entheroisiserung (Indiz des antimythischen Charakters des Richterbuches). Den Durchbruch dieses Verständnisses erarbeitet zu haben, ist das große Verdienst Lillian Kleins.

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