Kafka

  • 18.03.94

    Auch das Lippenbekenntnis ist ein (projektives) Schuldbekenntnis: logisches Zentrum des Schuldverschubsystems. Im Bekenntnis (im Kontext mit seiner „gemeinschaftsbegründen“: politischen, ökonomischen und religiösen Gewalt) gewinnt das projektive Moment in der begrifflichen Erkenntnis seine gegenständliche Kraft. Erkenntnistheoretisch gründet das Bekenntnis in der Form der äußeren Anschauung: in der Form des Raumes, praktisch bildet es sich am Modell der Logik des Tauschprinzips.
    Die genetische Beziehung der Trennung von Ding und Sache zur mittelalterlichen Eucharistie-Verehrung gründet in der Bekenntnislogik: Durch diese Beziehung rückt die Eucharistie (und mit ihr die Opfertheologie, eigentlich das gesamte Dogma) in den Kern des gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs, wird sie zur Verkörperung der „Sünde der Welt“ („Denn wer ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht, wenn er den Leib nicht unterscheidet“).
    Wenn das Bekenntnis der unreine Geist ist, der in die Wüste geht, welches sind dann die sieben unreinen Geister, die mit ihm zurückkehren?
    Mit dem Bekenntnis (das als Produkt der Verinnerlichung der Scham sich begreifen läßt) ist die Fixierung auf die Sexualmoral mitgesetzt: So ist die Kirche in die Fundamenten des Weltbegriffs mit eingegangen und seitdem darin enthalten (und verhext auch die jüdische Tradition und den Islam, Grund des Fundamentalismus).
    Das Bekenntnis als Produkt der Verinnerlichung der Scham kehrt die Richtung der Scham um; die Blöße soll nicht mehr nur vor dem Blick der andern, sondern – nach Verinnerlichung des des Blicks von außen: des Gesehenwerdens, nach Verinnerlichung der Welt – präventiv schon vor der eigenen Wahrnehmung geschützt werden: Konstituierung des Verdrängungapparats, Ursprung des steinernen Herzens und des pathologisch guten Gewissens; dagegen hilft nur noch Umkehr als Erinnerungsarbeit.
    Durch ihre Beziehung zur Verdrängung unterscheidet sich die Bekenntnislogik von der bloßen Heuchelei: Der Begriff der Heuchelei unterstellt ein bewußtes Verbergen (gegen den Blick von außen), während die Verdrängung gegen den eigenen Blick nach innen schützen soll; dieses Verfahren funktioniert nur auf der Basis der Bekenntnislogik (die eine Form der Urteilslogik ist).
    Die „verandernde Kraft“, die Rosenzweig der Kopula „ist“ zuspricht, beherrscht die Urteilsform insgesamt: auch die Bekenntnislogik.
    Als die Deutschen nach dem Krieg den Gedanken an eine Kollektivschuld verwarfen, statt dessen (nach einem Vorschlag von Theodor Heuß) die Kollektivscham als ein der Einnerung an das Grauen angemessenes Verhalten akzeptierten, haben sie mit der Bekenntnislogik die alte Welt (den Weltbegriff und die damit verknüpften Verdrängungsmechanismen) gerettet. – „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen.“ So endet die Erzählung „Ein Landarzt“ von Kafka.
    Trifft es zu, daß es Sprachen gibt, die die Unterscheidung von Maskulinum und Femininum nicht kennen, sondern nur die von Belebtem und Unbelebtem? Welches Weltverständnis liegt diesen Sprachen zugrunde, sind sie nicht schon unter der Gewalt des Neutrums entstanden (denn die Unterscheidung von Belebtem und Unbelebtem, Organischem und Anorganischem, mißt das Belebte am Unbelebtem; dieses ist das Hypokeimenon)? Haben diese Sprachen mit den hamitischen Sprachen zu tun, sind sie „Sklavensprachen“ (Produkt der aufgedeckten Blöße des Vaters)? Und haben sie etwas mit den Geschichten von den Göttersöhnen und den Menschentöchtern zu tun?
    Ist der Name des Vaters ein Name JHWHs oder ein Name Elohims?
    Der Ursprung der Philosophie, das Verstummen der Sprache und die Barbarisierung der Welt (durch Zurichtung zur Natur).
    Die Kirche hat das parakletische, das verteidigende Denken durch das apologetische Denken ersetzt: Sünde wider den heiligen Geist.
    Steckt die Lösung der Hegelschen Philosophie in dem Satz „Schuld ist die Ehre des großen Charakters“ (der sich übrigens im Hegel-Register der stw-Ausgabe nicht findet)? Aber klingt dieser Satz nicht ein wenig wie der Satz Heideggers „Wer groß denkt, muß groß irren“?
    Schuld, Ehre und Charakter bezeichnen die Einheit des Schuld-, Verblendungs- und Herrschaftszusammenhangs.
    Käme es nicht heute darauf an, die Bewegung vom Mythos zur Offenbarung, die Franz Rosenzweig im Verhältnis des zweiten zum ersten Teil des Stern der Erlösung beschreibt, als das Modell der realen Befreiung im Christentum: der Umkehr, zu begreifen? Ist das Christentum nicht (durch die Bekenntnislogik) die ambivalente Einheit von Mythos und Offenbarung? Ist es nicht diese Einheit (die des Bekenntnisses), die heute in den Spannungen sich entlädt, die das Überleben des Christentums in seiner bisherigen Gestalt in Frage stellt? Eine Hilfe ist der Hinweis, daß in der Schrift das gewöhnlich mit „Bekenntnis“ übersetzte homologein auf den Namen (das Telos der benennenden Kraft der Sprache) sich bezieht.
    Die Materie (selber Produkt der Verinnerlichung der Scham) ist der Schwamm, der die benennende Kraft der Sprache in sich aufgesogen hat; das Bekenntnis (der logische Kern der Begriffsbildung) ist eine Ersatzbildung dafür.
    Hängt der Name der Ahnen mit den Verben ahnen (die Zukunft wird nach Schelling geahnt) und ahnden (die Schuld wird geahndet) zusammen? Vorstellbar wäre, daß mit der „geahndeten“ Zukunft (und das Ahnen gibt es gelegentlich auch in der sprachlichen Form des Ahndens) die unter die Vergangenheit subsumierte (und so in der Tat geahndete: zur Schuld verurteilte) Zukunft gemeint ist.

  • 17.01.94

    Ist die Religion Kanaans eine Händlerreligion, und die Sprache Kanaans eine Händlersprache? Und war die Hellenisierung des Christentums nicht eigentlich eine Baalisierung?
    Die Dudensprache ist ein Sekretärinnen-Sprache: autoritär, nicht mehr verständlich zu machen, positivistisch, eine Sklavensprache. Sie schließt ein reflektiertes Verhältnis zur Sprache aus.
    Die Theologie befindet sich heute in der Situation des Kafkaschen Schauspieldirektors. Aber das Wechseln der Windeln ist sicherlich nicht in jeder Hinsicht eine angenehme Tätigkeit.
    Die Vorstellung einer creatio mundi ex nihilo scheitert eigentlich schon daran, daß dieses nihil als ein Absolutes vorgestellt wird: Vorher war nichts, und dann war die Welt. Aber das nihil absolutum gibt es nur unter der Voraussetzung der Raumvorstellung: als Vorstellung des leeren Raums, des Vakuums; im übrigen gibt es die Verneinung nur als bestimmte Verneinung. Aufgabe und der Zweck der Vorstellung einer absoluten Negation ist es, die Vergangenheit zu neutralisieren, die Last der Vergangenheit abzuwerfen. Ist dieses nihil nicht ein Deckbegriff der verdrängten Vergangenheit: der abgeworfenen Last, und diese Beziehung zur Vergangenheit eine logische Voraussetzung des Weltbegriffs? Wer ist dann der creator mundi?
    Die Bemerkung von Oswald Loretz, daß zum Hosianna ein Vokativ gehört (Hilf, o Sohn Davids, nicht: Hosianna dem Sohne Davids; vgl. Mt 219 und den hier zitierten Ps 11825f), löst das Rätsel, auf das Geza Vermes hinweist. Aber was bedeutet es, wenn ein Hilfeschrei zum Lobgesang (der Gekreuzigte zum Gott) umgefälscht wird? Wie verändert sich dadurch die ganze Palmsonntags-Geschichte? Drückt in dieser Veränderung nicht ein zentrales Moment der christlichen Ursprünge sich aus? Ruft hier nicht der eine Ertrinkende dem andern zu „Rette uns“, beide gehen unter, und der Untergang des einen wird von allen andern als Erlösung verstanden?
    Die Materie trägt den Namen der Mutter; sie ist Inbegriff der Reduzierung aller Dinge auf ihr Für-anderes-Sein. Das Goethesche „zu den Müttern“ ist eine Variation des Rousseauschen „Zurück zur Natur“. Und Natur trägt die Erinnerung an die Zweideutigkeit ihres Ursprungs an sich: sie ist als physis das Gezeugte und als natura das Geborene. Die Natur ist gleichsam das entfremdete Subjekt-Objekt der Materie. Lassen sich die prophetischen Gestalten der Unzucht: die Idolatrie und die Hurerei („unter jedem grünen Baum“ und „auf jedem hohen Berg“), auf die Ursprungsgeschichte des Natur- und Materiebegriffs beziehen, die selber wiederum einer projektiven Ableitung aus der objektivierenden Gewalt der Geldwirtschaft sich verdanken? Nicht zufällig ist Kanaan das Zentrum der Bibel (das Zentrum der biblischen Kritik und Verheißung).
    Zu Jes 178, 279: Sind die kanaanäischen Ascheren und Sonnensäulen Vorbegriffe von Natur und Welt? – Vgl. Loretz, Ugarit und die Bibel, S. 85.
    Der Weltbegriff organisiert die Erfahrung in einer Weise, durch die sie apriori gegen jede theologische Erkenntnis sich immunisiert. Ein anderer Ausdruck davon ist der Satz, daß das Christentum seit den Kirchenvätern Theologie hinter dem Rücken Gottes betreibt. Erst eine Theologie im Angesicht Gottes löst den Naturbegriff auf und sprengt den Weltbegriff.
    Läßt sich die Geschichte der drei Leugnungen (und das Moment der Steigerung in der Abfolge der drei Leugnungen) nicht als die Geschichte der Verwechslung von vorn und hinten (Urschisma und Entwicklung des Dogmas, oder die Verletzung des Armutsgebots), rechts und links (Islam und Scholastik, oder die Verletzung des Gehorsamsgebots) und oben und unten (Aufklärung und Theologie, oder die Verletzung des Keuschheitsgebots), die dann in der Selbstverfluchung endet, und d.h. insgesamt als die Geschichte der Rückkehr der sieben unreinen Geister beschreiben?
    – Die Austreibung der sieben unreinen Geister,
    – die Umkehr, die den Baum der Erkenntnis in den des Lebens zurückverwandelt,
    – die Verwandlung des steinernen in ein fleischernes Herz,
    – der neue Geist, den Gott in das Innere senkt,
    – die Gotteserkenntnis, die die Erde erfüllt wie die Wasser den Meeresboden bedecken,
    beschreiben einen Vorgang, ein Ereignis.
    Die Weigerung, barmherzig zu sein „wie euer Vater in den Himmeln barmherzig ist“, ist die Leugnung des Heiligen Geistes, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird.
    Die Naturwissenschaft als Kloß im Hals der Theologie: Wird hier nicht die Theologie wie die Gans gemästet, die Christen Jahr für Jahr zu Weihnachten schlachten?

  • 14.01.94

    An der englischen Grammatik, insbesondere am Fehlen der impersonalen Satzbildungen, läßt sich ablesen, weshalb das englische Wissenschaftsverständnis empirisch ist: es gibt kein „es gibt“, wohl aber das „there is“. Hängen die Besonderheiten der Flexion im Englischen: die Neutralisierung des Artikels und des Nomens gegen Geschlecht und Kasus, aber auch der abweichende Gebrauch der Hilfsverben, und hierbei die Verwendung des Präfixes „be-“ (seine Beziehung zum Infinitiv to be), damit zusammen?
    Wie hängen die grammatischen Neubildungen im Lateinischen: das Futur II und das Supinum (supino: rückwärts beugen, nach oben kehren, umwühlen; supine: mit abgewandtem Gesicht; Supinum: das angewandte, gehandhabte Passiv, Ausdruck des subjektiven Zwecks als Grund der Instrumentalisierung), zusammen: Ist das Supinum nicht eine logische Folge aus dem Futur II, eine Zwischenstufe zum Neutrum? – Sind Griechisch und Latein nicht Verkörperungen zweier komplementärer Sprachlogiken des Herrendenkens (der Subjektlogik der Philosophie und der caesarischen Staatslogik), die dann im Inertialsystem sich zusammenschließen, von der Sprache sich ablösen und gegen die Sprache sich verselbständigen; in deren Folge ist die Sprache dann zu etwas Äußerlichem gegen die neutralisierte Dingwelt geworden: wurde ihre benennende Kraft zur Unkenntlichkeit entstellt.
    Das Futur II ist eine „Erfindung“ des Altlateinischen. Beschreibt es nicht die Struktur einer selffulfilling prophecy: Es wird gewesen sein? Hier hat Rom verinnerlicht, aus der Sternenwelt in die Sprache übertragen, was Babylon (die Chaldäer) mit der Astrologie begonnen hat (vgl. die sprachlogische Beziehung des Futur zum Supinum, zum Imperativ und zum Neutrum). Ist es ein Zufall, daß die wichtigsten lateinischen Kirchenväter Rhetoriker waren? Wenn Rosenzweigs Vergleich, wonach in der alten Welt die Rhetorik das war, was für die modernen Welt die Technik bedeutet, stimmt, waren dann nicht die Kirchenväter Sprachingenieure?
    Ist nicht die Beziehung von Raum und Objekt eine Verallgemeinerung der Beziehung von Begriff und Gegenstand; der Raum Konstituens des Begriffs durch Trennung vom Objekt (Trennung der Sprache von der Sache: Kreuzigung des Logos)? Und sind nicht Zeit und Materie (und der Naturbegriff) die Spuren der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (die im Inertialsystem sich vollendet)? – Über die Beziehung von Raum und Begriff (die in der Opfertheologie gründet) hängt die Geschichte des Begriffs: die Geschichte der Philosophie und Wissenschaft, mit der Geschichte der Architektur zusammen.
    Der Turmbau zu Babel, das Herniederfahren Gottes und die Verwirrung der Sprache: der gleiche Vorgang wird in der Prophetie als der Sturz Luzifers beschrieben.
    Wenn Stephanus den Himmel offen und „des Menschen Sohn“ zur Rechten Gottes stehen sieht (Apg 756), heißt das nicht auch, daß der Menschensohn jenseits des Tierkreises ist (vgl. Vermes, S. 149)? Und wenn es (S. 158) vom Menschensohn heißt, er habe seinen Namen erhalten, bevor die Sterne und Himmel erschaffen wurden, so bedeutet das nicht nur, daß er vor der Welt erschaffen wurde, sondern bezeichnet auch seinen Ort jenseits des Tierkreises.
    Zu bar nasch (Menschensohn), bar nascha (der Menschensohn) und bar enasch vgl. Vermes, S. 149 und 173f. enasch (mit Initial-Aleph) ist die Grundform von nasch wie Eleazar die von Lazarus; der als Suffix angefügte Determinant in nascha bezeichnet den bestimmten Artikel.
    Nach dem Hinweis in Anm. 50 auf S. 158 gibt es anstelle von Menschensohn auch den Namen „Sohn der Frau“. Wird hier der Samen des Weibes aus dem Fluch über die Schlange nach dem Sündenfall zitiert?
    Die Physik hat die Sensibilität zur Empfindlichkeit naturalisiert.
    Der Begriff der Naturalisierung entspricht dem der Verweltlichung: Auch das physei (in diesem Falle die Volkszugehörigkeit, die der Staat, der weltliche Gott, auch einem Fremden zuerkennen kann) ist ein thesei.
    Erinnern die gegenwärtigen Beziehungen der Medien zur Politik (die fortschreitende Ersetzung politischer Kritik durch Skandal-Berichte) nicht an gewisse symbiotische Beziehungen in der Natur, die man heute – im Kontext des Slogans „Erhaltung der Schöpfung“ – gerne ökologische System nennt, und zu deren Erhaltung Naturschutzgebiete eingerichtet werden? Gibt es nicht eine merkwürdige Konvergenz zwischen den Naturschutz-Interessen und dem Interesse an der Erhaltung exkulpierender System: dem Entlastungs-Interesse? Aber mit der Schuld-Entlastung wird auch das Erkenntnis-Interesse neutralisiert.
    Wenn man den Kafka-Satz vom Fehlläuten der Nachtglocke aufs Christentum bezieht, wird verständlich, was es mit dem Hahn in der Geschichte von den drei Leugnungen auf sich hat.
    Ist nicht Drewermanns Wort, die Psalmen seien altorientalische Rachegesänge, ein projektive Verarbeitung katholischer Ängste nach Auschwitz? Und ist nicht Drewermanns Haßbindung an die Kirche (die in der gegenwärtigen Verfassung der Kirche vorgebildet ist) ein strenger Beweis für die Verwechslung Gottes mit dem „Schöpfer der Welt“, die heute innertheologisch fast nicht mehr aufzulösen ist?
    Begründung der Gottesfurcht: Die Rechtfertigung ist das Instrument des Unschuldsverlangens, des Exkulpationstriebs; die Armen und die Fremden, die Juden und die Frauen sind seine Opfer (die Opfer unseres Exkulpationstriebs). Das Wort aus der Dialektik der Aufklärung von der Geschichte der Zivilisation als der Geschichte der Verinnerlichung des Opfers bezeichnet aufs genaueste den Grund dieses Zusammenhangs.

  • 21.12.93

    Wie es scheint, ist von der gesamten theologischen Tradition nur die Sohn-Gottes-Theologie übriggeblieben: der letzte Statthalter des Absoluten in der Theologie, Garant der Exkulpation ohne Umkehr. Welche Rolle spielt hierbei der Umstand, daß sich in dieser Theologie alle Herren als allmächtige Väter fühlen können (sie alle haben ihn gezeugt)? Nichts komischer (aber auch nichts entsetzlicher) als die Vorstellung, Jesus sei in die Welt gekommen um zu verkünden, er sei der Sohn Gottes. Ist die Sohn-Gottes-Theologie der Abfalleimer der verworfenen Tradition?
    Kafkas Landarzt: „Einmal dem Fehlleuten der Nachtglocke gefolgt, es ist nicht wieder gutzumachen“. Eine Allegorie des Christentums?
    Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein; und was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein: die präziste Bestimmung der metaphysischen Bedeutung des Objektbegriffs, zu dessen letzten theologischen Emanationen die Sohn-Gottes-Theologie gehört.
    Die biblischen Gebote sind keine absoluten Gebote: Zu dem „Macht euch die Erde untertan“ gehört das „Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“.
    Ist nicht die nach dem Vaticanum II erfolgte Verwerfung der Tradition die Besiegelung der Kapitulation vor dem naturwissenschaftlichen Erkenntnis- und Weltverständnis, in deren Kontext der theologische Rest (und seine unterschiedlichen Ausprägungen) allein verständlich wird?
    Gibt es nicht eine verblüffende Parallele zwischen dem Generationenwechsel in der Lehrerschaft durch den Ersten Weltkrieg und dem Generationenwechsel in der Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg?
    Wollte man die Grenze des Sterns der Erlösung bestimmen, müßte man von der Ausblendung des Sündenfalls und der Apokalypse ausgehen (aber war das nicht die Grundlage der Buber-Rosenzweigschen Zusammenarbeit?).
    Hängt die Logik der Vergöttlichung des Opfers (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs) mit der Geschichte der Beziehung von Kausalität und Teleologie zusammen? Der aristotelische Kompromiß: die Neutralisierung des Widerspruchs zwischen Kausalität und Teleologie, war die Grundlage seiner Metaphysik. Nur so konnte Gott zugleich als die noesis noeseos und als der Erste Beweger begriffen werden. Im Rahmen dieses Konzepts war es unmöglich, einen dem Trägheitsgesetz entsprechenden Begriff der Bewegung zu definieren. Die Entwicklung dieses Begriffs in der Spätscholastik (unter dem Druck frühkapitalistischer Strukturen in der Gesellschaft) hat die aristotelische Tradition gesprengt und die Grundlage gelegt für die Transzendentalphilosophie Kants.

  • 07.06.93

    Kleingärtner: der tägliche Kampf gegen das Unkraut.
    Ist das Ungetüm der Allgemeinbegriff zu den -tümern? Haben die beiden Präfixe im Ungetüm mit den beiden Rosenzweigschen Negationen des Nichts in den Anfangs-Konstruktionen des Sterns der Erlösung zu tun? M.e.W.: Ist das Ungetüm die Rosenzweigsche Vorwelt (oder: die Rosenzweigsche Vorwelt der Realrepräsentant des Ungetüms), ist es das letzte Realsymbol des Mythos?
    Zum Ungetüm gibt’s kein Positivum. Es gibt wohl ein Gedröhn, ein Gedöns und ein Getue, aber kein Getüm.
    Steckt nicht im -tum (-tüm) neben dem domus auch das Taumeln? Sind die -tümer insgesamt der Inbegriff des Taumelkelch?
    Unter einem Ungetüm stellt man sich so etwas wie einen Saurier vor: ein Wesen, das vor Kraftprotzerei verteidungsunfähig geworden ist. Ist es nicht das Modell Babylon? Und steht nicht Babylon als Warnfigur vor den -tümern (vor den Volks-, Brauch-, Juden-, Christen-, Heiden-, Deutsch-, Eigen- und Heiligtümern)? Kehrt nicht in den -tümern die Vorgeschichte als Schein der Erfüllung der Geschichte wider?
    Das Ungetüm erinnert auch an Goliat.
    Der Rechtsradikalismus heute, der sich an der Ausländerfeindschaft festmacht, holt das „Deutschtum im Ausland“ ins Inland zurück. In der „volkstümlichen Musik“ mag man das Bild dieses „Inlands“ erkennen.
    Wie hängen Gehorsam, gehören und gehorchen zusammen, wenn nicht über den Begriff des Eigentums? Und macht nicht die Kirche in der Abtreibungsfrage so etwas wie ihre Eigentumsrechte geltend?
    Erinnerungsarbeit: Sich wie ein Maulwurf in der Sprache bewegen (vgl. Kafka: Der Bau).
    Ist nicht die Gewinnermentalität bei Kindern („ich bin der Erste“, „ich der Zweite“ … „das sind die Letzten“) Ausdruck von Ängsten, die wir nicht mehr wahrnehmen, weil wir in die Kindheit (wie auch in die Natur) nur noch die Freiheit von unseren Ängsten (die Freiheit von den gesellschaftlichen Pflichten) hineinprojizieren? Aber dies ist die Freiheit, die dann am Ende den Ruheständler zum Vollidioten macht.
    Sind in der Stelle „Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht“ das „es werde“ und das „es ward“ auch im Hebräischen unterschieden (vgl. den Sohar, in dem beide Stellen mit „es werde“ wiedergegeben werden)? Wenn nein, könnte es dann nicht auch heißen „Und Gott sprach: Es ward Licht, und es werde Licht“? Und würde das nicht auch den späteren Satz „Und Gott nannte das Licht Tag“ genauer bestimmen?
    Ist das Licht nicht die aufgehobene Vergangenheit, und ist das „Es ward Licht und es werde Licht“ nicht ein prophetischer Hinweis auf den im brennenden Dornbusch offenbarten Gottesnamen?
    Hat das Lösen etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun?
    Walter Benjamin hat einmal die messianische Zeit durch die Sekunde ausgedrückt. Im Alten Testament war die messianische Zeit durch den Tag (Tag JHWH’s) bestimmt, im Neuen Testament durch den Tag und die Stunde (Niemand kennt den Tag und die Stunde …). Das ist bei Walter Benjamin auf die Sekunde zusammengeschrumpft.
    Hat die Selbstverfluchung in der Geschichte von den drei Leugnungen etwas mit dem Greuel am heiligen Ort zu tun? Ist nicht der neue Katechismus die dritte Leugnung, festzumachen
    – an der Bedeutung der Trinitätslehre im Katechismus,
    – an der Stellungnahme zur „Übernahme der Sünden der Welt“ und
    – an der Erläuterung der Bitte um Heiligung des Namens?
    Hat der Saulus unter den Propheten etwas mit dem Paulus unter den Aposteln zu tun?
    – Kommt Paulus außer in der Apostelgeschichte und in seinen eigenen Briefen sonst noch vor (z.B. in einem der anderen Apostelbriefe, oder in der Apokalypse)?
    – Wie stehen Paulus und der Hebräerbrief zueinander?
    – Was hat es mit der Frage der „Echtheit“ der Paulusbriefe auf sich, wo liegt die Grenze zwischen den echten und den anderen? Nach Reclams Bibellexikon (S. 388) sind
    . 7 Briefe echt (1 Thess, Gal, 1 und 2 Kor, Röm, Philem, Phil),
    . 2 unklar (2 Thess und Kol),
    . 4 von P.-Schülern (Eph, 1 und 2 Tim und Tit).
    . Hebr wurde zwar von der Alten Kirche Paulus zugeschrieben, „doch widersprechen dem stilistische und inhaltliche Gründe eindeutig“ (ebd. S. 203). Als Verfasser wurden vermutet z.B. Lukas, Apollos, Barnabas.
    – Welche Apostel (außer Petrus und den „Säulen“) werden bei Paulus genannt?
    – Woher kommt der Name Paulus: Ist es generell sein römischer Name, ist es seine Selbstbezeichnung als Christ, wie nennen ihn die Andern? Was bedeutet der Name: ist es nur ein üblicher römischer Name, oder meint er so etwas wie den „Geringsten unter den Aposteln“?
    Nach Reclams Bibellexikon (S. 389) trug Paulus „neben seinem Geburtsnamen Schaul zum Zeichen des seiner Familie eigenen röm. Bürgerrechts den lat. Beinamen (cognomen) Paulus“ (Hervorhebung H.H.); nach dem Kleinen Pauly (Lexikon der Antike, Bd. 5, Sp. 137) „nahm Paulus unter dem Eindruck der Begegnung (mit dem römischen Prokonsul in Zypern L. Sergius Paulus, H.H.) das Cognomen des Proconsul an“. Vgl. hierzu Apg. 137ff, insbesondere 139, wo erstmals von „Saulus, der auch Paulus (heißt)“ die Rede ist; voher heißt er nur Saulus, danach nur Paulus. Kann es sein, daß Saulus erst hier (mit dem Namen Paulus) auch die römische Staatsbürgerschaft angenommen hat (vgl. dagegen Apg 2227f: … als Römer geboren)? Was ist sonst von L. Sergius Paulus bekannt?

  • 16.03.93

    Waren die Tempel die Brutstätten der semitische Sprachen, und das Königtum die der indogermanischen? Und haben in Ägypten die Pyramiden die Tempel abgelöst?
    Der Schrecken Isaaks: Hängt das Lachen mit dem Fressen zusammen, und der Schrecken Isaaks mit der Erinnerung an das Menschenopfer, das Opfer der Erstgeburt?
    Heute prallt die Idee der Güte, einer göttlichen Gerechtigkeit, am Zustand der Welt und an der Unaufhebbarkeit der Vergangenheit ab. Die Opfertheologie ist eine Kompromißbildung, die dem Eingedenken und der Güte den Grund entzieht.
    Wird der letzte Satz des Geists der Utopie vielleicht wahr, wenn man in ihm den Namen Gottes durch den des Staates ersetzt? -Zumindest führt das in die Nähe der Lösung.
    Was man von Rosenzweig lernen kann: Umkehr, Name und Antlitz: Aber Umkehr, Name und Angesicht: sind das nicht die eigentlich gemeinten Objekte der evangelischen Räte: der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit?
    Erst wenn man begreift, daß das Antlitz des andern die Epiphanie (das reale Ebenbild Gottes) ist, begreift man was Tod und Trauerarbeit heißt.
    In Kafkas Strafkolonie wird der Name in den Rücken des Delinquenten eintätowiert. Liegt hier der Grund des Satzes: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.
    Wann und wo hat Jesus eine Priesterkirche und eine Priesterreligion gestiftet?
    Als die Jünger nach ihrer ersten Aussendung zurückkehrten, berichteten sie, daß sie in seinem Namen Dämonen ausgetrieben hatten. Darauf antwortete Jesus, nicht das Dämonenaustreiben sei das Entscheidende, sondern daß ihr Name im Himmel verzeichnet sei. Und er fügt hinzu: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. (Luk 1018) Aber vom Menschensohn heißt es dann (1724): Denn wie der Blitz leuchtet von einem Ende unter dem Himmel bis zum andern Ende unter dem Himmel, so wird der Sohn des Menschen sein an seinem Tag.
    Ähnlich wie die Richtungen im Raum sind auch der Raum, das Geld und die Bekenntnisform austauschbare und gleichwohl deutlich unterschiedene Kategorien, zusammengehalten nur durch den Weltbegriff.
    Dem Naturbegriff, der die Auferstehung der Toten leugnet, wäre die Trauerarbeit allein angemessen, während dem affirmativen Naturbegriff der Begriff einer Versöhnung über Gräbern (des blasphemischen Kerns der deutschen Staatsmetaphysik) entspricht.
    Welt ist der Inbegriff der Sünden der Welt, Natur die Schuld, die auf der Natur lastet.
    Sind an Stammheim nicht beide Varianten erschreckend: sowohl der als Selbstmord getarnte Mord (das perfekte Verbrechen des Staates), als auch der als Mord getarnte Selbstmord (der vorgetäuschte Opfertod). Aber hat nicht das perfekte Verbrechen des Staates doch eine andere Qualität als der instrumentalisierte Selbstmord? Und sind nicht beide Formen der Säkularisation der Opfertheologie und des Bekenntnisses, einer zweiten Säkularisation?
    Zum Bild vom Zug, der auf den Abgrund zurast: Sind nicht die Geschwindigkeit des Zuges und die Tiefe des Abgrunds von einander abhängige Variable? Ist die Energiequelle nicht die Zukunft, die hier verheizt wird; erzeugen wir nicht mit dem Reichtum auch die Armut, und erreichen wir nicht heute die Grenze, an der es nicht mehr möglich ist, sie nach draußen zu exportieren? – Die Ableitung des Geldes aus dem Tauschverhältnis setzt voraus, was eigentlich zu beweisen wäre (und macht es so unsichtbar): die Beziehung des Geldes zur Schuld; mit dem Privateigentum (mit der Privatisierung der Selbsterhaltung) entspringt auch die Schuldknechtschaft, die Versklavung durch Verschuldung, nicht mehr nur durch Gefangene aus Kriegen.
    Wenn es stimmt, daß die Geschichte der Aufklärung die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers ist, wäre es dann nicht notwendig, die Geschichte des Opfers genauer in Augenschein zu nehmen?
    Ist nicht das Angesicht die Form der Auflösung (das Produkt der Inversion) der Form der Anschauung: des Raumes?
    Glück ist eine nicht auf die Sexualität, sondern aufs Angesicht bezogene Kategorie (zum Begriff der Sinnlichkeit).
    Geben nicht die Schelerschen/Hartmannschen Schichtentheorien (vom Anorganischen, Pflanzlichen, Tierischen bis zum Geist) einen Hinweis auf den Ursprung und die Bedeutung der geologischen Schichten? So wie ja dann auch in der Tat die Evolutionsstufen des Lebens bestimmten geologischen Schichten zugeordnet werden können.
    Die babylonische Sprachverwirrung hat die benennende Kraft der Sprache nur eingeschränkt, nicht aufgehoben.

  • 11.01.93

    Urteil (lat. iudicium): wie heißt das Urteil (im Recht und in der Logik) im Griechischen? Grundlage des Urteilsspruchs ist der Zeuge oder der Eid (der Gott zum Zeugen nimmt; in der Bibel muß der Schwörende seine Hand an die Lende dessen legen, vor dem der Schwur abgelegt wurde, berührt): Wie verhalten sich Zeugenschaft und Schwur zum Raum? Ist der Raum nicht die anonymisierte Zeugenschaft aller (Medium der Vergesellschaftung) und ist die Ausdehnung des Raumes nicht ein Produkt des automatisierten Fortzeugens (mit der Orthogonalität als Grund und Zentrum der Automatik): die Indifferenz von Tätigkeit und Statik (dynamischer und mathematischer Qualität: Trennung und Begründung von Objekt und Begriff, Natur und Welt)?
    Der Objektbegriff und die Verführung durch Herrschaft verändert die Sprache. Herrschaft gründet in dem Recht zu töten, das über die Raumvorstellung vergesellschaftet wird; so dringt das Gewaltmonopol des Staates in die Sprache ein (wie der Raum in die Zeitvorstellung und in den Begriff der Materie). Darin liegt der naturgeschichtliche Grund der Naturwissenschaften und des Kapitalismus, den sie selber wiederum instrumentalisieren.
    Das Sein ist das unkenntlich gemachte Gewaltmonopol des Staates.
    Zu Kafkas Geschichte vom Schauspieldirektor, der eine Premiere, die Inszenierung eines neuen Stückes, vorbereitet. Das Bild wäre noch zu verschärfen: Nach dem Selbstverständnis der Prophetie beginnt die Umkehr im Mutterleib.
    Zu den fatalen Ergebnissen der Kollektivschuld-Diskussion nach dem Krieg gehört es, daß die Aufarbeitung der Schuld, die Erinnerungsarbeit, durchs Schambekenntnis ersetzt wurde. So hat man sich nur durch die Scham überschwemmen lassen, damit aber genau jene Verdrängungsarbeit unterstützt, die die Aufarbeitung heute fast unmöglich macht. Die nachfolgende Politik mußte eine Feigenblatt-Politik sein (und darin ist Kohl Meister). Die Aufforderung zur Scham hält ihr Objekt infantil (während die Schuldverarbeitung es erwachsen werden läßt). War vielleicht die Benennung der Tiere durch Adam eine Aufforderung zur Scham: So ist ihnen das Fell gewachsen? Das Unverschämte (des Begriffs, der Welt) und das Schamlose (des Objekts, der Natur) sind Zwangsfolgen der falschen Verarbeitung der Scham. Nicht Scham, sondern Umkehr: Der kosmische Ausdruck der Scham ist die Materie.
    Ist die Frage Kains „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ mehr als eine rhetorische Fangfrage? Weist die Frage nicht darauf hin, daß er „es nicht war“, daß es etwas in ihm war (vor dem er vielleicht dann doch seinen Bruder hätte behüten sollen), und bezieht sich darauf das Wort Gottes vor der Tat: „Wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon“. Diese „Sünde als Dämon“ ist die „Sünde der Welt“ aus Joh 129. Die Sünde an der Tür und das, was in Kain als Es den Abel erschlug und den Mord beging, war der Ursprung der Welt. Und diese Welt ist in der Tat „aus Nichts“ erschaffen, aber auch nicht von Gott.
    Ist das Benennen (in der Schrift) wirklich etwas so Harmloses: die Benennung der Tiere durch Adam, aber auch schon davor die Benennung des Lichts und der Finsternis, auch die der Feste, die die Wasser scheidet? Die Söhne werden in der Regel von den Müttern benannt (und von den Vätern als gegeben hingenommen). Gibt es außer bei der Geburt des Johannes (wo der Zacharias durch Bestätigung des Namens die Sprache wiedergewinnt) noch andere Ausnahmen (wie ist das bei den Kindern der Propheten)?
    Bezieht sich nicht auch der Titel „Erstgeborener“ auf die Mutter, deren Mutterschoß der Erstgeborene eröffnet, nur Jesus ist der „Erstgeborene des Vaters“?
    Wäre nicht zu den etymologischen Forschungen (Benvenistes und anderer) darauf hinzuweisen, daß auch das Bedeuten und Bezeichnen in die grammatischen Strukturen der Sprache eingebunden ist. Wie unterscheiden sich Bedeuten und Benennen? Bezeichnen nicht das Deuten und Bedeuten den Indifferenzpunkt zweier gegeneinander gerichteter oder zueinander inverser Tendenzen, nämlich einer expressiven und einer deiktischen Tendenz. Wie verhält sich das zu der bemerkenswerten Zweideutigkeit, die im Deutschen den Sinnbegriff kennzeichnet?
    Das Christentum hat die Umkehr bis heute nicht begriffen, statt dessen kennt es wohl Bekehrungen. Drückt nicht das Affix be- ein projektives Element aus, die falsche, veranderte Umkehr: die im andern reflektierte und verdinglichte Umkehr?
    Entspringen die indogermanischen Sprachen mit der Bildung des Neutrum, mit der Nutzung seiner exkulpativen, herrschaftssichernden Gewalt? Und waren die ersten Neutra nicht herrschaftssichernde Kategorien (Emanationen der Schlange)?
    Ist das Futur II Produkt der Instrumentalisierung des kreisenden Flammenschwerts? Hängt sein Ursprung zusammen mit dem Sternendienst? Und ist das, was durch dieses kreisende Flammenschwert abgetrennt (weltlich konstituiert) wird, in den astrologischen Bedeutungen der Planeten (im antiken Sinne) genauer bezeichnet? Und wurde dieser Knoten nicht durchschlagen durch einen Akt, in dem das heliozentrische System begründet wurde? Wie hängt die Heliozentrik mit der Geschichte der Großreiche, mit Alexander und dem Cäsarenwesen zusammen, oder auch mit dem Begriff des „Reichs“?
    Ist die Physik die Finsternis über dem Abgrund? Und wäre nicht die Theologie über den nächsten Satz, den Geist Gottes über den Wassern, zu begründen? Oder genauer: verhalten sich Finsternis und Abgrund zum Geist Gottes und den Wassern wie Philosophie und Begriff zur Prophetie und zum Namen? Hat der Sündenfall nicht nur den Abgrund eröffnet, und den Menschen die begrenzte Befugnis, sich der Mächte des Abgrunds zu bedienen?
    Die jüdische Tradition kennt den Brudermord; ist nicht der Vatermord ein bis heute unaufgeklärtes und unbegriffenes mythisches und christliches Erbe (im Ursprung des Weltbegriffs), und bezieht sich darauf nicht der Freudsche Mythos von der Urhorde?
    Die Tiere wurden benannt, der Gottesname soll geheiligt werden: Ist die Heiligung des Gottesnamens nicht die Antwort auf die Opferung des Gottesnamens (seine Verbergung hinter dem Namen des Vaters), und ist bisher nur diese Opferung Gegenstand der christlichen Tradition? Drückt diese Opferung sich im Bilde vom Sitzen zur Rechten des Vaters (der Bindung der Rechten des Vaters, die nach Paulus zeitlich begrenzt ist: bis Ihm alles unterworfen ist) aus?

  • 09.12.92

    „Den „Sozialkörper“ gibt es nicht im Sinne sichtbarer, greifbarer Wirklichkeit. Er ist eine Metapher, eine imaginäre Größe, ein soziales Konstrukt. Als solches aber gehört es durchaus der Wirklichkeit an.“ (S. 132) Und ich kann mir gleichwohl an ihm den Kopf einrennen: Er ist durchaus ein mechanisches Objekt (Frage: wie unterscheidet sich diese Materialität von der einer Wand?).
    „Kulturelle Identität ist … die reflexiv gewordene Teilhabe an bzw. das Bekenntnis zu einer Kultur.“ (S. 134) (Problem: Teilhabe und Bekenntnis.)
    Hier scheint es wirklich schlimm zu werden: wenn er als Kardinalsünde die „Habgier“ notiert und dazu die gesellschaftliche Wirkung der Unmoral mit dem Krebs vergleicht: „Der Habgierige ist gewissermaßen die „Krebszelle“ der Gesellschaft“ (unter dem Titel „Zirkulation“, S. 140f)
    „Sprichwörter haben es vornehmlich mit Gemeinsinn als Common Sense zu tun.“ Z.B. „Gutheit ist Dummheit“ (vgl. auch Adornos Bemerkung über Sprichwörter). Vielleicht ist hier der Begriff „Gemeinsinn“ durchaus wörtlich zu nehmen. Aber das Zitat geht weiter: „Ihr zentrales Anliegen ist die Einübung von Solidarität, so „daß sich jede Zelle im Einklang mit dem Gesamtorganismus befindet.““ (S. 141f)
    Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann hat er auch die Hölle erschaffen. Aber keine Auferstehung ohne den Abstieg zur Hölle!
    Zu S. 150: Ich befürchte, auch Jan Assmann hat den Begriff der „Volksgenossenschaft“ nicht (oder doch zu gut?) verstanden.
    Zum Ursprung der Sprache: Daß Gott die Seele liebt, muß ein Stück paradiesischer Welterfahrung, mit enthalten. Diese Liebe kann nicht nur die einer intimen Zweierbeziehung (eine „echte Begegnung“) sein, sie muß den Status der Erlösung der ganzen Welt als Vorbegriff mit enthalten.
    Ist die zweite Schöpfungsgeschichte die nachgetragene Begründung der ersten (liegt der Sündenfall vor der Schöpfung)?
    Die Vernunft hat das Maß ihrer Erkenntnis an der Idee des Paradieses (an der Idee des seligen Lebens).
    Stehen Ziel und Maß nicht in Opposition zu einander? Konstituiert sich das Maß nicht erst im Untergang des Ziels, zusammen mit der Subjektivierung der Zwecke und der Instrumentalisierung der Dinge (Baum der Erkenntnis)? War die Entdeckung des Winkels (eines der Momente im Prozeß des Ursprungs der Philosophie) die erste Entdeckung einer selbstreferentiellen Maßbeziehung (Kreiszahl Pi)?
    Sind die Gesten bei Kafka nicht Teil einer Sprache, die ihr Objekt verloren hat?
    Das „ad litteram“ in dem augustinischen Titel „de genesi ad litteram“ bezeichnet schon das Inertialsystem in nuce. Es steht unter dem Verdikt des Pauluswortes, nach dem der Buchstabe tötet, während es der Geist ist, der lebendig macht. (Steckt darin nicht die ganze Lehre von Tod und Auferstehung?)
    Erinnert die Geschichte der Bekehrung des äthiopischen Eunuchen in der Apostelgeschichte nicht an eine Begebenheit, eine Konstellation, einen Namen oder etwas ähnliches im AT?
    Ist nicht der kirchliche Konfessionsstreit vorgebildet in dem Streit der Soldaten um den Rock Jesu, der keine Naht hat? Und hat dieser Rock etwas mit den Rücken aus Fell, die nach dem Sündenfall den Schurz aus Feigenblättern ersetzen, und dem bunten Rock des Josef zu tun?
    Zu dem Schild am Kreuz:
    – Heißt es Jesus Nazarenus oder Jesus, der Nazoräer?
    – Weshalb fordern „die Juden“ von Pilatus, er solle nicht schreiben: der König der Juden, sondern: er habe gesagt, er sei der König der Juden; darauf antwortet Pilatus: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.
    Die Phänomenologie des Geistes ist das Werk Hegels, das der Sache am nächsten kommt: Mit diesem Werk hat sich Hegel vorm Wahnsinn gerettet.
    Der Sieg über den Nationalsozialismus hat dem Geist eine Ruhepause verschafft, die er nicht genutzt hat. Anstatt das Paradigmatische am Nationalsozialismus zu begreifen und aufzuarbeiten, hat er geglaubt, sich in den beruhigten Verhältnissen danach gemächlich einrichten zu können; er hat versäumt, die vor Augen liegenden Bedingungen gesellschaftlicher Naturkatastrophen zu studieren.
    Hängen nicht Xenophobie und Abtreibungsdebatte auf eine sehr subtile Weise zusammen?

  • 22.11.92

    Das Horn ist ein Symbol der Macht. Hängt es damit zusammen, daß Opfertiere gehörnte Tiere sind?
    Den Sünden der Welt korrespondiert die Schuld der Natur: Neigen wir deshalb dazu, auch in der Theologie von der „Schuld der Welt“ zu sprechen, gleichsam eine falsche Fährte zu legen? Mit den Sünden der Welt sind wir als Subjekte angesprochen, mit der Schuld der Welt nur als Objekte, die einem Schicksal unterworfen sind: der Begriff Schuld der Welt macht die aktiven Sünden der Welt zum bloß passiv erlittenen Schicksal.
    Ist nicht der theologische Begriff des Übernatürlichen abgeleitet von dem der Metaphysik, gleichsam nur von der Logik transponiert ins Magische.
    Heißt nicht im Griechischen, was wir heute Begriff nennen, Logos? D.h. war nicht die Philosophie in ihrem Ursprung grammatisch-logisch determinierte Sprachphilosophie? Ist nicht die Verdinglichung des logos zum Begriff der Beginn des Objektivationsprozesses?
    Wie hat sich die Philosophie durch Übersetzung der Vätertheologie, des Dogmas, von der griechischen in die lateinische Sprache verändert? Wie verhält sich beispielsweise persona zu prosopon und hypostasis?
    Demagogie ist heute keine besondere Art des Umgangs mit der Sprache mehr, sondern ein Ingrediens der Institution der Öffentlichkeit. Die Interpretation der „Fakten“ – und es gibt keine Fakten ohne das Bedürfnis nach Interpretation – ist zu einer reinen Machtfrage geworden: Heute ernennt die Regierung nicht mehr nur ihre Beamten, sondern auch die Begriffe, mit denen die Dinge benannt werden, so als wären sie Titel, denen man die Dinge per Gesetz zuordnen könnte. Die Gewalt steckt in der Sprache, und über die Sprache ist sie zu einem Teil, wenn nicht zur Grundlage der Kommunikation geworden. Das macht die Habermassche Kommunikationstheorie, insbesondere den Konsensbegriff, der auf die Legitimierung der Erpressung hinausläuft, so problematisch.
    Hat das In-die-Ferse-Stechen etwas mit der Lähmung zu tun (als Ersatz fürs Einsperren)? Und wie verhält sich der Hinweis auf die Ferse im Fluch über die Schlange zu den Flügelschuhen des Hermes? Jakob der Fersenhalter ist zugleich Jakob der Betrüger, der erste, der von der List Gebrauch macht. Entspringt hier die später ins Bewußtsein eingebaute Automatik der List der Vernunft? Weshalb wurden den Frauen in China die Füße verstümmelt, und weshalb tragen die Frauen im „zivilisierten“ Europa Stöckelschuhe? Und weshalb ist es im Fluch über die Schlange der Nachkomme der Frau, und nicht der des Mannes (der Erbe, der Stammhalter)? Gründet hier (im vaterlosen Nachkommen) das Symbol der Jungfrauengeburt: Die Jungfrau wird einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Immanuel, Gott mit uns?
    Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der Stich in die Ferse?
    Parvus error in principio magnus est in fine. Ist nicht dieser kleine Fehler im Ursprung der Theologie, die Rezeption des Weltbegriffs, der Ursprung und nicht die Folge der Parusieverzögerung?
    Die Astrologie ist am Ende dadurch „überwunden“ worden, daß das Subjekt in der Astronomie sich selbst an die Stelle dieser Schicksalsmächte setzt (Verinnerlichung von Herrschaft: von Saturn und Jupiter bis zu Venus und Merkur sind die Planetenmächte, die paulinischen Archonten, ins Subjekt eingewandert).
    Das aufgedeckte Antlitz ist das Gegenteil der Nacktheit (und wird nur unterm Zeichen des Antichrist als solche erfahren: im Antlitz des Hundes).
    Wut ist der verweltlichte Zorn, die Person das traumatisierte Antlitz und seitdem beleidigungsfähig, Quelle der Wut.
    Der Weltbegriff erzeugt den Schein eines angst- und schuldfreien Lebens. Aber dieser Schein ist wirksam nur auf der Herrenseite (der „Sonnenseite“) der Welt. Ihm entsprechen auf der Objektseite die Angst- und Schuldkomplexe, die nicht mehr aufgelöst, nur noch – mit den bekannten Folgen – verdrängt werden können.
    Zum Problem der benennenden Kraft der Sprache: Benjamins Bemerkungen über das Gestische bei Kafka und die metaphorische Stelle in dem Kraus-Essay mit heranziehen.
    Jede Naturphilosophie verfällt ihrem Objekt insoweit, als sie zwangsläufig verkennt, daß das metaphorische Element das eigentliche Erkenntnismedium ist, das man verfehlt, wenn man es wörtlich nimmt. Sobald sie die Natur „ad literam“ (wie Augustinus die Genesis) nimmt, verstrickt sie sich in die Logik der Verdinglichung, verfällt sie ihrem Bann.
    Ist nicht die Kirche ein verwesender Leichnam, gleichsam ein Lazarus, der „schon riecht“. Aber dann wurde er doch von Jesus zum Leben erweckt.

  • 19.10.92

    Vorne und Hinten, Rechts und Links: ihre Verwechslung läßt die räumliche Beziehung von Oben und Unten unberührt, verkehrt aber ihren Sinn (macht Theologie zur Herrschaftsideologie). Nur über die Aufzehrung des Rückens im Angesicht und über die Vereinigung der Gerechtigkeit mit der Gnade läßt die Theologie sich neu begründen, eröffnet sich das andere Oben (Stephanus: „Ich sehe den Himmel offen und den Sohn zur Rechten des Vaters sitzen“). Haben die Versuchungen Jesu hiermit etwas zu tun, und steckt darin die Beziehung zu den drei Verleugnungen Petri?
    Hat Jesus dann nicht doch den drei Versuchungen nachgegeben und versucht,
    – aus Stein (Kephas) Brot zu machen,
    – sich von der Zinne des Tempels zu stürzen in der Erwartung, daß die Engel ihn auffangen (und er nach drei Tage wieder aufersteht) und
    – hat dann am Ende nicht doch den Pakt mit der Macht geschlossen?
    Oder genauer: Hat nicht die Kirche diesen drei Versuchungen nachgegeben und sind das die drei Verleugnungen?
    Die gleichzeitige Vertauschung von vorn und hinten und von rechts und links ist das Aufdecken der Blöße (oder ist es die Vorstellung vom den Sohn zeugenden Vater: die Trinitätslehre?).
    Persona, die Maske: der Ersatz des Angesichts und die Teilhabe an der Herrschaft (Vergesellschaftung von Herrschaft als Ursprung des Weltbegriffs). Person ist das Rechtssubjekt, die Seele dagegen der Addressat der Gnade. Mit der Erfahrung der Gnade verschwindet auch die Seele (Luthers Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“). Die Erfahrung der Gnade aber verschwindet mit der Durchsetzung des Personbegriffs (die die Seele zum apriorischen Objekt der Anklage macht, Grund der transzendentalen Logik: Das Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können, ist der unendliche Rechtfertigungstrieb, der sich an der Neutralisierung der Welt abarbeitet). Nur dort, wo beide, die Seele und die Person, durch Umkehr sich finden:
    – die Person durch Verzicht auf Rechtfertigung und Übernahme der Sünde der Welt , und
    – die Seele durch Verzicht darauf, den gnädigen Gott für sich haben zu wollen, ihn statt dessen für die anderen erstrebt,
    bildet sich das Antlitz.
    Wird das Bilderverbot nicht in der philosophischen „Überwindung“ des Mythos falsch verstanden? Hier – und so hat es die Vätertheologie übernommen – sieht es so aus, als würden die Bilder bloß abgeschafft, während es in Wahrheit darauf ankäme, die Bilder zum Sprechen zu bringen. Die Philosophie macht die Bilder stumm, und das ist die logische Folge davon, daß sie das Werk der eigenen Hände sind. Die Bilder zum Sprechen bringen aber heißt, die benennende Kraft der Sprache wiedergewinnen (die Macht des Schicksals aufbrechen).
    Wenn man die jüdische Tradition mit dem Mythos in Verbindung bringt, redet man immer (Goldziher und Ranke-Graves) vom „hebräischen“ Mythos. Diese Bezeichnung trifft den Sachverhalt genauer, als die Autoren selber wissen. Ist nicht der falsche Gebrauch des Namens der Hebräer der Beginn der Remythisierung der jüdischen Tradition und der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache? Macht man die Juden nicht dadurch, daß man sie Hebräer nennt, zu Barbaren, die dann auch einen Mythos haben müssen, und die deshalb hinter den griechischen Mythos zurückfallen, weil sie der projektiven Kraft des griechischen Mythos beraubt sind. Denn nur der griechische Name der Barbaren trägt projektive Züge: sie sind es selber, während der Name der Hebräer gerade durch das reflektorische Element, das darin enthalten ist (Fremdbezeichnung als Selbstbezeichnung), die Aufzehrung des Mythischen bezeichnet.
    Das offenkundige Geheimnis der Blüte und des Baumes begreifen: Die Blüte ist das Antlitz, und der Baum hat die Krone. Ist es ein Zufall, daß die Jotam-Fabel sich auf die Bäume bezieht, die allesamt keine Könige sein wollen, mit der einen Ausnahme des Dornbuschs?
    Zu Metz: Ist es nicht doch ein wenig unverständlich, wie man nach Auschwitz sagen kann, diese Welt sei (im Christusmysterium) von Gott „angenommen“? Umgekehrt: Der Weltbegriff bezeichnet genau die Sperre, die Gott im Wege steht, die ihn hindert einzugreifen, an der er leidet. Hierauf bezieht sich die der Kirche (das aber heißt: uns) übertragene Kraft zu lösen. (Die Theologie des „Angenommenseins“, die heute in der Kirche offensichtlich eine logische Kluft überbrücken soll, ist mir insgesamt sehr unheimlich, Ausdruck des überbordenden Exkulpationstriebs, der Unfähigkeit zur Gottesfurcht. Folge der Privatisierung des Lösens in der Bußtheologie.)
    Kafkas Theologie: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.
    Der Raum wird widerlegt durch die Differenz von Täter und Opfer (durch die Ungleichnamigkeit moralischer Gebote, die dem anklagenden Gebrauch, der urteilenden Anwendung auf andere, sich entziehen).

  • 14.10.92

    Nach dem Sohar sind Tohu und Bohu der Abgrund (mit der Finsternis darüber) und die Wasser (über denen der Geist Gottes brütet).
    Die Kirche ist das steinerne Herz der Welt; aber garantiert dieses steinerne Herz, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen? Vgl. Ranke-Graves: Hebräische Mythologie, S. 52f.
    Adorno hat einmal festgestellt, daß Philosophie heute deshalb von den Studenten nicht mehr verstanden werde, weil sie aus jedem Satz nur noch heraushören, wofür oder wogegen er sei. Ich glaube, das drückt aufs genaueste aus, was das Bild vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen im Zusammenhang mit dem Sündenfall bezeichnet.
    Der gordische Knoten war der Knoten, mit dem das Joch an die Deichsel des Ochsenkarrens gebunden war. Was ist das Joch, und was ist die Deichsel?
    Man kommt der Sache näher, wenn man die transzendentale Logik, den transzendentalen Apparat insgesamt, als eine Gottesfurcht-Vermeidungs-Maschine begreift. Zentrale Bedeutung bei dem Versuch, das zu reflektieren, hat der Weltbegriff.
    Die Idee der Schöpfung ist eine apokalyptische Idee. Das transzendentale Subjekt muß sich über den unendlichen, tantalischen Prozeß an das unerreichbare Ende der Zeit setzen, um die Vergangenheit als Totalität und sich als Subjekt (d.h. die Welt als Deckel auf der toten, vergangenen Natur) konstituieren zu können. Das Instrument, mit dessen Hilfe das allein gelingt, ist die Mathematisierung des Raumes (die Reversibilität der Richtungen und die Orthogonalität ihrer Beziehungen); das impliziert die Vernichtung der Schöpfungsidee und hat die Konstituierung des Objekt- und Materiebegriffs zur Folge (das „Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden“, zu dem gleichen Staub, den die Schlange frißt, von dem sie sich nährt: das Objekt steht in einer – durch das Ende der Zeit vermittelten – orthogonalen Beziehung zum Begriff; Orthogonalität als Kern der Urteilstheorie, Zentrum der Ontologie und der Orthodoxie, Grund der „verandernden Kraft des Seins“). Vorbild dieser ebenso verhängnisvollen wie skandalösen Erkenntnisbegründung ist die Dogmatisierung des Bekenntnisses (und ihres Kerns: die Entfaltung der Trinitätslehre, der Christologie und der Opfertheologie), die Begründung der Orthodoxie. Ist Petrus der Stein, der hier zu Staub zermahlen wird?
    Die Lauretanische Litanei wäre mal wieder neu zusammenzustellen. Erhalten bleiben würde allein Maria Magdalena (die „Büßerin“), alle anderen, vom Sanctus Karl (Marx) über Sanctus Sigmund (Freud) und Sanctus Albert (Einstein) zu den Sancti Martyres Franz (Kafka und Rosenzweig) und vom Sanctus Walter (Benjamin) zu den Sancti Max et Teddy (Horkheimer und Adorno) kämen neu hinzu.
    Wenn Nietzsche die jüdische und christliche Religion als Sklavenreligion denunziert, so hat er damit einen realen Sachverhalt sehr präzise beschrieben: die zentrale Bedeutung des Knecht-Gottes-Motivs. Aber dieses Knechtsein ist der Grund der Freiheit, dessen, was Autonomie bloß meint, nicht erreicht. Nicht zufällig läßt die Denunziation als Sklavenreligion keinen anderen Ausweg als den in die Lehre von der Ewigen Wiederkehr des Gleichen und in den Willen zur Macht. Beide zementieren den Deckel, mit dem die Vergangenheit endgültig verschlossen wird.
    Die Ängste, die die ersten Meldungen über die Greuel des Judenmords nach dem Krieg in Teilen der katholischen Bevölkerung ausgelöst haben, und die sich in Sätzen wie: „Das wird sich einmal rächen“ ausdrückte, scheinen sich heute im Zustand der katholischen Theologie in Deutschland, in der Verwirrung, der Konfliktunfähigkeit und den nicht mehr auflösbaren Problemen, zu erfüllen.
    Enthalten nicht die bei Neonazis so „beliebten“ Gräber- und Friedhofschändungen eine andere Bestätigung des franziskanischen Satzes „Unus daimon plus scit quam tu“? Schon im NT waren es die Dämonen, die ihn als erste erkannten.
    Das Problem des Lachens hängt mit dem des Bekenntnisses, und beide mit dem Realgrund der Dämonenlehre zusammen.
    Jedes Urteil partizipiert am Weltgericht: Das Sein ist der Inbegriff dieser Partizipation (Antizipation des Endes der Zeit, das das Prädikat, den Begriff, vom Objekt trennt). Die Begriffe Welt und Natur konstituieren sich zusammen mit dem des Wissens („nur Vergangenes wird gewußt“), und alle drei sind Abkömmlinge der Schicksalsidee.
    Das Sein, die Kopula im Urteil, trennt und verbindet Begriff und Gegenstand ähnlich wie die Orthogonalität die Dimensionen des Raumes, seine Beziehung zur Zeit und die Beziehung beider zur Materie. Auch die Begriffe Welt und Natur stehen in einer Art Orthogonalitätsbeziehung (wie Raum und Zeit). Erst die Naturwissenschaft, dieses System von Orthogonalitätsbedingungen (zu denen vorab das Inertialsystem und die Erhaltungssätze gehören), hat die Ontologie begründet. (Welche grammatische Funktion haben die Hilfszeitverben Sein, Werden und Haben, und welche Beziehung zu Raum und Zeit drückt sich ihnen aus?)
    Das Dogma vom Bann des Inertialsystems befreien: Das tollere (qui tollit) kann im Hinblick auf die peccata mundi als Hinwegnahme verstanden werden, wenn es futurisch, nicht als Bezeichnung einer schon abgeschlossenen Handlung, verstanden wird. Das Gleiche gilt für die Opfertheologie: Mit dem futurischen Sinn ist das Nachfolgegebot in beide mit hereinzunehmen. Unter dieser Voraussetzung wird auch die Mysterientheologie Odo Casels sinnvoll und verständlich, wenn sie nicht als Mysterium der Wiederholung einer vergangenen Handlung, sondern als Mysterium einer noch nicht abgeschlossenen, noch nicht vollendeten Handlung verstanden wird. Und das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ kann nur unter Einschluß des Nachfolgegebots richtig verstanden werden, nicht als folgenlose Erinnerung. Denn daran kann kein Zweifel sein: Diese Welt ist nicht so, daß man auch nur mit dem geringsten Schein von Recht von ihr sagen könnte, die Schuld sei bereits von ihr hinweggenommen. Aber ohne die Hinwegnahme der Sünde der Welt ist auch die Erlösung der Menschen nicht denkbar. Darin liegt die unermeßliche Bedeutung des Täufersatzes (sowie der Gethsemanegeschichte und des Satzes „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“).

  • 07.10.92

    Zu den sieben Siegeln der Apokalypse: Welche Funktion hatten in jener Zeit die Siegel (Zeichen der Teilhabe an der Macht des Königs, persönliche Bekräftigung der Geltung eines Vertrages, eines Dokuments), lag sie nicht zwischen Unterschrift und Personalausweis? In welcher Beziehung standen sie zum Eigennamen? Haben die Öffnung (das Brechen) des Siegels und die Lösung eines Knotens (eines Problems, eines Rätsels) etwas miteinander zu tun? Ist nicht der Begriff des Begriffs und sind die damit zusammenhängenden, davon abgeleiteten Begriffe wie Raum und Zeit, Welt, Natur, Materie, Person, Bekenntnis nicht alle Siegel (die die Wahrheit versiegeln)?
    Es gibt keine Erklärung der Gemeinheit ohne Zuhilfenahme der Antisemitismus-Analyse.
    Ist nicht auch das Marquardtsche Votum für Israel, das Leute wie Micha Brumlik und Edna Brocke so anspricht, zwar wahr, aber zugleich konkretistisch entstellt (etwas, woran man sich halten kann)?
    Ich bin garnicht so ganz sicher, ob die Natur die Menschen überlebt, ob das nicht ein Schein ist, den die Natur selber erzeugt (der gleiche Schein, aus dem in der Hegelschen Logik das Wesen hervorgeht). Welt und Natur sind Momente in der Generationenbeziehung, sind Momente im Kontext der Genealogien (auch der Schöpfungsbericht gehört zu den toledot). Das auf eine Formel gebracht zu haben, ist die Bedeutung der Trinitätslehre. In ihrer dogmatischen Gestalt ist die Trinitätslehre das Siegel, mit dem die Schöpfung zu Welt und Natur verschlossen wurden. Von innen begriffen, und d.h. von ihrer dogmatischen Umhüllung befreit, wäre die Trinitätslehre der Beginn des Kommens der zukünftigen Welt.
    Die jüdische Mystik, die Kabbalah, ist Schöpfungsmystik, die christliche müßte Auferstehungsmystik sein.
    Israel ist der Augapfel Gottes, Teil seines Angesichts, sein verletzlichstes Teil. Aber die Kirche bewacht und hütet das versteinerte Herz der Welt.
    Die Patriarchen: Marx, Freud und Einstein; die Sühne Jakobs: Cohen, Rosenzweig, Lukacz, Bloch, Benjamin, Scholem, Horkheimer, Adorno, Kafka, Kraus, Schönberg (wer fehlt noch?).
    Die Instrumentalisierung des Opfers in der christlichen Opfertheologie, die Verdrängung der Täufer-Theologie (durch die falsche Übersetzung des tollere): der Versuch, die Wunde ohne den Schmerz zu haben, Ursprung der Anästhesie.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, Raum und Zeit, sind Abkömmlinge und Repräsentanten der invisible hand in unserem eigenen Innern. Die Umkehrbarkeit der Richtungen im Raum gehört zu den Prämissen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die dann aber am Ende zu Protest gehen, nämlich mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Und das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages, ist auch die erste Manifestation der Umkehr und der Beginn der Erschaffung des Angesichts, das am sechsten Tage mit dem Menschen im Bilde Gottes, als sein Ebenbild, als Mann und Frau erschaffen wird.
    Die Naturwissenschaft gehorcht dem Prinzip des Von allen Seiten hinter dem Rücken, sie ist der Inbegriff der Ausweglosigkeit.

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