Kafka

  • 28.09.92

    Wie hängen Grund, Begründung und Schuld mit einander zusammen? Ist der Grund die inverse Schuld?
    Gegen die falsche Bewertung der Sexualmoral (zentrales Argument gegen das Zölibat): Das gefährlichste Organ des Menschen ist nicht der Phallus, sondern die Zunge (erst der Weltbegriff exkulpiert die Zunge und belastet des Phallus).
    Der Bann der Sexualmoral ist nur zusammen mit dem des Weltbegriffs aufzulösen. Sexualmoralische Begründung des Objektbegriffs (Kristallisationskern der transzendentalen Logik und des Weltbegriffs): Der Objektbegriff (und die mit ihm verbundene Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes) neutralisiert die Differenz von Himmel und Erde, universalisiert sie zur „Welt“; der Begriff der Welt (des Universums) als Repräsentant der Subjektivität im Objekt macht Herrschaft durch Subjektivierung und Vergesellschaftung (durch Identifikation mit dem Aggressor) unkritisierbar (und entzieht so der Theologie den Erkenntnisgrund). Durch die Sexualmoral wird das Kritikbedürfnis auf ein scheinbar herrschaftsfreies Objekt, in Wahrheit jedoch auf das ins Dunkle gerückte Objekt von Herrschaft (auf die Materie) abgelenkt. Der Objektbegriff, Produkt der Neutralisierung des Namens und Ursprung und Repräsentant der Gewalt des Begriffs, ist selber der Inbegriff dieses Dunklen (Herrschaft erzeugt die ihr korrespondierenden Dunkelzonen, die Schattenwelt, ohne die sie kein Licht hat).
    Zum achten Gebot: Wo treten falsche Zeugen auf?
    – Im Verhör Jesu,
    – beim Verfahren gegen Stephanus,
    – in der Geschichte der Susanna (Buch Daniel).
    Die Confessio als Zeugenschaft ist der eigentliche Ort der Unzucht (Verinnerlichung der Idolatrie). Und die Virginitas ist eine Ersatzbildung der mißlingenden Vermeidung des falschen Zeugnisses (des falschen Bekenntnisses). Die Biologisierung der Virginitas und die Instrumentalisierung der Confessio gehören zusammen.
    Der Andere: ist das nicht die falsche Identifizierung des Fremden mit dem Armen unter der Herrschaft des Weltbegriffs (und in seiner reallogischen Konstituierung und Begründung)? Das prophetische Votum für die Armen und die Fremden depotenziert die neutralisierende (und bewußtlos verwirrende) Kraft der Welt, des Weltbegriffs: es entzieht dem Sein die verandernde Kraft. Kommt heute nicht alles darauf an, zu verhindern, daß diese neutralisierende, verandernde und verwirrende Kraft der Welt endgültig den Sieg davonträgt (es wäre der Sieg über die Armen und die Fremden, und über alle Toten)?
    Randalierer und Krawalle: das hört sich so an, als ob es sich um Leute handelte, die nur Lärm machen und dazu höchstens noch einiges kurz und klein schlagen, aber sonst relativ harmlos sind. Verschwiegen, verdrängt wird das zentrale Moment der gegenwärtigen Ausländerfeindschaft: die obszöne Mordlust, die sich noch an der folgenlosen Empörung über ihre Taten aufgeilt (und die tagtäglich in der Öffentlichkeit: in der Politik und in den Medien zur Schau getragene Empörung ist folgenlos).
    Zu prüfen wäre, welche Rolle bei den derzeitigen Pogromen der Alkohol spielt, und ob es hiernach noch vertretbar und zulässig ist, Trunkenheit weiterhin als strafrechtlichen Milderungsgrund anzuerkennen. Trunkenheit ist ein Männerdelikt, und Trunkenheit ist ein Zivilisationsdelikt (Zusammenhang von Potenzzweifel, Komplizenschaft, falscher Schuldverarbeitung: Kampf gegen den „inneren Schweinehund“, Abbau von Hemmungen). Trunkenheit ist ein Stabilisator der Herrschaftslogik (Taumelbecher). Trunkenheit hat subjektiv (bei der Begründung des autoritären Charakters) eine ähnliche Funktion wie objektiv (im Zusammenhang der Selbstbegründung des Staates) die Strafe im Recht (als Manifestation des Gewaltmonopols des Staates). Vgl. die biblischen Bedeutungen von Wein und Trunkenheit.
    Die Verdunkelung der Materie (im Kontext der Etablierung des Weltbegriffs, Reflex des Gewaltmonopols des Staates) ist der Preis für die Zivilisation.
    Der substantivische Tod wird am Ende mit weichem „d“, das adjektivische tot mit hartem „t“ geschrieben. Der Eine ist der Abschneidende, das Andere bezeichnet das Abgeschnittene.
    Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer Unrecht“ ist ein spätes Echo des jesuanischen „wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“. Hierzu gehört das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“: Heißt das aber nicht, daß, wer steinigt, selber versteinert: zu Stein (Kephas) wird? Ist Petrus und die darauf errichtete Kirche das steinerne Herz der Welt (das „steinerne Herz der Unendlichkeit“ in der „Dialektik der Aufklärung“, mit der Philosophie als Kristallisationskern des historischen Gesteinsbildungsprozesses), dessen Voraussicht die Angst im Garten Gethsemane (Antityp des Gartens Eden) und die Bitte „Laß diesen Kelch an mir vorüber gehen“ allein begründet; ist es dieses Herz, das am Ende in ein fleischernes umgewandelt werden wird?
    Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam: einer der ambivalentesten Sätze der Schrift; einer der Sätze, die in den Kontext des Kelchsymbols gehören. Doppelbegriff der Kirche: das Gebäude (Nachfolger von Tempel und Turm) und die Gemeinde.
    Komplizenschaft und Identifikation mit dem Aggressor oder Prinzip Mescalero: In der Regel zeigen insbesondere die, die bloß das Glück hatten, nicht erwischt worden zu sein, mit besonderer Empörung und besonders tiefem Abscheu auf die, die erwischt wurden. So erweist sich diese (und nicht nur diese, sondern bei genauer Betrachtung jede) Empörung als eine Manifestation der klammheimlichen Zustimmung.
    Zum Begriff des Lösens: gelöst wird der Knoten, das Siegel, und gelöst wird die Fessel, mit der der Gefangene gebunden wurde.
    Zur Geworfenheit und zum Vorlaufen in den Tod: Die Heideggersche Philosophie findet sich als Ontologie zwangsläufig in der Isolationshaft wieder, aus der die Philosophie aus eigener Kraft nicht herauskommt. Das Vorlaufen in den Tod ist ambivalent: Es ist die Identifikation mit dem Aggressor und zugleich das verzweifelte Pochen an der Zellentür, die nur mit Hilfe des Engels Theologie aufzusprengen wäre. Nicht zufällig erinnert der Titel Fundamentalontologie an die Verliese, die in den Fundamenten der Burgtürme sich befanden, und der Begriff der Geworfenheit an das Verfahren der Verbringung der Gefangenen in diese Verliese.
    Uta Ranke-Heinemann verkennt, daß die historische Kritik nur die Vorarbeit ist, die dann aber helfen sollte, den prophetischen Kern der Texte freizulegen. Franz Rosenzweig hat das Sigel R (das den Redaktor bezeichnet) als Rabbenu (unser Lehrer) dechiffriert.
    Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ gibt einen Hinweis darauf, wie die Idee der Auferstehung der Toten noch sich halten läßt. Und zu Benjamins Satz „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“: Wir verraten die Hoffnungslosen nochmal (und endgültig), wenn wir die Hoffnung, die wir nur für sie hegen dürfen, verraten. Die Prophetie hat ein fundamentum in re, unabhängig davon, ob das, worauf sie abzielt, eintreten wird oder nicht (vgl. den letzten Satz in Blochs „Geist der Utopie“).

  • 08.09.92

    Witz und Empörung sind Instrumente zur Verhinderung der Geistesgegenwart, zur Einübung des Vergessens. Jeder Witz und jede Empörung macht uns ein Stück dümmer.
    Das kollektive Lachen (das Gelächter), die Verinnerlichung des Opfers und die Selbstauslöschung des Subjekts (oder: die falsche Versöhnung). Durch Einübung des Herrendenkens versöhnt der Witz die Menschen mit ihrem Objektsein.
    Wenn Gunnar Heinsohn die Schuldknechtschaft und das Tauschprinzip alternativ behandelt, das Tauschparadigma perhorresziert und abwehrt, so möchte er das Tauschprinzip nicht mit der Schuld der Schuldknechtschaft befleckt sehen: die Ökonomie soll (wie die Physik) schuldlos bleiben. Wie sie das bleiben kann, wenn nicht nur ihre Ursprünge, sondern auch ihr Bestehen seit ihrem Ursprung auf dieses gräßliche Institut der Schuldknechtschaft zurückweisen, ist nicht zu erkennen; das Konzept ist (wie im Kontext des christlichen Dogmas) nur zu halten durch Individualisierung (Personalisierung) der Schuld, durch Verdrängung des Schuldzusammenhangs. Die Lösung gleicht (antipodisch, aber nicht zufällig) der, die auch seinem Hexenbuch zugrundeliegt. Und es ist die gleiche Logik, die auch die Venustheorie beherrscht.
    Habermas verharmlost das Materialismusproblem, indem er das gesellschaftliche zu einem Kommunikationsproblem macht, mit der Vorstellung, daß Vernunft als Möglichkeit zum Konsens sich definieren lasse, und Konsens prinzipiell möglich sein müsse. Er verdrängt den Bruch, den die Heinsohnsche Schuldknechtschaft aufs deutlichste benennt, so wie die Physik seit je den Bruch zwischen schwerer und träger Masse verdrängt hat.
    Ohne die Schrift, und d.h. ohne diese Enteignung, Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Sprache, ohne ihre Entfremdung in der Schrift, hätte es keine Großreiche gegeben.
    Ist das Produkt des Bindens der Naturbegriff, und war es dieser Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, den es aber heute endlich zu lösen gilt?
    Das Christentum hat mit der Rezeption der Philosophie im Dogma das Ungleichnamige gleichnamig gemacht; die letzte Folge dieses Geburtsfehlers der christlichen Theologie ist die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes (in dem man Links und Rechts nicht mehr unterscheiden kann und der die benennende Kraft der Sprache endgültig kassiert). Heute erstickt das Christentum an dieser Folge.
    Die Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen: das ist der Ursprung der Opfertheologie, die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Opfers, das Unterbinden der Nachfolge, der Verzicht auf die Umkehr, die Verdrängung der Gottesfurcht. So wurde die Kirche zum Scheffel über dem Licht.
    Kafkas Wort, wonach es unendlich viel Hoffnung gibt, nur nicht für uns, sollte Anlaß sein, die Hoffnung, die es gibt, endlich auszuschöpfen.
    Hegels Bemerkung, die Natur könne den Begriff nicht halten, ist zunächst ein Einwand gegen den Begriff, dann aber auch einer gegen die Natur.
    Seit dem Universalienstreit ist Natur ein Totalitätsbegriff, aber zugleich ist der Begriff zum flatus vocis geworden.
    Das Haupt – und dann auch das Oberhaupt (der Häuptling, Sich oder Etwas Behaupten, auch die Enthauptung): eine Ersatzbildung für das Angesicht?
    Hängt Simon der Kananäer (der Eiferer, Zelot) mit Kana (Hochzeit von Kana, Verwandlung von Wasser in Wein; erneuter Besuch in Kana, Heilung des Sohns eines königlichen Beamten in Kafarnaum, die beiden „ersten Zeichen“ Jesu nach Johannes; Nathanael aus Kana, ein „echter Israelit“, den Jesus unterm Feigenbaum sah) zusammen?

  • 19.11.91

    Gott hat nicht die Welt sondern Himmel und Erde erschaffen, d.h. außer der Erde (mit dem Himmel) auch die Umkehr.
    Seit dem Ursprung des Weltbegriffs bedarf es der Idolatrie nicht mehr; der Weltbegriff leistet seitdem dasselbe, was vorher der Götzendienst leistete. Und die jesuanische Übernahme (nicht Hinwegnahme) der Schuld der Welt steht in der Tradition der Kritik der Idolatrie und des Bilderverbots. Das Bewußtsein davon klingt nach in dem mittelalterlichen Bild der Frau Welt, die in der Tradition des prophetischen Begriffs der Hurerei und des Bildes der Hure Babylon steht.
    Der kirchliche Antijudaismus war das Mittel, die prophetische Idolatrie-Kritik zu adaptieren, ohne sie auf sich selbst (die Kirche) beziehen zu müssen. Ohne den Antijudaismus wäre die Dogmenentwicklung (als Anpassung des die Welt) und ihre Voraussetzung, die Hypostasierung des Weltbegriffs (die Quelle der Häresien) nicht möglich gewesen
    Die vollständige Säkularisation der Religion ist der Faschismus.
    Der Fundamentalismus ergibt sich aus dem Festhalten des Prinzips der wörtlichen Wahrheit der Schrift unter den Prämissen des Weltbegriffs und des Herrendenkens.
    Der Fundamentalismus (miß-)versteht die Bibel als Lehrbuch der Geschichte oder der Physik; er verfällt eben damit dem Bilderverbot.
    Die Vergöttlichung des Opfers ist die christologische Verführung.
    Ist das Firmament ein System aus Spiegelungen und Brechungen, dessen Entschlüsselung erst gelingt, wenn ein diachronischer Geschichtsbegriff möglich ist?
    Die Apokalyptik steht in der prophetischen Tradition, sie ist deren Weiterbildung unter der Voraussetzung des etablierten Weltbegriffs. Und die apokalyptische Vorstellung des Weltuntergangs bezieht sich auf diese Hypostase, ist Produkt und Ausdruck der Auseinandersetzung mit der (nachprophetischen) „Welt“. Die Frage, ob die Apokalyptik in der Form, wie der Fundamentalismus sie dingfest zu machen versucht, auf die physikalische (oder astronomische) Realität sich bezieht, kann offen bleiben (genauer: diese Frage stellt sich jetzt nicht mehr; in den Minima Moralia gibt es ein Stück, das heißt „Nach Weltuntergang“).
    Das Buch Jona ist eine postapokalyptische Schrift:
    – Die Prophetie richtet sich nicht nach innen, sondern nach außen (gegen Ninive, die „große Stadt“).
    – Am Ende stellt sich heraus, daß Gott barmherzig ist (Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht).
    – Gott begründet die Barmherzigkeit mit dem Hinweis auf die 120.000 Menschen, die rechts und links (Gnade und Gericht) nicht unterscheiden können, und auf „so viel Vieh“.
    Ist Jona nicht die genaue Gegenfigur zum Bileam (ein jüdischer Prophet gegen Ninive, ein moabitischer/midianitischer Prophet über Israel? Das NT spricht vom „Zeichen des Jona“ und von der „Sünde Bileams“.
    Erst wenn uns die Möglichkeit der Auferstehung der Toten nicht mehr erschreckt – und das ist nach Auschwitz unmöglich -, wird der Messias kommen.
    Zum Satz Kafkas „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“: Es gibt keine Garantie, die steht bei Gott.
    Es gibt keine Heiligen mehr in dieser Welt, es sei denn, sie heißen Franz K., Schönfließ und Wiesengrund.
    Die nach dem zweiten Weltkrieg modisch gewordene Wendung „Ich würde sagen …“ drückt eine geschichtsphilosophischen Sachverhalt aus: Es ist nicht mehr möglich ungebrochen theologisch zu reden (apodiktisch zu urteilen).
    Die Realität heute ist ein kurzer Prozeß über die Kinder, die überall von Real-Verboten umstellt sind, deren Übertretung unmittelbar geahndet wird.
    Zum Begriff der Strafe (läßt sich das Strafrecht überhaupt noch begründen: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand): Zusammenhang von Strafe, Recht und Bekenntnislogik (Ursprung und Geltung des Weltbegriffs). Der Kreuzestod („Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“) und das Problem der Strafe.
    Strafe verhindert a limine (als Institut) die Gottesfurcht, und zwar auf beiden Seiten: durch Fixierung des Strafbedürfnisses (im Interesse der Erhaltung der „Welt“) und durch das, was sie dem, den sie der Strafe unterwirft, antut.
    Läßt sich das Nationalprinzip unreflektiert auf die Alte Welt, insbesondere auf Israel, anwenden? Was bedeutet hier Volk, Nation, Sprache? Was heißt Assur, Babel, Moab, Amalek; Kanaanäer sind Händler; Israeliten sind für Ägypten, die Philister, bei Jona für die Schiffsleute (bei Judith für Holofernes) Hebräer (Sklaven, Söldner, Kleinviehnomaden). Wie lautet die hebräische Bezeichnung für die Ägypter, und was bedeutet sie?
    Thomas Ziehe (FR vom 19.11.91) leitet das Individuationsprinzip aus dem Konkurrenzverhältnis ab; das Konkurrenzverhältnis bezeichnet aber gesellschaftlich durchaus verschiedene Sachverhalte:
    – Im Handel und in der Produktion bezieht es sich auf den Markt,
    – in der Verwaltung (wie in der Kirche und beim Militär) auf die Karriere (die Teilhabe am Sakrament der Macht), während
    – die Anwendung aufs Proletariat nur auf den „Aufstieg“ aus dem Proletariat sich bezieht.
    Sind die Atome das Proletariat der Mechanik, und ist die Astronomie die Verwaltung?
    Der Begriff des Daseins ist aus der Hegelschen Diskussion des hic et nunc abzuleiten: Das Da ist das Hier für andere.
    Ich habe Elias Canettis „Masse und Macht“ immer als Gegenpol und als Ergänzung zur „Dialektik der Aufklärung“ verstanden: Hier geht es beidemale um die gleiche Sache, das einemal um ihren naturalen Aspekt, das anderemal um ihren historisch-gesellschaftlichen und um ihre erkenntnistheoretischen Aspekt.

  • 29.10.91

    Welt und Natur (Begriff und Name/Objekt) verhalten sich wie Lachen und Kränkung, dem die Lösung durch Weinen verwehrt ist (jedes Lachen enthält Wut in sich, ist ein Appell an kollektive Gewalt, das Weinen ist das principium individuationis: ein Hilferuf und Appell an den Parakleten). Das unterdrückte, verdrängte Weinen der Natur (das Verstummen des Objekts: des Tiers) ist die Antwort auf das Lachen der Welt (des Schicksals, des Begriffs, der Gesellschaft). Lachen (Wut) und unterdrücktes Weinen verhalten sich wie Prädikat und Subjekt im Urteil (Reversibilität des Urteils: im Prädikat wird das Tun zum Erleiden: das Handeln zur prädikativen Bestimmung des Subjekts, zum Begriff). In jedem Lachen steckt ein Stück wütende Anpassung an die Welt, und in jedem Weinen, in der Trauer, eine Ahnung davon, was der Natur angetan wird. Naturphilosophie ist möglich nur noch als Trauerarbeit (Zusammenhang mit dem Ursprung der Astronomie, des Geldes und der Schrift – Raum, Geld und Bekenntnislogik). Name und Schrift gehören zusammen wie Innen und Außen (theologischer und herrschaftsgeschichtlicher, „kunsthistorischer“ Ursprung der Schrift: vgl. Kafkas „Strafkolonie“), d.h. so, daß mit der Verewigung des Namens in der Schrift (wie im Opfer und in der Apotheose des Helden: im Geld) der Name seine benennende Kraft verliert und zum Begriff wird (Ursprung der Astronomie).
    Hängen terra und terror (Erde und Schrecken) sprachlich zusammen (ist der Terror gleichsam die Innenseite des „Himmels“, der Feste, die die Wasser voneinander scheidet); ist Adam ein Schreckensname und der „Auftrag“ des Menschen, die Erde (adama) zu bearbeiten, eigentlich der der Verarbeitung des Schreckens, der auf der Erde lastet (erkennbar in der Gestalt der Tiere, die Gott Adam zuführte, denen Adam aber durch Benennung die Solidarität verweigert, mit der Folge, daß die Schlange sich rächte; bezeichnet nicht vor allem der „Staub“ das Produkt des Schreckens)? Und hängt die Ausbreitung des Terrors (die den orbis terrarum zum orbis terroris macht) mit der wachsenden widerstandslosen Anpassung an die verweltliche Welt zusammen? – Vgl. den „Schrecken Isaaks“ und die übrigen Schreckens-Stellen in der Schrift („Der Herr nennt dich … Schrecken um und um“ Jer 203,10, vgl. Jer 465, 4929, Ps 3114).
    Weish 716: „doch der Herr lacht über sie“, vgl. Ps 3713: „Der Herr verlacht ihn …“
    Gegen Nietzsche: Der Atheismus ist nicht Gegenstand einer „fröhlichen“, sondern der traurigsten Wissenschaft. Die Trauer und den Schmerz des Atheismus durch Lachen übertäuben ist barbarisch.

  • 01.04.91

    Würden unsere Theologen, Politiker, Beamten ernsthaft an das ewige Leben, die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung der Toten glauben, oder wäre Gottesfurcht ein Teil des politischen und religiösen Selbstverständnisses in diesem Lande: diese Welt sähe anders aus.
    Der Begriff der Gottesfurcht ist eindeutig, der der Furcht des Herrn zweideutig. Die Gottesfurcht orientiert sich an dem Verhältnis von Schuld und Versöhnung, Schuld und Befreiung, die Furcht des Herrn an dem Verhältnis von Schuld und Strafe.
    Die drei evangelischen Räte:
    – Armut: Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon;
    – Gehorsam: Heute, wenn ihr seine Stimme hört;
    – Keuschheit: Nicht die Sexuallust, sondern die Urteilslust ist der Transporteur der Erbschuld.
    Reflexion des Zusammenhangs von Selbsterhaltung und Realitätsprinzip:
    – Namenlehre vs. begriffliche Erkenntnis;
    – Kritik des richtenden Denkens.
    Das Bekenntnis ist das Medium der Regression ins Gattungswesen: Hinweis auf den Ursprung der Sexualmoral und die Bedeutung der apokalyptischen Tiere.
    Der kirchliche biologische Begriff der Unschuld ist eine der Quellen, aus denen der faschistische Rassenbegriff: die Vorstellung eines biologischen Erbadels (der biologischen Unschuld der Herren, der Existenz einer Herrenrasse) und der damit notwendig verbundene Antisemitismus sich speist. Hier tritt das Gewaltmoment offen zutage, das im kirchlichen Bekenntnisbegriff bereits enthalten ist.
    Die Trennung des Bekenntnisbegriffs vom Namen verletzt das Bilderverbot, begründet den Objektbegriff, der seitdem das christliche Dogma verhext, und ist der Ursprung der Gewalt in der Religion.
    Die Sexualmoral und ihre Metastasen sind der Inbegriff dessen, was in der Geschichte vom Sündenfall dann mit den Dornen und Disteln bezeichnet wird.
    Die finsteren Mysterien des Personbegriffs.
    Urteilslust dreifach stabilisert:
    – durch den Naturbegriff (durchs Trägheitsgesetz),
    – durch den Weltbegriff (durchs Tauschprinzip),
    – durchs Bekenntnis (durch den vergegenständlichten, verdinglichten Glauben, durchs Prinzip der Weltanschauung).
    In der Bosheit des anderen die gemeinsame Dummheit, die des anderen und die eigene, begreifen.
    Das Problem von Genesis und Geltung hängt mit dem von Objektivation und Instrumentalisierung zusammen. Verwechslung von Geltung und Wahrheit: Geltung ist Geltung für jedermann, es gilt auch hinter dem Rücken, und es hat wirklich etwas mit Geld zu tun, und mit dem Bekenntnis: Im Bekenntnis wird die Geltung für jedermann hergestellt und stabilisiert. Konsequenzen für den Personbegriff, der auch die Anerkennung durch die anderen als Konstituens und Sinnesimplikat mit einschließt. Person ist das Subjekt (der Träger) des Bekenntnisses (Bekenntnis als Maske: vgl. Kafkas Oklahoma). Hiernach wird die Tertullianische Vorstellung, daß Frauen, wenn sie denn in den Himmel kommen, zu Männern werden, vielleicht begründbar (aber der theologische Kontext, in dem sie begründbar wird, eo ipso falsch). Die Person ist keine Schöpfungswirklichkeit, sondern Produkt von Vergesellschaftung. Die Person ist Erbe des mythischen Helden. Durch die Anerkennung der anderen hindurch bedarf die Person letztlich der Bestätigung durch den Staat (ohne Pass ist der Mensch kein Mensch). Abgesichert wird die Person durchs Strafrecht. Der Staat ist somit nicht nur das Prinzip der Anklage (sh. Staatsanwalt), sondern auch das der Exkulpierung (durch den Pass). Voraussetzung der Anerkennung und der Exkulpierung ist das Bekenntnis. Hieraus lassen sich zwanglos solche schönen Dinge wie Antisemitismus, Ausländerfeindschaft, Frauenfeindschaft u.ä. ableiten. Im Kontext unserer Staatsmetaphysik sind Ausländer Häretiker, Ketzer. Und die Deutschen sind die Ausländer für alle anderen (das prädestinierte Objekt der Selbstverfluchung).
    Im Kontext des Anerkennungskonstrukts läßt die Begründung der subjektiven Formen der Anschauung im Gewaltmonopol des Staates nachweisen, zusammen mit der Begründung der Gemeinheitsautomatik: Ihr laßt den Armen schuldig werden.
    Mit der Entfaltung der Namenlehre wird zugleich die Lehre von der Auferstehung der Toten begründet (ist der Logos Begriff oder Name?).
    Das „Seid klug wie die Schlangen …“ und das „und führe uns nicht in Versuchung“ gehören zusammen.
    Das Weltgericht ist das Gericht der Welt über die Welt: Dieser Widerspruch ist vom Begriff der Welt nicht abzulösen. Sie ist die gerichtet-richtende Instanz, oder der Preis dafür, daß die richtende Instanz nach dem gleichen Maße gerichtet wird. Genau dieser Widerspruch wird im Relativitätsprinzip, in der Handlung, in der sich das Inertialsystem konstituiert, dingfest gemacht. In welcher Beziehung dazu steht das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit? Hat die Plancksche Strahlungsformel etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun? Wird diese Beziehung durchsichtig, wenn sich die Plancksche Strahlungsformel aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ableiten läßt?
    Am Bekenntnis die gleiche Korrektur vornehmen wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschindigkeit am Inertialsystem.
    Hawking hat recht: Wenn das Schwarze Loch nur schluckt und nichts ausstrahlt, d.h. wenn darin nur Masse und Energie verschwinden, aber keine Gegenreaktion dazu nachweisbar wäre, so würde das alle Erhaltungssätze (die Stabilisatoren des Inertialsystems und der darin begründeten physikalischen Begriffe) verletzen.
    Merkwürdig, daß Begriffe wie das Schwarze Loch und der Schwarze Körper Grenzpositionen der Naturwissenschaften bezeichnet.
    Ist das heute von der Physik angenommene Alter der Welt in der Größenordnung der dritten Potenz des biblischen Alters der Welt (in Jahren gemessen), und der Ursprung der Bäume und der Menschen in der der zweiten Potenz?
    Das „und er ging hinaus und weinte bitterlich“ ist die Antwort auf das höllische Lachen, das darin vergeht. Das Lachen ist der Inbegriff des pathologisch guten Gewissens. Wir sind das Gelächter über die Dritte Welt? – Lachen Frauen anders als Männner?
    Erst mit der Vergesellschaftung des Herrendenkens ist das Umkehrgebot unabweisbar geworden für alle. Verführung hat immer die Gestalt des moralischen Urteils.
    Antisemitismus und Bilderverbot.
    Das Bilderverbot war die Antwort auf die magische Macht, die das Bild über den Abgebildeten und in der Konsequenz daraus das Bild über den, der sich seiner bedient, vermittelt: Konsequenz für die Physik. Objektivierung und Instrumentalisierung gehören zusammen; hierbei fällt das, was die Dinge an sich selber sind, unter den Tisch (das An sich gehört in den Bereich des Namens).
    Die Umkehrbarkeit der räumlichen Dimensionen ist eine Funktion der drei Dimensionen des Raumes und der Irreversibilität der Zeit. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (oder das Plancksche Strahlungsgesetz) vielleicht doch ein Schlüssel für die Bestimmung des Alters der Welt?
    Läßt sich der Streit zwischen Vätern und Söhnen, der das Zeitalter des Antichrist kennzeichnet, auf den Antisemitismus beziehen?
    Der Sozialismus hat den kritischen Gehalt der Marxschen Philosophie in eine affirmative, instrumentalisierte Gestalt der Theorie, in ein Herrschaftmittel, zurückgebogen.
    Die ideologische Bedeutung des Sports liegt in der Einübung der Verknüpfung des Zuschauers mit dem (parteiischen) Richter.
    Über uns werden sowohl die vergangenen Toten als auch unsere Nachfahren, die wir beide heute verraten, richten. Wir stehen auf einem Berg von Leichen und sind Herr einer zerstörten Natur.
    Jede apologetische Haltung führt nur tiefer in die Verstrickung hinein.
    Natur definiert den Anwendungsbereich des Objektivationsprozesses, einen potentiell unendlichen Bereich.
    „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“: Auch die Tränen lösen sich; „und er ging hinaus und weinte bitterlich“.
    In der kapitalistischen Lohnarbeit wird der Arbeiter um seinen Lohn betrogen.
    Lachen ist das letzte Indiz für das Fortleben des Dämonischen. Die Verinnerlichung des Dämons als Ursprung der Philosophie (Sokrates): Die Gewalt des Schicksals war die Gewalt des Lachens (das homerische Gelächter); und mit dem Schicksal ist dieses Lachen verinnerlicht worden, in die Struktur des Begriffs, als Form seiner Objektbeziehung, mit eingegangen. Lachen löscht die Namen aus, konstituiert das verdinglichte Objekt und den Begriff; als Totalität ist das Lachen mit eingegangen in die Form des Raumes (vgl. Büchners „Lenz“). Alle Objekte im Raum sind, als wären sie ausgelacht (angeklagt und, in einem kurzen Prozeß, gerichtet zugleich: der Raum ist dieser kurze Prozeß). Person (die ihr Gesicht nicht verlieren darf) ist die Angst, ausgelacht zu werden: der Zwang der Selbstrechtfertigung, der sich allein im Weinen löst. Besondere Objekte des Lachens sind die Juden und die Frauen. Lachen ist ein Konstituens des Herrendenkens, das als Lachen über die Herren, auch wenn es die Herren nur schwer ertragen, deren Herrschaft noch zu stabilisieren vermag (Lachen, Herrschaft, Gericht). „Der hat nichts mehr zu lachen“; „warte nur, dir wird das Lachen auch noch vergehen“: Über wen das gesagt wird, ist reines Objekt, auf keinen Fall ein Herr: in ihm ist Gott präsent. – Das verdinglichte Bekenntnis macht Gott zum Objekt des Gelächters.

  • 28.01.91

    Erst in der Gottesfurcht tritt Adam aus dem Versteck „unter den Bäumen im Garten“ heraus, aus dem Bann der Versuchung durch die Schlange, aus dem selbstentfremdenden Wissen („da gingen ihnen die Augen auf“) und seinem Schatten: der Scham oder dem Bewußtsein, nackt zu sein (Gen. 38ff). Angesichts der Unerträglichkeit der Gottesfurcht produziert die erste Regung des Bewußtseins von Schuld die erste Rechtfertigung. (Gefahr der Theologie, insbesondere ihrer pseudomystischen Varianten: vor der Gottesfurcht in die Hybris der falschen „Einheit mit Gott“ zu flüchten. – Vgl. auch Drewermann)
    Gottesfurcht; Bewußtsein, nackt zu sein (Abtrennung und Konstituierung der Privat-, Intimsphäre; Geschwätz und Scham; Bewußtsein, im Intimbereich von außen gesehen zu werden; Begründung und Konstituierung dieses Außen durch das Wissen, was gut und böse ist: Gott, die Welt und der andere Mensch; Zusammenhang von Selbst-Objektivation, Schuld und Scham), Stellenwert der christlichen Sexualmoral (Verhältnis zum „zeugenden“ Vatergott).
    Zu Schmied-Kowarzik: Das dialektische Verhältnis des Menschen zur Natur, Freiburg (Brsg.)/München 1984: Ist nicht die „produktive Tätigkeit der Menschen, ihre gesellschaftliche Praxis …“ (S. 69) die „Arbeit des Kapitals“, des Demiurgen und Weltschöpfers, der sich bewußtlos hinter dem Rücken der Menschen, die, indem sie nur ihre Selbsterhaltung betreiben, diesen Demiurgen erzeugen und nähren, bildet und so (als blindes „Gattungswesen“) die Menschen und ihre Geschichte beherrscht? Wird die Argumentation nicht durch eine kleine kosmetische Änderung (Ersetzung des Begriffs „gegenständlich“ durch „wirklich“ und „wirksam“ – S. 66) fehlgeleitet, wird hier nicht der Knoten durch ein kleines Versehen so festgezurrt, daß er dann nicht mehr zu lösen ist?
    Ich habe Adornos Philosophie (mit sanfter Korrektur seines Selbstverständnisses, er möge es mir nachsehen) in der Sache immer als reinsten Ausdruck von Gottesfurcht begriffen, die dann so konsequent war, sowohl die Nennung des Namens als auch die Existenzbehauptung (jegliches verdinglichende „Bekenntnis“, den Konfessionalismus insgesamt) zu vermeiden: sie unterliegen dem Verdikt der Hybris. Verstößt aber dagegen nicht auch die eben erwähnte begriffliche Korrektur? Und reicht das zugrundeliegende Zitat (E I, 577) nicht von sich aus weiter: nämlich an den Punkt, an dem es notwendig wird, Totalitätsbegriffe wie Welt und Natur selber als Projektionen (des Staates und der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft), als Subjektstützen zu begreifen, die helfen sollen, die Gottesfurcht zu umgehen („Das Ganze ist das Unwahre“). Adornos Sensibilität und sein striktes Votum gegen den Bann der Identität haben hier ihren gleichsam systematischen Grund. – Dieses Verständnis der negativen Dialektik impliziert eine Kritik der Naturwissenschaften, an der ich mir lange den Kopf eingerannt habe, zu der ich aber heute glaube einige weiterreichende Hinweise geben zu können. Der Ursprung und die Entwicklung dieser „Hinweise“ erinnert vielleicht ein wenig an die Geschichte Kafkas vom Schauspieldirektor, der eine neue Inszenierung vorbereitet: er wechselt die Windeln des künftigen Hauptdarstellers (Vorbereitung der wissenschaftlichen Instrumentalisierung der Welt durch die theologische Instrumentalisierung des Glaubens im christlichen Dogma, genetischer und systematischer Zusammenhang der Ausbildung des „Bekenntnisses“ mit der Entwicklung der Grundlagen und der Instrumentarien zum historischen Objektivationsprozeß: Konstituierung des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs im Zentrum des Christentums selber: Begründung und Konsolidierung des Trägheits- und Tauschprinzips durch Vergegenständlichung der Schwerkraft und des Hungers).

  • 27.06.90

    Die Theologie ist der Einspruch gegen die Zwänge, als welche die gesellschaftlichen Strukturen des Realitätsprinzips heute erfahren werden; sie wird blasphemisch, wenn sie mit schwindender Kraft der Reflexion selber diesen Zwängen unterliegt (ihnen einen religiösen Anstrich verleiht: zweite Religiosität; Anbetung der „theologischen Mucken“ der Warenform).

    FR: „Vatikan droht kritischen Theologen“ – Hier fordert die Kirche, die selbst kein Mitleid kennt, in paranoider Verkehrung der Verhältnisse Mitleid mit sich selbst, mit den „Hirten der Kirche“, wenn sie von den Theologen fordert, daß sie bei Konflikten mit der Kirche keinen „Druck auf die öffentliche Meinung ausüben“ sollen. Übernahme des „Nestbeschmutzer“-Syndroms? (Ähnlich schon im Hirtenwort der deutschen Bischöfe zum 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“). – „Triebkräfte der Untreue gegen den Heiligen Geist“? Es gibt die Sünde wider den Heiligen Geist, aber keine Untreue gegen den Heiligen Geist (die Nibelungentreue sollte man dem nationalen Wahn überlassen); und bei den „Triebkräften“ kann es sich nur um die allzu bekannten subversiven Kräfte handeln (projektive Nebeneffekte der krichlichen Sexualmoral).

    D.’s Interpretation des „Richtet nicht, damit ihr nicht von Gott (E.D.) gerichtet werdet“ entstellt den Sinn des Gebotes.

    Mit der Kritik der politischen Theologie und der Rechtfertigung des Bürgers blendet D. das Herrendenken und seine Folgen für den Prozeß der Verweltlichung aus. Wer die Kritik der Welt aus der Theologie eliminiert, kastriert die Theologie. Da trifft sich D. mit Habermas, mit dessen Kritik an der Frankfurter Schule: an den Weltbegriff wird nicht mehr gerührt. D.’s Diffamierung des „Retter-Syndroms“, eigentlich der Erlösung, ist der genaue Ausdruck davon. Hier adaptiert er, was er zugleich kritisiert (und das macht den D. so anstrengend): die Kirche als Gnaden-Verwaltungsanstalt. Zusammenhang mit der von D. sowohl kritisierten als auch dann doch akzeptierten Opfertheologie.

    Ist nicht D.’s Verständnis der j Urgeschichte neokolonialistisch (Vergangenheit als Rohstofflieferant). So wird die j Urgeschichte wieder einmal von oben her erledigt, anstatt sich wirklich darauf einzulassen.

    Die Schöpfungsgeschichte wörtlich nehmen: das ist auch einer anderen Interpretation fähig als einer fundamentalistischen.

    Religion ist heute entweder Blasphemie oder eine offene Wunde, deren Sinnesorgan z.B Adorno, Jean Amery, Primo Levi oder Nelly Sachs heißt. Es ließe sich leicht ein Kanon verbindlicher Schriften zusammenstellen, deren Kenntnis bei einer Neubegründung der Theologie vorauszusetzen wäre: Drewermann scheint keine dieser Schriften zu kennen. Zu beachten ist freilich, daß diese Literatur Literatur von realen oder potentiellen Opfern ist und von den (realen und potentiellen) Tätern nicht unverwandelt rezipiert werden kann. Dazwischen steht die Vernichtungswut, die Opfer und Täter trennt. Unsere Kraft reicht nur soweit, wie wir bereit sind, uns durch diese Literatur aufstören zu lassen.

    Das angstfreie Leben, das D. wohl als Utopie, als Bild eines Lebens, das mit sich versöhnt ist, vorschwebt, ist in der D’schen Version nur auf der Grundlage neuer Verdrängungen und Rationalisierungen möglich, das aber heißt: nur als Quellgrund neuer Angstregionen. Angst ist ein Indikator für Unaufgearbeitetes: freilich für ein nicht nur im Subjekt, sondern zugleich draußen, in der Objektivität Unaufgearbeitetes.

    Zu Kant: Die Moral ist der Schopf, an dem sich die Philosophie aus dem zuvor selbst produzierten Sumpf ziehen muß.

    Das Prophetenwort „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ rückt den Kreuzestod Christi überhaupt erst in die richtige Perspektive. Es ist die schärfste Kritik an seiner Instrumentalisierung zur Opfertheologie. Die Vorstellung, daß die KZ-Schergen nach getaner Arbeit auch 1944 noch zu Hause mit Frau und Kindern unterm Weihnachtsbaum Weihnacht gefeiert haben, sollte eine Schutzimpfung gegen den sentimentalen Sog des Weihnachtsfestes sein, der ohnehin nur dem Weihnachtsgeschäft zugute kommt, in dem sich Auschwitz fortsetzt.

    Die Opfertheologie verhält sich zur Befreiungstheologie wie die Familie zur Ehe (oder wie die Eucharistie zum Kannibalismus?). Die Ehe ist ein Sakrament, nicht die Familie; die ist eines der Zentren des bürgerlichen Schuldzusammenhangs, ein Mythos-Generator.

    Gibt es für die Idee der seligen Anschauung Gottes eine biblische Grundlage, oder handelt es sich hier um ein philosophisches (aristotelisches) Erbe? Zusammenhang mit dem aristotelischen Theorie-Begriff, abgegolten und erledigt durch die kantische Philosophie (Zusammenhang der Formen der Anschauung mit der transzendentalen Logik).

    Der Rosenzweigsche Weltbegriff scheint mir den Punkt zu bezeichnen, von dem aus der „Stern“ aufzuarbeiten wäre. Das „All“, gegen das er seine Philosophie setzt, ist ja der Gegenstand des Weltbegriffs, gegen den seine Philosophie andenkt. Der Weltbegriff ist selber an die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur gebunden, ein Nebenprodukt des Objektivationsprozesses, der Vergegenständlichung der Natur, hinter deren Rücken gleichsam der Weltbegriff sich konstituiert. Herrschaft verstrickt sich in Welt.

    Wenn das Verhältnis des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel begriffen ist (Ursprung und Bedeutung des Korpuskel-Welle-Dualismus), ist der Einstieg in eine neue Naturphilosophie geschafft (Zusammenhang mit dem -vierdimensionalen – Raumzeitkontinuum, mit der Minkowskischen Raumzeit: Stellenwert des die Lichtgeschwindigkeit repräsentierenden imaginären Raumteils: Grund für die Begrenzung auf den mikrophysikalischen Bereich?).

    Dem Naturschönen wohnt ein utopisches Element inne, während die weltliche Schönheit nur regressive Züge trägt (Zusammenhang von Natur- und Weltbegriff).

    Der eigentliche Gegenstand des Inzest-Verbots ist der Ursprungs-Mythos, in letzter Instanz die Fundamentalontologie. Parvus error in principio magnus est in fine. Aktualität von Kafkas Parabel vom Schauspieldirektor, der zur Vorbereitung einer neuen Inszenierung die Windeln des künftigen Hauptdarsteller wechselt.

    Zusammenhang von Öffentlichkeit und Krieg (unter Einbeziehung der Lehre vom Heiligen Geist).

    Das Gefühl ist das Gegenteil von Glück; das Glück ist kein Gefühl.

    D. überantwortet die Theologie einem Abfall-Vernichter.

    „Zeit ist’s zu handeln für den Herrn“.

    Gilt das Kreuzeswort Jesu „Vater, vergib ihnen, …“ auch für die Kirche, die sich mit der Opfertheologie auf die Seite der Täter gestellt hat?

    F.R. hat nach W.B. die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterbefördert statt sie seßhaft zu verwalten, D. wirft die Tradition wie einen Ballast ab, um die Verwaltungspraxis zu erleichtern. Dabei ist er sich nicht zu schade für die denunziatorische Nutzung einer instrumentalisierten Psa. z.B. im Falle des Franz von Assissi.

    Wenn Jesus die Schuld der Welt auf sich genommen hat, dann war das kein stellvertretendes Opfer, sondern ein durchaus realer Versuch, verdrängungslos zu leben.

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