Kant

  • 12.4.1997

    Wenn Kant zufolge die Welt das mathematische Ganze der Erscheinungen ist, ist dann nicht der Staat der Ursprung der Mathematik, und enthält dann nicht Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ die Kritik des Staates und der Mathematik (und den Anfang der resurrectio naturae)?

    Zum „Namen, den niemand kennt“: Wer kennt schon seinen Namen? (Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß.) Hat die Änderung der Namen im Buch Daniel etwas mit den Namensproblemen in den Evangelien zu tun (mit Simon/Petrus, Saulus/Paulus, Simon Kananäus/Nathanael aus Kana, Levi/Matthäus)?

    Zu Simon Kananäus: Ist die Eigenschaft eine Ortsbezeichnung im Begriffsraum? Gibt es nicht „Eigenschaften“ (die durch richterliches Urteil festzustellen sind), die ihren „natürlichen Ort“ im Knast haben?

    Ist der Charakter ein psychologischer Reflex des Inertialsystems (der „Planeten“ in der vorkopernikanischen Welt)?

    Neoliberalismus, freie Marktwirtschaft, Globalisierung: Die Kapitulation des Staates vor der öffentlichen Gewalt des Geldes, die kopernikanische Wende in der Ökonomie.

    Ist beim letzten Satz des Jakobusbriefs nicht an den Adressaten, der im Satz benannt wird, zu erinnern: Richtet sich der Satz, daß, wer einen Sünder von den Wegen seines Irrtums bekehrt, seine eigene Seele vom Tode rettet, nicht an die „zwölf Stämme in der Zerstreuung“, und sind die Völker (die Verehrer der Planeten) der „Sünder auf den Wegen seines Irrtums“?

  • 11.4.1997

    Das Geld instrumentalisiert die Asymmetrie der Beziehungen zwischen mir und den Anderen, es trennt Natur und Welt, es teilt die Welt in innen und außen. Die Trennung der subjektiven Formen der Anschauung ist durch die Logik des Geldes vermittelt. Das Geld konstituiert den Naturbegriff durch seine Trennung vom Ausblick auf die Auferstehung, die nur für die Andern gilt: durch Instrumentalisierung und Verdinglichung.

    Das Wort „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ ist ein antikapitalistisches Wort.

    Ist nicht der Pharao die Verkörperung der Logik des Geldes: „Faul seid ihr, faul“? Joseph hat geholfen, das Haus zu errichten, an das der Name des Pharao erinnert, und das zum Sklavenhaus geworden ist, als ein Pharao kam, „der Joseph nicht mehr kannte“. Zu dieser Geschichte gehört die Geschichte der Verhärtung des Herzens.

    Das Resultat der christlichen Verarbeitung des „Alten Testamentes“ war die Zerstörung der Logik der Prophetie, das Instrument dieser Zerstörung war die Historisierung der Schrift, die implizite Leugnung der Offenbarung.

    Das Geld begründet die Unendlichkeit des Triebs, den Wurm, der nicht sterben kann.

    Golgatha hat den Exodus zugespitzt auf die Beziehung von Tod und Auferstehung.

    Der Schlüssel zum Verständnis des Christentums liegt in den Häresien: Man wird zu dem, was man verurteilt. Der Akt der Verurteilung trifft nicht nur das Objekt der Verurteilung, er liefert zugleich das Alibi, selber dem Objekt sich angleichen zu müssen.

    Sich von der Terrorisierung durch eine Logik, die dazu führt, daß es bis heute die Opfer waren, die die Zeche haben zahlen müssen, nicht überwältigen lassen!

    (Was hat die Zeche <Entgelt> mit der Zeche <Bergwerk> und dem Zecher zu tun?)

    Die Vögel des Himmels: Sind Vögel (vom Adler über die Raub- und Singvögel bis zum Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt) Geldtiere?

    Der kantische Hinweis, daß das Geld die Vorstellung erweckt, was man damit alles machen könne, gilt eigentlich nur für das Geld der Andern (vgl. hierzu die Reaktion des Judas Ischarioth auf die „Verschwendung“ bei der Salbung Jesu durch die „große Sünderin“).

    Wie sind die betriebswirtschaftliche, die nationaökonomische und die private Erfahrung des Geldes auf einander bezogen?

    Die Verwaltung ist die institutionelle Umkehrung des Satzes „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“. Die im Kontext des gegenwärtigen Sozialabbaus in Bewegung gesetzten Phantasien („Mißbrauch der Sozialhilfe“) werden von dieser Umkehrung organisiert und geleitet.

    Laufen nicht die Versuche, sich die Befreiung unterm Bilde des Exodus vorzustellen, auf eine Verharmlosung hinaus? Was heute Befreiung heißen darf, dürfte eher der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft gleichen als der aus dem ägyptischen Sklavenhaus. Das Bild des Exodus überläßt die Verantwortung den Opfern (die „selber schuld“ sind).

    Das Gebot der Feindesliebe votiert für den Namen und destruiert den Begriff. Es gibt keinen Begriff ohne das Moment der Feindschaft in ihm (der Feindschaft gegen das Objekt und gegen sich selbst). Der Begriff zerbricht sich den Kopf des Andern.

    Triebleben des Begriffs: Gotteserkenntnis setzt die Entpsychologisierung des Begriffs der Verdrängung voraus, daß man im Begriff der Verdrängung das logische, begriffskonstituierende Element begreift. So steckt in Adornos Begriff der autoritären Persönlichkeit weniger ein psychologisches als vielmehr ein herrschaftslogisches Konzept.

    Der Schlüssel zur Logik der Verdrängung liegt im Problem der Orthogonalität (die Orthodoxie ist das theologische Korrelat der Orthogonalität). Die Orthogonalität ist das Instrument der Veranderung (der logische Kern des Urteils und der Ontologie). Die Orthogonalität begründet die Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Logik der subjektiven Form der inneren Anschauung, die Vorstellung des Zeitkontinuums. (Die Verräumlichung der Zeit, ihre Vergegenständlichung, die das Zeitliche zu dem, was es nicht ist, zum Gegenstand der Anschauung macht, ist der logische Kern des „Seitenblicks“, der in der kopernikanischen Wende universal geworden ist.)

    Beschreibt der Traum des Pharao (von den sieben Kühen und Ähren, die eigentlich sieben Jahre sind) nicht den Ursprungspunkt des „Seitenblicks“, der Verräumlichung der Zeit, und benennt der Traum des Nebukadnezar das Moment der Verdrängung in diesem Seitenblick?

    Merkwürdig, daß Joseph nach den Träumen Pharaos nur Vorräte von Getreide anlegt, das Fleisch (die „Kühe“) nicht mit einbezieht, während der Traum des Nebukadnezar auf Tiere sich bezieht. Die Erinnerung an die Kühe erscheint erst wieder in der Erinnerung der Israeliten an die „Fleischtöpfe Ägyptens“. Gibt es eine logische Beziehung der biblischen Tieropfer hierzu? Hatten die Ägypter überhaupt Viehbestände (und richtete sich der Widerstand der Ägypter nur gegen die Kleinviehherden der Israeliten)? Die fünfte und die sechste Plage (die Pest und die Beulen aus dem Staub) richteten sich gegen das Vieh (die Beulen auch gegen die Zauberer), in die Tötung aller Erstgeburt in Ägypten war auch das Vieh mit einbezogen.

    Wie hängen der Begriff des Fleischs und das Opfer mit einander zusammen: ist Fleisch der Leib für andere (und zwar im Kontext der Sexualität wie in dem des Verzehrs)? Gehört nicht zum Begriff des Fleischs die Doppelbedeutung des „Gerichts“ (mit den logischen Konnotationen des Urteils und der Verurteilung, der Konstituierung des Objekts)? Gibt es eine logische Begründung für den Zusammenhang des Fleischessens mit der Ausbildung hierarchischer Strukturen und dem Ursprung der Herrschaftslogik (mit den „Wegen des Irrtums“)?

  • 9.4.1997

    Heute wird auch die Philosophie zum Markenartikel: Es gibt weder die Kritische Theorie noch die Theologie.

    Adornos Programm der „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“ ist zweideutig: Die christliche Theologie, die orthodoxe dogmatische Theologie, ist bereits – als Theologie hinter dem Rücken Gottes (als „Rede von Gott“) – das Produkt ihrer vollständigen Säkularisierung, während Adornos Konzept auf das genaue Gegenteil: auf das Ende der verdinglichten Theologie und die Realisierung der Theologie als eine Gestalt eingreifender Erkenntnis abzielte, auf eine Theologie im Angesicht Gottes.

    Die Orthodoxie ist der Inbegriff der 99 Gerechten, die Geschichte der Häresien der des einen Sünders und seiner Wege des Irrtums. Über die Bekehrung dieses einen Sünders herrscht mehr Freude im Himmel als über die 99 Gerechten.

    Die Kritik der Metaphysik, wenn sie nicht im Mythos enden soll, ist nur möglich durch Kritik der Ontologie, an deren Stelle die Ethik zu treten hätte, im Kontext einer Theologie, die den Satz zur Richtschnur der Erkenntnis macht, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Dem entspricht der Benjamin’sche Begriff der Lehre.

    In dem die Geschichte der Dogmenbildung begleitenden Prozeß der Auseinandersetzung des Christentums mit den Häresien ist dieser Imperativ externalisiert, zum Instrument der Verurteilung und zum logischen Kern eines Schuldverschubsystems gemacht worden, mit den bekannten fürchterlichen Folgen fürs Christentum.

    Modell war die Internalisierung des Mythos, des Schicksalsbegriffs, in der Ursprungsgeschichte der Philosophie (des Begriffs). Anhand der Ursprungsgeschichte der Philosophie wäre der Zusammenhang des Ursprungs des Schuldverschubsystems mit der Konstituierung der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt zu demonstrieren.

    Der Begriff der Größe hängt mit dem des Erhabenen zusammen. Deshalb ist bei Kant der Sternenhimmel über mir ebenso „erhaben“ wie das moralische Gesetz in mir. Das Erhabene ist das über alles, was der Fall ist, Erhabene, das über die Welt Erhabene. Aus der gleichen Logik stammt das historische Attribut der Größe, das den historischen Prozeß der Konstituierung der Welt (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) begleitet.

    Der Begriff des Erhabenen erinnert ans Erhobene und ans Haben.

    Ist das Erhabene der selber nicht säkularisationsfähige Grund des Säkularisationsprozesses, ein Moment der inneren Logik des Eigentums?

    Wird die „irre Fahrt zu den Sternen“ heute nicht im Ernst zum Menetekel?

    Der biblische Fluch ist ein Instrument der Verurteilung, der Inbegriff seiner Logik (der biblische Reflex des Schicksals). Hat er nicht in der Tat etwas mit der Idee des Himmels zu tun?

    Wie hängt der zweite Schöpfungstag mit Lev 26 und Dt 28 zusammen?

    Das Problem der Theologie heute ist von dem der Apologie irgend einer der kirchlichen Denominationen streng zu trennen. Eine andere Frage ist, ob, was heute noch Theologie heißen darf, überhaupt an einer der akademischen Einrichtungen, seien sie kirchlich oder seien sie staatlich, noch seinen Ort finden kann. Theologie heute wäre

    – prophetische, und d.h. sowohl staats- als auch kirchenkritische Theologie,

    – messianische, auf Realisierung, Erfüllung zielende Theologie und

    – parakletische Theologie, das Organ des verteidigenden, das Gericht überwindenden, ihm enthobenen Denkens, das Organ des aufrechten Gangs.

    Das Buch der Richter ist ein prophetisches Buch, und als solches hat Lillian Klein es erstmals wieder begriffen (über der Prophetie steht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen).

    Zur Begründung des Kausalitätsprinzips: Die gemeinsame Logik der modernen Naturwissenschaft und des Kapitalismus ist die Logik der „List der Vernunft“, sie ist im genauesten Sinne hinterhältig (sie konstituiert sich hinter dem Rücken der Dinge). Der Listige spannt den Andern, ohne daß er es merkt, für seine Zwecke ein. Das biblische Symbol des Subjekts dieser Vernunft ist die Schlange, ihr grammatisches, sprachlogisches Korrelat das Neutrum.

    Wie hängt die List mit dem Unschuldssyndrom und dem Schuldverschubsystem zusammen?

    Die Fähigkeit zur Schuldreflexion entgründet den Universalismus, destruiert das Überzeitliche und bindet die Erkenntnis an die Aktualität, an ihren Zeitkern. Das Unum ist nicht die Grundlage, sondern – in dem Gebot der Einigung des Gottesnamens – das Ziel.

    Was geschieht, wenn der westliche Antizionismus und die antiislamischen Tendenzen sich vereinigen?

    Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Der „Hinterkopf“, die Fähigkeit, mit offenen Fragen zu leben und das Urteil zurückzustellen, ist das Organ der Gottesfurcht.

    Zu einer Theorie des Feuers: Sind die Objekte der Mikrophysik gemeinsame Abkömmlinge des „Wärmestoffs“ und des „Äthers“?

    Die Bundesanwaltschaft: das suizidale Experiment der gnadenlosen Anklage.

    Die kleine Veränderung, die der Messias an der Welt vornehmen wird, ist die Selbstreflexion des Hinter dem Rücken und die Selbstbegründung des Angesichts. Das wäre die endgültige Umkehr und die Befreiung von den sieben unreinen Geistern. Diesen Vorgang beschreibt die Apokalypse.

    Die Siebenzahl bezeichnet keine Fülle, sondern die Gesamtheit der Wege des Irrtums.

    Teufel und arme Seele: Wer den Begriff der Schöpfung auf die Welt bezieht, hält die Frage offen, ob die Menschen zur Welt oder auf die Seite des Schöpfers gehört. Das ist der Preis für die Vorstellung der Einheit der Welt.

    Der Historismus ergreift die Partei des Todes.

    Reflektierende Urteile – und die sind das Element, in dem die Theologie sich bewegt – sind nicht konstitutive, sondern regulative Urteile.

    Wäre es nicht notwendig, nachträglich noch einmal die Diskussion zwischen Benjamin und Horkheimer über die Vergangenheit des Vergangenen aufzunehmen? – Vgl. hierzu Horkheimers Frage, ob auf dem riesigen Leichenberg, auf dem wir stehen, die Idee einer richtigen Gesellschaft überhaupt noch sich denken läßt.

    Hat der Satz, daß Auschwitz uns umso näher zu rücken scheint, je weiter wir uns historisch von ihm entfernen, nicht etwas mit dem Satz Karl Thiemes, daß Hitler nicht der Antichrist, sondern nur die Generalprobe war, zu tun?

    Der letzte Satz des Jakobusbriefs ist das christliche Äquivalent zu Jer 3134. Zwischen beiden Worten liegt der Ursprung des Weltbergriffs.

    Die kopernikanische Wende hat die Differenz zwischen Himmel und Erde zwar nicht aufgehoben, aber so verwirrt, daß davon auch die Theologie nicht unberührt geblieben ist. Als die Erde unter die Planeten, und damit an den Himmel, versetzt wurde, ist auch der Himmel und mit ihm die Theologie endgültig entgegenständlicht worden. Seitdem sind wir selbst zum Gegenstand der Theologie, ist das zentrale Thema der Theologie, die Beziehung von Gericht und Barmherzigkeit, zu einem inneren Problem der Erkenntnis geworden.

  • 8.4.1997

    Ist es nicht das ganze jämmerliche Rechtfertigungsgerede, das Anton-Andreas Guha heute (in seinem Beitrag zur Goldhagen-Debatte) zusammengestellt hat, vom „die andern auch“ über „Versailles“ bis zu den gesellschaftlichen Umständen der 20er und 30er Jahre? So hofft er, den Schrecken, an den Goldhagen erinnerte, neutralisieren zu können (mit der besonderen Infamie, mit der der Kollektivschuld-Vorwurf, den wir aus dem Ausdruck „die Deutschen“ reflexartig heraushören und offensichtlich nur noch rassistisch verstehen können, dann auf den Autor zurückprojizieren: weil der Kollektivschuld-Vorwurf zu den Wurzeln des Rassismus gehört, sind Rassisten gegen ihn immun?).
    Die Verführung der Urteilsmagie liegt in ihrem Rechtfertigungseffekt: Deshalb schlagen die Rechtfertigungszwänge, die Wiederholungszwänge sind, den Takt zu den kunstvollen Eiertänzen, zu denen Goldhagen seine Kritiker gezwungen hat. Die Rechtfertigungsorgie funktioniert nach der Logik „100 Millionen km Schweif! – Was sind wir doch für kleine Würstchen“.
    Steckt nicht in den Rechtfertigungszwängen, die in dem „jämmerlichen Schauspiel“ sich manifestieren, das Bedürfnis und der Trieb nach neuen Objekten der Eliminierung?
    Das Kind der Ehe, die die Gnade der späten Geburt nach dem Krieg mit der Urteilsmagie eingegangen ist, wird der neue Faschismus sein.
    Käme es nicht endlich darauf an, das apokalyptische Bild des „großen Zeichens am Himmel“ (Off 12) ins Sprachlogische zu übersetzen?
    Auch der Naturschutz ist ein Instrument der Ausgrenzung, der Perhorreszierung des Eingedenkens.
    Jede Rechtfertigung beruft sich auf die Natur, wenn sie die Freiheit verleugnet.
    Die Rechtfertigungslehre ist längst an der Hoffnung verzweifelt, daß der Himmel sich zu öffnen vermag.
    Monaden sind fensterlos: War die Leibniz’sche Monadenlehre der Anfang der Selbstreflexion einer anderen Planetentheorie, gehört nicht zu den „Wegen des Irrtums“ der nach außen versperrte Blick? Der aber war das Werk der kopernikanischen Wende.
    Die Hypothese, daß die RAF derzeit in ihre autistische Phase kommt, greift weit über den Bereich der RAF hinaus. Die Angriffe von Vertretern der naturwissenschaftlichen Medizin in den letzten Tagen gegen die psychosomatische Medizin (auch gegen die Homöopathie und andere alternative Methoden) hängt mit der Unfähigkeit zur Reflexion zusammen, die jetzt auf die Objekte und Inhalte der Medizin zurückzuschlagen scheint. Das in die Naturwissenschaften eingebaute Unschuldssyndrom (die mit der kopernikanischen Wende begründeten und dann automatisierte Rechtfertigungszwänge) entfaltet sich als Leugnung des Objekts, wird zu eliminatorischen Gewalt. „Objektiv“ ist nur noch das Innere der Monade.
    Es käme darauf an, an den Punkt heranzukommen, an dem die Reflexion die Kraft gewinnt, die Gewalt der Rechtfertigungszwänge zu sprengen.
    Der Autismus und die Geiselhaft-Logik der RAF sind der ohnmächtige Reflex der zugrundeliegenden Logik des Staatsschutzes.
    Ähnlich wie die RAF-Unterstützer die Gefangenen nehmen heute die Ärzte die Kranken als Geisel. Gibt es zum Korpuskel-Welle-Dualismus, dem Reflex der Verdinglichung in der modernen Physik, eine Entsprechung in der Medizin (sind nicht schon Proton und Elektron Produkte des Korpuskel-Welle-Dualismus, Emanationen der grammatischen Logik des Substantivs)?
    Der Terrorismus der RAF und die Unfähigkeit, den Schrecken des Faschismus zu reflektieren, sind Teile der gleichen Logik. Die RAF hat die Logik der Verurteilung, die die Erinnerung an den Schrecken bannen sollte, nur exekutiert.
    Identitätsprinzip: Im Autismus schlägt der horror vacui, den die philosophischen Idee des Subjekts auf die Welt abzuleiten versucht, aufs Subjekt zurück. Im Autismus erfährt sich das Subjekt selbst als Objekt der Logik, mit deren Hilfe es gegen die Welt sich zu behaupten versucht.
    Die Fensterlosigkeit der Leibniz’schen Monade ist ein sprachlicher Sachverhalt: das Resultat der Tilgung der erkennenden Kraft des Namens.
    War der Hitlerismus nicht ein Reflex des heliozentrischen Systems?
    Das Entscheidende am Werk Einsteins waren nicht seine mathematischen Konstruktionen, die auch von anderen hätten erarbeitet werden können, sondern das, was er damit „beweisen“ wollte: seine „intuitiven“ oder auch „spekulativen“ Einsichten, die im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und im Postulat der Identität von träger und schwerer Masse sich ausdrücken.
    Marx, Freud und Einstein sind Opfer der gleichen Verblendung, zu deren Kritik sie den Grund gelegt haben.
    Hat der Anfang des Matthäus-Evangeliums, das „Wir haben seinen Stern gesehen“ und die Träume der Magier und Josephs, etwas der Apokalyptik, mit Daniel, zu tun?
    War es Jakob Taubes, Emmanuel Levinas oder Jeshajahu Leibowitz, der die Halsstarrigkeit als metaphysischen Teil der jüdischen Anatomie erkannt hat? Haben nicht das Dogma und die Bekenntnislogik diese Halsstarrigkeit zum kosmologischen Prinzip gemacht?
    Die schärfsten Kritiker Netanjahus (und zuvor des Zionismus) sind die, die ihn immer schon als Alibi ihrer Unfähigkeit zur Reflexion brauchten.
    Thematische Wünsche an eine Theologie, die die Impulse der jüdischen Aufklärung in Deutschland aufnimmt, den durch sie gesetzten Standards genügt:
    – die Verstockung des Herzens Pharaos,
    – Daniel und der Traum Nebukadnezars,
    – das Menetekel und der wie eine Buchrolle sich aufrollende Himmel (Lev 26 und Dt 28),
    – Rezeption des Jakobusbriefs („Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“, „Wer einen Sünder von den Wegen seines Irrtums bekehrt …“),
    – Barbaren und Hebräer (Philosophie und Prophetie),
    – Kritik der kantischen Totalitätsbegriffe und Hegels Hinweis zum Begriff der Geschichte (Rosenzweigs Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
    – die Logik der Schrift.



  • 4.4.1997

    Staatsschutz-Senat: Die Geschichte der Philosophie ist ein Prozeß, in dem die Natur die Angeklagte und die Welt, deren Anwalt die Philosophie ist, Ankläger und Richter in eins ist. In dem Schiller-/Hegelschen Begriff des Weltgerichts drückt dieser Sachverhalt sich aus.
    Der strafrechtliche Unterschied zwischen Alkohol- und Drogenkonsum gründet darin, daß der Staat in der Trunkenheit sich selbst wiedererkennt, während er im Rausch die Unbotmäßigkeit dessen ahndet, der sich seiner Herrschaft entzieht. Die Trunkenheit (der biblische Taumelkelch) ist ein Abbild der Herrschaftslogik, während der Rausch anarchische Züge aufweist. Wenn in Deutschland Trunkenheit als Strafmilderungsgrund gilt, so hat das etwas mit der Begründung und Rechtfertigung des staatlichen Gewaltmonopols, mit dem präventiven Selbstfreispruch des Staates zu tun.
    Weltreligion: Spiegelt sich in der Abfolge der drei Leugnungen Petri nicht die fortschreitende Anpassung der Kirche an die Welt?
    Zur Selbstreflexion des Antifaschismus: Glaubt einer im Ernst, man könne mit Kanonen in die Vergangenheit schießen? Das kann nur zu Rohrkrepierern führen: Die Granaten explodieren in der Gegenwart.
    Woher kommt es und was hat es zu bedeuten, daß Hegels Rechtsphilosophie – ähnlich wie die Logik, aber im Unterschied zur Ästhetik, zur Religionsphilosophie und zur Philosophie selber – keine Geschichtsphilosophie ist? Hängt es damit zusammen, daß das Recht und die Logik zu den Konstituentien und nicht zu den Manifestationen des Weltbegriffs gehören? Gehört nicht deshalb die Kritik der Logik und des Rechts (die Kritik des Urteils) zu den Voraussetzungen der Kritik des Weltbegriffs?
    In welcher Beziehung steht der Naturbegriff und der Begriff der Wissenschaft zu dieser logischen Konstellation? Bei Hegel entfaltet sich der Wissenschaftsbegriff in der Phänomenologie, in der Logik und in der Enzyklopädie. Die drei kantischen Totalitätsbegriffe, Wissen, Natur und Welt, werden in Hegels Philosophie insgesamt nur vorausgesetzt, nicht entfaltet.
    Sprachlogische Deduktion des deutschen Suffixes „-schaft“ (in Wissenschaft, Gesellschaft, Ärzteschaft, Bundesanwaltschaft, NS-Frauenschaft, Burschenschaft, Mannschaft, Herrschaft, Feindschaft und Freundschaft, Gefangenschaft, Landschaft, Eigenschaft, Wirtschaft, Landwirtschaft; die Nazis kannten noch die Bauernschaft, das Proletariat hatten sie durch die Arbeiterschaft ersetzt, und war nicht die Jungenschaft eine Unterorganisation des Jungvolks)? Drückt darin nicht etwas vom demiurgischen Potential des Staates, von seiner logischen Beziehung zur Welt, seiner Funktion bei der „Schöpfung der Welt“, sich aus? Etymologisch hängt das Suffix mit dem Begriff der Schöpfung, des Schaffens, zusammen.

  • 1.4.1997

    Die christliche Transformation des Bibelverständnisses ins Erbauliche beginnt mit der Transformation des Prophetischen ins Exemplarische, vorbildhaft Historische.
    Der Antisemitismus reflektiert reflexionslos den Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Er ist ein Indiz dafür, was von der Aufklärung zu erwarten ist, wenn die Reflexion aus ihr vertrieben wird.
    Zu den Gründen des Antisemitismus gehört die Feigheit vor dem frontalen Diskurs, der Antisemitismus verwechselt Kritik mit Eliminierung. Antisemiten kritisieren keine Bücher, sie verbrennen sie. Das ist ihre Form des Urteils, die Reflexion nicht mehr kennt, aber auf sofortigen Vollzug dringt: auf Bestrafung. Die antisemitische Gewalttat zielt auf die Zerstörung des Angesichts, sie kennt ihr namenloses Opfer nur von hinten (aus der Sicht des Gerüchts) und von oben (als Objekt des Begriffs), als das Ding, zu dem sie es macht.
    Das reflexionslose Urteil (Kants „bestimmendes Urteil“) ist ein Instrument der Ausgrenzung und Eliminierung (die „Dinge, wie sie an sich sind“ verkörpern sich im Namen und im Angesicht, im Reich der Erscheinungen sind sie unerkennbar).
    Das Präfix be- ist ein Instrument Schuldverschiebung und der projektiven Instrumentalisierung (Kristallisationskern der Feindbildlogik, die mit dem Namen der Barbaren einmal als Erkenntnisinstrument, als Instrument der Naturerkenntnis und als Grund des Wissens, sich konstituierte). Ist das be- der Indikator des Knotens?
    Die Trinitätslehre hat die exemplarische Gestalt der Reflexion hypostasiert, damit aber als Mittel der Reflexion unbrauchbar gemacht.
    Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, ist die Sünde wider den Heiligen Geist. Bei Jonas bezeichnet sie den Grund für den Aufschub der Zerstörung Ninives (die dann im Buch Tobias doch noch erfolgt).
    Der Unzuchtsbecher ist das Symbol der Unterwerfung und Vergewaltigung der Welt (vgl. den Raub der silbernen und goldenen Geräte des Tempels durch Nebukadnezar und deren Gebrauch durch Belsazzar).
    (Mene, tekel upharsin: Sind die subjektiven Formen der Anschauung diese geraubten und dann genutzten silbernen und goldenen Geräte?)
    Die Prophetie beginnt erst zu sprechen, wenn die Gegenwart in ihr sich erkennt.
    Hörner: Wenn die Aggression der gehörnten Tiere eine gehemmte Flucht ist, ist dann nicht das Fluchtverhalten der Nager eine gehemmte Aggression?
    Zweifellos ist die Astrologie Produkt einer Projektion; aber mit dieser Projektion ist etwas entstellt und verwirrt worden, was zu begreifen wichtig wäre. Dagegen hat Astronomie nur das Problem unsichtbar gemacht.
    Die Quintessenz war der Hysteriekern der neuzeitlichen Alchimie und Astrologie.
    Das Wie bezieht sich auf die Frage nach den Mitteln (auf die Konstellation Wissen, Natur und Welt), mit dem Wie ist das Neutralisierungskonzept und das Inertialsystem mit gesetzt (Naturwissenschaften und Geschichte beantworten nur das Wie).
    Die Sprache ist der Raum, in dem wir uns bewegen. Das Inertialsystem konstituiert sich in dem Versuch, diesen Raum schuldfrei zu machen (die Schulderinnerung grundsätzlich zu unterdrücken). Erst in diesem Versuch wird die Sprache zu etwas gegen das All der Dinge Äußerlichem, von der Wirklichkeit Unterschiedenem.
    Wohnen wir nicht in Sprachruinen, nachdem wir verlernt haben, den logischen Sprachzusammenhang zu reflektieren? Die Verluderung der Sprache ist ein Reflex der Verrottung des Staates. Heute übertrifft die Realität das Böllsche Wort: Nicht mehr Verrottung, die immer noch einen organischen Zustand bezeichnet, sondern Verwüstung (die einen anorganischen Prozeß bezeichnet) wäre die angemessene Bezeichnung. (Die Zerfallsprodukte der Frankfurter Schule sind Ruinen im zerstörten Garten der Philosophie: Wie in der heutigen Architektur gibt es auch hier Ruinen, die es seit ihrer Konzeption bereits waren).
    In dem Satz, daß nichts Vergangenes nur vergangen ist, drückt der letzte Grund der Hoffnung sich aus. Instrument dieser Hoffnung ist das Eingedenken.
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Das ist nur ein anderer Ausdruck für das Gebot der Feindesliebe. Der Satz enthält keine „Aussage“ über Gott, sondern nur einen Imperativ an uns.
    Was bedeuten die Namen Alexander und Karl?
    Die Kultur der Empfindlichkeit wäre die Selbstverurteilung zur Isolationshaft, der selbstverordnete Autismus. Bekenntnislogik und Empfindlichkeit sind zwei Seiten einer Medaille, beide haben einen gemeinsamen pathologischen Grund.
    Es gibt zwei Arten der Phantasie, und damit auch zwei Arten des Mangels an Phantasie, die zu einander wie kommunizierende Röhren sich verhalten: die Phantasie der Empfindlichkeit und die der Sensibilität.
    Zum Verständnis der Apokalypse gehört der Hinweis, daß die Wahrheit (auch die der Apokalypse) nicht berechenbar ist. Wäre sie berechenbar, würde sie nicht einleuchten. Apokalypse ist das einzige Mittel gegen jeglicher Art von Geheimnissen. Dazu ist die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar (und seiner Rekonstruktion und Deutung durch Daniel) ein Schlüssel.
    Heute gibt es Gerichtsurteile, in denen das Gericht sich selbst verurteilt.
    Lachen ist die subjektive, Weinen die objektive Seite der Verurteilung. – Jedoch am Ende wird jede Träne abgewischt.
    „In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; in neuen Zungen werden sie reden; Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden genesen.“ (Mk 1617f)
    Was bedeutet das Wort vom „Ende der Geschichte“ (Ilka Quindeau: Geschichtswunder, in der FR von heute), wenn man zugleich an Hegels Hinweis auf die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte sich erinnert? Bezieht sich das „Ende“ auf Geschichte als reales Geschehen oder auf als deren objektivierte Erinnerung? Unterliegt Quindeau nicht einer unbewußten, logisch unaufgelösten Subreption? Erinnert der Text der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Sigmund Freud-Instituts in Frankfurt nicht an den ungelösten Konflikt zwischen H.-E. Richter und seinen „Kritikern“ aus dem Umkreis der RAF?
    Gilt Hegels Bemerkung über den Begriff der Geschichte nicht auch für den Weltbegriff?
    Das Ende der Kollektivscham: Der Slogan „Es geht nicht um die Konservierung des Entsetzens“ läuft auf die Psychotisierung des wirklichen Entsetzens, dem die Kollektivscham bereits die Sprache geraubt hatte, hinaus.
    Texte haben ein Gesicht: Gründet die Unterscheidung von Rechts und Links in der von Anschauung und Sprache?
    Detlef Claussens aktuelle Analyse der RAF (aus 1977 ?) verweist auf einen lang nachwirkenden Sachverhalt. Der ersten Verdrängungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg (die das Begreifen des Schreckens durch die Verurteilung des Faschismus ersetzt hat) entspricht eine zweite, deren Grundlage sie war: die Verdrängungsgeschichte, die die RAF eingeleitet und bis zum Exzeß weitergetrieben hat: das Ende der Reflexion.

  • 21.3.1997

    Die Sprache steht der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern sie ist in sie verflochten und verstrickt. Wenn die Wirklichkeit außerhalb der Sprache und gegen sie sich zu behaupten scheint, so fällt dieses „außerhalb“ noch in die Sprache: als Objekt und Korrelat des richtenden Urteils. Die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt sind die Statthalter des richtenden Urteils.
    Wenn die Sprachgeschichte ein Teil der Herrschaftsgeschichte ist, dann ein subversiver.
    Das Huygens’sche Relativitätsprinzip ist ein Grenzfall des Einstein’schen, gültig im Bereich von (im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit) niedrigen Geschwindigkeiten. Entspricht hier nicht die Grenze, die die beiden Relativitätsprinzipien trennt und unterscheidet, der Grenze, die zwei Dimensionen des Raumes von einander trennt und unterscheidet? Sie bezeichnet einen zweiten Akt des Objektivationsprozesses. Nicht das selbe, sondern nur das gleiche Inertialsystem verbindet die Mechanik mit der Elektrodynamik und der Mikrophysik. – Oder ist es nicht schon das dritte: ist das zweite das des Gravitationsgesetzes?
    Ist der Begriff des Falls im ersten Satz des Wittgenstein’schen Tractatus logico-philosophicus ein Produkt dieser dreifachen Objektivation? Das physikalische Äquivalent des Wittgenstein’schen Satzes ist die Einstein’sche Identität von träger und schwerer Masse.
    Urteile werden gefällt: Was gefällt wird, wird zu Fall gebracht.
    Sind nicht alle Begriffe, mit deren Hilfe mikrophysikalischen Erscheinungen und Prozesse beschrieben werden, metaphorische Begriffe?
    In dem Vergleich der Nachkommenschaft Abrahams mit den Sternen des Himmels und dem Sand am Meer steckt ein logisches Problem: das der Pluralität.
    Wie hängt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ mit der Weizsäckerschen „Explosion von Genie“ zusammen (nach Kant ist die Natur im Subjekt die Produktivkraft des Genies)?
    Wer das Problem der deutschen Fraktion der Kopenhagener Schule nur unter dem Gesichtswinkel schuldig/nicht schuldig sieht, verfehlt die Sache. Beginnt die wirkliche Schuld nicht erst in der Unfähigkeit, post festum die eigene Verstrickung (die in actu unsichtbar war) zu reflektieren: in der Geschichte der Verdrängung?
    Blochs Satz „Der Anfang wird am Ende sein“ rührt an einen zentralen Sachverhalt: Die Geschichte der Aufklärung hat den Anfang ins Ende transformiert, und das über einen Akt, der die Wahrnehmung dieses Vorgangs zugleich verhindert hat, weil er im Kern des Objektivierungsprozesses selber sich vollzogen hat, in der Bildung der subjektiven Form der inneren Anschauung, der Vorstellung des Zeitkontinuums (der Idee des „Überzeitlichen“). Hierin gründet der Tatbestand, auf den der Satz sich bezieht: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Deshalb ist die bloße Verurteilung des Faschismus ein Instrument der Umkehrverhinderung.
    Der Ursprung der Umkehrverhinderung liegt in der kopernikanischen Wende: Seit der Konstituierung der Raumvorstellung (die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet und stabilisiert) führt jede Umkehr in die gleiche Scheiße zurück; seitdem ist die Zukunft wie die Vergangenheit. Die kopernikanische Wende hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: den Begriff vom Namen getrennt und den Namen vernichtet (die Zerstörung des Tempels, bei der kein Stein auf dem andern geblieben ist).
    Wo war in der Zeit der Richter die Bundeslade?
    Der Nachkriegs-Atheismus gründet in der Zwangslogik des Sich-tot-Stellens. Er kündigte sich an in Heideggers „Vorlaufen in den Tod“. Die Religion, von der der Fundamentalismus nicht lassen will, ist eine Religion für andere.
    Gehört nicht Weizsäcker zu den Protagonisten eines Diskurses über „Religion und Naturwissenschaft“, der es in erster Linie darum geht, ähnlich wie einmal die „spekulative Physik“ Einsteins, so jetzt auch die Religion so kurz und klein zu diskutieren, daß sie praktisch nicht mehr vorkommt, daß mit der Religion die Kraft des Eingedenkens, der Erinnerung, verschwindet. Dieser Diskurs steckt so im Bann der Rechtfertigungszwänge, die sehr konkrete Ursachen haben, daß er als Beleg für die Traditionszerstörung durch den Antisemitismus genutzt werden kann. Die deutsche Fraktion der Kopenhagener Schule war eine „deutsche Physik“, die Kreide gefressen hat.
    Heute breitet das Täter-Opfer-Paradigma sich aus: Die Deutschen, die Christen, die Männer, die Väter, die „Besserverdiener“, sie alle haben allen Grund, dieses Paradigma zu reflektieren. Haben nicht die Exkulpationslogiken, die diese Täter-Opfer-Paradigmen erzeugen, etwas mit dem Stand der „Aufklärung“, die seit je auf „klare Fronten“ abzielte: mit dem Stand der Geschichte der Herrschaftslogik, etwas zu tun?
    Wenn Hitler im Atheismus überlebt, dann gibt es zur Reflexion der Naturwissenschaften keine Alternative mehr. Hier werden die „Wege des Irrtums“ erstmals lesbar.
    Die Logik des Traums des Nebukadnezar läßt sich an der Beziehung der Astrologie zur Astronomie demonstrieren: Die Astronomie ist das Instrument des Vergessens; vergessen wurde die Astrologie, die den Traum bezeichnet, der zu deuten wäre.
    Astrologie und Astronomie lassen sich durch ihre Beziehung zur traditionellen Wahrheitsdefinition bestimmen: Die Astrologie hat die „adäquatio intellectus ad rem“ eröffnet, die Astronomie die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“.
    Das Urteil im Hogefeld-Prozeß hat im Umkreis der RAF eine ähnliche Wirkung ausgelöst wie die „Schüsse an der Startbahn“ auf die Anti-Startbahn-Bewegung. In beiden Fällen gab es den aufgescheuchten Hühnerhaufen. Verweist das nicht sehr deutlich auf die Beziehung von Urteil und Mord? In jedem Urteil, auch nach der Abschaffung der Todesstrafe, steckt ein Todesurteil. Deshalb gehört der Mord als Täterdelikt zu den Grundlagen des Strafrechts, zu den Säulen des Strafrechts.
    Der Rechtsstaat ist der säkularisierte Faschismus.
    Was hat Paulus gemeint, als er die drei Apostel in Jerusalem, Petrus, Jakobus und Johannes, die „drei Säulen“ nannte? Und was bedeuten eigentlich die Verdoppelungen und Verschiebungen in der Urgeschichte des Christentums:
    – beim Jakobus (Zebedäussohn, Sohn des Alphäus, Herrenbruder – wer ist der Autor des Jakobusbriefs?)
    – Simon (S. Petrus, Kananäus -> Nathanael?)
    – Johannes (der Täufer, Zebedäussohn)
    – Judas (Thaddäus, Sohn/Bruder des Jakobus, Herrenbruder, J. Iskarioth – sind Thaddäus, der des Jakobus und der Herrenbruder eins, wer ist der Autor des Judasbriefs)
    – Philippus (Apostel, einer der Diakone)
    – was ist mit Levi/Matthäus?
    Ist es möglich, aus den vier Evangelien und der Apostelgeschichte eine einheitliche Apostelliste aufzustellen?
    In der Nacht sind alle Katzen grau: Hat dieses Grau etwas mit dem „Grauen um und um“ bei Jeremias zu tun?

  • 13.3.1997

    Heute erzwingen die vom Herrendenken und von der Bekenntnislogik beherrschten Kirchen selber die Enttheologisierung der Theologie, die Gestalt einer atheistischen Theologie (Leugnung der Auferstehung: Problem der Naturwissenschaft; Sprengung des Namens durch den Naturbegriff).
    Gilt das Adorno’sche Wort „Das Ganze ist das Unwahre“ nicht schon für die kantischen Totalitätsbegriffe? Weder die Welt, noch die Natur und erst recht nicht das Wissen bezeichnen ein Ganzes. Alle drei Begriffe setzen den Begriff des Ganzen voraus, den sie gleichwohl nicht zu erfüllen vermögen. Das Ganze verkörpert einen unendlichen, grundsätzlich unerfüllbaren Trieb. Unbezweifelbar ist nur seine Unendlichkeit, ähnlich der Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung oder der des Zeitkontinuums. Ist nicht die Unaufhebbarkeit des Todes das Modell dieser Unendlichkeit?
    War die kirchliche Höllenvorstellung nicht immer schon nur eine ästhetische Verdoppelung dieser Welt? Das Wort von den Pforten der Hölle (die die Kirche nicht „überwältigen“ werden) setzt voraus, daß die Kirche in dieser Hölle ist; es gibt nur die Verheißung, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, daß diese Hölle nicht das Ganze ist.
    Ist der Brief ein säkularisierter, in Schrift transsubstantiierter (und eingefangener) Engel?
    Ihr laßt den Armen schuldig werden; Unkenntnis schützt nicht vor Strafe: Die Anwendung dieses Grundsatzes, die am Asylrecht leicht sich demonstrieren läßt, beweist die Goethe’sche Einsicht, deren Geltungsbereich heute gleichsam explodiert.
    Herrschaft als Stellvertretung: Haben nicht alle Revolutionen dazu geführt, daß nicht die, für die die Revolutionen gedacht waren, sondern am Ende allein die neuen Herrscher die Früchte der Revolution genießen konnten? Die Instrumente der revolutionären Umwälzungen sind im revolutionären Prozeß zwangsläufig zu Zwecken geworden, die die Zwecke, denen sie dienen sollten, aufgefressen haben. So ist jedesmal der alte Scheiß wiedergekehrt.
    Die Beziehung von Herrschaft und Stellvertretung ist eine Folge der Beziehung von Objektivierung und Instrumentalisierung.
    Was passiert, wenn eine „Bewegung“ apologetisch wird, wenn sie nur noch ihre vergangenen Ziele rechtfertigt (wenn sie im Anblick ihres Scheiterns zu beweisen sucht, daß sie doch immer schon recht gehabt hat)? Stehen nicht alle Bewegungen unter dem Bann der Logik des Rechtfertigungszwangs, sind sie nicht apologetisch, schon wenn sie entstehen?
    Beton ist die Schale, die (wie das Substantiv das Nomen) den Kern aus sich herausgequetscht hat, die Schale, die nur noch Schale ist: die Schale des Nichts.
    Die Frage an den Theologen, was hat Jesus davon, wenn wir uns dazu bekennen, daß er der Sohn Gottes ist, hat eine Prämisse, die mit zu reflektieren ist: Nicht auf das Bekenntnis kommt es an, sondern auf das Lösen, das dann das Lösen im Himmel bewirkt. Das Bekenntnis bindet nur.
    Sind nicht Adjektive Stigmata? Ist nicht das Substantiv durchs Adjektiv vermittelt, und ist diese Vermittlung nicht der Grund der Tilgung des Namens? Die Grundadjektive sind Gut und Böse.
    Gehört nicht zum grammatischen Problem der Suffixe das gemeinsame Problem der Bildung der Abstrakta (des Neutrums) und der Flexionen (der Deklination und Konjugation)? Beziehen sich im Hebräischen die Suffixe nur aufs Geschlecht und den Numerus, während sie erst in den flektierenden Sprache ins System der Deklination und der Konjugation mit einbezogen werden?
    Weshalb schreibt Johannes (in der Apokalypse) an die Engel der Gemeinden, nachdem er zuvor an die Gemeinden einen allgemeinen Gruß gesandt hat? Haben diese Engel etwas mit den Engeln zu tun, die vor dem Thron Gottes stehen?
    Wer das Ende berechnen will, will andern Angst machen (instrumentalisiert die Angst).
    Ist der Begriff der Zeit in dem Ausdruck „eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ eigentlich immer ein und derselbe Begriff? Hängen diese Zeiten mit den räumlichen Dimensionen: die „eine Zeit“ mit dem Angesicht, die „zwei Zeiten“ mit der Unterscheidung von Rechts und Links (von Gericht und Barmherzigkeit) und die „halbe Zeit“ mit der Beziehung von Oben und Unten (der Trennung der oberen von den unteren Wassern), zusammen?
    Rüsselsheim, Uniklinik und Rotes Kreuz-Krankenhaus in Frankfurt, dreimal die gleiche Erfahrung: Kliniken nehmen Krankheiten nur noch zum Anlaß, alle begründbaren abrechnungsfähigen Untersuchungen vorzunehmen, während sie an einer Diagnose nicht mehr interessiert zu sein scheinen.

  • 12.3.1997

    Die Heilsgeschichte endet im faschistischen Gruß und in der Apparatemedizin.
    Das Modell der Logik der Ausgrenzung ist die subjektive Form der äußeren Anschauung: die Abstraktion vom Blick des Andern.
    Das Inertialsystem ist das Prinzip und das Gesetz der Veranderung, und das nicht nur für die Dinge/Ereignisse in ihm, sondern vor allem für es selbst. Darin gründet der Schein, es sei das gleiche Inertialsystem, das sowohl auf die mechanischen Objekte, auf die Welt der Planeten als auch auf die Objektwelt der Elektrodynamik sich bezieht.
    Ware ist fremdes Gut, der Handel im Ursprung Fernhandel: Wenn Lohnarbeit unters Tauschprinzip fällt, wenn sie eine Form des Handels ist, und wenn das, was der Lohnarbeiter anbietet und verkauft: seine Arbeitskraft, eine Ware ist, dann ist der Lohnarbeiter in der Tat ein vaterlandsloser Geselle, ein Ausländer, vielleicht ein Gastarbeiter. Und diesen Makel kann er nur durch Nationalismus wieder gut machen.
    Erinnerungsarbeit ist der Versuch, die Es-Logik, die in allen am Werk ist, aber von allen zugleich verdrängt wird, zu entschlüsseln. Das Bewußtsein ist selber ein historisches Produkt, das Produkt einer kollektiven Verdrängung. Konstituenten und Stabilisatoren dieser Verdrängungsleistung sind die drei kantischen Totalitätsbegriffe.
    Wenn einer mit bedeutender Miene einem andern etwas anvertraut, ist es in der Regel ein Versuch, den Andern hereinzulegen, ihn „hinters Licht zu führen“, ihn zu etwas zu bewegen, was er sonst nicht tun würde. Eine Mutter zu ihrem Kind: Wer nicht die Nase putzt, den besucht nicht der Osterhase.
    Hat nicht Kopernikus die Welt hinters Licht geführt (die Welt konstituiert, indem er sie hinters Licht führte)? Und ist nicht im Namen der Aufklärung das Hinters-Licht-Führen zur Methode geworden?
    Lachen und Weinen sind Zeitaffekte (so wie Kant zufolge Begriffe Schemata der Zeitanschauung sind). Steckt nicht im Lachen und Weinen der Schlüssel zur Lösung der Hegel’schen Frage, weshalb die Natur den Begriff nicht halten kann und warum es verschiedene Gattungen und Arten der Tiere gibt?
    Begriffe sind als Begriffe Ausdruck des Gelächters über das Objekt (das in diesem Gelächter zum Objekt wird). Wären Objekte fähig, in Affekten sich auszudrücken, sie würden weinen. Was steckt in dem Wort, daß am Ende jede Träne abgewischt wird?

  • 6.3.1997

    Thomas Powers „Heisenbergs Krieg“ ist in Wirklichkeit Heisenbergs Legende: Es ist schon erstaunlich, wie dreist der Nationalismus Heisenbergs (und der Antisemitismus E. v. Weizsäckers) heruntergespielt wird, so als sei es normal, angesichts der Vertreibung der jüdischen Kollegen, des Kriegs und des Genozids nationalgesinnt zu sein, und als sei es verständlich, wenn Heisenberg den Anstand im faschistischen Deutschland erst in dem Augenblick als bedroht ansieht, als es um die eigene Karriere (um die Berufung auf den Lehrstuhl Sommerfelds in München) geht. Da sieht er selbst in dem Versuch, Himmler einzuschalten, noch kein Problem. Andererseits trägt Powers doch sehr dick auf, wenn er die Bemühungen in den USA, nach Hahns Entdeckung der Atomspaltung die Möglichkeiten einer militärischen Nutzung der Atomenergie auszuloten, als gierig und irrational beschreibt (und auf die Sensibilisierung der Emigranten, die Art und Ausmaß der Nazigefahren am eigenen Leibe erfahren haben, für eine mögliche deutsche Bedrohung nicht eingeht), während beispielsweise ein mindestens vergleichbarer Hinweis Weizsäckers an das Heereswaffenamt auch im unmittelbaren Anblick der Gefahr eines von Deutschland ausgehenden neuen Weltkrieges für ihn nur normal ist.
    So läßt sich denn auch die in der Tat unsägliche Rolle Philip Lenards und Johannes Starks und der „deutschen Physik“ als Alibi verwenden, um die wirkliche Beziehung der „seriösen“ deutschen Physiker wie Heisenberg und Weizsäcker, um von Pascual Jordan zu schweigen, zu Einstein nicht aufklären zu müssen. Dabei wäre es an der Zeit, einmal im Ernst zu untersuchen, welche ideologische Rolle die sogenannte „Kopenhagener Schule“ (die seit je Nils Bohr nur als Alibi benutzt hat) im faschistischen Deutschland (und in der Folgezeit) wirklich gespielt hat.
    Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ ist der fundamentale Einspruch gegen das Herrendenken. Den gleichen Sachverhalt hat Rosenzweig in seiner Kritik des All zu formulieren versucht. Es ist der Einspruch gegen einen Universalismus, für den die Totalität zur Verfügungsmasse geworden ist. Der Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ hält die Idee der Versöhnung bis ins Innere des Gedankens (und d.h. auch: bis in den Kern der Natur) offen. Die Idee einer Zukunft, die nicht unter die Vergangenheit subsumiert ist, ist anders nicht mehr zu halten.
    Kritik der Naturwissenschaft oder
    – der Seitenblick, in dem Natur als Natur überhaupt erst sich konstituiert, oder
    – Kritik der zukünftigen Vergangenheit oder
    – der asymmetrische Wahrheitsbegriff (Name und Begriff).
    Die kantische Frage, wie es möglich ist, daß Raum und Zeit als subjektive Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind, erstreckt sich heute auf Natur und Geschichte insgesamt.
    Der terminus ad quem der resurrectio naturae ist die Erkenntnis des Namens. Natur steht unterm Bann der Feindbildlogik. Deshalb gehörten zum Selbstverständnis des Hellenismus als Projektionsfolie die Barbaren.
    Die modernen Naturwissenschaften (deshalb ist der Begriff der naturwissenschaftlichen Erkenntnis emotional so hoch besetzt) haben die Idee der Erlösung und damit die Wurzel des Christentums selber angegriffen und säkularisiert. Bezieht sich das Wort „Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein“ auf dieses dem Begriff der naturwissenschaftlichen Erkenntnis innewohnende Problem? Steckt darin nicht die Lösung des Problems des zweiten Tags (zur Feste des Himmels fehlt der Satz „und er sah, daß es gut war“)?
    Die Kritik der Naturwissenschaften ist von dem Problem der Kritik der politischen Ökonomie und dem der Kritik der Bekenntnislogik nicht zu trennen. Verweisen die „Völker, Nationen und Sprachen“ in den Apokalypsen auf diese Konstellation (vgl. auch das Wort über Assur, Ägypten und Israel in Jes 1925)?
    Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist: Ist das Geld nicht ein „außenpolitisches“ Institut, ein Mittel der Tributerhebung, damit aus seiner eigenen Logik heraus ein kaiserliches Institut (Dareiken)?
    Kann es sein, daß die karolingische Münze, die als Beweis für die Existenz des karolingischen Reiches angesehen wird, als Schlußstein zu den Fälschungen gehört, die das mittelalterliche Imperium legitimieren sollten: daß sie „Falschgeld“ ist? War dieses Geld ein Instrument der Selbstbegründung der Reichsidee und des Kaisertums?
    Aus welcher Zeit stammt das Attribut „der Große“, auf wen wurde es angewandt (von Alexander über Karl bis zum preußischen Friedrich) und was drückte in diesem Attribut sich aus?
    Das Traumproblem in der Schrift scheint darauf hinzudeuten, daß der Joseph in den Evangelien vielleicht doch etwas mit dem gleichnamigen Sohn Israels etwas zu tun hat?

  • 3.3.1997

    Hat Matthäus mit den drei Magiern aus dem Orient den Daniel auf den Kopf gestellt?
    Sprache und Schrift: Hängt der apokalyptische Begriff der Sprachen (in der Konstellation Völker, Stämme, Nationen und S.) mit der jakobinischen „Zunge“ (vgl. auch Paulus‘ Glossolalie, „Zungenreden“) zusammen? Findet nicht die Sprache, wenn man den Namen der Offenbarung ernst nimmt, ihre Begründung in der Schrift; und macht nicht der Begriff der semitischen Sprachen – wie anhand von Bibel und Koran sich demonstrieren läßt – das Ungleichnamige gleichnamig; ist nicht der Koran, und in seiner Folge die christliche Koranisierung der Bibel, die Wurzel der kopernikanisch-newtonschen Revolution? Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, heißt das nicht, daß dann die himmlische Wurzel der Sprache in dieser Schrift lesbar wird, und daß darin, in diesem Buch, jeder sich selbst erkennt – und das ist das Gericht?
    Wenn heute Regierung durch Verwaltung ersetzt wird, ist das nicht der deutlichste Hinweis auf die innere Pluralität des Weltbegriffs (sein stummes Inneres)?
    Das Geschwätz ist die zwanghafte Folge der Unfähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen: deshalb muß das Geschwätz die Andern vergegenständlichen, sie zu Objekten von Urteilen machen („über“ andere reden). Nur so glaubt man, die „aufdringlichen“ Andern, deren Aufdringlichkeit im Schuldverschubsystem gründet: in der gegenständlichen Erinnerung an das, was man in sich selbst verdrängen mußte, sich vom Leibe halten zu können.
    Barmherzigkeit ist die Arbeit des Gebärens.
    Sind nicht eigentlich alle Richtungsgegensätze, oben und unten, vorn und hinten, rechts und links, asymmetrische Spiegelungen, vergleichbar der Beziehung von Vater und Sohn? Und gründet nicht die neutralisierte Form des Raumes (die subjektive Form der äußeren Anschauung) in der Neutralisierung dieser Gegensätze: in der Idee der Brüderlichkeit? – Die brüderliche Welt ist die Wolfswelt.
    „Patientengut“ (ein Begriff aus einer Sammlung medizinischer Aufsätze): Sind Krankenhäuser Lagerhäuser für Patientengut (das mit dem Tod der Patienten zu herrenlosem Gut wird, das dann der medizinischen Verwertung zugeführt werden kann; die „ethische“ Diskussion um den Hirntod ist eine verwaltungsinterne Diskussion)? Hieran wäre das sprachlogische Problem der Instrumentalisierung und die Bedeutung des Begriffs des Falls im ersten Satz des Wittgestein’schen Tractatus logico-philosophicus zu demonstrieren. Der Hinweis auf die lebensrettende Bedeutung der Bereitstellung von Organen ist wahr und zynisch zugleich. Der Begriff Patientengut drückt genau diesen zweideutigen Aspekt, die Subsumtion der Krankheit unters Wertgesetz, aus.
    Gibt es nicht inzwischen „Krankheiten“, die nachweislich nur noch ein Alibi für die lukrative medizinische Dauerverwertung der Hypochondrie und der Ausweitung der Nutzungskapazität der Apparatemedizin sind? Und spielt hier nicht ein Aspekt des Begriffs der Objektivität mit herein, der auf das Bedürfnis nach Schuldentlastung und auf die Mechanismen des Schuldverschubsystems (auf die kollektive Wirksamkeit von Rechtfertigungszwängen) verweist, ein Kontext, den das medizinische (wie sonst auch das technische) Vokabular wirksam verschleiert?
    Hängt die Vorstellung des unendlichen Raumes nicht mit dem Bedürfnis nach logischer Fundierung des Schuldverschubsystems zusammen (Zusammenhang mit dem Namen des Angesichts und dem biblischen Motiv der sieben unreinen Geister und der sieben Siegel)? Abgesichert wird diese logische Fundierung durch die Universalisierung des Gravitationsgesetzes. Das Resultat dieser Schuldverschiebung wird lesbar, wenn der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt.
    Das Subjekt der symbolischen Erfahrung (der Spracherfahrung) ist die Barmherzigkeit.
    Zur Kritik der Naturwissenschaften vgl. Kants Antinomien der reinen Vernunft (und die Unerkennbarkeit der Dinge an sich), Levinas‘ Asymmetrie und Ferdinand Ebners „Ich-Einsamkeit“.
    Intersubjektivität und Bekenntnislogik: die Gemeinschaft, auf die beide sich beziehen, ist die Gemeinschaft der Einsamen, des kollektiven Nicht-Ich (ein Hochsicherheitstrakt). Der Repräsentant dieser Gemeinschaft im Subjekt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die Welt.
    Der „innere Schweinehund“ ist das, was uns daran hindert, die „Pflichten“ der Selbsterhaltung zu erfüllen; und gehört dazu nicht auch die Barmherzigkeit (das, was die Nazis „Humanitätsduselei“ nannten)?

  • 26.2.1997

    Gott ist nicht allwissend. Die Kategorie des Wissens ist auf Gott nicht anwendbar. Jedes Wissen gründet in einer Abstraktion, die der göttlichen Erkenntnis (der Erkenntnis im Namen, nicht durch den instrumentalisierenden Begriff) die Grundlage entzieht.
    Es gibt nicht drei Weltreligionen, sondern es gibt
    – eine Naturreligion: die jüdische,
    – eine Weltreligion: die christliche,
    – und eine Religion des Wissens: den Islam.
    Die Naturreligion leugnet die Erlösung, die Weltreligion die Schöpfung und die Religion des Wissens die Offenbarung.
    Liebet eure Feinde: Jede Verurteilung steht unter dem Druck des Rechtfertigungszwangs; deshalb gibt es keine Verurteilung ohne projektiven Anteil. Jede Verurteilung enthält ein ästhetisches Moment (ein Stück vergegenständlichter Scham).
    Wie hängt die Feindschaft (die zu den Konstituentien des Begriffs der Erscheinungen bei Kant, auch des Begriffs des Scheins in der Hegel’schen Logik, gehört) mit dem Begriff der Scham zusammen?
    Sind die Wehe-Rufe in den Evangelien eigentlich wirklich nur Drohungen, Verdammungen, Verurteilungen (Angstmacher)? – Nicht Anklage, sondern Klage (gehört nicht die Anklage zu einer Logik, die die Umkehr zur Bekehrung und die Offenbarung zum Bekenntnis macht?). Vgl. die Unterscheidung von „Drohrede, Gerichtsankündigung“ und Klage bei Luzia Sutter Rehmann: Geh, frage die Gebären, S. 64 (nur im Kontext der Abwehr, unterm Rechtfertigungszwang, wird die Klage als Anklage erfahren).
    Der Rassismus (der in der Logik der Domestikation gründet, aus dem Begriff der Züchtung sich herleiten läßt – sie endet in der Genforschung) gründet in dem (männlichen) Wunsch nach einer Geburt ohne Wehen (dem technisch-instrumentellen Verständnis der Geburt, einer Geburt, deren Leiden ich nicht mehr wahrnehme, weil die weibliche Geburtserfahrung, die Erfahrung der Wehen ausgeblendet wurde; einer Geburt, die eigentlich die Endstufe der Vergewaltigung ist). Der Rassismus macht das Schuldverschubsystem zu einem Schmerzverschubsystem: zur Logik des Mords – „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.
    Ist nicht der Rassismus eine der letzten Bastionen der Abwehr der Wehen?
    Das Schmerzverschubsystem ist das Produkt der Instrumentalisierung des stellvertretenden Sühneleidens.
    Der Begriff des Falls bezeichnet den Akt und das Ergebnis der Abstraktion von den Wehen (die Totalität des Schmerzverschubsystems, der Subjektivierung der Empfindungen: der von der Sinnlichkeit „gereinigten“ Welt). „Fertigmachen“ (Konstituierung der trägen Masse): Die Subjektivierung der Empfindungen ist ein Instrument zur Rechtfertigung der Gewalt (der Mordlust).

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