Was unterscheidet eigentlich den Günter Grass (sh. FR von heute) von Heinrich Böll? – Was bei Heinrich Böll Melancholie und Erbitterung war, ist bei ihm Resignation, böse Nachrede. Auch Günter Grass scheint auf sein eigenes Handeln nicht mehr zu setzen, sondern darauf zu warten, daß es einer für ihn tut. Heinrich Böll war moralisch involviert, Günter Grass ist bloß Zuschauer. Auf Günter Grass scheint das Bild vom Hotel Abgrund zuzutreffen; der Abgrund, in den er schaut, das ist die Bühne, auf die er die Gegenwart transponiert, um ihr als Zuschauer beiwohnen zu können.
Hängt es nicht mit der kantischen Illusion zusammen, wenn Günter Grass auf den ungeheuren Reichtum verweist, dem nur die im Grundgesetz vorgesehene soziale Verpflichtung implantiert werden müßte, um eine heile Welt zu schaffen? Ist nicht die Vorstellung, was man mit Geld alles machen kann, die Vorstellung derer, die es nicht haben? Und ist nicht der Reichtum heute nur noch um den Preis des Bewußtseins des Ertrinkens, der Panik, zu haben? Sind nicht die Reichen unter dem notwendigen Schein ihres Reichtums heute die Armen, sind sie nicht die wahren Opfer in einer ihnen mißgünstigen, feindlichen Welt (so die Innensicht des Reichtums – und hat diese „Innensicht“ nicht etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung zu tun, mit den in diese Formen eingebauten Mechanismen der Verblendung)?
Es gibt keinen Trost mehr, sondern nur noch den Ausweg, den niemand mehr sieht.
Die Kritik der subjektiven Formen der Anschauung ist der Beginn der Sprengung der Feindbildlogik; und der kantische Erkenntnisbegriff, demzufolge wir nur das an den Dingen erkennen, was wir in sie hineinlegen, bezeichnet genau das Moment der Projektion, das von der Feindbildlogik nicht zu trennen ist. Es sind die Totalitätsbegriffe Kants, die die Feindbildlogik fundieren und absichern. Hierauf bezieht sich das Wort: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae.
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist eine Theologie im Bann der Feindbildlogik, die dann zwangsläufig apologetisch ist.
Zu Luzia Sutter Rehmann: Gibt es beim Daniel das apokalyptische Motiv der Geburtswehen?
Ist nicht die Opferlogik eine die Geburtswehen verhindernde und verlängernde Logik? Bezieht sich nicht auch hierauf das Wort: Barmherzigkeit, nicht Opfer?
Der Menschensohn: Ist das nicht das Kind der Geburt, die die messianischen Wehen ankündigen? Was bedeuten in diesem Zusammenhang die Wolken des Himmels?
Luthers Satz: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“ war der Beginn der Flucht nach Tarschisch, der im Bauche des großen Fischs endete.
Wenn die Kirche begreift, daß Auschwitz das Ende der Lehre vom stellvertretenden Sühneleiden ist, hat sie den ersten Schritt zu ihrer eigenen Bekehrung getan.
Goldhagen und die Castor-Transporte: Ist nicht auch Goldhagen ein Angriff auf einen Entsorgungsvorgang?
Gibt es eigentlich einen deutlicheren Hinweis als den, daß das Wort Gottes ein Name ist, den niemand kennt als der, der ihn trägt? – Hat das nicht etwas mit dem zweiten Schöpfungstag zu tun, an dem der im Anfang erschaffene Himmel zum Namen der Feste des Himmels wird?
Ein Hinweis, den Heinrich Böll einmal gegeben hat, läßt sich noch präzisieren: Während das Kapital von Marx in Ideen gründet, die den Einsatz des eigenen Lebens rechtfertigen, rechtfertigt das Hitlersche Machwerk „Mein Kampf“ nur den Judenmord: das Opfer des Lebens der Anderen. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Satz sich begründen läßt, daß im Nachkriegs-Atheismus Hitler nachträglich noch siegt (und der marxistische Atheismus bewußtlos diesen Sieg antizipiert, den Sozialismus in den Faschismus überleitet). Haben nicht die stalinistischen Prozesse das Opfer für die Idee, das dem Sozialismus zugrundeliegt, durch Universalisierung instrumentalisiert?
Sind nicht die Einsteinsche Denkmodelle vom fahrenden Zug und vom frei fallenden Fahrstuhl Weiterbildungen der kantischen subjektiven Formen der Anschauung? Aber was drückt sich in dieser Transformation aus?
Ist nicht das Relativitätsprinzip der Grund jeder Ästhetik (die Wurzel des Bildes)?
Kant
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24.2.1997
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10.2.1997
Wer im Rahmen der Physik Theorien zur Kosmologie, insbesondere zur Entstehung der Welt, entwickeln will, vergißt, daß alle Begriffe der Physik aufs Inertialsystem sich beziehen, durchs Inertialsystem definiert sind, daß Raum, Zeit und Materie schon vorausgesetzt werden und deren Ursprung niemals Gegenstand einer physikalischen Theorie sein kann. Hat das Inertialsystem nicht vielmehr die Funktion, einen Begriff der Natur zu konstituieren, die mit den Forderungen der Selbstreflexion nicht belastet ist, in der der Mensch nicht vorkommt? Daß genau diese Gegenständlichkeit, die das Inertialsystem (selber ein Produkt der Vergegenständlichung der kantischen subjektiven Formen der Anschauung) garantieren soll, durch die Idee eines vergegenständlichenden Subjekts vermittelt ist, wird verdrängt (und drückt allein noch in den kantischen Antinomien der reinen Vernunft sich aus). Das war der Preis des Universalismus. Die Vergegenständlichung aber ist ein Teil der Herrschaftsgeschichte, deren Reflexion mit der Selbstreflexion gleich mit verdrängt worden ist.
Natur ist zum Symbol eines Proletariats geworden, das sich mit seiner Geiselhaft abgefunden hat, weil jeder Weg ins Freie versperrt ist. -
6.2.1997
Das Gravitationsgesetz ist der konsequenteste Ausdruck dafür, daß der Fall zur Norm geworden ist. Seit Kopernikus/Newton ist die Welt „alles, was der Fall ist“.
Die Planetensystem sind Normensysteme, und die Wege des Irrtums (die Planetenbahnen) sind gesetzlich (durch Normen) determinierte Wege, die durch Universalisierung der Gebote zu Normen zu gesetzlich determinierten Wegen geworden sind. (Venuskatastrophe: die Katastrophe der Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral, ihre Instrumentalisierung im Kontext der Logik von Anklage, Urteil und Strafe, der Herrschaftslogik und des Staates.)
Der biblische Ankläger war schon der „Staatsanwalt“, der Anwalt Babylons.
Die Geschichte der Aufklärung ist auch eine Geschichte der Entwertung von Erfahrung. Diese Geschichte beginnt mit der christlichen „Überwindung“ der Vergangenheiten, die insgesamt (als heidnische wie als jüdische) zum Irrtum erklärt wird.
Haben nicht alle Hegelianer eines von ihrem Meister gelernt: daß es eine Logik des Unwiderlegbaren gibt? Die Unwiderlegbarkeit aber ist der blinde Fleck der Hegel’schen Philosophie. Aus der Hegelschen Philosophie gibt es – wie aus dem das Planetensystem beherrschenden Gravitationsgesetz – keinen Ausweg. Notwendig wäre die Reflexion der Beweislogik: der Versuch, Licht in den blinden Fleck der Logik hineinzubringen.
Das Modell des Unwiderlegbaren sind die subjektiven Formen der Anschauung, die selber erst im Kontext der Gravitationstheorie sich konstituieren (deshalb gehört die Kritik der Naturwissenschaften heute zur Rekonstruktion der Philosophie).
Alle zentralen Motive der Hegelschen Logik (und das reicht zurück in die Phänomenologie des Geistes) sind angelegt in der Kantischen Antinomienlehre, der der Widerspruch in der logischen Gewalt der Norm zugrundeliegt, die Verdrängung, die den Akt der Transformation des Gebots in die Norm, ins Gesetz, begleitet (Dekonstruktion des apagogischen Beweises).
Habermas‘ Kommunikationstheorie findet den Schein ihrer Begründung darin, daß sie mit dem Konstrukt des performativen Charakters der Sprache, die seinem Konzept der Intersubjektivität zugrundeliegt, zwei Momente mit einander vermischt, die streng getrennt zu halten sind: die Logik der Anschauung mit der der erkennenden Kraft des Namens. Die Anschauung ist intersubjektiv, aber in der Anschauung ist jeder für sich, ist das Subjekt Monade, ist es fensterlos. Die Gemeinschaft der sprechenden Subjekte, und in ihr die kommunikative Kraft der Sprache, gründet in der Kraft des Namens, durch die die Sprache in den Kern der Sache selbst hereinreicht, durch die sie mehr ist als bloßes Raisonnement. Habermas‘ Anstrengungen werden absorbiert von der Strategie, den Widerspruch, den er zu fühlen scheint, den aber nicht mehr zu reflektieren wagt, nicht laut werden zu lassen. Es ist der Selbstwiderspruch der instrumentellen Vernunft, der ihn, weil er ihn nicht mehr reflektieren darf, zur kommunikativen Instrumentalisierung der Vernunft zwingt.
In der jüdischen Geschichte ist Esra, der erste Schriftgelehrte, auch der Begründer der Thorarepublik. Ist nicht die Apokalypse die Korrektur der Institution des Schriftgelehrten?
Die analogia entis war des logische Instrument, das es ermöglichte, die Beziehung der beiden Welten, dieser Welt und der zukünftigen Welt, aus der Zeit in den Raum zu transformieren. Sie lieferte die Begründung des katholischen Mythos von Himmel und Hölle.
Läßt nicht die Bewegung der Grünen daraus sich herleiten, daß sie, um überhaupt noch ein Kriterium für Kritik, deren Notwendigkeit sich nicht mehr verdrängen läßt, zu haben, die Utopie, die Idee der richtigen Gesellschaft, die nicht mehr sich halten läßt, durch „die Natur“ ersetzt? Aber wird so die Natur nicht zu einem gesetzlich geschützten Bereich, in dem am Ende die Menschen nicht mehr vorkommen?
Haftpflichtversicherung: Gibt es nicht einen Zusammenhang zwischen der Versicherungslogik, die vor unliebsamen Zufällen schützen soll, und der „Delegation von Verantwortung“, die eigentlich die Entlastung von Verantwortung meint? So wird im Naturschutzgebiet Mönchbruch ein Spazierweg deshalb nicht freigegeben, weil dort Bäume sind, die nicht geschlagen werden sollen, weil sie von seltenen Pilzen befallen sind, die aber die Gefahr in sich bergen, daß Äste herabfallen können, die Spaziergänger treffen könnten. Ist der Weg aus Haftpflicht- oder aus Naturschutzgründen gesperrt? Die Natur, die hier geschützt wird, ist eine gesellschaftliche Natur: Geschützt wird der Staat (und werden mit ihm die Forstbeamten) vor möglichen Schadensersatzansprüchen und Regreßforderungen der Bürger.
Wir leben in einer Welt, in der die Opfer nicht beendet, sondern außer Sichtweite gerückt werden (in den Schlachthäusern, Psychiatrien, Knästen, Altersheimen, Arbeitersiedlungen, in der Dritten Welt). Zugleich werden die, die die Dreckarbeit zu verrichten haben, soweit es nicht – wie bei der Müllabfuhr – Ausländer sind, in Uniformen gesteckt und unter Ehrenschutz gestellt (Polizei, Militär). Dieser Ehrenschutz ist eigentlich nur ein Wahrnehmungsverbot.
Ist das Kausalitätsprinzip der vergegenständlichte, ins neutrale verschobene Rachetrieb? Wenn es eine objektive Form der Verdrängung gibt, dann gibt es auch ein Objekt für die Idee der Auferstehung der Toten.
Man darf die Verwaltungskritik nicht den Liberalen überlassen. Eines der verhängnisvollsten Versäumnisse des real existierenden Sozialismus war der Verzicht auf die Reflexion der Herrschaftsinstrumente, insbesondere der Verwaltung, die nicht zuletzt hier zur Reproduktionsstätte der Gemeinheit sich entwickelt hat.
Daß es beim Startbahnbau wie in Garzweiler und wie bei den Atomkraftwerken auch um Arbeitsplätze geht, ist ein Argument, das ernst zu nehmen ist. Aber ist es nicht das gleiche Argument, das in andern Zusammenhängen als Triebkraft für Amokläufe sich erweist: so in der Sozialstaatsdebatte, unter den Stichworten: Gesundheitsreform, Rentenreform, Steuerreform?
Walter Benjamins Bemerkung, daß der Kleinbürger Teufel und arme Seele zugleich sei, wäre heute zu ergänzen: Wird er nicht umso mehr zum Teufel, je mehr er sich als arme Seele erfährt?
Waren nicht die Mysterienkulte (auch eine Form der „Erlösungsreligion“) insbesondere beim Militär verbreitet? Merkwürdig, daß dieser Sachverhalt beim Kippenberg nicht erscheint. Und wie verhalten sich die „Erlösungsreligionen“ zu den mantischen Praktiken, zum Augurenwesen, zur Astrologie, zu den Weissagern, die dann von den Caesaren verboten wurden? -
31.1.1997
Louis Ginzbergs Bemerkung, daß die apokalyptische Bewegung „nicht nur antisozial, sondern auch antiethisch“ war (Apokalyptik, S. 220), verweist auf einen zentralen Punkt: Sie war staatskritisch. Die Katastrophe, die sie vor Augen hatte, war die Katastrophe, die insbesondere im Römischen Reich, dem Erben Babylons, sich verkörperte. War nicht der „Zaun um die Thora“ der notwendige Versuch, die systemsprengenden Energien, die die Apokalypse freizusetzen drohte, unter Kontrolle zu halten? Während die rabbinische Tradition die Hilfen fürs Überleben in einer übermächtigen Völkerwelt bereitstellten, ist das Christentum spätestens mit den Kirchenvätern zum Feind übergelaufen.
Wer träumt im Alten Testament, und wer im Neuen?
Stehen nicht alle Tiere unter dem Bann des Raumes, und ist das nicht das Problem der Hegel’schen Logik, daß dieser Bann in ihr sich reproduziert? Steht nicht der Begriff unter dem Bann des Raumes, der im Weltbegriff sich verkörpert?
Der Gott, der die Welt erschaffen hat, ist der Herr der Tiere.
Adornos Begriff der Reflexion der Natur im Subjekt zielt auf die Reflexion der Wurzel des Rassismus, er ist das deutlichste Konzept des Antirassismus. Die Reflexion der Natur im Subjekt ist die Reflexion der Objektseite des Subjekts, dessen, was das Subjekt für andere ist. Sie schließt die kritische Reflexion des Weltbegriffs mit ein, und damit die des Staates, in dessen Geschichte die des Weltbegriffs gründet.
Das Wasser im Namen des Himmels verweist auf die Wasser,
– über denen der Geist Gottes brütet,
– an denen die Hure Babylon sitzt,
– es verweist auf das Chaos-Element, das Lebenselement der von Gott erschaffenen Meeresungeheuer,
– es verweist damit auf die Schlange, die in der Geschichte vom Sündenfall das Neutrum repräsentiert, das Was, dessen Plural (im Hebräischen wie im Deutschen) der Name des Wassers ist.
Ist dieses Was die Außenseite des Wer (das Wasser die Außenseite des Feuers)? Bezieht sich darauf nicht das Wort vom Geist, der die Erde erfüllen wird wie die Wasser den Meeresboden bedecken?
Das Was und das Neutrum bezeichnen den sprachlogischen Ort der kantischen Antinomie der reinen Vernunft: des apagogischen Beweises.
An welchen Stellen der Schrift wird Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde und des Meeres genannt, und in welcher Beziehung stehen diese Stellen zum geschichtstheologischen Problem der Apokalypse? Nach der Johannes-Offenbarung wird am Ende (wenn jede Träne abgewischt wird) das Meer nicht mehr sein.
Daß am Ende das Meer nicht mehr sein wird, heißt das nicht, daß die Sprache vom Bann der subjektiven Formen der Anschauung und des Begriffs befreit sein wird, daß sie die erkennende Kraft des Namens wiedergewinnen (daß sie sich im Angesicht Gottes erneuern) wird? Zuvor wird das Meer seine Toten herausgeben: Es gibt kein vom Begriff getrenntes Objekt mehr.
Das Meer ist der Repräsentant der Völkerwelt: Deshalb gehört zu den Konstituentien des Begriffs der Name der Barbaren (und zu denen des Namens der zum Namen der Barbaren inverse Name der Hebräer).
Theologie im Angesicht Gottes schließt die Kritik des Begriffs, die Reinigung der Sprache vom Begriff, mit ein.
Adornos Kritik der Verdinglichung, seine negative Dialektik, war der Anfang der Gottesfurcht.
Wer den Begriff Theologie mit „Rede von Gott“ übersetzt, weiß nicht, wovon er spricht: Die Predigt ist zur Rede geworden, als sie faschistisch wurde. Nicht zufällig erinnert der Begriff der Rede an Hitler. Der Name der Lehre, der im Namen der Theologie enthalten ist, kann und darf nicht preisgegeben werden. Die Attribute Gottes stehen zwar nach Emanuel Levinas im Imperativ, nicht im Indikativ; aber es gibt einen diesem Imperativ einbeschriebenen Indikativ, den es wiederzugewinnen gilt. Der Indikativ der Anschauung entspricht der Theologie hinter dem Rücken Gottes. Der dem Imperativ einbeschriebene Indikativ ist das Angesicht Gottes.
Adornos Reflexion der Natur im Subjekt, das rührt an die Frage: Wer wird den Stein vom Grab fortwälzen?
Haben nicht die Sätze, mit denen die drei Bücher des ersten Teils des Stern der Erlösung beginnen, etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun: Von Gott, von der Welt, vom Menschen wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott, von der Welt, vom Menschen?
Kommt im Buch Daniel eine Frau vor? – Nur beim Belschasar, als er „mit seinen Frauen und Nebenfrauen“ aus dem den Geräten des Tempels trinkt. Kommt nicht dann „seine Frau“ (die also von den Frauen und Nebenfrauen noch unterschieden wird) hinzu, die ihn an Daniel verweist?
Ist nicht die Rache eine reaktive Gemeinheit, unterliegt sie nicht dem Gesetz der Feindbildlogik, der Rechtfertigung des eigenen Tuns durch das der Andern und dem Trieb, auch so gemein sein zu dürfen wie der Feind? Der Rachetrieb ist mit der Befreiung und der Veränderung nicht auf einen Nenner zu bringen. Im Rachetrieb mache ich mich mit dem, an dem ich mich räche, gemein. -
30.1.1997
Ist nicht das Modewort „geil“ ein Indikator für den Weltzustand? Waren nicht die Bundesanwälte im Hogefeld-Prozeß „geile Typen“?
Georg Lukacs‘ Bemerkung zu Schopenhauer und dann Adorno war der logische Ausdruck seiner Verwerfung der Reflexion.
Die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, darf nicht mit dem Mitleid verwechselt werden. Es gibt eine mitleidlose Barmherzigkeit. Das Mitleid entnervt, während die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, die Quelle des Selbstbewußtseins ist. Das unterscheidet die Barmherzigkeit von der Liebe, daß sie Kritik nicht ausschließt, daß sie teilhat an der richtenden Gewalt.
Das Selbstbewußtsein, das der Barmherzigkeit sich verdankt, ist nicht gegen das Selbstbewußtsein anderer gerichtet: es hat den Trieb, das Selbstbewußtsein der Andern zu wecken, und somit die Kraft, sich auszubreiten. Diese Kraft, sich auszubreiten, gleicht der des Lichts, nicht der des Raumes; sie wird von der Ausdehnung des Raumes nur parodiert.
In den Andern sich hineinversetzen, heißt: im Andern das Ebenbild Gottes erkennen, den Andern als Spiegel der Gotteserkenntnis begreifen: den Andern dort erkennen, wo nur Gott ihn erkennt. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
Die Barmherzigkeit ist das Gericht über die Welt. Und die Barmherzigkeit ist das Licht der Welt, die an sich dunkel ist Die Welt ist der Inbegriff der Wege des Irrtums.
Das Leuchten Seines Angesichts ist die Suspendierung der subjektiven Formen der Anschauung, die in ihm erlöschen. (Das Leuchten Seines Angesichts ist das Licht, in dem Sehen und Gesehenwerden eins werden.)
Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Sie bezeichnet die Stelle, die der Ankläger nicht wahrzunehmen fähig ist. Darin gründet der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht.
Wie unterscheidet sich die Ausbreitung (des Lichts) von der Fortpflanzung? Hat nicht die Fortpflanzung des Lichts etwas mit dem Unzuchtsbecher zu tun , und ist die Ausbreitung des Lichts, die von seiner „Fortpflanzung im Raum“ zu unterscheiden ist, nicht die Umkehr des Raumes? – Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verhältnis der Richtungen im Raum (für die Lösung der sieben Siegel)?
Ist die Elektrodynamik die materielle Manifestation der Apagogik? Und ist der apagogische Beweis der Grund der Differenzierung des nihil (des Begriffs der bestimmten Negation)?
Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ fällt hinter den Erkenntnisstand der kantischen Philosophie zurück.
Die Heiligung des Gottesnamens ist eins mit der Befreiung der Theologie vom Bann des Herrendenkens.
Das Perfekt gibt es in den zwei Gestalten: des „ist“ und des „haben“ (ich bin gewesen, und ich habe getan). Das „ist“ bezeichnet die ruhende (tote) Gegenständlichkeit des Vergangenen, das „haben“ den Besitz, die Besessenheit (was ich getan habe, das besitzt mich, das hängt mir an, davon komme ich nicht los).
Die Idee der Auferstehung der Toten ist der Einspruch der hebräischen Sprachlogik gegen das Perfekt (der Offenbarung gegen den Mythos), gegen die Vorstellung einer abgeschlossenen Vergangenheit. Sie entspringt zusammen mit der Apokalyptik, dem Beginn der aktiven Auseinandersetzung mit den Völkern, dem Christentum. -
22.1.1997
Gibt es ein Sehen ohne Sprache? Und ist nicht das „da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“ ein Vorgang in der Sprache? Was sehen Tiere?
Augenlust ist Urteilslust, und die Beziehung des Sehens zum Hören ist vermittelt durch einen nur der Reflexion zugänglichen Mechanismus.
Die „schlechte Unendlichkeit“ ist das Resultat der Zerstörung des Namens und des Angesichts. Ist das Subjekt der Zerstörung des Namens der diabolos und der der Zerstörung des Angesichts der Ankläger?
Für Habermas ist der „zwanglose Zwang des Arguments“ der Zwang der Mehrheit, dem Habermas nichts mehr entgegenzusetzen hat. Wer vom zwanglosen Zwang des Arguments spricht, hat Kant nicht verstanden: er hat die Antinomie der reinen Vernunft, das logische Problem des apagogischen Beweises, nicht verstanden (oder vergessen oder verdrängt).
Die Beziehung der Apokalypse zum Ursprung des Weltbegriffs reflektiert sich in der Apokalypse selber in der „symbolischen“ Spiegelung von Kosmos und Staat (Natur und Gesellschaft). Der Begriff der „gesellschaftlichen Naturkatastrophe“ ist ein apokalyptischer Begriff.
Ist nicht das Benennen der Tiere durch Adam und utopisches bzw. apokalyptisches Motiv (vgl. Benjamins Einleitung zum Ursprung des deutschen Trauerspiels)? An dieses Motiv knüpfen die Apokalypsen, wenn sie von Tieren sprechen, wieder an.
Das Forum ist die Einheit von Recht und Markt, das Thing macht das Recht zu einem Instrument der Mobilmachung, der Militarisierung der res publica. Die Trennung des Dings von der Sache gründet in der Logik dieser Geschichte. Forum und Thing sind Knotenpunkte der Weltgeschichte (der Geschichte des Weltbegriffs). -
21.1.1997
Ist das Inertialsystem das versiegelte Buch, dessen Siegel zu lösen sind: die Außenseite, auf dessen unsichtbarer Innenseite die ganze Geschichte verzeichnet ist? Dann sind die sieben Siegel die Bleigewichte der durch ihre Objektivierung verdrängten Vergangenheit.
Nur durch die Kritik des Inertialsystems hindurch, der inneren Mechanik des Objektivierungsprozesses, läßt sich rekonstruieren, was Geist einmal hieß.
Haben die Griechen den Punkt erfunden, den Ort, der kein Ort mehr ist?
Ist nicht der Satz „Wer sein Leben bewahren will, wird es verlieren“ der deutlichste Hinweis auf den Stellenwert und die Bedeutung der Barmherzigkeit?
Steckt nicht in dem „Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein“ schon der erste Hinweis auf die kopernikanische Wendung?
Die Verurteilung löst den Schrecken nicht: Ist nicht die Kirche durch die Verurteilung der Häresien zum Inbegriff aller Häresien geworden, der sich von den Häresien selber nur durch das gute Gewissen unterscheidet?
Mit der Unterscheidung zwischen den Sprachen der Völker und der Schrift der Juden enthält das Buch Esther den Schlüssel zur Apokalyptik. Esra war der erste Schriftgelehrte, und im Buch Kohelet wird beklagt: Des Bücherschreibens ist kein Ende.
Die Bekehrung ist die ins Universalistische gewendete und verfremdete Umkehr: Umkehren kann nur ich, nur bekehren kann ich die Anderen. Und wenn ich mich bekehre, bekehre ich mich als anderer für andere (bekehre ich mich zu etwas). Zur Bekehrung gehört das Bekenntnis (zu dem ich mich bekenne), zur Umkehr das Tun.
Die Widersprüche in der Schrift, die den Historikern die Haare zu Berge stehen lassen, nehmen den Theologen die Mühe ab, den Historismus gegen den Strich zu bürsten.
Die kantische Wendung von der „Menschheit in mir“ wird erst begriffen, wenn sie auch die Vergangenheit der Menschheit mit einschließt und nicht mehr nur auf einen politischen, durch die Bedingungen des Handelns definierten (und die Erinnerung und Reflexion ausschließenden) Begriff der Menschheit eingeschränkt wird.
Max Horkheimer, der Walter Benjamin einmal entgegengehalten hat, daß die Toten tot sind, ist selber dann von dieser Frage nicht mehr losgekommen, daß, wenn es denn zu einer richtigen Gesellschaft einmal kommen sollte, auch die Vergangenheit davon nicht unberührt bleiben dürfte.
Arbeit macht frei: Hat nicht die Arbeit der Anderen immer schon die frei gemacht, die die Früchte dieser Arbeit genießen?
Reflektiert nicht das Verhältnis von Immobilien und Möbeln das Relativitätsprinzip: die Beziehung von Ruhe und Bewegung im Inertialsystem?
Nach dem Fall Babylons: Und ein Ton von Harfenspielern und Musikern und Flötenspielern und Trompetenbläsern wird nicht mehr in dir gehört werden, und kein Künstler in irgendeiner Kunst wird mehr in dir gefunden werden, und das Geräusch der Mühle wird nicht mehr in dir gehört werden, und das Licht der Lampe wird nicht mehr in dir scheinen, und die Stimme des Bäutigams und der Braut wird nicht mehr in dir vernommen werden … (Off 1822f).
Ist nicht das Buch Daniel auch eine Variante zur Exodus-Geschichte (Daniel und Joseph deuten Träume, sind am Hof des Herrschers; Feuerofen: Mizrajim war der Eisenschmelzofen)? -
20.1.1997
Apokalypse:
– Pseudepigraphie als Versuch, die Welt durch die Augen des Andern zu sehen; säkularisiert als Fälschung (Pseudo-Dionysius, isidorische Fälschung, das Problem Karl d.Gr. etc.), schließlich als Roman.
– Modell: Der Traum des Nebukadnezar.
– Ist das Namensproblem der Evangelien (und in ihm das Problem der Väter) ein apokalyptisches (mit Saulus/Paulus als doppelte Epigraphie: Simon von Kyrene und Sergius Paulus)?
– Kontext: Ursprung des Weltbegriffs (des Staates und der Zivilisation: Bedeutung Babylons).
– Naturbegriff: Vätertheologie und Neukonstituierung des Christentums (irisches Christentum: die Flucht nach Tarschisch), das Problem des Johannes Scottus Eriugena.
– Satan, Schlange und Dämonologie: Das grammatische Problem und der Ursprung der Bekenntnislogik.
– Apokalypse und Sprache: Gibt es eine hebräische Apokalypse, sind nicht alle Apokalypsen griechische, syrische, äthiopische etc. (selbst Daniel ist im Kern aramäisch)?
– Verweist das Chronologie-Problem (die Verfälschung/Korrektur der altorientalischen Geschichte: „Die Sumerer gab es nicht“, die historische Bibelkritik und der Antisemitismus) auf eine Apokalypse-Vermeidungsstragie?
– Scholastischer Universalismus, die Irrwege der Theologie; Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
Wer die Apokalypse als ein sprachlogisches und sprachhistorisches Problem begreift, begreift das Problem des Namens.
Sind nicht die Namen in den Evangelien Zitate, angefangen von Joschua, über Joseph und Mirjam, Sacharja und Jochanan, Schimon, Juda, aber auch Andreas, Philippus?
Zum Namen:
– Wann (und weshalb) spricht Jesus von sich in der dritten Person („der Menschensohn“ – vgl. auch die Antwort an den Täufer)?
– Was hat es mit dem „Namen, den niemand kennt als der ihn empfängt (als er selbst)“ (Off 217, 1912) auf sich?
– Daniel und die anderen jungen Männer erhalten in Babylon andere Namen.
Die Einladung der Vögel des Himmels zum großen Gottesmahl, die Aufforderung, das Fleisch der Könige, das Fleisch der Kriegsobersten, das Fleisch der Starken, das Fleisch der Pferde und derer, die darauf sitzen, und das Fleisch aller Freien und Sklaven und Kleinen und Großen zu fressen, drückt aufs deutlichste die Beziehung von Fleischessen und Hierarchie aus. Zugleich bezeichnet es einen sprachlogischen Sachverhalt: das Ende des Komparativs (ist nicht der Raum, alles mathematisch Meßbare und dann dessen Inbegriff: das Inertialsystem, ein Produkt des hypostasierten Komparativs, des Wie, das den Himmel verzehrt?).
Hat nicht die Scholastik über das Verfahren der Analogie den Superlativ in die Theologie mit aufgenommen, damit den Grund aller Hierarchien in die Theologie verlegt, und war das nicht die Grundlage der Sakramentenlehre?
Der Satz „Gott ist barmherzig“ ist eins mit dem Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Und das hat etwas zu tun mit dem Stellenwert der Unerkennbarkeit der Dinge an sich in der kantischen Philosophie. Nur die Barmherzigkeit rührt ans An sich der Dinge. Hierin gründet der schärfste Einwand gegen die Geheimdienste (deren Ziel die Feinderkenntnis, das Gegenteil der Barmherzigkeit, ist).
Läßt nicht die Astrologie als die vollständige Versammlung der Objekte sich begreifen, in denen der Faschismus sich selbst überlebt? Und lassen sich nicht alle diese Objekte an ihrer Feindbildlogik, an dem Gemisch von Rechtfertigungszwängen, Abwehrmechanismen und Projektionen erkennen? Und sind nicht alle Objekte Zwillingsgestalten, Produkte eines Feindbild-Clinchs?
Ist nicht das Feindbild das wirksamste Instrument der Rechtfertigung?
Summa contra gentiles: Die Scholastik hat das Barbaren-Paradigma in der Theologie rekonstruiert: im Namen der Heiden, aus denen dann die Wilden hervorgegangen sind.
Ist nicht die Sexualmoral ein Produkt der Metaphorik, das dann im Herrschaftsinteresse (und im Kontext des Ursprungs des Weltbegriffs, in dem das Herrschaftsinteresse sich objektivierte) fundamentalistisch mißverstanden worden ist?
Dummheit und Projektion: In den „überwundenen“ Stufen der Vergangenheit spiegelt sich nur die Dummheit der Gegenwart.
Ist das Neutrum die verdinglichte Außenseite der Projektion (die cartesische „Ausdehnung“)?
Hat nicht die Allgemeine Relativitätstheorie etwas mit Heinsohns Geldtheorie zu tun, mit dem Paradigma der Schuldknechtschaft, und die spezielle Relativitätstheorie etwas mit dem des Tauschparadigmas? -
16.1.1997
Nachfaschismus: die Stabilisierung des Abgrunds.
Die 144000, die sich „mit Weibern nicht befleckt“ haben, sind das nicht die, die sich mit Gewalt nicht befleckt haben? Steckt darin nicht eine Tradition, die das Weibliche mit der linken Seite, mit dem strengen Gericht, zusammen sah? Und wie verhält sich das zu dem Wort über die Väter: Laß die Toten ihre Toten begraben?
Die Zahl Sieben bezeichnet die Totalität, aber eine, die in eine ungeheure Bewegung hineingezogen wird; eine Totalität, die nicht statisch ist, und deren Bewegung in den „Erdbeben“ bezeichnet wird.
Gibt es nicht einen ersten Schlüssel für die Bedeutung der Zahl Sieben in dem kantischen Konstrukt der „subjektiven Formen der Anschauung“?
Sind nicht die kosmischen Konnotationen der Apokalypse real und symbolisch zugleich? Auf keinen Fall aber sind sie fundamentalistisch, als naturwissenschaftlich identifizierbare Sachverhalte zu verstehen.
Ist der Name Philadelphia nicht in sich selber zweideutig: Ist die Bruderliebe die gemeinschaftsstiftende Kraft der Brüderhorde? Einzig beim Jakobus wird die Brüderhorde einmal aufgebrochen, als er die Brüder zusammen mit den Schwestern nennt. Ist nicht die Brüderhorde das Subjekt der durch die Zahl Sieben bezeichneten Totalität (Natur und Welt sind Begriffe der Brüderhorde)? Gehört hierzu nicht auch die Frage nach den sieben Brüdern und der einen Frau im Falle der Auferstehung, oder auch die Geschichte von der Sarah und dem Dämon Asmodai im Buch Tobit?
Die mystische Zeitlosigkeit ist „ein Luxus der Reichen die sich von der Zeit distanzieren“ (Kroon, S. 102), nicht aber die Idee der Ewigkeit, die mit dem „Überzeitlichen“ nicht verwechselt werden darf.
Rührt nicht das jeweils siebte, die siebte Gemeinde, das siebte Siegel, die siebte Posaune und die siebte Schale, an das Problem der Beziehung des Ewigen zum Überzeitlichen, an die letzte der messianischen Wehen und an den Durchbruch der Geburt?
Haben die drei Rippen, die der Bär, der nur auf einer Seite aufgerichtet war, im Maul und zwischen den Zähnen hat (Dan 75), etwas mit der „Rippe“, aus der Eva gemacht wurde, zu tun? Die Füße des Tieres aus dem Meere waren „wie die eines Bären“ (Off 132).
Zu den sieben Gemeinden: Bileam und Isebel sind nicht dasselbe. Bileam bezieht sich auf die Verführung des Volkes (zum Götzendienst und zur Unzucht mit den Töchter Moabs), Isebel auf die der Könige zur Baals-Religion. Was hat es mit den Nikolaiten auf sich, und was mit denen, „die sich Apostel (bzw. Juden) nennen und es nicht sind“?
Wie verhält sich das Bekenntnis zum Zeugnis (das homologein zum martyrion)? -
11.1.1997
Die ödipale Geschlechterpolarität (Jessica Benjamin: Die Fesseln der Liebe) reicht bis in die historisch „gewachsene“ Logik der Sprache hinein. Sie drückt u.a. in den kantischen Totalitätsbegriffen: in der Unterscheidung von Natur und Welt, sich aus. Und sie gehört zu den Gründen des Problems der „apagogischen Beweise“ (der Antinomie der reinen Vernunft), sowie in der weiteren Folge davon zu den Bedingungen der Möglichkeit der Kritisierbarkeit der staatsanwaltschaftlichen Logik (der „Gemeinheitslogik“).
Der Faschismus hat den frei fallenden Fahrstuhl endgültig aus seinen Verankerungen gelöst. Die Feindbildlogik hat sich so tief in unsere Erfahrung eingesenkt, daß es fast unmöglich geworden ist, sie zu reflektieren. Aber das beweist nur die Notwendigkeit dieser Reflexion. Hat nicht das -d-, durch das das Ahnden vom Ahnen sich unterscheidet, etwas mit dem Suffix -de zu tun, das in Begriffen wie Gemeinde oder Behörde (Gebärde, Gelände) enthalten ist? Und steckt das gleiche -de nicht in dem deutschen Wort Werden? Und verweist dieses Werden in einer ähnlicher Weise auf das Wer wie das Wasser auf das Was? Und hat das Werden in der Hegel’schen Weltphilosophie, in Hegels Logik, eine ähnliche Funktion wie das Ahnden in der Naturphilosophie Schellings (ist das Werden das abgestorbene Wer, das Ahnden die Verfolgung der Zukunft durch die Vergangenheit: ist das Werden eine Emanation des Weltbegriffs, das Ahnden eine des Naturbegriffs)?
Was drückt eigentlich im futurischen Gebrauch des Werden sich aus (wer ist das Subjekt des zukünftigen Tuns)? Das Werden ist der ins Affirmative gewendete Fall, der Anfang der Wege des Irrtums (sh. Hegels Planetentheorie).
In einen andern sich hineinversetzen heißt, die Welt rekonstruieren, deren Logik sein Denken und Verhalten bestimmt (und die Welt rekonstruieren heißt, die ökonomischen Gesetze und Konstellationen rekonstruieren, die die Bedingungen seiner Selbsterhaltung ausmachen). Tiere sind reine Weltwesen, deren Existenzbedingungen durch die Natur vorgegeben sind, während die Menschen ihre Existenzbedingungen im Prozeß ihres Gattungslebens selber hervorbringen. Menschen sind Tiere, die den Bann der Gattung sprengen, für die die Welt – über die Beziehung zu den Andern, die in der Sprache gründet – reflexionsfähig geworden ist. Tiere sind nicht bessere Menschen, auch wenn sie nicht schuldfähig sind: Sie stehen unter dem Bann des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs der Natur, den sie nicht zu reflektieren vermögen. -
2.1.1997
Nach Walter Pehle kann es „einfache Antworten auf die Frage, ‚wie aus einem Kulturvolk ein Volk von Mördern wurde‘, … nicht geben“ (Matthias Arning: „Wider die postmoderne Beliebigkeit“, FR von heute). Klingt das nicht ein wenig nach dem „Uns kann man nichts nachweisen“? Pehle zu Goldhagen: „Das ist alles Käse“.
„Natur im Subjekt“: Natur konstituiert sich im Kontext der Geschichte der Naturbeherrschung. In dieser Geschichte hat der Ursprung und die Entfaltung des Geniebegriffs, aus dessen Reflexion die kantische Formel von der „Natur im Subjekt“ sich herleitet, seine genau bestimmbare Stelle und Funktion. Adornos Formel zitiert Kant.
Verurteilung und Schrecken: Der Faschismus ist die erste Manifestation einer Entwicklung, in der Richter und Täter am Ende nicht mehr sich unterscheiden lassen. Der Vers aus dem Sonett Reinhold Schneiders: „Allein den Betern kann es noch gelingen, …“ wird vielleicht verständlicher, wenn man das „Schwert ob unsern Häupten“ als das Schwert in unsern Händen begreift, und die „richtenden Gewalten“ als Gewalten begreift, an denen wir teilhaben. Erst dann wird deutlich, daß es zu den „Betern“ (deren Gebet als Seele der Sprache sich begreift) und zum „geheiligt Leben“ keine Alternative mehr gibt.
Die RAF hat den Beweis für die These erbracht, daß Richter und Täter (der Terrorismus und die Formen seiner Bekämpfung) ununterscheidbar werden.
Sind es nicht die Historiker, die den Stein vor das Grab der Vergangenheit wälzen. Und als Maria Magdalena kam, um den Toten zu salben, und überlegte, wie sie den Stein fortbewegen könne, da war der Stein schon zur Seite gewälzt und das Grab leer.
An welchem Zeichen gab Jesus den Verräter zu erkennen?
– Mt 2623: Der, welcher mit mir die Hand in die Schüssel getaucht hat, …
– Mk 1420: Einer von den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht.
– Lk 2221: Doch siehe, die Hand dessen, der mich verraten wird, ist mit mir auf dem Tische.
– Joh 1326: Der ist es, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde.
Wer nicht mehr weiß, was er tut, braucht eine Instanz, die ihm die Verantwortung für sein Tun, das er nicht mehr durchschaut, (für seine Pflichterfüllung) abnimmt. Deshalb brauchte Habermas den „Verfassungspatriotismus“, als er, nachdem er die Kritik der Naturwissenschaften verworfen hatte, keine Möglichkeit mehr sah, richtiges Handeln im Gewissen zu begründen (das Gewissen ist nur im Kontext der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung zu begründen). Wenn es keine inhaltlichen Kriterien fürs Gewissen mehr gibt, dann hilft nur noch die Legitimation durch kollektive Entscheidungen.
Die Würde einer demokratischen Verfassung, die allein darin liegt, daß sie dem Gewissen Raum gibt, wird durch den Begriff des Patriotismus haarscharf verfehlt.
Hat Habermas nicht die Dialektik der Aufklärung doch sehr fundamentalistisch gelesen? Hat er nicht die reflektierenden Urteile als bestimmende, als objektkonstituierende Urteile gelesen, um sie dann verwerfen zu können? Fundamentalistisch ist dann auch seine Kommunikationstheorie geworden (in welcher Beziehung steht die Habermas’sche Version der Kommunikationstheorie zur double-bind-Theorie, die er verschweigt?).
Hat nicht das Gleichnis von dem einen Sünder und den neunundneunzig Gerechten etwas mit der Beziehung von Schrecken und Urteil im Hinblick auf den Nationalsozialismus zu tun? Ist nicht die Reflexion des Schreckens der Weg zur Bekehrung des Sünders, die Verurteilung der Weg der neunundneunzig Gerechten?
Zu jedem Schicksal gibt es Täter. Nur für Zuschauer, die aber eben dadurch zu Richtern der Opfer und zu Komplizen der Täter werden, gibt es ein reines Schicksal. Schicksal ist die Sünde der Welt als Natur. Die letzte Bastion der mythischen Schicksalslogik sind die subjektiven Formen der Anschauung. -
25.12.1996
Sind Venus und Merkur die „unteren“ (privaten), Jupiter und Mars die „oberen“ (politischen) Planeten? Und ist Saturn der Planet der Indifferenz, während Sonne und Mond die Verkörperung des Oberen und Unteren sind? Haben Freud und Marx etwas mit den unteren Planeten (den unteren Irrwegen) zu tun, und ist Einstein ganz unten?
Es gibt zwei komplementäre Formen, die Ökonomie mißzuverstehen: die technische und die moralische. Das technische Mißverständnis macht die Ökonomie zur Natur, um deren technische Beherrschung es geht, während das moralische Mißverständnis die Ökonomie auf individuelle Entscheidungen, die der moralischen Bewertung fähig sind, zurückführt.
Das Präsens ist der sprachlogische Grund der Erscheinungen, der alle Tempora durchdringt und affiziert: Die Sprachform der Vergangenheit bezeichnet vergangenes, die der Zukunft zukünftiges Präsens. Im Reich der Erscheinungen aber wird die Offenbarung (das Gesetz und die Prophetie) zur Apokalypse.
Ägypten und Babylon: „An jenem Tag, spricht der Herr der Heerscharen, da zerbreche ich das Joch, das ihren Nacken drückt, und zerreiße ihre Bande, und Fremden sollen sie nicht mehr dienen“ (Jer 308). In Ägypten (im Sklavenhaus und Eisenschmelzofen) waren die Israeliten Fremde, während Babylon die Fremdherrschaft (das Joch und die Bande) über Israel ist. Wer den Juden anstelle des Ziels der Befreiung das der Weltherrschaft unterstellt, verwechselt Israel mit Babylon (das ihm so als Feind selber dann zur Norm wird).
Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung, der Naturbegriff die Auferstehung: Beide gründen in der das Gesetz der Objektivierung insgesamt beherrschenden Logik der vollendeten Vergangenheit (die zu den Konstituentien des kantischen Reichs der Erscheinungen gehört), in der Ersetzung des moralischen durch das zeitliche Perfekt. Sie verschließen die Zukunft, um sie für die Herrschenden offenzuhalten. Ihr realsymbolisches Modell ist das kopernikanische System, ein Himmel, der zum steinernen Herzen der Welt geworden ist. Aber: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen (Mt 1618), die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht (Jak 213).
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