Die träge Masse ist ein Reflex des Selbsterhaltungsprinzips.
Der existierende Sozialismus hat in seinem Marx-Verständnis das reflektierende mit dem bestimmenden Urteil verwechselt. Aber war das nicht Hegelsches Erbe, hat nicht Hegel, als er die Antinomien der reinen Vernunft dialektisch instrumentalisiert hat, genau diese kantische Unterscheidung verwischt?
Auschwitz ist das Verbrechen, dessen Historisierung nicht gelingen wird.
Der Rassismus ist das Ergebnis des Versuchs, die Erbsünde durch projektive Verschiebung loszuwerden.
Ist nicht Johannes der gefährdetste der neutestamentlichen Autoren (sh. aber 1 Joh 510)?
Et resurrexit tertia die: am dritten Tag?
Luther hatte recht: Die Kirche ist Babylon. Aber er hätte die Kirche nicht verlassen dürfen. Gilt nicht das Jeremias-Wort „Suchet das Wohl des Landes, in das ich euch verbannt habe, und betet für es zum Herrn; denn sein Wohl ist auch euer Wohl“ (Jer 2813) auch für dieses Babylon?
Das „Sich nicht Rühmen“ gilt ebenso wie für jeden Christen auch für die Kirche, soweit sie als weltliche Institution dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfen ist.
Zwei Sätze zu Hegel:
– Das Weltgericht ist nicht das jüngste Gericht; das Jüngste wäre vielmehr das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.
– Das Absolute ist nicht Gott, sondern der Schatten, den die Subjektivität auf Gott wirft, der ihn unsichtbar macht.
Hegels Leistung besteht darin, daß er die Quintessenz der dogmatischen Theologie, ihren philosophischen Kern, rein herauspräpariert und so kritikfähig gemacht hat. An Hegel hätte eine Idee der Kritik sich zu bewähren, die anstatt an der Widerlegung an der Rettung sich orientiert. Die Unwiderlegbarkeit Hegels macht ihn zum Gegenstand der rettenden Kritik.
Wenn die Theologie kein Gegenstand der intentio recta ist, dann heißt das nicht, sie sei gegenstandslos.
Kant
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07.10.1996
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05.10.1996
Asymmetrie: Heute verwechseln alle Kritik und Widerlegung. Dabei ist kritikwürdig nur, was nicht widerlegungsfähig ist. Die Widerlegung ist ein Instrument der Eliminierung, ihr Ziel ist die Verurteilung. Ziel der Kritik hingegen ist die Rettung.
Abgestiegen zur Hölle: Erinnert das nicht an den Abstieg ins Private (waren es nicht der Caesar, das caesarische Imperium Romanum, die die Privatsphäre konstituierten, indem sie sie von der res publica trennten, sie gegen sie abschirmten und „schützten“ <Pax Augusta>; ähnlich schirmt der Teufel die Hölle, den Ort der Gemeinheit, gegen Barmherzigkeit und eingreifendes Handeln ab)?
Der Abstieg zur Hölle war zugleich auch der Einstieg in die Völkerwelt (in die Welt der Heiden, der Fremden, der Feinde), in die verurteilenden (zunächst durch den Mythos, am Ende durch politische Magie der Feindbildlogik geprägten) Sprachen?
Seit dem Kreuzestod Jesu haben vor allem die Verachteten (hat das Herz, in das nur Gott sieht) Anteil an der messianischen Kraft.
Confessor (Bekenntnislogik und Eliminierung der Frauen): Hat nicht Augustinus (in den Confessiones) über seine Mutter geschrieben, sie „glaubte wie ein Mann“?
Das Dogma und die subjektiven Formen der Anschauung: Die Sohn-Gottes-Theologie wird dämonisch, wenn das Nachfolge-Gebot aus diesem messianischen Titel eliminiert und verdrängt, der „Sohn Gottes“ zu einem Objekt des Anschauens wird. Das Dogma ist Theologie von außen (Theologie hinter dem Rücken Gottes, dessen Attribute Levinas zufolge nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen); es begründet in der Theologie das (hier schon von Grunde her verworfene) Reich der Erscheinungen (deren Trennung vom Ansich). Auch hierauf bezieht sich der Levinas’sche Begriff der Asymmetrie (seine Unterscheidung von Indikativ und Imperativ). Die Verwischung dieser Asymmetrie (durch den Weltbegriff) ist der Punkt, an dem die Logik umkippt: der Punkt der Verdinglichung und Instrumentalisierung der Wahrheit (der Vertauschung von Name und Begriff, des Ursprungs der Dunkelheit, in die Theologie Licht zu bringen hätte, anstatt dem Heroismus des Nichtsehens zu verfallen).
Wodurch unterscheidet sich das homologein vom confiteri (hängt confiteor, confessus sum, mit fateor, fassus sum <gestehen, bekennen; äußern, zeigen>, zusammen)? Bezeichnet nicht diese Differenz den Übergang von Logik der der Sprache zur Logik der Anschauung (Indiz des Übergangs vom Griechischen ins Lateinische)?
Hängt das fateor mit dem fatum zusammen: ist das Bekenntnis der Reflex des Schicksals im Subjekt, der Versuch, die Macht des Schicksals mit Hilfe der Logik des Schicksals zu brechen? War die Bekenntnislogik die Voraussetzung der Rezeption des Begriffs (der Philosophie) im Lateinischen – eine Fortentwicklung der stoischen Ataraxie; hat die Bekenntnislogik „die Welt (den Weltbegriff) gerettet“, und hat sie in der gleichen Bewegung die Bedeutung des Naturbegriffs aus dem Kontext der Zeugung in den der Geburt verschoben?
Venus-Katastrophe: Hat nicht die Venus etwas mit der Fortuna, dem „Glück“ und dem „blinden Zufall“, zu tun? Wurde in der Venus die Kontingenz der Welt, als es aus ihr – in der staatlich organisierten Eingentumsgesellschaft – keinen Ausweg mehr gab, verehrt? In welcher Beziehung steht diese Kontingenz zur Sexualität? Beschreibt der Begriff der Venus-Katastrophe die Ursprungsbedingungen der Sexualmoral (die vor dem Selbstverlust, der Verfallenheit an die Kontingenz, schützen sollte)?
In welcher Beziehung steht das pisteuo zum credo, und das credo zum confiteor (gibt es eine dem „Kredit“ vergleichbare Wortbildung zu pisteuo)?
Am Ende des Buches Jona wird des Königs nicht mehr gedacht. Aber ist diese Geschichte vom König, der Buße tut und sein Volk (und das Vieh) aufruft, Buße zu tun, nicht das Gegenstück zu dem paulinischen Satz, daß am Ende. wenn der Sohn Ihm alles unterworfen haben wird, Gott alles in allem sein wird? Und ist es nicht dann in der Tat gleichgültig, ob des Königs dann noch gedacht wird?
Ist St. Peter der Erbe des Kolosseums, und hallen im Meßopfer die mörderischen Spiele in der Arena nach?
Die Aufgabe des Daniel, den Traum Nebukadnezars zu deuten, den er selbst zuvor finden und rekonstruieren muß, gleicht der Aufgabe, einen Knoten zu lösen, der zuvor durchschlagen wurde. (Ist der traumlose Schlaf, den es nicht gibt, das Sich-nicht-Erinnern an den nächtlichen Traum, eine Spätfolge des „durchschlagenen Knoten“: Gilt es nicht deshalb, die Nächte, die die Schöpfungstage trennen, endlich in die Erinnerung zu rufen?)
Die Idee der Auferstehung hängt mit dem „Richtet nicht …“ und dem Gebot der Feindesliebe zusammen. Sie ist ebenso wie eine Hoffnung auch ein Erkenntnisprinzip: die Nichtanerkennung der Verurteilung, der abgeschlossenen Vergangenheit, der Macht des Todes; Erinnerung als Revision des gnadenlosen Weltgerichts.
Barmherzigkeit als Erkenntnisprinzip: Ohne die Fähigkeit, in einen andern sich hineinzuversetzen, wird Erkenntnis blind. Objektivierende Erkenntnis (die ihr Maß an den subjektiven Formen der Anschauung hat) ist richtende, gnadenlose Erkenntnis: Erkenntnis von oben, aus Herrensicht.
Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Mathematik, insbesondere mit der Geometrie (mit der Orthogonalität und der Reversibilität aller Richtungen im Raum) sich entfalten, sind ein blinder Reflex dessen, wovon sie abstrahieren: der „Zweckmäßigkeit“ (vgl. Kr.d.U., S. 223 <271> ff). Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Transformation der Teleologie in die Kausalität, sie destruieren die Logik des Grundes und machen die Kausalität zu einer universalen, zum Kern des synthetischen Urteils apriori.
Die Paranoia ist das Resultat der gelungenen Subsumtion der Teleologie unters Kausalitätsprinzip.
Kritik der Geschichte: Das An sich der vergangenen Dinge, ihr Innerstes, liegt in der Zukunft. -
01.10.1996
Das Prinzip der Schuldumkehr (und somit ihre Beziehung zum Schuldbekenntnis) bindet die Bekenntnislogik an die Logik der Verurteilung und ans Feindbild. Die Bekenntnislogik ist das Produkt der Instrumentalisierung des Symbolums. Drückt die Differenz des Bekenntnisses zum Symbolum nicht in der des confiteri zum homologein sich aus? Und ist nicht der Kontext der confessio (ihre passive, auf den Blick und das Urteil der Andern bezogene Beziehung zur Sündenvergebung, zur Rechtfertigung) ein anderer als der des homologein (der aufs Handeln: auf die aktive Nachfolge, verweist)? Die confessio trennt die Sündenvergebung vom Sündenvergeben (das Gericht von der Barmherzigkeit), sie transformiert so das homologein in ein theologisches Inertialsystem (sie subsumiert das Bekenntnis unters Gesetz der Instrumentalisierung).
Die Trinitätslehre ist – insbesondere in ihrer lateinischen Fassung – ein logisches Konstrukt. Es ist nicht unerheblich, daß die bedeutendsten lateinischen Theologen (von Tertullian bis Augustinus) Rhetoren waren, die die Logik, indem sie sie wie eine Ingenieurswissenschaft betrieben (als Mittel für subjektive Zwecke), zu einem Instrument der gesellschaftlichen Naturbeherrschung gemacht haben. Hier ist der instrumentalisierende Grundzug in die Theologie hereingekommen, der seitdem nicht mehr aus ihr herauszubringen ist. Ist nicht das Modell der trinitas der Raum mit seinen drei Dimensionen (und das der Orthodoxie die Orthogonalität)? Die Trinitätslehre ist das embryonale Modell der universalen Verdinglichung (der Verhärtung des Herzens).
Rind und Esel: Im Strafrecht verfolgt der Staat seine Konkurrenten: die Anmaßung des „Verbrechers“, von einem Recht Gebrauch zu machen, das nur ihm, dem Staat, zusteht. Deshalb kennt das Strafrecht keine Versöhnung und keine Wiedergutmachung, aber auch keine Umkehr, sondern nur die Strafe: die Befriedigung des Rachetriebs. Das Strafrecht wird, wenn es das Element seiner Humanisierung (die Domestizierung des Rachetriebs) endgültig verwirft, zu einer projektiven Verfolgungsmaschine (die dann im deutschen Judenmord gegen das Strafrecht, aus dem sie hervorgegangen ist, sich verselbständigt hat), eine Maschine, mit deren Hilfe der Staat sein eigenes Verbrechen (das Verbrechen seines Bestehens) an anderen verfolgt, um so sich selbst zu exkulpieren. Ist nicht das Bekenntnis zum Staat, Grund und einziger Inhalt des Nationalismus, das verstockte Bekenntnis zu diesem Verbrechen (und ist nicht die Schuldumkehr, in der das Bekenntnis sich konstituiert, der Grund der Verhärtung des Herzens)?
Hängt die consubstantialitas mit der homousia auf ähnliche Weise zusammen wie die confessio mit dem homologein?
Ist nicht die confessio eine passivische Perfektbildung (abgeleitet aus dem Verb confiteri, confessus sum), und ist nicht der lateinische Substanzbegriff ein Produkt (das gegenständliche Pendant) der confessio? Das Substantiv ist das Produkt der logischen Verknüpfung beider.
Wie kommt es, daß fast alle grammatischen Bezeichnungen (wie Substantiv, Akkusativ, Nominativ etc.) auf -iv(um) enden; drückt sich darin nicht schon ihre Beziehung zur Ursprungsgeschichte des Trägheitsbegriffs, des Inertialsystems, aus? – Verweist das -ivum nicht auch auf einen Eingriff, auf eine gegenständliche, formende Tätigkeit: auf eine apriorische Sprachlogik, eine Herrschaftslogik der Sprache? Ist diese Sprachlogik nicht die Embryonalform der transzendentalen Logik (und ihr Subjekt die des transzendentalen Subjekts)?
Vor dem Erscheinen des Tiers aus dem Wasser wird der Drache (der „Ankläger unserer Brüder“) vom Himmel auf die Erde geworfen. „Darum frohlockt, ihr Himmel, und die ihr darin wohnt! Wehe der Erde und dem Meer! denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen …“ Auf die Erde herabgeworfen, verfolgt der Drache das Weib, das den Knaben geboren hat, und das in die Wüste flieht, „fern vom Angesicht der Schlange“. Es steckt eine ungeheure Dramatik in den Kapiteln 12/13 der Johannes-Offenbarung: Der Drache übergibt dem Tier seine Kraft, seinen Thron und große Macht … Der Drache und das Tier werden angebetet; dann macht das Tier vom Lande ein Bild des ersten Tieres, das große Zeichen tut, sogar Feuer vom Himmel auf die Erde herabfallen läßt, es verleiht dem Bild Lebensgeist, sodaß das Bild sogar redet und bewirkt, daß alle, die das Bild nicht anbeten, getötet werden.
Worauf bezieht sich das Bild von dem vom Himmel auf die Erde geschleuderten Drachen, hängt es mit dem Wort aus dem Johannes-Evangelium zusammen: „Jetzt ergeht ein Gericht über diese Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden …“ (Joh 1231, vgl. auch 1430 und 1611, sowie Lk 1018). Und hat diese Geschichte nicht etwas mit der Ursprungsgeschichte des „transzendentalen Subjekts“, der Konstruktion des Bewußtseins und dem Ursprung der Philosophie (in denen die Ursprungsgeschichte des Staates sich spiegelt) zu tun?
Erinnert nicht die Trennung von Information und Feuilleton in den Medien (die auf die sachliche von Politik/Ökonomie und „Kultur“ zurückweist) an die Unterscheidung des Tiers aus dem Meere vom Tier vom Lande?
Die kantische Antomienlehre enthält die Ansätze einer Kritik der Logik, sie eröffnet einen Blick in den Abgrund der Logik, den Hegel durch die erneute Einbindung in die Logik (durch Einbindung der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik) zu schließen versucht hat. -
28.9.1996
Steckt in der kantischen Unterscheidung eines feminenen und eines neutrischen Erkenntnisbegriffs (die bzw. das Erkenntnis) ein bei seinen Nachfolgern schon verdrängtes Bewußtsein davon, daß die transzendentale Logik eine neutralisierte Erkenntnisform begründet? Und liegt hier nicht der Grund für die „romantische Revolution“, die Isaiah Berlin (in Lettre 34, S. 76ff) zu beschreiben versucht? Im Bann der Logik dieser neutralisierten Erkenntnis wird das Wahre (nicht die Wahrheit) zum „bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“ (Hegel, Vorrede/Einleitung zur Ph.d.G.).
Kant begründet seine Vernunftkritik mit dem Hinweis auf die kopernikanische Wende, in der er das Modell seiner philosophischen Revolution erkennt. Ist die transzendentale Logik nicht in der Tat das philosophische Äquivalent der newtonschen Gravitationstheorie, beschreiben nicht beide gemeinsam den Grund und die Grenzen des Begriffs der Erscheinung (und im Begriff der Erscheinung das Korrelat des Begriffs, den Inbegriff aller Objekte von Urteilen)?
Ist die Fähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, der Anfang der Gotteserkenntnis? Und war es nicht der Pharao, der, weil er Joseph nicht mehr kannte, auch den Namen Gottes nicht mehr kannte? Deshalb mußte Moses auf den „Gott der Hebräer“ sich berufen, wenn er zum Pharao ging.
Israeliten heißen die, die Gott fürchten; Hebräer heißen die Gottesfürchtigen von außen: in den Augen der Völker. Vereinigt nicht der Name des Gottessohns beide Aspekte in sich (mit der Folge, daß durch die Dogmatisierung dieses Namens seine Wahrheit verdrängt wird, nur der Blick von außen, der dämonische Gebrauch des Namens zurückbleibt: der Gott der Hebräer)?
Backstreet boys: Gibt es dieses Gekreische nicht auch in der Religion?
Das „geboren aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria“, das in einigen frühen Bekenntnistexten sich findet, enthält die Erinnerung an den Mutterschoß, aus dem die Propheten berufen wurden, während das „natum de spiritu sancto ex Maria virgine“ den Heiligen Geist in den zeugenden Gott mit hereinnimmt (und die Prophetie storniert).
Die Erstgeburt ist dem Moloch zubestimmt, seine Auslösung durchs Opfer (des Lammes, auch der Taube) gehört zur Ursprungsgeschichte der Offenbarung. Bei der Bindung Isaaks war der erste Engel, der das Opfer forderte, der Engel Gottes, der zweite, der es verhinderte, der Engel des Herrn. Auch dem Zacharias und der Maria ist der Engel des Herrn erschienen: er nannte sich Gabriel.
Nach Emmanuel Levinas stehen die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ: Ist nicht der Indikativ die Sprache des Selbstbewußtseins, das sprachliche Korrelat des Weltbegriffs und des Objektivationsprozesses, den der Weltbegriff begründet und legitimiert? Aber gibt es nicht doch auch einen theologischen Indikativ: den der Lehre? -
21.09.1996
Wenn die sieben Siegel etwas mit den sieben Planeten zu tun haben, ist dann nicht der Himmel das Buch des Lebens, das aufgerollt (abgeschlossen und geöffnet) wird, wenn die sieben Siegel gelöst werden?
Gilt nicht der Satz über den Faschismus, daß die bloße Verurteilung nicht hilft, sondern der Schrecken zu reflektieren ist, auch fürs Patriarchat insgesamt. Und ist die Instrumentalisierung des Schreckens (in der bloßen Verurteilung des Faschismus wie des Patriarchats) nicht die Falle der Urteilslogik? Hat die „Venus-Katastrophe“ etwas mit diesem Vorgang zu tun, und sind die „Planeten“ die kosmischen Repräsentanten dieser Urteilslogik? Sind die sieben Siegel (wie auch die sieben Planeten, die Wege des Irrtums) Ausdruck objektiver Zwänge, die aus der Verdrängung des Schreckens (an den die paulinischen Elementarmächte erinnern) resultieren? Ist die Astrologie eine Urteilstheorie?
Die frühe Kirche hat (nach der Rezeption des Weltbegriffs und nach dem Ursprung der Bekenntnislogik) die dämonischen Elementarmächte der Paulusbriefe zu Engelshierarchien gemacht.
Venus und Merkur sind sonnennahe Planeten, Jupiter und Mars sonnenferne (und auf eine komplizierte Weise auf den Mond bezogene) Planeten. Und gehören Uranos und Pluto auf ähnliche Weise zum Saturn? (Vgl. die Neunzahl der pseudodionysischen Hierarchien: Seraphim/Cherubim/Throne, Herrschaften/Mächte/Kräfte, Fürstentümer/Erzengel/Engel, peri tes ouranias hierarchias.)
Ist Saturn der Planet der Personalpronomina (erste, zweite, dritte Person bzw. m/f/n)?
Läßt die Theologie Martin Bubers aus seiner Übersetzung des Gottesnamens (ER, 3. Pers. m.) sich rekonstruieren: aus der Verwechslung des Gottesnamens mit dem Namen Adams? Rührt nicht daher die Affinität seiner Bibelübersetzung (wie auch seiner Bibel-Interpretation) zum Feudalismus? Hatte nicht schon die Orthodoxie, die dogmatische Theologie, Christus mit Adam, den, der die „Sünde der Welt auf sich genommen“ hat, mit dem Sünder, der nur das Bewußtsein der Sünde verdrängt hat, verwechselt?
Die erst mit dem Dogma entstandene Vorstellung, daß das Reich Christi kein Ende haben wird, heißt eigentlich, daß die Welt unerlösbar ist: die Erlösung wurde ad kalendas graecas vertagt (mit der endlosen Verschiebung seiner Wiederkunft und der Leugnung der Auferstehung). Für die Kirche hatte die Auferstehung mit dem Dogma und seiner Verschmelzung mit dem Bürgerrecht des Imperium Romanum sich „erfüllt“.
Ist das Ganze nicht (im wörtlichen Sinne) eine Wahnsinnsgeschichte (ebenso wie auch die Astrologie eine Wahnsinnsgeschichte ist)? Aber eine, an deren Lösung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist?
Die naturwissenschaftliche „Lösung“ des Astrologieproblems, hat den Wahnsinn psychotisiert: Sie hat den Wahnsinn ans Selbsterhaltungsprinzip gekoppelt, an das Prinzip der Vergesellschaftung von Herrschaft. Sie hat die translunarische Welt an die Gesetze der sublunarischen Welt geknüpft, sie hat die untere Welt zur oberen Welt gemacht, aber auf der Schiene der Urteilslogik: der Verdrängung des Schreckens (sie hat damit diese und die zukünftige Welt verraten). Kehren nicht die neuen „kritischen Bewegungen“ (der nach-68er-Bewegungen) wiederum die Urteilslogik (mit der Folge der Verinnerlichung des Schreckens)?
Gegen Kant (und gegen Hegels Logik): Es gibt nicht eine transzendentale Logik (die, in sich selbst reflektiert, zur Idee des Absoluten führt), sondern es gibt sieben transzendentale Logiken. Und deren Repräsentanten sind die sieben Planeten.
Wenn das Bekenntnis das bara verdrängt, so verdrängt es Himmel und Erde, die großen Meeresungeheuer und das Ebenbild Gottes (an dessen Stelle die homousia des vergöttlichten Sohnes tritt). Und dieser Fehler ist nicht dadurch zu heilen, daß das facere im Deutschen mit erschaffen übersetzt wird, es bleibt ein demiurgisches Machen, es verbleibt im Bannkreis der Naturbeherrschung.
Sind die ägyptischen wie auch die apokalyptischen Plagen nicht eigentlich Schrecken (die Objektseite der Urteilserfahrung)?
Die Lösung der sieben Siegel gibt den Blick auf die Schrecken frei (der Faschismus, der diesen Anblick nicht erträgt, erschlägt die, die ihn verkörpern oder ihn laut werden lassen). – Es kann nicht das Ziel sein, daß der Staat sein wahres Gesicht zeigt, sondern es kommt allein darauf an, daß er an den Folgen seines Handelns gemessen wird.
Sind die sieben Planeten nicht ebenso viele Knotenpunkte der Abstraktion und Verdrängung? Hängt ihre Konstituierung und Erscheinung nicht mit dem Problem der Beweislogik (mit dem kantischen Problem des apagogischen Beweises) zusammen, ebenso mit dem Problem der Genesis des pathologisch guten Gewissens (mit der Logik der Schuld): mit dem Problem, auf das sich das Wort Jesu bezieht „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, mit dem Problem der „Wege des Irrtums“ und der Bekehrung des einen Sünders, mit der Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden? Gehört hierzu nicht auch das Väterproblem in den Evangelien? Und hängt die „Heilung der Schwiegermutter des Petrus“ mit diesem Problem zusammen?
Der ungeheuerliche Verdrängungsakt am Ende des letzten Krieges, der doch so „natürlich“ war, wäre endlich aufzulösen. Hierbei wäre die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos eine unentbehrliche Hilfe.
Heute in der FR ein Hinweis auf ein Buch mit dem Titel „Blut. Von der Magie zur Aufklärung“. Es ist offensichtlich ein medizinisches Buch, aber ist es nicht zugleich ein theologisches Buch?
Im Angesicht und Hinter dem Rücken (vorn und hinten): Bezieht sich nicht Rechts und Links auf das Vorn und Hinten des Andern, und das Oben und Unten auf das Angesicht und den Rücken Gottes?
Nur über die Schuldreflexion (für die im Stern der Erlösung die Todesfurcht steht) ist der Verblendungszusammenhang aufzulösen.
Die griechische Sprache verhält sich zur lateinischen wie die (prädogmatischen) subjektiven Formen der Anschauung zum (postdogmatischen) Inertialsystem. -
19.09.1996
Sind wir nicht selber Opfer der gleichen Verurteilungslogik, die wir zur Selbstentlastung auf andere anwenden, ohne sie zu durchschauen?
Das Zeichen des Jonas: Ist nicht das Christentum die Flucht nach Tarschisch und die Kirche das Fluchtschiff?
Empfindlichkeit und Sensibilität: Wer anderen Empfindlichkeit vorwirft, ist unsensibel. Es gibt keine unmittelbaren Empfindungen (außer der des Schmerzes), jede Empfindung ist in sich selbst vermittelt. Die Empfindung setzt die Abstraktion von dem, was sie begründen soll, von der sinnlichen Erfahrung, deren Außer-Kraft-Setzung, voraus (aus den Empfindungen läßt die sinnliche Wahrnehmung ebenso wenig sich rekonstruieren wie das Licht aus den Maxwellschen Gleichungen). Das gilt auch für den erkenntnistheoretischen Gebrauch dieses Begriffs, der zusammen mit den modernen Naturwissenschaften entstanden ist. Empfindlichkeit ist ein Reflex der Ohnmacht gegen das Urteil der anderen („Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren“); sie ist ein Reflex der Ohnmacht gegen die Gemeinheit, die das Urteil nach außen (auf das Objekt, über das es ergeht, ohne daß es fähig wäre, in diesem Urteil sich selbst wiederzuerkennen) ausstrahlt. In der Empfindung, die selbst blind, ohne Erkenntniskraft ist, erfährt sich das Subjekt als Objekt, als Ding unter Dingen. Die Empfindung ist der Reflex des mechanischen Stoßes im Subjekt (der Begriff verhält sich zum logischen Objekt wie der Stoß zum mechanischen Objekt).
Jak 520: Der Grund der Auferstehung Jesu liegt in Maria Magdalena, die er von den sieben unreinen Geistern befreite (nicht in Petrus, der ihn dreimal verleugnete).
In der Ursprungsgeschichte des Symbolums hat die Kirche das Evangelium in ein System von Pflichten transformiert. Mit dem Symbolum ist auch der Glaube in Pflicht mit hereingenommen worden (und so in dem spezifisch christlichen Sinne zum Glauben überhaupt erst geworden).
Hat das Hören etwas mit der Gravitation und das Sehen mit der Mechanik und der Elektrodynamik (als Repräsentanten der Unmittelbarkeit und der Reflexion) zugleich zu tun (ist die Gravitation das Produkt der Abstraktion vom Hören, die Mechanik und die Elektrodynamik das der Abstraktion vom Sehen)? – Nach dem Fall gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
Nackte Tatsachen: Das Objekt der Gemeinheit ist nackt.
Die 120 000, die Rechts und Links nicht unterscheiden können, und soviel Vieh: Ist das nicht das Bild des Sünders, mit dessen Bekehrung vom Weg des Irrtums man die eigene Seele vom Tod errettet? Hat nicht Gott, als er Ninives sich erbarmte, sich selbst gerettet?
Zu Ebach: Nicht Knüpfungen, sondern Lösungen? Verbleibt nicht „Kassandra und Jona“ im Kontext des durchschlagenen Knotens?
Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft rühren an die Gottesnamen, auf die dem Sohar zufolge die sechs Richtungen des Raumes versiegelt sind.
Menetekel: Kant hat gegen die Antinomien der reinen Vernunft nur die Hoffnung gesetzt (und mit Recht im Hinblick auf ihre Auflösung zu leicht befunden), den einzigen Grund der Hoffnung aber aus dem Blick verloren: die Barmherzigkeit. Haben ihn die subjektiven Formen der Anschauung geblendet?
Allein im Kontext des letzten Satzes aus dem Jakobusbriefes läßt die Gnadenlehre sich verständlich machen. Gibt nicht der Jakobusbrief, den Luther verworfen hat, die Antwort auf seine Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“? Jeder andere Gnadenbegriff ist autoritär und führt in eine politische Theologie, in der am Ende Staat und Kirche nicht mehr sich unterscheiden lassen. Aber der Kirchenstaat ist ebenso falsch wie die Staatskirche (ist nicht heute die Gefahr der Staatskirche größer als die eines Kirchenstaats, insbesondere nachdem Staat und Ökonomie ihre eigene Theologie entwickelt haben, gegen die die orthodoxe Tradition der Theologie als zusehends ohnmächtiger sich erweist?).
Ist nicht die Ökonomie das Tier aus dem Wasser und der Staat das Tier vom Lande (der falsche Prophet), und ergänzend: repräsentiert nicht die Ökonomie die Natur und der Staat die Welt?
Vgl. hierzu den paulinischen Naturbegriff, wonach
– „die Natur selbst (uns lehrt), daß, wenn ein Mann lange Haare trägt, es eine Schmach für ihn ist, wenn aber eine Frau lange Haare trägt, es eine Ehre für sie ist“ (1 Kor 1114f), oder
– wenn er Heiden „von Natur Unbeschnittene“ nennt (Röm 227).
Rührt nicht diese Assoziation von Natur und Konvention an die logischen Wurzeln des Naturbegriffs?
Die Geschichte der nachkantischen Systeme des deutschen Idealismus ist die Geschichte der Wendung der Kritik ins Affirmative.
Mit Kopernikus wurde die Orthodoxie in die Orthogonalität (aus der sie einmal hervorgegangen ist) zurückgenommen: Das Inertialsystem ist die letzte, sich selbst begründende Gestalt des Dogmas.
Die Geschichte der drei Leugnungen sprengt den Bann der Identität, dem auch die Bekenntnislogik noch unterliegt.
Die subjektiven Formen der Anschauung (und in ihrer Folge das Inertialsystem) suspendieren die Schuldreflexion: Haben sich nicht im Faschismus die Energien in einer Explosion entladen, die zur Verdrängung der Schuldgefühle gebraucht wurden (kann es sein, daß es in der Alten Welt eine ähnliche gesellschaftliche Naturkatastrophe gegeben hat, der die Heinsohn-Gruppe heute eine reale Naturkatastrophe substituieren möchte)? Läßt sich nicht der Faschismus als das Produkt eines übermächtigen Rechtfertigungszwangs begreifen, des Triebs, um jeden Preis den öffentlichen Schein des guten Gewissens hervorzubringen, und sei es über die Vernichtung derer, in denen man glaubte, die Urheber aller Schuldgefühle zu erkennen, der Juden?
Die Eltern ehren heißt nicht, ein gutes Bild von ihnen haben, sie um jeden Preis rechtfertigen, sondern es heißt, ihnen die Ehre zu geben, sie auch dort noch zu verstehen, wo sie uns verletzt haben; sie nicht zu verurteilen, dabei jedoch auch die Schrecken der Kindheit nicht zu verdrängen. -
18.09.1996
Wer bereschit, das erste Wort der Schrift, anstatt mit „im Anfang“ mit „im Prinzip“ übersetzt (Ton Veerkamp?), bringt zwar eine notwendige Korrektur, aber verschiebt er das Problem nicht doch nur von der zeitlichen (naturalen) auf die logische (weltliche) Ebene, transportiert er es nicht aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, mit der Gefahr der Vergöttlichung des transzendentalen Subjekts?
Erfüllt der gegenwärtige Weltzustand nicht die Voraussetzungen, auf die das Wort sich bezieht, daß der Vater am Ende, wenn der Sohn ihm alles unterworfen hat, alles in allem sein wird?
Ist das Heideggersche „Dasein“ nicht ein Produkt der subjektiven Formen der Anschauung, das alte tode ti, nach seiner philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Transformation und nach Verdrängung des Bewußtseins seiner Ursprungsbedingungen (vergleichbar der Geschichte des „Seins“ nach der Hypostasierung des Begriffs und der Abspaltung vom Possessivpronomen der dritten Person singular männlich)?
Ist nicht das Begreifen ein instrumentalisiertes Besitzergreifen (nach Abstraktion vom Besitzer)?
Wäre es nicht Aufgabe der Erinnerungsarbeit, die Abstraktions-und Verdrängungsschritte, die unser Bewußtsein konstituieren, zu rekonstruieren? Und ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Spiegel der Ursprungsgeschichte dieses Bewußtseins?
Läßt sich das Johannes-Evangelium in Beziehung setzen zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos (und hat der Kreuzestod etwas mit dem Opfer zu tun, das den Ägyptern ein Greuel ist)? Entspricht nicht das erste Wunder Jesu (bei der Hochzeit zu Kana) der ersten der ägyptischen Plagen?
An welchen ägyptischen Plagen hat Aaron Anteil, sind es nicht fast die gleichen, in denen auch die ägyptischen Zauberer vorkommen (1 – 4 <!> u. 6; die Zauberer dagegen 1 – 3 u. 6)?
Welche Motive bleiben unerledigt: die Prophetenschaft Aarons, das Opfer (das den Ägyptern ein Greuel ist)?
Der Versuch, die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu entschlüsseln, gelingt nur als Selbstversuch. Und beschreibt nicht diese Geschichte aufs genaueste die Genesis des Irrwegs des Sünders, an dessen Bekehrung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist? Allein an diesem Modell, nicht aber an der verkürzten und egozentrischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, läßt sich das Problem der Gnade demonstrieren: die Bekehrung des Sünders ist nicht erzwingbar, sie liegt nicht in unserer Macht, aber gleichwohl können wir nicht davon lassen. Jede Zwangsbekehrung ist eine verzweifelt-hybride Leugnung der Gnade. Selbst, was in der Moderne Mission heißt, hat etwas von dieser Zwangsbekehrung an sich, gleichgültig, ob durch den Appell an die Übermacht der „westlichen Welt“, für die das Christentum heute steht, oder durch die Mittel, die von denen der Reklame allzu oft nicht zu unterscheiden sind (jede Reklame intendiert die Heiligung des Markennamens und die Bekehrung des Konsumenten zu dem im Markennamen gegenwärtigen Warengott – hat nicht Ludwig Ehrhard gelegentlich von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen?).
Bekehrung: „ginosketo hoti ho epistrepsas hamartolon ek planes hodou autou …“ (Jak 520).
Reinhart Staats weist darauf hin, daß die Opfertheologie, die Lehre vom Sühnetod Jesu, westlichen Ursprungs ist, daß erst seit Tertullian das pro nobis an das crucifixus angehängt wurde (vgl. S. 160). Liegt hier nicht der sprach- und bekenntnislogische Kern der von Tertullian geprägten lateinischen Begrifflichkeit der Theologie (bis hin zum Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre)? Diese Begrifflichkeit aber hat dann die Sprache und die Logik der westlichen Philosophie nach dem Ende des Mittelalters geprägt.
Das Subjekt ist zum erkenntnistheoretischen Subjekt in dem Augenblick geworden, in dem es sich selbst zum Objekt geworden ist (durch präventive Mimesis ans Objekt die Konstituierung des Objektbegriffs vorbereitet hat). Das aber ist allein über die subjektiven Formen der Anschauung, die nicht nur die Objektvorstellung, sondern mit ihr auch das Selbstverständnis des Subjekts determinieren, gelaufen. Mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, und d.h. mit der Aufrichtung der Grenzen zwischen Subjekt und Objekt (mit den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Grenzen definieren), wurden diese Grenzen zugleich aufgehoben, ist das Subjekt zu einem Teil der Objektwelt geworden.
Jürgen Ebach, dem zur Apokalypse nur die atomare Drohung, nicht aber die faschistische einfällt, wäre darauf hinzuweisen, daß er damit bereits von einer Entlastungslogik Gebrauch macht, die in Deutschland nie, auch nicht von der 68er Bewegung (die raf eingeschlossen), durchbrochen worden ist. Deshalb hat Daniel Goldhagen die deutsche Öffentlichkeit so unvorbereitet und so empfindlich getroffen.
Der kopernikanische Blick auf die Welt entspricht dem Blick des Historikers auf die Geschichte: Der vergegenständlichende Blick ist der Seitenblick, der Blick der Selbstobjektivierung, des Aus-sich-Heraustretens und Sich-von-außen-Sehens. Das Medium dieser Bewegung ist räumlich und zeitlich zugleich: Das Verhältnis der Äußerlichkeit, das der Raum herstellt, ist tingiert durch die Logik der Projektion ins Vergangene. Wenn der Historiker die Vergangenheit vergegenwärtigt, so projiziert der Naturwissenschaftler das Gegenwärtige in die Vergangenheit. Erst diesem Blick eröffnen Raum und Zeit sich ins Unermessliche, werden sie zum Maß der Dinge, das selber jedem Maß sich entzieht.
Alle Chronologie-Konstrukte (die historischen wie die naturwissenschaftlichen) sind Rechtfertigungskonstrukte, die dazu dienen, die Gegenwart gegen die Schuldreflexion zu immunisieren (sie gegen den Anblick Gottes abzuschirmen). Das Inertialsystem ist atheistisch.
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist ein Konstrukt, das zunächst nur auf die mathematische Form des Raumes sich bezieht; hier liegt einer der Gründe Kants, den Raum als subjektive Form der Anschauung zu bestimmen. Realität hat die Reversibilität gewonnen
– in der Mechanik, in der Bestimmung der Stoßprozesse, bei denen Richtung und Gegenrichtung (in der zur Fallrichtung senkrechten Ebene) dynamisch nicht unterscheidbar sind, sodann
– im Gravitationsgesetz, die auch den Fall, die Beziehung von Oben und Unten unter dieses Gesetz subsumierte;
– mit der Elektrodynamik wurde diese Reversibilität auf die Zeit übertragen, die Zukunft endgültig unter die Vergangenheit subsumiert.
Erst zu den Maxwellschen Gleichungen gehört das Inertialsystem.
Die Vergegenständlichung der Vergangenheit läßt die Zukunft nicht unberührt: Durch Antizipation ihrer Vergangenheit macht sie die Zukunft für Herrschaft verfügbar. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, hat sowohl gesellschafts- als auch wissenschaftskritische (und in dem Sinne „naturwissenschaftliche“) Bedeutung.
Merkwürdig, daß wir für die Physik (im Kontext der Naturbeherrschung) den griechischen Naturbegriff verwenden, im Kontext der Ästhetik und der Theologie hingegen den lateinischen. Hätte ein Buch wie das des Johannes Scottus Eriugena (de divisione naturae) auch über die physis geschrieben werden können? Gehört nicht der Standardtitel der Vorsokratiker (peri physeos) in einen andern sprachlogischen Zusammenhang? Sind nicht der „natürliche Ort“ und „das Leichte“ des Aristoteles nur im Kontext der physis denkbar (während im Naturbegriff das ortlose Inertialsystem und die universale Schwere bereits mitgesetzt sind und in der lateinischen Theologie ihre sprachlogischen Entsprechungen haben)? Für die Griechen ist die Welt ein geschmückter Leib (kosmos), für die Römer ein gereinigtes All (mundus).
War die Arena das Konzil der Märtyrer, die real den wilden Tieren ausgesetzt wurden, in denen sie das Römische Imperium erkannten? Und waren die Konzilien domestizierte Arenen (in denen der physische Kampf durch den geistigen ersetzt wurde und die Märtyrer, nach Identifikation mit dem Aggressor und Partizipation an der Macht, zu Bekennern geworden sind)?
Wenn die „Einheit des Reiches“ zu den Charakteristika des Reiches des Beelzebub gehört (während das Reich des Vaters viele Wohnungen hat), hat dann die Kirche nicht in der Tat in den Konzilien (in der Geschichte des Glaubensbekenntnisses, in der sie immer wieder die Autorität der Kaiser in Anspruch genommen hat) versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben?
Bezeichnet nicht das ex nihilo in der Schöpfungslehre den Akt der Verdrängung, und wäre nicht gerade dieses nihil endlich zu reflektieren? Was übrigens Kant als erster getan hat, als er eine begriffliche Differenzierung des nihil (in der Kritik der reinen Vernunft) vorlegte. Diese Differenzierung ist dann bei Hegel in der Einheit von Sein und Nichts untergegangen, die dem Begriff des Negativen diese unendlich schwere Bedeutung verliehen hat (es zur treibenden Kraft seiner Dialektik, der Logik, gemacht hat). Erst Franz Rosenzweig, der das Nichts als ein Nichts des Wissens (als seine innere Grenze, und damit als ein dreifaches Etwas) zu bestimmen versucht hat, hat das Problem einer Lösung nähergebracht. Erst Franz Rosenzweig hat die Grenze der Erkenntnis ins Wissen verlegt, das Nichtwissen als ein konstitutives Element des Wissens, das durch Erkenntnis aufzuheben wäre, begriffen.
Als die Deutschen nach dem Krieg unisono verkündeten, sie hätten „von nichts gewußt“, haben sie das Wissen selbst zu einem Instrument der unglaublichsten Verdrängung gemacht. Der Satz wird wahr, wenn man dieses Nichts substantivisch nimmt: davon nämlich haben sie (sehr wohl) gewußt.
Gibt es nicht drei Demonstrativpronomina zum Nichts: dieses, jenes und das andere Nichts, und haben diese drei etwas mit Rosenzweigs Gott Mensch Welt zu tun?
Ein „pflichtbewußter Hund“, der einen Ast im Maule schleppt (und so davon abgehalten wird, Spaziergänger anzufallen): Sind es nicht generell die Pflichtbewußten, die – unter dem Zwang ihrer Pflicht – nicht mehr wissen, was sie tun? -
16.09.1996
Bezeichnen der Schurz aus Feigenblättern und der Rock aus Fellen Stufen der Sprachentwicklung? Und schließt die Übersetzung des Gebotes „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten“ in das Gebot „Du sollst nicht lügen“ nicht die Konsequenz mit ein, daß jeder (insbesondere aber die Kinder, an die das Gebot in erster Linie gerichtet zu sein scheint) in voller Nacktheit sich zeigen soll? Diese Fassung des Gebots ist obszön, in ihr enthüllen sich die, die Gebrauch von ihr machen, als Voyeure. Dieses Gebot perhorresziert die Phantasie, damit aber die Fähigkeit der Kinder, mit der Welt sich auseinanderzusetzen, es macht sie wehrlos. Das „Du sollst nicht lügen“ hängt mit der Verurteilungslogik zusammen.
Welche Logik steckt in dem Ausdruck „unverschämt“? Logik ist Sprachlogik, zu deren Elementen nicht nur die sprachimmanenten Momente gehören, wie Wortbedeutung und deren Varianten, die Grammatik und die Satzbildung, sondern ebensosehr die Sprachsituation (es gibt keine herrschaftsfreie Kommunikation). Für sich genommen sind die sprachimmanenten Elemente der Sprachlogik technische Elemente. Wer der Reflexion dieser technischen Elemente nicht fähig ist, ist kommunikationsunfähig, bleibt bloßes Objekt der Verurteilungsautomatik (verschämt und gehorsam).
„Unverschämt“ ist ein eliminatorischer Begriff. (Kafkas Brief an seinen Vater läßt sich als ein zwangsläufig hilfloser Versuch verstehen, sich gegen den Vorwurf der Unverschämtheit zu wehren.)
Zum Keuschheitsgebot: Hängt die Befreiung des Katholizismus vom Bann nicht davon ab, ob es gelingt, die Sexualmoral als eines der Produkte der Verdrängung der Sprachreflexion (als Nebenprodukt der Dogmatisierung) zu begreifen? Die indikativische Sexualmoral (die Sexualmoral als Gesetz) ist der Kern des Schuldverschubsystems.
Jürgen Ebachs Bemerkung zu dem Abschnitt aus dem Minima Moralia „Herr Doktor, das ist schön von Euch“, daß Adorno „zuletzt das Leben selbst aus dem Blick verliert“ (Kassandra und Jona, S.66), habe ich zunächst nicht verstanden. Diese Bemerkung entzündet sich an dem Satz Adornos: „Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in dem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt …“. Aber wird dieser Satz, in dem „Natur“ zum Spiegel der Katastrophe wird, in deren Anblick er geschrieben wurde, nicht der gleichen (vergewaltigenden) Logik unterworfen, die auch das Verhältnis des Dogmas zu den biblischen Texten, aus denen es einmal „abgeleitet“ wurde, beherrscht? Die Bemerkung, daß Adorno „das Leben selbst (was immer in diesem Kontext darunter verstanden werden mag, H.H.) aus dem Blick verliert“, wenn er sein Entsetzen über den Autismus der Bäume ausdrückt, die weiterhin blühen, als wäre nichts geschehen, wenn das Grauen die Welt überfällt, erinnert mich an den neudeutschen theologischen Slogan von der „Bewahrung der Schöpfung“, der eigentlich die „Natur“ und mit ihr die Herrschaftslogik, das steinerne Herz der Welt, meint, in deren Kontext Natur sich konstituiert.
Was symbolisieren Bäume? Gibt es nicht einen Zusammenhang zwischen dem, was man den deutschen Charakter nennen könnte, und der deutschen Waldreligion? Bäume sind aufrecht, trotzen dem Unwetter und allen Stürmen, vor allem aber sind sie im wörtlichsten Sinne verstockt und der Empathie völlig unfähig (hängt nicht die Erkenntnis des Guten und Bösen mit der Verstockung zusammen?). Bonifatius hat zwar die heilige Eiche gefällt, aber, wie es scheint, gefruchtet hat’s nichts.
Durch ihre Verstockung (als Holz) werden die Bäume zum Grundmaterial der Möbel und des Feuers. Im Griechischen ist hyle der Name der Materie. Läßt sich der Kohle und dem Erdöl auch eine geschichtstheologische Bedeutung abgewinnen? Gehört nicht zur Geschichte der Verwendung des Baumes der Pfahl, die Säule, die Statue?
Hängen hyle und physis sprachlogisch auf ähnliche Weise zusammen wie materia und natura, und liegt nicht dazwischen die Verstockung des Herzens (physis ist männlich, natura weiblich)?
Ist es nicht an der Zeit, die Geschichte der Verstockung des Herzens Pharaos endlich einmal genauer sich anzuschauen? Die Verstockung des Herzens Pharaos steht in Abhängigkeit von seiner Entscheidung, das Volk nicht ziehen zu lassen.
Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos eine Abfolge von Symbolen, die sexueller, sprachlicher und herrschaftsgeschichtlicher Natur zugleich sind? Aber erst Babylon hat den hieros gamos vollzogen (hierauf verweist der apokalyptische Unzuchtsbecher).
Wie im Himmel, so auf Erden: Als Gott am zweiten Tag die Feste schuf, die er dann Himmel nannte, hat er mit dieser Feste die oberen von den unteren Wassern getrennt. Von den Wassern unter dem Himmel heißt es dann am dritten Tag, daß sie an einem Ort sich sammeln, damit das Trockene sichtbar werde. Entspricht dem etwas bei den „oberen Wassern“? Ist der Gottesname der „eine Ort“, an dem diese Wasser sich sammeln sollen, und steckt das hinter dem Gebot der Heiligung des Gottesnamens? Ist nicht der biblische Schöpfungsbericht (eigentlich die ganze Thora) „kos-mogonisch“ (weltbegründend) und prophetisch (himmelaufspannend) zugleich, und verleiht das der Thora das Übergewicht über die Prophetie?
Tenach: Ist nicht in der Tora (im „Gesetz) vereint, was in den Nebiim (Propheten) und Ketubim (Hagiographien) getrennt ist?
Die Differenz von Rind und Esel ist die Differenz von Gesetz und Gebot (Joch und Last).
Es gibt keine Kollektivschuld, aber es gibt nur die eine Chance, den Wiederholungszwang zu brechen, wenn durch Erinnerungsarbeit die Sünde der Welt reflektierbar gemacht ist. Und ist das nicht die Geisttaufe?
Die Entlastungskonstruktionen, die mit der Historisierung des Holocaust als Zugabe (aufgrund der Logik der Historisierung) sich einstellen, haben die Deutschen endgültig zu einem Volk von Zwangsneurotikern gemacht.
Behemoth: Ist das nicht ein Abstraktum die Gehölz, und kann man es nicht mit Getier übersetzen?
Die Schrift ist ein durchsichtiger Körper, aber man muß lernen, mit den Ohren zu sehen, um hindurchblicken zu können. Aber es ist das Inertialsystem, es sind die subjektiven Formen der Anschauung, die die Ohren verstopfen. Die kantische Philosophie ist das Gegenteil einer dogmatischen Philosophie, sie ist der Beginn der Reflexion des Grundes, aus dem der Dogmatismus erwachsen ist.
Sollte man im Credo nicht das visibilium et invisibilium, das Sichtbare und das Unsichtbare, durch das Erhörte und das Unerhörte ersetzen?
Der Himmel ist ein plurale tantum. In der Schrift steht der Himmel im Plural. Das Einheitsprinzip dazu: Ist das nicht die Einzigkeit Gottes, die Einheit des Gottesnamens.
Das aufgedeckte Antlitz wird aufgedeckt durch das Leuchten seines Angesichts.
Die Erde ist kein Planet. Haben nicht die Planeten etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung zu tun: der Saturn mit der Form der inneren Anschauung, die anderen sechs Planeten mit den sechs Enden der Richtungen des Raumes, der Form der äußeren Anschauung?
Kommt nicht das Konstrukt aus dem Sohar, daß die Enden der Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, der Astrologie auf eine gefährliche Weise nahe? Und bezeichnet nicht Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, den neutestamentarischen Einspruch gegen die Astrologie? -
13.09.1996
Die Anbetung bezeichnet den Übergang der Religion von ihrem moralischen Begriff zur Ästhetisierung (das ästhetische Objekt konstituiert sich mit dem Urteil). Zu den historischen Grundlagen der Ästhetisierung der Theologie, die übers Dogma sich entfaltet hat, gehört die merkwürdige Verbindung von Mönchstum und imperialer Reichsideologie, die die Geschichte der Konzilien bestimmt (und 381 unter Theodosius in Konstantinopel vollendet wurde).
Die Gestalt der Anbetung, die im Mönchstum sich verkörpert, ist seit je ein Instrument der Ästhetisierung, der Mythisierung des Christentums gewesen. Mönche sind Zeloten, die, um ihre Kräfte zu sammeln, in die Wüste gehen, dort aber vergessen haben, weshalb sie in die Wüste gegangen sind.
Geschichte und Natur sind zu ästhetischen Objekten geworden, zu deren Ursprungsgeschichte diese theologische Vorgeschichte dazu gehört.
Der Materialismus (zu Ralph Stürmer) ist befreiend nur als Forschungsmaxime, nicht als Weltanschauung: Hier hat er Teil am Problem des Schuldverschubsystems, das nur entlastet, indem es zugleich die Last durch Verdrängung vermehrt. Der metaphysische Materialismus ist ein Instrument des Schuldverschubsystems, der Transformation der Last ins Joch.
Wenn die (pseudohistorischen) Hethiter in Wirklichkeit die Kappadozier sind, sind sie dann nicht ein Konstrukt zur Abschirmung, Legitimierung und Stabilisierung des Antisemitismus?
Ehe Abraham ward, bin ich: Hat Jesus damit nicht die jüdische Geschichte zur Gegenwart gemacht? Und ist sie nicht in der Tat nur so gegem ihren antisemitischen Mißbrauch gefeit?
Das Präsens (das gegen die Vergangenheit sich definiert) ist der blinde Fleck in der indoeuropäischen Grammatik und Sprachlogik. Die veränderte Konstruktion des Perfekt in den modernen Sprachen, seine Bildung mit Hilfe der Hilfsverben, hat dieses Perfekt zu einer präsentischen (und deshalb „vollendeten“) Vergangenheit gemacht. Im Verein mit dem Präsens, das in der Hilfsverb-Konstruktion des Perfekt wiederkehrt, ist das Perfekt der Deckel auf der Vergangenheit (das philosophische „Wesen“ ist ein Perfekt). Das moderne Korrelat dieses Deckels ist das Inertialsystem, das Produkt der Vergegenständlichung der subjektiven Formen der Anschauung (in dem diese subjektiven Formen der Anschauung sich selbst zum Gegenstand der Anschauung machen). Im Inertialsystem streicht die Subjektivität sich selbst durch, wird die Erinnerung an die kantischen Antinomien gelöscht.
In der deutschen Rezeption der kantischen Philosophie wurde die Erkenntniskritik seit je als Instrument der Legitimation des Kritisierten (der Naturwissenschaft) aufgefaßt, wurde das kritische Element verdrängt.
Das Inertialsystem ist das Korrelat der Ontologie, der Hypostasierung des Seins.
Abgestiegen zur Unterwelt: Ist dieser Abstieg nicht durch die Erfindung der Hölle perhorresziert worden? Und hat nicht diese Erfindung den Weg zum Himmelreich verschlossen?
Die Hölle bezeichnet präzise den Objektbereich der Verurteilung und des Vergangenen zugleich. Die Vergegenständlichung der Höllenvorstellung war das Korrelat der Apologetik, der Rechtfertigungszwänge. Erst das Inertialsystem hat die Höllenvorstellung abgelöst und vertrieben.
Personalisierung: Im Kontext der Höllenvorstellung sind die Juden, die Ketzer, die Frauen zu Verkörperungen und Agenten des Teufels geworden.
In diesem Zusammenhang wäre leicht nachzuweisen, weshalb in politischen Prozessen die Strukturen des Vorurteils und der in seinem Kontext ausgebildeten Verfolgungsformen sich reproduzieren (und weshalb sie offensichtlich geeignet sind, das Vorurteil neu zu beleben).
Wird hier nicht – über die Mechanismen des Schuldverschubsystems, der Ablenkung, des Blitzableiters, des Sündenbocks, die alle am Ende nicht mehr helfen werden – eine Situation vorbereitet, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird? Trifft sich nicht hier die Auflösung des Problems des Schuldverschubsystems, des Vorurteils, des Antisemitismus, mit der Auflösung des Problems des Inertialsystems? Und bezieht sich nicht auf beide der Satz vom Lösen: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
Das „Abgestiegen zur Unterwelt“ kommt nur im apostolischen Glaubensbekenntnis vor, während es im N und NC (wie übrigens die Höllenvorstellung in allen Symbola) fehlt; wodurch unterscheidet sich das apostolische Bekenntnis sonst noch von den übrigen (hinsichtlich des Ursprungs, des Inhalts und des Aufbaus)?
Gehört die „Venus-Katastrophe“ zur Ursprungsgeschichte des Begriffs der Unzucht (und zur Ursprungsgeschichte der Sexualmoral, der Urteilsmoral)? Und ist diese Geschichte nicht ein Teil der Ursprungsgeschichte der Herrschaftsinstitutionen, des Staats? Ist die Venus-Katastrophe ein anderer Ausdruck für die Verdrängung und Transformation der Herrschaftskritik (in deren Kontext die Sexualmoral immer noch gehört)?
Ist es der Welt-Auftrag der „Geschichte“, das Bewußtsein zu verdrängen, daß die Vergangenheit die Hölle ist?
Wenn die Vergangenheit die Hölle ist, und das Inertialsystem das Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, bezieht sich dann nicht das Wort von den Pforten der Hölle, die die Kirche nicht überwältigen werden, auch aufs Inertialsystem?
Gehört nicht die indoeuropäische Grammatik (der Turm, der bis zum Himmel reicht und die Sprachen verwirrt hat) in den gleichen Zusammenhang?
Der Name der Hebräer ist der explizite Verzicht auf die projektive Verarbeitung der Erfahrung, die zur Grundlage der indoeuropäischen Sprachen (die der Barbaren: der Ausgrenzung der Fremden, bedürfen) geworden ist.
Wie auch die Lazarus-Geschichte und die Gestalt der Maria Magdalena gehören die Totenerweckungen und die Vertreibung der Dämonen in den Evangelien zusammen. Welche Totenerweckungen und welche Dämonen-Austreibungen gibt es (der Jüngling von Naim, der Sohn des Jairus, Lazarus; welche Dämonen-Austreibungen außer der Austreibung der Legion in die Schweine und der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern)?
Wie hängen der Stoß, die Gravitation und die Lichtgeschwindigkeit, die Objektivationsformen, die sie repräsentieren, zusammen, liegt hier nicht die letzte Orthogonalitätsbeziehung, die auch der Vorstellung des Inertialsystems (des Produkts der Vergegenständlichung der subjektiven Formen der Anschauung) zugrunde liegt? Sind Stoß, Fall und Lichtsgeschwindigkeit Repräsentanten des Schicksals der Kausalität, der Wechselwirkung und der Teleologie im historischen Objektivationsprozeß?
Die Aufklärung ist das Produkt der Intrumentalisierung der Wahrheit (das Produkt der Ausscheidung, der Eliminierung der Reflexion aus der Wahrheit).
Biblische Zoologie: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.“ Sind hier nicht die Werke des sechsten und fünften Tages beisammen? -
10.09.1996
Der Objektbegriff zieht die Verurteilungslogik nach. Die subjektiven Formen der Anschauung, die die Verurteilung zum Maß der Logik machen, sind das Produkt einer Implosion der Rechtfertigungslogik, die glaubt, dem vernichtenden Urteil dadurch entrinnen zu können, daß sie sich auf die Seite der Urteilenden (der Gemeinschaft der Urteilenden in Wissenschaft und Recht, sowie angesichts des Faschismus des Urteils des Auslands) begibt, mit den urteilenden Instanzen sich identifiziert. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit drückt im Raum in der Reversibilität aller Richtungen sich aus: in der Subsumtion der Rechten unter die Linke, des Im Angesicht unter das Hinter dem Rücken und des Oben unter das Unten (die Säkularisation der Theologie). Ist nicht der Säkularisationsprozeß insgesamt die Wassertaufe (die Sammlung der Wasser an einem Ort und das Sichtbarwerden des Trockenen), die auf die Geisttaufe wartet? Goldhagen: Je weiter wir uns von Auschwitz entfernen, umso näher wird es uns rücken. Der Rassismus macht die Nationalitätsgrenzen zu Rassengrenzen. Verweist nicht die Zusammenstellung von „Völkern, Stämmen, Nationen und Sprachen“ in apokalyptischen Texten auf diese Abgrenzungen: auf ein System von Abstraktionschnitten? Auschwitz hat das Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ in die Nähe des „Abgestiegen zur Hölle“ gerückt. Dieser schreckliche Mechanismus: Anstatt zu begreifen, daß in den Folterstaaten, in Bosnien, auch in der RAF, uns unsere eigene Vergangenheit einholt, nutzen wir sie als Exkulpationsmittel: „Die sind auch nicht besser“. Ihr Deutschsein ist die empfindlichste Stelle der Deutschen: Käme es nicht darauf an, auf den dieser Empfindlichkeit zugrunde liegenden Trieb das Keuschheitsgebot anzuwenden? Carl-Friedrich von Weizsäckers Bemerkung, daß die naturwissenschaftliche Entwicklung der zwanziger Jahre (gemeint war die Geschichte der Kopenhagener Schule) einer „Explosion von Genie“ sich verdanke, hat einen anderen Sinn, als ihm bewußt war: War nicht auch der Faschismus eine Explosion der Tradition, die im Geniebegriff gründete? Siehe hierzu die kantische Definition und Bestimmung des Geniebegriffs, der auch diesen exkulpatorischen Effekt hatte: Nicht ich bin es, sondern die Natur in mir ist die schöpferische Kraft, der die großen Werke der Kunst, der Musik, der Philosophie, der Literatur, und am Ende auch der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Politik sich verdanken. Wenn von Hitlers „Charisma“ die Rede war, und wenn Hitler selbst als ein Werkzeug der Vorsehung sich verstand, so stand das in dieser Tradition. Die bisher einzige richtige Antwort hierauf war Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, der Versuch, diese Sphäre (und in ihr den Bann des Geniebegriffs) durch Reflexion aufzuhellen.
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06.09.1996
Zur Kritik der Ästhetik: Der Begriff der Wahrheit wird unbestimmbar, wenn er nicht die Schuldreflexion in sich mit aufnimmt, die die subjektiven Formen der Anschauung gerade ausblenden. Das Bilderverbot trifft auf deren subjektives Korrelat: das Anschauen. Im Kontext der Schuldreflexion wird die Vorstellung einer „überzeitlichen Wahrheit“ gegenstandslos (während im Kontext einer „überzeitlichen Wahrheit“ Schuld zu einer dinglichen Eigenschaft wird und das moralische Urteil zum logischen Grund des Rassismus); Schuldreflexion unterläuft das Schuldurteil; sie macht die Wahrheit konkret: prophetisch, messianisch und am Ende parakletisch, sie bindet die Wahrheit an ihren Zeitkern: die Gegenwart.
Die prophetische, messianische und parakletische Stufenfolge der Wahrheit ist der Realgrund des trinitarischen Symbols.
Wenn der Heilige Geist die Barmherzigkeit verkörpert (die rechte Seite), ist dann nicht die Trinitätslehre insgesamt die Verkörperung dessen, was mit der Bildung der Raumvorstellung, mit der Ausbildung der subjektiven Formen der Anschauung (mit denen der ästhetische Grund des Mythos erkenntnisbestimmend wird), verdrängt wird?
„Getünchte Gräber“: Ist das nicht die genaueste Beschreibung des gegenwärtigen Weltzustandes („leer, gereinigt und geschmückt“)?
Glaube, Hoffnung und Liebe: Die Geschichte der Privatisierung der drei theologischen Tugenden ist die Geschichte eines Verrottungsprozesses. So wurde
– der Glaube zum privaten Glauben an Gott durch seine Trennung vom prophetischen (und d.h. öffentlichen und politischen) Vertrauen in die göttlichen Verheißungen,
– die Hoffnung zur privaten Hoffnung aufs eigene Seelenheil durch Trennung von der messianischen Idee einer Realisierung, die auch die Welt mit ergreift, sie verändert und umwandelt,
– die Liebe zum folgenlosen Gefühl durch Trennung von ihrem Barmherzigkeitsgrund: durch Trennung von der parakletischen Herrschaftskritik.
War nicht die Gnosis die Geburtsstunde des Christentums, und die Dogmenbildung die Entfaltung der Gnosis bei gleichzeitiger Verdrängung des Bewußtseins, Gnosis zu sein?
Gründete das eliminatorische Element im Antisemitismus nicht in dem Prinzip der Selbstabsolution der Verurteilung des Andern? So war dessen (moralische und physische) Vernichtung die eigene Befreiung.
Diese Selbstabsolution durch Verurteilung wird instrumentalisiert und generalisiert durch die „subjektiven Formen der Anschauung“ (in denen auch die Bekenntnislogik gründet: deshalb war der „Weltanschauungskrieg“ der Nazis gegen die Sowjetunion, der von den Kirchen unterstützt wurde, ein Vernichtungskrieg). Die Gemeinschaft der Anschauenden ist die Gemeinschaft der Verurteilenden. Sie wird legitimiert durch den Weltbegriff. Dieser Konstellation liegt die Levinassche Asymmetrie und ihre Logik zugrunde (der Satz von Rind und Esel: das Verbot, Joch und Last in eins zu setzen). Die Selbstabsolution durch Verurteilung ist die genaue Umkehrung der Levinasschen Asymmetrie: Sie macht die Last, von der nur sich befreit, wer sie auf sich nimmt, zum Joch für andere.
Ist nicht die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, die Unfähigkeit, die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern zu begreifen?
Die Unterscheidung von Rechts und Links wurde in der biblischen Tradition als Unterscheidung von Gericht und Barmherzigkeit begriffen. Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, gründet in der Unfähigkeit, die Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken auch auf andere zu übertragen. Und ist Gott am Ende nicht reines Angesicht, ohne ein Hinter dem Rücken (der Himmel hat keine Grenze, die der Raum „nach oben“ überschreiten könnte)?
Gotteserkenntnis ist eins mit der Heiligung Seines Namens. -
02.09.1996
Steckt nicht in Kants Begriff des Geschmacks (und der Lust) ein Hinweis den Zusammenhang von Verurteilung und Werbung für das, was man verurteilt? Wer den Faschismus nur verurteilt, macht ihn erst anziehend. Und in jeder Empörung über Sexuelles steckt ein Stück sexueller Lust.
Der Heilige Geist (der Paraklet, der Verteidiger) läßt sich durch ein Attribut am genauesten bestimmen: er schließt das Mittel der Verurteilung (das Feinddenken, die Paranoia) aus. Das „Seid <klug wie die Schlangen und> arglos wie die Tauben“ bezieht sich genau auf diesen Sachverhalt.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie