Kierkegaard

  • 25.2.1997

    Das spezielle und das allgemeine Relativitätsprinzip verhalten sich wie Tauschverhältnis und Schuldabhängigkeit, wie Handel und Konsum. Auch der Konsum ist eine reine Geldbewegung: das Abbild des „freien Falls“.
    Wenn die Welt das „mathematische Ganze der Erscheinungen“ bezeichnet, ist es dann nicht der Staat, der – schon in seinem Namen – das statische Moment in dieser mathematischen Totalität (die verdinglichende, das Objekt zum Objekt machende Gewalt des Begriffs, der Grund der versteinerten Verhältnisse) repräsentiert? Das Gewaltmonopol des Staats gehört zu den Fundamenten des Weltbegriffs. Der Staat ist das Schwert, mit dem Alexander den Knoten, den es zu lösen galt, durchschlagen hat.
    In der Beziehung der Begriffe Natur und Welt (des „dynamischen“ zum „mathematischen Ganzen der Erscheinungen“) drückt aufs genaueste die Beziehung der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu ihrem Objekt sich aus. Natur und Welt, das mathematische und das dynamische Ganze der Erscheinungen, sind wie die Form der inneren Anschauung auf ihren Inhalt, wie das Anschauen auf die Zeit, die an sich niemals Gegenstand der Anschauung ist, die selber nicht angeschaut, nur durch den Seitenblick auf die Zeit, durch die historisierende Projektion in den Raum, zum Gegenstand der Anschauung gemacht werden kann, auf einander bezogen (kopernikanische Wende).
    Sind nicht die beiden Relativitätstheorien Einsteins auch Geldtheorien?
    Frei fallender Fahrstuhl: Der Neoliberalismus ist nur ein Ausdruck jener ungeheuren Bewegung, in die der Staat heute hereingezogen worden ist (vgl. das Motto, das Adorno vor seine Kierkegaard-Arbeit gesetzt hat – aus Edgar Allen Poe: Der Maelstrom).
    Drückt nicht im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit das Moment der Willkür im Weltbegriff: im „mathematischen Ganzen der Erscheinungen“, sich aus?
    Haben nicht Zeugung und Geburt (die beiden Gründe des Naturbegriffs) etwas mit dem Fall zu tun? Welche Bedeutung hat in dieser Konstellation die Gebärmutter, das Symbol der Barmherzigkeit? Und wie verhält sich der Naturbegriff zum apokalyptischen Symbol der messianischen Wehen?
    Was hat das tollere peccatum mundi mit der Schwangerschaft und den Wehen zu tun?
    Wer die Unheilsprophetie von der Heilsprophetie trennt (und jene den Juden, diese den „erlösten“ Christen zuweist), leugnet die messianischen Wehen.
    Gleicht nicht die Beziehung der apokryphen zu den kanonischen Apokalypsen der des Korans zur Schrift? Ist Allah (der selber die Texte des Koran verfaßt hat) ein pseudepigraphischer Autor? Nicht das Christentum, sondern der Koran ist der Endpunkt der apokalyptischen Bewegung.
    Das Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, hat utopische Qualität: Was ist, wenn dort, wo Gott hinblickt, nichts ist, und bildet sich nicht das Herz der Menschen erst mit der Barmherzigkeit?

  • 23.02.94

    Der moderne Existenzbegriff (wie auch die ontologische Mode) schneidet mit der logischen auch die Reflexion auf gesellschaftliche Vermittlung ab, in der sich das Zweideutige der logischen enthüllt: Gesellschaftliche Reflexion ist Schuldreflexion, die sowohl, wenn sie aus Exkulpationsgründen projektiv betrieben wird, der Selbstentlastung dienen, als auch, wenn sie die Schuldreflexion mit einschließt, auf Veränderung, Versöhnung abzielen kann. Fehler der logischen Reflexion ist es, daß sie diese Zweideutigkeit neutralisiert, beide Momente glaubt zusammenschließen zu können: Darin gründet die Idee des Absoluten, der Mythos der Logik. Ist die Logik das „zweischneidige Schwert“ (Ps 1496, Spr 54, Hebr 412, Offb 116, 212).
    Der Existenzbegriff bei Kierkegaard ist nur ein schiefer Ausdruck für das, was Emanuel Levinas die Asymmetrie in der Beziehung des Ich zum Andern (zum Du) genannt hat.
    Der Objektbegriff wird aus drei Quellen gespeist:
    – aus der naturwissenschaftlich-technischen Vergegenständlichung der Dinge in Raum und Zeit (hic et nunc),
    – aus dem unter den Bedingungen des Privateigentums, der Geldwirtschaft, des Tauschprinzips entspringenden Warencharakter der Dinge und
    – aus der Bekenntnistheologie und ihrer opfertheologischen Zuspitzung zur Eucharistieverehrung.
    Auch für den Objektbegriff gilt wie für die Eucharistie: Praestet fides supplementum, sensuum defectui (Thomas von Aquin: Pange, lingua, gloriosi). Ist das nicht ein Hinweis auf die Stellung der Sakramente zur Objektivität insgesamt:
    – Die Taufe und das Wasser (das Wasser im Schöpfungsbericht, die Sintflut, Thales),
    – die Buße, die Exkulpation und das Binden durch Lösen,
    – die Eucharistie, das Opfer und das Ding (Trennung von Ding und Sache),
    – die Firmung und das Selbst (Glaube, Bekenntnis und Autonomie),
    – die Priesterweihe und die Instrumentalisierung der Versöhnung (Religion und Herrschaft),
    – die Ehe, das Patriarchat, das Inzestverbot, der Staat und das Privateigentum,
    – die letzte Ölung, der Messias und die sieben unreinen Geister (die Salbung Jesu durch die „große Sünderin“, Maria Magdalena, die Frauen beim Grabe und die erste Zeugin der Auferstehung)?
    Ist die kirchliche Sakramentenlehre Produkt einer Umkehrung der Astrologie (Produkt der Verinnerlichung des Opfers und der Etablierung des Herrendenkens)? Wie hängen die Sakramente (von der Taufe über die Buße, die Eucharistie, die Firmung, die Priesterweihe und Ehe bis zur letzten Ölung) mit den Symbolen und Bedeutungen der Planeten (Sonne, Mond, Merkur, Mars, Jupiter, Venus und Saturn) zusammen?
    Wer das Rätsel der Hegelschen Philosophie löst, löst den Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat (während Hegel ihn erneut geschürzt hat).
    Ist nicht das Procedenti ab utroque (im Pange, lingua) der konkrete Einspruch gegen das ne-utrum, das Hegel in der Idee des Absoluten restituiert und vollendet hat? – Wenn das Ding die Ursprungsgestalt des Absoluten (der absoluten Neutralisierung) ist, dann ist der Heilige Geist (das verteidigende Denken) der konkrete Einspruch gegen die Verdinglichung (das richtende Denken).

  • 06.08.93

    Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist der Grund der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit und die absolute Verhinderung der Umkehr. Das Tote ist das Produkt der Verweigerung der Umkehr.
    Ist nicht die Philosophie eine Seitenansicht des Mythos, in der die Formelemente erhalten bleiben, aber die Inhalte sich gleichsam in Luft auflösen. Ein zweiter Schritt des Herrendenkens; den dritten hat dann das Christentum getan (mit der dogmenbegründenden Ausbeutung der Ambivalenz des Oben/Unten-Paradigmas).
    Was bedeutet eigentlich der Satz: Musik erfüllt den Raum? Edgar Morin hat einmal darauf hingewiesen, daß im Kino Musik die Funktion erfüllt, den flachen Bildern des Films Tiefe und Plastizität zu verleihen. Ist die Musik nicht (im Rosenzweigschen Sinne) eine Weissagung der Einheit von Licht und Sprache? Und ist es nicht auch von daher begründet und sinnvoll, in der Philosophie der Neuen Musik den Teil über Schönberg auch auf Einstein zu beziehen?
    Zu den Konnotationen des Wassers: Schicksal, Sintflut, Rotes Meer, Taufe, der Geist Gottes über den Wassern und die Trennung der unteren von den oberen Wassern. Sind die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn am Ende wiederkehren wird, Projektionen der unteren Wasser in die obere Welt (Produkt der Subsumtion der oberen Wasser unter die Vergangenheit, die Entstellung und Vertreibung des Segens)?
    Wir sind die Sintflut, die über die Welt gekommen ist.
    Zum Wunder von Kana: Waren es nicht Reinigungskrüge, und war es nicht im Kontext einer Hochzeit, und fällt hier nicht das Wort: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Seine Jünger waren mit dabei, jedoch merkwürdig stumm. Man hat das Gefühl, sie sitzen nur dabei, sperren Nase, Mund und Ohren auf, und verstehen nicht, was hier vorgeht.
    Ist nicht die Geschichte von David, dem Hetiter Urijas und seiner Frau Batseba (der Mutter des Salomo) typologisch (der messianische David, Batseba, die Frau des „indogermanisch“-hetitischen Urijas, und Salomo, der Sohn der Batseba)?
    Zur Geschichte von den drei Leugnungen: Ist nicht
    – die Magd des Hohepriesters die Theologie, und sind nicht
    – die Umstehenden die Welt?
    Und lassen sich nicht die drei Leugnungen ohne Mühe auf die Anfragen
    – der Juden (und den kirchlichen Antijudaismus und die Kirchenväter),
    – des Islam (und die Scholastik) und
    – der modernen Aufklärung (und die Unfähigkeit der Kirche, darauf noch rational und – aufgrund der Selbstreferenz, der Rückbeziehung auf die erste Leugnung – unterm selbstverschuldeten Rechtfertigungszwang ohne Selbstverfluchung zu reagieren), sich beziehen?
    Die Welt ist nicht nur, wie bei Heidegger, das Vorhandene und das Zuhandene; die Einschränkung des Weltbegriffs auf diese beiden Attribute schließt das Moment der Selbstverfluchung mit ein (das Vorlaufen in den Tod, die Entschlossenheit).
    Der Heideggersche Begriff der Frage, die heroische Leugnung der Beantwortbarkeit der „eigentlichen“ Fragen, ist die letzte Konsequenz des Nominalismus: die Leugnung des Namens, die letzte Leugnung der Erwartung, daß das Wort sich erfüllt (Heidegger: das letzte Objekt der Sintflut – vgl. das In-der-Welt-Sein, die Entschlossenheit, das Vorlaufen in den Tod, die selbstverschuldete Verstrickung in den alternativlosen Gegensatz des Vorhandenen und Zuhandenen, Folge der Verführung durch die indikativische Logik der Fundamentalontologie, oder: die Selbstneutralisierung durch Eigentlichkeit). Die Fundamentalontologie identifiziert den Infinitiv Sein (aufgewertet zum Seyn) mit dem Possessivpronomen der dritten Person sing. masculinum und neutrum (und findet sein biblisches Gegenstück im Staubfressen der Schlange).
    Der Existentialismus, und zwar schon der Kierkegaardsche, dispensiert von der Logik; daher kommt es, daß es zur Struktur des Sterns des Erlösung bis heute, abgesehen von den Ansätzen bei Stephane Moses, keine wirklich zureichenden Analysen gibt. Erst eine produktive und konstruktive Analyse des Sterns, dieses kunstvoll verschlungenen Systems, befreit die Rosenzweig-Rezeption vom Stammeln.
    Vater und Mutter ehren heißt auch, ihre Dummheiten begreifen.
    Heißt parakletisches Denken nicht, in der von den Vergangenheiten beherrschten Welt die Gegenwart wieder zu entdecken?
    Die Instrumentalisierung des Marxismus in diesem Jahrhundert und der Theologie vor 1600 Jahren zum Herrschaftswissen waren nur möglich, solange sie das herrschaftskritische Moment, das beide enthielten, projektiv nach außen wenden konnten, anstatt es reflexiv in den Erkenntnisbegriff mit hereinzunehmen (wie Benjamin, Horkheimer und Adorno es im Anschluß an Georg Lukacs getan haben). Aber ist das heute nicht erst dann möglich, wenn das projektive Moment in den Fundamenten unserer Zivilisation, in dem ihre zugrundeliegenden Erkenntnisbegriffs selber (auch in der Kerndisziplin der Aufklärung: den Naturwissenschaften), begriffen wird?
    Ist nicht der Hegelsche Begriff der Aufhebung eine subtile Entstellung des Auf-sich-Nehmens der Sünde der Welt, und so, zusammen mit der List der Vernunft (die eine Selbstüberlistung ist: sie leugnet den Tod und ersetzt die Hoffnung auf Auferstehung durch die leere Unsterblichkeitslehre), der reallogische Grund des Absoluten? – Vgl. hierzu Zenger, S. 135f, das Kehl-Zitat. Ist nicht die Grundlage der Hegelschen Aufhebung (der Konstitution des Hegelschen Begriffs) die Ersetzung des Auf-sich-Nehmens durch das Hinwegnehmen? So hängt die Hegelsche Logik in der Tat mit der christlichen Trinitätslehre zusammen. Franz von Baaders Bemerkung über die Hegelsche Philosophie wäre zu ergänzen: Sie ist nicht nur das Auto da Fe der bisherigen Philosophie, sondern auch das der bisherigen Theologie.
    Nur im Kontext der Auferstehungslehre ist der Satz im Stern zu begründen: Der Name ist nicht Schall und Rauch.
    Ist nicht Simson, der, nachdem ihm die sieben Locken abgeschnitten waren, im Keller der Philister die Mühle drehen mußte, ein Typos der Theologie? Aber als ihm die Locken wiedergewachsen waren, hat er die Säulen eingedrückt und das Haus der Philister zum Einsturz gebracht. Waren es nicht Philister – wie vorher die Ägypter -, die die Israeliten Hebräer nannten?
    Ist die griechische Sprache der Kelch, den seine Jünger trinken mußten?
    Entspricht der systembegründenden Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip im Ursprung des Kapitalismus am Ende die aus Gründen der Systemerhaltung notwendige Rückkoppelung von Massen-Produktion und Massen-Konsum durch die Werbung (die Adorno zufolge den Tod verschweigt)? (Gibt es einen systemlogischen Zusammenhang mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, der speziellen Relativitätstheorie und seiner ungeklärten Beziehung zur Quantenphysik?)
    Im Sozialismus gab es keine Reklame, nur Propagande und die Hypertrophie der Geheimdienste.
    Dienstleistungsgewerbe: Ist nicht auch das Militär ein Dienstleistungsgewerbe, und muß heute nicht (aus Gründen der Systemerhaltung) ein immer größerer Teil der Produktion für den Dienstleistungsbereich verwandt werden (vgl. auch das Anwachsen der Kosten der Dienstleistungen im Bereich der privaten Selbsterhaltung)? Und erniedrigt sich nicht der Staat zum Dienstleistungsunternehmen für die Erhaltung des Apparats, in den sich das ganze Gewicht der vergesellschafteten Selbsterhaltung verlagert?
    Getsemane: Steckt nicht in jeder Todesangst etwas davon, daß das Entscheidende, das man hätte tun können, um die Welt aus ihrer Verstrickung zu befreien, nicht getan worden ist? Steckt nicht in der Todesangst die unaufgehellte Beziehung zur Welt?
    Zu Mantel und Rock (Mt 540, Lk 629) vgl. im Stern der Erlösung, S. 361ff: Der Mantel ist der Gebetsmantel, und zum vollständigen Sterbekleid (das der Bräutigam unterm Trauhimmel auch als Hochzeitskleid trägt) gehört außer dem Gebetsmantel auch noch der Rock (Chiton und Tunica). Steht dieser Rock in der Tradition des Rocks aus Fellen und der Rock, der keine Naht hatte (über den unterm Kreuz das Los geworfen wurde)?
    „Es gibt keine menschenfreundlichere Religion als das Christentum, aber es gibt auch keine Religion, in deren Namen solche Untaten begangen wurden.“ (Horkheimer) Sind das nicht zwei Seiten eines Blattes: wenn ich die eine durchreiße, vernichte ich auch die andere? Das Gleichnis Jesu vom Weizen und Unkraut würde dazu passen. Hat nicht dieses Blatt solange zwei Seiten, wie die Welt besteht? Aber dann müßte zur „Rückseite“ des Blattes als konstitutives Moment jene Subjektivität mit dazugehören, die den Weltbegriff konstituiert (der die Sicht „Hinter dem Rücken“ zum Ganzen macht: der das Angesicht leugnet). – Es gibt keine Theologie im Angesicht Gottes ohne Kritik des Weltbegriffs. Die Rückseite des Blattes besteht solange wie die Zukunft wie die Vergangenheit sein wird (wie ein hoffnungsloser Begriff von Erfahrung seine Geltung behält). – „Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe.“
    Ist nicht die Leugnung des Sohnes die Leugnung der Auferstehung? Und ist nicht die Geschichte der Beziehung der Kirche zu den Häresien ein Indiz und Gradmesser dieser Leugnung? Welche Bedeutung hat das für die beiden anderen Leugnungen (des Vaters: den Antijudaismus, und des Geistes: den Sexismus)? Verweist nicht das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist darauf, daß der Beginn der Umkehr hier, bei der dritten Leugnung, die „weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird“, liegt? Aber wird die Umkehr nicht gekrönt durch die Rücknahme der Leugnung des Vaters?
    Das trinitarische Dogma: Produkt der Selbstreflexion der Subjektivität im Unendlichen (an der Todesgrenze).
    Ist nicht das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist in der Geschichte des Christentums zu leicht genommen worden; und gehört hierzu nicht auch das Prophetenwort, daß am Ende die Erkenntnis Gottes die Erde bedecken wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken?
    Haben die Sündenvergebung und die Austreibung der Dämonen (Maria Magdalena) etwas mit der Aufhebung der Reinheitsgebote zu tun? Ist nicht der Weltbegriff dämonisch (Inbegriff der sieben unreinen Geister)?
    Symbolisiert die Dornenkrone nicht beides: das Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt und den Haß der Welt (zielt die Aufschlüsselung der Dornen und Disteln durch den Eleasar von Worms nicht schon auf den Weltbegriff)?
    Die Welt als Gemeinheitsgenerator und Exkulpierungsmaschine.
    Zum Kelch und zur Trunkenheit: Jemandem reinen Wein einschenken.
    Physik und Schuld: Nur in der Physik addieren sich die Lasten, während in theologischem Zusammenhang ich mich von den Lasten befreie, die ich auf mich nehme.
    – Elementenlehre hebräisch: ät haschamajim we’ät ha’arez und ruach.
    – Theologische Elementenlehre: Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße; und der Geist brütend über den Wassern.
    Destruktion beider durchs Inertialsystem: Grauen um und um.
    Zur Theorie des Namens gehört:
    – eine Theorie des Lachens und des Weinens;
    – das Lachen und der Schrecken;
    – die Logik des Angesichts (das Antlitz des Hundes);
    – Prophetie (Erfüllung des Worts) und Apokalypse (Aufdeckung des Namens).
    Wird außer Abram, Sarai und Jaakob in der Schrift noch jemand neu benannt?

  • 03.02.93

    Wozu benötigt die Sprache das Futur II? Hat das Futur II (als sprachlicher Kern des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs) etwas mit dem babylonischen Turm, der bis zum Himmel reichen sollte, zu tun? Ist sie der Ursprung des Falls (die Antizipation des Selbstmords)? Das „Es wird gewesen sein“, die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, begründet mit dem Selbsterhaltungsprinzip die wechselseitige Äußerlichkeit der Dinge im Raum, sie konstituiert damit die Raumvorstellung selber: die die Orthogonalität und die Reversibilität der Richtungen im Raum begründenden Logik. Sie begründet das abschlußhafte, die Dinge wie die Vergangenheit abschließende Wissen, seine vergegenständlichende Kraft, die in der Trennung und wechselseitigen Konstituierung von Natur und Welt sich manifestiert.
    Das Futur II neutralisiert den Wunsch und das Gebot; es ist der Grund des Gesetzes, ein Graecum, kein Hebraicum. Es hat mit dem Orakel und mit den Auguren zu tun, nichts hingegen mit der Prophetie. Es ist der sprachliche Grund und Reflex der Subjektivierung des Schicksals (der Philosophie und des Weltbegriffs) und insoweit das reale Korrelat der Geschichte des Turmbaus zu Babel.
    Zielt nicht der katholische Gebrauch des Begriff des Fundamentalismus heute auf die Wahrheit selbst: sich selbst erfüllende Projektion?
    taz, 03.02.93 („Unterm Strich“): Die Redensart „Aus Saulus wird
    Paulus“, aus einem schlechten Mensch wird ein guter Mensch, fußt nach neuesten Bibelforschungen auf falschen Voraussetzungen. Der Apostel habe seinen ursprünglichen Namen niemals abgelegt, sei zeitlebens Jude geblieben und gelte fälschlicherweise als Mitbegründer des Christentums, erklärte der jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide in einem AP-Gespräch. Saulus, der später als zweiten, römischen Namen Paulus angenommen habe, habe sich nie zum Christentum bekehrt. „Das Wort Bekehrung kommt in der sogenannten Damaskus-Vision überhaupt nicht vor, sondern es heiße dort Berufung zum Apostolat“, erläutert der in Frankfurt am Main lebende Religionswissenschaftler. Nach der Überlieferung hatte Paulus auf dem Weg von Arabien nach Damaskus die Vision, daß Jesus ihn zum Apostel berufen wolle. Mit dem Menschen Jesus ist Paulus jedoch nie zusammengetroffen. Zu Petrus und Jakobus soll Paulus einmal gesagt haben: „Meine Vision der Auferstehung war wichtiger als eure Begegnung mit dem irdischen Zimmermannssohn.“ Als ein wesentliches Forschungsergebnis bezeichnet es Lapide, daß sich Paulus entgegen der Überlieferung im Galater-Brief niemals in Arabien aufgehalten habe. Vielmehr sei er von Arawah (hebräisch Steppe) nach Qumran gegangen, die beide am Toten Meer liegen. Den Weg habe Paulus zu Fuß oder auf dem Esel in etwa einer halben Stunde bewältigt. Qumran, wo im Jahre 1947 die berühmten Schriftrollen gefunden wurden, habe früher den Beinamen „Damaskus in der Wüste“ getragen, erläutert Lapide. So sei fälschlicherweise überliefert worden, Paulus sei von Arabien nach Damaskus in Syrien gegangen. Gegen die klassische Überlieferung spreche auch, daß es damals etwa von Riad nach Damaskus eine Achttagereise gewesen wäre, erklärte der Neutestamentler. Die berühmten Qumran-Rollen, Handschriften vor allem aus Büchern des Alten Testaments, wurden 1947 in einer Höhle von Beduinen entdeckt, die auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege waren. „Die meisten Rollen sind aus Leder, wenige aus Papyrus und nur zwei aus Kupfer“, erläutert der Neutestamentler. Da Wissenschaftler noch heute dabei seien, die Rollen auszuwerten, werde spekuliert, daß mit einer Gesamtveröffentlichung „die Einzigartigkeit von Jesus und seiner Botschaft geschmälert“ werden könnte. (Zusatz taz: Oh weh, oh weh.)
    Die „Beschreibung des Holocaust“ von James E. Young rührt an einen zentralen Punkt: an das Problem des Schreibens heute überhaupt und an das Verständnis der Schrift. Nähe zur „Grammatologie“ von Derrida und zum „Widerstreit“ von Lyotard. Erinnerung an die Selbstmorde von Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan (unsere Mitschuld daran, weil wir nicht bereit waren, den Schrei aufzunehmen). Lyotards Reflexionen über das vollkomene Verbrechen rühren an ein Problem der Sprache, für das Auschwitz auch steht: an die Unfähigkeit, den Bann der Gemeinheit zu sprengen und zugleich die rechtlichen Kriterien der Zeugenschaft zu erfüllen. Dazu ist an den Kontext des Logos-Begriffs und das „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, …“ zu erinnern, die das Problem in einen realen theologischen Zusammenhang rückt. Läßt sich über Auschwitz erst im Kontext der Idee der Auferstehung (oder erst nach der Auferstehung der Toten) schreiben? Rückt das die deutsche Abwehr der Postmoderne nicht doch in ein anderes Licht? Und hat es nicht doch verhängnisvolle Folgen, wenn dieser Diskurs in Deutschland fast nur abgewehrt und die Postmoderne wie eine Häresie verfolgt wird?
    In Auschwitz ist der Weltbegriff mit untergegangen, er ist seitdem für die Theologie nicht mehr brauchbar. Auschwitz ist der Maelstrom, dessen Poe’sche Beschreibung Adorno als Motto vor seine Kierkegaard-Arbeit gesetzt hatte: der Wirbel, der die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt. Wir leben in diesem Wirbel und halten ihn immer noch – unter dem Bann der subjektiven Form der äußeren Anschauung, des Raumes – für eine ruhende Welt. Auschwitz ist der Beweis dafür, daß der Logos die Last, die wir ihm aufbürden, indem wir die Nachfolge verweigern (und die Erscheinungen für die Dinge an sich halten), nicht zu tragen vermag. Die Last ist endgültig auf uns übergegangen.
    Erinnerungsarbeit und Vergangenheitskolonialismus: Solange wir glauben, die Richter der Toten sein zu können, richten sie uns.
    Zeugenschaft und Eingedenken: Dieses „Das darf nicht vergessen werden“ ist das zentrale Motiv, nicht die Widerlegung der Leugner.
    Zu Otto F. Best (FR von heute): Die Deutschen haben keinen Witz, weil sie Witze machen. Dadurch unterscheiden sie sich u.a. von den Franzosen. Witz ist die Fähigkeit zur Sprachreflexion, die das Witze-Machen durch seine verdinglichende, vergegenständlichende Gewalt (durch Gelächter) zerstört. Der deutsche Witz ist eine xenophobe und paranoide Notwehraktion (Indiz der verfolgenden Unschuld). Karl Kraus hat einmal darauf hingewiesen, daß die Deutschgesinnten in der Regel des Deutschen nicht mächtig sind. (Vgl. Adenauers Wort: „Je einfacher Denken ist eine guten Gabe Gottes“. Einschlägig scheinen auch die Satzeinschübe Kohls zu sein, wie z.B.: „das werde ich an dieser Stelle sagen dürfen“, mit denen Kohl seine Rede unterbricht, um sein Erstaunen darüber auszudrücken, was er hier wieder einmal sagt, und mit denen er zugleich sich selbst ermächtigt, es zu sagen. Das liegt auf der gleichen Ebene wie seine eigene Unfähigkeit und die anderer Mitglieder seines Kabinetts, zu den xenophoben und antisemitischen Ausschreitungen der letzten Zeit überhaupt auch nur einen vernünftigen Satz zu sagen. Zugrunde liegt die allgemeine Erleichterung darüber, daß wir nach der wiedergewonnenen Einheit uns keine Zurückhaltung mehr auferzulegen brauchen und endlich wieder sagen dürfen, was wir denken; die Irritation durch die ausländerfeindlichen Ausschreitungen wird real verdrängt und verschoben auf das bedauernswerte Unverständnis des Auslands für diese deutsche Eigenart, auf die wir leider noch Rücksicht nehmen müssen.)
    Die verandernde Kraft des Seins ist der Grund des Weltbegriffs, sie wird durch durch die Gewalt des Weltbegriffs unumkehrbar. Der Weltbegriff ist die verandernde Kraft des Seins als Totalität.
    Ist nicht der augustinische Satz, daß zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick der Qualen der Verdammten in der Hölle gehört, eine direkte Konsequenz aus dem Kernkonstrukt der dogmatischen Theologie: der Opfertheologie. Hier liegt der Grund, daß in der kirchlichen Tradition die Buße nur noch als Leiden verstanden wird, und nicht als Tun: die Umkehr ist gegenstandslos geworden. War nicht das Bild der Hölle ohnehin das Produkt einer projektiven Verarbeitung des Bewußtseins, daß die Gläubigen selber für sich und für die anderen die Hölle sind (mit der Exkulpierung von Herrschaft, der Legitimierung des staatlichen Gewaltmonopols, und einem Begriff der Sexualität, in dem die politische Ohnmacht bewußtlos sich reflektierte, als dem Herd des ewigen Feuers)?
    Das Wort von den Pforten der Hölle (Mt 1618): ou katischysousin autäs, sie werden sie nicht überwältigen.
    Die Rehabilitierung Galileis durch Johannes Paul II scheint mir auf den Versuch hinauszulaufen, den Kloß im Hals der Theologie, zu dem die Naturwissenschaften geworden sind, jetzt endlich zu schlucken: aber wird die Kirche nicht daran ersticken?
    Das Dogma war der Preis, den der Staat und die Philosophie für die Rettung des Welt- und des Objektbegriffs zahlen mußten.
    Hegels Satz, daß die Idee die Natur frei aus sich entläßt, müßte eigentlich unters kirchliche Abtreibungsverbot fallen (durch den affirmativen Weltbegriff hat die Theologie sich selbst abgetrieben).
    Zur deutschen Staatsmetaphysik gehören neben dem Gewaltmonopol des Staates und dem Staatsanwalt auch das deutsche Staatsexamen.

  • 27.01.93

    Verhält sich der Staat zur Gesellschaft wie die Welt zur Natur (wie Idealismus zu Materialismus, Begriff zu Objekt)? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Kann es das eine ohne das andere geben, sind nicht beide Produkt des gleichen Abstraktionszusammenhangs (der Urteilsform)?
    Zusammenhang der Hegelschen Deduktion des Monarchen und des „Gottesgnadentums“ mit dem ontologischen Gottesbeweis. (Rosenzweig, II S. 146)
    Ist nicht das Interieur in Adornos Kierkegaard-Arbeit inzwischen aus der Objektsphäre in die Struktur des Subjekts mit eingewandert, und ist das Subjekt seitdem nicht gleichsam direkt an die Außenwelt angeschlossen (ohne Vermittlung durchs Interieur)? Gründet darin die nur minimale Differenz, die Adorno von der Einsicht in die Funktion des Weltbegriffs, zu der es in der Philosophie nach der vollständigen Verweltlichung des Subjekts keine Alternative mehr gibt, trennt?
    Die Rolle der Religionen scheint sich immer mehr darauf zu beschränken, das Gefühl der Schuldfreiheit, diesen verhängnisvollen Bewußtseinskomfort, zu vermitteln. Sie wird damit zu einer wichtigen Instanz des Verdrängungsapparats (der erste Entwurf dieses Verdrängungsapparats war das Dogma, mit dessen Hilfe die Funktion des philosophischen Subjekts vergesellschaftet wurde, bei gleichzeitiger Stillstellung des philosophischen Erkenntnistriebs: Dieses Stillstellung drückt sich aus in der kantischen Definition, wonach die Welt das mathematische Ganze der Erscheinungen bezeichnet). Die Religion ist zum Schmücke dein Heim in einer Welt geworden, die für niemand mehr Heimat ist. Daher die nicht mehr zu tilgende Nähe der Religion zum Kunstgewerbe und zum Kitsch (der Idolatrie in der Kunst).
    Die Verwechslung von Gegenwart und Gleichzeitigkeit wird durch die kantische subjektive Form der äußeren Anschauung stabilisiert, durch die Form des Raumes.
    Die Explosion der Raumvorstellung hat bewiesen, daß es keine wie auch immer geartete Beziehung der Gleichzeitigkeit zum Himmel gibt, daß umgekehrt der Raum als Form der Gleichzeitigkeit die Unterdrückung und die Verdrängung dessen mit einschließt, was man die reale Gegenwart nennen könnte. Ist diese Raumvorstellung nicht das Endprodukt des Falles (die „Überwindung“ des Generationenverhältnisses durch Neutralisierung und Stillstellung, nicht seine Aufarbeitung; oder auch: die „Überwindung“ der Häresien durch Verurteilung und Fixierung des Dogmas: so hängt die Orthodoxie mit der Orthogonalität zusammen, und so wird das Dogma zum leeren, seiner benennenden Kraft beraubten Wort: zum vergrabenen Talent)?
    Wenn Jacobus Schoneveld zufolge der Logos die Thora ist („Die Thora in Person“, in Kirche und Israel, Heft 1.91, S. 40ff), dann heißt das nicht mehr und nicht weniger, als das niemand zum Vater kommt, außer durch die Thora.
    Ist nicht die homousia sowohl logisch wie realgeschichtlich das Einfallstor des Gewaltmonopols des Staates in die Theologie (und der Kristallisationskern des Dogmas)?
    Die kopernikanische Wende und die Etablierung der Vorstellung vom unendlichen Raum haben den Leerraum geschaffen, in den die gläubige Phantasie glaubt, ihre „religiösen Vorstellungen“ hinein projizieren zu können. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß und wie die päpstliche Rehabilitierung Galileis die Dinge nun vollend auf den Kopf gestellt hat.
    Was mit der Privatisierung der Sexualmoral begonnen hat, endet mit einer Erfahrungsfeindschaft, die direkt in die Xenophobie einmündet.
    Die Personalisierung und daraus zwangslogisch folgende Vergöttlichung Jesu ist die Binde vor den Augen, mit der die Jesus-Gläubigen sich den Blick auf den Logos, der sich in der Übernahme der Sünden der Welt konstituiert, und von dem Gott will, daß er nicht leer zu ihm zurückkomme, ersparen.
    Beschreibt nicht die Beziehung der von der transzendentalen Logik organisierten Erfahrung zu den Dingen als Erscheinungen auch das Verhältnis der Theologie zu ihrem Objekt? Auch die Theologie unterliegt dem Gesetz der Erscheinungswelt, in der die Dinge an sich unerkennbar sind.
    In den drei Sprachen Griechisch, Lateinisch und Deutsch sind die Beziehungen der Geschlechter nicht deckungsgleich, nicht kompatibel. Die hier sich manifestierenden Brüche sind Denkmale welthistorischer Gesteinsverschiebungen. Neben den Differenzen in den Casus-Bildungen sind es vor allem Worte, die wie Sonne und Mond (sol und luna, auch Tag und Gesicht, dies und facies) jeweils anderen Geschlechtern zugeordnet wurden. Im Deutschen sind die Geschlechter an den Artikeln und den Endungen zu erkennen, im Englischen nur beim Gebrauch der Possessivpronomen. Hängt das damit zusammen, daß im Englischen der Infinitiv des Seins nicht durch das Possessivpronomen der dritten Person sing. masc. ausgedrückt wird (Folge der Neutralisierung der Casus im Englischen, und zugleich Symptom einer Verbegrifflichung der Sprache, die sich vor allem in Wendungen wie „he is doing“ ausdrückt, in denen das Verb naiv und real die Form des Prädikats, des Begriffs, animmt)? So drückt das deutsche Sein das Moment der Tätigkeit (in Physik und Ökonomie), das englische to be dagegen das Ergebnis der Vergegenständlichung dieser Tätigkeit aus (Grund des vorkritisch-kritischen Empirismus seit Locke: der Dogmatisierung von Naturwissenschaft und Ökonomie wie auch der Unterscheidung von primären und sekundären Sinnesqualitäten).
    Zusammenhang von Geschlecht und Casus, die geschlechtsspezifischen Casusbildungen (in den europäischen Sprachen).

  • 19.09.92

    Im Gottesknecht-Kapitel bei Deuterojesaias heißt es, daß der Gottesknecht unsere Schuld trägt, nicht daß er sie hinwegnimmt (wir damit entschuldigt sind): Die eigene Schuldbefreiung ist nur möglich durch die Übernahme der Schuld aller; das hängt zusammen damit, daß es Hoffnung für uns nur durch die Hoffnung für andere hindurch gibt (Gethsemane und die Idee der Auferstehung der Toten). Aber was bedeuten dann die Sündenvergebungs-Geschichten im Neuen Testament? Ist es ein Vorgriff auf das „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, oder ist es ein Echo auf die 120 000, die Rechts und Links nicht unterscheiden können?
    Kritik des Scheins: Markiert nicht die transzendentale Ästhetik Kants sowohl das Ende der Naturwissenschaften als auch das Ende der Kunst? Muß man nicht seitdem den Pakt mit dem Teufel schließen, um noch „Kunst machen“ zu können?
    Gegen Lukacs: Das Hotel Abgrund ist kein Hotel, sondern eine Lokomitive; und Adorno hatte sich nicht komfortabel eingerichtet, sondern im Bewußtsein, daß es nichts hilft, nur das Personal auszuwechseln, dazu beigetragen, daß die Scheiben nicht vollständig verklebt und die Schubkraft und die Bewegungsmechanismen zumindest im Ansatz erstmals begriffen wurden.
    – Die Rechten möchten alle erschlagen, die nicht in den Zug hineingehören (die Juden und die Ausländer), wobei sie – wie die Friedhofs- und Grabschändungen beweisen – sehr genau wissen, daß auch die Toten den Mitfahrenden noch gefährlich werden können.
    – Und der Abgrund, in den der Zug rast, ist nicht einfach vorhanden, sondern die Lokomotive produziert ihn selber.
    – Vgl. das Motto zu Adornos Kierkegaard-Arbeit (das Bild vom Maelstrom von Edgar Allen Poe).
    Waren der Holocaust und sind die Grabschändungen der Rechten heute, nicht doch Hinweise auf das Nahen des Reiches, das von Dämonen zuerst wahrgenommen wird?
    Die drei Namen des Bösen: der Ankläger, der Verwirrer und der Vater der Lüge.
    So wie Heidegger, nachdem er den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt gemacht hat, diesen Geburtsfehler kenntlich und analysierbar gemacht hat, so hat die Kirche durch Umkehrung des Nachfolge-Gebots alle Schuld in sich aufgesaugt und damit auf ähnliche Weise kenntlich und analysierbar gemacht. Das „nulla salus extra ecclesiam“: hier ist die Schuld im Begriff präsent, deren Übernahme aus ihrem Bann herausführt. Das wahre Archäologiestudium ist heute das der Kirche.
    Nochmal die drei ersten Schöpfungstage: Gibt es hier einen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Trägheit, Schwerkraft und Licht? Und gibt es korrespondierend hierzu einen Zusammenhang zwischen dem Planckschen Strahlungsgesetz, dem Urknall und dem Schwarzen Loch?
    Die merkwürdige Erfahrung, daß ein Zentrum, ein Anfang nicht mehr sich bestimmen läßt, hat das Ganze zu einem Labyrinth gemacht. Aber war nicht im Zentrum des Labyrinths der Minotaurus?
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes ist wahr unter der Prämisse des Vorrangs der Vergangenheit und, was darin mit einbeschlossen ist, im Kontext der Vorstellung einer homogenen Zeit. Die Vorstellung einer homogenen Zeit schließt den Vorrang der Vergangenheit (the future will be like the past) mit ein, ist davon nicht zu trennen; oder sie schließt die Vorstellung einer wirklichen Zukunft, die anders wäre als die Vergangenheit, von sich aus. Aber dieser Vorrang der Vergangenheit (die Form des Inertialsystems als Todesgrenze, Grundlage des Herrendenkens) wirkt auch in die Vergangenheit zurück, vernichtet die vergangenen Gestalten der bis heute uneingelösten Hoffnung, macht diese Hoffnung zur Lüge. Dieser Vorrang der Vergangenheit verrät die Toten. Und die Vorstellung des unendlichen Raumes ist der Sargdeckel über einer Vergangenheit, die auch die Zukunft unter sich begreift: sie ist der Inbegriff des Weltgerichts und das Korrelat der absoluten Verzweiflung. Denkmal dessen ist der Begriff der Materie.

  • 03.04.92

    Es hat Zeiten gegeben, in denen Eltern ihre Kinder und Könige ihre Untertanen in der dritten Person Singular anredeten. Umgekehrt durften die Untertanen den König nur in der dritten Person Plural ansprechen (ähnlich die Kinder ihre Eltern). Diese Anrede in der dritten Person Plural ist im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft mit vergesellschaftet worden. Steckt in dieser Kollektiv-Anrede nicht die (durch die Institution des Königs vermittelte, dann im Christentum institutionalisierte) Anerkennung der Welt (als Kollektivsubjekt aller objektiven Urteile).
    Im Englischen ist es das wechselseitige „you“, die zweite Person, die sowohl im Singular wie im Plural verwandt wird. Hängt das Kollektiv-Du mit dem englischen Empirismus zusammen?
    Was ist der Unterschied zwischen Kollege, Kamerad und Genosse?
    Das katholische pokerface, diese harten, verschlagenen Gesichter, Produkt eines Religionsverständnisses, das nicht mehr die Schuld auflöst, sondern nur noch das Schuldbewußtsein wegnimmt und deshalb der Reue, der Umkehr nicht mehr bedarf, sie – mehr noch – diskriminiert. Wer büßt, der muß es schlimm getrieben haben. Und Umkehr wird nur noch als Eingeständnis der Schuld verstanden (anders hätte es der Umkehr nicht bedurft), das aber darf um keinen Preis laut werden (Ursprung der Apologetik, mit deren Hilfe immer schon die schlimmsten Untaten gerechtfertigt, und d.h. im Nachhinein begründet wurden).
    Die subjektive Form der Anschauung ist
    – der Angelpunkt, um den sich die Welt dreht,
    – das firmamentum, das die Wasser über und unter dem Firmament scheidet,
    – der Balken, durch dessen Optik hindurch die Splitterforschung betrieben wird.
    Das Poe’sche Bild vom Maelstrom, das Adorno in seinem Kierkegaard-Buch zitiert, realisiert sich im Hegelschen Absoluten (Inbegriff und Modell der Isolationshaft des Denkens).
    Philosophie in Erfahrung übersetzen bedeutet heute insbesondere: endlich den Geburtsfehler der Philosophie begreifen. Die Philosophie ist der Balken im eigenen Auge.
    Vom Splitter und vom Balken: Der Balken, ist das der Baum der Erkenntnis?
    Die Person ist als Objekt, was die Persönlichkeit als Subjekt ist.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit rührt von der anderen Seite her an den Begriff der Materie. Es bezeichnet gleichsam dessen Innenseite und macht damit die Naturwissenschaft zur Schale, die zu knacken ist, wenn man an den Kern herankommen will.
    Ist der (christologisch bestimmte) Naturbegriff der (gordische) Knoten, den Alexander bloß durchschlagen hat, und den es jetzt endlich zu lösen gilt?
    Ist der Hahn in der Geschichte der drei Leugnungen eine Metamorphose des über den Wassern brütenden Geistes, der auch vor der Morgendämmerung des ersten Tages erscheint?
    Haben die Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments etwas mit der Gravitation zu tun? Und hat die Feste, die die Wasser scheidet, etwas mit den kantischen subjektiven Formen der Anschauung oder mit dem Inertialsystem zu tun? Steckt nicht in dem kantischen Wort von dem erhabenen Sternenhimmel über mir und dem moralischen Gesetz in mir ein Hinweis auf diese Feste?
    Haben die Wolken des Himmels etwas mit den Wassern oberhalb des Firmaments zu tun?
    Der Balken im eigenen Auge wächst mit der Anpassung an die Welt: Die Welt ist alles, was der Fall ist; d.h. die Welt ist der Abgrund, der die Menschen voneinander trennt, und dem sie in dem Maße verfallen, in dem sie selber der Welt sich anpassen.
    Der descensus ad inferos hat mit der Lösung des Drachens am Ende des Millenariums zu tun (Signatur dieser Epoche).
    Der Unterschied zwischen Genitiv und Dativ ist bei „trotz“ und „wegen“ der Unterschied ums Ganze. (Nach der Duden-Grammatik, Nr. 641, ist der Dativ in der Regel veraltet, regional oder umgangsprachlich: Es wäre nun doch wohl an der Zeit, endlich einmal den Geist der Duden-Grammatik zu bestimmen.)
    Babylon, genauer Ur in Chaldäa (die Schuldknechtschaft), ist der Ursprung der Hebräer, Ägypten (das Sklavenhaus) ihr natürliches (unerlöstes) Telos.

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