Kohl

  • 24.5.1995

    Das Angesicht leuchtet im Licht der Sprache.
    Das Licht, das den Tag hell macht, und dessen Gegenteil das Dunkel, die Finsternis, die Nacht, ist, ist eine Erkenntniskategorie, aber keine naturwissenschaftliche: Ist nicht das Licht der „Aufklärung“ (wie das der Bühne, des Films, des Fernsehens) das des Mondes, der nicht selbst leuchtet, sondern das Licht der Sonne nur reflektiert? Und sind nicht die Lichter der Wandelsterne die getrennten, durch definierte Aspekte determinierten Lichter (des Herrendenkens, des Feinddenkens, des Geliebtwerdenwollens, des Handels: Eigentum und Tausch); sie allesamt sind Lichter der Nacht. Sie sind der Grund der ihnen korrespondierenden „Erscheinungen“, die hervortreten, wenn die anderen Aspekte ausgeblendet werden.
    Der Tierkreis: Inbegriff der Totalitätssymbole?
    Das moderne Drama unterscheidet sich von der antiken Tragödie u.a. durch seine Beziehung zum Licht: Das Drama findet im geschlossenen Raume auf der Bühne statt (vor dem Publikum, das im Dunklen sitzt), die Tragödie im Amphitheater am hellen Tag unter freiem Himmel.
    Das Inertialsystem verletzt das achte Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten.
    Der Zeuge muß die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit, während der Angeklagte lügen darf. In der Regel wird vor Gericht davon ausgegangen, daß der Angeklagte lügt. Darin gründet der Indizienprozeß (das rechtliche Korrelat der transzendentalen Logik, des synthetischen Urteils apriori).
    Die transzendentale Logik wäre anhand der Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit den Terroristenprozessen zu demonstrieren: Alle gesetzlichen Vorkehrungen dieser Prozesse waren Maßnahmen zur Begründung und Absicherung synthetischer Urteile apriori. Prämisse war, daß der Angeklagte nicht nur lügen darf, sondern daß er grundsätzlich lügt (die vorgeblich politischen Motive der terroristischen Handlungen waren nur Vorwände zur Befriedigung der Mordlust, zum Ausleben krimineller Triebe). Nach Auffassung von Staat und Gerichten waren selbst die „Selbstmorde“ in Stammheim noch Teil einer Aktion, die nach draußen die „Lüge“ transportieren sollte, der Staat habe die Gefangenen ermordet. Unter der Voraussetzung, daß die Wahrheit nicht zu ermitteln ist, weil Sprache keine Wahrheit mehr auszudrücken vermag, sondern nur noch hinterhältig-mörderische Absichten, die es rechtzeitig zu durchschauen gilt, gibt es zur Gewalt (zur terroristischen Aktion wie zu Hochsicherheitstrakt und Isolationshaft) keine Alternative mehr.
    Das Grundurteil, das jedem synthetischen Urteil apriori zugrundeliegt, ist das Urteil: Der Angeklagte lügt. Damit aber ist der paranoische Zirkel geschlossen, aus dem beide Seiten nicht mehr herauskommen. (Bestätigt nicht Gisela Dutzis Wort vom „Rechtsstaatsgetöse“, das das synthetische Urteil apriori nur umkehrt, nicht aufhebt, nachträglich den Faschismus? Ist die Vermutung so unbegründet, daß diese Generation die Geschichte revidieren möchte, indem sie den Ermordeten, die keine Chance hatten, auch nicht die eines Rechtsstaats, im Nachhinein zeigt, was sie hätten tun können, ohne zu bemerken, daß sie in die Logik der Täter sich verstrickt?)
    Die Lust der Philosophie, der Wissenschaft und des Rechts, die Lust des argumentativen Streits, ist die Lust des Rechtbehaltens, während es die Lust der Theologie ist, zu retten, zu ändern.
    Das Schwert des Richters ist das Schwert Alexanders, das den gordischen Knoten durchschlagen, nicht aufgelöst hat. Das Bild dieses durchschlagenen Knotens ist die Waage der blinden Justitia, die erst, wenn sie die Binde von den Augen nimmt, in der Lage sein wird, den Knoten zu lösen.
    Anti, contra, gegen: Was drückt in diesen Kategorien sich aus?
    Die Verkörperung der Logik der symbolischen Erkenntnis ist der Engel. Darin gründet ihre Beziehung zu den Himmelsheeren (zu den paulinischen Elementarmächten, den Archonten, den „Thronen und Mächten, Herrschaften und Gewalten“).
    Die Hellenisierung der Theologie, nach Harnack der Grund des Dogmatisierungsprozesses, hat dem Glauben, der das Zukünftige zu erkennen versucht, die Form des Wissens aufgeprägt und die Kirche dann zur Hüterin dieses Wissens gemacht. Kein Wunder, daß den Kirchen heute dieser Schatz unter den Händen sich auflöst.
    Aus alten Notizen:
    Eine der Ursachen weitreichender Mißverständnisse und Verwirrungen in der Theologie ist die Verwechslung von Schöpfung und Sündenfall. (24.06.83)
    Über Gott kann man nicht sprechen? – In der Tat, über Anwesende kann man nicht, ohne sie zu beleidigen, sprechen. (11.09.83)
    Religion hat keine reale Bedeutung mehr, sondern nur noch eine sozialisationstechnische (als Erziehungsmittel): Kommt daher die wachsende Zahl von Singles?
    Langer Atem: Keiner hält die Spannung zwischen den erkenntniskritischen Einwänden gegen die Naturwissenschaft und dem realen Erkenntnisfortschritt mehr aus.
    Physik heute: Entspannte (spannungslose) Erkenntnis; Erkenntnis, die sich selbst zu tragen scheint, in Wahrheit aber auf den Grund zurückgesunken, zugrunde gegangen ist. Physik geht nicht mehr der Sache auf den Grund, sondern ist das Zugrunde-Gehen der Sache, ihre Vernichtung, und das im wörtlichen Sinne: Ihre Projektion ins Vergangene. (04.11.84)
    Jede Theodizee heute wäre blasphemisch, die Entfaltung des Begriffs der Blasphemie hingegen die einzig noch mögliche Theodizee. (28.03.85)
    Das Grauen des Faschismus bildet das Chaos vor der Schöpfung ab. Die Leugnung dieses Grauens hat mit der Gottesleugnung zu tun. (06.06.85)
    Helmut Kohl verkörpert ein irrationales Harmoniebedürfnis, dessen aggressive Gewalt der Gradmesser einer zugrunde liegenden Katastrophenstimmung ist. (02.01.86)

  • 22.1.1995

    Was ergibt sich, wenn man im NT die Gehorsam-Stellen mit Hören übersetzt (gehorsam bis zum Tod am Kreuz)?
    Zu Rosenzweigs Begriff der „historischen Aufklärung“ (sh. Stern der Erlösung, S. 108) – für ihn der Ausgangspunkt seiner Abkehr vom Relativismus – vgl. Hegels Bemerkung über den Begriff der Geschichte.
    Die Objektivation des Vergangenen durch die historische Aufklärung zerstört die Erinnerung; sie neutralisiert die Vergangenheit, indem sie sie zu einem Objekt des Wissens macht. (Zusammenhang von Objektivierung, Instrumentalisierung und Vergesellschaftung: die historische Aufklärung ist eine politische, welt- und staatsbegründende Wissenschaft; sie hat gleichsam kosmogonische Bedeutung, verdrängt aber zugleich das Bewußtsein davon. Mit der Objektivierung der Vergangenheit beweist sich der Staat seine weltbegründende Macht.)
    Zum Begriff des Eigentums: Jeder Staat hat seine Geschichte.
    Kohls Berufung auf die Geschichte hatte vor einigen Jahren sein komisches Echo in einem Statement Boris Beckers, der in der Anfangsphase seiner Karriere nach einem gewonnenen Match einmal erklärte, die Bedeutung dieses Sieges werde man erst nach zwanzig Jahren ermessen können.
    Die Schuld haftet wie eine Eigenschaft an der vergangenen Tat; ich kann nicht aufgrund einer noch nicht begangenen Handlung schuldig werden. Aber ich kann sehr wohl aufgrund der vergangenen Tat anderer schuldig werden: Auschwitz und Adam.
    Hegels Kritik des heiligen Dings (des katholischen Eucharistie-Verständnisses) schlägt auf ihn selbst zurück. Das heilige Ding ist der Kern seiner Logik: die Quelle des Begriffs des Absoluten.
    Der Atheismus, der im übrigen bis in die Kirche und in die Theologie hineinreicht, ist heute der Schlaf, aus dem man nicht geweckt werden will, der den Traum von der Religion nicht mehr ausschließt. Deshalb bedarf es des Hahns.
    Der Fortschritt, dem die Konstruktion und die Ausstattung des Komfortzugs „Industriegesellschaft“ sich verdanken, ist zum Maß der Beschleunigung geworden, mit dem er dem Abgrund zurast.

  • 20.11.1994

    Zum Begriff und zur Funktion des „Beobachters“ in der Quantenmechanik vgl. die Bemerkung von Planck, S. 249: Jede Beobachtung schließt die Meßinstrumente mit ein und setzt damit das ganze physikalische Wissen, und hierbei insbesondere dessen metrischen Implikationen, das Inertialsystem und dessen Folgebegriffe, voraus.
    Metatheorien sind Theorie-Vergegenständlichungs-Theorien.
    Keiner der bekannten Vertreter der Quantenmechanik hat eine Gesamtdarstellung der Theorie gegeben. Stattdessen haben sie, nachdem sie ihre Duftmarken gesetzt und ihren Namen bekannt gemacht haben, sich auf ideologische Nebenpfade begeben und sich dort verlaufen.
    Weshalb hat Ernst Haeckel sein Buch „Welträtsel“ und nicht „Naturrätsel“ genannt? Hängt die plötzliche Ausbreitung des Weltanschauungstriebs auch damit zusammen, daß die Naturwissenschaften seit der Jahrhundertwende in den Grenzbereich des Natur- und Weltbegriffs geraten sind und sich dort nicht mehr zurechtfanden? Seitdem rennen sie mit dem Kopf gegen die Gummiwand und verwechseln die elastischen Reaktionen der Wand mit einer Folge neuer Entdeckungen.
    An Helmut Kohl wäre das Problem des Begriffs der Geschichte zu studieren (vgl. Hegels Bemerkung zum Doppelsinn des Begriffs der Geschichte).
    Nochmal zum „Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus“: Der Vergleich, daß, wenn neben dir einer tot umfällt, das kein Beweis dafür ist, daß du gesund bist, wäre zu verschärfen: Kann es nicht sein, daß er sich an der Krankheit infiziert hat, an der du selbst leidest?
    Der Stoßprozeß und das Trägheitsgesetz bilden den Kern der Äquivalenzbeziehungen, die die mathematischen Naturwissenschaften erst möglich machen. Gegenstand der Physik ist die im horror vacui erstarrte Natur.
    Die drei Freiheitsgrade des Raumes: Sind das nicht die drei Freiheitsgrade der Umkehr?
    Ist nicht die Schlange das Symbol der Leugnung des Angesichts, und nach der Schlange dann am Ende das Tier? Und ist nicht das dritte Tier, das Tier vom Lande, die Parodie des Angesichts: Es hat (anstelle der Augen?) zwei Hörner wie ein Lamm und redet wie ein Drache. Welche Bedeutung haben dann das „Bild des Tieres“ (an Stirn und Hand) und die „Zahl seines Namens“?

  • 7.10.1994

    Haben das Buch des Lebens und der Baum des Lebens (der mit dem Sündenfall von der Welt getrennt worden ist) etwas mit einander zu tun? Ist es nicht die Prophetie, die sich ins Buch des Lebens einschreibt?
    Die Logik der Schrift ist die Urteilslogik; durch sie wurden Natur und Welt getrennt.
    Die „fortgeschrittenen“ Zweige der Naturwissenschaften sind heute ebensosehr empirisch wie sie zugleich den vergeblichen und – aufgrund des ihnen innewohnenden Wiederholungszwangs – aussichtslosen Kampf gegen den blinden Fleck führen. Es käme darauf an, den Zirkel (und das logische Gravitationsfeld), in dem sie sich bewegen, zu analysieren und aufzulösen.
    Wer heute sagt „Ich bin doch nur ein kleines Rädchen“, den trifft die Frage Gottes: „Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist?“
    Die Nacktheit ist die Nacktheit des Andern gegenüber allen Andern. Den Ursprung dieser Nacktheit benennt Hegels Satz: Das Eine ist das Andere des Anderen. Nacktheit ist der Reflex des Weltbegriffs in allen weltlichen Dingen. Deshalb sind Tatsachen nackt.
    Wenn heute die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und das Mobbing immer deutlicher ins Feld der Aufmerksamkeit rücken, so verweist das zugleich auf einen strukturellen, systematischen Sachverhalt: Sie sind ein Indiz für den historischen Zustand der Welt.
    Der Begriff Kollektivscham ist ebenso unverschämt wie schamlos. Zu ihm paßt das Wort des Bundeskanzlers: Es gibt Wichtigeres als Solingen.
    Die Externalisierung der verinnerlichten Scham ist vergleichbar jenem Prozeß, in dem die Außenwelt bewußtlos und ungehindert in alle Manifestationen der Religion (der Kirche) eindringt, sie durchsetzt, überwuchert und verformt. Die Verweltlichung der Kirche erreicht heute den Stand der Selbstverfluchung.
    Die Kollektivscham ist der Unzuchtsbecher.
    Ist nicht die Apokalyptik eine Gestalt der Prophetie, in der sie selber nochmals der Logik der Schrift unterliegt, was sie in ihren avanciertesten Gestalten selber reflektiert. Ihr Antlitz bleibt durch das Erleiden des Zwangs entstellt. Diese Entstellung aber ist wahrer als ihre Neutralisierung durch die Person.
    Ohne Ansehen der Person: Die ungeheure Wahrheit dieses Wortes: das Angesicht ist ohne Ansehen der Person.
    Die die Apokalyptik bewegende Kraft ist der Wunsch nach Enthüllung des Angesichts.
    Nicht „die Juden sind Gottesmörder“, sondern im Kreuzestod erfüllt sich die Schrift. Rückt nicht der ganze Paulus in ein anderes Licht, wenn in seiner Kritik des Gesetzes die Kritik der Logik der Schrift erkennbar wird?
    Das Dogma gehört zum Kelchsymbol. Das Wort „Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen“ gilt nicht zuletzt auch für das Dogma. Nur in diesem Kontext ist das Dogma ein Teil des Willens des Vaters.
    In welcher Beziehung steht der Name des Vaters zum Problem der Logik der Schrift? Zum Namen des Vaters (zur Widerlegung der homousia) gehören:
    – Getsemane (Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe),
    – „den Tag und die Stunde kennt niemand, auch nicht der Sohn, nur der Vater“,
    – nicht der Sohn, sondern der Vater vergibt die Plätze zur Linken oder Rechten des Sohns,
    – „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“.
    Der Name des „dunklen Mittelalters“ ist durchaus projektiv: Das Dunkle am Mittelalter ist das Verdrängte des verdinglichten Bewußtseins (die opfertheologische Vorgeschichte des Objektivierungsprozesses). Die Aufklärung des Mittelalters rührt an die dunklen Gründe der säkularen Zivilisation.
    Das Mittelalter ist die Geschichte des Ursprungs des Objektbegriffs; der Objektbegriff ist ein Produkt der Logik der Schrift: Mit dem Abstraktionsschnitt, den Schrift vollzieht, entspringt der Objektbegriff. Der Mechanismus, dem die Konstitution des Objektbegriffs sich verdankt, ist durch die kantische Vernunftkritik erstmals ins Bewußtsein gehoben worden.
    Die Verinnerlichung des Schicksals (der Ursprung des Begriffs) und die Verinnerlichung der Scham (der Ursprung des Objektbegriffs) bezeichnen die Phasen der Geschichte der Logik der Schrift. Gegen die Schicksalsidee und seine Folgeprodukte, die Herrschaftsstrukturen, richtet sich das Hören, das dann nicht zufällig als „Gehorsam“ in diese Herrschaftsstrukturen wieder eingebunden worden ist.
    Die Logik der Schrift hat die Prophetie von ihrem Aktualitätsbezug getrennt; hier liegt der Grund, weshalb dieser Aktualitätsbezug im kirchlichen Antijudaismus auf die Juden verschoben werden mußte: Nur so war es möglich, sich selbst aus diesem Aktualitätsbezug (aus der „Unheilsprophetie“) herauszustehlen. Zu den Folgekonstrukten gehörten insbesondere die Opfertheologie und die Lehre von der „Entsühnung der Welt“.
    Zusammen mit der Entwicklung der Raumvorstellung hat die Logik der Schrift zur Totalität sich entfaltet.
    „be-“ ist das Präfix der Vergegenständlichung, „zer-“ das der Zerstörung durch andere, „ver-“ das der Selbstzerstörung, der Zerstörung einer Sache durch ihr eigenes Anderssein.

  • 5.10.1994

    Das Objekt des Vorurteils ist aufgrund seiner Apriorität unzerstörbar (und der Antisemitismus aus diesem Grunde unbelehrbar).
    Das Problem des falschen Propheten findet seine Lösung in der Unterscheidung zwischen der Erfüllung der Schrift (der „Unheilsprophetie“) und der Erfüllung des Wortes („Heilsprophetie“). Die „Unheilsprophetie“ ist aufgrund ihrer Beziehung zur Logik der Schrift grundsätzlich wahr (kann jedoch durch das Erbarmen Gottes „enttäuscht“ werden); die „Heilsprophetie“ ist nur dann wahr, wenn „das Wort sich erfüllt“. In dieser Konstellation findet das Bild des Tieres vom Lande seine Lösung.
    Scham ist die Innenerfahrung des Witzes (die Erfahrung, die das Objekt eines Witzes mit dem Witz macht). Sensibilität ist die Fähigkeit, diese Innenerfahrung des Witzes zu reflektieren.
    Die Idee des Parakleten gründet in der Umkehr der Logik des Witzes: Ihre Intention ist die Verteidigung des Objekts, über das gelacht wird, gegen das Kollektiv der Lacher (gegen die Welt). Zur Idee des Parakleten gehört der Satz: Aufgrund der Asymmetrie zwischen mir und den anderen ist Selbstverteidigung nur über die Verteidigung des andern erlaubt.
    Steckt nicht in jedem objektivierenden Verfahren, in der Konstitution des Objekts selber, etwas von dem Auslachen, gegen das die Idee des Parakleten sich richtet?
    Die Idee des Absoluten hat die Verinnerlichung der Scham zur Grundlage; über die Verinnerlichung der Scham ist die Idee des Absoluten an den Weltbegriff gebunden. Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, verweist auf diese Konstellation.
    Die List der Vernunft gehört zu den Konstituentien der Idee des Absoluten. Wer den Realgehalt dessen, was Hegel die List der Vernunft nennt, begreifen will, muß den Argumentationsstil Kohls (unter Einschluß der Elemente der Selbstinszenierung: von der Versöhnung über den Gräbern bis hin zum bedenkenlosen Gebrauch der Gemeinheit) untersuchen.
    Wie wär’s mit dem schönen Titel: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört?
    Als Adam sich unter den Bäumen des Gartens versteckte, da schämte er sich. Stammten diese Bäume vom Baum der Erkenntnis?
    Der Takt verbietet es, im Hause des Mörders vom Opfer zu sprechen: Dieser Takt war der Grund, aus dem der Begriff der Kollektivscham hervorgegangen ist (Kohl: Es gibt Wichtigeres als Solingen).
    Zur Feste des Himmels: Kann es sein, daß Gott keine „Rückseite“ hat, daß es diese „Rückseite“ nur für uns gibt: Sie fällt zusammen mit der Idee des Absoluten : mit dem Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft (mit der Spiegelung Gottes in der Logik der Schrift).
    Wie hängen die Idee des Absoluten, die Feste des zweiten Tages und die Gestalt des Elias (des Vorläufers des Messias) miteinander zusammen?
    Das philosophische Subjekt, Korrelat des Weltbegriffs, ist ein Produkt der Logik der Schrift.
    Das Richtige unterscheidet sich von der Wahrheit durch seine Beziehung zu anderen; im Falle des Richtigen ist diese Beziehung eine konstitutive, im Falle der Wahrheit eine regulative Beziehung. Beide unterscheiden sich wie die Lüge und das falsche Zeugnis (wie Schrift und Wort).
    Der ungeheure Gedanke, daß Gott meine Schuld gegen andere nicht vergeben kann, daß er deren Vergebung nicht antizipieren kann, verweist auf den Tabestand, der dem Lösen zugrunde liegt. („Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dort eingedenk wirst, daß dein Bruder hat etwas gegen dich hat, …“ Mt 523). Ist das Bußsakrament nicht eine ungeheure Anmaßung: werden hier nicht die Opfer ihrer Kraft zu vergeben, die der Grund ist, daß ihnen selbst vergeben wird, enteignet? – Haben die sieben unreinen Geister nicht tatsächlich etwas mit den sieben Sakramenten zutun?
    Die Philosophie beschreibt den Akt des Heraustretens aus dem Bann des Mythos. Wäre der letzte Akt der Philosophie nicht der ihrer Selbstauflösung: der des Heraustretens aus dem mythischen Bann der Logik der Schrift? Dazu bedarf es der Hilfe der Theologie: beide können diesen Schritt nur gemeinsam gehen.
    Die Opfertheologie war der Preis für die theologische Rezeption des Weltbegriffs; die Höllenvorstellung, die Vorstellung von der Ewigkeit der Höllenstrafen, der Preis für die Rezeption des Naturbegriffs (die projektive Verarbeitung des Feuers).
    Haschamajim: Die Sintflut ist das Realsymbol der Verinnerlichung des Schicksals (der Überflutung der Objektivität durch die Fluten des Begriffs); sie repräsentiert den Wasseraspekt der Geschichte der Aufklärung. Die Verinnerlichung der Scham (die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der Raumvorstellung) und ihr gegenständliches Korrelat, die Verdinglichung der Welt, repräsentiert die Vorgeschichte des Feuers: Die Erfüllung der Logik der Schrift als Vorgeschichte der Erfüllung des Worts. „Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu holen, und ich wollte, es brennte schon.“
    Die spontane Reaktion auf die ersten Meldungen über Auschwitz: „das wird sich einmal rächen“, ist wahr geworden im Begriff der Kollektivscham. Ralph Giordano wäre dahin zu korrigieren: Nicht die Zweite Schuld bezeichnet den Kern der Nachkriegsentwicklung, sondern die zweite Intrumentalisierung der Schuld im Begriff der Kollektivscham. Die Erfindung der Kollektivscham war der schreckliche Versuch der Naturalisierung der Schuld, der Versuch, die Pforten der Hölle endgültig und ausweglos zu schließen. Sie war der Greuel al heiligen Ort.
    Erst die Reflexion der Scham macht die Theologie zu einer experimentellen Wissenschaft.
    Die Apokalypse des Johannes ist kein Schauspiel, nicht durch die ästhetische Objektivitätsgrenze von der Gestalt des Zuschauers getrennt. Wir stecken mitten drin wie Jonas im Bauch des Fisches. Auch die Apokalypse ist aus dem Bann der Logik der Schrift zu befreien. (Ist nicht der Fisch ein Sprachsymbol: ein Symbol der Logik der Schrift? Und ist der Fisch, das große Seeungeheuer, das Zweitgeschaffene, wie die Logik der Schrift das eigentlich apokalyptische Symbol: die Logik der universalen Vergegenständlichung?)
    In der Astronomie gilt – wie im Recht -, daß das Nichtbeweisbare nicht existiert (Folge der ästhetischen Beziehung zur Sternenwelt). Gilt der die Grenzen des Rechts definierende Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, auch für die Astronomie (und in ihrer Folge für die modernen Naturwissenschaften)? Die Grenzen der Beweislogik widerlegen sie nicht, aber sie machen die Beweislogik reflexionsfähig und das, was durch die Beweislogik ausgeschlossen wird, doch noch erkennbar. Vor allem ist jeder Versuch, die Beweisgrenzen zu schließen, auf seine Haltbarkeit und auf seine Nebenwirkungen zu prüfen.
    Beweislogik und Verdinglichung: Das deiktische Element im bestimmten Artikel ist ein Produkt der Beweislogik. Dagegen hat die negative Dialektik das mikrologische Verfahren der Reflexion zu mobilisieren versucht.
    Hitlers Wort, daß die Masse ein Weib ist, knüpft an die merkwürdige Beziehung des Femininum zum PLural an (die gleiche Beziehung, die auch im Begriff der Materie sich ausdrückt).
    Die Logik der Schrift, deren Ursprung an der Hegelschen Analyse des Hier und Jetzt (in der Phänomenologie des Geistes), sich demonstrieren läßt, entfaltet sich in der Vorstellung des Inertialsystems, gewinnt in ihr ihre ungeheure abstraktive Gewalt. Sie ist der Grund des Abstraktionsprozesses, der (über die Opfertheologie) in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung sich vollendet.
    Die Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren, ist das erste (und notwendige) Resultat der Kritik des Inertialsystems (und der Opfertheologie: der Vorstellung, daß die Welt durch den Kreuzestod Jesu entsühnt worden sei). Der Versuch, dieses Gefühl durch durch die Vorstellung, „in Gottes Hand geborgen“ zu sein, zu unterdrücken, ist der Kern der Verführung durchs Herrendenken.
    Die Kritik der Naturwissenschaft findet ihren Hauptwiderstand an der nie reflektierten pseudotheologischen Begründung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs (an ihrem Zusammenhang mit der Opfertheologie).

  • 28.9.1994

    Gegen Aristoteles: Nicht die erste Bewegung ist das Problem, sondern die Trägheit. In der Trägheit ist die Zukunft von der Vergangenheit (die Geburt vom Tod: Ursprung des Naturbegriffs) verschlungen. Ist die Trägheit (das Inertialsystem) der Inbegriff des Lahmen und Blinden (Raum und Materie)? – Vgl. hierzu nochmal die Antwort Jesu auf die Anfrage des Täufers und die Rolle der Lahmen und Blinden bei der Eroberung Jerusalems durch David.
    Ziel der Kritik des Inertialsystems wäre es, daß die Blinden wieder sehen und die Lahmen wieder gehen.
    Was bedeutet eigentlich die Wortgruppe „Völker, Stämme, Sprachen und Nationen“ (waren es in der hebräischen Bibel nur drei Namen, und welcher fehlte)?
    Das „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ bezeichnet das genaue Gegenbild zu einem Zustand, in dem alle wissen, was sie tun: in dem alle Gott erkennen und zu Propheten geworden sind.
    War nicht schon in dem Marx-Wort von der resurrectio naturae die Katastrophe vorbeschrieben: quia resurrectio est finis naturae? Die Auferstehung wäre das Ende des Verblendungszusammenhangs, den der Naturbegriff bezeichnet und besiegelt.
    Wichtig die Unterscheidung zwischen Theorie und Lehre: Die „Trinitätslehre“ ist keine Lehre, sondern Produkt und Opfer der Logik der Theorie, und ihr Kern, die homousia, der Katalysator der Selbstzerstörung der Lehre.
    Ist nicht die Mikrophysik insgesamt das Ensemble, aus dem die Theorie des Feuers (der apokalyptische Aspekt der Naturwissenschaft) zu gewinnen wäre. Der Schlüssel dazu liegt im Planckschen Strahlungsgesetz und im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (die in ähnlicher Weise aufeinander bezogen sind wie Radius und Umfang eines Kreises).
    Werden wir Kohl solange wählen müssen, wie wir die als Adler verkleidete fette Henne an der Stirnwand des Bundestages haben werden?
    Die Taubenhändler und die Geldwechsler: sind das nicht die Opfertheologen (die an die Bekenntnislogik gefesselten Kirchen) und die Banken?
    Das Lamm und der Drache, mit denen das Tier vom Lande verglichen wird, werden hierbei nur als Gattungen zitiert (ohne bestimmten Artikel).
    Die Heiligung des Gottesnamens ist seine Befreiung aus den Verstrickungen des Begriffs: der Anfang einer Theologie im Angesicht Gottes. Die Befreiung ist eine Befreiung wie durch Feuer.

  • 8.9.1994

    Ist der demagogische Trick Kohls nicht vorgebildet in der Geschichte der Physik: Die Kopenhagener Schule, die selber nach Einstein die Physik wieder ins Paradigma der Naturbeherrschung zurückgebogen hat, hat sich zugleich in der Öffentlichkeit immer als „Überwindung“ der klassischen Physik, zu der sie dann insbesondere Einstein hinzugerechnet hat, präsentiert, und den Preis der Rückkoppelung (die Unbestimmtheitsrelation und den Korpuskel-Welle-Dualismus als Komplementaritätsprinzip) als besonderen Gewinn sich selbst und den anderen eingeredet. Das wirklich Neue bei Einstein wurde damit der Reflexion entzogen. War nicht die Kopenhagener Schule, insbesondere ihr deutscher Teil, auf eine subtilere Weise antisemitisch als die ominöse „Deutsche Physik“?
    Gibt es eine (nationale oder weltanschauliche) Identität ohne Bekenntnislogik, und d.h. ohne eingebautes Feindbild? Ist nicht die politische Theologie Carl Schmitts (mit der Grundlage des Freund-Feind-Denkens) die genaueste Entfaltung der Bekenntnislogik? Und sind nicht Skinheads und Hooligans die letzten Confessoren?
    Hat Jesus nicht tatsächlich den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben, und zwar genau mit der gleichen Logik, mit deren Hilfe er den Vorwurf zu widerlegen versucht (ein Reich, das in sich uneins ist, …)?
    Die Bekenntnislogik ist der Kelch von Getsemane.
    Der Begriff der „zeitlosen Wahrheit“, Grundlage der Trennung von Natur und Welt, setzt voraus, daß es zur Vergangenheit des Vergangenen keine Alternative gibt.
    Zu Weigels Satz (in einem Brief an den WDR zur Lotto-Satire), daß er zwar Humor verstehe, aber …, fehlt die Ergängzung, die man wird hinzudenken müssen: Das Verständnis endet, wenn er selbst zum Objekt des „Humors“ wird. Dann ist er nur noch beleidigt. Hat nicht der Humor überhaupt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Duftmarken-Setzen der Hunde. Mit Humor werden Herrschaftsbezirke abgesteckt. Opfer des Humors sind in der Regel die, die aus der Gemeinschaft der Lachenden ausgeschlossen (oder zur Identifikation mit dem Aggressor gezwungen) werden sollen (Frauen, Juden, Ausländer). Der Humor hat die gleiche logische Struktur wie das Vorurteil und die Bekenntnislogik, wie er auch die gleiche Funktion hat: Gemeinschaftsstiftung durch gemeinsames Lachen: durch Identifikation des gemeinsamen Objekts. Auch der Antisemitismus ist eine Variante des Humors. Deshalb ist Humor nur erträglich, wenn er die Reflexion auf diese Struktur in sich mit hereinnimmt: als schwarzer Humor.
    Kein Bekenntnis ohne eingebautes Feindbild, wobei die logische Leistung des Lachens in seiner identitätsstiftenden Kraft liegt: Die Identität des Feindes wird durchs Lachen konstituiert. Repräsentant dieses Lachens im Subjekt ist die, die Objektvorstellung begründende, subjektive Form der äußeren Anschauung: der Raum.
    Hängt es nicht mit der inneren Logik des Gebots der Feindesliebe zusammen, wenn Jesus nicht gelacht hat?
    Weshalb wird das Lächeln der Babys als süß empfunden? Ist es nicht eigentlich etwas Schreckliches: Das Lächeln ist nicht freundlich. Beim Lächeln (auch dem archaischen Lächeln frühgriechischer Statuen, dem Seligkeits-Lächeln mittelalterlicher Skulpturen, dem Lächeln der Mona Lisa) ist der Schrecken nicht zu übersehen, der im instrumentalisierten keep smiling, im Lächeln der Verkäuferin, im cheese-Grinsen, als Raubtier-Lächeln erkennbar wird. Ist nicht das Lächeln der Babys das erste Zeichen der Selbstinstrumentalisierung, Folge der Erfahrung, daß diese Geste von den „Bezugspersonen“ honoriert wird? Wieviel objektive Ohnmachts- und Gewalterfahrung steckt schon in diesem Lächeln? Und ist das Süße an diesem Lächeln nicht die Süße der eigenen Macht- und Gewalterfahrung, die durchs Kind so bestätigt wird (Zusammenhang mit der Logik der Scham)?
    Kann es sein, daß der Adressat des archaischen Lächelns das sich zur objektiven Gewalt kontrahierende Schicksal des mythischen Zeitalters, der Adressat des mittelalterlichen Lächelns der Seligen die Gottes- und Subjektvorstellung war, die der Verinnerlichung der Scham sich verdankt. Ist das Lächeln nicht der früheste Ausdruck der paranoischen Ansteckung, die zu den Grundlagen der zivilisierten Welt gehört? Aufgetragen ist dieses Lächeln auf die Folie des verzweifelten Weinens.
    Haben die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn erscheinen wird, etwas mit den Wolken, die die ausziehenden Israeliten durch Wüste geführt haben, mit den Wolken am Berge Sinai, dann mit den Wolken der Herrlichkeit Gottes über der Lade im Allerheiligsten des Tempels, zu tun: mit der Schechina?
    Gegenstand der modernen Entzauberung der Welt war der katholische Mythos, der selber schon ein Produkt des gleichen Inertialsystems war, dem er dann zum Opfer gefallen ist.
    Jesu Wort an den Schächer am Kreuz: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein, ist noch unerfüllt. Dieses Heute ist noch nicht eingetreten.
    Der Sprach- und Symbolgrund der Barmherzigkeit ist die Gebärmutter. Aus welchem Sprachgrund stammt die Gerechtigkeit?
    Hat nicht die Anthropomorphismus-Kritik das weibliche Element (die Barmherzigkeit) aus Gott ausgetrieben?
    Die Philosophie hat die Sinnlichkeit aus dem Himmel (aus Wasser und Feuer) ausgetrieben, die Naturwissenschaften haben sie aus der Erde ausgetrieben. Das erste war die Folge der Verinnerlichung der Schicksalsidee, das zweite die der Verinnerlichung der Scham.
    Wenn die Grenze zwischen Innen und Außen eine transzendentallogische Grenze ist, die begründet ist in der Grenze zur Vergangenheit, ist es dann nicht notwendig, das Schicksal der Geschichte des Klassenkampfes, die nicht nur in der Außenwelt sich abspielt, im Innern der Menschen zu untersuchen, die Fortsetzung dieser Geschichte in der Geschichte seiner Verinnerlichung weiter zu verfolgen? Vermittelndes Glied ist der Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor; zur Geschichte der Verinnerlichung des Klassenkampfes gehört die Geschichte seiner Verdrängung. Diesem Aspekt kommt ein anderer entgegen: die Einsicht, daß der Begriff der Verdrängung nicht mehr auf die Psychologie sich einschränken läßt, daß er durch einen objektiven, historisch-gesellschaftlichen Begriff der Verdrängung, zu dem die Geschichte des Mythos und der Aufklärung gehört, zu ergänzen ist.
    Werbung und Propaganda, als Formen der technischen Anwendung der Psychoanalyse, haben diesen objektiven Begriff der Verdrängung (den sie ausbeuten und verstärken) zur Grundlage (Zusammenhang mit der Bekenntnislogik).
    Dignum et justum est: Hat das dignum, das dann mit würdig übersetzt wurde, etwas mit der Barmherzigkeit zu tun? Und wie verhält sich das dignum et justum (würdig und gerecht) zum juristischen billig und recht (wie verhalten sich dignum, würdig und billig zueinander)?

  • 2.9.1994

    Die Geschichte, der Raum und das Vergessen. Der Raum neutralisiert die Zeit, macht die Geschichte zum Steinbruch, in dem man sich beliebig bedienen kann. Geschichtliche Taten und Ereignisse werden einander äußerlich und austauschbar, vergleichbar den gegen Raum und Zeit neutralisierten „Erfahrungen“ in den Laboratorien der Naturwissenschaften.
    Die Bekenntnislogik schließt eine eingebaute Exkulpationsautomatik mit ein; deren Kern ist das Schuldverschubsystem, durch das die Bekenntnislogik mit dem Schuldbekenntnis verbunden ist. Ist die Exkulpationsautomatik die transzendentale Ästhetik zur Bekenntnislogik?
    Kein Bekenntnis ohne Feindbild: Das Gebot der Feindesliebe ist ein durchschlagender Einwand gegen Dogma und Bekenntnislogik.
    Die moderne Praxis kirchlicher Architektur, Innenwände wie die Außenwand zu gestalten, drückt aufs genaueste die Beziehungen der Gläubigen zu ihrer Kirche aus: Sie sind zugleich drinnen und draußen, die Innenwelt hat der Außenwelt, und die Außenwelt der Innenwelt sich angeglichen. Die Differenz ist getilgt, beide sind ununterscheidbar geworden, damit aber ist die Außenwelt zur Norm der Innenwelt und die Innenwelt vollends barbarisch geworden. Ist das nicht die logische Folge und die fatale Erfüllung der inneren Säkularisationsgeschichte: der Geschichte der Verweltlichung, Produkt der verandernden Kraft, die als das bewegende Zentrum der Säkularisationsgeschichte sich erweist.
    Mit dieser Beziehung von Innen und Außen hängt es zusammen, daß, was Karl Rahner einmal die absolute Zukunft genannt hat, nicht mehr in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit liegt. Quellpunkt der verandernden Kraft ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die sie nur noch in den vergangenen Hoffnungen erfahrbar macht. Die Wiedererweckung der vergangenen Hoffnung ist der Beginn der Auferstehung.
    Eine logische Studie: Hängt der demagogische Trick Kohls, die Gemeinheiten, die er von sich gibt, zugleich zu dementieren und seinem politischen Gegner anzuhängen, nicht mit der Logik seines Geschichtsbegriffs (und dieser mit Hitlers Begriff der Vorsehung) zusammen? Die gleiche Logik macht ihn unfähig, die Untaten von Rostock, Mölln, Solingen anders als durch den Blick des „Auslands“, und d.h. als „Schande“ wahrzunehmen. Es ist dieser Blick, der insgeheim die Zustimmung zu den Dingen, von denen er sich verbal distanziert, signalisiert.
    Der Slogan „Bewahrung der Schöpfung“ bleibt falsch, solange er nur auf die äußere Natur sich bezieht (ist nicht die Ökologie-Diskussion u.a. auch ein Produkt des Schuldverschubsystems, dient sie nicht auch der Ablenkung von den heranreifenden gesellschaftlichen Naturkatastrophen, gehört sie nicht in den Bereich der Exkulpationsstrategien?).
    Erinnert nicht das Wort „Gottesfrage“ (Duchrow/Veerkamp) fatalerweise an die Seins- oder die Judenfrage (generell an Heideggers Begriff der Frage)?
    Joh 129 stellt den Aktualitätsbezug des Wortes (des Logos), seine Beziehung zur Prophetie, her: durch die Hereinnahme der Schuld-Reflexion.
    Zu Jürgen Ebachs Hinweis auf das „es rächt sich“ ist an den Gebrauch dieser Wendung in der Nachkriegszeit, nach Bekanntwerden der organisierten Judenvernichtung durch die Nazis, zu erinnern: Fromme Katholiken waren überzeugt: „Das wird sich einmal rächen“. Aber das wurde schnell vergessen; statt dessen sollen die sogenannten „Rachepsalmen“ aus dem kirchlichen Brevier herausgenommen worden sein. War die Erinnerung an die Schuld so nahe gerückt, daß sie unerträglich wurde (wird man nicht daran zweifeln dürfen, ob der Abschaffung der Todesstrafe wirklich nur „humane“ Motive zugrundelagen)?
    Über den nationalen Ursprung der Transzendentalphilosophie: Die Begriffe historisch und empirisch waren einmal gleichbedeutend; das Historische war das Empirische und umgekehrt. Dagegen enthält der deutsche Begriff der Geschichte eine Verschiebung, der mit der Wortbedeutung, die ans neutrale, subjektlose Geschehen (das ontologische Sein) erinnert, zusammenhängt. Die Geschichtsphilosophie ist eine Es-Philosophie; und Hegels Bemerkung, daß das Wort Geschichte sowohl die historischen Taten und Ereignisse als auch die Geschichtsschreibung (die sie zu historischen Taten und Ereignissen erst macht) bezeichnet, weist auf das Zentrum des Neutralisierungsprozesses (und auf die in ihm wirkenden Kräfte, auf seine sehr spezifisch deutsche Logik) hin.
    In Spinozas Deus sive Natura steht dieser Deus fürs Absolute, für den Gott der Philosophen: für den Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft.
    Das reale Objekt der Sexualmoral wäre (wenn man sie auf ihre herrschaftskritischen Ursprünge zurückführt) die Mordlust, nicht die Sexuallust. Hier gründet das Wahrheitsmoment der Lustfeindschaft.

  • 30.8.1994

    Kann Kohl sich noch darauf herausreden, daß auch er nicht weiß, was er tut? Wüßte er es wirklich nicht, weshalb begleitet er dann jede Gemeinheit der Tat mit einem Dementi des Worts? Er weiß, daß die Rede von Ossis und Wessis diskriminierend ist, zum politischen Sprengstoff zu werden droht; aber er redet so wie nur ein Wessi redet. Die Reflexion bleibt abstrakt, sie erreicht nicht mehr das praktische Gewissen (der Grund hierfür wurde gelegt, als der Logos zum Logos wurde). Liegt hier nicht der Grund der allgemeinen Überzeugung, daß Reden nichts hilft? Grund ist die Unfähigkeit zur Reflexion der Urteilsform (des Weltbegriffs).
    Rom hat den Logos gekreuzigt.
    Die Geschichte der drei Leugnungen ist die Geschichte der Selbstzerstörung der Sprache.
    Ist nicht Luthers sola scriptura eine Konsequenz aus dem augustinischen ad litteram, wird es nicht durch dieses Schriftverständnis verhext?
    Kranken nicht unsere Diskurs- und Kommunikationstheorien an der Unfähigkeit, die Urteilsform, die Urteilslogik, zu reflektieren? Sie haben den erkenntniskritischen Teil der kantischen Philosophie ad acta gelegt, verdrängt, damit aber die gesellschaftskritischen Konsequenzen aus der kantischen Erkenntniskritik entschärft. Liefert nicht der Jakobus-Brief den entscheidenden Hinweis auf den Schuldzusammenhang von Sprache und Welt, auf den gleichen Schuldzusammenhang, den die Philosophie und ihrer Folge die Wissenschaft seit je zu neutralisieren versucht, um sich zugleich umso tiefer in den Schuldzusammenhang zu verstricken? Adorno hat recht, wenn er darauf hinweist, daß es keine Position außerhalb der Welt gibt: die Vergegenständlichung der Welt steht selber unter dem Gesetz der Logik der Welt.
    Nur wer die Last (die Sünde der Welt) auf sich nimmt, anstatt sie durch Vergegenständlichung zu verdrängen, befreit sich von ihr.
    Wissenschaft heute: das in Angst vor der Schlange erstarrte Kaninchen.
    Hat das Christentum mit dem Begriff des Zeugens nicht die aufgedeckte Blöße ins Zentrum ihrer Theologie: in die Trinitätslehre mit hereingenommen? Die Barmherzigkeit des Vaters kommt im Dogma nicht vor. Ist das nicht ebenso eine Konsequenz der Bekenntnislogik wie die Opfertheologie?
    Liefert Heinsohns Geldtheorie nicht auch einen Beitrag zum Verständnis des Ursprungs des Bußsakraments (und des katholischen Mythos insgesamt)?
    Stimmt es daß das mit „klug“ übersetzte hebräische Wort in Gen 31 auch mit „nackt“ übersetzt werden kann, daß die Schlange nicht nur „klüger“, sondern auch „nackter“ war als die Tiere des Feldes? Aber stimmt dann der Komparativ? Ist diese Klugheit die Klugheit der Schamlosigkeit?
    Steckt nicht die Geschichte der Zeit in der Geschichte von der Sonnenuhr zur Quarzuhr? Und haben nicht Einstein und Planck den Schlüssel des Abgrunds verfügbar gemacht? Was hat der Schlüssel des Abgrunds mit der Pforte der Hölle zu tun?
    Die subjektiven Formen der Anschauung als Produkt der Abstraktion vom Gesehenwerden (von der Scham) sind das Instrument des Aufdeckens der Blöße und der Abstraktion vom Angesicht Gottes. Entspringt die Nacktheit erst mit der Logik der Schrift?
    Die Logik der Schrift ist der Quellpunkt der Wolfswelt, der Gemeinheit, die sich selbst nicht begreift.
    Die indogermanische Sprache als Produkt der Identifikation mit dem Aggressor.
    Sind die Winde nicht ein gemildertes Feuer, das dann in Gewittern als Blitz hervorbricht? Haben die vier apokalyptischen Reiter etwas mit den vier am Euphrat gebundenen Winden zu tun?

  • 3.6.1994

    Wie tief die Hegelsche Staatsmetaphysik verwurzelt ist, mag man daran erkennen, daß das Carl Schmittsche Konstrukt von Souveränität, Notstand und Führerprinzip sein Modell in der Hegelschen Rechtsphilosophie (278) hat. Genau diese Stelle ist der Beweis dafür, daß auch die Dialektik die Asymmetrie der Beziehung des Ich zu den Andern nicht aufhebt, sondern zugunsten der Andern (der Welt) neutralisiert.
    Die Welt ist für jeden die Welt für die Anderen; das Anderssein der Andern (nicht zu verwechseln mit dem Fremdsein) begründet die Objektivität der Welt.
    Zur logischen Äquivalenz von Individuellem und Allgemeinem (oder Problem einer Geisterlehre): Kann es nicht sein, daß, was hier ein Individuelles, dort ein Allgemeines, und das, was hier ein Allgemeines, dort ein Individuelles ist: daß die Einzelsterne Gattungen sind, und die Gattungen Geister? Liegt hier der logische Grund für die Konzeption des Tierkreises und der frühchristlichen Engellehre (auch der biblischen Himmelsheere und des göttlichen Hofstaates)? Dann wären die subjektiven Formen der Anschauung der genaue Reflex der christlich-mythischen Gestalten des Satan und des Teufels. Und was bedeutet dann die Entdeckung des Begriffs: war sie nicht der Anfang der Vertreibung der Engel? Oder anders: Greift hier nicht eine Art Umkehrung des Verhältnisses von Natur und Welt (Objekt und Begriff), so daß wir in der Tat nur durch unseren Beitrag zur Rettung der Welt hindurch gerettet werden können? Wirft das nicht ein neues Licht auf die paulinischen Archonten und auf den Namen des Fürsten dieser Welt?
    War nicht der Kreuzestod die antizipierte Strafe für eine Untat, die erst folgte, oder ist er dazu erst durch die christliche Opferthologie geworden? Bezieht sich darauf nicht das jesuanische Kelchsymbol (in der Antwort an die Zebedäussöhne, in Gethsemane und in dem Hinweis an Petrus)?
    Die Bemerkung, daß die Theologie heute „bekanntlich klein und häßlich“ sei, ist noch zu harmlos: Sie ist zur Stätte des Greuels der Verwüstung geworden.
    Kann es sein, daß es deshalb keine Aktualisierung der Marxschen Kapitalismus-Kritik mehr gibt, weil niemand mehr fähig ist, in diesen Abgrund zu schauen?
    War nicht die Vertreibung der Händler und Wechsler aus dem Tempel der letzte Akt des Kampfes gegen Kanaan, und enthält sie nicht den Hinweis, daß zur Theologie heute eine Geschichtstheologie der Banken gehören müßte? Die Befürchtung scheint nicht unbegründet, daß eine Kritik der Banken davon ausgehen müßte, daß es eine technische Lösung des Problems nicht gibt: Es gibt keine Alternative zu den bestehenden Institutionen, gleichwohl muß man dem, was ist, ins Auge sehen, – und es dann auch aussprechen: Ninive wird in 40 Tagen zerstört.
    Der Sündenfall hat sehr viel mehr mit der Organisation und Entfaltung der Sprachen (Grammatik, Beziehung der Sprachen zur Mathematik und Ursprungsgeschichte des Neutrums) zu tun als mit der Sexualmoral.
    Die besondere theologische Qualität der deutschen Sprache, die nicht zu leugnen ist, kann man an Begriffen wie „Fall“, an der Unterscheidung von Zorn und Wut (sowie Ding und Sache), auch an Begriffen wie Urteil und Empörung ermessen.
    Zusammenhang der Urteilsform mit den subjektiven Formen der Anschauung: Ihr gemeinsamer Ursprung liegt in der Halbierung des Lichts. Das erste Urteil gründete in der Abstraktion vom Gesehenwerden. Insofern ist die Scham in die Konstruktion des Urteils mit eingegangen. Das Objekt ist ein Produkt der projektiven Verarbeitung der Scham; es ist die Scham vor vor dem leeren Blick des Allgemeinen, vor dem subjektlosen „Gesehenwerden“ durch den Begriff, die das Objekt gegen den Begriff zusammenschließt, durch die es gegen den Begriff sich vergegenständlicht (Genesis der Urteilsform). – Deshalb war der Heußsche Begriff der „Kollektivscham“ so verhängnisvoll: Er hat die Deutschen an den Blick „des Auslands“ gefesselt, in dem sie sich seitdem „spiegeln“. Die Fremdenfeindschaft heute ist ein ebenso ohnmächtiger wie vergeblicher Ausbruchsversuch.
    Mit dieser Beziehung des Urteils zur Scham (der Verwechslung der Wahrheit mit der aufgedeckten Blöße) hängt der Ursprung der Sexualmoral zusammen.
    Creatio mundi ex nihilo: Das Nichts, aus dem Gott die Welt erschaffen hat, ist das durch die Verdrängung der Scham erzeugte Nichts. Hier liegt der Ursprung des Idealismus. Und vor diesem Hintergrund gewinnt Heideggers Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ ihre ungeheuerliche Bedeutung.
    Das Keuschheitsgebot, das sich auf diese Geschichte der Scham und des Urteils bezieht, gehört wirklich zu den Fundamenten der Theologie. Und der Greuel der Verwüstung ist das Produkt der vollständigen Entblößung (Philosophie heute wäre Reflexion des Ekels).
    Wodurch unterscheiden sich Kohl, Hintze, Rühe, Seiters, Schäuble und Kanter von Kinkel, Frau Schwätzer, Rexrodt? Nur durch die Reflexion des Ekels hindurch, so scheint mir, läßt sich der Abgrund dieser Koalition noch ausmessen. Koalition der aussitzenden Gnade der späten Geburt mit den gnadenlosen Leistungsträgern: Und daneben eine SPD, die den Eindruck erweckt, daß ihr das imponiert.
    In der Anmerkung zu 279 seiner Rechtsphilosophie gibt Hegel einen bedeutenden Hinweis auf den Zusammenhang des Begriffs mit der Schicksalsidee (Hinweis auf den Dämon des Sokrates) und auf den Hintergrund, auf den sich die Untersuchung von Marie Theres Fögen über die „Enteignung der Wahrsager“ bezieht. Hier übrigens auch das Wort von der „wüsten Vorstellung des Volkes“ (die „formlose Masse, die kein Staat mehr ist“). In Hegels Staatslehre steht der Monarch an der Stelle, an der in der Theologie das Opfer steht: als Verhinderer des Chaos.
    Ist nicht der Zerfall der europäischen Agrarmarktordnung in den 70er, 80er Jahren (ähnlich wie die sogenannte Schuldenkrise der Dritten Welt) ein Menetekel für das Schicksal der Geldwirtschaft insgesamt: die Schrift an der Wand?
    Ist die Hegelsche Philosophie nicht der Beweis für die Wahrheit der biblischen Überlieferung, daß außer Petrus nur die Dämonen den Gottessohn erkennen?
    Wenn die Philosophie der Leib Christi ist, dann wäre heute die descensio ad inferos an der Zeit. Nicht auszuschließen, daß sie dort auf die Propheten trifft.
    Gründet nicht die Erbaulichkeit im Selbstmitleid (in der Anwendung des Schuldverschubsystems aufs Opfersein, oder in der Verschiebung der Armut von der Realität draußen ins Selbstgefühl drinnen): In der Ersetzung der Nachfolge durch die Imitatio?
    Daß der Terrorismus-Paragraph im Strafrecht nur ein Instrument zur Bekämpfung und Diskriminierung der Linken war, ist daran erkennbar, daß er bei den Nachfahren der größten terroristischen Vereinigung, die es in diesem Lande je gegeben hat, nicht greift.
    In Westfalen sagt man statt „es ist egal“: et is een Dohn, es ist ein Tun. Das heißt: das eine Tun unterscheidet sich nicht von dem anderen, beide sind in ihren Folgen gleich.

  • 30.5.1994

    Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (mit dem Inertialsystem) setze ich auch die Gegenwart als vergangen: Das ist die Voraussetzung des gesamten historischen Abstraktionsprozesses. (Der Historismus setzt die Ausdehnung des Raumes über das ganze Universum voraus: Das Interesse an der Astronomie ist das Interesse an der logischen Durchgestaltung des Natur- und Geschichtsverständnisses, es ist identisch mit dem Interesse des Staates an seiner Selbstbegründung, mit seinem Legitimationsintersse.) Der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit korrspondiert das Heideggersche Vorlaufen in den Tod“: Ich setze mich als gestorben (und mache so die Todesangst gegenstandslos).
    Liegt die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum nicht darin, daß der Begriff des Eigentums auf die Anerkennung durch andere (das Recht und den Staat) abzielt, während der Besitz nur das Nutzungsrecht des Dings bezeichnet?
    Hängt das Suffix „-tum“ (in Eigentum, Reichtum, Christentum etc.) mit dem Ursprung des Dingbegriffs zusammen?
    Wurde die Todesstrafe, als sie abgschafft wurde, nicht in das reine Funktionieren der gesellschaftlichen Mechanismen, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, verlegt (Vergesellschaftung als kalte Exekution der Todesstrafe)?
    Zur Begründung der Sprachphilosophie gehört die Umkehr des Satzes „Der Ursprung ist das Ziel“: Das Ziel ist der Ursprung. Das Matriarchat liegt nicht vor dem Patriarchat, sondern ist ein Teil der in der Katastrophe des Ursprungs des Patriarchats aufblitzenden Utopie: Der Gedanke daran, daß es auch anders sein könnte.
    Double-bind-Falle Dritte Welt: Wir zwingen ihr die Verhältnisse auf, die die Barbarei hervorrufen, die wir dann zugleich verurteilen.
    Die Illusion, Richter über die Geschichte zu sein, gründet darin, daß wir uns selbst von den Untaten, die wir in der Vergangenheit verurteilen, heute durch Delegation an andere (an Gefängnisse, Schlachthäuser, Irrenhäuser und an die Diktaturen der Dritten Welt) freisprechen. Wir machen uns die Hände nicht mehr schmutzig.
    Wir brauchen die Sünde der Welt nicht mehr „auf uns (zu) nehmen“, sie lastet auf unsern Schultern.
    Sind wir nicht der Verführung erlegen, uns als „Spätgeborene“ als Erben derer, die je gesiegt haben, der Herrschenden, zu begreifen. So sitzen wir uns selber im blinden Fleck.
    Kohl ist in der Tat ein Historiker, aber einer, der sein Handeln im Blick der „Geschichte“ (die einmal ihr Urteil fällen wird) sieht. Die Logik dieses Konstrukts ist der Grund seines politischen Handelns und seines demagogischen Talents. So einer kann in der Tat durch „reines Zusehen“ (durch Aussitzen) Politik machen und durch Zuwarten die Opposition in die Fallen locken, in denen er sie dann unschädlich machen kann. Kohl ist der zum reinen Punkt zusammengeschrumpfte und dann wieder aufgeblasene Hegel. Sein karrierewirksamste Qualifikation: Er beherrscht die Technik des kontrafaktischen Urteils.
    Zum kontrafaktischen Urteil:
    – Hegels Kritik des Sollens und der Satz aus der Rechtsphilosophie („das Wirkliche ist vernünftig …“),
    – Nietzsches Essay „vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Kritik der Machtanbetung des Historikers, die Lehre von der ewigen Wiederkunft und vom Übermenschen),
    – Benjamins geschichtsphilosophische Thesen,
    – die Konversion Rosenzweigs (die Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
    – kontrafaktische Urteile und ideologische Geschichtsschreibung (Kollektivscham, Exkulpationsstrategien und Geschwätz),
    – die Selbstverblendung der Politik in Deutschland (im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“), Kohls Demagogiekonzept und die Instrumentalisierung des kontrafaktischen Urteils: Ick bün all do.
    Der, der wiederkommt, muß das unbedingt derselbe sein, der einmal da gewesen ist?
    Die Materie ist der Reflex der Totalisierung des Raumes im Objekt (wie unterscheiden sich die Beziehungen der Zeit und der Materie zum Raum?).
    Die Römer haben dem Staub den Namen der Mutter gegeben (Materie), damit jedoch die Erinnerung an die messianischen Wehen verdrängt. Aber diese „Mutter“ war tot, und so sind die Mütter zu Hexen, zu Herrscherinnen des Totenreichs, geworden.
    Im Griechischen heißt die Materie „hyle“ (Holz, Wald); hängt das damit zusammen, daß der Naturbegriff im Griechischen auf das Zeugen anstatt auf die Geburt verweist? Im Christentum wurde das Zeugen in die Trinitätslehre mit hereingenommen und vergöttlicht.
    Wenn die Propheten schon im Mutterschoß berufen waren, heißt das nicht auch, daß sie im Namen der Barmherzigkeit berufen worden sind? Wie diese Barmherzigkeit aussieht, ist der Verkündigungsgeschichte zu entnehmen, dem Magnificat („die Mächtigen stürzt er vom Thron“).
    Was in der Sprachlogik des Hebräischen, in ihrer Grammatik, fehlt, erscheint in ihr als Symbol (die Schlange). Versuch, die griechische und die hebräische Sprache anhand des Modells dieser Beziehung zu vergleichen?
    Die Heiligung des Gottesnamens setzt die Kritik des Dogmas (und der Bekenntnislogik) voraus und schließt sie mit ein.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Pforten der Hölle. Gründet nicht
    – der Raum in der Beziehung von Vorn und Hinten (in der Abstraktion vom Angesicht),
    – das Geld in der von Rechts und Links (in der Abstraktion von der Barmherzigkeit) und
    – die Bekenntnislogik in der von Oben und Unten (in der Abstraktion vom Himmel)?
    Und bilden sie nicht genau in dieser Folge den Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang?
    Ist nicht durch den Begriff der Schöpfung im Deutschen die Schöpfungslehre zu einem Teil des Trinkens aus dem Kelch geworden, und ist dieser Schöpfungsbegriff nicht eher aufs Kreditwesen bezogen als auf die Theologie? Ist er nicht eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff (aus dem Begriff einer creatio mundi ex nihilo)? Aber: die Schöpfung ist geschaffen, nicht geschöpft (und die Erschaffung ist etwas anderes als die Erschöpfung). – Aus welchen sprachlichen Wurzeln stammen das hebräische bara, das lateinische creare und das griechische ktizo?
    Die Kirche hat den Staub vergesellschaftet und die Wehen privatisiert (nach und aufgrund der Rezeption der griechischen Philosophie).

  • 18.5.1994

    Zu Jeremias: Die Herrschaft Babylons, die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar und der – hiernach endgültige – Verlust der politischen Autonomie Judas, war nicht nur „Anlaß“ (in einer sonst unveränderten Welt) für die Prophetie des Jeremias, sie hat vielmehr die Welt selbst verändert, und nur die prophetische Reaktion darauf hat dann die Prophetie, ihren Inhalt, verändert. Das Urteil der Geschichte, das Kohl ständig im Munde führt, ist ein Abkömmling der Hitlerschen Vorsehung. Im Paradies, im Garten der Tiere, war die Weltgrenze noch eine Grenze zwischen Tier und Pflanze; erst mit dem Sündenfall, nach der Vertreibung aus dem Paradies, ist sie zu einer Grenze zwischen den Gattungen geworden. Liegen darin nicht die Ursprungsbedingungen der Astrologie? Und ist das kreisende Flammenschwert des Cherubs nicht das Symbol dieser Weltgrenze? Gehört nicht zur Geschichte mit dem roten und weißen Nilpferd (Ebach, Leviathan und Behemoth, S. 24) die Josefs-Geschichte: Josef, der ein Sohn Jakobs ist, aber nicht zu den zwölf Stämmen Israels gehört, ist der Erbauer des Sklavenhauses Ägypten (als Vollstrecker der „ursprünglichen Akkumulation“ des ägyptischen Staatskapitalismus), das allerdings als Sklavenhaus sich etabliert, nachdem Josef vergessen wurde. Diese Geschichte ist vorgezeichnet in der vom Mundschenk und vom Bäcker: Der Mundschenk (der den Wein ausschenkt, das Symbol des Gerichts) kehrt in Amt und Würde zurück, während der Bäcker (der das Brot, Symbol der Gnade, bereitet) hingerichtet wird (gibt es eine Beziehung diesr Geschichte zu der der beiden Schächer am Kreuz?). Ist nicht, was für Ägypten eine Chaosmacht ist, für Israel der Grund seiner Existenz? Das Tier aus dem Meer: Die Geschichte der Philosophie beginnt mit dem Satz: Alles ist Wasser; sie endet mit dem Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Enthält das nicht einen Hinweis auf das „Zeichen des Jona“ (auf die Geschichte mit dem „Walfisch“)? Ein ungeheuerlicher Hinweis: Die Deutschen haben den Namen der Heiden zu ihrem eigenen gemacht. Der Vorteil des Weltbegriffs ist die entlastende Distanz zur Welt: die eingebaute Exkulpationsautomatik. Der Weltbegriff schließt den der Gottesfurcht, den er durch die säkularisierte Herrenfurcht (durchs autoritäre Syndrom) ersetzt, aus.

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