Die Lahmen und die Blinden (politische Aspekte des Inertialsystems): Wer heute die „Prophets of Deceit“ fortschreiben und auf den gegenwärtigen Stand bringen wollte, dürfte sich nicht mehr nur an der Figur des Agitators orientieren, sondern müßte die Reflexion auf die Struktur der politischen Öffentlichkeit, auf die veränderte Form ihrer Beziehung zur realen Politik mit einbeziehen. Wichtiger als eine Analyse der Reden der Schönhubers und Freys wäre eine Analyse der Selbstdarstellung der etablierten Parteien, die „ihre Politik“ nur noch verkaufen wollen, auf einen öffentlichen Diskurs der realen Probleme und Ziele jedoch längst verzichtet haben. In diesem Kontext wird Politik zur Sache von Verwaltung und Karriere, mit der Folge
– der Konstituierung einer zunehmend nicht-öffentlichen Politik: der fortschreitenden Abschirmung der politischen Entscheidungsprozesse gegen ihre öffentliche Diskussion,
– der Personalisierung von Sachfragen (öffentlichkeitswirksame „Korruptionsfälle“ verstellen den Blick auf die inhaltlichen Fragen der Politik),
– der Lähmung und Selbstverblendung einer immer mehr den Trägheitsgesetzen des Apparats gehorchenden Politik.
Die Lahmen und die Blinden: SPD und CDU.
Ist nicht das Geheimnis des Erfolges von Helmut Kohl die Fähigkeit zur öffentlichkeitswirksamen Darstellung des Nichtstuns, der politischen Trägheit, zu der es ohnehin keine Alternative mehr zu geben scheint? Ist er nicht der Darsteller einer Politik, die so von vorgeblichen Sachzwängen beherrscht ist, daß es wirklich nur noch darum geht, wie man sie trotzdem so präsentieren kann, als ginge es um politische Ziele?
Die Gerechtigkeits-Blindheit des Rechts drückt sich in dem Satz aus, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
Anwendung des Paradigmas der Lahmen und Blinden auf die Naturwissenschaften: Kernforschung und Weltraumfahrt.
Ist nicht der Kern dieses Paradigmas die Verklammerung des kirchlichen Machtapparats mit der zwanghaften Selbstverblendung der Theologie: der Greuel der Verwüstung oder Greuel am heiligen Ort?
Sind nicht die kantischen subjektiven Formen der Anschauung die Repräsentanten der Lahm- und Blindheit im Subjekt, die Agenten der Lähmung und Verblendung des verdinglichten Subjekts? Erinnert nicht die Trennung von Natur und Welt an das Paradigma der Lahmen und Blinden (die Natur lähmt, und die Welt macht blind)? Ist nicht die Trennung von Natur und Welt Produkt jener exkulpatorischen Logik, die das Schuldverschubsystem zur Grundlage hat, die dann zur Absicherung der Opfertheologie bedarf.
Der Dativ und das „Es gibt“. Der kantische Begriff des Gegebenen (eine der Wurzeln des Begriffs der Erscheinung) enthält über das Es im „Es gibt“ den Hinweis auf den anonymisierten Gesamteigentümer der Welt. Nur weil es dieses „Es gibt“ gibt, weil es den Dativ gibt, gibt es Meinungen.
Wenn der Infinitiv Sein etwas mit dem Possessivpronomen (3. m. sing.) zu tun hat, dann hat auch der Name des Wassers mit Interrogativpronomen „Was“ (mit der Frage nach dem Wesen, nach der Sache) etwas zu tun. Frage: Wie hängt das Interrogativpronomen mit dem Possessivpronomen zusammen? Hat es etwas mit dem Kommerz, mit dem Akt des Kaufs zu tun?
Bezieht sich die Vertreibung der Taubenhändler und der Geldwechsler aus dem Tempel auf den Greuel am heiligen Ort, den Greuel der Verwüstung?
Muß die Kirche, wenn sie beansprucht, das „wahre Israel“ zu sein, nicht auch die Prophetie auf sich beziehen?
Haben die Lahmen und Blinden etwas mit den Namen des Satans und des Teufels zu tun: Ist nicht der Ankläger der Lähmende, der Verwirrer der Verblendende (vgl. den apokalyptischen Gebrauch der beiden Namen: neben der Synagoge des Satans gibt es den Teufel als Vater der Lüge)?
Ist nicht die Blutmetaphorik (im Kontext des Kelchsymbols) eine bewußte Verletzung (Aufhebung?) des noachidischen Gebots?
Wird nicht ein zentrales kirchen- und dogmengeschichtliches Problem mitgelöst, wenn es gelingt, die Geschichte der Fälschungen (zusammen mit dem Phänomen der Eponymie) im Mittelalter anstatt personalisierend auf Priestertrug und Machtgier auf objektive gesellschaftliche Kräfte, auf die Zwangslogik der Profangeschichte, zurückzuführen? Liegt hier nicht auch der Schlüssel zur Lösung des Problems des Nominalismus (und des Problems der benennenden Kraft der Sprache)?
Der Begriff lebt vom Namen und vergewaltigt ihn zugleich. Die Gewalt der Urteilsform, die objektiv in der Astronomie sich konstituiert. Sind nicht die Todesstrafen allesamt Symbole der Urteilsform: von der Steinigung über das Schwert, das Hängen, das Verbrennen bis hin zur Kreuzigung. Die Juden haben gesteinigt, die Römer haben (nach Rezeption einer persischen Tradition) gekreuzigt, die Christen haben verbrannt.
Bezeichnet Kanaan gegenüber dem Hebräischen ein logisches oder ein historisches Prius?
Ist nicht der Bruch zwischen Natur und Geschichte der Abgrund, in dem die benennende Kraft der Sprache untergangen ist und aus dem Natur und Geschichte als getrennte Bereiche sich erheben?
Zu den drei Weisen aus dem Morgenland gehören der Balthasar, der mit dem Daniel etwas zu tun hat, der Melchior, der an den melech, die Königstradition, erinnert, und der Caspar: Wer ist das (hat Kasper des Puppenspiels etwas mit ihm zu tun)?
Die drei Leugnungen Petri lassen sich den räumlichen Dimensionen zuordnen:
– die erste (die Magd des Hohepriesters spricht Petrus an) enspricht der Beziehung vorn/hinten, Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
– die zweite (die Magd spricht mit den Umstehenden über Petrus) der Beziehung rechts/links, dem objektivierenden Denken und dem darin mit eingeschlossenen Verhältnis des richtenden Urteils zum verteidigenden Denken, und
– die dritte (die Umstehenden sprechen Petrus an) der Beziehung oben/unten: hier enthüllt sich das objektivierende Denken als vergesellschaftetes Herrendenken, als reine Verkörperung der Wut, die ihrem Objekt keinen Ausweg mehr läßt.
Interessant sind
– die zweite Leugnung: als Paradigma des Ursprungs des objektivierenden Denkens, und
– die dritte Leugnung: die Genesis der Wut (der Selbstverfluchung),
beide sind Folgen einer Theologie hinter dem Rücken Gottes (der ersten Leugnung).
Kohl
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3.5.1994
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27.4.1994
Sünde als Voraussetzung der Erkenntnis: Diese Erkenntnis wird durchs moralische Urteil (durch die Exkulpations-Logik des Schuldverschubsystems) zum Geschwätz neutralisiert.
Die grammatischen Begriffe sind insgesamt geronnene Handlungen, Verbalabstrakta; deshalb die Suffixe -ativ/-itiv (nominare: Nominativ, accusare: Akkusativ).
Woher stammt der Genetiv/Genitiv (oder der Infinitiv)? Hat er etwas mit dem generare (erzeugen) zu tun, und ist der Genitiv Repräsentant des Zeugungs- und Adoptionsverhältnisses in der Sprache (Ableitung von Herrschaft und Besitz aus der Hurerei)? Im Griechischen wird das bar (Sohn des) durch den Genitiv wiedergegeben. Und hat nicht in der Tat jedes Herrschafts- und Besitzverhältnis eine sehr tief reichende libidinöse Komponente? Liegt hier der Ursprung der biblischen Schwurpraxis (mit der Berührung der Lenden des Vaters, des Herrn), oder auch die Lösung des Problems der Beziehung des Schwurs zur Zahl Sieben (Beerscheba): Zusammenhang des Schwurs mit den Siegeln?
Im Hebräischen ist der Genitiv ein Nominalobjekt, der Akkusativ ein Verbalobjekt. Ist die Entfaltung des Deklinationssystems in den indogermanischen Sprachen eine Konsequenz der Neutrumsbildung und durch diese mit dem veränderten System der Konjugationen (der veränderten Beziehung der Verben zur Zeit) verbunden? Und verweist die Ursprungsgeschichte dieses Deklinationssystems auf die Geschichte Israels mit Kanaan (ist die Sprache wie das Land Kanaan Privateigentum und Gegenstand des Wertgesetzes, oder ist sie Gottes Eigentum)?
Ist der Baal die Urgestalt des Absoluten?
Die grammatischen Begriffe sind hypostasierte Adjektive, ihre Hypostasierung eine Folge der Trennung von Ding und Sache.
Die grammatischen Begriffe der indogermanischen Sprache sind Funktionsbegriffe, die der hebräischen Sprache, soweit sie nicht aus analoger Anwendung der indogermanischen Grammatik sich herleiten, haben die materiellen sprachlichen Bildungselemente als Grundlage (daher der Name der „hebräischen“ Schrift und Sprache?).
Bezeichnet das „Filius meus es tu, hodie genui te“ den Ursprung des Genitiv?
Definition der Ellipse: Geometrischer Ort aller Punkte, bei denen die Summe der Abstände zu den beiden Brennpunkten sich gleichbleibt. In der Konstruktion der Ellipse wird gleichsam der Radius des Kreis in seine zwei Richtungskomponenten (in das Sehen und Gesehenwerden) aufgespalten: Schlüssel zum Verständnis der elliptischen Planetenbahnen?
Zu den griechischen Sternensagen: Sind vielleicht die griechischen Mythen insgesamt Sternensagen (und historische Sagen zugleich)? Und haben wir nicht durch das Tabu über die Astrologie (über das Problem ihrer logischen Konstitution) den Schlüssel zu den Mythen verloren? Ist die Astrologie der Turm, der bis an den Himmel reicht (Turmbau zu Babel, Ursprung des Mythos und der Herrensprache)? Und sind Spuren davon nicht noch in den divinatorischen Traditionen (die der Römische Imperialismus dann als Gefahr wahrgenommen und verboten hat) enthalten (Haruspizien, Auguren: Leberschau und Vogelflug)?
Wäre es nach Erfindung des Fernsehens nicht an der Zeit, zu Platons Höhlengleichnis endlich die Konstruktion der Höhle zu entschlüsseln? Ist die platonische Höhle ein Bild der Hölle, von der es in der Bibel heißt, daß ihre Pforten sie (die Kirche) nicht überwältigen werden?
Ist nicht der technische Fortschritt eingebunden in ein System von Entsprechungen; sind nicht die Gestalten der Naturbeherrschung ebenso Formen der Herrschaft in der Gesellschaft und Gestalten der Selbstverblendung in der Theologie im Kontext des Herrendenkens?
In Küng und Drewermanns Ägyptophilie ist die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens aufgebrochen, der Wunsch nach Wiederherstellung des Sklavenhauses.
Kontrafaktische Urteile gehorchen der Logik des Stammtischs; sie leben von der fatalen Gnade der späten Geburt (dem Privileg des Besserwissens). Sie sind die ohnmächtigen Erben der Magie, die, wenn sie ihrer Ohnmacht bewußt wird (und den Drang zu handeln in sich verspürt), faschistisch wird.
Wenn Kohl das Urteil der Geschichte reklamiert, dann gründet das in seinem Glauben an die Kraft der kontrafaktischen Urteile.
Die historische Bibelkritik wird zwangsläufig antisemitisch, wenn sie das Problem der prophetischen Geschichtsschreibung, der Beziehung von Prophetie und Geschichte, oder auch das Problem der Grenzen der objektivierenden Erkenntnis in der Geschichte, verdrängt (vgl. Nietzsche, Rosenzweig, Benjamin).
Wenn sich Biblische Texte des „Alten“ wie des „Neuen“ Testaments) dem historisch-kritischen Blick in verschiedene Quellen auflösen, so gründet das in dem gleichen Gesetz, nach dem im Stern der Erlösung das All nach seiner Konfrontation mit der Todesfurcht in seine Elemente auflöst. Die Quellentheorie ist das Opfer der gleichen Logik, die Franz Rosenzweig durch Reflexion zu durchdringen und zu begreifen versucht hat. Die Rosenzweigsche Reflexion der Todesfurcht ist die Antwort auf ihre philosophische Instrumentalisierung, deren direkte Produkte die Opfertheologie, das Dogma und die Bekenntnislogik sind: Seit ihrem Ursprung hat sich die Theologie geweigert, den Kelch zu trinken, auf den die Getsemane-Geschichte sie so deutlich verweist. So ist sie zur Theologie hinter dem Rücken des lieben Gottes geworden.
Am Brotbrechen haben ihn die Jünger in Emmaus erkannt, aber den Kelch wird er erst im zukünftigen Gottesreich mit ihnen trinken. -
20.11.93
Ist nicht der Name des Flavius Josephus und sein Ursprung (Annahme des Flaviernamens aufgrund seiner Beziehung zum Flavier Vespasian) der Schlüssel zum Verständnis der Namen Paulus und Augustinus?
Spricht Kohl nicht heute an genau den gleichen Stellen von „Geschichte“, an denen vor zweihundert Jahren von „Natur“ gesprochen worden wäre?
Die Entdeckung des Winkels (durch die Griechen) ist die Entdeckung der Orthogonalität; sie war der entscheidende Schritt zur „Überwindung des Mythos“ und die Voraussetzung der Begriffsbildung (als Modell der Trennung und Beziehung von Begriff und Objekt, Welt und Natur). Wird die Orthogonalität nicht symbolisiert durch die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (sind die Hörner der Tiere nicht Objekte ihrer Reflexion im Medium der Gewalt)? Wenn der Name der Sünde mit dem Sondern, Trennen zusammenhängt: trifft er dann nicht exakt die Orthogonalität?
Die Orthogonalität ist der Grund der Äquivalenz aller Richtungen im Raum (der Reversibilität aller Geraden im Raum); sie hat wie das Gleichnamigmachen des Ungleichnamigen mit der mathematischen Operation der Division zu tun (alles wird auf ein gemeinsames Maß: auf den gleichen „Nenner“ bezogen). Durch die Orthogonalität wird die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt, sie ist der Grund des Nominalismus. Personalisiert wurde das Prinzip der Orthogonalität (das verwirrende Prinzip in der Sprache) im diabolos, den die Schrift den Vater der Lüge nennt.
Zu Spenglers Bemerkung, daß die Stelle, die in der Alten Welt die Skulptur einnimmt, in der modernen Welt von der Musik besetzt ist: Man kommt der Sache näher, wenn man die Musik als den Versuch begreift, die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen, während die Skulptur auf die Geschichte der Vergöttlichung des Opfers (auf den Ursprung des Götzendienstes) verweist.
Hat die fette Henne im Deutschen Bundestag, die sich für einen Adler hält, aber wahrscheinlich nur noch die politische Hackordnung repräsentiert, etwas mit dem Hahn zu tun?
Hat nicht die Anthroposophie insofern Anteil an der christlichen Entstellung der Tradition, als sie teilhat an der Privatisierung (und Verdinglichung) der Wahrheit? -
04.10.93
Die Anschauung verletzt das Bildergebot, ihr ist das Gesetz der Verdinglichung einbeschrieben.
Ist nicht das Präsens in jeder Hinsicht eschatologisch: das Ende des Alten und der Beginn des Neuen?
Muß man den hegelschen Satz, wonach die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, nicht heute dahin verschärfen: daß der bürgerliche Reichtum jetzt aus seinen eigenen Prämissen und Voraussetzungen die Armut und den Pöbel erzeugt?
Stämme, Völker, Sprachen und Nationen: Ist das nicht aufzuschlüsseln nach: Genealogien, Königtümern (Tempel und Opfer), Sprachen, Städte (Geldwirtschaft, Handel)?
Zum Kerub mit dem kreisenden Flammenschwert: Thront nicht Gott auf den Keruben, und ist nicht der Himmel sein Thron (und die Erde der Schemel seiner Füße)? Aber heißt es nicht auch: Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst (und das kreisende Flammenschwert zurückgenommen) sein?
Das Bekenntnis ist undialogisch: das gemeinsame Bekenntnis von Einsamen.
Wenn Kohl vom Urteil der Geschichte spricht, denkt man nicht dann an den zukünftigen Tatenruhm, der den toten Helmut überleben soll? Aber ist der Toten Tatenruhm nicht heute durchsetzt von dem Leichengift und dem Leichengeruch von Auschwitz?
Ist nicht Brechts „Der Schoß ist fruchtbar noch“ noch zu harmlos, beginnt nicht die Vergangenheit, aus der Auschwitz hervorgegangen ist, heute Auschwitz zu überleben? Und war es nicht genau das, was Heitmann zum Ausdruck gebracht hat?
Hat Auschwitz nicht in der Tat der Opfertheologie (der theologischen Instrumentalisierung des Kreuzestodes) die Grundlage entzogen, und ist der Hinweis in den Elementen des Antisemitismus (in der Dialektik der Aufklärung) nicht doch endlich ernst zu nehmen?
– Ein undeutliches Bild aus der Kindheit: Es ist Winter, draußen liegt Schnee, ich stehe in der Küche am Küchenfenster. Draußen ist jemand mit einem Schlitten, der mich auffordert, herauszukommen und auf dem Schlitten mitzufahren. Aus einer Wunde (wessen Wunde es war, weiß ich nicht mehr) tropft Blut in den Schnee, und ich bin nicht mehr dazu zu bewegen, nach draußen in den Schnee zu gehen.
– Kann es sein, daß es am Rande (neben dem realen Anlaß: den Gesprächen zuhause über Hitler und die wachsende Nazibewegung) eine Beziehung zur Frage des Fünfjährigen gibt, wann die Welt untergehen wird?
– Das Ganze wächst weiter, als ich in der Vorbereitungszeit vor der Erstkommunion auf Geschichten aus der Märtyrerzeit stoße, die mir klarmachen, daß man nicht Christ sein kann ohne die Bereitschaft, im Ernstfall auch physisches Leiden auf sich zu nehmen.
– Das nächste ist die Geschichte der Operation, der ich mich als 16-jähriger habe unterziehen müssen, eine Operation an einer für einen Jungen in diesem Alter sicher empfindlichsten Stelle: eine Phimose-Operation. In dem Lazarett (1943, ich war Luftwaffenhelfer), in dem die Operation vorgenommen wurde, lag im gleichen Zimmer ein SS-Unterscharführer, der von seiner Beteiligung an den Judendeportationen aus Holland erzählt. Hat sich vielleicht die Erinnerung an die Operationen mit Vorstellungen über eine Beschneidung vermischt? – Aber die Operation war ebensowenig eine Beschneidung wie Auschwitz ein Holocaust war.
Hängen meine Ängste bei physischen Eingriffen, von der Blutentnahme beim Arzt bis zur Zahnarzt-Behandlung, mit diesen Erinnerungen zusammen? Und reicht das nicht mit hinein in die (zweifellos aus der christlichen Sexualmoral erwachsene) Vorstellung, daß Sexuelles an den Grund der Welt rührt (in welcher Beziehung steht die Sexualität zu den objektivierenden, verdinglichenden Logiken des Inertialsystems, der Geldwirtschaft und des Bekenntnisses)?
Das Werk der subjektiven Formen der Anschauung (insbesondere der Form des Raumes) ist die Vernichtung des Angesichts. -
22.09.93
Nach Flavius Josephus symbolisieren die vier Farben im Vorhang des Tempels die vier Elemente:
– Scharlach: das Feuer,
– Weiß: die Erde,
– Blau: die Luft und
– Purpur: das Meer.
Sind die „vier Vokale“, die nach Flavius Josephus auf der Kopfbinde des Hohepriesters geschrieben sind, die des Tetragrammaton, die vier Buchstaben des Gottesnamens? Wie verhält sich diese Tradition zum bibelwissenschaftlichen „Jahwä“?
Wer die Religion vollständig auf die Gesinnungs- und Bekenntnisebene schiebt, leugnet die Erkenntnisforderung und den Erkenntnisanspruch der Religion. Diese Beziehung zur Erkenntnis ist im Christentum nach dem Urschisma durch die Gnosis verstellt worden.
Wenn Hegel in der Rechtsphilosophie den Monarchen aus der Logik des Systems ableitet, so rührt er damit an die Logik des Namens. Und er bezeichnet zugleich den Punkt, an dem die messianische mit der Königstradition zusammenhängt.
Sind nicht der Urknall, der schwarze Hohlraum und das schwarze Loch projektive Verkörperungen der Verdrängung des Namens, und stehen sie nicht in einer systematischen Wechselbeziehung (die aus der Logik des Inertialsystems sich müßte ableiten lassen)?
Ist das bara in Imperfektum oder ein Perfektum (Produkt einer nicht abgeschlossenen oder einer abgeschlossenen Handlung)? Oder kommt dieses Verb in der Schrift in beiden Formen (bei Buber erkennbar als „schuf“ und „hat geschaffen“) vor, allerdings mit differerierenden Konnotationen (bis hin zum Gottesnamen)? Und wie verhält das Schaffen zum Machen? Vgl. hierzu den Wechsel in Gen 24a,b:
– vom Imperfekt zum Perfekt, mit anschließender Versetzung in die Vergangenheit („Zur Zeit, da …“) und Änderung des Verbs (von schaffen zu machen),
– von Elohim zu Elohim JHWH und
– von „Himmel und Erde“ zu „Erde und Himmel“ (Vertauschung der Folge der Objekte): aus der unabgeschlossenen Schöpfung von Himmel und Erde wird die abgeschlossene Schöpfung von Erde und Himmel.
Die Unterscheidung der „Quellen“ orientiert sich nicht nur am Gebrauch des Gottesnamens. Welche anderen sprachlichen Kriterien liegen ihr noch zugrunde? Kann es nicht sein, daß sich dahinter ein kompositorisches Element verbirgt?
Läßt sich Bubers Bibel-Übersetzung nicht unter dem Stichwort Ästhetisierung kritisieren (vgl. das „Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser“, in dem das Tätige des Brütens zu einem artistischen Akt wird)? Spielt das nicht mit herein, wenn die Armen, die Fremden, das Opfer, der Geist, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Barmherzigkeit und andere aus dem Text verschwinden? Was wird aus dem Zorn?
Natur ist der Inbegriff aller Objekte, die der Herrschaft der Vergangenheit unterworfen sind, während der Weltbegriff Vergangenheit und Zukunft dadurch trennt, daß er die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert (nur unter der Herrschaft der Vergangenheit sind Zukunft und Vergangenheit getrennt). Auf diesen Schnitt beziehen sich die Schwertsymbole: vom kreisenden Flammenschwert des Kerubs am Eingang des Paradieses bis zur Duchschlagung des Gordischen Knotens durchs Schwert des Alexander. Konstituiert das Schwert die Zeit, indem es sie von der Ewigkeit trennt, sie der Vergangenheit unterwirft?
Wer ist Malchus?
Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch (oder: Schwerter zu Pflugscharen): Sind die subjektiven Formen der Anschauung (und ist das Inertialsystem), und mit ihnen das Reich der Erscheinungen, das Werk des Schwertes? Begründet das Schwert mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (und der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit) auch den Begriff des Wissens und die Trennung des Natur- und Weltbegriffs?
Steht nicht die Natur unter dem Bann der Subjektivität? Und ist nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ zu radikalisieren durch die Kritik des Naturbegriffs selber?
Ärgernisse müssen kommen, aber wehe denen durch die sie kommen: Ist dieser Fluch nicht auch ein Segen (und ein Fluch nur für die, die den Segen darin nicht sehen)?
Die Wahrheit hat einen Zeitkern (Adorno): Dieser Satz wird mißverstanden, wenn man ihn relativistisch versteht.
Auch Herrschaftskritik ist vor der Gefahr des Herrendenkens nicht gefeit.
Problem der Chronologie: Die sogenannte Tiefenzeit ist ein Versuch, den Naturbegriff so zu verankern, daß er unwiderlegbar wird. Mit der Tiefenzeit kapituliert das Subjekt endgültig vor dem Bann, den es selbst über die Natur legt. Jeder Bann aber ist ein Todesbann.
Nicht nur die Rettung der vergangenen Hoffnung, sondern die Errettung der vergangenen Zukunft (gegen das „Prinzip Hoffnung“).
Wer sind heute die Aussätzigen: Gehören dazu nicht auch die Objekte des Vorurteils, die Juden, die Frauen, die Ausländer?
Gibt es eigentlich keinen Theologen, dem beim Kohlschen Wort vom „Umdenken“ (ähnlich wie damals beim Ehrhard-Wort von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“) etwas einfällt? (Es paßt zu einem geistigen Klima, in dem die Reichen die Armen sind, die sich für das Ganze aufopfern.) Ist die Theologie schon so verderbt, daß ihr Gegenteil sich als ihre Verkörperung ausgeben kann (vgl. die „Theologen“ in der CDU, mit denen sich Kohl jetzt umgibt: Hintze und Heitmann, während er bei die Besetzung der Fachressorts Wirtschaft und Finanzen Fachleute um jeden Preis zu meiden versucht). Die Regierungsmannschaft Kohls wird durch das Feuer kabarettistischer Kritik nur noch gestählt (mit Hilfe der Theologie).
Stichwort „falsche Propheten“ (vom Deuteronomium bis zum NT, insbesondere auch in der Apokalypse): Das Problem sind nicht die falschen Propheten selber, sondern das Problem ist eine Politik, die wie ein Magnet die falschen Propheten anzieht. Die falschen Propheten sind am projektiven Gebrauch der Diskriminierungslogik (am instrumentellen Gebrauch der double-bind-Falle) erkennbar:
– „Asylantenflut“: wir überschwemmen die Welt mit der Armut, die wir nach draußen exportieren;
– die Xenophobie ist der Spiegel des Schreckens, den wir in der Welt verbreiten;
– die „Banden-Kriminalität“ (Begründung des „großen Lauschangriffs“) das Spiegelbild der realen Politik und Ökonomie: des Überfalls und der Beraubung der Armen).
Zugleich wird der Anspruch der Religion durch die projektive Ausmalung ihrer raf-Variante: des Fundamentalismus (den es zugleich tatsächlich gibt) destruiert.
Der Weltbegriff als Instrument der Schizophrenisierung: Psychose-Generator.
Das Buch Hiob ist nicht die Antwort auf das Theodizee-Problem, sondern der Nachweis, daß bereits die Frage (notwendig und) blasphemisch ist. Es beschreibt die Grenzen der Urteilskraft, dazu braucht es den „Ankläger“.
Wer nachweist, daß Äpfel keine Birnen sind, hat damit nicht nachgewiesen, daß es keine Birnen gibt.
Ist nicht die große Musik, spätestens seit Bach, der ohnmächtige, aber keineswegs hilflose Versuch, das Problem des Nominalismus (auch des double bind, der Trennung von Ton und Inhalt eines Satzes) zu bestimmen?
Ein Text, der es nicht erträgt, daß Worte in ihm auch gegensätzliche Bedeutungen repräsentieren, kann nicht wahr sein. Der Nachweis, daß ein Text Widersprüche enthält, ist nicht in jedem Falle eine Widerlegung.
Der ontologische Gottesbeweis hat die Selbstoffenbarung Gottes im brennenden Dornbusch neutralisiert (und die Persil-Reklame antizipiert).
Wer die Erfindung der Schrift als technisches Problem begreift, neutralisiert das Problem anstatt es zu lösen. Welches gesellschaftliche (und sprachlogische) Interesse liegt der Erfindung der Schrift zugrunde? Gibt es einen Staat ohne Schrift?
Das Schlimme heute ist, daß unsere Theologie erinnerungslos Abschied von ihrer eigenen Vergangenheit zu nehmen versucht. So macht sie sich selbst zum Agenten des Hasses der Welt. Nur so (durch Identifikation mit dem Aggressor) glaubt sie, selbst der Angriffszone dieses Hasses sich entziehen zu können.
Haben sich nicht alle am Schicksal der raf mitschuldig gemacht, die damals wußten, daß Analysen der raf so falsch nicht waren, dieses Bewußtsein aber verdrängten, weil sie gegen die Sympathisanten-Hetze hilflos waren.
raf und Scheiterhaufen: Beide sind falsche, instrumentalisierende Verkörperungen des Feuers (und seiner Beziehung zum Opfer und zur Sünde der Welt; Zusammenhang des Scheiterhaufens mit der Geschichte der Alchemie, der „Goldmacherkunst“).
Nur von der Sünde wider den Heiligen Geist heißt es, daß sie weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben werde, während es heißt, daß, wer den Vater und den Sohn leugnet, der Antichrist sei (1 Joh 222).
Ist der Feminismus nicht zunächst ein Symptom, nur in einigen Verkörperungen auch schon der Ansatz zu einer Lösung (Elisabeth Schüßler-Fiorenza, Rosemary Radford-Ruether, Mary Daly)?
Ist nicht durch die Logik des Weltbegriffs das Sein zum Haben anderer geworden? Darin gründet die verandernde Kraft des Seins, wird das Sein zu einem Moment im gesellschaftlichen Schuldzusammenhang (als dessen innere Reflexion die Heideggersche Fundamentalontologie zu begreifen ist).
Lassen sich die englische und die deutsche Sprachlogik nicht an der Form der gesellschaftlichen Anrede erkennen: Im Englischen ist die zweite Person sing. mit der zweiten Person plural (you) identisch, im Deutschen reden sich Erwachsene mit dem Personalpronomen der dritten Person plural (Sie) an: Hängt das nicht mit der Beziehung des Seins zum to be zusammen?
Durch den Begriff des Wissens wird die Wahrheit auf Objekte bezogen (als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand definiert). -
20.08.93
Der Himmel ist die Einheit der Extreme, hat er etwas mit dem Blutsymbol zu tun, und mit der (prophetischen) Erfüllung des Wortes: dem Namen? Ist der Himmel nicht das in den oberen Wassern gebundene Feuer, der darin verschlossene Name? Und ist der gesellschaftliche und erkenntnistheoretische Begründungszusammenhang des Nominalismus nicht das Wasser (die Sintflut), in dem der Name erloschen ist? Ist der Nominalismus das Wasser, das den Meeresboden bedeckt, auf das die Gotteserkenntnis die Antwort ist?
Steckt nicht im Kern des Naturbegriffs der Tod, drückt darin nicht seine konstitutive Beziehung zur Herrschaft sich aus? Und wurde nicht die Todesstrafe abgeschafft, nachdem im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft die Todesfurcht als Grund der Herrenfurcht in anderen („existentiellen“) Tatbeständen begründet werden konnte? Ist nicht seit Getsemane der Schweiß des Angesichts, der seit dem Sündenfall zur Arbeit gehört, mit Blut vermischt? Und ist nicht der im Sündenfall gründende Tod der Herr der Welt; aber ist dieser Herr nicht einer, der seine Macht aus unsern Händen empfängt, und ist nicht das die Sünde der Welt? Gründet nicht jede Herrschaft in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: in der Todesinfektion?
Stark wie der Tod ist die Liebe. (Hl 86) Aber nur stark wie, nicht stärker als der Tod.
Ist die kantische Erkenntnis, wonach die Vernunftideen nur regulative, nicht konstitutive Bedeutung haben, nicht ein anderer Ausdruck für das, was Levinas die Asymmetrie in der Ich-Du-Beziehung genannt hat, oder für das Benjamin-Wort „Überzeugen ist unfruchtbar“? Ist sie nicht zugleich eine Begründung der Notwendigkeit von Erinnerungsarbeit, und enthält sie nicht den genauesten Einspruch gegen die Instrumentalisierung der Marxschen Theorie aus Herrschaftsgründen? Widerlegt sie nicht die Wertphilosophie? Die kantischen Vernunftideen respektieren die Grenze zwischen mir und dem anderen, sie verhindern die Xenophobie schon dem Grunde nach.
Die Unterscheidung zwischen der (erlaubten) regulativen und der (verbotenen) konstitutiven Bedeutung der Ideen ist eine Anwendung und Präzisierung des jesuanischen Satzes „Richtet nicht …“.
Ist die Xenophobie nicht ein Ausfluß der inneren Logik des Herrendenkens? Gründet sie nicht in dem vom Objektivierungsprozeß unablösbaren projektiven Element?
Sind nicht die Empfindungen, die mit der Trennung der primären und sekundären Sinnesqualitäten erst sich konstituieren und entspringen, Produkte der Selbstobjektivierung; verweist darauf nicht der Regenbogen in der Sintflut-Geschichte?
Gibt das johanneische Komma nicht auch mit seiner trinitarischen Ergänzung Sinn?
Gegen die Kollektivscham: Hängen Scham, Blut und Feuer zusammen? Ist die Scham die Pforte der Hölle?
Wie verhalten sich die Scham und der Zorn: Beide treiben die Röte ins Gesicht, aber während die Scham sich nach innen richtet, geht der Zorn nach Außen? Wie verhalten sich Scham und Wut (ist nicht die Wut ein Zorn, der in Scham verstrickt bleibt)?
Rühe, Seiters, Bohl und Schäuble: die Metastasen des Aussitzens. Aber ist Kohl dem Kanther gewachsen?
Sind nicht die Beziehungen von Engels zu Marx, von C.G. Jung zu Freud und die der Kopenhagener Schule zu Einstein vergleichbar? Aber sind dann nicht doch auch die Differenzen zu beachten:
– das Verhältnis von Engels zu Marx war von großer menschlicher und theoretischer Solidarität geprägt,
– das C.G. Jungs zu Freud hingegen war bestimmt durch das intri-gantische Renegatentum die Ranküne Jungs und
– das der Kopenhagener Schule zu Einstein durch einen von der Verachtung des „Spinners“ durchsetzten Respekt vor der moralischen und theoretischen Integrität Einsteins.
Der Hilfloseste von allen war offensichtlich Einstein. -
09.08.93
Ich bin im Begriff, etwas zu tun: Was bedeutet der Begriff in dieser Redewendung?
Prinzip der Aufklärung: Alles sehen, aber selbst nicht gesehen werden (das Erkenntnissubjekt und der Fernsehzuschauer): sich raushalten (Scham- und Schuldvermeidung). Die Wissenschaft und das Fernsehen sind ihrer eigenen Logik zufolge voyeuristisch und pornographisch zugleich.
Funktion des blendenden, den Ermittler unsichtbar machenden Lichts (eine Erfindung der Gestapo?): Liegt hier nicht die Wurzel des Scheins in Philosophie und Kunst (der Grund der Ästhetik)? Durch ihre Beziehung zu den transzendentalen Formen der Anschauung (zur transzendentalen Ästhetik) werden die Objekte der Erkenntnis zur Erscheinung: zu einer Totalität des Scheins (Schauspiel, Theater, Film, Fernsehen), die dann von den logischen Gesetzen des Welt- und Naturbegriffs beherrscht wird.
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Grund jeder Ästhetik (und ihres gegenständlichen Korrelats: des Mythos)?
Das Nichtgesehen-Werden-Wollen ist der Ursprung der Privatsphäre und aller Geheimnisbereiche seitdem.
Adornos Satz „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“ hängt mit dem Rosenzweigschen, daß man sich von der Last nur dann befreit, wenn man sie auf sich nimmt, zusammen. Ungeliebt fühlt sich nur der Schuldige. Die Leugnung der Schuld, die mir von andern nicht vorgeworfen werden kann, weil sie rechtlich nicht zurechenbar ist, wird als „Haß der Welt“ erfahren und führt zwangsläufig in die Paranoia. Bezeichnet nicht das Täuferwort in Joh 129 genau den Grund der Befreiung, der Erlösung?
Hebr. berit, griech. diatheke, Bund oder Testament: War nicht das Urschisma: die Feindschaft zwischen dem Mitinhaber und dem Erben der Firma, unvermeidbar (und war dies nicht der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehn), und ist nicht an dem Namen des „Alten Testaments“, der eine relationale, nicht eine historische Beziehung bezeichnet, doch festzuhalten? Sind nicht die Juden in der Tat in der Rolle des Bundes, wir dagegen in der des Erben, durch eine Todesgrenze, die den Erbschaftsfall hat eintreten lassen, vom Bund getrennt? Ist eigentlich das „Neue Testament“ schon der „Neue Bund“?
Das Bekenntnis ist ein Produkt der Anpassung der Umkehr ans Herrendenken, das es ohne Feindbild (die Juden), ohne Verräter (die Ketzer) und ohne Sexismus (den Genuß der Unterwerfung der Frauen und der Heiden) nicht gibt (das Bekenntnis hat die Theologie besoffen gemacht: aber die Betrunkenen merkens nicht mehr).
Kohl will den nächsten Wahlkampf mit dem Thema „Wirtschaftsstandort Deutschland“ führen. Das Thema wird also sein: der Überlebenskampf der Nation im internationalen Wettbewerb, oder wie es in dem vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit unterzeichneten Aufruf für die Genforschung in der Bundesrepublik hieß: Deutschland muß die Nummer 1 bleiben. Die Schamlosigkeit, mit der weiterhin eine Wirtschaftspolitik gegen eine Welt von Konkurrenten draußen und gegen den „Leistungsmißbrauch“ der Armen im eigenen Land betrieben wird, eine Wirtschaftspolitik, die im wörtlichen Sinne über Leichen geht und draußen die Verhältnisse schafft, gegen deren Rückwirkungen auf das eigene Land die (in der „Verteidigungspolitik“ und im Asylrecht) nötigen Vorkehrungen zu treffen sind, eine Wirtschaftspolitik, deren Botschaft an die Wähler ist: Nur wer stark ist, wer bereit ist, die Ellenbogen einzusetzen, hat Chancen, sich selbst durchzusetzen; eine Wirtschaftspolitik, deren oberster Grundsatz der nationale Egoismus ist (der gleiche, der in diesem Jahrhundert schon zweimal die Welt mit Krieg überzogen hat, nur heute anderer, „ziviler“ (aber vielleicht schon bald nicht mehr nur ziviler) Mittel sich bedient; wer unter die Räder kommt, hat’s auch nicht anders verdient, denn wir leben in einer Welt, in der jeder, sofern er den Gesetzen der Leistungsgesellschaft sich anpaßt, die Möglichkeit hat, sein Glück zu machen. Ist dies nicht das Drachenfutter für jene, für die wir uns dann alle wieder begeistert schämen dürfen? Wird hier nicht das Motto gepredigt: Augen zu und durch?
(außerdem:
– Kein Reichtum ohne Produktion von Armut, die wir nach draußen exportieren; aber ist nicht die Aufnahmefähigkeit draußen erschöpft? Gibt es noch eine Alternative zum Reimport der Armut (Kürzung der Sozialleistungen, Hilflosigkeit gegen die wachsende Arbeitslosigkeit, Ansteigen der Obdachlosenzahlen im Innern und der Flüchtlingszahlen draußen), und wie geht’s weiter, wenn auch hier die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist?
– Der Zwang zur Absicherung der für unseren Reichtum notwendigen Ressourcen (des Rohstoffbedarfs und der für die Belieferung notwendigen Verkehrswege) definiert die Rolle der Bundeswehr neu (Testfall: Somalia)?
– Wird nicht erstmals – und das in dem Augenblick, in dem die „freie Marktwirtschaft“ (die sich einmal eine Soziale M. nannte) über den Sozialismus gesiegt hat: damit die Mittel, die eigenen Probleme zu begreifen, beseitigt hat – die Politik auf ihren realökonomischen Grund zurückgeführt, und das in voller, nach innen wie nach außen explodierender Brutalität?
– Ist dieser Nationalismus nicht das genaue Pendant des überall explodierenden Nationalismus (nach dem Zerfall des Ostblocks, der die „Kräfte des Merktes“ endgültig freigesetzt hat, die mit dem Instrumentarium des moralischen Urteils nicht mehr zu beherrschen und vor allem nicht mehr zu begreifen sind), und die EG nur dessen Erfüllungsorgan (wird nicht die EG von Ministerialbürokratien beherrscht, die selber nur noch die Lobby der Wirtschaft sind – das Ende der Politik und ihre Neukonstituierung als Verwaltung als Grund der Entpolitisierung: jetzt kommt es nur darauf an, die Leute zu unterhalten, sie abzulenken, damit sie nicht merken was läuft)? Nicht bewußt und mit Absicht, sondern unter dem Zwang dessen, was die Verwaltung so gerne Sachzwänge nennt, ist sie zum bloßen Vollzugsorgan der Wirtschaft geworden.
War der moralische Impuls, den der Vietnam-Krieg ausgelöst hat (und mit ihm die 68er Bewegung bis hin zur raf), nicht doch im Kern ein ästhetischer, unpolitischer Impuls (politisch aus der Sicht der Zuschauer); wird es nicht jetzt zum erstenmal ernst: im Angesicht der Tatsache und des Gewichts der wirtschaftlichen Verflechtungen, die heute das Ganze zu einer explosiven Masse zusammenfügt. Die Frage ist: Wann wird die kritische Masse erreicht, die die Explosion auslösen wird, wie lange werden wir die selbstzerstörerischen Kräfte noch eindämmen können?
Kann es nicht sein, daß der gegenwärtige Weltzustand nur noch auf der Grundlage der Lehre von der Auferstehung zu begreifen ist? Und ist es nicht umgekehrt denkbar, daß die Angst vor dieser Einsicht in den gegenwärtigen Weltzustand der „Religion“, die in diesen Weltzustand bis ins Innerste verstrickt ist, den Boden entzieht?
Der Grund dafür, daß der Vietnam-Krieg noch aus ästhetischer Distanz kritisiert werden konnte (was der „Betroffenheit“ nicht nur nicht widerspricht, sondern durch sie geradezu bestätigt wird), lag darin, daß die Kritik der Naturwissenschaft (und damit die Kritik des „Naturgrunds von Herrschaft“) noch nicht als Teil der Gesellschaftskritik begriffen war (vgl. hierzu die Absetzbewegung Habermas‘ von der Frankfurter Schule).
Ästhetische Distanz: das ist das Werk der subjektiven Formen der Anschauung.
Wer heute mit dem Argument „Ich komme darin nicht mehr vor“ aus der Kirche herausgeht, sollte vielleicht einmal kurz darüber nachdenken, ob er damit nicht einen der letzten Widerstände gegen einen Weltzustand abbaut, in dem dann im allerwörtlichsten Sinne niemand mehr vorkommt (ob nicht die Rache, wie immer, den Falschen trifft).
DdA: Heute kein Land, in dem man nicht wegen einer falschen/ab-weichenden Meinung um sein Leben fürchten muß (heute überholt: man darf alles sagen, weil es keine Wahrheit mehr gibt). -
19.06.93
Securus adversus deos: Das war der Sinn des Götzendienstes in jeder Gestalt, die Menschen vor dem Angesicht Gottes zu schützen. Aber damit gerieten die Menschen in den Bann des Schicksals, über den sie dann mit dem Begriff und der Idee des Kosmos, der Welt, glaubten sich erheben zu können.
Götterdämmerung: Ist das ein Spezifikum des germanischen Mythos, oder gibt es Entsprechungen dazu in den Mythologien anderer Völker? Sind nicht überhaupt die Weltuntergangsvorstellungen seit dem Mittelalter mehr durch das germanische Erbe als durch christliche Traditionen bestimmt? Dazu: Kann es sein, daß insbesondere die deutsche Sprache (ihre innere Struktur: Deklination und Konjugation, Funktion der bestimmten Artikel und der Großschreibung, Funktion der Prä- und Suffixe usf.) die Logik der indogermanischen Sprache (Futur II, Neutrum, Komparativ und Superlativ) bis zur Selbstzerstörung des Namens, der benennenden Kraft der Sprache (Sprache Kohls) weitergetrieben hat? Und was bedeutet der Name Gott (Vater und Sohn), wodurch unterscheidet er sich von theos, deus (Zeus, Jupiter), Elohim, JHWH u.a.?
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der ins Subjekt verlagerte, zum Eisberg gewordene Rest der Himmel? Antizipiert die Trennung der inneren und äußeren Form der Anschauung die Trennung von Feuer und Wasser (Zeit und Raum)? Und ist nicht das Inertialsystem in der Tat der Spott und das Gelächter über die Dinge: das Schweigen Gottes.
Berith und diatheke: Das Testament ist ohne die Lehre von der Auferstehung nicht zu begreifen: Das Erbe ist die Aufhebung der Vergangenheit (der Inbegriff der göttlichen Verheißungen), nicht die Fortexistenz des Vergangenen (die Welt).
Gibt es eine Zusammenstellung der Zitate aus dem AT im NT (sortiert sowohl nach den Stellen des AT wie nach den Fundstellen im NT)?
Zur Bekenntnisfrage: Wenn ich frage, was Jesus davon hat, ob ich ihn als Sohn Gottes bekenne (anerkenne), kann die Antwort nur heißen: Nichts. Aber wie müßte die Antwort lauten, wenn ich frage, was ich davon habe? Führt die Beantwortung dieser Frage nicht auf das finstere Geheimnis der kirchlichen Tradition: die Geschichte des Dogmas als Geschichte der Exkulpationsstrategie und deren Verstrickung in die Herrschaftsgeschichte (auf die Frage nach dem Kelch)?
Theologie im Angesicht Gottes und Aktualität: Ergibt sich der Zusammenhang beider nicht aus der Idee des Ewigen, dem Begriff der Prophetie und dem des parakletischen Denkens (der Gegenwart des Zukünftigen: seiner Befreiung aus dem Bann der Vergangenheit)? -
18.06.93
Kann es sein, daß, wenn auch die Gottesfurcht, die Umkehr und das Nachfolgegebot beim Paulus nicht vorkommen, sie aber dennoch die Grundlage seiner Theologie sind und diese anders nur mißverstanden werden kann? Aber ist dann dieses Mißverständnis nicht die Grundlage der kirchlichen, dogmatischen Bekenntnis-Theologie?
Hat die augustinische Vorstellung, daß zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick des Leidens der Verdammten dazugehört, etwas mit dem Hegelschen Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, zu tun? Und weist das nicht darauf hin, daß die Rezeption der paulinischen Theologie von Anfang an durchs Tauschprinzip verhext war? Ist nicht das entsetzliche Mißverständnis der paulinischen Theologie noch eine Schicht tiefer anzusetzen, als Hans-Joachim Schoeps es tut, nämlich als die Verfälschung eines völlig unverständlich gewordenen symbolischen Konstrukts durch den Tauschprinzip-Realismus. Das wäre insbesondere anhand der Christologie und der Opfertheologie zu demonstrieren. Es käme vor allem darauf an, endlich die Kelch- und Blut-Symbolik genauer herauszupräparieren, sie aus der „Metzger-Theologie“ herauszulösen, und endlich von den kannibalischen Aspekten der Eucharistie-Lehre loszukommen.
Zu dem Satz „Ein Fluch Gottes ist der Gepfählte“ gehört auch das Wort vom Zornesbecher und Taumelkelch. Beides hängt mit dem Problem der Scham (der Schande), dem „Hinter dem Rücken“ und der Übernahme der Sünden der Welt zusammen.
Die wirklich gefährlichen Sätze, wonach Sühne nur durch das Blut geleistet werden kann, und daß Erlösung die Reinwaschung durch das Blut einschließt, daß Erlösung (nur?) auf die Vergebung der Sünden abziele (anstatt auf die Rettung der Welt), begründen die ungeheuerlichen Mißverständnisse, von denen die Kirche und ihre Lehre seitdem nicht mehr losgekommen ist.
Durch den Tauschprinzip-Realismus ist das Erlösungskonzept, das etwas ganz anderes meinte: nicht die Erlösung von der „entsühnten“ Welt, sondern die Rettung der Menschen mit der Welt, in ein Herrschaftsinstrument umgewandelt worden.
Der von Schoeps zitierte Satz aus der rabbinischen Tradition, wonach „die Tore der Umkehr … niemals geschlossen“ sein werden (S. 313), ist die jüdische Entsprechung zum dem christlichen „Die Pforten der Hölle werden sie nie überwältigen“.
Die Mathematik erinnert an die Geschichte von Hase und Igel: Die Mathematik ist der Igel, der, wo der Hase auch hinrennt, rufen kann: Ick bün all do. Und der Hase rennt sich die Seele aus dem Leibe. Aber sollten wir nicht doch endlich die Partei des Hasen und nicht die des Igels ergreifen?
Nach Wahlen gab es immer die „Elefanten-Runden“, welche Bezeichnung den Sachverhalt sehr genau traf: Sind nicht Elefanten dickfellig, empfindlich und nachtragend? Aber verstärkt sich heute nicht der zusätzliche Eindruck, daß Kohl immer mehr dazu neigt, sich mit Elefanten-Babys zu umgeben? Eine physiognomische Beurteilung des männlichen Teils des Kabinetts Kohl (die FDP-Minister eingeschlossen) wäre zweifellos vernichtend. Man weiß eigentlich nicht mehr, mit welchen Organen diese Politiker hören (genau so, wie es immer unerfindlicher wird, weshalb Bundestagsdebatten in den Medien übertragen werden).
Der Fehler des Julian Jaynes („Ursprung des Bewußtseins“) liegt darin, daß er das Produkt des entfremdeten Bewußtseins, das Unbewußte, in den Ursprung des Bewußtseins hineinprojiziert, eine Rückkoppelung vornimmt, die so nicht zulässig ist.
Ist nicht das apokalyptische Tier, sind nicht die verschiedenen Gestalten des apokalyptischen Tieres aus sprachlichen Sachverhalten zu rekonstruieren, und zwar genauer aus den Mechanismen der Vergesellschaftung und Instrumentalisierung der Sprache, mit der Mathematik im Kern? Ihr Platzhalter im Subjekt sind die kantischen subjektiven Formen der Anschauung. Die subjektiven Formen der Anschauung gewinnen diese Funktion erst durch die Trennung des Anschauens vom Licht, nach dem Herauspräparieren des Angeschautwerdens aus dem Anschauen, nach dem Herauspräparieren der Scham und der Schuld und deren gegenständliche Neutralisierung im Begriff der Materie: durch die Zerstörung des Angesichts; bezieht sich hierauf nicht das biblische Symbol des Blutes? Das Verbot des Blutvergießens und das des Genießens von Blut meint eigentlich das Verbot, sich jener Paranoia zu überantworten, aus der der Materiebegriff entspringt (Zusammenhang mit dem Naturbegriff und mit dem Gebrauch des Namens der Barbaren). Wer Blut genießt, trinkt vom Taumelbecher des göttlichen Zorns. Hier liegt die Lösung des Rätsels der Genesis der Mordlust. Was der neue Katechismus „bedauerliche Vorkommnisse“ nennt, sind die Folgen davon, daß die Kirche den Kelch getrunken hat.
Der Tauschprinzip-Realismus ist transzendentallogisch in den subjektiven Formen der Anschauung begründet, verstärkt durch die These, daß diese der kritischen Reflexion sich entziehen. Er läuft auf die dann ebenfalls nicht mehr reflektierbare Konsequenz hinaus, daß Umkehr nicht möglich sei, und auf die Leugnung des Satzes, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden. Unter dem Gesetz dieses Tauschprinzip-Realismus steht schon das augustinische „ad litteram“. Es steht schon unter dem Gesetz des Nominalismus, der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache.
Wer vor der Gottesfurcht flieht, kann sich aus der Unschuldsfalle nicht mehr retten. Zu Paulus und zur dogmatischen Tradition der Christologie und Opfertheologie: Zu klären wären ihre Beziehungen zur Gottesfurcht, zur Umkehr und zum Nachfolge-Gebot. -
06.06.93
Ursprung der Flexionen in der sumerischen Sprache: Sind nicht die Prä- und Suffixe insgesamt Determinaten? Hängt nicht die Bildung der Flexionen, die ja auch Kombinationen von Prä- und Suffixen sind, mit diesem Ursprung in den sumerischen Determinanten zusammen?
Drogen und Alkoholismus: Kann es sein, daß der Drogenkonsum im Sinne der Bikameralitätstheorie die linke Hemisphäre des Gehirns außer Funktion setzt, der Alkohol (als reine Zivilisationsdroge) die rechte? Der Drogenkonsum führt hinter die Zivilisationsschwelle zurück, der Alkoholkonsum macht sie erträglich und stabilisiert sie (Taumelbecher). Aber wie steht es dann mit dem Rauchen: Leugnet es die Gebete der Heiligen?
Nur dort, wo die Sprache nicht mehr hinreicht, bedarf es der Gewalt; aber was mit Gewalt (mit Hilfe des Rechts) durchzusetzen ist, ist nicht die Moral, sondern ihr Schein.
Die Bekehrung ersetzt nicht die Umkehr.
Der Raum als subjektive Form der Anschauung ist die höhnische Kälte, mit der wir heute die Welt ansehen; und die kantische Philosophie (die Kritik der reinen Vernunft) war der Anfang des Bewußtseins, und damit der Heilung davon.
Taub, blind und besessen: Hat das etwas mit leer, gereinigt und geschmückt, und haben beide mit den drei evangelischen Räten, Armut, Gehorsam und Keuschheit zu tun? Heilt nicht der Gehorsam die Taubheit, die Armut die Blindheit, und befreit die Keuschheit von der Besessenheit (und diese Besessenheit ist eine siebenfache)?
Zu den Grundproblemen der Europäischen Gemeinschaft gehört das Währungsproblem. Aber um dieses Problem zu begreifen, wäre es notwendig zu ermitteln:
– Welche Sparten der Wirtschaft profitieren von der Währungsstabilität und welche werden benachteiligt und müssen den Preis zahlen;
– oder umgekehrt: welche Sparten profitieren von einer inflationären Geldpolitik und welche werden davon benachteiligt. Hieran ließe sich das Problem des Ex- und Imports der Armut demonstrieren, oder die Wahrheit des Hegelschen Satzes, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern. Jede Geldpolitik ist eine Marktorganisationspolitik und wie diese interessengebunden.
Der Gedanke, daß mit der Wissenschaftsorganisation und mit dem Kanon der Wissenschaften auch ein gesamtgesellschaftlicher Verdrängungsapparat produziert und tradiert wird.
Jesus und der Tempel:
– Nach seiner Geburt wurde er im Tempel „dargebracht“,
– der zwölfjährige Jesus „lehrt“ im Tempel,
– und der erwachsene Jesus „reinigt“ den Tempel von Händlern und Geldwechslern, und bei seinem Tod reißt der Vorhang vorm Allerheiligsten entzwei.
„Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Sie erkannten, daß sie Objekt für andere waren, und darauf reagiert die Scham, sie ist eine Objektreaktion.
– In der Rosenzweigschen Konstruktion des Sterns der Erlösung vertritt der Mensch die Stelle des Objekts (die Welt die Stelle des Begriffs und Gott die der Indifferenz beider).
– Scham, Materie, Feigenblatt und Tierfell: So, nämlich über den Begriff der Scham und über die Geschichte seiner naturgeschichtlichen und politischen Konnotationen, hängen der „Materialismus“ und das Keuschheitsgebot zusammen.
Nochmal zur Scham: Sind die seit Heuß begeistert sich schämenden Deutschen der Nährboden für den heute ausbrechenden Fremdenhaß? Wurde nicht mit der „Kollektivscham“ die Selbstwahrnehmung im Blick der Anderen (aus dem die Rechtsradikalen heute ausbrechen möchten) kanonisiert. Der Schambegriff hat die produktive Verarbeitung der Schuld unmöglich gemacht. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn kein Mitglied der Regierung Kohl bis heute den Mord zur Kenntnis genommen hat, sondern nur die Schande für den deutschen Namen und das Urteil des Auslands. -
12.05.93
„Alle, die Deine Weisung lieben, empfangen Heil in Fülle.“ (Ps 119165, Einheitsübersetzung) Die gleiche Stelle wird im Sohar (Diederichs gelbe Reihe, S. 35) so übersetzt: „Friede viel denen, die Deine Thora lieben.“ Ist überall da, wo christlich vom Heil die Rede ist, der Friede gemeint? In der deutschen Übersetzung von Lukas und Johannes wird soteria (Rettung, wahrscheinlich über lateinisch salus) mit Heil übersetzt.
Welt und Natur verhalten sich nicht wie Familien- und Vorname, sondern wie die heute so beliebten Doppelnamen.
Das Problem der Metaphorik hängt mit dem der Vermittlung, und d.h. mit dem der Genesis des Nominalismus zusammen.
In Ps 119.126 wird, was Franz Rosenzweig mit „zernichten“ übersetzt, im Sohar mit „gebrochen haben“ übersetzt (S. 27). Steht dieses Zerbrechen für das Problem der Vermittlung und der Metaphorik? Und ist die Bruchstelle die Welt? Hegel hat den Anfang gemacht mit der Reflexion dieses Bruchs (als Reflexion des Urteils), nur daß Hegel, anstatt das Zerbrochene zusammenzufügen, den Bruch totalisiert.
Sind die drei evangelischen Räte nicht eine genauere Bestimmung dessen, was bei Johannes dem Täufer Umkehr, Buße heißt (vgl. auch die Buße im Buch Jonas)?
Ist nicht die Kirche als apostolische Bekenntnisgemeinschaft die auf der Basis des Weltbegriffs reflektierte Stammesgemeinschaft? Und ist nicht unsere Blindheit, Taubheit und Lahmheit durch die Kirche versiegelt: Wie hängen die Blinden, die Tauben und die Lahmen in den Evangelien mit den drei evangelischen Räten zusammen?
– Die Taubheit gehört offenkundig zum „Gehorsam“ (zum Herschaftssyndrom), aber wie lassen sich Blindheit und Lähmung der Armut und der Keuschheit zuordnen?
– Heilt die Keuschheit von der Blindheit (Verblendung), und die Armut von der Lähmung (inertia, Trägheit)?
Durch die Vergöttlichung Jesu wurde der Logos von der Schuldreflexion entlastet, damit aber auch die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt. So wurde der Logos zur Hypostase des Begriffs.
Im Gefängnis gibt es drei Ausbruchswege: das Durchsägen der Gitter, die Überwältigung des Wärters und der Tunnel durch den Boden. Auf jeden Fall ist es falsch, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
Der Weltbegriff enthält in sich ein dezisionistisches Moment: Quellpunkt des Gewaltmonopols des Staates. Das Ordnungsprinzip, das der Weltbegriff repräsentiert, wirkt durch Gesetze; diese aber sind durch Strafen in der Realität zu verankern. Das Strafbedürfnis in der Gesellschaft ist ein Gradmesser des historischen Stands der Geschichte des Weltbegriffs: der „Verweltlichung der Welt“.
Der Verlust der Fähigkeit, die subjektiven Formen der Anschauung zu reflektieren, ist Produkt einer Entscheidung: Darin steckt das dezisionistische Moment. Der Begriff des Wissens verdankt sich der Abstraktion von der Schuldreflektion: Deshalb ist dieses Abstraktiosngesetz in die Grundlagen des Wissenschaftsbetriebs mit eingebaut.
Bezeichnet nicht die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie aufs genaueste die Vergöttlichungsfalle, in die das Christentum hineingeraten ist? Um den Kreuzestod instrumentalisieren zu können, mußte Jesus nachträglich noch zweimal totgeschlagen werden: als Gott und als Mensch.
Die gesamte Geschichte der Verweltlichung läuft über den Naturbegriff.
Die Übersetzung von Nachfolge mit „imitatio“, ein Wort, das wiederum mit Nachahmung und nicht mit Nachfolge übersetzt werden müßte, liegt genau in der blasphemischen Tradition der dogmatischen Theologie. Hier wird die in Selbstmitleid gründende und Selbstmitleid produzierende Leidensmystik initiiert, die das reale Leiden in der Welt dem Blick und der Reflexion entzieht, die Reinheit der Sensibilität in die unreinen Gefilde der Empfindlichkeit transponiert und so das Gefühl (den Statthalter der inertia, der Trägheit im Subjekt) begründet, indem sie es demoralisiert. Die Empfindlichkeit ist Grund und Produkt der Sprachverwirrung (wäre an Kohl und der Kopenhagener Schule zu demonstrieren: beide stehen in der nominalistischen Tradition, sind Produkt der Unfähigkeit, sie durch Reflexion wieder sprachfähig zu machen).
Steht nicht die politische Nutzung von Sprachregelungen in einer Tradition, die ebenfalls theologischen Ursprungs ist, nämlich in der der Apologetik? Es gibt heute einen katholischen Positivismus (eine „Wissenschaftsgläubigkeit“), der die Autorität, den letzten, verwesenden Rest des Dogmas, mit Mitteln rechtfertigt, die die Fähigkeit zur Sprachreflexion im Grunde destruiert, die verhindert, daß das Wort nicht leer zu ihm zurückkehrt.
Kohl steht in der katholischen Tradition, die soweit ist, daß sie auch des Prinzips der Rechtfertigung entbehren kann. Das „Aussitzen“ Kohls ist ein Teil seiner Fähigkeit, mit der Methode des „Haltet den Dieb“ schon im vorhinein alle die Stellen zu besetzen, von denen der Angriff kommen könnte (von denen die Rechtfertigungszwänge ausgehen können). Es ist diese Herrschaft über die Definition der Mittel der politischen Auseinandersetzung, die ihm die Vorteile des Igels verschafft, der immer sagen kann „Ick bün all do“, während der Hase SPD sich die Seele aus dem Leibe läuft. Kohl braucht nur sitzen zu bleiben, um immer da zu sein, wo andere hinwollen.
Hat es eigentlich nicht immer schon diese Korrespondenzen in der Politik gegeben, die an Figuren wie
– Stalin und Hitler,
– Adenauer, Pius XII,
– Kennedy, Chruschtschow, Johannes XXIII, Brandt,
– heute an Kohl, Johannes Paul II, Gorbatschow und Jelzin, Reagan und Bush
sich festmachen läßt?
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