„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ (Frankfurt):
– Linda Reisch erinnert an Historikerstreit (FAZ) und Bitburg,
– die Sprecherin des S. Fischer Verlags daran, daß in den Medien die Opfer von Mölln namenlos gemacht werden.
– Dan Diner: Wiederholung der zwanziger Jahre (Zerfall der Imperien und Ursprung des Nationalismus; Vergleich: Deutsches Reich und Sowjet-Imperium); erinnert an Hannah Arendts Hinweis darauf, daß Staatsbürgerschaft und Menschenrecht untrennbar (Zitat Carl Schmitt); „multikulturelles“ Konzept diskriminiert die Minderheiten, die es schützen will (jüdische Erfahrung); Trennung der Staatsbürgerschaft von ethnischen Voraussetzungen. Erinnerung an die Bedeutung der Friehofschändungen.
– Metz hat die Konterbande in seinem Thema nicht bemerkt (verwechselte deshalb das „Die Blinden sehend Machen“ mit dem „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: das aufgedeckte Antlitz mit dem Aufdecken der Blöße; sowie die Empfindlichkeit mit der Sensibilität). Und zu dem Satz „theologus taceat in societas“ bliebe zu fragen: Liegt das nur an der societas?
Im übrigen war das Symposium insgesamt durch die falsche Fragestellung behindert (durch den Vorrang der Frage nach praktischen, und d.h. in diesem Zusammenhang: rechtlichen und verwaltungsmäßigen Lösungen, wodurch die mangelnde Sensibilität gegenüber dem Phänomen selber, wie schon im Zusammenhang des sogenannten Asylanten-Problems, nur verschärft wurde: das Xenophobie-Problem ist primär ein Erkenntnisproblem; und dieser Satz ist nicht zynisch, eher der Anfang vom Ende des Zynismus: der Anfang vom Ende der kollektiven Verblendung, ohne die es die Xenophobie nicht geben würde. Zu Adornos Einsichten in die Struktur des autoritären Charakters: der Igel, der vorgibt, das sei längst überholt, hat es nicht einmal eingeholt, er hat sich nämlich nicht von der Stelle bewegt. So glaubt Kohl, die Probleme aussitzen zu können – und die ganze politische Bagage bewundert seine politische Begabung.)
Kohl
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11.12.92
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08.12.92
„Tradition ist für ihn (sc. Halbwachs, H.H.) keine Form, sondern eine Verformung der Erinnerung. Dies ist der Punkt, an dem wir Halbwachs nicht folgen können.“ (Assmann, S. 45)
„Die Tatsache, daß nur Individuen auf Grund ihrer neuronalen Ausstattung ein Gedächtnis haben können, …“ (S. 47)
„Durch Erinnerung wird Geschichte zum Mythos. Dadurch wird sie nicht unwirklich, sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer normativen und formativen Kraft.“ (S. 52)
Das „gemeinschaftsstiftende und stabilisierende Totengedenken“ (S. 63) erinnert eher an die obszöne „Versöhnung über Gräbern“ (Kohl in Bitburg und Verdun) und an rechtsradikale Gräberschändungen als an das wirkliche Gedenken der Toten, das an der Idee der Auferstehung sich orientiert (der uneingelösten vergangenen Hoffnung). Der Hinweis auf Mao Tse Tung sollte an den Ursprung und die konkrete gesellschaftlich-politische Bedeutung von Mausoleen erinnern.
Im Zentrum der Vorstellung des „kulturellen Gedächtnisses“ scheint wirklich die Idee einer Vergangenheit zu stehen, an die man sich halten kann. Und genau diese Vergangenheit gibt es nicht, es sei denn als Deckbild objektiver Verzweiflung.
Wer die Beziehung zur Vergangenheit im Alten Ägypten und im mittelalterlichen Judentum so vergleicht wie Assmann (S. 69), hat wirklich nichts begriffen.
Interessant und weitreichend der Hinweis, daß der Staat zu den Bedingungen der Unsterblichkeitslehre im Alten Ägypten gehörte: „Ohne den Staat zerfallen die Rahmenbedingungen sozialer Erinnerungen; damit sind auch die Wege zur Unsterblichkeit blockiert.“ (S. 71)
„Nichts liegt näher, als die Annahme, daß die Ägypter als das Volk mit dem (nächst den Sumerern) längsten Gedächtnis aufgrund ihrer lückenlosen(!), in die Jahrtausende zurückreichenden(!) Tradition ein ganz besonders differenziertes und ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein entwickelt hätten.“ (S. 73) Fallen wir nicht mit dem angeblich langen Gedächtnis der Ägypter auf ein Konstrukt herein, das auch unserem Naturbegriff zugrundeliegt. Die Entdeckung der Tiefenzeit war zweifellos auch ein Versuch, den gegenwärtigen Zustand durch Einbindung in eine möglichst unendliche Vergangenheit zu stabilieren (zu „entzweifeln“). Von der Vergangenheit (von den Toten) soll keine Beunruhigung mehr ausgehen (das wäre der Sieg der Welt).
„Vergangenheit, die zur fundierenden Geschichte verfestigt und verinnerlicht wird, ist Mythos, unabhängig davon, ob sie fiktiv oder faktisch ist.“ (S. 76) Das ist Ausdruck und Folge der Verinnerlichung des Opfers.
Die Bemerkung, daß die Vernichtung des europäischen Judentums unter der Bezeichnung Holocaust Mythos geworden sei (S. 76), wird vor dem Hintergrund seiner Mythos-Definition endgültig böse.
Im Kontext „Historikerstreit“: „Man muß sich nur darüber klar werden, daß Erinnerung nichts mit Geschichtswissenschaft zu tun hat.“ (S. 77)
„Mythos ist die zur fundierenden Geschichte verdichtete Vergangenheit.“ (S. 78)
Zur Vorstellung einer homogenen Zeit gehört die andere Vorstellung, daß die Welt zu jeder Zeit den gleichen Gesetzen unterworfen ist. Diese in die Vergangenheit projizierte Voraussetzung hat Lyell in geologischem und paläontologischem Zusammenhang erstmals ausformuliert (vgl. St. J. Gould: Die Entdeckung der Tiefenzeit). Die gleichen Zusammenhänge machen die althistorischen Untersuchungen gelegentlich so unerträglich. In weltgeschichtlichem Kontext wird vergessen, daß die die Welt beherrschenden Gesetze nicht einfach nur gegeben, sondern auch von Menschen gemacht sind, und daß es nicht die gleiche Welt ist, die Homer mit Abraham und beide mit uns verbindet.
Ist nicht der „Kanon“ eine Art Referenzsystem, aber eines mit der Tendenz zur Verkörperung: zur Inkarnation.
Der methodologische Hauptteil beim Assmann dient nicht der Explikation des Problems, sondern seiner Verwischung, Verdrängung. Professoren-Wissenschaft: Er lebt und denkt in einer Welt, deren Grenzen von jenen bestimmt wird, die zugleich die Fachkarrieren bestimmen. So werden Außenseiter apriori ausgeschlossen (und nicht einmal mehr erwähnt: das betrifft sowohl Velikovsky und seine Nachfolger als auch Rosenzweig, Lukacz, Benjamin).
War die griechische Philosophie die Ausbreitung des Denkens nach allen Seiten und das Christentum der Versuch, die Höhen und Tiefen zu vermessen (Verwechslung von Gottesfurcht und Herrenfurcht als Folge der theologischen Rezeption des Weltbegriffs, abzusichern nur durch Trinitätslehre und Opfertheologie)?
Hegel hat die Opfertheologie verdrängt und ist an der Trinitätslehre erstickt. So war die Hegelsche Philosophie nicht das „Auto da Fe“ (Baader), sondern bloß der Selbstmord der bisherigen Philosophie. Allerdings – im gleichen Sinne, wie man von einem perfekten Mord spricht – ein perfekter Selbstmord.
Die christliche Sexualmoral, mit der Veurteilung der sexuellen Lust, entspringt genau an der Stelle, wo die Urteilslust aus dem Kontext des Sündenfalls herausgenommen und neutralisiert wird: im Ursprung des Weltbegriffs (in seiner theologischen Rezeption).
Das Rätsel Heidegger und die Lösung der sieben Siegel der Sakramente (Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe, letzte Ölung).
Die Vorstellung, daß kanonische Werke bestimmte „Werte verkörpern“ (Assmann), ist eine ausgesprochen autoritäre Vorstellung.
Hat der musikalische Begriff des Kanon etwas mit dem literarisch-„kulturellen“ zu tun?
Ist nicht der „Komplexitätsschub“ im griechischen fünften Jahrhundert (S. 123) eine Verharmlosung eines weit ausgreifenderen Sachverhalts (Krise des Mythos, Ursprung der Philosophie und des Weltbegriffs)?
Identität als kulturelle Identität, Ich-Identität, kollektive Identität (S. 127).Assmann, Baader, Benjamin, Christentum, Gould, Halbwachs, Hegel, Kohl, Lukacs, Lyell, Mao, Musik, Philosophie, Rosenzweig, Sexualmoral, Velikovsky -
29.11.92
Wie ein geiles Ross ist ein gehässiger Freund, unter jedem Reiter wiehert es. (Sir 336)
Woher kommt und was bedeutet der Begriff Kamerad? Zusammenhang mit camera, Kammer: Gefährte, Kammergemeinschaft (Kluge). Bezieht sich die „Kameradschaft“ nicht primär auf die Situation einer physischen, durch Front und Feind bestimmten Gefahrensituation? In rechten Gruppierungen üblich, Abgrenzung gegen Feind und Verräter, Zusammenhang mit (oder durch?) Xenophobie: Xenophobie als Mittel der Selbstdefinition (Antisemitismus). Zur Kameradschaft gehört der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ (gegen die Versuchung zur Identifikation mit dem Fremden). Ist nicht der Kamerad der „gehässige (verräterische) Freund“? Die Kameradschaft hält so lange wie die Frontsituation (das „Fronterlebnis“), außerhalb wird sie nur zusammengehalten durch die ambivalente Führerbeziehung (die in der Gegenrichtung das Gegeneinander-Ausspielen der Kameraden mit einschließt). So hängt die Rolle des Soldaten (und die des Polizisten) zusammen mit Mord und Vergewaltigung. – Dekonstruktion des Liedes vom guten Kameraden (Kohls Besuch in Bitburg und Verdun, „Versöhnung über Gräbern“, Heldengedenken, Totenkult und „Beschwörung der Vergangenheit“, Gräberschändungen).
Wie verhalten sich die Begriffe Kamerad, Kollege und Genosse zueinander?
Vergleiche hierzu das mythische Bild des Pferdes (die durch den Wind trächtig werdenden Stuten), auch die Geschichte des Pferdes (seit wann Reiter, seit wann ziehen Pferde den Pflug?). Pferd und Sexualität: warum lieben 10-/12-jährige Mädchen Pferde? Pferd und Rasse (Rassepferd, Rasseweib). Nietzsches Wahnsinn wurde ausgelöst durch den Anblick einer Pferdemißhandlung.
Die thomistische Lösung des Universalienstreits, wonach die Universalien für Gott ante rem, für die Menschen post rem zu verstehen sind, ist durch Kant, durch die transzendentale Logik, durch das Konzept der synthetischen Urteile apriori, auf den Kopf gestellt worden. Hier sind die Zeitverhältnisse umgekehrt worden: das war der Preis für die Vorstellung einer homogenen Zeit. Wer glaubt, die kantische Philosophie thomistisch rezipieren zu können, für den werden in der Tat das Transzendente und das Transzendentale ununterscheidbar: er zerstört die Grundlagen der Theologie.
Das Evangelium ist eine Flaschenpost; und das Dogma enthält die Formel des Meeres, in dem diese Flaschenpost bis heute unentdeckt schwimmt.
Die offizielle Theologie heute ist maskierter Atheismus.
Bezieht sich das Neutrum (als ne utrum) nicht auf Himmel und Erde; und fällt sein Ursprung nicht zusammen mit dem des Weltbegriffs (die Welt ist keins von beiden, weder Himmel noch Erde)?
Jericho, Sodom und Gibea: Rahab und die Frau und die Töchter Lots (über die Moabiterin Ruth) finden sich im Stammbaum Jesu wieder. Die „Nebenfrau des Leviten“, die dem Mob geopfert wird, kommt wie Jesus aus Bethlehem in Juda.
Ist Daniel der einzige Prophet, der den Traum und seine Deutung kennt? (Dan 25,15ff) -
09.09.92
Ist das Neutrum der Staub, aus dem und zu dem das Maskuline im Prozeß der Herrschaftsgeschichte wird?
Sind Nominativ und Akkusativ nur im Männlichen unterschieden, im Femininum und im Neutrum hingegen gleich? Im Femininum lassen sich zusätzlich auch Genitiv und Dativ nicht unterscheiden.
Gilt es eigentlich für alle modernen Sprachen, daß sie von den klassischen sich durch die Einführung des (geschlechtsbezogenen) Artikels (im Deutschen zusätzlich verstärkt durch die Großschreibung der Nomina), durch die stärkere Hervorhebung der Personalpronomina und durch den verstärkten Gebrauch der Hilfszeitverben unterscheiden? Der tiefste Fall wäre dann wohl die Verwandlung aller Verben in Nomina und Gebrauch des Generalhilfsverbs „tun“ (oder doch noch eine Stufe tiefer: „ich bin am arbeiten“ ü.ä.). Ist nicht doch der Adenauersche Satz doch sehr ernst gemeint gewesen: „Je einfacher reden ist eine gute Gabe Gottes.“ In diesen Zusammenhang gehört der fundamentalontologische Gebrauch der Begriffe Ereignis und Geschehen, die die gleiche Subjektlosigkeit, die schicksalhafte Subsumtion des Subjekts unter die Realität, bezeichnen.
Der Artikel ist Ausdruck des Zerfalls der benennenden Kraft der Sprache, der Hereinnahme des tode ti in die Sprache, daß den Begriff von „diesem“ (deiktisch verstandenen, bei Kant dann durch seine Beziehung zu den subjektiven Formen der Anschauung bestimmten) Objekt trennt, das Objekt gegen den Begriff (gegen seinen Namen) isoliert. Für Aristoteles (wie später für Hegel) ist das tode ti der Einsatzpunkt der Philosophie (das Wasser des Thale).
Wie hängen die Begriffe Eudaimonia (gutes, günstiges Schicksal), Glück (fortuna), Zufall und der augustinische Gnadenbegriff mit einander zusammen?
Hat nicht Johann Georg Hamann schon eine Metakritik der reinen Vernunft geschrieben?
Merkwürdige Doppelbedeutung des Verbums „heißen“: benennen und befehlen. Mit dem tode ti ist die benennende Gewalt als Grund des Gewaltmonopols (das Sokrates mit dem Trinken des Schierlingsbechers ausdrücklich anerkennt) an den Staat übergegangen.
Wenn Befehlen mit Fehlen zusammenhängt, warum wird es dann stark (das Fehlen hingegen schwach) konjugiert, und worin liegt der Unterschied zwischen starken und schwachen Verben?
Hängt der Sternendienst mit der Geldwirtschaft zusammen (als Ausdruck der Änderungen des Bewußtseins durch die Geldwirtschaft, seiner veränderten Stellung zur Objektivität)? Und ist die Ischtar/Astarte der Inbegriff der veränderten Konsumerfahrung, des Genusses? Dann würde die „Venuskatastrophe“ auf andere Weise, als Heinsohn et al. annehmen, zur Schuldknechtschafts-Katatrophe passen.
Ist der Pharao die Personifikation des Sklavenhauses, und der Josefs-Roman seine Ursprungsgeschichte?
Angesichts der Pogrome in der Bundesrepublik droht das sogenannten Asyslantenproblem den Rang der alten Judenfrage anzunehmen.
Der ungeheure Exkulpationsbedarf, der seit dem Ende der Nazizeit auf Deutschland lastet, und dessen prädestinierter Repräsentant Kohl zu scheint, ist bis heute weder in seinen Ursachen, noch in seinen Folgen wirklich begriffen. Das Hochgefühl der Unschuld, das Kohl, Seiters und Schäuble beflügelt, wenn sie von „diesem ausländerfreundlichen Land“ sprechen, gehört mit zu den Ursachen der in den derzeitigen Pogromen sich manifestierenden verfolgenden Unschuld. Gleichzeitig halten sie den Topf des sogenannten „Asylantenproblems“ am Kochen, mit falschen Begriffen und Zahlen, mit dem Verwischen und Verschweigen der Ursachen. Die reale Situation und die realen Erfahrungen derer, auf die dieses unverantwortliche Gerede sich bezieht, soll nicht laut werden, wird verdrängt. Der Zerfall der Moral und die demoralisierende Gewalt, die dieser Bundeskanzler repräsentiert, wäre endlich zu benennen.
Kohl hat immer schon die Technik der denunziatorischen Nutzung des Schuldverschubsystems beherrscht und genutzt. Man konnte darauf gehen, wenn er sich über andere empörte, dann war er selber gerade dabei, eben das zu tun, worüber er sich empörte. Sein politischer Erfolg beruhte nicht zuletzt auf dieser Technik. So hatte er immer das Instrumentarium parat, mit dem er sich abschirmen konnte gegen den Einblick in seine realen Absichten, sein Handeln und seine Vorhaben. Im Falle der deutschen Einheit ist ihm zusätzlich dieses Instrument als Geschenk in den Schoß gefallen: Alle Fehler kann er abwälzen auf den maroden Sozialismus und das, was er uns hinterlassen hat.
Kann es sein, daß die SPD, daß insbesondere die Ministerpräsidenten, oder überhaupt die Landesregierungen, unter einem erpresserischen Druck stehen, der ihnen keine andere Wahl läßt, als mit den Wölfen zu heulen?
Die Unwirksamkeit des Kabaretts liegt darin begründet, daß auch das Kabarett seine apriorischen Objekte und die zu diesem Objekt gehörende transzendentale Logik hat. Das, was heute passiert, liegt jenseits der durch diese Logik definierten Sphäre. Das läßt sich demonstrieren an einer Figur wie Kohl, dessen Statur mit den Witzen, die über ihn gemacht werden, nur noch gefestigt wird. Die Kohlwitze waren selbstreferentielle Produkte verzweifelter Ohnmacht, deren Bewußtsein in den Pointen explodierte und damit unschädlich gemacht wurde. Seitdem befördert das Kabarett die demoralisierenden Zustände, indem es sie anprangert.
Deutlicher kann man die Absenz der eigenen Gewissens, das nur vom Schrecken und vom Schmerz der Opfer bewegt wäre, nicht demonstrieren: Diese Reaktion (der Hinweis auf die Wirkung der Ereignisse in Rostock und anderswo im Ausland) ist nur Ausdruck der Angst vorm Erwischtwerden, nicht die (allein moralische) Angst vor der Tat. Heute sitzen die Mescaleros in der Regierung.
Die Technik der Nutzung der Gesetze des Schuldverschubsystems setzt ein Denken voraus, das den Gesetzen des Hinter dem Rücken gehorcht. Dafür ist politisches Denken, wie es scheint, besonders anfällig. In der altorientalischen Welt fand dieses Denken seine Abstützung und Absicherung in der Idolatrie, gegen die die jüdische Prophetie sich richtete. Heute funktioniert es aufgrund der Logik des Weltbegriffs.
Die politische Ausbeutung des Vorurteils – heute des sogenannten Asylantenproblems – gehorcht der gleichen Logik wie die angeblich friedliche Nutzung der Atomenergie. Auch hier weiß man nicht, ob sie nicht eigentlich der Gewinnung spaltbaren Materials, das man für die Bombe benötigt, dient. -
06.09.92
Wir akzeptieren die Gefängnisse, weil wir glauben, daß sie uns teilhaben lassen an der exkulpierenden Kraft des Richtens.
Der Pharao ist das „große Haus“, in Babel ist der Turm (das große Haus) vom König von Babel getrennt, der aber ist der Luzifer, der so tief gefallen ist.
Die Neugläubigen leben von dem Gefühl, daß sie endlich das Recht haben, über die Konkursmasse des Christentums verfügen zu dürfen. Beide Varianten des westeuropäischen Christentums, die feudale und die bürgerliche, sind mit dem Faschismus in Europa zu Bruch gegangen. Und der Bruch ist innerhalb der geschichtlichen Tradition des Christentums nicht mehr zu heilen.
Wie ist das eigentlich mit den Frauen der Väter, mit Sara, Rebekka und Rahel: Sara lacht (Isaak: Er lacht); Isaak weint um Sara und heiratet Rebekka (was ist der „Schrecken Isaaks“?); Rebekka votiert für Jakob (den „Betrüger“), der dann im Kampf mit dem Engel zum „Israel“ wird; und Rahel weint um ihre Kinder.
Der von Polikern immer wieder vorgebracht Hinweis auf das „Urteil des Auslandes“ verschiebt die Opferqualität von den realen Opfern auf die Nation (ähnlich schon im Gerede über Auschwitz: hier sei der deutsche Name befleckt worden – hier sind 6 Mill. Juden umgebracht worden), vom Opfer auf die Täter, macht die Täter zu Opfern. Nicht was die Nazihorden den Asylanten antun, sondern was sie uns, den Politikern antun, ist das Schlimme. Der Tod und der Schmerz, der Schrecken und das Weinen von Asylanten, von Männern, Frauen und Kindern, bleibt ebenso unerhört, wie im politischen Gerede in diesem unserm Lande der Tod und der Schmerz, der Schrecken und das Entsetzen der Opfer der Nazis bis heute unerhört geblieben ist; sonst wäre das, was jetzt passiert, nicht möglich.
Wenn Kohl, Seiters, Schäuble & Co immer wieder betonen, dieses Land sei ausländerfreundlich, so ist das im Anblick des Schreckens und Entsetzens der Opfer, die es täglich anders erfahren, schlicht unerträglich. Aber genau das ist die wahnerzeugende Sprache des double bind, die vorgibt, über die Taten entsetzt zu sein, aber zugleich den Tätern Zustimmung signalisiert, indem sie so, als sei nichts geschehen, weiterhin über das „Asylantenproblem“ und eine Änderung des Art. 16 GG reden. Es wäre ein Zeichen für einen Rest politischer Moral, wenn solange, wie diese Pogrome andauern, das sogenannte Asylantenproblem aus der politischer Diskussion herausgenommen würde, und jeder, der weiter davon redet, öffentlich als Sympathisant der Täter erkannt würde. -
17.08.92
Erkenntnis und Sexualität: Wie verhalten sie sich zu Begriff und Name?
War mit der Lokalisierung der Erbsünde in der Sexuallust nicht eigentlich die unio mystica, der Selbstgenuß im Objekt, gemeint? Und hängt das nicht wiederum mit Struktur und Funktion des Begriffs zusammen, mit dem mythischen Element im Begriff?
Mit der Exkulpation des durch Alkohol enthemmten Triebtäters wird eigentlich die positivistisch enthemmte Vernunft (im Recht wie in den Naturwissenschaften) exkulpiert (Alkohol als Zivilisationsdroge). Die Vorstellung, daß der Mann, wenn der Trieb ihn überwältigt, seiner selbst nicht mehr Herr ist, ist ein bedeutender Akt der Selbsterkenntnis.
Zentrales Element jeglicher Enthemmung (und jede Enthemmung ist Enthemmung von Gewalt, Ursprung der Gewalt-, der Mordlust) ist die Paranoia, oder genauer: das Herrendenken und die davon unablösbare Paranoia. Darauf bezieht sich die Arglosigkeit, die einzige Kraft, die diesen Zusammenhang auflöst. Herrendenken und Paranoia ist die Subjektseite und Objektivation und Instrumentalisierung die Objektseite des gleichen Sachverhalts.
Ist das Objekt des Satzes „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ nicht die Kirche, die sich mit der vom Nachfolgegebot getrennten Opfertheologie auf die Seite der Täter gestellt hat (Ursprung im Urschisma, Folge: Antijudaismus und die bis heute unaufgearbeitete Geschichte der Häresien).
Symbol unserer Medizin: die Halbtoten am Tropf sind die ertragreichste Einnahmequelle.
Die durchs System der Marktwirtschaft in die Dritte Welt induzierte Hunger- und Schuldenkrise (Arbeitstitel für eine Zivilisationsgeschichte: Geschichte der Schuldknechtschaft) beginnt auf die Erste Welt zurückzuschlagen:
– in der nicht mehr beherrschbaren Arbeitslosigkeit,
– in der Krise des Wohnungsmarktes, der im Interesse des Wohnungsbaus, seiner „Rentabilität“, hinzunehmenden Obdachlosigkeit,
– im Agrarmarkt (generell im Rohstoffbereich: auch bei Kohle und Stahl, im Montanbereich, der zusammen mit dem Agrarbereich zu den ersten Objekten einer EG-Marktorganisation gehörte), und schließlich
– im Problem der sogenannten Gesundheitsreform (Überwälzung der Kosten der explodierenden Gewinnerwartungen des medizinisch-industriellen Komplexes auf die „Objekte“ des Gesundheitswesens: die Patienten).
Seit dem Turmbau zu Babel sollten eigentlich alle Türme suspekt sein (auch Glocken sind Symptome der Sprachverwirrung: waren vielleicht nicht doch schon vorsorglich die Glocken gemeint, als die Kirche die Erbsünde in der Sexuallust lokalisierte?). Aber woher kommt der Ausdruck „türmen“; hängt er möglicherweise mit der mittelalterlichen (oder schon antiken – vgl. die Türme im Buch der Richter) Funktion der Türme als Fluchtstätten zusammen? Und ist das Heideggersche „Haus des Seins“ der letzte Nachfahre des Turms von Babel (vgl. Rosenzweigs „verandernde Kraft des Seins“), und das „Vorlaufen in den Tod“ seine Form des „Türmens“?
Bezeichnen die „sieben unreinen Geister“ den Zustand der Sprache heute? -
13.06.92
„Ich werde niemals den warmherzigen Empfang in Panama vergessen.“ Präsident George Bush auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Albrook, nachdem er zuvor in Panama-Stadt von Demonstranten mit Kokosnüssen beworfen worden war und eine Rede abbrechen mußte. („Aufgespießt“ in der Frankfurter Rundschau vom 13.06.92) -Handelt es sich hier nicht um eine Sprachregelung, die mehrere Zwecke gleichzeitig erfüllt:
– PR: die negative Erfahrung soll abgespalten, isoliert, privatisiert, jedenfalls vom öffentlichen Gebrauch (insbesondere im Hinblick auf den gegenwärtigen Wahlkampf) ausgeschlossen werden;
– aus Gründen, die mit der Instrumentalisierung des eigenen Selbstbildes zusammenhängen, muß G.B. die eigene Erfahrung verdrängen, um seine Rolle als Präsidentenschauspieler weiterspielen zu können (Politiker-Syndrom); nicht auszuschließen, daß er es am Ende selber glaubt (vgl. den hEV im hessischen Gesamtschulkonflikt);
– in diesem Kontext gewinnt Bush’s im Golfkrieg präsentiertes Konzept einer „neuen Weltordnung“ (auch die reale Führung des Golfkrieges im Verhältnis zu seiner öffentlichen Vermittlung) einen neuen, direkt apokalyptischen Sinn: diese „Weltordnung“ ist keine reale Ordnung mehr, sondern ein (dem zwangsneurotischen Selbstbild entsprechendes) Bild der Welt, dessen Durchsetzung nur mit Mitteln der PR und – begleitend oder alternativ – der massivsten Gewalt noch möglich ist. Konsequenz: Diese „neue Weltordnung“ ist nicht Ergebnis eines „letzten Krieges“, sondern wird sein Ursprung sein. Hier, in diesem Syndrom (das aus der der philosophischen zugrundeliegenden politischen Geschichte des Universalienstreits sich ableiten läßt), liegt der Ursprung und die Legitimation der explosiv sich ausbreitenden Rüstung in der Folge des zweiten Weltkriegs.
Nachdem die SPD nach der Wende nicht in der Lage war, insbesondere in der öffentlichen Selbstdarstellung Kohls diesen Sachverhalt zu durchschauen (und zum Gegenstand öffentlicher Kritik zu machen), scheint sie ihm selbst endgültig verfallen zu sein; auf dieser Basis gibt es in der SPD nur noch Karriere-Politiker (die die innerparteiliche Ochsentour nur mit Hilfe der gleichen Mittel bestehen konnten), gibt es (innerparteilich und im Verhältnis zu den Konkurenz-Parteien) nur noch Intrigen und Häme, aber keine Kritik mehr.
Ist das Poltiker-Syndrom nicht doch nur die Potenzierung eines an die subjektive Form der äußeren Anschauung gebundenen Subjekt-Syndroms? Und ist die Affinität von Sprachregelung (Er-nennungsbefugnis) und Gewalt, die Hannah Arend u.a. an Eichmann diagnostiziert hat, nicht der Grund des faschistischen Syndroms?
Wie hängen das Politiker-Syndrom, Bushs Neue Weltordnung und Kohls „Versöhnung über Gräbern“ miteinander zusammen?
Nach der Lektüre des Interviews mit Herbert Schnädelbach (in: Geist gegen den Zeitgeist. Erinnern an Adorno. S. 54f): Kann es nicht sein, daß, was als angeblich Überholtes in Adorno hineinprojiziert wird, Konsequenz der heute erstmals durchschaubar zu machenden verdrängten Beziehung zur Natur ist? Damit hängt es auch zusammen, daß, was Adorno Säkularisation aller theologischen Gehalte genannt hat, im Kontext der theologischen Halbbildung, die im Umkreis der christlichen Tradition unvermeidbar war, einfach nicht verstanden werden konnte. Frage: War eine Weiterführung der „Kritischen Theorie“ im überkommenen akademischen Rahmen und ohne konkrete und inhaltliche Reflexion der theologischen Tradition überhaupt möglich?
Vielleicht wäre es doch einmal interessant, die Strategien der Selbsterhaltung bei den Adorno-Schülern mit den Denkblockaden in ihren Konzepten zu vergleichen: wie hier selbst noch die Erinnerung an den personalisierten Adorno als Verdrängungshilfe genutzt wird. -
27.01.92
Die kopernikanische Wendung hat das, was Adam Smith in der Ökonomie die „invisible hand“ genannt hat, in der Natur als eine Instanz etabliert, die sich dann bei Kant als das transzendentale Subjekt enthüllt.
Die auftrumpfende Bescheidenheit des deutschen Idealismus.
Ist ein „Kronzeuge“, der in den Händen eines vom Verfassungsschutz beauftragten Therapeuten war, überhaupt noch in der Lage, die Aufgabe eines Kronzeugen wahrzunehmen?
Das Verhältnis von Idee und Begriff hat Teil an dem Verhältnis von „Im Angesicht“ und „Hinter dem Rücken“. Nur durch seine Beziehung zu den Ideen gewinnt der Begriff seine benennende Kraft.
Das „liberum arbitrium“ ist Indiz für eine Gesellschaft, die rechts und links nicht mehr unterscheiden kann. Die Wahlfreiheit setzt Verhältnisse voraus, in denen ich frei wählen kann, ob ich ein Auto, einen Fernseher oder eine Waschmaschine kaufe; und er setzt ein Weltverständnis voraus, in dem ich mich im Raum frei nach allen Seiten wenden (und bewegen) kann, in dem die Freiheitsgrade des Raumes für mich (unter den Prämissen der Geldwirtschaft, und sei es der Schuldknechtschaft) real geworden sind. Das „liberum arbitrium“ hat sowohl die Geldwirtschaft als auch das Inertialsystem zur Voraussetzung.
Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele ist insoweit falsch, als sie die Vorstellung mit enthält, daß man für sich allein selig werden könne. Sie genetisch von der Hades-Vorstellung nicht zu trennen.
Mit jeder Häresie hat die Kirche auch ein Stück ihrer selbst verurteilt. Und jede Häresie war ein Hinweis auf ein Unaufgelöstes in der Kirche selbst, das sich dann mit der Verurteilung der Häresie auch verhärtet hat, unkenntlich gemacht wurde. Sofern es doch wahrgenommen wurde, blieb diese Wahrnehmung punktuell, folgenlos.
Gibt es außer im Buch Jona noch andere Schiffskatastrophen in der Schrift (außer bei Paulus auf dem Wege nach Rom).
Ist die Gottesknecht-Vorstellung nicht auch ein Hinweis auf den Charakter und die Bedeutung der „hebräischen“ Schrift?
„Das Heil kommt von den Juden“: das sagt Jesus zur Samariterin.
Hängt die „Erschaffung“ der Seetiere damit zusammen. daß nur der Vater den Tag und die Stunde kennt?
Die Mathematik und die Naturwissenschaften verhärten sich, bevor die Stimme das Ohr erreicht.
Der Begriff der Materie enthält die Erinnerung an die Geschichte des Mordes und der Opfer.
Nietzsches Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ ist die moderne (verinnerlichte) Variante des antiken Sternendienstes: Die Anbetung des sinnlosen Kreisens der Planeten. Es ist das Herrendenken, das zwangsläufig in den Götzen- und Sternendienst hineinführt, und in dessen Bannkreis kein Weg herausführt. Insofern gehören der Wille zur Macht und die Idee der ewigen Wiederkehr des Gleichen zusammen.
Es ist der ungeheure Anspruch des Christentums, daß durch das Leben und den Tod Jesu die Sünde der Welt hinweggenommen ist. Und es ist dieses Exkulpationsversprechen, dieses Versprechen, schuldfrei leben zu können, das die Menschen immer noch ans Christentum bindet. Aber der Grund und die Bedeutung dieses Versprechens wird durch die Theologie nicht mehr eingelöst. Es hat keinen rationalen Hintergrund mehr. Und das ist die Situation, in der die Drewermänner ihr Geschäft machen können.
Drewermanns Kirchenkritik ist nicht prophetisch, sondern wird durch die Struktur des Schuldverschubsystems bestimmt, das ohne Projektion nicht funktioniert.
Die Kirche hat ihr Herrschaftssystem u.a. dadurch begründet und etabliert, daß sie das Mitleid von den real Armen und Bedrängten auf sich selbst umgeleitet hat. Das war nur möglich im Rahmen und auf der Grundlage des Schuldverschubsystems. Sie hat damit in sich selber und in den Gläubigen den Keim des Selbstmitleids eingepflanzt. Ein Opfer dieses Selbstmitleids ist Drewermann, der diese Mechanismen phantastisch beherrscht und das für Psychotherapie hält. Ist nicht Drewermann Ausdruck einer Gefahr, die ihre Wurzeln nicht in ihm, sondern in der Kirche hat, und deren erstes Opfer selber ist?
Drewermann versucht die vermeintlich exkulpatorische Kraft des Bekenntnisses (die es erst durch die Annahme des Bekenntnisses seitens des Opfers wird) durch Privatisierung zu retten. Er hat etwas von einem Theologen der freien Marktwirtschaft (ein Ludwig Erhard der Kirche: auch sein Konzept war nur eine Währungsreform).
Gibt nicht Kohl der raf im Nachhinein recht, wenn er den ermordeten Rohwedder in die Tradition der Göringschen Treuhand-Gesellschaft stellt (übrigens der gleiche Kohl, der selber von jenem Herrn Ries gesponsert worden ist, der selbst ein Nutznießer der ersten Treuhand-Gesellschaft war).
Es kommt darauf an, die erkenntniskritische Tradition, die von Berkeley über Locke und Hume bis Kant und Ernst Mach die Naturwissenschaft kritisch begleitet hat, endlich auf den Punkt zu bringen, an dem sie greift.
Gibt es ein Konsens-Ideal ohne Feindbild? Ist der Konsens ein erstrebenswertes Ziel (sofern nicht die eigene wissenschaftliche Karriere davon abhängt)? Würde es nicht auch mit dazugehören, daß man begreift, daß es Fragen gibt, zu denen es keine konsensfähige Antwort gibt? Kant hat das reflektiert in seinen Antinomien der reinen Vernunft. Das Problem, das Kant hier angesprochen hat, ist eigentlich nie wirklich aufgearbeitet worden, auch von Hegel durch Harmonisierung eher verdrängt als gelöst worden. Die Hegelsche Verarbeitung war an den affirmativen Gebrauch der List gebunden („das Eine ist das Andere des Anderen“); genau damit hat Hegel das verbleibende kritische Moment neutralisiert.
Darin liegt die große Bedeutung des Begriffs der Gottesfurcht, daß er in die Lage versetzt und den Grund dafür liefert, daß auch Schuld Gegenstand der Reflexion ist, und daß auch Diskonsens auszuhalten und zu ertragen ist. Die Fragen, die die Kantischen Antinomien der reinen Vernunft aufwerfen, sind dann (z.B. hinsichtlich des Raumes zugunsten der Verstellung seiner unendlichen Ausdehnung) nach dem Prinzip Bequemlichkeit gelöst worden, nicht nach dem Anspruch der Vernunft. -
30.11.91
Der stärkste Widersacher des Hauptamtlichen ist der Selbsternannte (Dirk Treber: „selbsternannte Alt-Grüne“). Ernannt werden darf nur im Rahmen der Ermächtigung zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben: So konnte Kohl z.B. das deutsche Volk zum „ausländer-freundlichsten Volk“ ernennen (Unterschied zwischen er- und benennen: Kohl meint das Amt, nicht das Wesen dieses Volkes). In diesen Kontext gehört es, daß die Pogrome gegen Flüchtlinge sich nach dieser Logik nicht gegen Flüchtlinge und Ausländer, sondern gegen den „deutschen Namen“, über den sie „Schande“ bringen, richten (vielleicht sind ja auch die Juden in Auschwitz nicht ermordet worden, sondern auch da wurde nur der deutsche Name befleckt). Dies ist die Logik geprügelter Kinder: man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen.
Haben die Präfixe und Suffixe ihren Ursprung in der agglutinierenden Sprache der „Sumerer“? Gibt es eigentlich in anderen Sprachen auch ein so ausgebildetes und differenziertes System von Prä- und Suffixen wie im Deutschen? Und sind die Prä- und Suffixe nicht verdinglichende Projektionen der Ohnmacht (der durch Substantivierung versteinerten Herrschaftsstrukturen), die die Objektivität zugleich fixieren und aufschlüsseln, so daß mit ihrer Reflexion die Wahrheit selber erkennbar wird.
Sind im Griechischen und Lateinischen (und vom Ursprung her auch im Deutschen?) Präfixe im allgemeinen nur mit den Verben zusammengeschlossene Präpositionen?
Die Prä- und Suffixe sind Ausdruck des Ursprungs der Begriffe aus der Schicksalsidee (Beispiel: Ich fühle mich wie zernichtet durch den entsetzlichen Fatalismus der Geschichte).
Kann es sein, sein, daß es für die einzelnen Prä- und Suffixe Schlüsselworte gibt? Z.B. vernichten, zerstören, erschaffen, entstehen, bekennen, anschauen, aufbauen (alles Verben, die aus dem Kontext der Verdinglichung, Objektivierung, sich begreifen lassen?)
Christlichkeit und Christenheit: -keit drückt den Charakter, das Wesen, aus, -heit das kollektive Subsumtionsverhältnis (diese Differenz gilt nur bei Personen, nicht bei Sachen). Wird -keit immer zusammen mit -lich oder -ig gebildet, und was bedeuten diese Suffixe? Vgl. auch Hoheit (Eure Königliche Hoheit, hoheitliche Aufgaben) und Hörigkeit (zentrale Wortbildungen der durch Prä- und Suffixe bestimmten Sprache). Doppelbildungen wie Hoheitlichkeit (Charakter der Aufgaben des Beamten, Amtscharakter -Zusammenhang mit Obrigkeit: persongewordene Begriffe). Die lateinischen Würdebezeichnungen wie Magnifizenz und Eminenz sind dagegen keine Suffix-, sondern Partizipalbildungen (während im Deutschen der Wohltuende von Wohltätigkeit, die Partizipal- von der Suffixbildung, unterschieden wird: unterscheidet sich auch der Tuende vom Tätigen (der Wohltuende hat das Objekt, der Wohltätige des Subjekt der Wohltat im Sinn)? – Vgl. auch Tätigkeit und Tätlichkeit).
Wodurch unterscheiden sich Partizipien vom Gerundivum (Partizip Präsens mit zu)? Ist das Gerundivum der verdinglichte, gegenständlich geworden Imperativ, Auftrag: das zu Bekennende, das zu Erläuternde, das zu Bezahlende (Vorläufer des Sachzwangs)?
Gibt es einen Zusammenhang der agglutinierenden Sprachstruktur mit der Idolatrie und dem Sternendienst?
Durch Substantialisierung wird die Sprache in die Zone des Falles gerückt (in die Deklinationsfalle).
Wie unterscheidet sich das „libera nos a malo“ vom „befreie uns von dem Bösen“?
Theologische Bedeutung hat das „schaffen“ nur im Präteritum (im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde), während das frei konjugierbare „erschaffen“ die theologische Tradition der creatio ex nihilo in sich enthält.
Hängt die Ausbildung der durch Prä- und Suffixe und durch Präpositionen charakterisierten Sprache (der indogermanischen Sprache?) zusammen
– mit der Änderung und Ausweitung der Konjugationen (insbesondere der futurischen Formen) und
– mit der Herausbildung und Fixierung von Denkstrukturen, dem räumlichen, objektivierenden, verdinglichenden Denken entgegenkommen?
Und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Barock:
– hinsichtlich der Ausbildung der Titel (Hoheit, Ableitung der hoheitlichen Aufgaben), der Hereinnahme der Ehrenbezeichnungen in die Sprache, und
– die Substantialisierungstendenzen, insbesondere die Einführung der Majuskel zur Kennzeichnung der Substantive (in England nur zu Kennzeichnung der Personen)?
Was hat -haft mit „Haft“ und -bar mit „bar“ zu tun? Steckt darin nicht die Erinnerung an die Schuldknechtschaft? Und bezeichnet der Begriff der Schuldknechtschaft nicht den Grund der Vergesellschaftung immer noch am deutlichsten? Ist nicht das Bekenntnis die vergeistigte Schuldknechtschaft?
Vergleiche auch -lich und -ig, die adjektivischen Entsprechungen von -keit und -heit, auch -sam (arbeitsam, strebsam) und -sal (wie Schicksal, Labsal, Mühsal: von mühselig). Woher kommen diese Suffixe, und was drückt sich sprachphilosophisch darin aus?
Ist die deutsche Sprache das bis heute unaufgeschlossene Gedächtnis dieser Herrschafts- und Versteinerungstendenzen, ist sie damit nicht in einem ungeheuren Maße schuldbelastet und so das vorbezeichnet Objekt von Erinnerungsarbeit? (Gibt es nicht merkwürdige Hebraismen in der deutschen Sprache: insbesondere das affirmative „ja“?)
Volk als Schicksalsgemeinschaft; Beziehung des Volksbegriffs (des Begriffs des Völkischen) zum Begriff des Begriffs: Sind bei Hegel nicht die Volksgeister die Träger des Weltgeistes, die die Aufträge des Weltgeistes auszuführen haben und, wenn sie ihn erfüllt haben, zugrunde gehen? Ist hier nicht der Quellpunkt des Antisemitismus (als Konsequenz aus dem völkischen Verständnis der Idee des „auserwählten Volkes“ und, weil dieses Volk sich dem Auftrag des Weltgeistes entzieht, eigentlich seit seinen Anfängen in Opposition zum Weltgeist gestanden hat) Dagegen ist das Christentum seit seiner Anpassung an die Welt, seit Beginn des Dogmatisierungsprozesses, insbesondere seit der Ausformulierung der Trinitätslehre, zum genauesten Selbstausdruck des Weltgeistes geworden. Das „Geht hinaus in alle Welt“ ist nur affirmativ verstanden, sein weltkritischer Aspekt dagegen verdrängt worden. Aber hat das Christentum damit nicht bewußtlos die Schuld der Welt auf sich genommen, und ist es nicht gerade so absolut schuldig geworden? -
27.11.91
„Auschwitz ist in hohem Maß die Folge einer gnadenlos instrumentalisierten Vernunft.“ (Götz Aly und Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung, Hamburg 1991, S. 485) Die Feststellung wäre zu er-gänzen durch den Hinweis, daß diese „gnadenlos instrumentalisierte Vernunft“ ohne das Vorurteil nicht möglich gewesen wäre: Sie war effektiv nur nach Osten, nicht gegen den Westen. D.h. zu den Voraussetzungen der Instrumentalisierung gehörte auch die Verinnerlichung dessen, was man die Zivilisationsgrenze nennen könnte. Im Westen gab es Feinde, mit denen man glaubte, sich auf gleicher Ebene messen zu können; im Osten gab es nur noch „Untermenschen“ (mit nur graduellen Abstufungen zwischen Polen, Tschechen, Russen, Zigeunern und Juden); im Verhältnis zur zivilisierten Vernunft standen sie auf der Seite der unterworfenen Natur. Die Instrumentalisierung der Vernunft war angewiesen auf das Gelingen der Instrumentalisierung der Moral, die nur noch als Stütze des Herrendenkens verstanden wurde: als Mittel der Identifikation mit der Macht (das drückte u.a. in Begriffen wie „Humanitätsduselei“ und „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ sich aus). Die Gemeinschaft der zivilisierten Welt wurde als die Gemeinschaft des Herrendenkens verstanden, und dessen reinste Ausprägung war der Faschismus. So wurde der Krieg im Osten – im Gegensatz zu dem im Westen – als „Weltanschauungskrieg“: als organisatorisch durchrationalisierter Vernichtungskrieg geführt.
Quellen des Vorurteils: Sexualmoral und Bekenntnislogik (transzendentale Logik als säkularisierte Bekenntnislogik).
Noch heute werden die pogromartigen Ausschreitungen des Fremdenhasses nicht an ihren realen Auswirkungen (z.B. an realen Morden) gemessen, sondern an ihrer Außenwirkung: an der „Schande“, die solche Vorkommnisse dem „deutschen Namen“ zufügen (Bundeskanzler Kohl). Ähnlich wurde wurde argumentiert, als im Krieg die Vorstellung einer „Endlösung der Polenfrage“ in die Diskussion gebracht wurde: „Daß man die Polenfrage nicht in dem Sinne lösen kann, daß man die Polen, wie die Juden, liquidiert, dürfte auf der Hand liegen. Ein derartige Lösung der Polenfrage würde das deutsche Volk bis in die ferne Zukunft belasten und uns überall die Sympathien nehmen, zumal auch die anderen Nachbarvölker damit rechnen müßten, bei gegebener Zeit ähnlich behandelt zu werden.“ (Vgl. Aly und Heim, S. 422)
Das „grundsätzlich“ im Juristendeutsch erinnert an Radio Eriwan: „Im Prinzip ja, aber …“ Und von dieser Art ist der Satz Kohls: „Es gibt kein ausländerfreundlicheres Volk als die Deutschen.“ Hier beißt sich die Blindschleiche in den Schwanz (und beginnt sich selbst zu verschlucken): Was Kohl allein interessiert, ist das Urteil des Auslandes (der Welt, der Geschichte); und das will der Ausländerfeind ja gerade wegbringen. So verstärkt sich das Xenophobie-Syndrom.
Der Fortschritt des Christentums gegenüber dem Hellenismus (des christlichen Weltbegriffs gegenüber dem griechischen Kosmos: Bedingung der Möglichkeit der neuen Gestalt von Naturbeherrschung) liegt darin, daß es die räumlich Grenze gegen die Barbaren in eine zeitliche umgewandelt hat: Der Missionsauftrag wurde verstanden als Auftrag, in „aller Welt“ die „frohe Botschaft zu verkünden“ und „die Heiden zu bekehren“, d.h. alles aus dem Blickfeld zu schaffen, was an die überwundene Vergangenheit erinnerte. Das kehrte dann in der Aufklärung als der ambivalente Begriff des „Wilden“ (der undifferenzierten Einheit von Heiden und Nichtzivilisierten) wieder. So wurden mit dem Objekt (mit der Natur) die Erinnerung und ihre gegenwärtigen Repräsentanten zum Weltanschauungs-Feind. Heute mißt sich der Grad der Zivilisiertheit (und der Bekehrung) an dem der Zustimmung und der Teilhabe am naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozeß. Die historische Verdrängungsleistung schlägt immer wieder in den Vernichtungswillen um, wenn ein gegenständlicher Repräsentant die Verdrängungsleistung in Frage stellt. -
13.10.91
„Ihnen ist jedes Mittel Recht?“ oder „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“: Die Tendenz, mit der in den sogenannten Terroristen-Prozessen Verteidiger zu „Organen der Strafrechtspflege“ gemacht wurden, gehorcht der gleichen Bekenntnislogik, mit der der Bundeswehr ein „Verteidigungsminister“ vorsteht: Sie zielt – ebenso wie die übrigen begleitenden Maßnahmen von der Isolationshaft bis zur Kronzeugenregelung, und von der Kollektivhaftung aller Mitglieder für die Taten einer „terroristischen Vereinigung“ bis zur schlichten Leugnung und Verdrängung des politischen Hintergrunds – darauf ab, Verteidigung abzuschaffen, weil hier der absolute Feind gesehen wird. Insoweit gleicht der gesamte Komplex der Tradition des Antisemitismus; nur daß hier geschickter, als es die Nazis konnten, die nicht mit einer Niederlage gerechnet hatten, die „Wahrheit“, die sich aus dem vermeintlichen Staatsinteresse definiert, das selber nur noch aus einer zugrunde liegenden Paranoia sich erklären läßt, durch rigorose Beherrschung der Beweismittel im ganzen Verfahrensbereich, insbesondere auch schon im Vorfeld, unwiderlegbar gemacht werden soll. Das Verfahren weckt Bedenken gegen Meldungen wie denen,
– daß nach den Aussagen von Susanne Albrecht (die ein begründetes Interesse daran hatte, der Bundesanwaltschaft genehme Aussagen zu machen) Zweifel an der Selbstmordthese hinsichtlich der Stammheimer Häftlinge endgültig ausgeräumt werden konnten, oder
– daß der Barschel-Brief an Stoltenberg sich jetzt als Stasi-Fälschung herausgestellt habe.
Diese Bedenken mögen unbegründet sein; aber was man hier (und bei Bakker-Schut) erfährt, untergräbt die Glaubwürdigkeit der politischen und staatlichen Institutionen in diesem Lande (den Begriff und die Idee des Rechtsstaats) und damit ihre Legitimation in den Köpfen der Bürger, die bereits soweit sind, anzunehmen, das sei halt so, und damit müsse man rechnen und sich abfinden, weit mehr als es die terroristischen Taten selber je vermochten (verhängnisvollstes Erbteil der Kirchen). Sind nicht die wahren Staatsfeinde jene, die den Staat und seine Institutionen so mißbrauchen?
Gemeinheit, Bekenntnis, Selbstgetthoisierung: Thesen sind dann keiner sachlichen Bestätigung oder Widerlegung mehr bedürftig, wenn sie entweder „offenkundig“ sind (d.h. dem eigenen Bekenntnis konform sind) oder vor jeder Prüfung sich einem Feindbekenntnis zuordnen lassen (dann ist die Wahrheit oder Unwahrheit nicht zu ermitteln, da davon auszugehen ist, daß sie nur der Selbstbestätigung des Fremdbekenntnisses dient, dieses aber aus übergeordneten Gründen als falsch, gefährlich o.ä. anzusehen ist). Grund ist – insbesondere im Rechtsstreit – eine im positivistischen Rechtsverständnis begründeter instrumentalisierter (und deshalb dezisionistischer) Wahrheitsbegriff (wie in der Physik ist der Objektivismus vom Instrumentalismus nicht zu trennen). Aus dem gleichen Grunde bedarf die rechtlich festgestellte Wahrheit schon aufgrund ihrer Urteilsform der Sanktion. Das Gewaltmonopol des Staates bezieht sich primär auf das Recht zu strafen, und d.h. auf das Recht, die Wahrheit von Urteilen mit Gewalt durchzusetzen. Die Logik des Rechts ist die Bekenntnislogik; ihr Ziel ist der Rechtsfrieden, der erst mit der allgemeinen Anerkennung des Gewaltmonopols des Staates hergestellt ist; und die Vorstellung, daß die Rechtslogik (als Urteils- und Straflogik) auch auf die Handlungen derer angewandt werden könne, die selber Herren des Rechts sind, ist illusionär. Deshalb bedarf eine an der Idee der Gerechtigkeit orientierte Rechtspraxis vor allem
– der Sicherung der Verteidigerrechte,
– der Fähigkeit des Richters zur Identifikation mit dem Angeklagten,
– der Kritik der herrschenden Staatsmetaphysik (der Ankläger ist kein Staatsanwalt).
Gemeinheit und Staatsmetaphysik:
– Gewalt wird anders definiert je nachdem, ob es sich um Vergewaltigung oder um „Nötigung“ bei gewaltfreien Sitzblockaden handelt;
– Staatsanwalt (Staat als Prinzip der Anklage, als institutionalisierte List der Vernunft), computerlesbarer Personalausweise und Ausweitung der Fahndungs- und Ermittlungstechniken, die darauf basieren, daß jeder Bürger ein potentiell Verdächtiger ist, als Bürger aus dem Bann der Anklage nicht mehr herauskommt;
– Staatsmetaphysik als Technik-Metaphysik: Grund ist die Personalisierung (der Rechtsbegriff der Person), die im Weltbegriff in der Materialisierung sich ausdrückt (im Rahmen der Staatsmetaphysik vertritt die Natur den Bereich des Angeklagten, die Welt den des richtenden Urteil).
Gemeinheit ist eine Überzeugungstat. Sie ist eine zwangsläufige Konsequenz des Staatshandelns.
Gemeinheit und die Kohlsche Dementipraxis: Kohls Satz, daß dieser Staat nicht ausländerfeindlich ist, ist genau der Grund der Ausländerfeindlichkeit. Er verhindert nicht die Aktionen, auf die sie als Dementi sich bezieht, sondern er verhindert nur das Aussprechen der realen Erfahrung von Ausländerfeindlichkeit, stigmatisiert den, der nicht verdrängen kann, als pathologisch oder bösartig (staatsfeindlich). Und das ist genau der Zweck dieses und vergleichbarer Dementis, deren Technik Kohl am besten beherrscht; und alle fallen darauf seit Jahren herein.
Gemeinheit und die Struktur des Vorurteils, Gemeinheit und Mechanik (Funktion der Hegelschen List und der Reflexionsbegriffe: die Hegelsche Vernunft ist eine, die selber das Opfer der Vernunft fordert, es in sich enthält und aufgehoben hat; dieses Opfer der Vernunft – oder die Zerstörung des Antlitzes – ist der Grund für die Trunkenheit des Hegelschen Absoluten).
Wenn den Armen das Bewußtsein der Armut und sein öffentlicher Ausdruck genommen wird, weil heute die Herrschenden (nach dem Vorbild der Kirchen) ihrer Schuld nicht anders als durch Selbstmitleid (durch Leugnung) glauben Herr werden zu können, das ist gemein (Grund in der Konstruktion der Welt). Was heute nicht selten tragisch (ein Prädikat, das immer schon eine Selbsterfahrung der Herrschenden bezeichnete) genannt wird, ist imgrunde gemein.
Die Anwendung mythischer Begriffe auf gegenwärtige Erfahrungen scheitert daran, daß an die Stelle des unaufgeklärten Schicksal heute die imgrunde nur noch pathologische Gemeinheitsstruktur getreten ist, die sich gerne in mythische Gewänder kleidet. So glaubt sie, der Kritik sich entziehen zu können.
BKA (oder GBA?): die „objektivste Behörde der Welt“: das schließt Gemeinheit nicht nur nicht aus, sondern bezeichnet genau ihren Grund.
Staatsmetaphysik (und die ihr korrespondierende Idee des Rechtsstaats) ist der Grund für die Struktur und die Tendenz politischer Prozesse: Der Staat kann nur aufgrund einer abgrundtiefen Bosheit angegriffen werden, und er kann nur von links angegriffen werden (Angriffe von rechts beeinträchtigen nur „das Ansehen unseres Rechtsstaates im Ausland“). Der politische Charakter der Prozesse gegen Linke kann nur (reflektiert und) anerkannt werden, wenn man bereit ist, auf die Staatsmetaphysik zu verzichten, die aber erforderlich ist, um das „Weltbild“ (bis hinein in die Naturwissenschaften) zu begründen und zu stabilisieren. Die Totalitätsbegriffe Natur und Welt sind nur im Rahmen der Staatsmetaphysik zu halten; und wer sie akzeptiert, akzeptiert zugleich (wie links er sich auch verstehen mag) diese Staatsmetaphysik, die dann im Gewaltkonzept (und im stalinistischen Rechtsverständnis) sich ausdrückt (Ausdruck der Sünde wider den Heiligen Geist).
Gibt es einen Zusammenhang des erweiterten noachidischen Nahrungsgebot (das nicht mehr vegetarisch ist wie das paradiesische) mit den Kerubim und dem kreisenden Flammenschwert nach der Vertreibung aus dem Paradies und der Bedeutung des Regenbogens nach der Sintflut? -
11.10.91
Kann es sein, daß in dem gleichen Prozeß, in dem die Natur für uns zur Rückseite ihrer selbst geworden ist, dahinter Gottes Angesicht sich bildet, Er sich mit sanftester, aber zunehmender Gewalt manifestiert und nur deshalb nicht wahrgenommen wird, weil die Umkehr, die uns sein Antlitz enthüllen würde, unerträglich scheint; „Du kannst mein Angesicht nicht sehen, denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Ex 3320).
Jakob/Israel hat „Elohim von Angesicht zu Angesicht gesehen“ (Gen 3231), während Moses die Herrlichkeit Jahwes nur von hinten sehen durfte (Ex 3218ff).
Ich habe einmal vor der Entscheidung gestanden, zum Judentum überzutreten, habe es dann aber nicht getan, weil ich den Versuch für unzulässig hielt, dem objektiven Schuldzusammenhang, unter dem ich als Deutscher und Christ stand, dadurch zu entgehen, daß ich von der Täter- auf die Opferseite wechselte. Aus diesem Grunde bin ich in der Kirche geblieben.
Das Gravitationsgesetz bezeichnet ein Gesetz im Inertialsystem. die Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf eine Erscheinung im Inertialsystem. Der leere Raum ist nicht nur der von Materie, sondern auch der gegen die Fallkraft und gegen das Licht leere Raum (weder dunkel noch hell).
Das Inertialsysatem ist das Bezugssystem, das Referenzsystem, in dem sich
– die physikalischen Begriffe definieren,
– die physikalischen Erscheinungen auskristallisieren und
– in dem die physikalischen Gesetze herrschen.
Wenn man es an irgendetwas merkt, daß wir die Täter von Auschwitz sind, dann an der verhängnisvollen, alles vergiftenden Gewalt der Exkulpierungssucht: Alle suchen eine Art natürliche Unschuld wiederzugewinnen, die es im Kontext von Staat, Welt und Natur nie gegeben hat.
Das pfingstliche Sprachwunder bezieht sich eindeutig auf die Verwirrung der Sprachen beim Turmbau zu Babel; und wenn diese mit der Trennung von Herren- und Sklavensprache zu tun hat, so müßte jenes eigentlich die reale Versöhnung beider vorwegnehmen.
Der parvus error in principio ist sowohl der Grund, aus dem die Häresien erwachsen sind, als auch der Grund der Selbstverblendung der Kirche.
Theologie ohne Ansehen der Person treiben, heißt die Trinitätslehre kritisieren.
Wenn Marx, Freud und Einstein die drei Patriarchen der neuen Theologie sind, wer sind dann die zwölf Söhne Israels?
Über das, was Hegel selber die List der Vernunft nennt, wird der Schein erzeugt, aus dem dann das Wesen und der Begriff hervorgehen. Diese List, dieser Schein, dieses Wesen sind die Grundlagen der Philosophie des Begriffs. Zentral sind die Reflexionsbegriffe; zu erläutern wäre deren Zusammenhang mit dem Inertialsystem (über die Kantischen Formen der Anschauung und die Antinomien der Vernunft). Nicht zufällig begreift Hegel diese List (und das darin versteckte Moment der Gewalt) als ein wesentliches Moment der Technik, der Maschine. Diese List ist eine objektive List (und die Gemeinheit eine objektive Gemeinheit); Kant hat sie, ohne es zu bemerken, mit den subjektiven Formen der Anschauung in die Philosophie eingeführt (oder aus ihrem begrifflichen Wesen, aus der Trennung von Begriff und Objekt, herausgelesen: ihre Folgen hat er in den Antinomien der Vernunft bezeichnet). Das Resultat war das Reich der Erscheinungen (des gesetzmäßigen Zusammenhangs des Scheins), durch das der Weg zu den Dingen an sich zugleich versperrt war. Grund dafür, daß dieser Zusammenhang bis heute nicht durchschaut werden konnte, war
– die theologische Besetzung des Bekenntnisbegriffs (deren gegenständlicher Ausdruck die Trinitätslehre und die Opfertheologie ist) und
– die bis heute unbegriffene Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Die Sonne, die die Dinge bescheint, erzeugt sie nicht.
Auch der kirchliche Antijudaismus rührt an den Augapfel Gottes (deshalb benötigte die Kirche die trinitarische Maskerade, den Personbegriff in der Trinitätslehre).
Der Begriff des Scheins, substantiell geworden im kantischen Begriff der Erscheinung, läßt auch die kopernikanische Wende und die newtonsche Gravitationstheorie nicht unberührt. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Hier wird die Nachtansicht der Welt auf den Tag übertragen (kann es sein, daß sich Nacht und Tag unterscheiden wie Jahwe und Elohim, und wie die Hebräer und die Israeliten?).
Der Unterschied zwischen CDU- und SPD-Politikern ist der zwischen Profis und Laien-Darstellern, wobei man einfach sehen muß, daß ein Kohl das Instrumentarium der Gemeinheit besser beherrscht als ein Vogel, Lafontaine oder Engholm (Engholm hatte nur das zweifelhafte Glück, Opfer eines CDU-Laienschauspielers zu werden; aber das macht ihn noch nicht zum Profi).
Wodurch unterscheidet sich die Luft vom Wasser (das Gasförmige vom Flüssigen: Beziehung zum Raum: Volumen beim Flüssigen unabhängig, bei der Luft abhängig vom Druck)? Gibt es eine mikrophysikalische Theorie des Flüssigen (in Analogie zur thermodynamischen Gastheorie und zur Festkörperphysik)?
Wasser und Schuldzusammenhang: Wasser nicht geschaffen; Medium des Chaos (des Chaos-Drachens); Trennung durchs Firmament (Drachen oben und unten); Sintflut; Schöpfung des Himmels und der Erde/ Sch. d. H., d. E. und des Meeres; am Ende wird das Meer nicht mehr sein. – Thales: Ursprung von allem ist das Wasser; Schuldzusammenhang flüssig (Verschiebung, Projektion).
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