Kopernikus

  • 3.5.1997

    Ist nicht die Bannformel der Amsterdamer Synagoge eine Folge der kopernikanischen Wende (haben nicht Fluch und Schwur ihren logischen Ort am Sternenhimmel)?

    Der Fundamentalismus läßt sich (auch bei seinen Kritikern) dingfest machen am Verständnis des Staubfressens, und ist nicht das Staubfressen der Beweis, daß die Schlange das grammatische Neutrum repräsentiert?

    Verweisen nicht Verdrängung, Projektion und Schuldverschiebung auf den gleichen sprachlichen Sachverhalt, den in der Schrift die Schlange symbolisiert: auf die sprachlogische Funktion des Neutrum?

    Verweist nicht die Stimme in Frescobaldis Capriccio (Stefan Wyss, Passagalia, pass.) auf das Problem der Materialisierung in der Musik (das auch ein Problem der Neutralisierung ist), auf den Ursprung des Bedeutungslosen, Chaotischen, aus dem die Musik erschaffen wird, und kündigt sich hier, im Barock, nicht schon die Schönbergsche Revolution an?

    Die Geschichte der Instrumentalisierung hat ihre eigene Dynamik (im Falle der Musik sollte im Begriff der Instrumentalisierung durchaus der Doppelsinn mit gehört werden). Der Begriff dieser Geschichte verweist auf die Geschichte der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse und auf deren wechselseitige Beziehung. Ihre Rückprojektion in die Natur heißt Evolution.

    Merkwürdige Spiegelung der Natur in den frühgeschichtlichen Institutionen: Die gehörnten Tiere sind Opfertiere, Raubtiere verkörpern den Staat (seine Beziehungen nach außen, nach innen werden sie zu apokalyptischen Tieren, die aus der Schlange hergegangen sind).

    Hierzu der ungeheure Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer.

    Masada, Worms, Uriel da Costa, Walter Benjamin, Primo Levi et alii: Die Verzweiflung im Angesicht der Unmöglichkeit der „Bekehrung des Sünders von den Wegen des Irrtums“.

    Experten: Innenarchitekten gibt es, seit auch die Privatsphäre (das Asyl der Innenwelt) gegen den Blick von außen, gegen den Seitenblick, keinen Schutz mehr bietet, der Reklame, den Verwertungsinteressen des Kapitals, dem „Lauschangriff“ des Staatsschutzes, dem Fernsehen und der Massenpresse hilflos ausgeliefert ist. Seitdem gibt es es kein Zuhause mehr, leben alle in einer synthetischen Innenwelt, lassen die Wohnungen von modernen Haftanstalten nicht mehr sich unterscheiden. Wie die Wärter in den Knästen garantieren die Experten, daß man nichts „falsch“ macht (das Falsche ist die Abweichung von der vergesellschafteten, instrumentalisierten Wahrheit). Hier wird der letzte bethlehemitische Kindermord vorbereitet.

    Die Definition der Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand erinnert an die Geschichte von Hase und Igel: Das Objekt mag sich anstrengen, wie es will, der Begriff, den es nie erreicht, ist immer schon da (Heidegger definiert denn auch konsequenterweise das Subjekt, den Repräsentanten des Begriffs, als „Dasein“).

    Maß der Gotteserkenntnis ist der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Gott wird nur von dem erkannt, der Seiner Erkenntnis sich angleicht. Hierin gründet das Konzept einer Theologie im Angesicht Gottes, das eins ist mit der Idee der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte. Der gleiche Sachverhalt drückt in dem Satz sich aus, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Gotteserkenntnis ist die Realisierung der Geistesgegenwart, die konkrete, handlungsleitende Erkenntnis seiner Gebote. Die grammatische Form der Gotteserkenntnis ist die Form der Lehre, ein Indikativ, der in sich selbst die Kraft des Imperativs repräsentiert, wie die Sätze Adornos:

    – „Erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“, und:

    – „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner zu lieben fähig ist“.

    Die Kritik der Ontologie ist der Anfang der Bekehrung des Sünders von den Wegen des Irrtums.

    Mit dem Absterben des Staates verliert der Weltbegriff seine Gewalt. Mit dem Ende des Staates wird auch der Tod nicht mehr sein; jede Träne wird abgewischt.

  • 30.4.1997

    Aufklärung ist präventive Apologie des Autismus (des Atheismus).

    Bekenntnislogik: Über den Verräter verliert man den Feind aus dem Blick. Solidarität ohne Komplizenschaft ist nicht instrumentalisierte Solidarität. Die Instrumentalisierung der Solidarität ist nur über die Instrumentalisierung des Feindbildes möglich, das aber heißt: duch einen Mechanismus, durch den der Feind apriorisiert, durch das Bild (durch ein synthetisches Konstrukt) ersetzt und so aus dem Blickfeld gerückt wird.

    Alle Feindbilder suchen „den Juden“. Der Antisemitismus ist das Grundmodell der Feindbildlogik, der sozialisierte Traum des Nebukadnezar.

    Ist nicht auch die kopernikanische Wende, das heliozentische System, durch die Bekenntnislogik determiniert?

    Wie man den Kopf oben behält: Am Ende nur gemeinsam.

    Es gibt eine Korrespondenz der Gegenwart zur Evolutionsgeschichte, die im Nationalsozialismus erkennbar wird (der Name Faschismus verharmlost den singulären Nationalsozialismus durch Verallgemeinerung).

  • 24.4.1997

    „Der Junge blieb vor dem Fenster stehen und starrte hinaus: ‚Der Mondschein‘, sagte er, ‚macht die ganze Natur so – knochenlos; die Sonne erweckt in dem Menschen Tatendrang, der Mond Gefühle.‘ – ‚Ja, das ist wahr‘, sagte Wenzlow lächelnd. ‚Darum ist die Sonne im Französischen männlich, le soleil. Der Mond, la lune, ist weiblich.’“ (Anna Seghers: Die Toten bleiben jung. Darmstadt und Neuwied, 1977, S. 386) Welche Konsequenzen hat diese Bemerkung für das Verständnis der deutschen Sprache, ihres sprachlogischen und herrschaftsgeschichtlichen Grundes?

    „Sie wachte zuweilen nachts auf und dachte: Ich möchte mein Kind aufpacken und weit weggehen. Wohin? Es gab kein Wohin mehr.“ (Ebd. S. 402) – Genauer läßt sich die Welt, die im Faschismus sich ausdrückte und die er hinterlassen hat, nicht beschreiben, als durch diese Zerstörung des Wohin. Es gibt keine Ziele mehr, auch keine Fluchtorte vor dem allgegenwärtigen Schrecken.

    Dritte Leugnung: Die Unterstützung des Nationalsozialismus im Rußlandfeldzug, im „Kreuzzug gegen den Bolschewismus und das Judentum“, in dem „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war, hat die Kirchen in den Abgrund mit hereingezogen, den die Nazis eröffnet haben, und der sich seitdem nicht mehr schließen läßt.

    Ist F.W. Marquardt nicht ein Beispiel dafür, daß die Theologie heute eine Opfer ihrer Sprache ist? Der Abgrund, in den die Theologie hereingezogen wurde, ist der Abgrund der Indikativs. Der Indikativ ist die Sprache der Exkulpation durch Objektivierung, durch Distanzierung von der Sache, die Sprache der reflexionslosen Verurteilung. Die Konstituierung und Rechtfertigung der Gegenständlichkeit hat den Imperativ aus der Sprache vertrieben, der dem Kommando im Wege stand, er hat den Namen Gottes geschändet, die Attribute Gottes unerkennbar gemacht.

    Der sprachlogische Grund des Indikativs ist das Neutrum und die Subsumtion Flexion der Verben, der Formen der Konjugation, unter die Zeit. Deshalb hat nur die Sprache der Schrift, das Hebräische, theologische Qualität, die anderen Sprache nur insoweit, wie es gelingt, die Schrift in diese Sprachen zu übersetzen. Ist das „Neue Testament“ nicht das Paradigma des Problems der Übersetzung der Schrift, und das Christentum die Folge eines – unter dem Zwang, nicht mißverstanden zu werden – unvermeidlichen und notwendigen Mißverständnisses?

    Der Antisemitismus hat den Trieb, nicht mißverstanden zu werden, vollendet und damit endgültig ins Leere laufen lassen. Er gründet in einer Sprache, die Mißverständnisse nicht nur nicht ausschließt, sondern keine Alternative mehr dazu kennt. Das innere Gesetz dieser Sprache ist der Indikativ. Hegel hat den Kern dieses Gesetzes im Begriff der List der Vernunft zu begreifen versucht. Der Antisemitismus ist das natürliche Ende dieser List der Vernunft (der Instrumentalisierung des Mißverständnisses).

    Die Instrumentalisierung des Mißverständnisses begründet die Logik der Gemeinheit (den logischen Kern des Antisemitismus). Kant hat das Gesetz dieser Logik in der transzendentalen Ästhetik vor Augen gestellt: in den „subjektiven Formen der Anschauung“. Aus dieser Wurzel stammen Hegels List der Vernunft, sein Begriff des Scheins und die Idee des Absoluten. Dem korrespondieren die drei den Indikativ sprengenden Kategorien, die Franz Rosenzweig im Stern der Erlösung benannt hat: die Umkehr (das Bild vom Koffer), den Namen (Name ist nicht Schall und Rauch) und das Angesicht. – Das Angesicht, das in der christlichen Idee der Anschauung Gottes, aus der jede Erinnerung an den göttlichen Namen getilgt ist, zum Ende der spekulativen Idee gemacht worden ist, ist bei Franz Rosenzweig der Anfang des Lebens (die Befreiung aus der Isolationshaft des Anschauens).

    Der Indikativ ist die Sprachlogik des objektivierenden Blicks, des Seitenblicks. So hängt er mit den subjektiven Formen der Anschauung (dem Instrument der Vergegenständlichung) zusammen.

    Der christliche Kanon der Schrift (des „Alten Testaments“), der die prophetischen Bücher zu historischen Büchern gemacht hat, ist ein Modell der kopernikanischen Wende, sein Vorläufer in der Theologie, der erste Ausdruck des Seitenblicks, sein Preis war der christliche Antijudaismus. In diesem Modell der kopernikanischen Wende waren die Elemente der Logik schon vorgebildet, die dann den Sternenhimmel, die ganze Natur und mit ihnen den Staat, den Begriff der Politik, verhext haben: Das heliozentrische System war der logische Grund des aus ihm erwachsenen Nationalismus, in dessen Dienst schon die Umwidmung der prophetischen in historische Bücher stand.

    Die Geschichte des Christentums hat ihren theologischen Ort zwischen Tod und Auferstehung: in der descensio ad inferos.

    Läßt sich nicht das Verhältnis von Leviticus und Deuterinomium am Verhältnis von Lev 26 und Dt 28 demonstrieren (und das Verhältnis des Exodus zum Deuteronomium an den beiden Fassungen des Dekalogs)?

    Der islamische theologische Topos, daß Gott die Welt in jedem Augenblick neu erschafft, ist die zwangsläufige Konsequenz einer Gottesidee, die – wie der Begriff des Absoluten – vom Staat nicht zu trennen ist. Die volle Schöpfungsmacht, die hier in jedem Augenblick auf das Geschöpf prallt, ist der theologische Grund des Islam, der Ergebung in Gottes Allmacht, der nichts widerstehen kann. Die Erfahrungsgrundlage dieser Schöpfungsmacht ist die Staatsgewalt.

    Sind nicht die Rechtsstaatsideologie und der Habermas’sche Verfassungspatriotismus ein Versuch, des faschistischen Erbes, das durch Reflexion aufzulösen wäre, durch einen zweiten Objektivationsschritt Herr zu werden: „Dressur des inneren Schweinehundes“. Die Reflexion, die heute notwendig ist, ist ohne die Hilfe der Theologie nicht mehr zu leisten.

    Zu Walter Benjamins Engel der Geschichte: Die Trümmer, die vor ihm sich aufhäufen, ist das nicht der Schutt, unter dem wir begraben sind, und zugleich der Leichenberg, auf dem wir stehen? Hängt das nicht mit der Konstruktion des Zeitkontinuums zusammen, durch den wir uns sowohl an den Anfang wie auch ans Ende der Zeitreihe, die beide im Unendlichen liegen, setzen? Die Aufspaltung der Zeit, die dem Indikativ zugrunde leigt, wird erzeugt und stabilisiert durch die Begriffe Natur und Welt. Die Natur ist der Leichenberg, die Welt der Trümmerhaufen. Dagegen richtet sich der Satz: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.

    Der Atheismus hat in der Linken seit je die Regression gefördert.

    Das Problem Miskottes ist, daß er aus dem Zwang zur Erbaulichkeit, in den ihn die Gemeindetheologie hineinführt, nicht herauskommt.

    Die Kirchengeschichte der Theologie: Dogma, Orthodoxie und Bekenntnislogik, gründet in der Verwechslung von Erkenntnis und Wissen. Das Wissen ist ein Produkt der Vergesellschaftung von Erkenntnis (die Habermas durch seinen Begriff der „privilegierten Erkenntnis“ zu diskriminieren gezwungen ist). Das Wissen subsumiert die Erkenntnis unter das Objektivierungsgesetz, das insbesondere die Gotteserkenntnis strikt ausschließt. „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott.“ Das Unkraut, das vor der Ernte nicht ausgerissen werden darf, ist die ins Wissen transformierte Erkenntnis. Die Häretiker sahen das Unkraut, sie wollten es vor der Ernte ausreißen. Mit der Verurteilung der Häresien hat die Kirche nur den Blick auf das Unkraut verboten, seine Wahrnehmung untersagt: hat sie nicht anstelle des Weizens das Unkraut in ihrem Garten gehegt und gepflegt?

    Die kopernikanische Wende (der die Kirche mit der Entwicklung des Dogmas und der Ausbildung der Orthodoxie vorgearbeitet hat) hat die Sensibilität in Empfindlichkeit verwandelt. Ausdruck dessen war die Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten, die Subjektivierung der „Empfindungen“.

    Steckt das Problem des Lichts nicht in der Geschichte der Auseinandersetzung Goethes mit der newton’schen Optik, in der Beantwortung der Frage, ob aus den Farben, aus den Brechungen des Lichts, das Licht sich rekonstruieren läßt? Goethes Bemerkung, daß die Mischung aller Farben grau, nicht weiß ergibt, ist ein Hinweis darauf, daß die Brechung des Lichts wie der Tod irreversibel ist. Physikalischer Ausdruck dieser Irreversibilität ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: So hängt der Bogen in den Wolken mit dem Inertialsystem zusammen.

    Was hat der Menschensohn auf den Wolken des Himmels mit dem Bogen in den Wolken zu tun?

    Der Bogen in den Wolken verkörpert die Naturbeherrschung in allen ihren Gestalten: Er ist das gegenständliche Korrelat des Schreckens der Tiere.

  • 22.4.1997

    Die Ursprungsgeschichte der Philosophie ist die Ursprungsgeschichte einer theoretischen Beziehung zur Objektivität, die in Alexander praktisch geworden ist (die Ursprungsgeschichte der stoischen Ataraxia – die Keimzelle des „eliminatorischen Antisemitismus“ – ist im Kollosseum in Rom als Kulturdenkmal der Erinnerung präsent und sinnlich erfahrbar).

    Die Geschichte der Häresien ist ein Indikator der inneren Geschichte des Christentums. Die Häresien waren ein projektiv entstellter Ausdruck der historisch-moralischen Probleme des Christentums. Mit der Verurteilung der Häresien sind diese Probleme nicht gelöst, sondern verdrängt – und eben damit perpetuiert – worden. Die Kirche hat ihre eigene Tradition zunächst in Isolationshaft, dann in Geiselhaft genommen: Das Dogma sind die Steine, die Bekenntnislogik der Mörtel und die Orthodoxie die Mauern des Gefängnisses, in die die Tradition eingesperrt worden ist. Der Schlüssel zu diesem Gefängnis ist die logische Figur von Schrecken und Verurteilung.

    Die drei Leugnungen Petri, Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister, der Kelch (Taumelkelch und Unzuchtsbecher, die Zebedäussöhne und Getsemane), der Weltbegriff und das Tier, Ankläger und Verteidiger (Satan und Paraklet).

    Zum Kelch: Hegel ist nur bis zum Taumelbecher gekommen, seine Philosophie ist die Grenze und der Übergang zum Unzuchtsbecher.

    Daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt, heißt das nicht, daß Gott seitdem keine Rückseite mehr hat?

    Gegen den Gebrauch des antisemitischen Begriffs Judenfrage (Marquardt) ist der Einwand durchschlagend, daß der Antisemitismus nichts mehr mit den Juden, sondern nur noch etwas mit den Antisemiten zu tun hat. Der Holocaust, die „Endlösung der Judenfrage“, war die Eröffnung in eine Sphäre, die sich seitdem nicht mehr schließen läßt. Nicht als ob es Vergleichbares nicht auch schon vorher gegeben hätte, nur hier ist der Durchbruch in die logisch-politische Sphäre der Öffentlichkeit gelungen, der irreversibel ist. Seitdem sind Menschenrechtsverletzungen, sind politische Unterdrückung und Verfolgung, Repression und Folter Objekte der „Weltöffentlichkeit“. Vor diesem Hintergrund sind die Habermas’sche Wendung zur Theorie des kommunikativen Handelns, ist das Motto „Dressur des inneren Schweinehunds“ so tief problematisch.

    Die Welt ist die Gebärmutter des apokalyptischen Tiers. Wer ist die „Frau am Himmel“?

    Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein: Wenn das Inertialsystem etwas mit der Feste des Himmels (mit der Scheidung der unteren von den oberen Wassern) zu tun hat, ist dann das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Hinweis auf die Identität von träger und schwerer Masse der Beginn der Lösung? Ist der zweite Schöpfungstag die Prophetie der Apokalypse?

    Wie hängen der Ursprung der Schrift und die Astronomie, die Sternenkunde, zusammen? Wie wird der Himmel von den Naturvölkern, den schriftlosen Völkern, erfahren? Im Islam ist Gott ein schreibender, kein sprechender Gott: ein Gott ohne Angesicht (ist das nicht die Widerlegung des Islam?).

    Läßt sich die Konstruktion der aristotelischen Philosophie nicht daraus ableiten, daß sie (wie dann wieder Hegel) das tode ti, das hic et nunc, unter dem Apriori der Logik der Schrift erfährt? Wird dadurch nicht zwangsläufig die noesis noeseos zum Ersten Beweger (und Alexander seine historische Verkörperung)? Und ist nicht die noesis noeseos zum Inbegriff der Logik der Schrift?

    Die Aufklärung verdankt sich der Rückprojektion der Logik der Schrift in die Dinge (die so zu Dingen werden).

    In der adäquatio intellectus ad rem ist die res der Reflex der Dinge in der Schrift, in der Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand ist der Gegenstand, das Objekt, der Statthalter des Subjekts in den Dingen.

    Es gibt heute einen vulgärmaterialistischen Begriff des Idealismus, der schon das Begreifenwollen als idealistischen Trieb denunziert.

    Man erkennt einen Menschen daran, was er erkennt, wie er die Dinge sieht. Was bedeutet dann der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, genauer: was bedeutet dieser Satz für die Gotteserkenntnis?

    Das Bilderverbot und das Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, sind drastische Hinweise darauf, daß Gott keine Rückseite hat (daß die Idee des Ewigen die Vergangenheit von sich ausschließt). Ist der Anfang des Sterns der Erlösung nicht nicht eine deutliche Erinnerung daran, daß das – allerdings auf sehr unterschiedliche Weise – auch für Welt und Mensch gilt? Ist nicht darin das Nichtwissen von Gott Welt Mensch begründet?

    Theologie ist der Versuch, im Imperativ den Indikativ zu entdecken, während der Aufklärung (der Kosmologie) gleichsam unter den Händen der Indikativ zum Imperativ wird.

    Der am Objektbegriff gewonnene Begriff des Allgemeinen bezeichnet nicht das Allgemeine schlechthin, sondern das der Gattung. Deshalb konnte Hegel aus dem Begriff die Tatsache unterschiedlicher Arten und Gattungen der Tiere nicht ableiten. Deshalb kann Hegel zufolge „die Natur den Begriff nicht halten“. Hier ist er gezwungen einzubekennen, daß es die eine Welt nicht gibt. Die Idee der einen Welt ist im Angesicht der Geschichte nur zu halten, wenn die Weltgeschichte zum Weltgericht wird.

    Das Theologumenon, daß Gott die Welt erschaffen hat, die creatio mundi ex nihilo, ist der Grund jeglichen Fundamentalismus. Eine Theologie, die vom Begriff der Weltschöpfung ausgeht, macht Gott zum Absoluten, in dem am Ende nur der Staat sich spiegelt.

    Gibt es nicht einen Kirchen- und Gemeindebegriff, in dem die Kirche selber die Ghettomauern errichtet, in denen sie verrottet?

    Was die Nazis Humanitätsduselei und Ludwig Erhard die „Sünde wider die Marktwirtschaft“ nannten, trägt den theologischen Namen Barmherzigkeit.

    In den Worten Leib und Fleisch drückt die Differenz zwischen dem An sich und dem, was für andere ist, seiner Instrumentalisierung, sich aus (das Angesicht gehört zum Leib, wie die Person zur soma, niemals zum Fleisch). Das Blut hat nur diesen einen Namen, mit der Folge, daß wir allein das instrumentalisierte Blut darunter verstehen, während das An sich (die „Seele des Fleisches“) gegenstandslos geworden ist. Endgültig instrumentalisiert wurde das Blut – über die religiöse Vorgeschichte der Märtyrer- und Reliquienverehrung – in dem gleichen Säkularisationsprozeß, der diese religiöse Vorgeschichte beendete, in der Objektivierung des Blutkreislaufs, in dem gleichen Prozeß, in dem auch – im heliozentrischen System – die Objektivierung der Planetenbahnen sich vollendete. Das heliozentrische System ist das System der Subjektivierung und Instrumentalisierung der Zwecke. Es ist der gleiche Prozeß, in dem – in der Ursprungsgeschichte des Kapitalismus – die Zwecke zu Mitteln geworden sind, der transzendentalen Logik und dem Kausalitätsprinzip unterworfen wurden.

    Im Kontext des heliozentrischen Systems wird die biblische Blutsymbolik nicht nur unverständlich: Das heliozentrische System rückt die Blutsymbolik in eine Logik, in der sie zu den Voraussetzungen des Faschismus, des Rassismus und des Antisemitismus gehört (die gleiche Logik hat die Barmherzigkeit endgültig in Hysterie transformiert und die Barbaren durch die Wilden ersetzt).

    Das kopernikanische System hat mit der Teleologie die Idee des seligen Lebens, die Vorstellung des Endzwecks, in der Wurzel zerstört. Es hat sie durch die Rechtfertigungslehre ersetzt. Entscheidend war nicht mehr die Tat (und das göttliche Gericht über die Tat), sondern das Urteil über die Person („wie bekomme ich einen gnädigen Gott“), nicht mehr die Sünde, die ich zu meiden hatte, sondern die Schuld, der ich entgehen wollte.

    Jesus hat die Welt nicht entsühnt, er hat nicht die Schuld der Welt hinweggenommen, sondern die Sünde der Welt auf sich genommen. Hierfür ist die Kirchengeschichte der Beweis, und hierzu gehört die Geschichte von den drei Leugnungen Petri, von Maria Magdalena und den sieben unreinen Geistern, aber auch die ganze Kelchsymbolik sowie Hegels Wort, er sei „von Gott dazu verdammt, ein Philosoph zu sein“.

    Hat die fliegende Schriftrolle, „der Fluch, der über das ganze Land ausgeht“ (Sach 51) etwas mit dem Himmel, der wie eine Buchrolle sich aufrollt (Jes 344, Off 614), zu tun?

    Die Zentralbanken haben Himmel und Erde ehern und eisern gemacht (Lev 2619, Dt 2823). Zu ihrer Vorgeschichte gehören das Dogma und die Bekenntnislogik, zu ihrer Begleitgeschichte die kopernikanische Wende und die Naturwissenschaften. Die Geschichte der Banken ist die Ursprungsgeschichte des Inertialsystems.

    Das Urschisma und die Urhäresie (die Gnosis) gehören zu den Konstituentien der Bekenntnislogik, die Ausgrenzung der Frauen gehört zu ihren Folgen.

    Wenn es stimmt, daß der deutsche Name des Himmels etymologisch mit dem des Hammers zusammenhängt, hat das etwas mit Lev 2619 und Dt 2823 zu tun?

    Sind nicht das Inertialsystem, die subjektiven Formen der Anschauung und die Totalitätsbegriffe Natur und Welt Verkörperungen des „ehern“ und „eisern“ in Lev 2619 und Dt 2823? Spiegelt sich in der Differenz zwischen Lev und Dt die Differenz zwischen Kosmologie und Politik?

    Der Wertbegriff stammt aus der Ökonomie. Er gehört zu den synthetischen Urteilen apriori, die der Neutralisierung der Teleologie, der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel (der Zukunft unter die Vergangenheit) sich verdankt. Er gehört in den Bereich der reflektierenden Urteile, die unterm Apriori der Gewalt (des Rechts und des in ihm sich verkörpernden Gewaltmonopol des Staates) zu bestimmenden Urteilen werden. Wertordnungen sind politische Ordnungen. Reflex dieses Aprioris der Gewalt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die transzendentale Ästhetik.

    In der Kritik der Urteilskraft, in seiner Theorie der reflektierenden Urteile, die auf Ideen sich beziehen, die regulative, nicht konstitutive Bedeutung haben, steckt die kantische Kritik der Gewalt. Diese kantische Kritik der Gewalt ist durch den Faschismus in eine Engführung gebracht worden, aus der es nur dann einen Ausweg gibt, wenn es gelingt, den Bann zu brechen.

    Wer Gott zum Herrn der Geschichte macht, rechtfertigt nur das transzendentale Subjekt und leugnet Auschwitz.

    Wie hängt der Satz aus der Dialektik der Aufklärung über die Distanz zum Objekt (die vermittelt sei durch die Distanz die der Herr durch den Beherrschten gewinnt) mit dem Problem der Subsumtion der Zwecke unter die Mittel zusammen?

  • 15.4.1997

    Weltbilder und Weltanschauungen sind Produkte eines Prozesses, in dem die Welt zum Satellitensystem des Unschulds- und Exkulpationstriebs gemacht wird. Zu ihren Konstruktionsprinzipien gehören der Rechtfertigungszwang und das Schuldverschubsystem. Deshalb war der Rußlandkrieg als Weltanschauungskrieg, der den Nazis die Unterstützung der Kirchen gebracht hat, und in dessen Schatten sie die „Endlösung der Judenfrage“ in Angriff nehmen konnten, ein Vernichtungskrieg.

    Weltanschauungen sind Verkörperungen der Wege des Irrtums, ihr Modell ist das heliozentrische System. Das Christentum ist schon mit Konstantin heliozentrisch geworden: Die Unsterblichkeitslehre und die Verräumlichung des Himmels (der oberen Welt, die so zum Reflex und zu einem Instrument der Herrschaftslogik geworden ist), der katholische Mythos insgesamt, sind ein Teil der Vorgeschichte des heliozentrischen Systems, eine Vorstufe der kopernikanischen Wende.

    Unsere Konflikte sind Eruptionen unserer Konfliktunfähigkeit (eines sehr katholischen Erbes, aber eines Erbes, das nicht durch „Überwindung“, durch Verdrängung ins Vergangene, sondern allein durch Erinnerungsarbeit zu entschärfen ist).

    Ist das Inzestverbot ein Institut der Feindesliebe? Und ist die Ehe deshalb ein Sakrament? Und steckt nicht in der Eucharistie, die auch ein Sakrament ist, die Erinnerung an den Kannibalismus in den Fundamenten unseres Selbstverständnisses: das ungeheure Motiv der Identifizierung von Brot und Fleisch (wie auch der Identifizierung von Wein und Blut)? In der Eucharistie werden das Opfer Abels und das Kains zu einem Opfer.

    Die Logik der Erbaulichkeit wird unvermeidbar, wenn man die Erinnerung des barbarischen Untergrundes der Sakramententheologie nur verdrängt.

    Die Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern ist ein Symbol der Befreiung von den Zwängen der „Wege des Irrtums“, der Heliozentrik und des Planetensystems, vom Bann des Unschuldssyndroms.

    Der Sonntag ist der „Tag des Herrn“, die dies dominica (und die konsequenteste Verkörperung des Unschuldsyndroms ist der „Herr“, der – wie die Sonne die Kraft, die Finsternis der Nacht zu verdrängen – die Macht hat, die Erinnerung an die Schuld zu unterdrücken). Aber der Messias kommt „wie ein Dieb in der Nacht“.

    Natur und Geschichte: Das Sich-den-Kopf-der-Anderen-Zerbrechen gehört zum Bildungsprozeß des Planetensystems. Das Sich-den-Kopf-der-Anderen-Zerbrechen ist das logische Pendant der Unfähigkeit, die Vergangenheit anders als unter dem Zwang der der Schuldsuche zu reflektieren.

    Die Idolatrie zerbricht sich den Kopf Gottes.

    Beschreibt nicht die Geschichte der Verrhärtung des Herzens Pharaos die Bildungsgeschichte des Schuld-/Planetensystems? Das Planetensystem ist das Satellitenssystem der Schuldverschiebung. Die Fähigkeit, dieses System durch Reflexion aufzulösen, ist Teil der Fähigkeit zur Sündenvergebung: sie „deckt eine Menge Sünden zu“.

    Der Harmonietrieb und die Konstellation von „Autismus und Geiselnahme“ sind Teil eines Prozesses.

  • 12.4.1997

    Wenn Kant zufolge die Welt das mathematische Ganze der Erscheinungen ist, ist dann nicht der Staat der Ursprung der Mathematik, und enthält dann nicht Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ die Kritik des Staates und der Mathematik (und den Anfang der resurrectio naturae)?

    Zum „Namen, den niemand kennt“: Wer kennt schon seinen Namen? (Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß.) Hat die Änderung der Namen im Buch Daniel etwas mit den Namensproblemen in den Evangelien zu tun (mit Simon/Petrus, Saulus/Paulus, Simon Kananäus/Nathanael aus Kana, Levi/Matthäus)?

    Zu Simon Kananäus: Ist die Eigenschaft eine Ortsbezeichnung im Begriffsraum? Gibt es nicht „Eigenschaften“ (die durch richterliches Urteil festzustellen sind), die ihren „natürlichen Ort“ im Knast haben?

    Ist der Charakter ein psychologischer Reflex des Inertialsystems (der „Planeten“ in der vorkopernikanischen Welt)?

    Neoliberalismus, freie Marktwirtschaft, Globalisierung: Die Kapitulation des Staates vor der öffentlichen Gewalt des Geldes, die kopernikanische Wende in der Ökonomie.

    Ist beim letzten Satz des Jakobusbriefs nicht an den Adressaten, der im Satz benannt wird, zu erinnern: Richtet sich der Satz, daß, wer einen Sünder von den Wegen seines Irrtums bekehrt, seine eigene Seele vom Tode rettet, nicht an die „zwölf Stämme in der Zerstreuung“, und sind die Völker (die Verehrer der Planeten) der „Sünder auf den Wegen seines Irrtums“?

  • 11.4.1997

    Das Geld instrumentalisiert die Asymmetrie der Beziehungen zwischen mir und den Anderen, es trennt Natur und Welt, es teilt die Welt in innen und außen. Die Trennung der subjektiven Formen der Anschauung ist durch die Logik des Geldes vermittelt. Das Geld konstituiert den Naturbegriff durch seine Trennung vom Ausblick auf die Auferstehung, die nur für die Andern gilt: durch Instrumentalisierung und Verdinglichung.

    Das Wort „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ ist ein antikapitalistisches Wort.

    Ist nicht der Pharao die Verkörperung der Logik des Geldes: „Faul seid ihr, faul“? Joseph hat geholfen, das Haus zu errichten, an das der Name des Pharao erinnert, und das zum Sklavenhaus geworden ist, als ein Pharao kam, „der Joseph nicht mehr kannte“. Zu dieser Geschichte gehört die Geschichte der Verhärtung des Herzens.

    Das Resultat der christlichen Verarbeitung des „Alten Testamentes“ war die Zerstörung der Logik der Prophetie, das Instrument dieser Zerstörung war die Historisierung der Schrift, die implizite Leugnung der Offenbarung.

    Das Geld begründet die Unendlichkeit des Triebs, den Wurm, der nicht sterben kann.

    Golgatha hat den Exodus zugespitzt auf die Beziehung von Tod und Auferstehung.

    Der Schlüssel zum Verständnis des Christentums liegt in den Häresien: Man wird zu dem, was man verurteilt. Der Akt der Verurteilung trifft nicht nur das Objekt der Verurteilung, er liefert zugleich das Alibi, selber dem Objekt sich angleichen zu müssen.

    Sich von der Terrorisierung durch eine Logik, die dazu führt, daß es bis heute die Opfer waren, die die Zeche haben zahlen müssen, nicht überwältigen lassen!

    (Was hat die Zeche <Entgelt> mit der Zeche <Bergwerk> und dem Zecher zu tun?)

    Die Vögel des Himmels: Sind Vögel (vom Adler über die Raub- und Singvögel bis zum Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt) Geldtiere?

    Der kantische Hinweis, daß das Geld die Vorstellung erweckt, was man damit alles machen könne, gilt eigentlich nur für das Geld der Andern (vgl. hierzu die Reaktion des Judas Ischarioth auf die „Verschwendung“ bei der Salbung Jesu durch die „große Sünderin“).

    Wie sind die betriebswirtschaftliche, die nationaökonomische und die private Erfahrung des Geldes auf einander bezogen?

    Die Verwaltung ist die institutionelle Umkehrung des Satzes „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“. Die im Kontext des gegenwärtigen Sozialabbaus in Bewegung gesetzten Phantasien („Mißbrauch der Sozialhilfe“) werden von dieser Umkehrung organisiert und geleitet.

    Laufen nicht die Versuche, sich die Befreiung unterm Bilde des Exodus vorzustellen, auf eine Verharmlosung hinaus? Was heute Befreiung heißen darf, dürfte eher der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft gleichen als der aus dem ägyptischen Sklavenhaus. Das Bild des Exodus überläßt die Verantwortung den Opfern (die „selber schuld“ sind).

    Das Gebot der Feindesliebe votiert für den Namen und destruiert den Begriff. Es gibt keinen Begriff ohne das Moment der Feindschaft in ihm (der Feindschaft gegen das Objekt und gegen sich selbst). Der Begriff zerbricht sich den Kopf des Andern.

    Triebleben des Begriffs: Gotteserkenntnis setzt die Entpsychologisierung des Begriffs der Verdrängung voraus, daß man im Begriff der Verdrängung das logische, begriffskonstituierende Element begreift. So steckt in Adornos Begriff der autoritären Persönlichkeit weniger ein psychologisches als vielmehr ein herrschaftslogisches Konzept.

    Der Schlüssel zur Logik der Verdrängung liegt im Problem der Orthogonalität (die Orthodoxie ist das theologische Korrelat der Orthogonalität). Die Orthogonalität ist das Instrument der Veranderung (der logische Kern des Urteils und der Ontologie). Die Orthogonalität begründet die Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Logik der subjektiven Form der inneren Anschauung, die Vorstellung des Zeitkontinuums. (Die Verräumlichung der Zeit, ihre Vergegenständlichung, die das Zeitliche zu dem, was es nicht ist, zum Gegenstand der Anschauung macht, ist der logische Kern des „Seitenblicks“, der in der kopernikanischen Wende universal geworden ist.)

    Beschreibt der Traum des Pharao (von den sieben Kühen und Ähren, die eigentlich sieben Jahre sind) nicht den Ursprungspunkt des „Seitenblicks“, der Verräumlichung der Zeit, und benennt der Traum des Nebukadnezar das Moment der Verdrängung in diesem Seitenblick?

    Merkwürdig, daß Joseph nach den Träumen Pharaos nur Vorräte von Getreide anlegt, das Fleisch (die „Kühe“) nicht mit einbezieht, während der Traum des Nebukadnezar auf Tiere sich bezieht. Die Erinnerung an die Kühe erscheint erst wieder in der Erinnerung der Israeliten an die „Fleischtöpfe Ägyptens“. Gibt es eine logische Beziehung der biblischen Tieropfer hierzu? Hatten die Ägypter überhaupt Viehbestände (und richtete sich der Widerstand der Ägypter nur gegen die Kleinviehherden der Israeliten)? Die fünfte und die sechste Plage (die Pest und die Beulen aus dem Staub) richteten sich gegen das Vieh (die Beulen auch gegen die Zauberer), in die Tötung aller Erstgeburt in Ägypten war auch das Vieh mit einbezogen.

    Wie hängen der Begriff des Fleischs und das Opfer mit einander zusammen: ist Fleisch der Leib für andere (und zwar im Kontext der Sexualität wie in dem des Verzehrs)? Gehört nicht zum Begriff des Fleischs die Doppelbedeutung des „Gerichts“ (mit den logischen Konnotationen des Urteils und der Verurteilung, der Konstituierung des Objekts)? Gibt es eine logische Begründung für den Zusammenhang des Fleischessens mit der Ausbildung hierarchischer Strukturen und dem Ursprung der Herrschaftslogik (mit den „Wegen des Irrtums“)?

  • 9.4.1997

    Heute wird auch die Philosophie zum Markenartikel: Es gibt weder die Kritische Theorie noch die Theologie.

    Adornos Programm der „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“ ist zweideutig: Die christliche Theologie, die orthodoxe dogmatische Theologie, ist bereits – als Theologie hinter dem Rücken Gottes (als „Rede von Gott“) – das Produkt ihrer vollständigen Säkularisierung, während Adornos Konzept auf das genaue Gegenteil: auf das Ende der verdinglichten Theologie und die Realisierung der Theologie als eine Gestalt eingreifender Erkenntnis abzielte, auf eine Theologie im Angesicht Gottes.

    Die Orthodoxie ist der Inbegriff der 99 Gerechten, die Geschichte der Häresien der des einen Sünders und seiner Wege des Irrtums. Über die Bekehrung dieses einen Sünders herrscht mehr Freude im Himmel als über die 99 Gerechten.

    Die Kritik der Metaphysik, wenn sie nicht im Mythos enden soll, ist nur möglich durch Kritik der Ontologie, an deren Stelle die Ethik zu treten hätte, im Kontext einer Theologie, die den Satz zur Richtschnur der Erkenntnis macht, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen. Dem entspricht der Benjamin’sche Begriff der Lehre.

    In dem die Geschichte der Dogmenbildung begleitenden Prozeß der Auseinandersetzung des Christentums mit den Häresien ist dieser Imperativ externalisiert, zum Instrument der Verurteilung und zum logischen Kern eines Schuldverschubsystems gemacht worden, mit den bekannten fürchterlichen Folgen fürs Christentum.

    Modell war die Internalisierung des Mythos, des Schicksalsbegriffs, in der Ursprungsgeschichte der Philosophie (des Begriffs). Anhand der Ursprungsgeschichte der Philosophie wäre der Zusammenhang des Ursprungs des Schuldverschubsystems mit der Konstituierung der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt zu demonstrieren.

    Der Begriff der Größe hängt mit dem des Erhabenen zusammen. Deshalb ist bei Kant der Sternenhimmel über mir ebenso „erhaben“ wie das moralische Gesetz in mir. Das Erhabene ist das über alles, was der Fall ist, Erhabene, das über die Welt Erhabene. Aus der gleichen Logik stammt das historische Attribut der Größe, das den historischen Prozeß der Konstituierung der Welt (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) begleitet.

    Der Begriff des Erhabenen erinnert ans Erhobene und ans Haben.

    Ist das Erhabene der selber nicht säkularisationsfähige Grund des Säkularisationsprozesses, ein Moment der inneren Logik des Eigentums?

    Wird die „irre Fahrt zu den Sternen“ heute nicht im Ernst zum Menetekel?

    Der biblische Fluch ist ein Instrument der Verurteilung, der Inbegriff seiner Logik (der biblische Reflex des Schicksals). Hat er nicht in der Tat etwas mit der Idee des Himmels zu tun?

    Wie hängt der zweite Schöpfungstag mit Lev 26 und Dt 28 zusammen?

    Das Problem der Theologie heute ist von dem der Apologie irgend einer der kirchlichen Denominationen streng zu trennen. Eine andere Frage ist, ob, was heute noch Theologie heißen darf, überhaupt an einer der akademischen Einrichtungen, seien sie kirchlich oder seien sie staatlich, noch seinen Ort finden kann. Theologie heute wäre

    – prophetische, und d.h. sowohl staats- als auch kirchenkritische Theologie,

    – messianische, auf Realisierung, Erfüllung zielende Theologie und

    – parakletische Theologie, das Organ des verteidigenden, das Gericht überwindenden, ihm enthobenen Denkens, das Organ des aufrechten Gangs.

    Das Buch der Richter ist ein prophetisches Buch, und als solches hat Lillian Klein es erstmals wieder begriffen (über der Prophetie steht der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen).

    Zur Begründung des Kausalitätsprinzips: Die gemeinsame Logik der modernen Naturwissenschaft und des Kapitalismus ist die Logik der „List der Vernunft“, sie ist im genauesten Sinne hinterhältig (sie konstituiert sich hinter dem Rücken der Dinge). Der Listige spannt den Andern, ohne daß er es merkt, für seine Zwecke ein. Das biblische Symbol des Subjekts dieser Vernunft ist die Schlange, ihr grammatisches, sprachlogisches Korrelat das Neutrum.

    Wie hängt die List mit dem Unschuldssyndrom und dem Schuldverschubsystem zusammen?

    Die Fähigkeit zur Schuldreflexion entgründet den Universalismus, destruiert das Überzeitliche und bindet die Erkenntnis an die Aktualität, an ihren Zeitkern. Das Unum ist nicht die Grundlage, sondern – in dem Gebot der Einigung des Gottesnamens – das Ziel.

    Was geschieht, wenn der westliche Antizionismus und die antiislamischen Tendenzen sich vereinigen?

    Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Der „Hinterkopf“, die Fähigkeit, mit offenen Fragen zu leben und das Urteil zurückzustellen, ist das Organ der Gottesfurcht.

    Zu einer Theorie des Feuers: Sind die Objekte der Mikrophysik gemeinsame Abkömmlinge des „Wärmestoffs“ und des „Äthers“?

    Die Bundesanwaltschaft: das suizidale Experiment der gnadenlosen Anklage.

    Die kleine Veränderung, die der Messias an der Welt vornehmen wird, ist die Selbstreflexion des Hinter dem Rücken und die Selbstbegründung des Angesichts. Das wäre die endgültige Umkehr und die Befreiung von den sieben unreinen Geistern. Diesen Vorgang beschreibt die Apokalypse.

    Die Siebenzahl bezeichnet keine Fülle, sondern die Gesamtheit der Wege des Irrtums.

    Teufel und arme Seele: Wer den Begriff der Schöpfung auf die Welt bezieht, hält die Frage offen, ob die Menschen zur Welt oder auf die Seite des Schöpfers gehört. Das ist der Preis für die Vorstellung der Einheit der Welt.

    Der Historismus ergreift die Partei des Todes.

    Reflektierende Urteile – und die sind das Element, in dem die Theologie sich bewegt – sind nicht konstitutive, sondern regulative Urteile.

    Wäre es nicht notwendig, nachträglich noch einmal die Diskussion zwischen Benjamin und Horkheimer über die Vergangenheit des Vergangenen aufzunehmen? – Vgl. hierzu Horkheimers Frage, ob auf dem riesigen Leichenberg, auf dem wir stehen, die Idee einer richtigen Gesellschaft überhaupt noch sich denken läßt.

    Hat der Satz, daß Auschwitz uns umso näher zu rücken scheint, je weiter wir uns historisch von ihm entfernen, nicht etwas mit dem Satz Karl Thiemes, daß Hitler nicht der Antichrist, sondern nur die Generalprobe war, zu tun?

    Der letzte Satz des Jakobusbriefs ist das christliche Äquivalent zu Jer 3134. Zwischen beiden Worten liegt der Ursprung des Weltbergriffs.

    Die kopernikanische Wende hat die Differenz zwischen Himmel und Erde zwar nicht aufgehoben, aber so verwirrt, daß davon auch die Theologie nicht unberührt geblieben ist. Als die Erde unter die Planeten, und damit an den Himmel, versetzt wurde, ist auch der Himmel und mit ihm die Theologie endgültig entgegenständlicht worden. Seitdem sind wir selbst zum Gegenstand der Theologie, ist das zentrale Thema der Theologie, die Beziehung von Gericht und Barmherzigkeit, zu einem inneren Problem der Erkenntnis geworden.

  • 8.4.1997

    Ist es nicht das ganze jämmerliche Rechtfertigungsgerede, das Anton-Andreas Guha heute (in seinem Beitrag zur Goldhagen-Debatte) zusammengestellt hat, vom „die andern auch“ über „Versailles“ bis zu den gesellschaftlichen Umständen der 20er und 30er Jahre? So hofft er, den Schrecken, an den Goldhagen erinnerte, neutralisieren zu können (mit der besonderen Infamie, mit der der Kollektivschuld-Vorwurf, den wir aus dem Ausdruck „die Deutschen“ reflexartig heraushören und offensichtlich nur noch rassistisch verstehen können, dann auf den Autor zurückprojizieren: weil der Kollektivschuld-Vorwurf zu den Wurzeln des Rassismus gehört, sind Rassisten gegen ihn immun?).
    Die Verführung der Urteilsmagie liegt in ihrem Rechtfertigungseffekt: Deshalb schlagen die Rechtfertigungszwänge, die Wiederholungszwänge sind, den Takt zu den kunstvollen Eiertänzen, zu denen Goldhagen seine Kritiker gezwungen hat. Die Rechtfertigungsorgie funktioniert nach der Logik „100 Millionen km Schweif! – Was sind wir doch für kleine Würstchen“.
    Steckt nicht in den Rechtfertigungszwängen, die in dem „jämmerlichen Schauspiel“ sich manifestieren, das Bedürfnis und der Trieb nach neuen Objekten der Eliminierung?
    Das Kind der Ehe, die die Gnade der späten Geburt nach dem Krieg mit der Urteilsmagie eingegangen ist, wird der neue Faschismus sein.
    Käme es nicht endlich darauf an, das apokalyptische Bild des „großen Zeichens am Himmel“ (Off 12) ins Sprachlogische zu übersetzen?
    Auch der Naturschutz ist ein Instrument der Ausgrenzung, der Perhorreszierung des Eingedenkens.
    Jede Rechtfertigung beruft sich auf die Natur, wenn sie die Freiheit verleugnet.
    Die Rechtfertigungslehre ist längst an der Hoffnung verzweifelt, daß der Himmel sich zu öffnen vermag.
    Monaden sind fensterlos: War die Leibniz’sche Monadenlehre der Anfang der Selbstreflexion einer anderen Planetentheorie, gehört nicht zu den „Wegen des Irrtums“ der nach außen versperrte Blick? Der aber war das Werk der kopernikanischen Wende.
    Die Hypothese, daß die RAF derzeit in ihre autistische Phase kommt, greift weit über den Bereich der RAF hinaus. Die Angriffe von Vertretern der naturwissenschaftlichen Medizin in den letzten Tagen gegen die psychosomatische Medizin (auch gegen die Homöopathie und andere alternative Methoden) hängt mit der Unfähigkeit zur Reflexion zusammen, die jetzt auf die Objekte und Inhalte der Medizin zurückzuschlagen scheint. Das in die Naturwissenschaften eingebaute Unschuldssyndrom (die mit der kopernikanischen Wende begründeten und dann automatisierte Rechtfertigungszwänge) entfaltet sich als Leugnung des Objekts, wird zu eliminatorischen Gewalt. „Objektiv“ ist nur noch das Innere der Monade.
    Es käme darauf an, an den Punkt heranzukommen, an dem die Reflexion die Kraft gewinnt, die Gewalt der Rechtfertigungszwänge zu sprengen.
    Der Autismus und die Geiselhaft-Logik der RAF sind der ohnmächtige Reflex der zugrundeliegenden Logik des Staatsschutzes.
    Ähnlich wie die RAF-Unterstützer die Gefangenen nehmen heute die Ärzte die Kranken als Geisel. Gibt es zum Korpuskel-Welle-Dualismus, dem Reflex der Verdinglichung in der modernen Physik, eine Entsprechung in der Medizin (sind nicht schon Proton und Elektron Produkte des Korpuskel-Welle-Dualismus, Emanationen der grammatischen Logik des Substantivs)?
    Der Terrorismus der RAF und die Unfähigkeit, den Schrecken des Faschismus zu reflektieren, sind Teile der gleichen Logik. Die RAF hat die Logik der Verurteilung, die die Erinnerung an den Schrecken bannen sollte, nur exekutiert.
    Identitätsprinzip: Im Autismus schlägt der horror vacui, den die philosophischen Idee des Subjekts auf die Welt abzuleiten versucht, aufs Subjekt zurück. Im Autismus erfährt sich das Subjekt selbst als Objekt der Logik, mit deren Hilfe es gegen die Welt sich zu behaupten versucht.
    Die Fensterlosigkeit der Leibniz’schen Monade ist ein sprachlicher Sachverhalt: das Resultat der Tilgung der erkennenden Kraft des Namens.
    War der Hitlerismus nicht ein Reflex des heliozentrischen Systems?
    Das Entscheidende am Werk Einsteins waren nicht seine mathematischen Konstruktionen, die auch von anderen hätten erarbeitet werden können, sondern das, was er damit „beweisen“ wollte: seine „intuitiven“ oder auch „spekulativen“ Einsichten, die im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und im Postulat der Identität von träger und schwerer Masse sich ausdrücken.
    Marx, Freud und Einstein sind Opfer der gleichen Verblendung, zu deren Kritik sie den Grund gelegt haben.
    Hat der Anfang des Matthäus-Evangeliums, das „Wir haben seinen Stern gesehen“ und die Träume der Magier und Josephs, etwas der Apokalyptik, mit Daniel, zu tun?
    War es Jakob Taubes, Emmanuel Levinas oder Jeshajahu Leibowitz, der die Halsstarrigkeit als metaphysischen Teil der jüdischen Anatomie erkannt hat? Haben nicht das Dogma und die Bekenntnislogik diese Halsstarrigkeit zum kosmologischen Prinzip gemacht?
    Die schärfsten Kritiker Netanjahus (und zuvor des Zionismus) sind die, die ihn immer schon als Alibi ihrer Unfähigkeit zur Reflexion brauchten.
    Thematische Wünsche an eine Theologie, die die Impulse der jüdischen Aufklärung in Deutschland aufnimmt, den durch sie gesetzten Standards genügt:
    – die Verstockung des Herzens Pharaos,
    – Daniel und der Traum Nebukadnezars,
    – das Menetekel und der wie eine Buchrolle sich aufrollende Himmel (Lev 26 und Dt 28),
    – Rezeption des Jakobusbriefs („Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“, „Wer einen Sünder von den Wegen seines Irrtums bekehrt …“),
    – Barbaren und Hebräer (Philosophie und Prophetie),
    – Kritik der kantischen Totalitätsbegriffe und Hegels Hinweis zum Begriff der Geschichte (Rosenzweigs Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
    – die Logik der Schrift.



  • 6.4.1997

    Haben die drei Dimensionen des Raumes (oder hat die dreifache Beziehung des Raumes zur Zeit, die darin sich reflektiert) etwas mit
    – den Momenten der Bekenntnislogik: Feindbild, Verrätersyndrom und Frauenverachtung, und mit
    – der Konstellation Zahl, Maß und Gewicht
    zu tun?
    Hat das Gewicht (die Schwere) etwas mit der Schwangerschaft (der instrumentalisierten Barmherzigkeit) zu tun?
    No pity for the poor: Sich den Kopf der andern zerbrechen, das ist das exakte Gegenteil, die genaue Umkehrung des Sich-in-den-Andern-Hineinversetzens, es ist dessen wirksamste Verhinderung. Die Phantasie, die heute im Projekt des Sozialabbaus am Werk ist, agiert nach diesem Rezept, sie zerbricht sich den Kopf der Armen, derer, die sich nicht wehren können. Ziel dieser Phantasie ist es, sich selbst die Erfahrungen der Andern, damit aber dem Andern die eigene Erfahrung auszureden.
    Das Geschwätz ist ein wirksames Instrument der Einübung dieser Phantasie.
    Gründet hierin nicht eine der schlimmsten Kindheitserfahrungen, und ist der gegenwärtige Generationenkonflikt nicht der genaue Reflex dieser Erfahrungen? Im Generationenkonflikt wendet sich das double-bind-Syndrom gegen seine Urheber.
    Ist Weizsäckers Theorie der Sonnenenergie das physikalische Pendant zu Fichtes Staatsphilosophie?
    In dem Wort über Adam: Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden, steckt das Prinzip der Verwüstung.
    Erwählung: Im Namen der Auserwählung ist die Nicht-Erwählung der andern Völker, die wechselseitige Abgrenzung, damit aber die Feindschaft gegen die andern Völker, ist m.e.W. das nationalistische Prinzip enthalten. Im Namen der Erwählung fehlt dieser konkurrierende Blick auf die andern Völker. Die Auserwählung ist das Produkt der Hellenisierung der Erwählung: die Heiden sind das jüdisch-christliche Äquivalent der griechischen Barbaren. Vergessen wird, daß Israel (schon in der Gestalt Abrahams) durch die Erwählung zu Hebräern für die Andern geworden ist. Das Christentum hat versucht, den nationalistischen Bann durch das Gebot der Feindesliebe zu lösen, auch die Heiden, die Völker noch zu Objekten der Barmherzigkeit zu machen.
    Ist der Nationalismus nicht eine innere Konsequenz aus der Universalität des Kausalitätsprinzips, der Verwerfung des Endziels? Das logische Instrument, über das diese Konsequenz sich durchsetzt, ist Hegels „List der Vernunft“, das Prinzip der Naturbeherrschung in Natur und Gesellschaft.
    Es gibt keine „letzte Klarheit“: Die „Klarheit“ der Aufklärung ist die der „klaren Fronten“, eine Konsequenz aus dem feindbildlogischen Prinzip, das der Aufklärung zugrundeliegt, den historischen Objektivationsprozeß begründet.
    Die klarheitschaffende Front ist die Grenze zwischen Außen und Innen; mit der Hypostasierung des Raumes, der Etablierung der transzendentalen Ästhetik, der Form der äußeren Anschauung, wurde sie universal. Der Preis dieser Universalisierung, des Idealismus der Transzendentalphilosophie, der Preis der kopernikanischen Wende war das Konstrukt des Zeitkontinuums, die Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit.
    Der unendliche Raum, seine ins Unendliche sich fortpflanzende Selbsterzeugung, der wir keinen Halt mehr gebieten können, ist der Unzuchtsbecher.
    Ist nicht der Zusammenhang überdeutlich, wenn Brot die Barmherzigkeit und Wein das Gericht symbolisiert: Der Kelch ist das Gefäß des Gerichts.
    Das Ding ist das neutralisierte Subjekt.
    Allein mit Hilfe der Feindbildlogik (mit Hilfe des Objektbegriffs, der darin gründet) war es möglich, dem mythischen Bann des Schicksals zu entrinnen; aber hat der Bann sich mit dieser Logik nicht reproduziert?
    Barmherzigkeit, nicht Opfer: Die Verinnerlichung des Opfers, die die Zivilisation begründete, hat die Barmherzigkeit in der Wurzel vernichtet.

  • 5.4.1997

    Wer sich den Kopf der anderen zerbricht, wird ohnmächtig, lähmt sich selbst.
    Die Sterne sind „als Zeichen und zur Bestimmung der Zeiten“ erschaffen. Hängt das logische Problem der Astrologie mit dem des Maßes in der Hegel’schen Logik zusammen? – Vor diesem Hintergrund ist das kopernikanische System gezählt, gewogen und zu leicht befunden.
    Die Vergegenständlichung der Zeit ist das Produkt ihrer Subsumtion unter die Form der äußeren Anschauung, ihrer Verräumlichung.
    Das Problem der Aufklärung ist das des Hasen, der den Swinegel un sin Fru nicht unterscheiden kann.
    Wenn die Kronen die Luftwurzeln der Bäume sind, sind die Bäume dann die Säulen, die die Erde tragen? Sind die Bäume nicht zusammen mit den Primaten aufgetreten?
    Sind Bäume die letzten Denkmäler des Paradieses?
    Die Orthodoxie ist das versteinerte Herz der Welt, die Dogmenbildung war das Ergebnis der Anwendung der Erkenntnis des Guten und Bösen auf die Theologie.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das Problem der Pflanzen und Bäume und das der Sterne verweisen gemeinsam auf das Problem des Kausalitätsprinzips, auf seine Wurzel in dem der Umkehr der Teleologie. Bei Hegel erinnert der Begriff der „List der Vernunft“ an dieses Problem.
    Das Konstrukt der List der Vernunft war der Keim der Paranoia in Hegels System, das Prinzip der universalen Vergegenständlichung und der logische Ursprungspunkt der Idee des Absoluten: Hier ist an die Beziehung der Klugheit der Schlange zur Arglosigkeit der Tauben zu erinnern.
    Ökonomie und Naturwissenschaft: der Abstieg zur Unterwelt.
    Die Welt ist die Hinterwelt, die Legitimation der Gemeinheit, und die Natur ihr Opfer.
    Es gibt einen Begriff der Verantwortung, der einen Zustand legitimiert, in dem jeder seine Pflicht tut, aber keiner mehr weiß, was er tut. Das Abbild dieses Zustands ist das heliozentrische System.
    Die kirchliche Lehre vom stellvertretenden Sühneleiden hat seine praktische Anwendung im kirchlichen Antijudaismus gefunden.
    Seit der Entdeckung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gibt es Punkte, die zwei Enden haben.
    Begriffe sind richtig, aber die Wahrheit gründet im Namen: Deshalb ist bei Hegel das Wahre der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist.
    Sind der paulinische Satz, daß „Frauen in der Kirche schweigen“ sollen (1 Kor 1434) und das talmudische Wort „Rede nicht viel mit dem Weib“ (Pirke Abot) nicht zwei Seiten einer Medaille?
    Die Frauenerfahrung „ich komme in der Kirche nicht vor“ bezeichnet keinen räumlichen, sondern einen sprachlichen Sachverhalt.

  • 3.4.1997

    Die Neutralisierung der Schrift (durch – zwangsläufig antisemitische – Historisierung) war das Modell der Neutralisierung des Faschismus (durch Objektivation, Urteilsmagie: „Verurteilung“, „Dressur des inneren Schweinehunds“).
    Die Neutralisierung (Historisierung) der Schrift steht unter dem Bann des „Wie“ und des „Eigentlich“ („wie es denn eigentlich gewesen sei“), das aber heißt: unter dem Bann der instrumentellen Vernunft, die das „Wer“ und das „Was“ in den Himmel vertreibt, um sie dort zu überwältigen (Kopernikus und Newton; Einsteins Einspruch). Das „Wie“ wird durch die Klugheit der Schlangen, das „Was“ durch die Arglosigkeit der Tauben symbolisiert. Die Taube aber verkörpert den Geist.
    Ist nicht die Christenheit in der Wassertaufe steckengeblieben (Apg 15 u. 814f)? Steht nicht die Geist- und Feuertaufe noch aus? Die Scheiterhaufen (der Versuch, den Geist zu instrumentalisieren) sind der Beweis.
    Auf das „Wer“ gibt es drei Antworten: den Namen, das Angesicht und das Feuer.
    Der erste Schritt zur Erfüllung der Prophetie ist es, wenn die Gegenwart in der Prophetie sich wiedererkennt.
    Religion als Religion für andere (Instrumentalisierung der Religion) ist der Nährboden des Faschismus.
    Ist nicht Kirche heute die Kirche derer, die die Wahrheit der Religion zwar nicht mehr kennen, es aber für wichtig halten, daß es Religion gibt. Pfarrer wird, wer sich für berufen hält, diese Religion zu organisieren. Diese Geschichte der Kirche hat zu tun mit dem Verhältnis von Name und Begriff.
    Der Begriff (in dem strengen Hegel’schen Sinn) ist die Verkörperung des Gattungslebens der Menschheit.
    Ist nicht der Kreuzestod Jesu die innerste Konsequenz einer Intention, die darauf abzielte, den Bann der Instrumentalisierung in seinem Kern, in einer Religion, die nur noch Religion für andere ist, zu lösen?
    Empörung ist einer der Knotenpunkte (zu denen auch die Bekenntnislogik gehört), an denen die Schuldverschiebung, die Selbstentlastung durch Projektion, das Feindbilddenken, die Verdummung und die Verrohung sich schürzen, ihr systemischer Zusammenhang sich demonstrieren läßt.
    Die Feindbildlogik ist pornographisch: Sie geilt sich an der in den Andern hineinprojizierten eigenen Gemeinheit auf. Empörung ist Unzucht. Empörung ist Ausdruck einer Idolatrie, deren Gott das Selbst ist (Verinnerlichung des Opfers).
    Naturvölker sind gleichsam Naturprodukte der Paranoia, der sie nichts entgegenzusetzen haben. Die Zivilisation hat – mit der Erfindung der Barbaren – die Paranoia instrumentalisiert (die instrumentalisierte Paranoia ist die Klugheit der Schlangen: deshalb hat die Aufklärung im Sündenfall sich wiedererkannt).
    Das Christentum als Religion und die christliche Theologie sind in diese Geschichte der Paranoia verstrickt (Symptom dieser Paranoia war seit je der kirchliche Antijudaismus).
    Angriff und Verteidigung bleiben im Bann der Klugheit der Schlangen.
    Das Christentum hat durch Privatisierung der Herrschaftsgeschichte die Astrologie, die in diese Herrschaftsgeschichte verstrickt ist, nur obsolet gemacht, sie hat ihr Rätsel nicht gelöst. Das Verhältnis Babylon/Rom spiegelt die Geschichte dieser Privatisierung aufs genaueste wider.
    Johannes in der Apostelgeschichte (Petrus und Johannes, die „drei Säulen“)!
    Nicht die Angst vor der Denunziation, sondern der Schrecken davor, daß es Denunziation gab, daß Menschen dazu fähig waren, war der Schrecken des Faschismus.
    Rekonstruktion des Tags: Der azurblaue Himmel und der Bogen in den Wolken?
    Zum Schuldverschubsystem gehört auch ein Vergessen: Es genügt nicht mehr, daß man einem etwas sagt, man muß ihn auch noch daran erinnern. Nur so ist das aktive Vergessen, dessen Opfer heute die theologische Tradition ist, zu erklären. Es gibt niemanden mehr, der daran erinnert.
    Der Fundamentalismus hat für seine Anhänger den Vorteil, daß sie nicht denken brauchen.
    In seiner Idee eines Natursubjekts hat Bloch die ökologische Bewegung antizipiert, die das Natursubjekt (das dumpfe, bewußtlose Leben) bewahren möchte, darüber aber das Proletariat, die ganze Masse der Unterdrückten, Ausgebeuteten und Verachteten, vergißt.
    Auch die Biolandwirtschaft ist eine Marktstrategie.
    Das Eingedenken der Natur im Subjekt (der Quell der Sensibilität) ist etwas anderes als die Erinnerung an die gequälte Natur (der Reflex der Empfindlichkeit).
    Reproduziert sich nicht in Habermas‘ Kommunikationstheorie die Dumpfheit und Bewußtlosigkeit der Natur? Erschreckend ist allein, wie schnell und wie widerstandslos diese Dumpfheit und Bewußtlosigkeit in die Köpfe eindringt.
    Sind nicht alle ökologischen Probleme auch realsymbolische Probleme, die die Ökologie fundamentalistisch mißversteht? Die atomare Drohung, das Waldsterben und das Ozonloch werden erst dann wirklich verstanden, wenn auch das Symbolische darin, ihr Zusammenhang mit der „Natur im Subjekt“ verstanden wird.
    Wenn ein Kind in den Brunnen fällt, wird alle Ästhetik zynisch; dann bleibt nur das Retten. Nur: Das Kind, das gestern in den Brunnen gefallen ist, kann ich heute nicht mehr retten. Und die Verurteilung derer, die zugesehen, es aber „nicht wahrgenommen“ haben, mag mich entlasten, aber dem Kind hilft’s nicht mehr. Was hilft, wäre allein die Reflexion darauf, welche Kräfte und welche Mechanismen in den Zuschauern den Impuls zu retten unterdrückt und sie am Eingreifen gehindert haben.
    Die Geschichte als Entfaltung der Herrschaftslogik, die alles unter sich begräbt, ist Teil der Geschichte eines Anfangs, der noch nicht abgegolten ist, der zu wenden wäre. Hier ist der eine Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte. Und es ist die Bekehrung dieses Sünders von seinen Wegen des Irrtums, mit der der Bekehrende seine eigene Seele rettet.
    Die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit und die eines unendlichen Raumes sind Vorstellungen einer Größe, deren eigentliche Bedeutung in der Vorstellung der eigenen Winzigkeit liegt. Hilft es vielleicht weiter, wenn man sich erinnert, daß der Titel „der Große“ (von Alexander bis zum preußischen Friedrich) sich als Säkularisat des mythischen Helden, des Heros, begreifen läßt? Diese Größenvorstellung hatte seit je etwas Wahnhaftes, und der Faschismus war ein kollektiver Größenwahn. Sie hängt zusammen mit der Wahnvorstellung dessen, der sich für Napoleon hält. Im Faschismus hat die Paranoia sich als Pest, als Seuche, als ansteckende Krankheit erwiesen.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie