Kopernikus

  • 26.2.1995

    Falsch an der Astrologie ist nicht ihr Widerspruch gegen die Naturwissenschaften, gegen das kopernikanische System, sondern falsch ist ihre Zuordnung zum individuellen Schicksal der Menschen. Aber ist sie nicht genau dadurch, durch ihre Anbindung ans Prinzip der Selbsterhaltung, zur Vorstufe der wissenschaftlichen Naturerkenntnis, die aus dem Prinzip der Selbsterhaltung sich herleitet, geworden?
    Nicht die Seelen, sondern die Namen der Verstorbenen sind im Himmel, der am Ende als Buch des Lebens sich enthüllt, aufbewahrt.
    Das Substantiv ist der Repräsentant der namenlos gewordenen Toten in einer Grammatik, in der die Kraft des Namens erloschen (der Himmel gegenstandslos geworden) ist. Eine Vorstufe dieses Sprachverständnisses war der Ursprung des Weltbegriffs und dessen theologische Rezeption in der Lehre der creatio mundi ex nihilo. Vgl. hierzu den katholischen „Weltkatechismus“, der glaubt, den ersten Satz der Genesis durch den Hinweis, daß Himmel und Erde nur ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, erklären zu können.
    Daß der Himmel aufgespannt ist: Ist das nicht auch ein Hinweis darauf, daß diese fast unerträgliche Spannung des Symbolischen zum Wörtlichen (im realhistorischen Sinne) auszuhalten ist, wenn die Idee des Himmels nicht ganz verloren gehen soll?
    Der Fundamentalismus nimmt die Schrift wörtlich, nachdem er das Wort vergessen (gelöscht) hat; er ist die Rache der Opfertheologie an der Schrift (dessen erste Manifestation war der Islam, der der Opfertheologie nicht mehr bedurfte, weil er sie schon im „Islam“, im Opfer der Vernunft, verinnerlicht hatte).
    Das Dogma hat den Knoten durchschlagen, nicht gelöst (und die Kirche hat seitdem nur gebunden, nicht gelöst). Das Schwert, mit dem der Knoten durchschlagen worden ist, läßt sich genaue bezeichnen: es steckt im Begriff der homousia, einem Vorboten des Inertialsystems. – Bezieht sich der gordische Knoten nicht auch auf das Verhältnis von Rind und Esel (von Joch und Last), und löst nicht das Wort des Jesaia das gordische Rätsel?
    Die Sünde der Theologie: Das Dogma ist das vergrabene Talent.
    Der Rosenzweig-Benjaminsche Begriff des Mythos, der ihn in Widerspruch zu Offenbarung anstatt zur Auklärung setzt, findet deshalb so schwer Eingang in die christliche Theologie, weil deren Tradition selber in die Geschichte der Aufklärung verstrickt ist. Und diese Verstrickung reicht bis in den Kern der theologischen Inhalte hinein. Die christliche Theologie ist in den Säkularisationsprozeß verstrickt; so sie ist zur Theologie hinter dem Rücken Gottes geworden.
    Zum Ursprung des Neutrum: Gibt es nicht für den Tod den Ausdruck „ire ad plures“? Und verweist dieser Ausdruck nicht sowohl auf den Ursprung des Objektivationprozesses wie auch auf den des Begriffs der Materie (sowie der Begriffe Welt und Natur)? Heidegger hat dieses „ire ad plures“ in seinem „Vorlaufen in den Tod“, das dann in der völkischen Fundamentalontologie sich wiederfindet, wörtlich genommen. In Getsemane erscheint dieses „ire ad plures“ unter dem Symbol des Kelches.
    Gibt es nicht eine ganze Gruppe frühchristlicher Häresien, die sich alle um das Verständnis des Kreuzestodes gruppieren, an der die Ursprünge des Projekts der opfertheologischen Instrumentalisierung des Kreuzestodes sich ablesen und demonstrieren lassen? Lassen nicht alle diese Häresien daraus sich ableiten, daß das Ereignis in einer vom Neutrum beherrschten Sprache in der Tat unverständlich ist (dem inneren Objektivationstrieb dieser Sprache sich widersetzt)?
    Zum Säkularisationskonzept von Johann Baptist Metz (zu seinem affirmativen Verständnis der „Verweltlichung der Welt“) wäre differenzierend auf die „Dornen und Disteln“ (und deren Interpretation durch Eleazar von Worms) sowie auf Walter Benjamins Bemerkung über die Beziehung des Messianischen zum Profanen hinzuweisen. Die Verweltlichung der Welt ist eins mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, deren Reflexion die Theologie vom Bann der Herrschaft befreien könnte.
    Haben wir nicht längst vor dem Problem, das Verhältnis der drei Dimensionen im Raum zu begreifen, kapituliert? Und ist nicht alles weitere eine Folge dieser Kapitulation?
    Ist nicht der Begriff der „Rede“ (in der „Rede von Gott“) ein im schlechten Sinne politischer (die säkularisierte Gestalt der ebenfalls schon monologischen Predigt)? Dieser Begriff der Rede hat in Hitler seine apokalyptische Dimension offenbart. Ist er danach (als „Rede von Gott“) auf den Begriff der Theologie noch anwendbar? Er hat mehr mit der propaganda fidei und dessen göbbelsschen Ausläufern zu tun, als der Theologie lieb sein darf. „Rede von Gott“: Das ist der „Schrecken um und um“ der Theologie. Theologie würde sich in einer Sprache erfüllen, die die Kraft des Namens wieder erweckt, und in der der Name – als Sprache der Erkenntnis – wieder theophore Züge annimmt: in der Heiligung des Gottesnamens. Das „Heute, wenn ihr seine Stimme hört“ ist das Heute, an dem wir unsern Namen hören (deshalb gehört das „Ich, mit Vor und Zunamen“, „Ich, Franz Rosenzweig“, zu den objektiven Gründen des Sterns der Erlösung).

  • 24.2.1995

    Nach Gerhard Fink (Die griechische Sprache, Darmstadt 1986, S. 151) haben sich „die griechischen Neutra aus ursprünglichen Sammelbegriffen wie Dt. ‚Gehölz‘, ‚Gesinde‘ entwickelt“ (deshalb steht bei einem „Neutrum Plural als Subjekt … das Prädikat meist im Singular“). Ähnlich sind auch die lateinischen Pluralia tantum in der Regel Neutra (allerdings mit Ausnahmen wie divitiae, arum, f der Reichtum, die sich müßten begründen lassen?).
    Gibt es hierzu eine Vorgeschichte im Hebräischen: Welche Funktion haben die „neutrischen Verben“ (Körner, S. 56), welche sprachlogische Bedeutung haben Kollektivbegriff wie „elohim“, „majim“ (und davon abgeleitet „schamajim“)? – Nach Hans-Peter Stähli kann „das Femininum … auch die Funktion unseres Neutrums annehmen“ (Hebräisch-Kurzgramatik, S. 22).
    Neutrum und Konjugation: „Eigentliche Tempora gibt es im Hebräischen nicht. Es werden nicht – wie im Deutschen (und ähnlich in den indoeuopäischen Sprachen generell, H.H.) – Zeitformen, d.h. absolute, objektive Zeitstufen angegeben, sondern nur relative Zeitstufen, die aus dem Textzusammenhang zu erschließen sind.“ (Körner, Hebräische Grammatik, S. 118) Schafft nicht die Subsumtion der Sprache unter die „objektiven Zeitstufen“ (die Historisierung der Gegenwart) eine sprachlogische Situation, die nur mit der Bildung von Kollektivbegriffen und des Neutrum sich bewältigen läßt. Ist das nicht die sprachlogische Voraussetzung sowohl des Natur- und Weltbegriffs als auch, im Zusammenhang damit, der Historisierung der Zeit, der Philosophie und des objektivierenden, begrifflichen Denkens? Und steht diese sprachlogische Situation nicht in objektivem Zusammenhang mit dem Ursprung und der Geschichte der politisch-gesellschaftlichen Institutionen, insbesondere des Staats (der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern)?
    Das innere Kollektivum, der Materiebegriff im Objekt, entspringt (zusammen mit dem Begriff der Gattung) mit der Historisierung der Gegenwart (der Zeit), im Kontext der Logik des Herrendenkens. Modell und Korrelat des dem Objekt einbeschriebenen Kollektivums ist das Zeitkontinuum (die kantische Form der inneren Anschauung).
    Neben-, Hinter- und Übereinander, wie hängt das mit Dauer und Folge und Gleichzeitigkeit zusammen?
    Ist nicht das Neutrum (und seine innere, sprachlogische Beziehung zum Objektivationsprozeß und zum Kollektivum) die Wasserscheide der Sprachgeschichte? Und ist es nicht die dem Neutrum zugrunde liegende Sprachlogik, die die Auflösung des Problems
    – des „Schuldverschubsystems“,
    – des Konkretismus und der Personalisierung,
    – der Beziehung von „dynamischem und mathematischem Ganzen“,
    – der „intensiven Kollektive“ wie Materie und Natur, insbesondere des Massenbegriffs (dessen logische Konstruktion in die Theologie zurückreicht, hier am scholastischen Eucharistie-Problem sich demonstrieren läßt, zuletzt, neben dem der gleichen Logik sich verdankenden gesellschaftlichen Gebrauch des Begriffs, im physikalischen Ätherproblem und in den Problemen der Mikrophysik sich manifestiert),
    fast unmöglich macht?
    Die Historisierung der Zeit (und die ihr entsprechenden Formen der Konjugation) ist ein Korrelat (und Sinnesimplikat) der Logik der Schrift. Deshalb ist die Logik der Schrift auf die Katastrophe bezogen.
    Für das durch die Naturwissenschaft geformte Bewußtsein wird das Bestehen der Dinge (die Erhaltung der Welt) schon durch die Form des Raumes garantiert. Der Gedanke, daß Gott die Welt erschaffen hat und erhält, ist nach Kopernikus und Newton irrational geworden, nicht mehr nachvollziehbar. Erschaffung und Erhaltung sind zu Attributen der Herrschaft geworden: der Unterdrückung und Ausbeutung. Deshalb gehört die Opfertheologie mit zu diesem Weltverständnis; oder umgekehrt: durch dieses Weltverständnis ist die Opfertheologie unverständlich, obsolet geworden. Wird in der Opfertheologie nicht das Lamm, das für die Erstgeburt des Esels eintritt, mit dem Rind verwechselt? Hierauf bezieht sich Heinrich Bölls Unterscheidung des Sakraments des Lammes von dem des Büffels (in Billard um halb zehn?).
    Sind im Jesaia nicht schon die Sätze vom Rind und Esel Vorverweise auf die Gottesknecht- und Gotteslamm-Kapitel? Haben nicht das Dogma und in seiner Folge die naturwissenschaftliche Aufklärung die ungeheure Symbolik, auf die der Kreuzestod und die Opfertheologie aufgetragen sind, ins Gewaltsame, Destruktive verfälscht? Die Verwechslung von Joch und Last verbindet das Dogma logisch und historisch mit der naturwissenschaftlichen Aufklärung. (Lamm und Esel sind ins christliche Symbol übernommen worden, während das Rind in den Evangelien nicht vorkommt.)
    Das Femininum, das Neutrum und das Kollektivum bilden die Folie, auf die die Begriffe der Gattung und der Materie aufgetragen worden sind. Dazu gehören die Konnotationen des Naturbegriffs, Zeugung und Geburt. Während der Begriff der Natur auf die weibliche Seite verweist, erinnert der Weltbegriff nicht zufällig an die männliche Seite: Bezieht sich nicht hierauf das Gebot der Keuschheit?
    Mit der Physik wurde dem Kosmos die Erinnerung ausgetrieben. Sie hat den Baum des Lebens zerstört, das Buch des Lebens zugeschlagen.
    Wenn der Himmel sich aufrollt wie eine Buchrolle: Bezeichnet das nicht das Schließen und das Öffnen des Buches zugleich? Hier ist der Punkt, an dem wir die ganze Vergangenheit nicht mehr hinter uns haben werden, sondern vor uns: von Angesicht zu Angesicht. Das wäre das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht, an dem wir durch Anpassung an die Welt teilhaben. Erinnerungsarbeit ist eine der Möglichkeiten, darauf sich vorzubereiten.
    Wenn das Wasser im Namen des Himmels mit dem „Was“ zu tun hat, hat dann das Feuer mit dem „Wer“ zu tun?

  • 10.2.1995

    Ästhetik und Massenwahn, Drama und Prozeß: Der Faschismus war das Produkt einer Inszenierung, zu der die Massenaufmärsche ebenso gehörten wie die einstudierten Wutanfälle des „Führers“ und der von oben angeordnete „spontane“ Pogrom; Inszenierungen sind die Rituale der Staatsschutzprozesse: von der MP-bewehrten Polizei vor dem Gerichtsgebäude über die entwürdigende Eingangskontrolle, der die Besucher ausgesetzt sind, bis zur Ausstattung des Gerichtssaals, die insgesamt ein vorverurteilendes Klima schaffen. Inszenierungen sind möglich in einer Welt, die nicht mehr durchs Angesicht Gottes, sondern durchs Anschauen aller (durchs Gesetz der Schamlosigkeit) sich definiert. Diese Welt ist das Produkt der kopernikanischen Wende; die erste Getalt ihrer Selbstreflektion war die kantische Philosophie. Die Waren bedürfen der Inszenierung durch die Reklame, die Privatexistenz der Selbstinszenierung durch Beruf, Wohnung und Kleidung (als Bühne, Kostüm und Ausdrucksmittel der „Rolle der Persönlichkeit“). Zu den ersten Inszenierungen gehören die Kulte der Religionen und die Rituale der Herrschaft: der byzantinische Herrscherkult und die Eucharistie-Verehrung im Mittelalter, die die Kulisse bildete für die Juden-Pogrome, die Ketzer- und Hexenverfolgungen.
    Inszenierungen gibt es, seit es Zuschauer gibt. Sie setzen einen Begriff der Welt voraus, zu dessen Konstituentien der Zuschauer (das Bewußtsein des Von-allen-Gesehen-werdens), die „Öffentlichkeit“ (ein Euphemismus für die biblischen Nacktheit), gehört.
    Sind nicht die Tiere Produkte erstarrter, nicht mehr reflexionsfähiger Öffentlichkeiten, Produkte des „Bewußtseins“, von einer namenlosen, nicht ansprechbaren Instanz gesehen zu werden; hat nicht jede Gattung ihre eigene, sie definierende Öffentlichkeitsdefinition? Menschen leben im Angesicht Gottes, die Tiere im Angesicht Adams. Deshalb wartet „die ganze Schöpfung … sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (Röm 819ff).
    Haben nicht die apokalyptischen Tiere mit diesem Begriff der Öffentlichkeit zu tun, sind sie nicht Reflexionsformen der Öffentlichkeit?
    Wer die Reflexion der Natur (das Eingedenken der Natur im Subjekt) verweigert, verweigert die Reflexion des Eigentums: Die kopernikanische Wende hat dem Prinzip der Selbsterhaltung die kosmologische Begründung gegeben. Sie hat das Sich-auf-sich-selbst-Beziehen des sturen Eigeninteresses ontologisiert.
    Die Arbeit des Begriffs, deren Geschichte mit der Hegelschen Philosophie nicht beendet war, hat das, was einmal das Substantielle hieß, zermahlen.
    Die Mathematik ist keine rationale, sondern eine ästhetische Wissenschaft.
    „Euch gebührt es nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater nach seiner eigenen Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist über euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und ganz Judäa und Samarien bis ans Ende der Erde (heos eschatou täs gäs).“ (Apg 18) Die Erde hat demnach nicht ein Ende, sondern mehrere Enden: welche sind schon erreicht, und welche stehen noch bevor?.
    Sind nicht die „drei Abmessungen des Raumes“, wie Kant sie nennt, drei Formen seiner Beziehung zur Zeit?
    Es gibt die Himmelsheere, die Vögel des Himmels und die Wolken des Himmels. In welcher Beziehung stehen diese drei zu einander?
    Die Rache Gottes ist die Rache der Barmherzigkeit über das gnadenlose Gericht. Und sind nicht der Zorn und der Grimm (der Inhalt des Taumelkelchs) die Außenseite dieser göttlichen Barmherzigkeit, die göttliche Barmherzigkeit im Bann und im Kontext der Logik der Schrift? Theologie heute müßte sich zur Sprache dieses Gerichts der göttlichen Barmherzigkeit machen. Findet nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, sein Begriff der bestimmten Negation und sein Votum für das Nichtidentische, darin seine Begründung?
    Hängt nicht das Wort von den zwei Auferstehungen (in der Apokalypse des Johannes) mit den Beziehungen der Dimensionen des Raumes zur Zeit zusammen?

  • 6.2.1995

    Der Satz, daß das Wort eintrifft, muß unterschieden werden von dem, wonach das Wort sich erfüllt. Diese Unterscheidung konvergiert mit der von „Unheils-“ und „Heilsprophetie“.
    Das Christentum hat durch den projektiven Gebrauch der „Unheilsprophetie“ sich selbst zu deren Objekt gemacht.
    Das Christentum: ein erloschener Vulkan, Hegelkritik: aus der Asche das Licht rekonstruieren.
    In der Schrift wird unterschieden zwischen dem „offenen Himmel“ und der „Entrückung“. Stephanus sah den Himmel offen (und Jesus zur Rechten Gottes sitzen), Paulus wurde in den dritten Himmel entrückt. Ezechiel sah in seiner Anfangsvision (in der er die Merkaba, den Thron Gottes, sah) den Himmel offen, später wurde er aus der Verbannung nach Jerusalem, in den Tempel, entrückt.
    Die Geduld, und zwar die aktive Geduld, gehört zur Barmherzigkeit, während die passive Geduld, die bloß zuschauende Erwartung (die Physik und das Fernsehen) zum strengen Gericht gehört.
    „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ und „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“: Ist die in diesen Sätzen (zu denen auch das Wort Marias an die Diener gehört: „Was er euch sagt, das tut“) angesprochene Mutter Jesu nicht das Symbol der Kirche, ähnlich auch die Familie (seine Mutter und seine Brüder und Schwestern), die ihn für irre hält und ihn aus dem Verkehr ziehen möchte? In diesem Zusammenhang kommt der Vater nicht mehr vor (er wird nur noch einmal, beim Besuch Jesu in Nazareth, erwähnt: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“).
    Erscheint nicht die Vater-Imago (anstelle des realen Vaters) erstmals beim Besuch des Tempels in Jerusalem: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein mußte, was meines Vaters ist?“
    Ist das zölibatäre Verständnis der Keuschheit (und die ihm zugrunde liegende Form der Mutterbindung) nicht die Institutionalisierung der Weigerung, den Vater zu ehren?
    Die kopernikanische Wende ist der Beleg für die Wahrheit des Satzes: „Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein“. Hat nicht die Rechtfertigungslehre Luthers hierzu die Begründung und den Schlüssel geliefert?
    Als das Symbolum zum Bekenntnis (und die Kirche zur Konfession) wurde, ist durch Abstraktion vom Gegenblick (und durch Verinnerlichung der Scham) das Inertialsystem begründet worden. In dieser Konstellation gründet der Begriff der Erscheinung (wie in der Scham die gesamte Geschichte der Ästhetik, des Mythos und der Kunst). Hier ist das Bekenntnis zu der Waffe geworden, die auch den trifft, der von ihr Gebrauch macht. Die Bekenntnislogik hat das Symbol gelöscht; geblieben ist das verdinglichte Dogma.
    Die Unterscheidung zwischen Symbolum und Bekenntnis hängt zusammen mit der zwischen Umkehr und Bekehrung. War die Bekehrung eine Erfindung der iro-schottischen Mönche?
    Die Bekehrung ersetzt ebensowenig die Umkehr wie die Befreiung die Freiheit (und das Bekenntnis die Gotteserkenntnis).
    Zur Stimme der Neurosen: Hat nicht Hegel an der Stimme katholischer Priester deren Heiserkeit bemerkt?
    Das parakletische Denken ist die Umkehr des apologetischen Denkens; das apologetische Denken steht unterm Bann des Rechtfertigungszwangs (Rosenzweig: Gott hat nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen).
    Ideologie ist Rechtfertigung. An diesem Satz aus den Soziologischen Exkursen von Horkheimer und Adorno läßt sich demonstrieren, was mit dem Konzept einer „Säkularisation aller theologischen Gehalte“ gemeint ist. Dieser Satz rückt Johannes 129 in die Perspektive des Nachfolgegebots.
    Die Verkörperung der Sünde der Welt ist das Tier. Ist nicht das Absolute der Drache, und das Tier aus dem Meere, dem der Drache seinen Thron, seine Macht und große Gewalt gab, die Verkörperung der politischen Herrschaft? Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande (das „zwei Hörner hat wie ein Lamm und redet wie ein Drache“): Ist das nicht die Parodie der Trinitätslehre, zu der sie heute aus objektiven Gründen zu werden droht?
    Das Tier aus dem Meer ist der Fisch, der den Jonas verschlungen hat; und das Zeichen des Jonas, ist das nicht die dreifache Leugnung (die Distanz zwischen Kreuz und Auferstehung)?

  • 5.2.1995

    Der Unterschied zwischen prego und quaero verweist darauf, daß es schon im Lateinischen einen Unterschied zwischen der verbalen Frage und der Erforschung eines Sachverhalts gab: das quaero schloß die Anwendung technischer Mittel bei der Wahrheitsermittlung mit ein (u.a. die Folter, vgl. Benveniste, S. 413ff). Kann es sein, daß die gleiche Unterscheidung auch auf Gebet und Opfer sich anwenden läßt, daß das Opfer eine Folter Gottes ist?
    Ist nicht das Amt des Quästors das Indiz für den gemeinsamen Ursprung von Geldwirtschaft, Steuern, Straf- und Zivilrecht?
    Hat das quaero (wie auch das aqua, auch hydor, majim: das Wasser) etymologisch etwas mit dem Relativpronomen zu tun (gibt es im Hebräischen Relativsätze, und werden diese im Griechischen nicht in weitem Umfange noch durch Partizipialkonstruktionen gebildet)? Hängen nicht die „Nebensätze“ (insbesondere deren Hauptformen: die Konditional- und die Relativsätze) mit dem Ursprung und der Geschichte des Neutrum zusammen, sind sie nicht Teil des Bedingungszusammenhangs, in dem das Subjekt zum Objekt und der Name zum Begriff neutralisiert worden ist? Steckt nicht die ganze Natur in den Nebensätzen (und werden mit der Hypostasierung der Natur die Beziehungen der Neben- zu den Hauptsätzen neutralisiert: wer Neben- zu Hauptsätzen macht, treibt Physik)? Die kantische Kategorienlehre beschreibt das Schicksal der Grammatik unterm Bann des Inertialsystems.
    Hat das Tier aus dem Wasser (das Objekt des quaero) sein Vorbild im Leviatan, und verweist nicht auch die Hure Rahab, die zum Stammbaum Davids und Jesu gehört, auf diesen Bereich? Beschreibt nicht Franz Rosenzweig, wenn er von den Wenns und den Vielleicht spricht, diesen Bereich des quaero, des Wassers; und ist nicht das Problem der kontrafaktischen Urteile eine logische Folge der Geschichtsforschung? Heideggers Begriff der Frage: das Versinken in dieser Sintflut, und die Fundamentalontologie: eine Wasserleiche.
    Ist nicht das Inertialsystem der Inbegriff des Notwendigen: die Redundanz des Möglichen.
    Das Vergangene ist nicht nur vergangen; in der Sprache, der Gestalt der objektiven Erinnerung, ist es gegenwärtig; mit der Objektivation des Vergangenen wird diese Erinnerung verdrängt (Ursprung des Problems der kontrafaktischen Urteile, auch des Problems der „Fälschungen“ in der Geschichte). So gehört die Objektivation des Vergangenen (der Geschichte und der Natur) zu den Konstituentien der Welt.
    Hat die Kirche nicht ihren Beitrag mit zur Entstehung einer Welt geleistet, in der die Barmherzigkeit zur Hysterie geworden ist (Sünde wider den Heiligen Geist)?
    Die Mathematik, die Geldwirtschaft und die Bekenntnislogik sind die logischen Instrumente der kollektiven Einsamkeit.
    Das nihil absolutum ist keine Kategorie des Seins, sondern eine des Handelns: der totalisierte Vernichtungstrieb.
    Karl Thieme hat einmal die Geschichte vom Schiffbruch des Paulus vor Malta auf die Kirche bezogen: Am Ende wird die Kirche zwar untergehen, aber alle, die in ihr sind, werden gerettet. Ist das nicht auf den Punkt: Entkonfessionalisierung der Kirchen zu beziehen? Untergehen wird die Bekenntnislogik (gleichzeitig mit der Verwandlung des steinernen in ein fleischernes Herz). War nicht der Faschismus der Sturm vor Malta?
    Durch ihre Entzauberung ist die Welt in den Bann des Herrendenkens geraten.
    Hängt die Individualisierung der Schuld bei Ezechiel mit dem Titel Menschensohn zusammen und mit dem Hintergrund, auf den das „dixi et salvavi animam meam“ sich bezieht?
    Der katholische Mythos ist ein Mythos der Weltflucht: Der Himmel bezeichnet einen Ort außerhalb der Welt. Damit hängt es zusammen, daß in der Kirche die Vorstellung einer Veränderung der Welt nur noch apokalyptisch, als Weltuntergang, gedacht wird. Aber dieses Außerhalb der Welt ist mit Kopernikus im wahrsten Sinne utopisch geworden; es gibt keinen „Ort“ des Himmels mehr. Hat die Tatsache, daß der Himmel „im Raum“ nicht gedacht werden kann, nicht eher eine logische als wiederum eine „räumliche“ Bedeutung? Der Himmel kann nicht als Inhalt des Kelches gedacht werden. Durch die kopernikanische Wende ist der katholische Mythos aus dem Raum in die Sprache transponiert worden; nur hat bis heute niemand die Konsequenzen daraus gezogen (Kelchsymbol).
    Zorn und Grimm: Ist nicht der Zorn das Korrelat der subjektiven Form der äußeren und der Grimm das der Form der inneren Anschauung? Und ist die Unzucht die Verbindung beider: der Begriff der Materie?
    Ist nicht die Linguistik heute zu einer Entsorgungswissenschaft geworden?

  • 23.1.1995

    Der Kelch, oder Theologie hinter dem Rücken Gottes: Die Logik der Schrift abstrahiert vom dialogischen Wesen der Sprache; die subjektiven Formen der Anschauung abstrahieren vom Blick des Anderen; die Bekenntnislogik abstrahiert vom Angesicht Gottes.
    Im Symbol des Weltbegriffs B=A hat Rosenzweig den systematischen Ort der transzendentalen Logik bestimmt. (Um Rosenzweig zu verstehen, wäre es wichtig, im tragischen Helden die Geburtswehen des Weltbegriffs und im mythischen Gott die Wasserscheide des Naturbegriffs zu erkennen.)
    Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Steht nicht das Werden im Hebräischen in beiden Fällen im Imperfekt (oder ist der Imperativ vom Imperfekt nicht zu unterscheiden)? Geben Imperativ und Praeteritum den sprachlichen Sachverhalt eigentlich richtig wieder, ist er im indoeuropäischen Sprachbereich überhaupt reformulierbar? Führt nicht die indoeuropäische Form der Konjugation andere zeitliche Konnotationen mit sich als die hebräische?
    Das indoeuropäische Präsens, zu dem es im Hebräischen keine Entsprechung gibt, ist ein Gegenwartsersatz (das grammatische Äquivalent des philosophischen tode ti). George Steiners „Von realer Gegenwart“ gibt sehr präzise die Intention des Kunstwerks (eigentlich jeder ästhetischen Repräsentation, auch der durch die subjektiven Formen der Anschauung) wieder, indem er aber diese Intention als erfüllt unterstellt, belastet er sie mit einem ästhetisch uneinlösbaren Anspruch (als dessen ironisch-blasphemische Realisierung das Fernsehen sich begreifen ließe). Er wäre einzulösen nur in theologischem Kontext.
    Mit der kopernikanischen Wende, die Newton in seiner Optik nur vollstreckt hat, wird das Werk des ersten Schöpfungstages revoziert, fällt der Naturbegriff in den Bereich der Finsternis über dem Abgrund zurück.
    Nicht unterschätzt werden sollte die chaotisierende Gewalt des Inertialsystems, die im übrigen erstmals drastisch sich anzeigt in der Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten und der Subjektivierung dieser sekundären Sinnesquelitäten. Das Inertialsystem produziert die chaotische Mannigfaltigkeit der „Empfindungen“, des „Gegebenen“, die sich in diesem Kontext überhaupt erst konstituiert. Daraus versucht die transzendentale Logik dann die Dingwelt wieder zu rekonstruieren. Dieser Rekonstruktionsversuch produziert, wie Kant in den Antinomien der reinen Vernunft festhält, eine Vorstellungstotalität, die in ihren Rändern merkwürdig ausfranst. (Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit werden die zerfransten Ränder gleichsam in den Kern des Systems zurückgenommen.)
    Ist es eigentlich wirklich das gleiche Inertialsystem, das die Mechanik, Newtons Gravitationsgesetz und die Mikrophysik mit einander verbindet? Gründet der Nominalismus nicht darin, daß hier über die Gewalt der Logik des Systems Ungleichnamiges gleichnamig gemacht wird? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere nach ihrer Vergegenständlichung zum Inertialsystem, ein Realsymbol der Gewalt?
    Hat die Verdreifachung der altorientalischen Vorgeschichte (Heinsohn) etwas damit zu tun, daß die Linearität der Zeit, die zugrundeliegende Konstruktion der „Tiefenzeit“, ein Reflex der Dreidimensionalität des Raumes ist? Ist die Ungleichnamigmachung des Gleichnamigen nicht die Rache der Logik der Aufklärung an der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen? Die Vorstellung der linearen, homogenen Zeit verdankt sich der Neutralisierung des Raumes (dem Realitivitätsprinzip und dem Inertialsystem), der Abstraktion von den Differenzen, durch die sich die Richtungen im Raum (vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) voneinander unterscheiden. Gestützt wird diese Abstraktion durch das, was man die exkulpierende Kraft der Objektivierung nennen darf. Es scheint der gleiche Effekt zu sein, den Peter L. Berger die Selbstlegitimation des Bestehenden genannt hat, die insbesondere über die Naturwissenschaften vermittelt ist.
    Zur Rosenzweig-Kritik: Im Kontext seines Begriffs der Offenbarung, wenn das verschlossene Selbst im Kontext der Liebe Gottes als Seele sich öffnet und dabei als sündig sich bekennt, gerät seine Konstruktion in die Nähe des Erbaulichen (und des Autoritären). Die Sünde, die die Seele bekennt, wäre genauer zu bestimmen: als Sünde der Welt?

  • 15.1.1995

    Heinsohn: der Kopernikus der altorientalischen Geschichte.
    Ist der Himmel die Decke und der Spiegel der Vergangenheit (und bezieht sich darauf der Name schamajim)?
    Hat der „Feuersee“ der Apokalypse etwas mit dem schamajim zu tun?
    Die Grenze, die den Zuschauer vom Handeln trennt (die Grenze seiner Ohnmacht, die Grenze jeder Ästhetik), ist die gleiche Grenze, die uns vom Himmel und von der Vergangenheit trennt (Ursprung und Begründung der Astronomie und des Naturbegriffs): die Präsensgrenze.
    Hat die Weltraumfahrt etwas mit der Geschichte der Fälschungen im Mittelalter zu tun: mit dem Versuch, die Vergangenheit im Eigeninteresse der Herrschenden (zu denen wir alle gehören) zu berichtigen?
    Die Geschichte der Astronomie ist ein Teil der Ursprungsgeschichte des Staates.
    Die heute üblich gewordene Übersetzung des Namens der Theologie mit „Rede von Gott“: Wie kommt hier das Wort „Rede“ herein (heute ist jede Rede zum Gerede degeneriert)?
    Spricht Flavius Josephus immer nur von den Hebräern, oder nennt er auch den Namen der Israeliten?
    Die neue Auflage des etymologischen Wörterbuchs von Kluge hat ihren Gegenstand sterilisiert (keimfrei und zeugungsunfähig gemacht).
    Die Benennung der Tiere durch Adam: Modell der gesellschaftlichen Selbstreflektion der Philosophie. (Hätte Adam in den Tieren die Gehilfen erkannt, wäre dann die Trennung des Weiblichen vom Männlichen unterblieben? Klingt in der Erschaffung Evas als seiner Gehilfin nicht schon der Paraklet an?)
    Der gegenwärtige Atheismus geht davon aus, daß heute die Welt das leistet, was früher einmal die Gottesfurcht leisten sollte. Aber: zu wessen Lasten geht das? Angst ist ein Nebenprodukt der zur Herrenfurcht degenerierten Gottesfurcht (die Befreiung von der Angst durch Teilhabe an an der vergesellschafteten Herrschaft ist nicht allen offen, und auch in diesen Fällen bloßer Schein).

  • 29.12.1994

    Damnare heißt jemanden mit einem damnum belegen, ihm etwas von seinem Vermögen nehmen (Benveniste, S. 64). Damnare = verurteilen verweist auf das Eigentumsproblem und seine Konnotationen. Ist das Urteil nicht die Enteignung, die Ausbeutung, die Einbeziehung in den kollektiven Schuldzusammenhang?
    Ist nicht die Vater-Imago der Spiegel und der Katalysator des göttlichen Zorns (Vater und Kelch)? Als Gott den Menschen männlich und weiblich schuf, schuf er ihn im Bilde seiner Attribute (Gericht und Barmherzigkeit)?
    Was ist der Unterschied zwischen Haupt und Angesicht? Haben behaupten und enthaupten etwas mit einander zu tun? Ist nicht das Haupt das Angesicht von allen Seiten, das verdinglichte Angesicht? Zu den Häuptern gehören Kronen, zum Angesicht der Blick und das Wort. Welchen Kranz trugen die Caesaren (sh. die Dornenkrone Jesu)?
    Bereschit, im Anfang: Das be- bezeichnet das In, das reschit den Anfang? Hat das reschit ähnliche Konnotationen wie das griechische arche (Anfang, Ursprung, Ursache, Schuld)?
    Zur Rekonstruktion des Strafrechts: Diskriminiert der Staat nicht in den Strafrechtstatbeständen seine eigenen Taten an den Opfern? Ist nicht das Strafrecht ein Stück projektiver Verarbeitung der eigenen Wurzeln?
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: wäre sie’s, würde sie dazu zwingen, das Strafrecht auf sich selber anzuwenden, nämlich als eine projektive Verfolgung der eigenen Verbrechen an anderen (Schuldverschubsystem). Das hat Carl Schmitt gesehen, und daraus die faschistische Konsequenz gezogen.
    Als Jesus die Sünde der Welt auf sich nahm, hat er dem Staat die Grundlage entzogen. Das war die causa prima seiner Verurteilung.
    Jesus ist in Bethlehem (im Haus des Brotes) geboren, er war ein Nazoräer (und hat in Nazareth gelebt), und in Kana (bei der Hochzeit von Kana, bei der man vom Brautpaar fast nichts hört, wohl von den Dienern und vom Kellermeister) hat er Wasser in Wein verwandelt.
    Zweck der Universitäten war seit ihrem Ursprung die Selbstlegitimation des Bestehenden. Das gilt auch für die Geschichte der Theologie seit dem Ursprung der Scholastik. Seit Kant, der an die Stelle der „Schulphilosophie“ die „Weltphilosophie“ gesetzt hat („kopernikanische Wende“), leistet die Welt (der Weltbegriff) diese Selbstlegitimation.
    Zum Begriff der Vergangenheit vgl. Benjamins Engel der Geschichte, zu dessen Füßen die Trümmer der Vergangenheit sich häufen, und Horkheimers Frage, ob sich auf einem solchen Leichenberg überhaupt noch die richtige Gesellschaft errichten lasse. Reinhold Schneider wollte als toter Hund am Fuße des Kreuzes begraben sein.

  • 7.12.1994

    Das Geld (der Marktautomatismus) läßt die Armen schuldig werden (die Begründung findet sich dann schon). Das war der Grund, weshalb seit den Kirchenvätern die concuspicentia als Träger der Erbschuld begriffen wurde: Opfertheologie und Vergöttlichung Jesu, Folgen der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, gehorchten gleichsam in vorauseilendem Gehorsam immer schon der Logik des Kapitals; so haben sie ihr vorgearbeitet. Eine wichtige Rolle in diesem Prozeß spielte die neudefinierte Funktion der Sexualmoral, der die Kirche verfallen ist, weil sie den Mechanismus nicht durchschauen konnte. (Vgl. hierzu Hinkelammert, Kritik, S. 269ff, insbesondere auch die Anm. S. 271, sowie den transzendentallogischen Zusammenhang des Marktautomatismus mit dem Inertialsystem.)
    Der „persönliche Gott“ ist der magische Helfer der Einsamen, der Gott der Sexualmoral.
    Läßt sich die Beziehung von Barbaren und Hebräern aus der unterschiedlichen Stellung zur Schuldknechtschaft, und d.h. zur Logik des Kapitals, herleiten?
    Der Erkenntnisbegriff reicht weiter als der des Wissens. Es war der Grundfehler des deutschen Idealismus, daß er beide in eins gesetzt hat. (Hängt nicht auch das mit dem Wort vom Rind und Esel zusammen: das Rind ist ein Opfertier, während die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm ausgelöst wird?)
    Die prophetische, die messianische und die parakletische Erkenntnis sind drei Stufen der Erkenntnis, die auf die Trinitätslehre zurückweisen (auf die Gründe des Antijudaismus, der Ketzerverfolgung und der Frauenfeindschaft). Hat die dritte Leugnung etwas mit der Sünde wider den Heiligen Geist zu tun, die Selbstverfluchung Petri mit der Leugnung der parakletischen Form der Erkenntnis?
    Das Urteil ist das Instrument der Veranderung oder der Verweltlichung des Denkens.
    Joch und Last: Wird mit dem Jesaia-Wort nicht die Sünde der Opfertheologie bezeichnet, die das Auf-sich-Nehmen der Last, der Sünde der Welt, zum Joch (zur Last für andere) gemacht, es zur Rechtfertigung der Unterdrückung benutzt hat? Die Last nehme ich auf mich, das Joch lege ich anderen auf. Und das ist die Verführung des Inertialsystems wie auch des Tauschprinzips (insgesamt des Schuldverschubsystems), daß sie Last und Joch identifiziert. Adornos Kritik des Identitätsprinzips zielt genau auf diesen Sachverhalt. Der Satz über Rind und Esel enthält die Kritik des Weltbegriffs, der die Identifizierung von Joch und Last zur Grundlage hat. Vgl. hierzu Rosenzweigs Satz: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, oder auch das Jesus-Wort: Mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht (Mt 1130).
    Die Philosophie, und nach ihrer Hellenisierung auch die Theologie, hat seit je das Herrendenken frei- und seine Opfer schuldiggesprochen.
    Erwarten sich die Menschen heute nicht von der Religion und von der sie beherrschenden Gottesvorstellung einen Schutz gegen Gott? Die Idee des Absoluten ist nicht nur ein grandioses philosophisches Konstrukt, sondern das Produkt der Instrumentalisierung Gottes, das die Religion heute beherrscht. Mit der Instrumentalisierung Gottes wird das Aggressionspotential, das in uns steckt: die unaufgearbeitete Schuld, auf die Außenwelt abgeleitet; vergessen wird, daß die Sündenvergebung ans Sündenvergeben gebunden ist.
    Drückt sich beim Hinkelammert (in den Partien, in denen er über Popper nur schimpft) nicht noch ein Stück Hilflosigkeit aus?
    Dieser ungeheuerliche Mechanismus: Wir haben die Armut in die Dritte exportiert, und nutzen sie nun als Hebel, um sie über den Lohndruck, den sie heute erzeugt, wieder zu reimportieren.
    Massen sind nur durch ihr „Gewicht“ in einem Gravitationsfeld (auf einer Waage) meßbar. Ist diese Logik auf den Ursprung des Gravitationsfeldes (beim fallenden Apfel auf die Erde, beim Planetensystem auf die Sonne) überhaupt anwendbar, übertragbar? Können die Sonne, die Erde, der Mond oder die Planeten gewogen werden?
    Merkwürdige Vermischung von Empirie und Logik: „Den entscheidenden Erkenntnisfortschritt über den Anfang unseres Universums hat 1929 der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble bewirkt. Er stellte bei seinen Beobachtungen im Weltall fest, daß je weiter die Galaxien von uns entfernt sind, sie umso schneller von uns wegfliegen.“ (Amand Fäßler, Direktor des Instituts für theoretische Physik und Dekan der Fakultät für Physik der Universität Tübingen, in Publik Forum vom 02.12.94, S. 50). Hubble hat die Rotverschiebung der Spektrallinien der Sterne in Abhängigkeit von ihrer Entfernung entdeckt. Die Vorstellung der Expansion des Weltalls beruht auf einer Interpration dieses Sachverhalts auf der Basis des Doppler-Effekts. (Auf S. 52 fordert Fäßler: „Wir müssen gegenüber allen Ideologie sehr skeptisch sein …“)
    Was das kopernikanische System so nützlich gemacht hat, war, daß man sich dieses Planetensystem so schön vorstellen konnte, daß man es auf eine Bildebene projizieren (es der Logik der Schrift unterwerfen) konnte. Die Vermittlung dieses Bildes durch die Logik der Schrift blieb unreflektiert. So wurde die Unterscheidung zwischen dem Im Angesicht und dem Hinter dem Rücken gegenstandslos: Es gab nur noch ein Hinter dem Rücken. Dieser Schritt hat die „Wirklichkeit“ zur Erscheinung gemacht. Nicht zufällig hat Kant sein Konstrukt der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, aus denen die transzendentale Logik abgeleitet ist, als eine Konsequenz aus der „kopernikanischen Wende“ verstanden.
    War nicht die machsche Kritik der Atomistik ein Versuch der Rekonstruktion des Objekts aus Empfindung und Logik, der sehr kantisch ist, zugleich ein Reflex der Probleme der damaligen Äthertheorien? Die Auflösung dieses Problems (u.a. durch die spezielle Relativitätstheorie Einsteins, durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) war einer der Gründe des Ursrpungs des Neopositivismus, des logischen Empirismus, für den die Rekonstruktion des Objekts aus dem Chaos der Empfindungen nicht gelöst, nur obsolet geworden ist. Die veränderte Logik der neuen Naturwissenschaften (die mit der veränderten Logik der Ökonomie aufs merkwürdigste konvergierte) drückte dann in veränderten Positionen sich aus (Problem der Kausalität, der Anschauung, des „Beobachters“). Das ist das Problem der Beziehung der Naturwissenschaften zum „kulturellen Milieu“. Aus dem Konstitutionsproblem wurde ein innerlogisches Problem, dessen Gegenstandsbedeutung ungeklärt geblieben ist (vgl. Poppers „Falsifikations“-Theorem).
    Wer an der Atomvorstellung festhält und weiterhin nach den letzten Bestandteilen der Materie sucht, wird sich damit abfinden müssen, daß er auf immer neue Zwiebelschalen stößt.
    Wer die Postmoderne für ein weltanschauliches Problem, gleichsam für ein Bekenntnisproblem, hält, verharmlost das Problem; die Postmoderne spiegelt in Wahrheit die innerlogischen Probleme des derzeitigen Standes der Aufklärung wider.
    Sind die flektierenden Sprachen nicht Fortbildungen der agglutinierenden Sprachen, die Affixbildungen Weiterbildungen der Determinanten, die selber schon als erste Spuren der Logik der Schrift in der Sprache zu begreifen sind? Spiegelt die Trennung der Sprachen nicht verschiedene Phasen der Verschriftlichung der Sprache wider, und war vielleicht das Bilderverbot gegen den „Fortschritt“ der indogermanischen Sprachlogik gerichtet?
    Kann es sein, daß das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande sich auf die Geschichte der christlichen-jüdischen Beziehung seit dem Urschisma bezieht?
    Der Begriff des „vollkommenen Wissens“ wäre anwendbar nur auf eine tote Welt, auf eine endgültig abgeschlossene Vergangenheit. Die Allwissenheit als Attribut Gottes unterscheidet sich von der Erkenntnis, die Gott allein zugesprochen werden kann, durch eine qualitative Differenz: durch die Abwesenheit der Barmherzigkeit. Wissen ist gnadenlos, ihrem eigenen Objekt, auf das es sich von nur außen bezieht, fremd; die göttliche Erkenntnis wäre das Gegenteil davon: das Angesicht Gottes als eine Erkenntnis, in der seine Objekte sich selbst ohne Angst wiedererkennen.
    Das Wissen ist (wie die Begriffe Natur und Welt) ein Produkt der Logik der Schrift; auf ein „All“, das vorauszusetzen wäre, wenn es so etwas wie ein vollkommenes Wissen geben sollte, läßt es ohne Selbstwiderspruch nicht sich beziehen (die Entfaltung dieses Selbstwiderspruchs ist die Hegelsche Logik, in der die Stelle des „vollkomenen Wissens“ von der Idee des Absoluten, der Spiegelung des Subjekts im Unendlichen, besetzt wird).
    Die Geschichte ist ebensowendig das Weltgericht, wie Gott der Herr der Geschichte ist. Nach Hegel bezeichnet der Begriff der Geschichte sowohl die vergangenen Begebenheiten als auch ihre Darstellung, die erinnernde Vergegenwärtigung des Vergangenen; verweist das nicht auf einen logischen und sachlichen Zusammenhang beider? Wird nicht das Vergangene erst durch seine Erinnerung zum Vergangenen? Vollzieht die historische Erinnerung und Vergegenwärtigung des Vergangenen (seine Vergegenständlichung im Kontext der Fundierung der Institution des Privateigentums und der Begründung des Begriffs) erst die Taufe der Vergangenheit am Vergangenen? In welcher Beziehung steht dieser Begriff der Geschichte zum Weltbegriff (zum Wertgesetz und zum Inertialsystem)? Gibt es einen Weltbegriff ohne die Abtrennung (und Vergegenständlichung) der Vergangenheit als Geschichte? Gehört diese Abtrennung nicht als ein konstitutives Moment zum Begriff der Geschichte und zur Konstituierung ihres Objekts, der Gegenwart, die nur so zu einem Teil der Geschichte wird (zur Konstituierung sowohl der Geschichte als auch der Welt, die erst durch ihre Beziehung zur eigenen Geschichte als Welt sich konstituiert)? Aber bedeutet das nicht auch, daß sowohl der Bann der Natur als auch der der Geschichte beide in einen Schuldzusammenhang rückt, der ihre Beziehung zur Wahrheit verhext? (Epos, Gegenständlichkeit, Logik der Schrift: nicht nur die Naturwissenschaft, auch die Geschichte ist ein Verdrängungsinstrument; vgl. die Funktion kontrafaktischer Urteile in der Geschichte; Prophetie und Apokalyptik; Fälschungen in der Geschichte).
    Durch ihre historische Vergegenständlichung ist die Geschichte zu einer Kolonie der Gegenwart geworden. Die Gegenständlichkeit der Geschichte ist eine ästhetische, keine reale: Grund des Objektbegriffs und des Begriffs des Wissens, der ohne das Moment des Scheins nicht zu begründen ist.
    Ohne den Weltbegriff kein „persönlicher Gott“; beide stützen sich gegenseitig. Atheistisch ist erst die zur kritischen Masse zusammenschießende verweltliche Welt (der Faschismus, der zum Staatskapitalismus gewordene „real existierende Sozialismus“).
    Ist das Präsens Produkt der erinnernden Vergegenwärtigung des Vergangenen, die versperrte Gegenwart (durch die zeitlichen Formen des Konjugationssystems – durch Präteritum, Plusquamperfekt, Futur II – vermittelt wie der Nominativ durch die Kasus, durch Akkusativ, Genitiv und Dativ)?
    Zur Ableitung und Kritik des Gehorsams: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ. Ihre Erkenntnis ist prophetische Erkenntnis, die nicht den Gehorsam begründet, sondern das autonome Tun als Erfüllung des Worts. Der Gehorsam verwandelt den Imperativ in einen Indikativ, das Gebot ins Gesetz: er steht unter dem Bann der Logik der Schrift (Folge der Objektivierung des Attribute Gottes).

  • 6.10.1994

    Heute auf der Buchmesse, ein schimpfender Mann: „Die Politik unserer Politiker ist im Eimer, die Kunst ist im Eimer, die Wissenschaft ist im Eimer. Aber was ist nicht im Eimer?“ Ich hatte die Antwort auf der Zunge, habe sie dann aber heruntergeschluckt: Der Eimer. – Aber hat der Mann nicht recht? Nur wäre zu fragen: Steht nicht der Eimer für die „subjektiven Formen der Anschauung“, für Raum und Zeit, und ist deren Symbol nicht der Kelch, und ist er damit nicht konkret reflexionsfähig geworden? Sind es nicht die subjektiven Formen der Anschauung, unter deren Apriori die benennende Kraft der Sprache ihren Gegenstand verliert, und alle Dinge (als „Inhalte“ von Raum und Zeit) in Erscheinungen (den „Inhalt“ des Eimers, des Kelchs) sich verwandeln?
    Seit Kopernikus ist die Welt im Eimer.
    Ist der „Inhalt“ des Kelches, und sind damit der Grund des Taumelns, der göttliche Zorn und die Unzucht nicht genauer bestimmbar; haben Taumeln, Zorn und Unzucht etwas mit den drei evangelischen Räten (der Armut, dem Hören und der Keuschheit) zu tun?
    Wenn Emmanuel Levinas (Schwierige Freiheit, S. 261) den Unterschied zwischen Messianismus und zukünftiger Welt betont, verweist er damit nicht auf die Unterscheidung von Schrift und Wort? Und ist nicht die Logik der Schrift der Ursprungsort des „Kelches“, der „subjektiven Formen der Anschauung“? Löst sich nicht das Problem des Fundamentalismus durch die Unterscheidung von Schrift und Wort?
    Kontrafaktische Urteils sind die Rache des objektivierenden Verfahrens in der Geschichtsschreibung (der Vergegenständlichung der Geschichte zur Geschichte durch die Geschichtsschreibung).

  • 3.10.1994

    Theologie beginnt, wenn endlich einmal nicht mehr die Substantive großgeschrieben werden, sondern allein der Gottesname: wenn Erkenntnis aus dem Bann der Verdinglichung heraustritt.
    Das Substantiv ist eine Steigerung des Nominativ und setzt die Trennung des Nominativ vom Akkusativ voraus (wie sie im Deutschen nur dem Maskulinum, nicht jedoch dem Femininum, eignet, während die griechische und lateinische Sprache die Grenze zwischen Person und Sache legt (nur das Neutrum kennt die Identität von Akkusativ und Nominativ), in den anderen modernen Sprachen erstreckt sich die Neutralisierung des Nominativ, seine Angleichung an den Akkusativ, auf die gesamte Deklination.
    Müßte man nicht in Anlehnung an die „Haupt- und Staatsaktionen“ (im barocken Trauerspiel) die Substantive (die ebenfalls dem Barock sich verdanken) Haupt- und Staatswörter nennen? Die Substantive sind Ausdruck einer Staatsmetaphysik, zu der auch der Titel des Staatsanwalts (dessen sprachlogischer Grund eine eigene Untersuchung verdiente) gehört.
    Die „Schamlosigkeit der Glaubensbekenntnisse“ (Levinas: Schwierige Freiheit, S. 70) ist eine Konsequenz aus der Logik der Schrift – wie auch die Verinnerlichung der Scham, die zum Kontext des Ursprungs der modernen Naturwissenschaften gehört und den Konfessionalismus begründete: Sie ist Teil einer Phase der Geschichte der Logik der Schrift und gehört (wie der Kreuzestod und wie die Ärgernisse, die kommen müssen) zur „Erfüllung der Schrift“. Das letzte Produkt der Verinnerlichung der Scham (und der darin gründenden Schamlosigkeit) ist der Skinhead. Hier hat die verinnerlichte Scham das Subjekt ausgebrannt; dafür rächt es sich an den andern. Das Angeblicktwerden erinnert an die verdrängte Scham und ist deshalb unerträglich und Auslöser der Aggression.
    „Herr der Himmelsheere“: Ist das nicht der Herr und Adressat der Engelschöre? Sind die Engelschöre die Himmelsheere?
    Rührt der Name des Himmels nicht an das gleiche Problem, das im Deutschen im Verhältnis des Femininum zum Plural steckt: Die Deklination des bestimmten Artikels im Femininum singular ist identisch mit der allgemeinen Plural-Deklination. Ist hier nicht die Grenze, an der das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem aus dem starren Subsumtionsverhältnis des Begriffs sich löst und in ein Umkehrverhältnis transformiert wird? Der Begriff der Materie verdankt sich der Abstraktion von diesem Umkehrverhältnis, dessen gegenständliches Korrelat die Feste des Himmels ist (deren Ausdruck ist das Gravitationsgesetz): Die Materie ist das gleichnamig gemachte Ungleichnamige.
    Grenzen der Beweislogik, Zeuge und Zeugnis: Selbst die Gestalt des Märtyrers ist vor Mißbrauch nicht geschützt: Die „Heldenfriedhöfe“ machen von diesem Konstrukt Gebrauch, wenn sie den „Heldentod“ zum Zeugnis für die Wahrheit des Bekenntnisses zur Nation instrumentalisieren. Das war der Hintergrund und die Basis der faschistischen Parole „Blut und Boden“. Mit Hilfe dieses Konstruktus schirmt der Nationalismus gegen jede Kritik sich ab, wenn er auf den Tod und das Blut der Helden sich beruft. Das Blut der Helden heiligt den Boden, auf dem es vergossen wurde.
    Vgl. hierzu
    – den biblischen Satz von der Erde, die „der Schemel Seiner Füße“ ist,
    – die Zerstörung dieses Satzes durch das Institut des Privateigentums, die den Boden zur Ware vergegenständlicht (Staat, Eroberung und Handel),
    – die logische Sanktionierung dieses Vorgangs durch die naturwissenschaftliche Vergegenständlichung der Welt, durchs Inertialsystem.
    Die Kopernikanische Wende hat durch Identifikation von Last und Joch im Begriff der Materie Gottes Thron und den Schemel Seiner Füße zerstört.
    Grundsätzlich obliegt im Rechtsstreit die Beweispflicht der Anklage und nicht der Verteidigung; der Verteidigung obliegt sie nur aufgrund der gleichen Lücke in der Beweislogik, der auch das Faktum, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, sich verdankt. Auf dieser Grundlage wäre (gegen Carl Schmitt) nachzuweisen, daß wirkliche Souveränität im Gnadenrecht, nicht im Exekutionsrecht sich manifestiert.
    „Ich werde euch den Beistand senden“: nicht zur Selbstverteidung, sondern zur Verteidigung der Barmherzigkeit, zur Verteidigung des Glücks, das der Erfüllung des tiefsten Wunschs der Menschen sich verdankt, endlich uneingeschränkt gut sein zu dürfen.
    Wenn die Theologie hinter dem Rücken Gottes Gott autistisch macht, und wenn es stimmt, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, dann liegt die eigentliche Wirkung dieser Theologie darin, daß sie nicht Gott, sondern die Gläubigen zum Autismus verführt. Bezieht sich der Satz vom Binden und Lösen auf diesen Sachverhalt?
    Die Philosophie wird zur monologischen Theorie dadurch, daß sie nur das Denken des Andern ins eigene Denken mit aufnimmt (durch die noesis noeseos, die sich bei Kant zur Erkenntniskritik entfaltet), nicht aber die Barmherzigkeit, das Votum für die Armen und die Fremden, die „Witwen und Waisen“. Das Denken des Denkens konstituiert sich im Verhältnis zur Natur, es verkörpert, vergegenständlicht, materialisiert sich im Weltbegriff (der die Barmherzigkeit a limine aus dem Begriff der Erkenntnis ausschließt). Es schlägt seine Wurzeln im Subjekt in den subjektiven Formen der Anschauung. Diese Wurzeln sind die Wurzeln des Baumes der Erkenntnis und das Instrument der Vergesellschaftung zugleich.
    Emmanuel Levinas hat die These Hermann Cohens, wonach die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern des Handelns sind, verschärft: Ihm zufolge stehen die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ (Schwierige Freiheit).

  • 7.9.1994

    „Du hast doch ein Ohr, du hast doch eine Leber, du hast doch einen linken Zeigefinger und außerdem noch Lunge und Brust: Worauf wartest du noch, mach doch daraus schon mal einen kleinen Menschen.“
    Der Kapitalismus ist das Reich der Privatwirtschaft: Er hat die gesamte Ökonomie der Privatsphäre (dem Reich der idiotes) zugeschlagen.
    Hinweis auf den Zusammenhang von Ökonomie, Politik und Privatexistenz: Das Telefon ist für den Geschäftsverkehr, für die politische Intrige und für den privaten Tratsch unentbehrlich. Das Fernsehen ist durch das optische Medium das Institut der vollständigen Durchdringung von Politik und Privatem im neuen Begriff der Öffentlichkeit; beide ziehen sich wechselseitig auf ihr unterstes Niveau herunter (Ableitung aus der Logik der Schrift). Hier wird die Intrige vergesellschaftet und der Tratsch zur Basis der Politik.
    Die Bekenntnislogik ist die Opferfalle, in der das Christentum seine Gläubigen gefangenhält.
    Sind nicht die drei Gestalten des Bösen, Satan, Teufel und Dämon, Konstruktionsmomente der Ökonomie, von Goethe zusammengefaßt in der Gestalt des Mephisto? Der Kapitalismus ist ein Teufelspakt, aber das ist kein Anlaß zur Dämonisierung, sondern ein Hinweis zur Erkenntnis des Kapitalismus (der Name des Kapitals entstammt dem Kreditwesen: „capitalis pars debiti ist der Hauptteil der Schuld, der von einer Nebenschuld, nämlich dem Zins, begleitet wird“, Binswanger, Geld und Magie, S. 48).
    Heute käme es darauf an, die Aufklärung aus den Verstrickungen ihres theologischen Ursprungs zu lösen (aus dem dogmen- und bekenntnislogisch begründeten Gesetz der Verdinglichung).
    Hängt nicht die aristotelische Kritik der Geldvermehrungswirtschaft (vgl. Duchrow) mit seiner Kritik der schlechten Unendlichkeit zusammen, wurde ihr nicht durch die kopernikanische Wende der Boden entzogen?
    Auch die Armut ist eine Ware; sie gehört zu den schamvoll versteckten Produkten der kapitalistischen Produktion; sie wird exportiert und wieder reimportiert. Die Armut der andern ist der Schatten der Erfüllung des Gewinnstrebens der Reichen.
    Die Banken und die verwalteten Schulden (das Kreditsystem) sind der Realgrund und die ideelle Widerspiegelung zugleich der Armut in der Gesellschaft.
    Hält die sogenannte „sumerische“ Sprache (als agglutinierende Sprache) nicht die Erinnerung an den Ursprung der durch die Logik der Schrift verursachten Änderungen der Sprache fest (Turmbau zu Babel)? Ist sie nicht gleichsam der embryonale Zustand der flektierenden Sprache?
    Bezeichnet der Staub in der Sündenfallgeschichte (wie die Schlange, die ihn frißt) auch einen sprachlichen Sachverhalt, das Produkt der Vermahlung der phonetischen zur Schriftsprache: die Buchstabenschrift?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie