Erbauliche Theologie dient allein der Einübung des Geschwätzes. Biblische Personen und Erzählungen werden nur noch als Folie der Selbstbespiegelung wahrgenommen. Es gibt eine erbauende Kraft der Schrift, und in ihren Zusammenhang gehört das Wort vom Eckstein, den die Bauleute verworfen haben. Diese Verwerfung des Ecksteins führt direkt in die an sich blasphemische Erbaulichkeit. Die Erbaulichkeit orientiert sich an einer Idee der Unsterblichkeit der Seele, die vom Zustand der Welt abstrahiert, während das erbauende Denken am Zustand der Welt sich orientiert: Es findet seinen Grund in der Lehre von der Auferstehung der Toten.
Das Gelübde ist auf der Grenze zwischen Tauschprinzip und Rechtsprechung angesiedelt, das Gelübde selbst als Angebot oder Anklage, das Eintreten seiner Erfüllungsbedingungen als Kauf oder Urteil. Und ist nicht das Tauschverhältnis die säkularisierte Gestalt eines Herrschaftsverhältnisses (mit dem Verkäufer als Knecht und dem Kunden als Herrn), oder genauer: Verwandelt das Tauschverhältnis nicht das Herrschaftsverhältnis in eine reversible Beziehung, ist es nicht das Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft (und der Verhärtung der Herzen)? Aber diese Reversibilität ist der Ursprung des Scheins: der Trennung des Bewußtseins vom Sein, der Ursprung des falschen Bewußtseins (Bedingung und Resultat der Verhärtung des Herzens).
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum gründet in der Orthogonalität, beide zusammen (und mit ihnen die Zwangsvorstellung des dreidimensionalen Raumes) gründen in der Irreversibilität der Zeit. Wäre das Inertialsystem mehr als ein metrisches Konstrukt, wäre es eine objektive Wesenheit, so würde das Zeitkontinuum gesprengt. Darin liegt die Wahrheit des Urknalls, in dem diese Sprengung sich reflektiert, und der am Ende, nicht am Anfang liegt. Auf dieses Ende zielt Heideggers (von Vernichtungsphantasien genährte und beherrschte) Frage: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?
Die Lichtgeschwindigkeit (die durchs Inertialsystem vermittelte Außenseite des Lichts) rührt ans tohuwabohu und an die Finsternis über dem Abgrund.
Das Recht und das Inertialsystem sind die vergeblichen, und deshalb unendlichen Versuche, den Bruch, der Natur und Welt scheidet, zu heilen, und ist es nicht dieser vergebliche Versuch, auf den sich das Wort von den Pforten der Hölle, die die Kirche nicht überwältigen werden, bezieht?
Kann es sein, daß es in den USA deshalb nie eine linke Partei gegeben hat, weil der Rassismus den Klassenkampf unsichtbar gemacht hat? Die linke Theorie hat insofern recht, als der Rassismus dem Grunde nach auf ein gesellschaftliches Verhältnis, nicht auf ein biologisches sich bezieht. Aber erfahren wir dieses gesellschaftliche Verhältnis (auch den Klassenkampf) nicht in der Tat als Natur, und hat es für uns nicht die Gewalt der Natur, die der Staat und das Recht dann garantieren? Zu dieser Natur gehören dann – wie zur christlichen Welt die Hölle – die Knäste.
Auto und Fernsehen: Freie Bahn für freie Bürger. Die andern enden vor der Glotze.
Entspricht nicht der Bildschirm der Scheibe im Schaufenster, die die potentiellen Käufer von der Ware trennt; sind nicht Fernsehmoderatoren zum Leben erweckte Waren?
Wort zum Sonntag und Morgenandacht: Das Fernsehen markiert das Ende, das Radio den Anfang vom Ende.
Kohl hat sich durchgesetzt, weil er alles aussitzt: Ist er überhaupt ersetzbar?
Als die SPD Lafontaine zum Parteivorsitzenden wählte, hat sie das Pfeifen im Walde mit den Trompeten von Jericho verwechselt.
Wie unterscheidet sich das Erbarmen vom Mitleid (vgl. hierzu die Geschichten von den „wunderbaren Brotvermehrungen“: das eine Mal „ergriff ihn das Mitleid mit dem Volke“, das andere Mal „erbarmte ihn des Volkes“)? Unterscheidet sich nicht das Mitleid von der Barmherzigkeit durch das Bewußtsein der Ohnmacht? Und gilt das Erbarmen (der Impuls zu helfen) den Opfern, das Mitleid (die Erfahrung der Ohnmacht und der Schrecken angesichts der Frage: Wie können die das tun?) den Tätern? Hängt nicht Nietzsches Idee des Herrenmenschen (der „blonden Bestie“) mit der Abwehr des Mitleids (als „größte Gefahr“) zusammen, mit der Unfähigkeit, diese Ohnmacht zu ertragen? Anstatt das Bewußtsein der Ohnmacht im Mitleid zu reflektieren, schlägt er sich auf die Seite der Herren, die am Ende kein Mitleid mehr dulden.
Das Fernsehen kann Mitleid erzeugen, niemals Barmherzigkeit. Gründet das Mitleid im Sehen, während die Barmherzigkeit das sprachlich reflektierte Sehen zur Grundlage hat? Das Mitleid gehört zur Logik der Schrift, die Barmherzigkeit gründet im Wort (das Objekt des Mitleids ist stumm, das der Barmherzigkeit schreit zum Himmel).
Unterscheidet nicht schon die Schrift zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Wortes? Ist diese innere Unterscheidung der Prophetie nicht in den Begriff der Prophetie mit hereinzunehmen, und ist nicht die Apokalypse (die Fortentwicklung der Prophetie unter den Bedingungen des Weltbegriffs, der in dieser Unterscheidung sich ausdrückt) der Ausdruck und die Entfaltung der Objektivität dieser Unterscheidung?
Der Weltbegriff unterliegt einem organischen Prozeß: So enthält er in sich selbst die Ursachen seines Untergangs. Spenglers Kulturbegriff gründet in diesem Weltbegriff.
Ist nicht der Urknall ein spätes Echo der creatio mundi ex nihilo? War nicht dieses theologische Konstrukt bereits ein Reflex des „Weltuntergangs“, die bloße Umkehrung des Endes? Als Schöpfer der Welt ist der Staat der Vollstrecker ihres Untergangs.
Gibt es den Begriff der Verstockung (der Verhärtung des Herzens) schon vor der Exodus-Geschichte?
Das Ding ist der Reflex der unendlichen Ausdehnung des Raumes (und der Zeit), während das Angesicht diese Unendlichkeit widerlegt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind die realsymbolische Entsprechung des biblischen Kelchsymbols; ihre verdinglichende Gewalt korrespondiert dem „göttlichen Zorn und Grimm“.
Der Hinweis auf die Verantwortung bleibt formal, ein Instrument der Selbstentlastung (und des Schuldverschubsystems), wenn ich nicht davor die Frage setze, ob ich sicher bin, daß ich, wenn ich an der Stelle des Andern gewesen wäre, anders hätte handeln könnte.
Auch die Nazis waren Opfer. Das entlastet sie nicht von ihren Taten, aber vielleicht hilft dieser Satz, die Wiederholung dieser Taten, die über ihre bloße Verurteilung sich vorbereitet, zu verhindern.
Die Ausgrenzung des Schreckens aus dem Begriff des Faschismus (durch das Instrument der Verurteilung) ist die Ausgrenzung derer, die ihn nicht loswerden.
Hat nicht der Gebrauch der Verurteilungslogik, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, sehr viel mit den „sieben unreinen Geistern“ zu tun?
Die einzige brauchbare Definition Gottes: Er ist es, der die Toten erweckt.
Der Corpus Christi Mysticum schließt (nach der „Mysterientheologie“ Odo Casels) die Einbeziehung in das Leiden und den Tod Jesu mit ein.
„Was sind das doch armselige Menschen …“ und „Was sind das doch für armselige Menschen …“: Dieses „für“ rückt den Satz aus dem Bereich des Erschreckens (und der Barmherzigkeit) in den der Verurteilung (des Gerichts). Die erste (ursprüngliche) Fassung des Satzes ist Ausdruck eines katholischen Selbstverständnisses, das es nicht mehr gibt. Die Kirche gibt keinen Halt mehr für den Widerstand gegen die Welt, sie hat die Mittel dieses Widerstands als Ballast abgeworfen. So findet sie sich als das steinerne Herz der Welt in deren leerem Zentrum wieder.
Drückt sich nicht in dem „für“ die Verdrängung genau der Wahrnehmung aus, die in dem ersten Satz zum Ausdruck gebracht wurde?
Lafontaine
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08.08.1996
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