Lehmann

  • 23.11.1996

    Hat nicht das „Besitzstandsdenken“, von dem – im Gefolge der Regierung und zur Absicherung ihrer „Sparprogramme“ – der Bischof Lehmann und die Frau Waschbüsch reden, etwas mit dem „Standort“ Deutschland zu tun. Ist nicht die Kirche selber – und mit ihr jede blind übernommene Tradition – ein reines Produkt des „Besitzstandsdenkens“?
    „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“: War das nicht ein bei den Nazis beliebter Spruch (aus der Edda)? Zitiert das „erwerben“ nicht die gegenstandskonstituierende Kraft der Werbung, der Reklame?
    „Ihr laßt die Armen schuldig werden“: Ist es nicht merkwürdig, daß man den Besitzlosen heute „Besitzstandsdenken“ nachsagt? Hat nicht das Besitzstandsdenken, das nur noch dem projektiven Gebrauch zur Verfügung zu stehen scheint, etwas mit der Besessenheit zu tun?
    Die Humanität beginnt mit der Fähigkeit zur Schuldreflexion: mit der Fähigkeit, in der Schuld des Andern die eigene zu erkennen.
    Stämme, Völker, Nationen und Sprachen: Diese Wendung, die die ganze Menschheit umreißt, erscheint in der Schrift nur in apokalyptischem Zusammenhang, und in dieser Fassung nur in der Johannes-Apokalypse (bei Daniel fehlen die Stämme).
    Vgl. aber die Nachkommen Japhets, Hams und Sems („nach ihren Ländern/Geschlechtern, ihren Sprachen, ihren Geschlechtern/Ländern, ihren Völkerschaften“, Gen 105,20,31),
    – Übersetzung Buber:
    . Japhet: … Von diesen trennten sich ab die Inseln der Stämme, in ihren Erdländern, jedermann seiner Zunge nach: nach ihren Sippen, in ihren Stämmen.
    . Ham: Das sind die Söhne Chams nach ihren Sippen, nach ihren Zungen, in ihren Erdländern, in ihren Stämmen.
    . Sem: Das sind die Söhne Schems nach ihren Sippen, nach ihren Zungen, in ihren Erdländern, nach ihren Stämmen.
    Kann es sein, daß der an die „12 Stämme in der Zerstreuung“ gerichtete Jakobusbrief den Grund benennt, weshalb in der Johannes-Apokalypse zu den Völkern, Nationen und Sprachen die Stämme mit hinzu genommen werden: die Zerstreuung?
    Nicht Herrschafts-Kritik, sondern Kritik der Gewalt.
    Was würde sich ergeben, wenn man das Wort Vergewaltigung sprachlogisch aufschlüsselt (das Walten mit dem doppelten Präfix und einem doppelten Suffix)? Ist nicht die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (das Perfekt des Waltens) die Quelle der Gewalt?
    Ist die göttliche Gewalt die die Gewalt zerstörende Gewalt (der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht)?
    Ist die „Bewältigung“ (z.B. der Vergangenheit, die dagegen wehrlos ist) eine Vergewaltigung?
    War nicht die historische Bibelkritik eine Bewältigung der Vergangenheit (der Widerpart der Idee der Auferstehung)? Ist nicht die „Bewältigung“ insgesamt ein Historismus-Projekt, gegen dessen Logik der Stern der Erlösung geschrieben worden ist?
    „… die Zukunft wird geahndet“ (Schelling, Weltalter): Es mag sein, daß das ahnden auf einen Versprecher sich zurückführen läßt, daß das ahnen gemeint war; aber dann war es ein freudscher Versprecher. Läßt sich mit Hilfe des Sündenbocksyndroms aus diesem Ahnden nicht die mythische Grundtendenz der Schellingschen Philosophie, die schon in seiner Naturphilosophie angelegt war, ableiten? Seit den Vorsokratikern ist die Naturphilosophie das Bindeglied, das die Philosophie an ihre mythischen Ursprünge bindet. Es gehört zur Logik des Naturbegriffs, daß jede an ihn sich anschließende Philosophie die Partei der Verfolger und nicht die des Opfers ergreift. Bei Hegel ist es der Weltbegriff, der als Indikator der Logik des Mythos in der christlichen Tradition sich erweist: Deshalb ist Hegels Philosophie zur Staatsphilosophie geworden.
    Hegels Philosophie ist die philosophische Entfaltung des Theologumenons der creatio mundi ex nihilo, in dem das gnostische Erbe über die bloße Verurteilung der Gnosis, die so zur Urhäresie geworden ist, in die Theologie übernommen worden ist (Paradigma der Vertuschung, des Spurenverwischens: die erste Gestalt einer „Bewältigung der Vergangenheit“). Die Verwerfung der Gnosis war der Gründungsakt der Kirche. Der in der creatio mundi ex nihilo zitierte creator ist der Demiurg, der im Staat sich verkörpert und zugleich verbirgt, durch seine Fundierung im Weltbegriff sich unkenntlich macht (mit der Vergöttlichung des Opfers macht sich der Staat zum Gegenstand der Anbetung). Die Gnosis ist der Sündenbock der Theologie hinter dem Rücken Gottes, ihre bloße Verwerfung macht die Gnosis zum Objekt des Gerichts, dessen wirkliches Objekt der Staat ist. Die Gnosis ist die Urhäresie, weil die Theologie nur in ihr den Vorwand findet, der es ihr erlaubt, sich ihrem eigentlichen Auftrag (der Theologie im Angesicht Gottes, in der die Gnosis sich auflösen würde) zu entziehen und nach Tarschisch (in eine Theologie hinter dem Rücken Gottes, zu deren Stabilisierung die Verurteilung der Gnosis wie das Feindbild zur Identitäts- und Gruppenbildung gehört) zu fliehen.

  • 1.11.1996

    Hat die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel nicht nur auslegen, sondern zuvor selber erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn vergessen hat, nicht etwas mit den versteinerten Verhältnissen (in denen das subjektive „Gewinnstreben“ vom objektiven Rentabilitätsprinzip abgelöst worden ist) zu tun?
    Das Hebräische kennt zwar keinen Dativ, und d.h. kein Absolutes (und nur in dessen Kontext gibt es das „Gegebene“, auch einen Gott, den „es gibt“) wohl aber einen Stamm, ein Land und Menschen mit dem Namen Juda, von dem die „Juden“ ihren Namen haben. Juda aber heißt Dank. Israel kennt keinen Gott, der gibt, auch keinen Gott, den es gibt, nur den einen Gott, der fordert. Israel kennt keinen „lieben Gott“ und auch keinen „Herrgott“.
    Dativ: Sind das transzendentale Subjekt, die Idee des Absoluten und der Staat durch den Dativ vermittelt? Hat der Dativ den Genitiv reversibel gemacht (und so das Neutrum begründet)? War der Dativ der Kristallisationskorn der veränderten Konjugationsformen (der Repräsentant des Seitenblicks und der Katalysator der Vergegenständlichung der Zeit)? Bezeichnet der Dativ die Grenze zwischen Welt und Natur (nach ihrer Trennung durch die Urteilsform)? Ist der Dativ der Kern der hypostasierenden und verdinglichenden Gewalt in der Sprache (Ursprung des Substantivs, Denkmal und Spur des verschwundenen Namens)?
    Sind die Wege des Irrtums (auf die der Jakobusbrief verweist) nicht vorgezeichnet im Staat (in der Idee des Absoluten, die im Staat sich verkörpert: der Staatsanwalt ist der Anwalt dieses Absoluten, das nicht Gott ist, sondern der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft)?
    Wenn Pferde scheuen, wenn sie durch eine Pfütze gehen sollen, hat das vielleicht etwas mit der Erinnerung an das Schilfmeer zu tun?
    Feuer und Rasse: Sind Pferde das säkularisierte Feuer aus dem Namen des Himmels (das Modell jedes Rassismus), rührt daher nicht ihre Stellung in den Apokalypsen? Ist Reiten der Versuch, das Feuer zu domestizieren? War in St. Peter die Figut eines reitenden Papstes? Es gab sehr wohl (und das mehrfach) Pferde, die dem Wasser sich entrangen, aus ihm emporstiegen (ein, wie mir scheint, in dieser Gestalt sehr barockes und zugleich päpstlich-kirchliches Symbol). Die Griechen kannten Zentauren und den Pegasus. Mohammed ist zu Pferd gen Himmel aufgefahren, aber wie war es mit dem Elias?
    Das Rind, dem das Joch auferlegt wird, frißt Gras (ebenso Behemoth und Nebukadnezar). Auch Hitler war Vegetarier, und Kain opferte die Früchte des Feldes.
    Liegt nicht der schärfste Einwand gegen die habermas’sche Kommunikationstheorie in der Frage, ob ein herrschaftsfreier Diskurs überhaupt möglich ist? Wenn er möglich ist, dann nur im Zusammenhang der Reflexion von Herrschaft (der Auflösung der verblendenden Gewalt des Herrendenkens). Auch hier gilt der Satz, daß, wer nicht in den Angeklagten (ins Objekt, in die, die unten sind: in die Armen und die Fremden) sich hineinzuversetzen vermag, nicht mehr fähig sei, gerecht zu urteilen. Ein gerechtes Urteil wäre eins, in dem der Angeklagte (das durch den Akkusativ vermittelte Objekt) sich wiederzuerkennen vermag. Dem hat das positivistische Rechtsverständnis, eine Art zu richten, die den kantischen Unterschied zwischen bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht mehr kennt, den Boden entzogen. Diese Konstellation ist vorgebildet und beim Namen genannt im deutschen Titel des Staatsanwalts.
    Der Verfassungspatriotismus macht die Verfassung zu dem, was sie ihrer eigenen Intention zufolge nicht sein darf: zu einem puren Bekenntnis. Man könnte sagen: Seit es den Verfassungpatriotismus gibt (den Radikalen-Erlaß und das Bekenntnis zur FdGO), ist die Verfassung zu einem Schutz der Verfassung vor sich selber, zu einer Waffe gegen ihre eigenen Grundsätze, geworden. Das Bekenntnis zu einer Sache destruiert ihren imperativen Gehalt. Seitdem gibt es die ebenso folgenlosen wie verhängnisvollen „Werte“, das Ferment der Selbstzersetzung der Moral.
    Es gibt nur einen Fall, in dem ein Jahrzente überdauerndes folgenloses Bekennen dann doch zu einer Art Realisierung führte: den der Deutschen Einheit, die sich einmal als Fall erweisen wird. Seitdem gilt Kohl, der seit je alle Probleme durch Aussitzen erledigte, als großer Staatsmann. Und seitdem beginnt eine ganze Nation, ihre Probleme nur noch auszusitzen. Dieser Arsch mag Ohren haben (mit denen er gleichwohl nichts mehr hört), er hat keine Augen mehr. Er ist nur noch auf sein Inneres gerichtet, und was er da wahrnimmt, ist Sch…
    Beitrag zur politischen Logik heute: Ist nicht die Logik des folgenlosen Bekennens und des dazugehörigen Aussitzens auch eine Gefahr für die politische Kritik, die von der Reflexion sich verabschiedet hat; gehören in den gleichen logischen Kontext nicht auch die Sitzblockaden (die dann ebenso akausal und aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß genommen haben, zu einem „Ergebnis“ geführt haben wie die „Wiedervereinigungspolitik“)? Waren diese Sitzblockaden nicht der genaueste Reflex des Aussitzens, dessen Logik auch keiner begriffen hat? Und gibt es schließlich nicht eine gesellschaftslogische Beziehung des Aussitzens und der Sitzblockaden zu den Formen der juristischen Bekämpfung des Terrorismus, die ebenso phantasie- und reflexionslos sind, insbesondere zur Logik der „Isolationshaft“ (zusammen mit den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, die, außer in einem antinomischen, in keinem rationalen Verhältnis zu dem juristisch an sich geforderten individuellen Nachweis der Beteiligung an den terroristischen Taten stehen)? Steht nicht die „Wiedervereinigungspolitik“ in der gleichen antinomischen Beziehung zu ihrem „Ergebnis“, das anderen Ursachen sich verdankt, wie die Sitzblockaden zum Abzug der Raketen und die Strafen in RAF-Prozessen zu den Beweisverfahren, auf deren Grundlage sie verhängt werden? Sind nicht die Demonstrationen und Sitzblockaden und die polizeilichen und juristischen Reaktionen darauf, die Isolationshaft und die mehrfachen lebenslänglichen Freiheitsstrafen, mit denen in diesem Lande der Terrorismus bekäpft wird, die Kehrseite der Politik des folgenlosen Bekennens und des Aussitzens, einer Politik der unschuldigen, sich selbst exkulpierenden Gewalt?
    Demonstrationen: die Wallfahrten des ritualisierten Widerstands.
    Findet die Beziehung der Politik der Bundesregierung zu ihrer kriminalpolitischen Durchsetzung nicht ihre erschreckende typologische Parallele in der Beziehung der Protagonisten der Deutschen Bischofskonferenz: in der Beziehung von Lehmann und Dyba? Verdiente der logische Zusammenhang des folgenlosen Bekennens mit dem gewalttätigen Aussitzen der Probleme (das innerkirchlich in der Fixierung auf die sexualmoralischen Themen sich anzeigt und an deren herrschaftslogischer Rekonstruktion sich demonstrieren ließe) nicht auch eine ernsthafte theologische Analyse?
    Hat nicht das Aussitzen mit der Sphäre zu tun, die in Psychoanalyse mit dem Analen näher bezeichnet wird? Hierher gehört sowohl die psychoanalytische Geldtheorie wie auch die Theorie der Paranoia.
    War nicht die Geschichte der ägyptischen Plagen und die der Verhärtung des Herzens Pharaos das genaueste symbolische Modell des Aussitzens? Der Pharao, zu dem diese Geschichte gehört, war der, der Joseph, die Ursprungsgeschichte seiner ökonomischen Macht, nicht mehr kannte.
    Hat der Vater Jesu, dieser andere Joseph, und zwar nicht nur durch seinen Namen, etwas mit dieser Ursprungsgeschichte von Herrschaft zu tun, und hängt die merkwürdige Rolle, in die die Väter in den Evangelien gerückt werden, nicht mit dieser Erinnerung zusammen? Hat nicht Jesus mit dem Gottesnamen Vater (mit dem er seinen eigenen messianischen Titel begründet) alle anderen Väter verdrängt?
    Reicht nicht das Beelzebub-Motiv vom Reich, das zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins wird, das sein apokalyptisches Echo in Off 1713.17 in der „einen Meinung“ findet, die die Könige, die von den zehn Hörnern des symbolisiert werden, charakterisiert, in den Kern des apokalyptischen Gedankens, der apokalyptischen Idee?
    Sind die Planeten das Rätselbild des darin versteckten und verwirrten Baums des Lebens?
    Gibt es nicht seit dem Ende des Nationalsozialismus eine fürchterliche Angst vor Schuldgefühlen, die die Menschen zur projektiven Verarbeitung aller Erfahrungen, die daran erinnern, zwingen? Der Nationalsozialismus hat noch in seinem Untergang ein Netz ausgeworfen, aus dem es kein Herauskommen mehr zu geben scheint. Mit diesem Netz fängt er selbst die noch ein, die glauben, sich als seine Gegner verstehen zu dürfen.
    Haben nicht die indoeuropäischen Sprachen eine eingebaute logische Schutzvorrichtung, die ihre Reflexion erschwert, wenn nicht unmöglich macht, und ein rassistisches Selbstverständnis der „Arier“ fast erzwingt?
    Ist der „Angriff auf den Rechtsstaat“, den Hubertus Janssen in diesem Gericht (im 5. Strafsenat des OLG Frankfurt) erkannte, nicht in der inneren Logik des Rechtsstaats selber begründet? Ist es nicht die Verwechslung von Recht und Moral, die das „gute Gewissen“, das das Recht erzeugt, tierisch macht (eine Verwechslung, die am Ende nur theologisch sich auflösen läßt)? Stammt nicht die exkulpierende Kraft jeder Empörung aus dem Bewußtsein des Rechts, aus dem sie sich herleitet? Der Heiligkeit des Rechts entspricht hierbei die Heiligkeit der Empörung (Heumann ist die reinste Verkörperung dieser „heiligen Empörung“, die zwangsläufig denunziatorisch ist).

  • 12.02.93

    Zu Karl Lehmann:
    – Lehmann ist nur noch jovial (eine realmythische Figur).
    – Gehört nicht die Gen-Technologie – ebenso wie die Atomphysik und die Weltraumforschung – zu den Kamikaze-Technologien der Menschheit?
    – Müßte man nicht das Prinzip Verantwortung von dem bloßen Verantwortungsbewußtsein unterscheiden (und die ungeheure Zweideutigkeit des Begriffs Verantwortung mit reflektieren)? In der Verantwortung, von der Lehmann spricht, klingt nur der Slogan von der „Schwere der Verantwortung“ an, ein auf blasphemischste Weise christologisches Wort (wer diese „Verantwortung“ übernimmt, nimmt dem andern die Verantwortung und die Mitschuld ab, die ihn vielleicht zum Handeln, zum Eingreifen veranlassen könnte; er signalisiert: halt du dich da raus). Hier handelt es sich um eine „Verantwortung“, mit der man Hierarchien und die hohen Gehälter der „Verantwortungsträger“ rechtfertigt. Reale Verantwortung aber würde darin bestehen, daß man endlich versucht zu begreifen (und nicht mehr nur zu rechtfertigen), was man tut.
    – Karl Lehmann übt ein Amt aus, in dem es eigentlich unmöglich sein müßte, sich als Privatperson daneben zu stellen, so als wäre das, was in seinen Kreisen gerne Berufung genannt wird, nur ein Job, aus dem man sich aus raushalten kann. Immerhin hat er die Anzeige ja auch als Bischof – mit dem Zeichen des bischöflichen Segens versehen – unterschrieben (er hat also sehr wohl die Autorität seines Amtes mit eingebracht und kann sich eigentlich – aufgrund des Anspruchs, mit dem diese Autorität sonst verknüpft wird – nicht auf eine Privatmeinung zurückziehen; diese Autorität hat er verspielt; und macht er das mit seinem Rechtfertigungsversuch nicht nur noch schlimmer?).
    – Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Aber muß sich die Kirche unbedingt in den sich hier eröffnenden Abgrund mit hineinstürzen?
    – Die Kirche steht in der prophetischen Tradition des Votums für die Armen und die Fremden. Und ich hätte es mir gewünscht, daß der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz mit ähnlichem Aufwand und mit ähnlicher Deutlichkeit sich beispielsweise in der Frage der Kürzung der Sozialhilfe (über die Hintergründe könnte er sich allerdings bei keinem Industrieverband, nur bei der eigenen Caritas informieren) und in der Frage der ausländerfeindlichen Pogrome in diesem Land zu Wort gemeldet hätte. Auf keinen Fall aber scheint es mir Aufgabe der Kirche zu sein, Feigenblätter zu produzieren.
    – Hat die Rehabilitierung Galileis (und gleichzeitig der Inquisition) durch den Papst eine Schleuse geöffnet: Wird das Lehramt in Richtung Industrie und Wissenschaft verlagert?
    – Was diese Anzeige demonstriert: Allen Lesern wird Wirtschaftsmacht als Autorität, die sogar der Bischof absegnet, vorgeführt. Wie in anderen Werbungen auch wird an irrationale Ängste appeliert (Krebs und Aids), an nationalistische Emotionen (Deutschland muß erstklassig bleiben), und es wird suggeriert: Laßt uns nur machen, wir wollen nur euer Bestes und arbeiten nur am Fortschritt, der auch euch zugute kommt, aber haltet euch da raus.
    – Karl Lehmann ergreift die Partei der gleichen Welt, von der es heißt, daß sie „euch haßt“; es ist ein Akt der Identifikation mit dem Aggressor (zu dessen Folge u.a. die brutalen und mörderischen Aktionen der Rechten gehören).
    Die theologische Tradition seit den Kirchenvätern und das Dogma bilden das Kreuz, an das die christliche Lehre geschlagen wurde, nachdem die Kirche sich weigerte, es auf sich zu nehmen.
    Wie paßt eigentlich das „sein Kreuz auf sich Nehmen“ des Nachfolgegebots zur Kreuzigung: Gewinnt es nicht erst dann Sinn, wenn es auf die Schuld an der Kreuzigung und nicht auf die Kreuzigung selbst bezogen wird?
    Die Kirche war das Instrument der Vergesellschaftung der Philosophie und des Herrendenkens.
    Die Vergöttlichung Jesu bezieht sich auf die Göttlichkeit, die wir ihm qua Bekenntnis zusprechen, mit dem wahnsinnigen Glauben, daß seine Göttlichkeit davon abhinge (was sie nur tut, wenn sie als Göttlichkeit für andere: als ein Instrument in unserer Hand, verstanden wird). Die andere Seite dieser Vergöttlichung ist der Exkulpationsmechanismus, den sie begründet: die Rechtfertigungslehre.
    Die Theologie hat die Lehre nicht auf den Kopf gestellt, sondern sie hat sie umgestülpt, so wie man einen rechten Handschuh umstülpen kann, und es wird ein linker daraus. Dieser Mechanismus, der in der Theologie (genau: in der Opfertheologie, in der Objektivation und Instrumentalisierung des Kreuzestodes) begonnen wurde, ist im Konstrukt des Inertialsystems zu sich selbst gekommen, in der Vergegenständlichung des Konstrukts der subjektiven Formen der Anschauung. Das Inertialsystem ist der umgestülpte Handschuh. Und hierauf beziehen sich die Bilder von den sieben unreinen Geistern und von den sieben Siegeln der Apokalypse. Hier haben wir uns im System unserer eigenen Projektionen verstrickt. Und beim Umstülpen kommt es darauf an, die Stelle zu finden, an der man in den Handschuh hineinkommt; diese Stelle hat Einstein entdeckt: im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Vor diesem Hintergrund gewinnen die mittelaufwendigsten Forschungsbereiche, wie Atomphysik, Gentechnologie und Weltraumforschung, ihre apokalyptische Dimension. Hier wird man wieder lernen müssen, Rechts und Links zu unterscheiden.
    – Hat das Bild des Handschuhs etwas damit zu tun, daß Jesus zur Rechten des Vaters sitzt (und wurde er – das jedenfalls scheint der kirchlichen Tradition genauer zu entsprechen -durchs „Umstülpen“ nach links versetzt: von der Seite der Barmherzigkeit auf die Seite des Gerichts – so wurde aus dem Jüngsten Gericht das Weltgericht)?
    – Aber die Hand hat nur fünf Finger; woher kommen die sieben unreinen Geister? (Hinweis: In den astrologischen Planetenlehren gehören zu den sieben Planeten auch Sonne und Mond.)
    – Haben die paulinischen Archonten etwas mit diesem „Umstülpen“ zu tun, und auch das Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet? Aber Paulus war nur bis in den dritten Himmel entrückt.
    – Im Krieg Josues mit Amalek hielten Aaron und Hur die Arme des Moses, und solange sie hochgehalten wurden, siegte Josue über Amalek.
    – Nach Ex 22 entsteht keine Blutschuld, wenn ein Dieb beim Einbruch erschlagen wird, ausgenommen: die Sonne ist bereits aufgegangen. Nach 1 Thess 52 kommt der Tag des Herrn „wie ein Dieb in der Nacht“ (vgl. auch Off 33, Mt 2442f, Mk 1333, 2 Pt 310: „Dann wird der Himmel prasselnd vergehen, die Elemente werden verbrannt und aufgelöst, die Erde und alles, was auf ihr ist, werden nicht mehr gefunden.“).
    – Im Islam gehört es zur Scharia, daß dem Dieb die Hand abgehackt wird.
    Ist nicht die Düsseldorfer Entscheidung in Sachen Dellwo u.a. ein erneuter Beleg dafür, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, und daß objektive und exakte Phantasie: die Kraft sich vorzustellen, welche Folgen die eigenen Entscheidungen haben werden, nicht zu den Karrierevoraussetzungen unserer Richter gehören. Ihre Entscheidungen (und ihre Urteile) gehen auch in dem Sinne im Namen des Volkes, daß sie vor keiner Reflexion standzuhalten brauchen.

  • 10.10.90

    In seiner Predigt vor der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz in Fulda vermißte Karl Lehmann die „dankbare Freude“, statt dessen werde „Trübsinn, Vergangenheitsbeschwörung und gottferne Skepsis gepflegt“ (FR vom 26.09.90). Karl Lehmann auf J. Ebachs Interpretation der Geschichte von Lots Weib hinweisen? Der Begriff „Vergangenheitsbeschwörung“ zusammen mit dem Hinweis auf „Trübsinn“ und „gottesferne Skepsis“ macht die Verwirrung, die den deutschen Katholizismus heute beherrscht, (den Verdrängungsprozeß und die Verblendung, unter denen die Kirche heute leidet) mit einem Schlage sichtbar.

    Die Verwendung des Begriffs „Vergangenheitsbeschwörung“ läßt sich nur durch einen vollständigen Mangel an Gottesfurcht erklären.

    Die Todesstrafe wurde abgeschafft, als die Menschen nicht mehr an die Hölle glaubten. Dafür wurde dann die lebenslängliche Haftstrafe eingeführt und entsprechend ausgestaltet. Die Abschaffung der Todesstrafe war außerdem überdeterminiert, da nach Auschwitz zu viele das Risiko zu fürchten hatten.

    Das Gefängnis ist heute der Ort, an dem Menschen zu qualitätsloser Materie fertiggemacht werden. Es mußte einfach in der Industriegesellschaft einen Ort geben, der noch schlimmer war als die Fabrik. Das wirft ein Licht auf die Argumente der allgemeinen Niedertracht: „Denen geht’s ja viel zu gut“.

    Zu dem Prinzip „man darf alles tun, sich nur nicht erwischen lassen“: Das Prinzip ist erweiterungsfähig: Jede Gemeinheit ist zulässig, solange sie nicht ausdrücklich rechtlich untersagt ist; und Gemeinheit ist nicht justiziabel. Nach diesem Prinzip verfährt heute ein nicht unerheblicher Teil sowohl der Medien (von BILD bis FAZ) als auch unserer Justiz (von den Ermittlungsbehörden über unsere Gerichte bis zu den Aufsichtsorganen in den Strafanstalten).

    Das Gewaltmonopol des Staates drückt sich mittlerweile in den Folgen der Komplizenschaft einer Gemeinheit aus, die bewirkt, daß fast alles erlaubt ist, weil nichts mehr nachweisbar ist. Darin überlebt auf eine perfektionierte und gewitzte Weise Auschwitz.

    Im übrigen wurde Auschwitz vorbereitet in den kirchlichen Höllenpredigten (der Schule der Gemeinheit).

    Zum Problem des Selbstmitleids: Nach Walter Benjamin ist der Kleinbürger Teufel und arme Seele zugleich, arme Seele für sich und Teufel für die andern. Heute gibt es hierzu keine Ausnahme mehr, heute sind alle Kleinbürger. Genau darin liegt die ungeheure Gefahr und die Gewalt des Selbstmitleids. Vgl. hierzu Edgar Morins Antwort auf die Frage, warum die Menschen im Kino weinen.

    Im Übrigen ließe sich die Hölle sehr gut als Kino vorstellen, nur daß in der Hölle die Verdrängung entfällt, das reale Bewußtsein der Situation hinzukommt. Diese Situation ist heute durch das Fernsehen individualisiert und privatisiert worden.

    Naturkonstanten wie z.B. Masse und Ladung des Elektrons verweisen allesamt auf strukturelle Gegebenheiten, nicht auf Dingeigenschaften. Wer das verwechselt, ist potentieller Antisemit.

    Mir scheint, in der Auseinandersetzung mit der Postmoderne in Frankreich wird die mißlungene Auseinandersetzung mit dem Positivismus wie unter einem Wiederholungszwang nochmals mißlingend wiederholt. Die Leute wollen sich einfach die „Dinge“ nicht aus dem Kopf und aus der Hand schlagen lassen, weil sie fürchten, dabei sich selbst zu verlieren.

    Wären Menschen, die vor zweieinhalb Tausend Jahren Propheten wurden, heute vielleicht schizophren? Und säße Ezechiel heute in der Anstalt eines Landeswohlfahrtsverbandes?

    Zum Problem „Insektenforscher“: Der Begriff erweckt den Eindruck, als sollten Probleme der Kirche und der Hierarchie ohne Emotionen untersucht werden. Das ist nicht ganz korrekt: Affekte sind sehr wohl angemessen und notwendig; ich würde sagen: wenn es sein muß mit Zorn, aber ohne Empörung (beide unterscheiden sich durch ihre Richtung: der Zorn geht zur Sache, die Empörung gegen Personen).

    Zum Bruch zwischen der Vätertheologie und der Scholastik: Vätertheologie und Dogmenentwicklung als Anpassung der Theologie an die Welt, als der Versuch, sich als Kirche in der Welt einzurichten; war möglich, weil ihm ein philosophischer Weltbegriff (Begriff des Kosmos) entgegenkam. Dieser Weltbegriff, den Spengler mit dem Begriff der arabischen Kultur zu fassen versucht hat, mußte untergehen, ehe die dann weitergehenden Konsequenzen daraus gezogen werden konnten. Theologie mußte mit einem neuen Weltbegriff verbunden werden, der aus der Theologie zu entwickeln war: Das ist die Leistung der wissenschaftlichen Diskussion seit den Anfängen der Scholastik (Entwicklung des instrumentalisierten Begriffs).

    Theologie als Geschichte der Auseinandersetzung mit der Philosophie (mit dem Herrendenken, dem die Theologie mit der Rezeption der Philosophie dann selbst verfallen ist).

    Karl Thieme hat einmal die Geschichte des Schiffsbruchs vor Malta eschatologisch interpretiert: als Typos der Rettung der Völkerwelt (mit Ausnahme des einen Volkes, dessen Rettung nicht Sache der Kirche ist) bei gleichzeitigem Untergang des Schiffes (der Kirche). Er hat einen Punkt dabei übersehen: das Schiff ist infolge eines Sturms untergegangen (durch den Geist). – Vgl. auch die Geschichte mit der Natter (Paulus wird von der Natter gebissen, stirbt aber nicht, sondern überlebt, nachdem er sie ins Feuer geworfen hat: verniedlichter Höllensturz des Drachen).

    Heidegger war der Sache ganz nahe: Sein „Gestell“ ist in Wirklichkeit das Gericht.

    Die „Summa contra gentiles“ war der Weg, über den der Islam in das Christentum eingedrungen ist. Nach der Hellenisierung und Islamisierung wäre heute die Judaisierung des Christentums an der Reihe.

    Drückt in der kirchlichen Kampagne gegen die Abtreibung vielleicht doch ein Stück Projektion sich aus. Wird hier nicht etwas angegriffen, dessen man sich selbst schuldig fühlt: der Abtreibung der Wahrheit (durch deren Instrumentalisierung im Interesse des Herrendenkens).

    Eine Philosophie des Namens müßte die ganze Spannbreite des Sprachgebrauchs abdecken: vom „das ist in unserem Namen geschehen“ bis zum „die Dinge beim Namen nennen“.

    – Im Bereich des Namens gibt es keine Subsumtionsbeziehungen.

    – Im Namen ist die Trennung von Begriff und Objekt aufgehoben.

    – Das Sein ist der Annihilationspunkt des Namens, der Punkt, an dem der Name in den Begriff umschlägt, die Subsumtionslogik, das Herrendenken beginnt (Quellpunkt des Begriffs).

    – Rührt das emphatische, das gleichsam theologische Verständnis der Ontologie her vom ontologischen Gottesbeweis?

    – Nicht das Eine oder die Einheit, sondern der Eine ist ein Gottesname.

    Adams Namengebung der Tiere verweist auf den Zusammenhang von Benennung, gegenständlicher Erkenntnis, die „katastrophische“ Genesis der Tiere (DdA) und den Zusammenhang mit den apokalyptischen Tieren (den singulären Chaosmächten: den falschen Umschlag des „Begriffs“ als absoluter Begriff in den Namen). – Hiob nochmal lesen: Behemoth und Leviathan; welche Bedeutung der Hinweis auf diese Tiere an dieser Stelle hat: Begründung der Gottesfurcht? – Zusammenhang mit der Erschaffung Evas (Namengebung der Tiere vorher), der Geschlechtertrennung und dem Auftrag zur Naturbeherrschung, sowie mit dem Baum der Erkenntnis (Erkenntnis des Guten und Bösen).

    Merkwürdige grammatische Beziehung: Die Erhebung in die Allgemeinheit verwandelt ein Maskulinum in ein Femininum. Jede -heit und -keit ist feminin, jeder -ismus ist maskulin. Oder auch: der Logos, aber die Ontologie, Theologie, Geologie etc. – Gattung und Art sind feminin (im Deutschen, aber genus und species?), das Individuum ist neutrum.

    Die Raumkontraktion und die Zeitdilatation beschreiben genau den Punkt, an dem die die sinnliche Welt in die physikalische umkippt: die Grenze zum Objekt. Man muß den prozessualen Vorgang nur rückwärts lesen.

    Das Ätherproblem ist mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gelöst worden: Es ist das Problem der inneren Grenze des Inertialsystems.

    Die Tatsachenwelt ist in der Tat eine: Die Welt ist ein Produkt des Tuns; in der Konstruktion der Welt steckt das Tun der Menschen, der Gesellschaft: der Staat. Durch dieses Tun sind die Menschen, ist die Gesellschaft mit in den Schuldzusammenhang verflochten. Und auf dieses Tun müßte sich heute die Gewissenserforschung richten, deren Resultat eine neu begründete Theologie wäre. Der Inbegriff dieses Gewissens ist die jüdisch-christliche Tradition, die der Antisemitismus (im Auftrag der Welt) aus der Welt schaffen wollte. Wenn die Beichte heute den wirklichen Problemen in Deutschland (nach Auschwitz) überhaupt nicht mehr angemessen ist, dann hängt das damit zusammen. Der eigentliche Gegenstand der Beichte wäre das Erbe der Philosophie.

    Ist der (kultische) Opferbegriff dem Kreuzestod Jesu angemessen? Wo und von wem wurde zum erstenmal der Opferbegriff hierauf angewandt? Und wie war hier der Opferbegriff gemeint, real oder symbolisch (als Teil der Aufhebung des Opfers)?

    Was bedeutet die „Erhöhung des Herrn“, und zusammen damit das „Sitzen zur Rechten Gottes“: Die Rechte ist die Seite der Gnade, des Erbarmens (aber von hinten ist sie die Linke, die Seite der Strenge, des Gerichts – Bedeutung der Umkehr!). Wie verhält es sich mit dem Wort: „…, der ißt und trinkt sich das Gericht“? Hat nicht die Mysterientheologie durch den Zusammenhang, in den sie die sakramentale, mystische Teilhabe der Gläubigen an der Erhöhung des Herrn rückt, diese Erhöhung zur Hypostase des Gerichts gemacht?

    „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Dieses Wort Jesu verweist darauf, daß die Wahrheit nicht nur gegenständlich ist, sondern auch subjekthaft (wer das Subjekt in der Wahrheit durchstreicht, streicht die Wahrheit durch.)

    Vielleicht stimmt es, daß die Beziehung der Juden zu Gott unmittelbar ist (F. Rosenzweig), die der Christen ist es nicht. Hier bedarf es – auch im Sinne der Mysterientheologie – des Durchgangs durch den Tod. Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ hält davon die letzte und allerabstrakteste Erinnerung fest, oder auch die letzte Erinnerung des islamischen Verständnisses des Martyriums als Tod im Heiligen Krieg. Auch bei Heidegger ist ja das „Vorlaufen in den Tod“ Teil des heroischen Gestus seiner Philosophie. (Anzumerken ist: Der Islam hat den Heiligen Krieg gepredigt, das Abendland hat ihn – zuletzt im sogenannten „Weltanschauungskrieg“, der ein Vernichtungskrieg war – aufs fürchterlichste praktiziert.)

    Der Zusanmmenhang von Objektivation und Instrumentalisierung (Vorhandenheit und Zuhandenheit bei Heidegger) verweist auf einen absoluten Vorrang des dreidimensionalen Raumes.

    Hegels Offenbarungsbegriff bezieht sich auf die Konstantinische Wende (das Ergebnis des Dogmatisierungsprozesses: das Christentum als Staatsreligion), nicht auf das Leben und die Taten und Leiden Jesu. Nicht zuletzt deshalb erscheinen auch bei Hegel die antijüdischen Vorurteile, die zu den Voraussetzungen und Folgen der Konstantinischen Wende gehören.

    Die Wirkung des Bekenntnissyndroms auf den Bekenntnisinhalt kann man daran erkennen, daß das Symbolum das Leben und die Lehre Jesu nicht erwähnt. Jesus ist nur geboren, gestorben und auferstanden; was dazwischen liegt, wird verschwiegen und ist auch im Rahmen des Bekenntnisses wohl nicht faßbar. Die Hegelsche Philosophie hingegen bezieht ihre ganze Stringenz aus diesem Bekenntnissystem; das Bekenntnis ist sozusagen die nicht mehr reflektierte Grundlage der Hegelschen Philosophie. Und die Bekenntnis-Theologie ist zum Inbegriff eines verworfenen, hoffnungslosen Glaubens geworden.

    Zu Dezisionismus und Bekenntnis: Die Ontologie ist nicht nur dezisionistisch, sondern auch Bekenntnis-Ontologie. Durch das Bekenntnis ist mit der Philosophie das dezisionistische Moment in die Theologie hereingekommen, und das war die Grundlage der Trinitätslehre und der Lehre von der Göttlichkeit Jesu im Sinne einer (nicht ewigen, sondern) überzeitlichen Göttlichkeit. Dieser Dezisionismus oder das Bekenntnis haben die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen ermöglicht. (Zum Begriff des Ewigen vgl. auch Rosenzweigs Aufsatz.) Überzeitlich ist der Staat (der Begriff), ewig ist der Gegenstand der Theologie (der Name).

    Wer sich mit dem Staat befaßt, wird den Staatsanwalt nicht vermeiden können.

    Jede Architektur ist ontologische und Bekenntnisarchitektur.

    Die Terroristen sind der Nachfolge Christi näher als die elitären Mysterientheologen.

    Zum Eckstein, den die Bauleute verworfen haben: Heute geht es nicht mehr nur um den Eckstein; sondern die Materialien, aus denen die Theologie zu erbauen wäre, bestehen nur noch aus den verworfenen Materialien, aus Ruinen. Zuerst ist die Betondecke zu zertrümmern, die die Ruinen der Geschichte zudeckt.

    Zu den Ursprungsbedingungen des pathologisch guten Gewissens gehören auch die historischen Verdrängungsprozesse, insbesondere jene die mit der Ursprungsgeschichte der modernen Aufklärung, vor allem der modernen Naturwissenschaften zusammenhängen. Erst wenn es gelingt, die Tathandlung, die die Naturwissenschaften ins Leben gerufen hat, und deren Folgen in der Welt selbst zu begreifen, erst dann gelingt es auch, jene Verdrängungsblockade aufzuheben.

    Modell für die Neutralisierung durch Erkenntnis ist das „pecunia non olet“. Deshalb wird man nicht umhin können, in der Vergangenheit „herumzuschnüffeln“.

    Es gibt zwei Formen der Entstehung von Vergangenheit. Die eine ist die historische: Mit jedem Tag vermehrt sich die Vergangenheit (die dann hinter uns liegt). Die zweite ist die natürliche (die auf uns lastet): sie ist gegenläufig zur historischen.

    Gefühl des Schwindels, wenn der Boden des Herrendenkens unter den Füßen weggezogen wird (Adorno): Die Kritik des Dings trifft auch das Subjekt zentral (in seinem blinden Fleck).

    Die Wahrheit ist antisystematisch, systemkritisch. Wenn sie trotzdem selbst systematische Züge trägt, rührt das her aus der Kritik des Herrschaftssystems, dessen Strukturen sich verkehrt in der Wahrheit abbilden. Darin liegt die unermeßliche Bedeutung der Hegelschen Philosophie.

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