Jede Wunde ist eine Widerlegung der Geometrie.
Das Absterben des Staates, der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern, ist konkret das Absterben des Nationalstaates. Das aber verweist auf einen Vorgang, der identisch ist mit einem Prozeß im Kern der Erkenntnis, der Vernunft, des Wissens. Der Fokus, in dem das Bewußtsein und die Wirklichkeit auf einander sich beziehen, ist der Staat, der nur als Nationalstaat sich begreifen läßt, und auf den Hegels Wort von der Natur, die den Begriff nicht halten kann, sich beziehen läßt, wenn es nicht überhaupt hier seinen Ursprung hat. Die anorganische Natur, auf die der Staat als organische Lebensform, als Organismus, sich bezieht, ist die Ökonomie.
Das Absterben des Staates ist der Grund des Absterbens der Vernunft. So hängt die Fundamentalontologie mit dem Faschismus zusammen.
Der biblische Schöpfungsbericht läßt auch als Ursprungsgeschichte der der staatlich organisierten Objektivität sich begreifen (ist nicht die erste Natur durch die zweite vermittelt?). Zum dritten Schöpfungstag: Das Land (auch ein Synonym für den Staat), der feste Boden unter den Füßen, hängt mit dem Grund der Ökonomie, der Währungshoheit und dem Gewaltmonopol des Staates zusammen. Blut und Boden war nicht zufällig eine faschistische Parole. Das Land ist die Nation, das Meer der Inbegriff dessen, was draußen ist, des Fremden. Was bedeuten in diesem Kontext die biblischen Hinweise auf die „Inseln“ (im Kontext der Genealogie Japhets), und hängt hiermit das apokalyptische Wort, daß das Meer am Ende nicht mehr sein wird, zusammen?
Das „Gegebene“ und das „Es gibt“: Ist nicht der Gebende, das Subjekt des Gebens, der Staat: der Staat, der die Welt eigentumsfähig macht (vgl. die Beziehung von Sein und Meinen)?
Zur Kritik der Deutschlehrer-Frage „Was hat der Dichter damit gemeint?“: Die Objektivität der Wahrheit ist eine durch die Reflexion der Sprache vermittelte; deshalb ist sie niemals Gegenstand des Meinens.
Wenn die Ökonomie das Meer ist (vgl. Apk), hat dann das Recht etwas sowohl mit dem Sand am Meer als auch mit den Sternen des Himmels zu tun?
Während die Bäume die Erkenntnis repräsentieren, repräsentieren die Tiere die Stämme, Völker, Sprachen und Nationen.
Was passiert in einer Welt, in der die Nation ihre identitätskonstituierende Kraft verliert (vgl. Bosnien)?
Herrschaftskritik und Fähigkeit zur Schuldreflexion gehören zusammen; ihre Trennung begründet das Schuldverschubsystem, den (nationalen ebenso wie den individuellen) Egozentrismuis. Nur in diesem Kontext läßt der Verblendungszusammenhang, der im Rechtfertigungszwang gründet, sich auflösen.
Das Bekenntnis ist die durch den Rechtfertigungszwang vermittelter (und entstellte) Gestalt der Wahrheit.
Turmbau zu Babel: Die Sprachen wurden verwirrt, als die Nation als Exkulpationsagentur sich konstituierte. Diese Exkulpationsagentur (und ihre Logik, die Bekenntnislogik) trägt patriarchale (phallische) Züge; ihr Bild ist der Turm.
Rohe Natur: Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, heißt u.a., daß sie im Kontext des Begriffs als verurteilte erscheint, daß sie ähnlich wie der Verbrecher, der in den Knast gesteckt wird, aus der Herrschaftsordnung des Begriffs herausfällt, zum reinen Objekt der Gewalt wird.
Die Empfindlichkeit, mit der Politiker heute auf den Satz „Soldaten sind Mörder“ (oder auch, was damit zusammenhängt, auf das Kruzifix-Urteil des BVG) reagieren, rührt daher, daß nicht die „Ehre der Soldaten“ angegriffen wird, sondern der Staat als die das Tun der Soldaten (oder auch der Staatsanwälte, der Richter) exkulpierende Macht. Der Staat ist eine Mordmaschine.
Geld macht sinnlich: Diese Sinnlichkeit ist das den Organismus des Staates belebende und dirigierende Prinzip. Dem Bilde der „rohen Natur“ liegt die Logik des Geldes zugrunde.
Die Konstellation „Völker, Stämme, Sprachen und Nationen“ taucht in der Johannes-Apokalypse auf; sie zitiert eine Stelle aus den toledot, den Genealogien Japhets, Hams und Sems (Gen 10). Im Falle Japhets, mit dem Hinweis auf die „Inseln“, in abweichender Reihenfolge. Bei Daniel (und an einigen Stellen in der Apk) fehlen die Stämme? Wie sieht das bei den Apokryphen aus?
Das Gelächter Pharaos: Der ungeheuerliche, blasphemische Zynismus des antisemitischen Liedverses „die Wellen schlagen zu, die Welt hat Ruh“. Hier wird der Exodus widerrufen; den Beweis des Widerrufs hat Auschwitz geführt.
„Der Mensch“ (der Jude, der Asylant, der Ausländer): Der Kollektivsingular ist ein Produkt des Schuldverschubsystems. Indem es die Gattung schuldig spricht, sie in Kollektivhaft nimmt, meint sie den Inbegriff des Andersseins, der alle anderen mit einschließt, den Sprechenden aber ausnimmt; die gleiche Logik liegt dem Massenbegriff zugrunde.
Das Geld als Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft und sein genetischer Zusammenhang mit dem Phänomen der Schuldknechtschaft.
Das Gefühl, daß die Theologie mit den Naturwissenschaften nicht koexistieren kann, findet eine Bestätigung in dem „tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam“, das mit der Verheißung verknüpft ist: „und die Pforten der Unterwelt werden sie (sc. die ecclesia) nicht überwältigen“ (Mt 1618). Die Unterwelt, das Totenreich, das wäre die vollendete Vergangenheit, der Grund einer Gegenwart, die als Präsens auf der Grundlage der verdrängten Vergangenheit sich konstituiert. In den Naturwissenschaften nimmt der Prozeß dieser Verdrängung (die Hegelsche Arbeit des Begriffs) den Schein einer bestehenden Welt an. Dieser Schein ist das Produkt einer unvermeidbaren kollektiven Verdrängung, deren Agent in den Subjekten die Bekenntnislogik ist (und erst daraus abgeleitet die subjektiven Formen der Anschauung, mit der Form des Raumes im Kern: die Bekenntnislogik geht der Ausbildung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung voraus, sie bleibt in ihnen erhalten, wird durch sie automatisiert und ist in ihnen bewußtlos wirksam und tätig). Die Konstituierung des Inertialsystems, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich vergegenständlichen, ist der Versuch, die Pforten der Unterwelt zu schließen.
„Was bedeutet dieses Leid der Unschuldigen? Zeugt es nicht von einer Welt ohne Gott, von einer Erde, auf der allein der Mensch das Gute und das Böse mißt? Die einfachste Reaktion wäre, auf Atheismus zu erkennen. … Doch mit welch borniertem Dämon, welch merkwürdigem Zauberer habt ihr denn euren Himmel bevölkert, ihr, die ihr ihn heute für verödet erklärt? Und weshalb sucht ihr unter einem leeren Himmel noch eine vernünftige und gute Welt?“ (Levinas: Die Thora mehr lieben als Gott, in Schwierige Freiheit, S. 110)
Levinas
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19.12.95
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16.12.95
Pilatus als Kirchenvater: Hat er nicht mit der Freigabe des Barabas die kirchliche Trinitätslehre begründet? Der Name Barabas bezeichnet die vergegenständlichte Selbsterfahrung Jesu, rückt diese in den Bannkreis des Herrendenkens. Als Jesus mit einer Gegenfrage sich weigerte, die Vollmacht, mit der er spricht, vor den Pharisäern und Schriftgelehrten zu benennen, hat er diese Vollmacht gegen ihre Vergegenständlichung verteidigt. Die Nicht-Antwort war die schärfste Kritik der Theologie. Diese Nicht-Antwort präludiert sein Schweigen vor dem Hohen Rat und dann vor Pilatus. Ist nicht die Theologie heute die Produktion dieses Schweigens? Vertritt nicht die Theologie die Pharisäer und Schriftgelehrten, den Hohen Rat und Pilatus gegen ihr eigenes Objekt, das sie zum Schweigen verurteilt (weil sein Wort ihr Angst macht)? Deshalb ist es zu einer der Hauptaufgaben der Theologie geworden zu beweisen, daß die Schrift das, was sie sagt, nicht so meint.
Ist nicht die Geschichte vom Steuergroschen eine Belegstelle für das Wort vom Greuel am heiligen Ort?
Theologie-Kritik: Die apologetische Suche nach einer Legitimation der Theologie beweist nur, daß niemand an die der Theologie immanente, sie überhaupt erst begründende Kraft der Selbstlegitimation mehr glaubt.
Begründung des Rechts: In den Verbrechern erkennt die staatlich organisierte Gesellschaft das projektive Bild ihres eigenen Tuns; das Rechtsurteil und die Strafe sollen die eigene Schuld und das Erschrecken davor durch projektive Bearbeitung aufheben.
Vgl. Hegels Satz „Das Wahre ist der bacchantische Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“ mit Spinozas Definition der Wahrheit: Verum est index sui et falsi. Liegt die Differenz zwischen den beiden Sätzen nicht im Problem der Beweislogik? Die Spinoza Wahrheit liegt in der Einsicht, sie unterliegt nicht der Beweislogik, während das Wahre Hegels das Wahre für andere ist, das bewiesen werden muß: die durch die Beweislogik vermittelte Wahrheit. Ist die Differenz nicht ein Beleg für das, was Levinas einmal die Asymmetrie zwischen Ich und Du (zwischen mir und dem Andern) genannt hat? Ist nicht Spinozas Definition eine theologische, Hegels Definition hingegen eine juristische?
Wenn der Apokalypse zufolge das Meer am Ende nicht mehr sein wird, muß man da nicht das Werk des dritten Schöpfungstags zur Erklärung mit hinzuziehen? „Und Gott sprach: Das Wasser unter dem Himmel sammle sich an einen Ort, daß das Trockene sichtbar werde! Und es geschah also. Und Gott nannte das Trockene Land, und die Ansammlung der Wasser nannte er Meer. …“ (Gen 19f). Hinweis: In Texten der Kabbala wird die Stelle, an der es heißt: … sammle sich an einen Ort, übersetzt: sammle sich am Ort der Eins. Bezieht sich das Nicht-mehr-Sein des Meeres auf das Ende des Identitätsbegriffs, auf einen Zustand, in dem es der Identität nicht mehr bedarf? – Vgl. auch die kabbalistische Unterscheidung im Namen des Himmels (schamajim), in dem die Namen von Wasser und Feuer enthalten sind, und das „Alles ist Wasser“ des Thales, mit dem die Philosophie, die Herrschaft des Identitätsbegriffs, beginnt, sowie das Jesus-Wort: „Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“. -
14.12.95
Vollendung der Mechanik: Wenn das Bestehende zum Betonklotz wird, dann müssen seine Kritiker aufpassen, daß sie nicht zu Betonköpfen werden.
Zum Begriff der Religion: Nicht mehr Kitt, sondern Zement; nicht die Fensterscheibe, die die Innen- von der Außenwelt oder den Käufer vom Warenangebot trennt, sondern die Betonwand, an der man sich den Kopf einrennt. Im Bildschirm des Fernsehers maskiert sich diese Betonwand als Fenster. Das Fernsehen hat die Wohnungen zu Monaden gemacht: sie sind fensterlos (seitdem vertragen die real existierenden Fenster keine Gardinen mehr). Das Fernsehen transportiert nicht das Warenangebot ins Wohnzimmer, sondern das Wohnzimmer ins Innere der Ware (das sich beim Erwachen aus dem Alptraum der Logik des Tauschprinzips als das Innere der Hölle erweisen wird).
Faschismus als Modernisierungsschub: War Hitler der Vorläufer, das Modell und die Keimzelle des Fernsehens? Läßt diese Frage in eine der Kritik der politischen Ökonomie sich übersetzen (Selbstzerstörung der politisch-moralischen Kategorie der Souveränität)?
Das Wort, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels (wieder-)kommen wird, enthält einen Hinweis auf einen Prozeß im Begriff und in der Struktur der Öffentlichkeit, auf den wirklichen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“.
In der Unterscheidung von Macht und Herrschaft spiegelt sich die von Wut und Zorn. Zur Bestimmung der Begriffe Herrschaft, Macht und Gewalt vergleiche die Bemerkungen von Emmanuel Levinas zum Begriff der Gewalt (Schwierige Freiheit, S. 19, 25). Sind nicht Gewalt und Macht Manifestationen der Herrschaft, reflektiert im Medium der Gemeinheit (der Urteilsform), und verhalten sich Gewalt und Macht wie Natur und Welt (wie Objekt und Begriff)? Deshalb ist die Frage der Gewalt eine essentielle Frage der Linken, die der Welt ihre Naturseite (der Weltgeschichte die Naturgeschichte) vorhält, während die Machtfrage das Erkennungszeichen, an dem die Rechten sich erkennen, ist (Gewalt ist eine Form der Herrschaft, die den Begriff nicht halten kann).
Gewalt ist ein Akt der Befreiung, nur die Nazis haben „die Macht ergriffen“.
Unterm Rechtfertigungszwang schnurrt die Wahrheit zusammen zur Ideologie, zum puren Bekenntnis, entfaltet sich in ihr die Bekenntnislogik, zu deren Elementen das Feindbild, die Eliminierung der Häretiker und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehören.
Wenn ein Mord sich verständlich machen, niemals aber sich begründen läßt, dann einzig unter dem Aspekt der Notwehr, aber nicht mit dieser unsäglichen Begründung, daß Geiselnahme immer auch die Möglichkeit des Tötens mit einschließt (gleichsam eine Situation, in der Notwehr sich nicht ausschließen läßt), oder dem Hinweis auf „absolut negative Menschen“, die nicht sich ersetzen lassen. Diese Logik ist antisemitisch (der Holocaust wurde als ein präventiver Akt der Notwehr verstanden, die jüdische Rasse als eine Gruppe absolut negativer Menschen).
Der Versuch, einen Mord zu rechtfertigen, gerät zwangsläufig zur Begründung, zur Festlegung einer Norm, die dann auch auf andere Fälle sich anwenden läßt. Da aber sei Gott vor.
Läßt sich nicht die Hegelsche Dialektik von Herr und Knecht auf die Nachkriegsgeschichte anwenden, in der die Verlierernationen (Deutschland und Japan) am Ende über die ehemaligen Siegermächte triumphieren?
Sind nicht die Streiks in Frankreich eine Folge der Übertragung der deutschen Wirtschafts- und Währungspolitik (Standort Deutschland und Stabilität der DM) auf die EU? Und ist nicht die Konstruktion der EU, die nur eine neue, demokratisch weder legitimierte noch kontrollierte Verwaltungsebene geschaffen hat, ein Hinweis auf die politisch-ökonomischen Gesteinsverschiebungen, die der Faschismus ausgelöst hat: der Sieg der Ökonomie über die Politik, die Rückverwandlung von Politik in Verwaltung? Ein Subjekt dieses Vorgangs ist nicht mehr erkennbar, der rechtspolitische Begriff der Souveränität (das Bewußtsein der Verantwortung des Staates für die Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens, das ersetzt worden ist durch den gegen jede Kontrolle abgeschirmten Gebrauch des staatlichen Gewaltmonopols) ist endgültig gegenstandslos geworden. Wozu der Staat allein noch gebraucht wird, ist ideologischer Natur: er ist zur Exkulpationsmaschine geworden, der die Gewalt, die er nicht mehr beherrschen kann, wenigstens rechtfertigen soll.
Hat nicht Heinrich Böll mit seinem Wort vom verfaulenden, verrotteten Staat ein Stichwort geliefert, das in der Lage wäre, das Marxsche Konzept vom Absterben des Staates zu spezifizieren: Der Staat ist abgestorben, aber ohne daß etwas anderes an seine Stelle getreten wäre, und wir wohnen im Augenblick dem Verwesungsprozeß bei, dem Prozeß der Verrottung und gleichzeitigen Vergiftung aller Lebensverhältnisse.
Der Staat hat in einer Reihe von Institutionen die Einrichtungen geschaffen, die dazu dienen, ihm die Last Souveränität, der Entscheidung und der Verantwortung dort, wo er sich unfähig weiß, sie zu tragen, abzunehmen (Verfassungsgericht, Bundesbank). Die wütende Reaktion auf einige Urteile des BVG, die dem Exkulpationsbedürfnis des Staates nicht entgegenkamen, ist nur so zu erklären. Der vorauseilende Gehorsam der Deutschen Bundesbank, ist da schon genehmer.
Der Kopf des Fisches: Der Verrottungsprozeß des Staates hatte eine Vorgeschichte, er war schon zu erkennen an seinen letzten höchsten Repräsentanten, am Kaiser Wilhelm und an Hitler.
Versucht nicht dieser Prozeß gegen Birgit Hogefeld die Verfahren gegen die raf auf eine neue Ebene zu schieben? Geht es jetzt nicht energisch an das Konzept der Konstruktion synthetischer Urteile apriori, der Einbeziehung des ganzen raf-Komplexes in ein reines Subsumtionsrecht, in dem es dann auch der Kronzeugen nicht mehr bedarf? Dazu gehört u.a. das Verfahren der Einführung bereits rechtskräftiger Urteile, die falsch sein mögen, die aber den Vorzug haben, daß sie einer nochmaligen Beweisführung nicht mehr bedürfen, somit gegen jede erneute Diskussion abgesichert sind. Hierher gehört insbesondere auch der Teil aus der Anklage gegen B.H., der auf ihre Beteiligung an dem „Mord“ und den „Mordversuchen“ in Bad Kleinen abstellt. Wird hier nicht eine Logik konstruiert, die dann als Subsumtionslogik auf alle weiteren raf-Verfahren, die noch anstehen mögen, anwendbar wäre, in jedem Falle aber die Wirkung einer Präventivabschreckung haben würde. Einer Präventivabschreckung, die u.U. dann auch auf den gesamten Bereich der herrschaftskritischen Reflexion und gegen jede Form der Staatskritik sich anwenden ließe (die Habermassche Konzeption des herrschaftsfreien Diskurses, könnte sich als ein Stück vorauseilenden Gehorsams erweisen), nach dem mittelalterlichen Rechtsgrundsatz: Mitgefangen, mitgehangen.
Hat nicht der Gesetzgeber dem schon vorgearbeitet, und tut er es nicht weiterhin? Nur: Niemand merkt’s mehr. Wenn’s hoch kommt, dann reicht’s nur zum folgenlosen Protest.
Der Frontbegriff und die Verräterdiskussion waren logische Fallen, in die alle Empörten hereingelaufen sind. Die Empörungslust war von Anfang an sexistisch.
Die Uniform hebt das Tötungsverbot auf, indem sie das Gesicht löscht. (Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verständnis des Hegelschen Begriffs der „Aufhebung“? Ist die Aufhebung der Transformator, der das Gebot in ein Gesetz verwandelt, gehört der Begriff der Aufhebung zu den Konstituentien der Bekenntnislogik? Ist das Dogma die aufgehobene Wahrheit?) -
26.11.95
Gegen Derrida: Der Benjaminsche Text bietet keinen realen Anlaß, im Begriff der „göttlichen Gewalt“ die Endlösung, den Holocaust, Auschwitz wiederzuerkennen. Diese Assoziation wird im Gegenteil durch eine genaue Lektüre des Textes definitiv ausgeschlossen. Was die Beziehung herstellt, ist ein Verfahren, zu dessen Kritik Levinas das durchschlagende Stichwort gegeben hat, als er bemerkte, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Die Kontamination der göttlichen mit der mythischen Gewalt, die der Derridaschen Assoziation die Basis liefert, ist das Werk Derridas, nicht Benjamins (in dessen Text er sein Verfahren dann hineinprojiziert), wenn er explizit theologische Texte Benjamins, die der Levinasschen Forderung genügen, zurückübersetzt in den Indikativ (das gleiche Verfahren gehört übrigens zur christlichen Begründung und Ausgestaltung des Dogmas, der Orthodoxie, und markiert deren Differenz zur Wahrheit).
Hilfreich zum Verständnis ist die Benjaminsche Unterscheidung von Ausdruck und Mitteilung. Wenn man sie auf die Derridasche Interpretation des Benjaminschen Textes anwendet, wird man schnell gewahr, daß mit der Übersetzung in den Indikativ das, was bei Benjamin sich ausdrückt, in eine Mitteilung umgeformt wird. Diese Umformung ist eine der Instrumentalisierung, die Rückübersetzung der Offenbarung in den Mythos (eine Übersetzung, die der Weltbegriff gleichsam automatisch leistet: der Weltbegriff ist der Inbegriff der transzendentalen Logik der Instrumentalisierung der Wahrheit und selber das Instrument der Zerstörung des Namens).
Wenn Derrida dem Benjaminschen Text hätte gerecht werden wollen, hätte er zumindest auf die zentrale Rolle des Satzes „Du sollst nicht töten“ in diesem Text eingehen müssen sowie darauf, daß die Idee der göttlichen Gewalt deren Instrumentalisierung schon im Ansatz ausschließt. „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, und die einzig legitime Konsequenz aus der Idee der göttlichen Gewalt wäre es gewesen, sie auf die Täter des Holocausts, in keinem Falle aber auf ihre Tat zu beziehen. Zu den letzten Manifestationen des katholischen Volksglaubens in Deutschland, bevor er endgültig ins Blasphemische sich aufgelöst hat, gehörte unmittelbar nach dem Krieg die Angst: Das wird sich einmal rächen.
Wenn Auschwitz eine theologische Bedeutung hat, dann die, daß es der Instrumentalisierung des Kreuzestodes Jesu, und damit der Opfertheologie, der Bekenntnislogik, dem Dogma und der verdinglichten Orthodoxie (der Konfundierung der Theologie mit dem Weltbegriff), endgültig den Boden entzogen hat.
Die Benjaminsche Unterscheidung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt rührt an den Grund der Unterscheidung von Natur und Welt, die als Totalitätsbegriffe im Erkenntnisprozeß genau diese Funktionen: die Bindung der Erkenntnis ans Urteil, abdecken. (Die Geschichte der Naturerkenntnis ist die ins Innere transformierte Fortsetzung der heroischen Gründungsgeschichte des Staates und der Zivilisation, und der Naturbegriff selber das Korrelat und die Stütze des Gewaltmonopols des Staates.)
Die Polizei ist das Paradigma des Hoheitlichen (der Repräsentation der staatlichen Gewalt). Sie gehört zur staatlichen Verwaltung wie das Militär zur Nationalökonomie. Stammt nicht der Name der Polizei aus den Anfängen der Verwaltungswissenschaft?
Rührt nicht Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts an den Grund des Prinzips, demzufolge Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist? Die Aufnahme der Gemeinheit in den Kanon strafrechtlicher Tatbestande hätte die Selbstauflösung des Rechts zur Folge. Genau hier wird deutlich, weshalb der Benjaminsche Begriff der göttlichen Gewalt niemals auf die Endlösung Anwendung finden kann. Auschwitz hat das Recht durch Reduktion auf ihren Gemeinheitskern (auf den Kern der rechtsbegründenden und -erhaltenden mythischen Gewalt) zerstört, der Begriff der göttlichen Gewalt hingegen zielt auf die Auflösung des Rechts durch Zerstörung seines Gemeinheitskerns. (Das Jüngste Gericht ist der Widerpart des Hegelschen Weltgerichts: das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.)
Aus dem gleichen Grunde wäre abzuleiten, daß der Antisemitismus niemals als Anwendungsfall des Rassismus oder des Vorurteils sich begreifen läßt, sondern nur als deren Wurzel.
Das Obszöne an den raf-Prozessen ist der offene Gebrauch, den Gericht und Bundesanwaltschaft vom Gewaltmonopol des Staates machen. In der Konsequenz dieses Verfahrens liegt es, daß die Angeklagte nur noch als Feind wahrgenommen wird. (Die Verteidung wird im Lichte des Grundsatzes wahrgenommen: Wer sich verteidigt, klagt sich an.) Hier gibts nicht nur keine „Waffengleichheit“ mehr, sondern hier geht die Vorverurteilung soweit, daß Verteidung und Besucher apriori zur Sympathisanten-Szene gezählt werden.
Gehören nicht die drei Formen des gewaltsamen Todes im Neuen Testament zusammen: die Enthauptung des Täufers, die Kreuzigung Jesu und die Steinigung des Stephanus?
Sind der Orion und die Plejaden die Repräsentanten des Tierkreises und der Planeten am Fixsternhimmel? Und auf wen bezieht sich das Binden, und auf wen das Lösen (vgl. Hiob 3831 und 99)?
Kinder haften für ihre Eltern: Der biblische Satz „Wenn dein Sohn dich fragt …“ bezieht sich auf die Weitergabe der Lehre vom Vater auf den Sohn, der 68er Satz „Wenn meine Kinder mich einmal fragen …“ dagegen auf den Rechtfertigungszwang, unter dem das Bewußtsein in Deutschland seit dem Ende des Faschismus steht. Dieser Satz gehört zu dem Schwarzen Loch, das der Faschismus erzeugt hat, das die Lehre nur noch in sich hereinsaugt und ihre Vernichtung befördert, aber nicht mehr ausstrahlt.
Holgers Waschsalon: Sind heute nicht alle religiösen Positionen besetzt von Gruppen, die die Religion als Exkulpationsmaschine (als Hilfe, ihre Schuldgefühle loszuwerden, als synthetische Kuschelecke) brauchen? Dem hat die Theologie schon seit der Zeit der Kirchenväter vorgearbeitet. Aber konvergiert nicht dieser Exkulpationstrieb auf eine ebenso erschreckende wie verhängnisvolle Weise mit der Tendenz, die Religion zugleich in eine Religion für andere umzuformen: in ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft?
Creatio mundi ex nihilo: Produkt einer projektiven Erkenntnislogik, die eigentlich auf ein Stück Urgeschichte des Kapitalismus sich bezieht, auf die Vorgeschichte der Kreditschöpfung der Banken? Die Risiken der Banken sind die Risiken der Sparer, die Risiken der Unternehmer sind die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz auf dem Spiel steht, und die Risiken des Krieges sind die der Bevölkerungen, deren Anteil an den Opfern der Kriege den des Militärs inzwischen weit übersteigen. Die Risiken der Entscheidungen haben heute nicht mehr die zu tragen, die sie treffen, sondern die, für die sie getroffen werden (Anmerkung zu den Begriffen Verantwortung und Repräsentation).
„Soll aber der Mensch noch einmal in die Nähe des Seins finden, dann muß er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren“ (Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, S. 150, zitiert nach Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 208). Die Begründung ist einfach: Weil das Sein den Namen löscht, alles gleichnamig macht. Wenn Derrida in diesem Zusammenhang auf die Kabbala verweist (auf die „unaussprechbare Möglichkeit des Namens“), so weiß er nicht, wovon er redet. Das Ziel der Kabbala war die Heiligung des Gottesnamens, während die Ontologie seit je darauf abzielte, den Gottesnamen zu tilgen.
War die Ontologie (das „Sein“: die Installierung des Urteils) das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat? -
23.11.95
Zu Derrida, Gesetzeskraft: Wie hängt der (den Staat, die Welt und die Bekenntnislogik konstituierende) Begriff der Gewalt mit der Zeitumkehr, mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, zusammen (Gesetz und Naturbeherrschung, vgl. S. 15)? Wäre nicht gegen die Derridasche Interpretation des Benjaminschen Aufsatzes auf den Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, und auf den hiermit zu begründenden Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit hinzuweisen? Der Satz über die Gemeinheit gründet in der Fundierung des Rechts in der Logik des Beweises; in der gleichen Sphäre, in der auch die Logik der Dekonstruktion begründet ist. Die Logik der Dekonstruktion ist die Logik der Dekonstruktion der Beweislogik auf dem Boden der Beweislogik und unter Verzicht auf deren Reflexion. Hat Derrida deshalb die Intention des ihm vorgelegte Themas als inquisitorisch empfunden (S. 9)?
Hat die Levinassche Bemerkung über die Attribute Gottes, die im Imperativ und nicht im Indikativ stehen, etwas mit dem Satz über Rind und Esel zu tun: Ist der Indikativ ein Imperativ für andere, Produkt der Umformung der Last ins Joch und Grundlegung des Schuldverschubsystems? Im Bannkreis der Logik des Indikativs ist die Welt alles, was der Fall ist. Ist nicht die Welt selber (und ihr philosophischer Reflex: die Ontologie) das instrumentalisierte Joch?
Die Erkenntnisfunktion des Urteils fällt insgesamt unter das Verdikt des Satzes „Richtet nicht, …“
Buber hat den Anfang des Ps 110 („Es sprach der Herr zu meinem Herrn“) so übersetzt: „Erlauten von IHM zu meinem Herrn: Sitze zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege als Schemel zu deinen Füßen“ und Ps 27f: „Berichten will ichs zum Gesetz, ER hat zu mir gesprochen: Mein Sohn bist du, selber habe ich heut dich gezeugt. Heische von mir und ich gebe die Weltstämme als Eigentum dir, als Hufe dir die Ränder der Erde“. Ist Ps 27 die einzige Stelle, mit der die Zeugung des Sohns durch den Vater im Credo sich begründen läßt (und begründet wird)?
Ist es nicht eine sehr katholische Tradition, die die Zeugung mit einer Schuld (der Schuld des Vaters, die den Opfertod des Sohnes begründet) verknüpft, der gleichen Schuld, vor der die Kirche die Priester durchs Zölibat vergeblich zu schützen versucht? Diese Schuld entspringt genau an der Stelle, an der der bis heute uneingelöste Imperativ der göttlichen Barmherzigkeit durch den mythischen Indikativ des „erlösenden Opfers“ storniert, verdrängt und ersetzt wird. Mit dem Begriff der Zeugung wurde der griechische Naturbegriff (der die Naturbeherrschung an den magischen Kern des Naturbegriffs selber heranführt) ins dogmatische Herz der Theologie transplantiert. War nicht das Zölibat das Instrument, mit dessen Hilfe die Priester sich zu Herren des trinitarischen Gottes gemacht haben? Und ist nicht diese Form des Priestertums die institutionalisierte Weigerung, die Sünde der Welt auf sich zu nehmen (und der character indelebilis des Priesteramts ein Hinweis auf den Grund der Lehre von der Entsühnung der Welt durch den Opfertod Jesu am Kreuz)? Ist es nicht an der Zeit, die Priestertheologie endlich durch eine Laientheologie (durch eine Theologie der Nachfolge) zu ersetzen?
Unschuldig (und in dem Sinne heilig) sind nach der Logik der Priestertheologie der Confessor und die Virgo, der eine durchs Bekenntnis (durch Schuldumkehr und -verschiebung: kein Bekenntnis ohne Sexualmoral), die andere durch eine durch keine Zeugung befleckte Reinheit.
Die Priesterlogik hat das Brotbrechen in die Opfertheologie transformiert (das war der Realgrund der dann aufs Objekt verschobenen Transsubstantiation).
Die Geschichte der Hexenverfolgung ist ein Teil jener Phase der Herrschaftsgeschichte, in der Religion endgültig zur Religion für andere (zu „Privatsache“ der Herrschenden) geworden ist, und in der die „evangelischen Räte“: Armut, Gehorsam und insbesondere die Keuschheit endgültig für Herrschaftszwecke instrumentalisiert worden sind.
Ist die Verwaltung (die unter dem Druck der Verhältnisse in Institutionen wie UNO, Weltbank, IWF, GATT, EU u.ä. heute erstmals durchgreifend transnational sich etabliert) das Tier aus dem Wasser, und sind die Medien das Tier vom Lande? Zwingt die Verwaltung die Bevölkerung unters Joch, während die Medien ihr die Last auferlegen; macht die Verwaltung die Bevölkerung zu Rindern, machen die Medien sie zu Eseln? -
22.11.95
Der Andere und der Fremde: Der Begriff des Anderen ist ein Systembegriff, der des Fremden ein systemsprengender Begriff. Der Weltbegriff macht alles Weltliche zu Anderem für Andere; das Eine, das das Andere für Andere ist, ist im Kontext des Weltbegriffs in diesem Anderssein aufgehoben und verschwunden. Der Satz: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, drückt diese Struktur aufs genaueste aus. Als ihnen die Augen aufgingen, lernten sie sich in den Augen der Anderen sehen: Da erkannten sie, daß sie nackt waren. Diese Nacktheit ist das biblische Äquivalent des philosophischen Andersseins. Das, was ich unter dem Zwang der Logik der Scham (unterm Rechtfertigungszwang) in mir verdrängen muß, ist damit nicht wirklich verschwunden: Es erscheint in der Gestalt des Fremden (zugespitzt in den Gestalten des Feindes, des Verräters und in der der Sexualität, der weiblichen Verführung), der, weil er der Systemlogik des Andersseins sich nicht einordnet, zur Projektionsfolie meiner Verdrängungen wird. In dieser Logik gründet die Xenophobie.
Läßt die Beziehung des Andern zum Fremden nicht an der Beziehung des Inertialsystems zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich ablesen? Bezeichnet nicht die Lichtgeschwindigkeit (zusammen mit der Gravitationskonstanten) genau den Fremdheitspunkt im System? Im Inertialsystem ist die Division durch 0 (das Äquivalent der Orthogonalität) nicht gleich Unendlich, sondern = c, gleich der Lichtgeschwindigkeit (vgl. hierzu die Erörterungen Derridas über die Beziehungen der Begriffe des Andern, des Fremden und des Unendlichen in seinem Essay über Levinas, in: Die Schrift und die Differenz, S. 121ff, insbes. S. 149ff, 159ff, 174).
Die 0 (Null) ist der Statthalter der Orthogonalität in der Mathematik. Die Vorstellung der Unendlichkeit des Raumes ist durch ein dreifaches Nichts (durch drei Nullen, die erst durch ihre wechselseitige Reflexion mit einander identisch, zu Nullen, werden: durch eine dreifache Abstraktion) vermittelt. Vorläufer der Null, ihr Statthalter in der Sprache, war das Neutrum, in der Schrift symbolisiert durch die Schlange: „An jenem Tage wird der HERR mit seinem harten, großen und starken Schwerte heimsuchen den Leviathan, die flüchtige Schlange, und den Leviathan, die gewundene Schlange, und wird den Drachen töten, der im Meere haust“ (Jes 271).
Die Null ist die Narbe an der Stelle, an der Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, sie ist dann zu einem Instrument im Klassenkampf geworden.
Redundanz: Der Begriff des Rassismus erklärt die Xenophobie auf der Basis und im Rahmen der Logik der Xenophobie.
Zur Geschichte des Objektbegriffs: Die Kopenhagener Schule hat die ungelösten Probleme der Äthertheorie in den mikrophysikalischen Objektbegriff mit hereingenommen, sie hat sie zu dinglichen Eigenschaften von Objekten (der „Elementarteilchen“) gemacht. Hierauf bezog sich meine These, daß die Strukturen der Mikrophysik (des gesamten Bereichs, den das Plancksche Wirkungsquantum eröffnet hat) aus der Form des durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit neu definierten Inertialsystems sich müssen herleiten lassen.
Hat der Faschismus nicht eine sehr christliche Tradition terroristisch zugespitzt, als er den Opfern auch nachträglich noch unauslöschliche Schuldgefühle mitgegeben hat? Der daraus sich herleitende Rechtfertigungszwang läßt sich nur im Kontext der Reflexion der Genesis dieser Schuldgefühle (die gegenstandslos, aber nicht grundlos sind) auflösen. Und nur auf die Auflösung dieses Rechtfertigungszwangs, nicht der Schuldgefühle, kommt es an. Was heute Religion heißt: der vergebliche Versuch, diese Schuldgefühle (unter Hinweis auf ihre Gegenstandslosigkeit) loszuwerden, bleibt in diese Rechtfertigungszwänge verstrickt. Diese Religion ontologisiert das Schuldverschubsystem: Sie macht sich selbst lahm und blind.
Liegt das ungeheure symbolische Potential des Konflikts um die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie nicht in ihrer Beziehung zu diesem Schuldverschubsystem? Welch schreckliche symbolische Logik liegt nicht in der Geschichte, daß C. F. von Weizsäcker, der in die Entstehungsgeschichte der angeblich friedlichen Nutzung der Atomenergie involviert war, vor Jahren sich einen privaten Atombunker gebaut haben soll? Und ist die Wirksamkeit des Schuldverschubsystems nicht direkt an seiner Formel für die Energiebilanz der Sonne, die eigentlich auf die Technik der „Uranmaschine“ abzielte, abzulesen (an der kosmologischen Verschiebung eines technischen und erkenntnistheoretischen Problems)? Auch das ein Versuch der Verharmlosung (und Schuldentlastung): die Verschiebung des Problems aus einer ethisch relevanten in eine ethikfreie Zone: ins Kosmologische. War dieses Konstrukt nicht ein Vorläufer der „kosmologischen“ Theorien des Urknalls oder auch des Schwarzen Lochs (der „Kosmologisierung“ technischer Redundanz-Probleme)?
Entsühnung der Welt: Ersetzen heute nicht Exkulpationsmechanismen, der Trieb, den Komfort des guten Gewissens sich zu erhalten, immer deutlicher und massiver die Arbeit an der Erkenntnis dessen, was hinter dem Vorhang sich abspielt? Heute wollen die Menschen nicht mehr wissen, was sie tun, sie wollen nur noch, was sie tun, ohne Schuldgefühle tun.
Beim Tod Jesu „(zerriß) der Vorhang im Tempel … von oben bis unten in zwei Stücke, und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der Entschlafenen wurden auferweckt; und sie kamen nach seiner Auferweckung aus den Grüften hervor, gingen in die heilige Stadt und erschienen vielen“ (Mt 2751f). Wird hier nicht beschrieben, was „hinter dem Vorhang“ ist? -
12.9.1995
Sehen und Hören: Der Kelch symbolisiert das ins Sehen übersetzte Hören (die „subjektiven Formen der Anschauung“), im Hinblick auf einen Text die Logik der Schrift, politisch-ökonomisch wie auch zivilisations- und wissenschaftsgeschichtlich das Herrendenken (Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften als Teil der Herrschaftsgeschichte: „die Distanz zum Objekt ist vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“, Dialektik der Aufklärung); mit dem Kelch-Symbol hängt es zusammen, wenn die Idee der Erfüllung der Schrift auf die Passion und den Kreuzestod Jesu sich bezieht (vgl. Getsemane und Emmaus), die der Erfüllung des Wortes hingegen auf die Parusie. Das Christentum hat nach Eingliederung in die Herrschaftsgeschichte mit der Opfertheologie und dem darin gründenen Erlösungsbegriff die Passion mit der Parusie gleichgesetzt: Ursprung der Bekenntnislogik und des Dogmas (Petrus und die Geschichte von den drei Leugnungen; Bekenntnislogik als Äquivalent der subjektiven Formen der Anschauung in der Theologie, Kirche als Kelch). Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Erweiterung des Kelch-Symbols – des Taumelkelchs und des Kelch des göttlichen Zorns – zum Unzuchtsbecher in der Johannes-Apokalypse?
Genitiv und Dativ unterscheiden sich wie Indikativ und Imperativ bei Levinas. Auch der dem Genitiv korrespondierende Indikativ ist ein Imperativ, aber einer, der nicht mehr durch die Sprache, durchs Hören, vermittelt ist, sondern zum puren Vollzug des Gehorsams (zum mechanischen Kadaver-Gehorsam) regrediert: er ist ein instrumentalisierter Imperativ. Der auf Präsens und Zukunft (auf nicht Vergangenes) bezogene Indikativ ist ein Vollstreckungsurteil, er verwandelt das Handeln in ein subjektloses, naturhaftes Geschehen. Die Ontologie hypostasiert diesen Indikativ (und entlastet das Subjekt – ähnlich wie das Gesetz die Verwaltung – von der Last der Verantwortung und des Handelns).
Wie hängt das symbiotische „wir“ (das ärztliche „wie geht es uns denn heute“, „haben wir gut geschlafen“) hiermit zusammen, in welcher Beziehung steht es zum „naturwissenschaftlichen“ Apriori der Medizin, zur Symptom-Medizin, zur konstitutiven Funktion des Fall-Begriffs in der Medizin?
Gehört nicht auch dieses symbiotische „wir“ zu den Metastasen (oder auch zu den Ursprungsformen) der Bekenntnislogik, deren „gemeinschafts“-konstituierende Kraft in einer symbiotischen Konstellation gründet (die Bekenntnislogik instrumentalisiert – wie das Plancksche Wirkungsquantum? – den symbiotischen Grund, aus dem sie hervorgeht). Gemeinschaftsbegründend aber wird diese Beziehung von Bekenntnislogik und Symbiose nur in der Gestalt hierarchischer Strukturen (Hegels Philosophie kennt keine hierarchischen Strukturen, weil sie den Begriff hypostasiert; deshalb kann die Natur den Begriff nicht halten: Hat nicht die kopernikanische Wende mit dem astrologischen Verständnis der planetarischen Welt auch den kosmologischen Grund und die kosmologische Legitimation der Hierarchie: die frühmittelalterliche Engellehre, zerstört?).
Doppelt asymmetrische Reflexion: Wie verhält sich das objektivierende Beobachten zum Begriff des Angesichts? Gibt es einen sprachlogischen Zusammenhang zwischen dem geschichtlichen Ursprung des Beobachtens und ihrer Vorgeschichte im Namen und Amt des episkopos?
Drückt nicht in dem Psalm-Wort „Dixit Dominus ad Dominum meum: hodie genui te“ auch eine Kritik des Zeugungsbegriffs sich aus? Die beiden Herren sind weder gleichnamig noch gleichen Wesens. Im hebräischen Text stehen an dieser Stelle zwei Namen: JHWH und Adonai, die nicht gleichgesetzt werden dürfen. Die homousia, die in der Gleichsetzung beider Namen gründet, ist ein Produkt der LXX, des griechischen (und dann des lateinischen, deutschen, englischen etc.) Bibeltextes. Das homousios und die Vergöttlichung Jesu haben den Vater zum Objekt gemacht (und das ist in die Gesamtstruktur des christlichen Dogmas und in die kirchliche Erlösunglehre als eine ihrer verschwiegenen Voraussetzungen mit eingegangen).
In der Geschichte von den drei Leugnungen Petri fällt das Krähen des Hahns mit der Überlieferung Jesu an den weltlichen Richter zusammen (die Verspottung durch die „Diener“ und das Verhör durch den „Hohen Rat“ liegt nur bei Lukas zwischen den Leugnungen und der Überlieferung an Pilatus, bei Johannes zwischen der ersten und zweiten Leugnung). -
25.8.1995
Nach Levinas stehen die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ. Aber schließt das Gebot der Heiligung des Gottesnamens, das an den Grund der Sprachen rührt, nicht mit ein, daß am Ende der Imperativ wieder zum Indikativ wird: zum Indikativ der Lehre (zur Sprache der eingreifenden Erkenntnis)? Die Heiligung des Gottesnamens gründet in der Beziehung der Sprache zum Angesicht Gottes; das Leuchten Seines Angesichts ist ein sprachlicher Sachverhalt: der wieder zum Indikativ gewordene Imperativ. Sprachdenken ist das Organ theologischer Erkenntnis.
Unterscheiden die beiden Indikative (der weltliche und der der Lehre, der Indikativ vor und der nach dem Imperativ) sich nicht wie das griechische und das hebräische Perfekt: wie die abgeschlossene Vergangenheit und die vollendete Handlung? Kommt nicht die Unterscheidung dieser Welt von der zukünftigen Welt (auf die die Sünde wider den Heiligen Geist bezieht, die „weder in dieser noch in der zukünftigen Welt“ vergeben werden kann) aus dem gleichen Sprachgrund? Und sind beide nicht durch Umkehr auf einander bezogen?
Umkehr: Der Weltbegriff macht (durch das Instrument der subjektiven Formen der Anschauung) die (eigene) Last zum Joch (für andere); Erlösung übernimmt das Joch als Last: der einzige Weg der Befreiung vom Joch. In welcher logischen Beziehung steht das Gottesreich zur Welt?
Gegenstand der biblischen Reflexionen Klara Buttings sind vier der „Fünf Rollen“; hat es einen erkennbaren Grund, welhalb sie die dritte der fünf Rollen: das „Buch Wehe“, die Klagelieder, ausgelassen hat? -
10.8.1995
Die Welt konstituiert sich im Kontext von Herrschaft.
Die Aufteilung der Welt durch die Logik der Medien in Fakten und Meinungen verwischt u.a. den Unterschied zwischen Skandal und Sensation, sie öffnet die Schleusen des Geschwätzes. Zugrunde liegt die Trennung von Ding und Sache, die am Ende dazu führt, daß die Sache aus dem Blick verschwindet.
Der Weltbegriff läßt sich durch seine Kraft der Selbstlegitimation definieren. Vorausgesetzt ist die Neutralisierung des Subjekts zum abstrakten Selbst, zur abstrakten Identität: Diese Identität ist der Ort der Eins, an dem die Wasser sich sammeln, damit das Trockene sichtbar wird. Und dieses Sichtbarwerden des Trockenen ist die Selbstlegitimation, die Selbstbezeugung der Welt.
Drückt das Bubersche „er rief“ (anstelle des sonst üblichen „er nannte“) nicht etwas von der katastrophischen Qualität des Schöpfungsberichts aus? Der Rufende ist der Einsame (der „Rufer in der Wüste“), das Rufen Ausdruck das des Verlangens nach einem, der antwortet.
Die Opfertheologie leugnet die göttliche Barmherzigkeit, macht Gott zum Angeklagten. Nur im Kontext der Opfertheologie gibt es eine Theodizee.
Der Verzicht auf die Reflexion der Form des Raumes löscht die Erinnerung an die Barmherzigkeit, sie entzieht der Reflexion von Herrschaft den Boden, sie ersetzt das Hören durch den Gehorsam: Sie zerstört den Grund der Sprache: den Gottesnamen. Ist nicht die ganze Geschichte des Christentums in diese Geschichte verstrickt?
Zum theologischen Problem der Beweislogik: Die Theodizee macht Gott (durch das Mittel der Beweisumkehr) zu einem Objekt des Schuldverschubsystems (und die Reversibilität aller Richtungen im Raum macht die Form des Raumes zum Grund der Möglichkeit der Beweisumkehr: der „List der Vernunft“).
Das Theodizeeproblem hat ebensowenig mit Gott zu tun wie der Antisemitismus mit den Juden.
Die Idee der Wahrheit läßt sich ohne Erkenntniskritik nicht fassen: Sie schließt die Idee der Umkehr und den Begriff der Erlösung mit ein.
Die Beweisumkehr versetzt den Ankläger in den Anklagezustand, sie macht das Recht zu einem Gnadenakt. Diese konformismuserzeugende Logik (die selbstlegitimatorische Logik des Weltbegriffs) liegt der Vertauschung von Genitiv und Dativ zugrunde.
Die theophoren Namen im Hebräischen sind ein Hinweis darauf, daß die Sprache im Gottesnamen gründet. Erst die indoeuropäische Sprachlogik hat diesen Grund verstellt (blinder Fleck).
Jesus hat nicht die Geldwechsler, sondern die Bänker aus dem Tempel vertrieben. Gehört nicht die Ezechiel-Geschichte über die Greuel im Tempel zur Vorgeschichte dieser neutestamentlichen Geschichte?
Das Pfingstfest hat im Bilde der Feuerzungen das Feuer des Himmels mit der Sprache verbunden, sie zur Quelle der befreiten Sprache gemacht. Auf eine andere Beziehung der Zunge zum Feuer verweist der Jakobusbrief. (Die Beziehung des Feuers zum Raum ist ein Bild der Beziehung der Sprache zum Raum.)
Der Kelch von Gethsemane: Ist er das Symbol für die Theologie (als Theologie hinter dem Rücken Gottes)? Und ist der Wille des Vaters die Theologie im Angesicht?
Prophetie und Apokalypse – Buber und Scholem (Goodman-Thau: Zeitbruch, S. 161ff):
– Prophetie wird durch den Weltbegriff zur Apokalypse;
– Buber: Religion als Kuschelecke; Scholem: kein „Positivist“, sondern Wissenschaft als Schutz; mir waren die „rücksichtslosen“ Juden immer die liebsten (Rosenzweigs Briefwechsel mit Rosenstock-Huessey; Scholems Essay über Deutsche und Juden, seine Kritik des christlichen Erlösungsbegriffs);
– Rosenzweig: Scholem ist dort, wo wir hinwollen (in einem Brief);
– Thieme: Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe;
– auch die Apokalypse steht unter Levinas‘ Bemerkung zum Indikativ (Gott korrigiert das Mißverständnis des Jonas);
– nicht das Weltgericht Hegels ist das Jüngste Gericht, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht;
– postapokalyptische Gestalten: Jonas (Tobias, in dem das Buch Jonas zurückgenommen wird, ist kein kanonisches Buch) und Maria Magdalena.
Apokalypse kein Angstmacher, sondern ein Mittel der Angstbearbeitung.
Zu Scholems Apokalyptik: Das „rabbinische“ Wort, wonach, wenn der Messias kommt, eine geringfügige Veränderung die Welt erlöst, stammt von Scholem.
„Der Chassidismus ist das beste Beispiel dafür, daß das Leben die Lehre bestimmt, und nicht die Lehre das Leben, wie Scholem es wahrhaben will.“ (S. 168) – Ist das wirklich eine Alternative? Verhalten sich nicht Leben und Lehre wie Finsternis und Licht: Die Lehre bringt Licht ins Leben, aber das Leben ist die nach dem Licht verlangende, es insoweit definierende Finsternis („… der ich das Licht bilde und schaffe die Finsternis“ – Jes 457)? Der brennende Dornbusch ist das Paradigma meines Faschismus-Studiums: das brennende Innere der Profangeschichte ist der Ort der Selbstoffenbarung Gottes. Ist nicht das Licht, das in der Auseinandersetzung mit der Finsternis (mit der Welt) sich bildet, immer neu und zugleich das Medium der Tradition?
Die Welt ist der Inbegriff des Seins für Andere und des Andersseins: Korrelat der Herrschaftsgeschichte, und so ist es der Inbegriff der Finsternis, der die Tradition immer neu abgewonnen werden muß. -
8.7.1995
Fundamentalontologie: Der Rachetrieb, das „Wie du mir, so ich dir“, gründet in der Logik des Tauschs, deren Ontologisierung in den Faschismus hineinführt. Gefängnisse gibt es, seit es das Tauschprinzip gibt (seit es Eigentum zu erwerben und zu schützen gibt); der Faschismus hat die Welt insgesamt als das Gefängnis begriffen, in dem nur die Aufseher und Direktoren „frei“ sind. Wie hängt der Begriff der „Eigentlichkeit“ mit dem des Eigentums zusammen (und der Infinitiv „Sein“ mit dem Possessivpronomen „Sein“?
Anschlagsrelevante Themen: Zur Strategie der Diskriminierung von Gesellschaftskritik gehört es, wenn in raf-Prozessen (und in ihrer Folge in den Medien und in der Öffentlichkeit) die Taten der raf von ihrer Motivation getrennt werden, während die gleiche Motivation dann doch auf ebenso stumme wie wirksame Weise mit den Taten verurteilt werden.
Da gingen ihnen die Augen auf: Die subjektiven Formen der Anschauung entblößen die Dinge; … und sie erkannten, daß sie nackt waren: sie entblößen damit auch die Anschauenden, die in dem, was sie draußen erkennen, ohne es zu bemerken, sich selbst erkennen.
Laß leuchten, HERR, Dein Angesicht: Befreie uns vom Bann des Anschauens.
Logik der Schrift: „Ein solch geradezu partnerschaftlicher Umgang des Königs mit seinen Beamten war völlig neu.“ (Adelheid Schlott: Schrift und Schreiber im Alten Ägypten, S. 165) Kann es nicht sein, daß die schriftliche Notiz darüber, nicht aber die Sache, neu war?
Die Bemerkung Emanuel Levinas`, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, ist selbst indikativisch, die Beschreibung eines empirischen Sachverhalts: ein Schlüssel für das Begreifen religionsgeschichtlicher Phänomene. Die Bekenntnislogik, die die Theologie in den Indikativ versetzt hat, war seit je eine Exkulpationslogik; deren Ursprungsgeschichte ist die Ursprungsgeschichte des Mythos, in der die theologische Beziehung von Indikativ und Imperativ instrumentalisiert worden ist. Das christliche Dogma hat diese Instrumentalisierung durch die Bekenntnislogik irreversibel gemacht. Die Bekenntnislogik beschreibt das Inertialsystem, das dem Gravitationsgesetz der instrumentalisierten Theologie zugrunde liegt. -
25.6.1995
Anschauungen sind die Anschauungen anderer, die ich mir durchs Bekenntnis zueigen machen kann.
Beruht die Schwierigkeit der Texte Adornos nicht darin, daß sie nicht in die Flaschen der Anschauung sich abfüllen lassen? Ihr Begreifen hängt davon ab, ob der Funke überspringt oder nicht.
Anschauungen und Bekenntnisse sind Transformatoren, die das Feuer des Zorns in sein Anderssein: in Wut umwandeln. Die subjektiven Formen der Anschauung haben die Geschichte der Scheiterhaufen, die ein Teil der Bekenntnisgeschichte war, durch Verinnerlichung beendet.
Alle Anschauungen haben die subjektiven Formen der Anschauung zur Voraussetzung, sie gründen in der Unfähigkeit, sie zu reflektieren. Wenn die subjektiven Formen der Anschauung mit dem biblischen Symbol des Kelchs zusammenhängen, dann verweist der Begriff der Weltanschauung auf den Unzuchtsbecher.
Die spezielle Realitivitätstheorie rührt an die erkenntniskritische Seite der Naturwissenschaft, die allgemeine Relativitätstheorie rührt an den Grund ihrer Objektivität: an ihre theologische Seite.
Nur der Geist hat die Kraft, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und, wenn er alle ergreift, den Sumpf trockenzulegen.
Die Geschichte des Dogmas und ihr Produkt, der katholische Mythos, ist die Geschichte der Umformung des Glaubens in die Form des Wissens; die Beziehung zur Zukunft wird gelöscht, der Glaube unter die Vergangenheitsform subsumiert, sein Inhalt als Himmel, Hölle und Fegfeuer in den Raum projiziert. Diese Geschichte ist die der drei Leugnungen.
Wie hängt die Angewohnheit Kohls, in angespannten Situationen die Zunge zwischen die Lippen zu klemmen, mit den zusammengepreßten Lippen bei Politikern sonst zusammen? Die Geste erinnert die von Kindern, wenn sie zu Beginn ihr Schullaufbahn das Schreiben üben.
In einem Brief an seine Frau (Wie Efeu an der Mauer, S. 345) beschreibt Huidobro, wie er zum erstenmal nach über zehn Jahren mit einem anderen, auch eine „Geisel“, zusammen in einer Zelle ist. Er beschreibt es, indem er von den zwei Paar zerschlissenen Schuhen erzählt, die er beim Erwachen morgens vor seinem Bett vorfindet. Das Ergreifende dieser Situation ist, daß die Dinge anfangen zu erzählen, weil sich die Menschen – nach so langer Einsamkeit – noch zu fern sind, um anderen von sich schon erzählen zu können (oder das eigene Leiden noch zu nahe ist; deshalb erbarmen sich die Schuhe und beginnen zu erzählen). Ist der Gedanke so abwegig, daß heute ein ganzes Land, seine Städte und die Wohnungen in diesen Städten nach Kriterien eingerichtet werden, deren Zweck es zu sein scheint zu verhindern, daß die Dinge sich erbarmen und anfangen zu erzählen? Tot ist, wer sich nicht mehr erbarmt.
Die moderne Definition der Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand macht die Beweisbarkeit zum Kriterium der Wahrheit.
Der „prinzipielle Ideologieverdacht“ gegen die Autorität des Leidens ist ein Instrument zur Absicherung des modernen Wahrheitsbegriffs. Wahrheit als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand abstrahiert von der Gewalt, genauer: Gewalt ist der blinde Fleck dieser Definition.
Wenn – ihren Aussagen vor den Ermittlungsbehörden zufolge – keiner der GSG-9-Beamten in Bad Kleinen gesehen hat, daß Wolfgang Grams sich erschossen hat, so ist das fast schon der Beweis, daß es sich nicht um Selbstmord handeln kann: Die Beamten kennen die Folgen einer Falschaussage, deren Widerlegung sie offensichtlich für möglich, wenn nicht für wahrscheinlich halten; deshalb berufen sie sich aufs Nichtgesehenhaben.
Ist nicht der Jesaias-Satz
„Ich, der Herr, und keiner sonst, der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe, ich bin’s, der Herr, der dies alles wirkt“ (457)
eine Erläuterung des Schöpfungsberichts, seines Rhythmus von Katastrophe und Rettung (die hier vor der Katastrophe genannt wird, wenngleich die Schöpfungsfolge genau umgekehrt ist)? Wirft dieser Satz nicht ein Licht auf die geschaffenen Dinge (Himmel und Erde, die großen Seetiere und schließlich die Menschen), die zunächst als Katastrophen sich erweisen? Verweist das bara generell auf katastrophische Vorgänge (auf etwas zu Rettendes)?
Kann es sein, daß in dem „wüst und leer“, „Finsternis über dem Abgrund“ und dem „Geist Gottes über den Wassern“ die dreifache Schöpfung des Menschen (als Ebenbild Gottes, als Sein Bild, als Mann und Weib) sich anzeigt, daß in dieser jene sich spiegeln? Und heißt es deshalb, daß der Mensch aus Erde gemacht ist (aus dem Staub, den die Schlange frißt)?
Die Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt) sind die Reste des durchschlagenen Knotens, den es zu lösen gilt. Die Zeit der Harmonisierung ist vorbei. Gilt nicht das gleiche auch für die Trinitätslehre, ist nicht auch sie der zerschlagene Knoten, den es zu lösen gilt (wurde nicht der Knoten durch Übersetzung des Imperativs in den Indikativ, durch Übersetzung der Offenbarung vom Hebräischen ins Griechische, zerschlagen)?
Theologie wird zur Theologie im Angesicht Gottes, wenn man begreift, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Und Gott suchen heißt: diesen Imperativ endlich hören zu lernen (Heute, wenn ihr Seine Stimme hört).
Die Theodizee fällt unter das erkenntnistheoretische Problem der kontrafaktischen Urteile, das Problem, das in Vergegenständlichung des Vergangenen und in der Konstituierung der Geschichte steckt. (Zweck der modernen Wahrheitsdefinition ist es u.a., das Vergangene in die Vergangenheit einzusperren.)
Die Kritik der Verdinglichung affiziert sowohl den Begriff der Vergangenheit als auch den der Natur.
Wenn das Wahre der bacchantische Taumel ist, in dem kein Glied nicht trunken ist, dann ist diese Trunkenheit ein logischer Ausfluß der subjektiven Formen der Anschauung (des Kelches).
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes hat die Religion zur Religion für andere, zum Herrschaftsinstrument gemacht. In dieser Konstellation gründet die tiefe Zweideutigkeit der Trinitätslehre, gegen die der Satz von der Sünde wider den Heiligen Geist gerichtet ist.
Die Übersetzung des Indikativs in den Imperativ führt direkt in das Levinassche Konstrukt (mein Verhältnis zum Angesicht des Andern und die Beziehung beider zum „Dritten“), während der Indikativ auf die durch Herrschaft vermittelte Distanz zum Objekt sich bezieht: auf den historischen Objektivationsprozeß.
War nicht die Lichtmetaphysik einmal der Versuch, den Baum des Lebens zu rekonstruieren, der seine Wurzeln im Himmel hat und dessen Krone den Trieb in sich hat, auf der Erde sich auszubreiten?
Die Übersetzung des Begriffs der omnipotentia mit Allmacht ist nicht korrekt, genauer wäre der Begriff des Allesvermögenden. Darauf verweist der Satz, wonach bei Gott kein Ding unmöglich ist. Erst unsere Allmacht hat die potentia von ihrem Sprachgrund getrennt. Erst dadurch ist sie böse geworden (islamisch-christlicher Ursprung des modernen Machtbegriffs). Allesvermögend ist der Retter, der Erlöser, allmächtig, aber das auch nur seinem eigenen verblendeten Bewußtsein nach, ist der faschistische Diktator. Der Preis der Allmacht ist die Paranoia.
Haben das apokalyptische Tier aus dem Meere etwas mit den großen Seetieren (den Symbolen der Macht) und das Tier vom Lande etwas mit der Schlange in der Paradieses- und Sündenfallgeschichte (Modell des falschen Propheten) zu tun?
Die memoria passionis, die das unabgegoltene Leiden der Geschichte nicht vergessen kann, sprengt den Bann des Vergangenen, sie verweigert sich der „Versöhnung über den Gräbern“.
Der Kreuzestod war die Katastrophe, zu der die Rettung noch aussteht; und die Geschichte des Christentums ist die Geschichte der descensio ad inferos.
Religion für andere, das ist das genaue Gegenteil einer Utopie, in der keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen (vgl. Jer 3134).
Ist nicht die Kirche unfähig geworden, in der Prophetie auch das Gericht über sich selbst zu begreifen?
Erinnert nicht das Brumliksche „Ausdrucksgeschehen im Gesicht eines anderen“ an eine Videoaufnahme, die Objektivation eines nicht Objektivierbaren, die Übersetzung eines Imperativs in den Indikativ, das Gegenteil des Levinasschen Angesichts? -
22.6.1995
Zur Geschichte des Bilderverbots: Die Entwicklung von der Judenkarikatur und von der Denunziation zur Sympathisantenhetze entspricht der vom Rundfunk zum Fernsehen. Das fotografierte Bild ist aus seinem eigenen logischen Grunde das Fahndungsbild; das gilt auch für die mediale Präsentation des Gesichts im Fernsehen. Deshalb ist das Angesicht zu unterscheiden vom „Ausdrucksgeschehen der Gesichter anderer Menschen“ (Zitat Brumlik?, vgl. die Rezension Brumliks in der FR von heute). Es geht nicht um „Wege aus dem Bilderverbot“, sondern darum, daß im Angesicht das Bilderverbot sich erfüllt (auch die Logik der Schrift, die in der genetischen Beziehung der Schrift zum Bild gründet, fällt unters Bilderverbot). Das Angesicht und der „Anthropomorphismus“ der Schrift verweisen auf den Sprachgrund der Schrift. Zur Logik der Schrift (und zu den Konstituentien des Weltbegriffs) gehören der Tempel und das Opfer; die Logik der prophetischen Vision hingegen, die im „Leuchten des Angesichts“ sich vollendet, gründet in einem sprachlichen, nicht in einem visuellen Sachverhalt (Ulrich Sonnemann hat einmal gegen die optische, aufs Anschauen verweisende Tradition der philosophischen Tradition auf die Notwendigkeit, mit den Ohren zu denken, hingewiesen): Sie sprengt den Weltbegriff.
Bemerkung zum Bilderverbot: Das Fahndungs- und das Paßfoto, die mehr miteinander zu tun haben, als uns lieb sein dürfte, leugnen nicht nur das Angesicht, sie machen es unkenntlich.
Die Autonomie des Subjekts ist allein noch durch die Idee der Barmherzigkeit zu retten, durch die Kraft, die „Autorität der Leidenden“, den Imperativ, der vom realen Leiden ausgeht, nicht mehr verdrängen zu müssen.
Der Autismus ist die Krankheit des Objekts, das aus dem Bann des Begriffs keinen Ausweg mehr findet.
Kritik der Unendlichkeit, oder die drei Grenzen des Weltbegriffs: Das Angesicht, der Name und das Feuer.
Hat die Autorität der Leidenden nicht etwas mit den Attributen Gottes, die Levinas zufolge im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, zu tun?
Die Beziehung von Kant und Hegel läßt sich an ihrem Verhältnis zur Astronomie demonstrieren: Während Kant die kopernikanische Wendung, die Säkularisation des Planetensystems nicht nur akzeptiert hat, sondern zum Kern seines Konzepts gemacht hat, zugleich aber an der Erhabenheit des Sternenhimmels festgehalten hat, hat Hegel diese Erhabenheit des Sternenhimmels neutralisiert und verdrängt, ist jedoch durch seine Kepler-Rezeption in die Nähe des astrologischen Mythos geraten.
Kann es sein, daß die drei Leugnungen Petri als spiegelbildliche Reflexionen der drei Versuchungen Jesu sich begreifen lassen?
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