Lifton

  • 25.6.96

    Versöhnung über Gräbern: Um eines von jeder Erinnerung unbelasteten Anfangs willen hat das Christentum die Vergangenheit verraten, sie aber gerade dadurch konserviert.
    Sind nicht die Rechtfertigungszwänge, die Daniel Goldhagen evoziert hat, ein Beweis für die Wahrheit seiner Thesen?
    Daß „Hitler selbst und seine Satrapen … soviel Wert darauf gelegt (haben), den Holocaust dem deutschen Volk möglichst nicht öffentlich bekannt zu machen“ (Jörn Rüsen in der FR vom 25.6.96, S. 11), ist kein Beweis dafür, daß die Deutschen „nichts gewußt“ hätten, sondern diese Geheimhaltung, deren Adressat weniger das deutsche Volk als vielmehr die Weltöffentlichkeit war, lag im Interesse aller; auch die Komplizenschaft scheut die Öffentlichkeit. Lifton hat in seinem Ärztebuch nachgewiesen, daß selbst die Täter auf zwei Ebenen lebten, die gleichsam durch eine innere „Geheimhaltungs“-Grenze (eine Grenze in den Subjekten selber) von einander getrennt waren. Das war die objektive Grundlage des pathologisch guten Gewissens nach dem Kriege.
    Anmerkung zur Rechtfertigungslehre: Auch das Geld deckt eine Menge Sünden zu.
    Das Ende der Zeiten wird kommen, wenn entweder aus Freiheit die Umkehr vollzogen wird oder es zur Umkehr keine Alternative mehr gibt. Und wehe denen, die das dann nicht wahrzunehmen in der Lage sind.
    Wird nicht bei Hauke Brunkhorst (Der Mensch muß sich selbst erfinden, FR vom 25.6.96) das projektive Moment im Begriff der Ursache (und im Konzept der „Ursachenforschung“) mit Händen greifbar? Ist nicht der Begriff der Ursache ein Schuldverschub- und Exkulpationsbegriff?
    Gehört nicht zum Reden auch das Ausreden (sowohl das Ausreden-Lassen, als auch das Jemandem-etwas-Ausreden), die Nutzung der Sprache als Radiergummi?
    Ist nicht das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ die Finsternis über dem Abgrund?
    Wer so umstandslos gegen die Todesstrafe ist, sollte der nicht auch einmal darüber nachdenken, daß der Wohlstand hier das Todesurteil für Millionen ist?
    Zum Weltbegriff:
    – Gott hat Himmel und Erde erschaffen, nicht die Welt,
    – Weltbegriff als Schwelle der Zivilisation, Ursprung des Weltbegriffs (zusammen mit den Begriffen Wissen und Natur),
    – Weltbegriff das gegenständliche Korrelat des Staates und der Philosophie (Verstrickung der Philosophie in die Herrschaftsgeschichte),
    – Weltbegriff als logisches Apriori (Reorganisation des Zeitbegriffs, Konstituierung und Legitimierung der instrumentellen Vernunft),
    – wechselseitige Legitimation der Totalitätsbegriffe: Selbstlegitimation des Bestehenden durch die Naturwissenschaften,
    – das Eine ist das Andere des Anderen: der Begriff der Erscheinung und die Logik der Veranderung, das Anderssein (nur Gott sieht ins Herz der Menschen),
    – die List der Vernunft oder der „hintertückische“ Weltbegriff, Grenzen der Beweislogik, Ursprung und Begriff der Gemeinheit,
    – Gnosis, Theologie und Hegel: der Staat als Schöpfer der Welt, Problem des Begriffs der creatio mundi,
    – „Entsühnung der Welt“: Sexualmoral für andere (Sexualmoral als Urteilsmoral) und die apriorische Freisprechung der Herrschaft.
    – Der Weltbegriff transformiert die Theologie aus dem Angesicht Gottes hinter Seinen Rücken.
    – Das schwierigste Teilstück der Kritik des Weltbegriffs ist die Kritik der Naturwissenschaften: die Geschichte der Subjektivierung der „Sinnesqualitäten“ zur Empfindung, der Kritik zur Meinung und der Schuld zu Schuldgefühlen.
    – Gehört nicht auch die Lösung des Rätsels Swedenborgs (der Träume eines Geistersehers, dessen Geistesgegenwart jedoch hinreichte, Luthers Begriff der Rechtfertigung zu durchschauen) zur Kritik des Weltbegriffs?

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