Lohnarbeit

  • 27.3.1994

    Kai epestrepsa blepein tän phonän hätis elalei met‘ emou. – „Ich wandte mich um, um die Stimme zu sehen, die mit mir redete. Und als im mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und inmitten der sieben Leuchter einen, der einem Menschensohn ähnlich war, …“ (Apk 112f) Macht die Umkehr das Wort sichtbar (Beziehung des Lichts zur Sprache)?
    Ist die „eine Meinung“ der zehn Könige (mian gnomän, Apk 1713.17) das Dogma, das Bekenntnis?
    Hängt das Wort Stuhl mit stehlen zusammen (nach Kluge mit stehen, ähnlich die Ableitung von Thron, übers Französische vermittelt)? Ist nicht der Stuhl das Symbol des Besitzes (in der Schrift wird mit den Schuhen, durch Betreten, Besitz von etwas ergriffen)? Wie verhält sich hierzu das Wort: Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße (haben wir IHN nicht in beiden Teilen enteignet). Wer hat wann den Stuhl erfunden (spielt hier die herrschaftsbegründende Entwicklung der Astronomie und der Geldwirtschaft, zusammen mit der späteren Vergesellschaftung des Stuhls, mit herein)? Und hängt die Vergesellschaftung des Stuhls mit der Trennung von Ding und Sache (und diese mit der Unterscheidung von Besitz und Eigentum) zusammen? Vgl. im Lateinischen: possidere, occupare -in Besitz nehmen; facere c. gen. – zum Eigentum machen. Während das Eigentum zu den Grundlagen des Staates gehört, gehört der Besitz zu den Ursprungsbedingungen des Kapitalismus (Lohnarbeit als organisierter und legalisierter Raub: Grundlage des Inertialsystems; Zusammenhang der Verräumlichung mit der Trennung der primären und sekundären Sinnesqualitäten; das Relativitätsprinzip gründet in einer begrifflichen Eigenschaft des Geldes: Grund dafür, daß es keinen Reichtum ohne die Erzeugung von Armut gibt).
    Der Stuhl, der Ursprung des Inertialsystems und die sieben unreinen Geister („Besessenheit“ als Folge der Neutralisierung des Raumes).
    Wie verhalten sich:
    – die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals und die Entstehung des Proletariats in England,
    – der Merkantilismus in Frankreich und
    – der Absolutismus in Deutschland
    zueinander? Sind sie nicht drei Seiten ein und derselben Sache? (Die Freisetzung der Bauern: die Trennung der primären von den sekundären Sinnesqualitäten?)
    Ist der Thron durch den Tisch zum Stuhl geworden? Vor dem Stuhl fällt niemand mehr auf die Knie, aber dafür wird auf dem Tisch angerichtet. Erst der Tisch (als Abkömmling des Altars und der Tische der Händler und Geldwechsler, die SEIN Haus zur „Räuberhöhle“ gemacht haben) hat das Essen vom Opfer getrennt (das Opfer verinnerlicht), er hat es zum Gericht gemacht.
    Mit dem Besitz hängt auch die Besessenheit, das Dämonische, zusammen: Reflex der Objektseite. Hier gründet die Geschichte von den sieben unreinen Geistern.
    Thing, Gericht und Ding (das als Objekt verurteilte Ding): Die Hegelsche Logik entfaltet das Urteil, das das Ding zum Ding gemacht hat.
    Unterscheiden sich Heidegger und Rosenzweig nicht dadurch, daß Heidegger aus Angst vor dem Tod (aus objektloser Angst) Selbstmord begeht, während Rosenzweig der Ausbruchsversuch ohne den Preis der Verdrängung, den die Philosophie seit ihrem Ursprung gezahlt hat (und deren gegenständliches Korrelat und Erzeugnis das Inertialsystem ist), gelingt?
    Schuld durch Nichthandeln (die Schuld von Auschwitz) ist strafrechtlich nicht faßbar, weil sie die Grundlage der Geldwirtschaft, des Kapitalismus ist (Handeln aus Mitleid ist existenzgefährdend). Hier liegt der systemlogische Grund, weshalb Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand sein darf.

  • 31.12.93

    Ist Schönheit (auch in ihrer vulgären Gestalt, als Kitsch) inverse Scham, Teil der Geschichte der Vergegenständlichung (der Neutralisierung der Umkehr)? Und liegt darin der Grund des Mythos wie der Kunst? Das Naturschöne wäre dann ein Schlüsselphänomen. Die beiden Begriffe der Ästhetik (als Kunstphilosophie und als Grund der traszendentalen Logik) hängen über diese strukturelle Beziehung zur Scham miteinander zusammen.
    Die Transformation der Naturwissenschaften in Technik ist erst über die Lösung des Problems der technischen Nutzung der Energie, der Erzeugung und des Transports der Energie, erfolgt (Dampfmaschine und dann Elektrizität). Gleicht nicht die Logik dieses Energietechnikproblems der des Kapitals (und die Logik der Dampfmaschine der der Banken: beide abstrahieren von der Lohnarbeit, in der sie gründen)? War nicht der Kampf gegen die Atomkraftwerke, so wichtig und notwendig er in der Sache war (und immer noch ist), zugleich auch ein Alibi für die unmögliche Korrektur des Kapitalismus: für die nicht gelungene Revolution (der Linken ist es nie gelungen, eine ernsthafte, ihrem Gegenstand angemessene Theorie der Banken zu entwickeln: sie hätte begreifen müssen, was es mit dem „Greuel am heiligen Ort“ auf sich hat)?
    Zu den Konstituentien des Inertialsystems gehören die Erhaltungssätze: der Masse und der Energie. Die logische Analyse beider steht noch aus. Zu ihrer Voraussetzung gehört die Einsicht, daß die Dimensionen des Raumes nicht an sich, sondern nur aufgrund der abstraktiven Gewalt der Mathematik ununterscheidbar sind. Zu den Konsequenzen aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit gehört die Einsicht, daß die Beziehungen der Dimensionen des Raumes zur Zeit nicht äquivalent sind: Nicht der Raum, sondern die in sich dynamische Struktur der Raum-Zeit (die u.a. in den mikrophysikalischen Strukturen und in den dazugehörigen „Naturkonstanten“, wie z.B. dem Planckschen Wirkungsquantum, der elektischen Elementarladung u.ä. sich vergegenständlicht) gehorcht dem Gesetz der Gleichzeitigkeit.
    Liegen die Anfänge der Schrift in der Buchhaltung? Und wie hängt die Geschichte der Buchhaltung mit der der Astronomie (und die Sklaven mit dem Namen der Barbaren und der Apotheose der Heroen) zusammen?
    Nur durch den stringenten Aktualitätsbezug vermag die Erkenntnis der verwirrenden Gewalt des Nominalismus sich zu entziehen: wird sie zur Prophetie.
    Wenn man an den hessischen Löwen im Startbahnkonflikt und an die fette Henne im deutschen Bundestag, die sich für einen Adler hält, denkt: gehört dann nicht die Verunglimpfung staatlicher Symbole, als Erbe der Blasphemie, zu den Grundlagen und Voraussetzungen der Theologie?

  • 02.10.93

    Casus (Deklination) und Raum: Verkörperung räumlicher Metaphern,
    – Nominativ: Im Angesicht,
    – Akkusativ: Hinter dem Rücken,
    – Genitiv und Dativ: Rechts und Links (Besitz und Schenken, Gericht und Gnade).
    Wenn im Griechischen und im Deutschen die Deklination in den bestimmten Artikel mit hereingenommen wird, so ist hier die sprachliche Abstraktionsleistung begründet, die der Philosophie zugrundeliegt. Aber was bedeutet dann die Geschlechtertrennung, die Ableitung des Neutrum (im Deutschen auch des Femininum) aus dem Akkusativ, sowie im Deutschen zusätzlich die Identität des Femininum mit dem allgemeinem Plural (die, der, der, die) und bei beiden (Femininum und Plural) die Verwendung des Nominativ masculinum (der) als Genitiv und Dativ? Spiegelt sich darin die Gewalt der mathematischen Form des Raumes (die Neutralisierung des vorn und hinten beim f und n und des rechts und links beim f und pl)?
    Die Materialisierung der Welt ist die Verwandlung des Wortes in einen allgemeinen Sprachbrei (Zerstörung der Kraft des Namens).
    Fink, Griechische Sprache:
    – S. 105: Gehört nicht die Bindung des archein (herrschen) an den Genitiv (Bindung der Herrschaft ans Eigentum) zur „Sklavenhaltergesellschaft“, während die moderne Bindung an den Akkusativ zur Lohnarbeiter-Gesellschaft, zum Kapitalismus (Verinnerlichung und Vergesellschaftung von Herrschaft durch den Weltbegriff), gehört,
    – ebd.: katagelan (m. Gen.) = verspotten (auch hier Beziehung des Verspottens zum Eigentum, im Deutschen Beziehung zum Akkusativ),
    – S. 125: meta (m. Gen.) = mit, ~ (m. Akk.) = nach;
    para (m. Gen.) = von (her), ~ (m. Dat.) = bei,
    ~ (m. Akk.) = hin (zu), entlang, während, gegen.
    Liegt hier nicht der Zusammenhang von Gesellschaft, grammatischer Ausdruck der Raumbeziehungen (als Herrschafts- und Eigentumsbeziehungen, die im Deutschen dann in die Prä- und Suffixe sich verlagert haben) offen zutage? Und wird nicht die Differenz zwischen dem Griechischen und dem Deutschen (dem Paradigma der modernen Sprachen) durch die Geschichte des Christentums (Stellung des Dogmas und der Orthodoxie im Aufklärungsprozeß) überhaupt erst durchsichtig und bestimmbar?
    Nochmal zu archein: Ist nicht die Bindung der Herrschaft an den Besitz (Bindung des Verbs archein an den Genitiv) die Grundlage des griechischen Imperialismus. Der Eigentumsbegriff ist doppeldeutig: Die Privateigentums-Gesellschaft bedarf des Staats zur Begründung und Garantie des Eigentums, nämlich sowohl durchs Recht wie auch durch die Währungshoheit, durch die Konstituierung und Garantie des Geldwerts, die ihn in eine Eigentumsbeziehung zur Totalität rückt. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Staat nicht selber Objekt des Rechts sein kann (selbst dem Recht nicht unterworfen ist), und wenn die Außenbeziehungen des Staates „Natur“-Beziehungen, und d.h.: wenn in diesen Beziehungen Kriege und Gewaltanwendung unvermeidbar sind: Ausländer haben in diesem Kontext Naturstatus: sie sind Barbaren, nur durch Unterwerfung zu zivilisieren. Das Gewaltmonopol des Staates ist Ausdruck seines potentiellen Besitzanspruchs an die Welt, den Kosmos.

  • 01.10.93

    stoicheia bezichnet sowohl die Buchstaben als auch die Elemente. Kann es sein, daß die Natur zu sprechen beginnt, wenn der Bann der Natur gelöst ist? (Haben das Opfer, der Moloch und die Bindung Isaaks etwas mit dem Ursprung der Schrift zu tun? Weshalb nimmt Gott das Opfer Abels an, während er das Opfer Kains verwirft? – Was heißt Abel?)
    In der Geschichte des Tempels verbinden sich
    – der Ursprung der Religion (des Opfers) mit dem des Staates,
    – der Ursprung der Schrift mit dem des Geldes (Tempelwirtschaft) und
    – der der Astronomie mit der der Architektur.
    Unser gesamter Erkenntnisapparat bleibt solange von paranoiden Strukturen durchsetzt, wie es nicht gelingt, das Rätsel der subjektiven Formen der Anschauung zu lösen.
    Enthält nicht Joh 129 auch den Aktualitätsbezug der Prophetie (die Gegenwart als Grund der benennenden Kraft der Sprache); stellt dieser Aktualitätsbezug sich nicht überhaupt erst durch die Schuldreflexion her?
    Zu dem Satz in der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt: Das aber heißt, daß in der Distanz zum Objekt die Herrschaftsgeschichte: die Geschichte der Schuldknechtschaft, der Sklaverei und der Lohnarbeit enthalten ist. Wird diese Geschichte nicht durchs Anschauen verwischt? Wer ist das Subjekt der Aufklärung?
    Der Bann der Natur hängt zusammen mit dem Bann des Privaten: Wenn dieser Bann gelöst ist, werden die Geschichte von den drei Leugnungen und der Ursprung und Stellenwert der Sexualmoral in den drei „Weltreligionen“ durchsichtig und verständlich.
    Wie hängen die Sexualmoral, der Begriff der Anschauung und der des Bekenntnisses zusammen?
    Bezeichnet nicht das homologein etwas anderes als das, was wir heute Bekenntnis nennen, ein Begriff, der die Geschichte der Privatisierung der Religion (die Geschichte ihrer Entpolitisierung) begleitet und gegen ihre Erkenntnis abschirmt? Bezeichnet er nicht aufs genaueste die Umkehr? Das Bekenntnis des Namens ist die Nachfolge.
    Der logos konstituiert sich durch die Übernahme der Sünde der Welt (hier gewinnt die Sprache ihre benennende Kraft zurück). Das aber ist im homologein mit eingeschlossen.
    Die Naturwissenschaften sind undialogisch; ihr Existenzgrund sind die Köpfe der Einsamen. Sie hängen zusammen mit dem, was Levinas die Asymmetrie der dialogischen Verhältnisses genannt hat.
    Wer die transzendentallogische Isolationshaft, in der wir alle gefangen sind, sprengen will, muß den Ursprung des Naturbegriffs in die kritische Reflexion mit aufnehmen.
    Was haben die Engel mit der Schrift zu tun, und wie sind sie in die Astronomie hineingekommen?
    Zu Crüsemann: Hat er Angst vor der kritischen Reflexion der politischen Institutionen: Es gibt in der Bibel schließlich ein Buch der Richter, dessen zentrales Thema der Ursprung des Richtens in der Geschichte der Gewalt ist? Wenn er vom Begriff des geschriebenen Rechts ausgeht, setzt er als Prämisse, was vom Ursprung her erst zu bestimmen wäre: den Zusammenhang von Recht, Gewalt und Schrift (in dem der Gesetzesbegriff sich erst bildet).

  • 06.07.93

    Gründet nicht jede Verführung in der Täuschung über den Zweck oder das Ziel einer Handlung, und betrifft der Hegelsche Begriff der List nicht präzise einen Zustand, der durch eine eingebaute Verführungsautomatik (durch die „List der Vernunft“) sich definieren läßt (Systemgrund des Inertialsystems und des Kapitalismus: das Trägheitsprinzip und die Lohnarbeit)? – Vergegenständlichung der Verführung in den Naturwissenschaften (Begriff des Schuldzusammenhangs). Gründet nicht die Kritik der Teleologie und die Etablierung des Kausalprinzips (Trennung von Freiheit und Natur, die durch das liberum arbitrium und die Ausbildung der Raumvorstellung unkenntlich gemacht worden ist) in diesem Sachverhalt, und sind nicht alle Herrschaftsstrukturen Verführungsstrukturen (mit der Grundlage jeglicher Verführung in der Verwirrung)? In der Instrumentalisierung vollendet sich die Verführung (biblischer Begriff des Staubs: die staubfressende Schlange), wird sie zugleich unaufhebbar und undurchschaubar.
    Kant, der die Autonomie und den Grundsatz, daß man Menschen niemals nur als Mittel, sondern immer zugleich auch als Zweck ansehen müsse, ins Zentrum seiner Philosophie gestellt hatte, hätte den hegelschen Begriff einer „List der Vernunft“, der die Menschheit zum Material der Weltgeschichte macht, niemals akzeptiert. Aber schließt nicht der kantische Begriff der Autonomie, so gesehen, die Gottesfurcht und die emphatische Idee der Auferstehung der Toten, die Idee einer Sprengung des Naturbegriffs, mit ein?
    Ist der Hinweis Jesu, daß dem Opfer die Versöhnung mit dem Bruder vorauszugehen habe, nicht eine Hilfe und ein Schutz gegen die Vorstellung des Sühneopfers, gegen das projektive Element in der traditionellen Opfervorstellung?
    Zur Kritik der Wirtschaftswissenschaften: Die Beschränkung der Wirtschaftswissenschaften auf den instrumentalen Aspekt, deren Modell die Naturwissenschaften sind, reduziert die Realität auf den Blickwinkel des Eigeninteresses, verdrängt die Kehrseite der Medaille: die Verachtung der Armen und den Fremdenhaß.
    Die Theologie wird erst dann vom Bann befreit, wenn sie die Aktualität der (christologisch verdrängten) Prophetie zurückgewinnt.
    Der Schrecken Isaaks und der Schrecken um und um (Jer): Unterscheiden sich nicht Philosophie und Prophetie dadurch, daß die Philosophie versucht hat, aus der Objektseite dieses Schreckens (des „Schicksals“) herauszutreten und sich zu seinem Subjekt hat machen wollen (Ursprung des Weltbegriffs), während die Prophetie auf der Objektseite verharrt, dem Schrecken (der Gottesfurcht) standzuhalten trachtet.
    Bezeichnet das Symbolon nicht die Bruchstelle, an der sich der Weltzustand auf die Erlösung (die Erde auf den „Himmel“) bezieht, und läßt sich diese Bruchstelle heute nicht erstmals näher bestimmen als Todesgrenze (Grenze der Gegenwart zur Vergangenheit)? Ist diese Todesgrenze nicht (ähnlich wie im Stern der Erlösung das Nichts) als dreifache Grenze zu bestimmen:
    – Der Raum oder das Inertialsystem,
    – das Geld und der Klassenkampf als logische Kategorie sowie
    – der Begriff, das Bekenntnis oder die hegelsche Logik,
    als Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang.
    Der Kelch von Gethsemane: ist das nicht die Übernahme der Schuld der Welt? Und ist das nicht der gleiche Kelch, zu dem Jesus die Jünger zunächst fragt, ob sie ihn werden trinken können, dann aber sofort bestätigend anfügt, daß sie ihn trinken werden.
    Theodor Haecker: Tag- und Nachtbücher:
    – Die Revolution, die das Christentum gebracht hat, ist die des Wie. (S. 17) Dazu: Gottes Offenbarung ist eine Revolution der Mittel, die der Mensch anwenden soll, um zum Heil zu kommen. (S. 21)
    – Bemerkenswerter Hinweis auf die – heute fast irreversibel um sich greifende – falsche Sprachwendung „Sich irren“. Man kann „sich täuschen“ (oder sich schämen und sich verirren) und man kann irren, aber man kann nicht „sich irren“. (S. 25) Wer sagt: ich habe mich geirrt, wählt den schuldneutralen, exkulpierenden Ausdruck (Grund für Heideggers Satz „Wer groß denkt, muß groß irren“?). Das „Sich täuschen“ macht die mangelnde Einsicht zur einer selbst zu verantwortenden Tat (und ist die Grundlage der kantischen „selbstverschuldeten Unmündigkeit“, zu der es im Deutschen keine Alternative gibt). Das Sich Irren hingegen ist Ausdruck einer Ich-Fremdheit, die das Ich selber (als transzendentales Subjekt) als Moment im allgemeinen Schuldzusammenhang erkennt. Wo Gewalt in Wissenschaft und Politik aus immanenten logischen Gründen die Logik zerstört, ist das transzendentale Subjekt nicht mehr zu halten: da kann „ich mich irren“ (weil es ein Ich, das sich täuschen könnte, nicht mehr gibt, sondern nur noch vergesellschaftete, subjektlose Subjekte)! Nirgend ist die unaufgearbeitete Vergangenheit deutlicher zu erkennen als in solchen sprachlichen Konstrukten. -Aber kann die Wendung „Ich habe mich geirrt“ nicht auch bedeuten, daß heute vom Irrtum das aktive, schuldhafte Moment, das Moment der Zurechenbarkeit, nicht mehr wegzuwischen ist? Es gibt für den Irrtum wie für alle anderen -tümer (Christen-, Heiden-, Juden-, Volks-, Reichtum) keine Entschuldigung mehr. Das alles sind Irrtümer, die zum Bereich der kantischen „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ gehören und nicht mehr exkulpationsfähig sind. Die Möglichkeit, Schuld durch Naturalisierung abzuwälzen, hat ihre Grenze erreicht. Die Unschuldsfalle ist zugeschnappt (das Substantiv ist der Greuel am heiligen Ort).
    – Nach Theodor Haecker ist Deutschland das Land, in dem Lächerlichkeit nicht tötet, sondern nur stur macht. (S. 32) Deutlicher kann man die Wirkungslosigkeit des Kabaretts in D. nicht bezeichnen. Aber wo liegt der Grund dieses Phänomens?
    – Die rechte Unterscheidung zwischen echter Schuld und Nichtschuld ist eine große und unumgängliche Aufgabe der Zukunft. Das Ausgeben von Naturnotwendigkeiten für Schuld kann soviel Unheil anrichten wie das umgekehrte Ausgeben und kann zu Leugnung von Schuld überhaupt führen. Man muß einräumen, daß wir in einer großen Unwissenheit und Unsicherheit leben. (S. 33, Hervorhebung H.H.)
    – Propaganda: Die Dinge dieser Welt können trotz einer ungeheuren Belastung mit Lügen erstaunlich lange Zeit weiterlaufen, ohne zusammenzubrechen, ja sie scheinen gestärkt zu werden. Das ist unheimlich und eine große Versuchung für den Geist, an der entscheidenden Bedeutung der Wahrheit für das Geschehen in der Welt zu zweifeln. Aber es ist doch nur eine Versuchung: im Innersten des Geistes ist eine Gewißheit, daß die Lüge einen Menschen und also auch ein Volk vernichtet. (S. 43)
    – Was einem am kältesten ans Herz greift, ist der geistige Zustand und das Gebaren der deutschen Richter. Sie verurteilen einen Menschen, der einem Polen ein Glas Bier bezahlt hat, zu Gefängnis. Das ist furchtbar. (ebd.)
    – Die deutsche Herrgott-Religion (S. 47 u.ö.).
    – Der Zustand dieser Welt ist ohne das Böse, und zwar dessen Macht, gar nicht zu verstehen. (S. 53)
    – Die Religion des deutschen Herrgotts ist die Religion des steinernen Herzens. (S. 55)
    – Die Deutschen werden nicht durch Menschenkraft besiegt werden, Sie sind das stärkste und furchtbarste Volk der Erde. Sie werden von Gott selber besiegt werden, ach, wahrscheinlich ohne es zu merken. (S. 73)
    – Der „Terror“ ist eine Erfindung abgefallener Geister. (S. 103)
    – So würde ich im Augenblick ganz gerne wissen, wann eigentlich zum erstenmal die „Geschichte“ als richtende Gottheit angerufen wurde. … Ehe es soweit kommen konnte, mußte etwas passiert sein. Was war das? (S. 137)

  • 29.04.93

    Anders II, Anm. 5 zu S.46: Diejenigen Tiere, die nur konsumieren, also noch nichts aufspeichern (es sei denn am eigenen Leibe), kennen weder Dauer noch Gegenstand noch Eigentum. Die drei bilden ein kategoriales System.
    Das Fernsehen arrondiert zur zweiten Natur durch die logisch geforderte zweite Welt (vgl. Anders II, S. 54). Diese zweite Welt ist eine, in der wir als Objekte den Schein, Subjekt zu sein, frei Haus geliefert bekommen und genießen; dieser Schein ist selber naturwüchsig gewachsen im Nachbarschaftstratsch, der durchs Fernsehen auf die reale Welt ausgedehnt wird.
    Das moralische Subjekt hat keine Erlebnisse, sondern Erfahrungen. Erlebnisse hat nur das ästhetische Subjekt: der Zuschauer. Die Berufserfahrungen verweisen darauf, daß Erfahrungen Praxis voraussetzen, während Erlebnisse nur im Geltungsbereich des Trägheitsprinzips möglich sind. Die Lohnarbeit und das Experiment (der Kapitalismus und die naturwissenschaftliche Aufklärung) vermischen Erlebnis und Erfahrung, begründen den Schein einer moralisch neutralisierten Praxis (und Erfahrung).
    Waren die „Fälschungen“ des Mittelalters nicht schon angelegt in jener Art des Positivismus, die erstmals im Dogma, ausgeführt bei Augustinus (u.a. in dem ad litteram im Titel De genesi ad litteram), erscheint? Die mittelalterlichen Fälschungen gehören in die Vorgeschichte des Nominalismus: In ihnen enthüllt sich der Realismus als Machtinstrument, als experimentelle Nutzung der „verandernden Kraft des Seins“. Die Fälschungen fallen in die gleiche Zeit, in der kirchliche Machtpolitik in Institutionen wie die Lehre vom Fegfeuer, im Zölibat und in der Einführung der Ohrenbeichte (dem Mißbrauch der Lösungsvollmacht der Kirche) sich manifestiert. Aber auch hierfür gilt das „bona fide“ mit dem Johannes Paul II zusammen mit der „Rehabilitierung“ Galileis auch die Inquisition, die ebenfalls in den Kontext der Fälschungsgeschichte hereingehört, freigesprochen hat. Ohne Fälschung waren auch schon das Urschisma (die Ablösung der Kirche vom Judentum) und die Urhäresie (die Gnosis) nicht zu bewältigen. In die Folgegeschichte der Fälschungen gehören das Chronologie-Problem (in der Erd- wie in der Menschheitsgeschichte), insbesondere das altorientalische Sumerer-Problem, aber auch der Antisemitismus (die Grundfälschung überhaupt) und der Faschismus und die Hilflosigkeit gegen ihn, sowie heute eine Struktur von Politik und Öffentlichkeit, die ohne Geheimdienste und ohne aktive Desorientierung der Öffentlichkeit nicht mehr zu funktionieren scheint. FBI und KGB bzw. Stasi und Verfassungschutz sind Produkte unseres Jahrhunderts und Symptome eines Zustands der Welt, der in der christlichen Vorgeschichte (in der Geschichte der Pornokratie, der Fälschungen und der Pornographie) sich herausgebildet hat, und gegen die die bloß moralische Betrachtung („Kriminalgeschichte des Christentums“) ohnmächtig bleibt, durch den in dieser Geschichte erwachsenen Mangel an Reflexionsfähigkeit im Entscheidenden, nämlich im Gegenwartsbezug, in der Fähigkeit zur Selbstverständigung der Gegenwart, gehindert wird, mit ihm den Begriff einer Erkenntnis, die ihrem Anspruch gerecht werden könnte, verdrängt.
    Der Nominalismus hat das realistische Moment in der Begriffsbildung soweit subjektiviert, daß es nicht mehr reflektierbar war.
    Mt 529ff, 188f, Mk 943ff: „Wenn dich deine Hand, den Fuß, dein Auge zum Bösen verführt, so hau sie ab, reiß es aus. Es ist besser …“ Rätselhafter Spruch (hat dieses Auge etwas mit dem Augapfel zu tun, an den rührt, wer Israel angreift?).
    Die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, rührt her von der Verblendung gegen die Gegenwart (Subsumtion der Vergangenheit unter die Zukunft). Und ist das „und so viel Vieh“ nicht ein Deckname für Behemot? Auf den Aufruf des Königs hin haben in Ninive außer den Menschen auch die „Tiere: Rinder, Schafe, Ziegen“ Buße getan: Sie sollten „nichts essen, nicht weiden, nicht trinken“.
    Die zukünftige Welt ist vergangen: so ist sie der eigentliche terminus ad quem der Erinnerungsarbeit.

  • 10.04.93

    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist identisch mit der Unterwerfung des Oberen unter das Untere. Hinsichtlich der Natur wird das begründet und stabilisiert durch die Vorstellung des unendlichen Raumes, Grundlage und Folge der kopernikanischen Theorie und seiner dynamischen Begründung durch Newtons Gravitationsgesetz. Gleichzeitig wurde das Gesamtproblem in das der Identität von träger und schwerer Masse verlagert.
    Im Kern der jüdisch-christlichen Tradition steht mit der Idee der Umkehr ein Begriff mit durchaus räumlicher Metaphorik, mit räumlichen Konnotationen.
    Ist Jesus in Jerusalem oder in Galiläa in den Himmel aufgefahren?
    Sind die Blätter und ist das Gras hinter meinem Rücken auch grün?
    Woher haben die Tierkreiszeichen ihre Namen?
    Wenn man bei der Lorentz-Transformation die Bewegungsrichtung von der Gegenrichtugnng unterscheiden muß, so berührt das auch die Reversibilität der Richtungen im Raum, ihre Beziehung zu den anderen Richtungen und zur Zeit. Verdeckt die Vorstellung einer homogenen Zeit nicht die differenzierte Beziehung des Raumes zur Zeit, mit der auch die Dreidimensionalität des Raumes zusammenzuhängen scheint?
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes begründet auch das Prinzip der Lohnarbeit, den transzendentallogischen Grund des Kapitalismus.
    Steckt nicht in den Wahnsinns-Experimenten der Atomphysik, der Elementarteilchen-Forschung und der Weltraumforschung auch ein Legitimationsbedürfnis des Staates, ein Beweiszwang, dessen Gewalt daher rührt, weil anders, ohne die ideologische Funktion der Naturwissenschaften, auch der Staat nicht mehr zu begründen ist. Dieses Legitimationsbedürfnis galt für den „real existierenden Sozialismus“ ebenso wie er weiterhin für den Marktwirtschafts-Staat gilt.
    „Da gingen ihnen die Augen auf.“ – Dieser Satz erscheint zweimal, in der Geschichte vom Sündenfall und in der Geschichte von der ersten Begegnung des Auferstandenen mit zweien seiner Jünger (in der Emmaus-Geschichte). Ist das nicht die ungeheure Leistung der Augen, daß sie die Dinge restlos auf den Kopf stellen: Sind nicht die Spuren dieses Verfahrens die sinnlichen Qualitäten?
    Daß mit der Reformation die häresienbildende Kraft verschwindet, scheint damit zusammenzuhängen, daß die Geschichte von Orthodoxie und Häresie in sich selber dialektisch ist: Mit der Verdrängung (und Verinnerlichung) der Probleme, auf die die Häresien objektiv verweisen, ist der Orthodoxie selber eine anwachsende häretische Masse zugewachsen, deren dogmatische Identität nicht mehr sicherzustellen ist außer durch Dekret, und die den Keim der Spaltung (in zwei selber häretische Gestalten der Orthodoxie) in sich trägt: ein perfektes System projektiver Selbstbestätigung, mit der Kraft des Weltbegriffs im Zentrum. Der Konfessionsstreit ist auf der Ebene, auf der er ausgetragen wird, nicht mehr lösbar; er ist nur noch ein Mittel der außer Kontrolle geratenen Selbstghettoisiserung (Folgen für die Geschichte des kirchlichen Antijudaismus?). – Aber vollzieht sich dieser Prozeß nicht in Phasen:
    – von der Zeit der Kirchenväter und der Dogmenbildung bis zur Entstehung des Islam und der Trennung der orthodoxen von der katholischen Kirche,
    – von der Scholastik (und der Reorganisation der westlichen Kirche) bis zur Reformation und
    – von der Konfessionsbildung (Verinnerlichung des häretischen Prinzips in den Neo-Orthodoxien) bis zum Faschismus.
    Ist das Moment der Trunkenheit in der Philosophie (und in den Grundlagen der Zivilisation) nicht in der Selbstreferenz begründet, die aus dem projektiven Moment im Natur- und Materie-Begriff stammt?
    Wenn Christen die Juden Hebräer nennen, begeben sie sich dann nicht in eine Front mit den Ägyptern und Philistern?
    Der dogmatische Umgang mit der Schrift wird seit je als Alibi mißbraucht, per Dekret in die Schrift hineinzuregieren. Dieser Gefahr ist, wie mir scheint, J.B.Metz nicht ganz entgangen. Hier käme es darauf an, wieder hören zu lernen. Das ist gemeint im evangelischen Rat des „Gehorsams“.

  • 18.03.93

    Nach Raymond Bogaert „Grundzüge des Bankwesens im alten Griechenland“ wurden Eingänge (Einzahlungen) im Genitiv, Ausgänge (Auszahlungen, Kredite) im Dativ bezeichnet (S. 11). Kann es sein, daß Genitiv und Dativ Links und Rechts (die Seiten) bedeuten? Und sind Genitiv und Dativ die sprachlichen Repräsentanten des Tauschs? Die Banken verwalten das Tauschprinzip wie die Planeten das Inertialsystem.
    Die Anschauung abstrahiert von der eigenen Verstrickung ins Angeschaute; das Produkt dieser Abstraktion ist die Form des Raumes. Und sie überantwortet damit das Angeschaute den Gesetzen der Projektion (Barbaren, Natur, Materie).
    Die ersten Privatbanken sind von Sklaven gegründet worden, generell liegt ihr Ursprung im Bereich des Opferwesens und der Tempelwirtschaft. Das Bankenwesen ein Begleitinstitut der Lohnarbeit, die den Systemcharakter des Geldes begründet? Die Bankentürme in der Skyline Frankfurts stehen in der Tradition des Turms von Babel.
    Die Tradition des Opfers und ihre Verinnerlichung in der dogmatischen Theologie gehören zu den Fundamenten des Bankenwesens.
    Die Instrumentalisierung des Opfers macht sich gemein mit dem Mord und leugnet das Antlitz (Kruzifix und Münze).
    Sein, Haben und Werden, das sind die objektiven, naturhaften (den Naturbegriff begründenden) Hilfszeitverben. Ist nicht das Sein die veranderte Gegenwart, das Haben und das Werden die zukünftige Vergangenheit und vergangene Zukunft? Vergleiche die beiden Bildungen „Ich werde gehabt haben“ und „Ich werde geworden sein“ (aktives und passives Futur II).
    Wann sagte Jesus: Bei Gott ist kein Ding unmöglich? Mt 1926, Mk 1027 und Lk 1827: Nach dem Wort über den Reichen, das Kamel und das Nadelöhr.
    Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Im Sechstagewerk nutzt er dann den Himmel als Namen für die Feste, die die Wasser oben von den Wassern unten scheidet, und die Erde zur Hervorbringung der Pflanzen und Tiere. Die Finsternis über dem Abgrund nennt er nach der Erschaffung des Lichts Nacht, und die Wasser, über denen der Geist Gottes schwebt, trennt er durch das Firmament (Schuld und Segen).
    Wer das Leben aus den Leiden und Taten der Atome und Moleküle herleiten will, verhält sich ähnlich wie der, der das Wachsen der Bäume aus dem darin investierten Kapital herleitet.
    Die Merkaba ist sprachlichen Wesens, und wer sie entschlüsselt, begreift den Ezechiel.
    Zu dem Siebengestirn Cohen, Rosenzweig, Bloch, Benjamin, Lukacs, Horkheimer und Adorno den Orion finden. (Vgl. Hi 3831, auch 99 und Am 58)
    Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sind die Bedingungen der Möglichkeit sowohl der dinglichen, körperlichen Existenz: der Vergangenheit der Dinge, als auch des Feuers: der dinglichen Gegenwart der Zukunft (entsprechen der Vergangenheit in Ding und Raum die Zukunft in Feuer und Licht?).

  • 06.11.92

    Für Sodom und gegen die Engel Jahwes: Sind es nicht die gleichen (nur jetzt zwei anstatt vorher drei) „Männer“, die von Abraham mit großer Gastfreundschaft aufgenommen wurden, den Bund mit ihm schlossen und ihm den Erben und die zahlreiche Nachkommenschaft ankündigten?
    Jericho und Sodom haben mit dem Stammbaum Jesu zu tun, und zwar beide über Frauen, über Rahab und Ruth (die als Moabiterin an die Lot-Geschichte erinnert). Aus Gibea stammt der erste König Israels, Saul; sein Namens-Nachfahre, Saulus/ Paulus, war ein Benjaminiter.
    Sind der neue Himmel und die neue Erde die alten nach ihrer Befreiung von der Welt?
    Die Fremdenfeindschaft, die Xenophobie, ist der Preis für die Zivilisation, und jede Fremdenfeindschaft ist im Kern antisemitisch (inverse Identität von Hebräern und Barbaren).
    Der systematische Quellpunkt des Stern der Erlösung hat etwas mit dem systematischen Kern der Kritik der reinen Vernunft zu tun: er entspringt dem Problem der Ableitung der Dreidimensionalität des Raumes, das bei Kant im Zusammenhang mit der Benennung der drei Strukturelemente der Zeit: Dauer, Folge und Zugleichsein, anklingt. Das transzendentallogische Kausalitätsprinzip, die Verknüpfung von Ursache und Wirkung, erinnert nicht zufällig an das theologische Verhältnis von Sünde und Schuld.
    Der christlogische Naturbegriff, die Vergöttlichung des Opfers, ist das zentrale Element der Nachfolgevermeidungsstrategie, die er durch die Nutzung des Privilegs der Opfer, durch die theologische Honorierung des Selbstmitleids (Grund der christlichen Seelenvorstellung), fast unaufhebbar in das Bewußtsein der Zivilisierten eingesenkt hat. Diese Beziehung zum Opfer macht den durch den Weltbegriff abgesicherten Objektbegriff, Grund des verdinglichten Bewußtseins, fast unangreifbar.
    Daß das neutestamentliche Lösen sich auf einen Knoten bezieht, der nicht nur geknüpft, sondern zusätzlich auch noch durchschlagen wurde (Alexander und der gordische Knoten), macht die Sache so ungeheuer schwierig. Das Schwert, mit dem dieser Knoten durchschlagen wurde, war das Schwert des Urteils, des Begriffs, abgeschirmt durch die zugleich entspringende Gewalt des Weltbegriffs, begründet in dem bis heute unaufgeklärten Konnex von Kosmologie und Herrschaft (Alexander war Aristoteles-Schüler); und was hier durchschlagen wird, ist die benennende Kraft der Sprache, die Gewalt des Namens: ihre Neutralisierung durch die Trennung von Begriff und Objekt. Erst der durchschlagene Knoten hat das Herrendenken von seinen vorweltlichen („asiatischen“) Verstrickungen befreit, um den Preis der Verinnerlichung des Schicksals, Erbe der griechischen Philosophie seitdem. Hegels Philosophie ist die gewaltige Rekonstruktion dieses Knotens, allerdings nicht seine Lösung. Denkmal der Durchschlagung des Knotens ist neben dem Geld die Geometrie (seit der griechischen „Entdeckung“ des Winkels), in der Moderne erweitert durch das systembegründende Inertialsystem und die Infinitesimalrechnung, und durch das Prinzip der Lohnarbeit (die Inertialisierung des Tauschkontinuums: gesellschaftlicher Grund des naturwissenschaftlichen Materiebegriffs).
    Indem Kant alle Erkenntnis an die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere an die der äußeren Anschauung, bindet, verhindert er selber die Erkenntnis der Dinge an sich, zugleich aber benennt er damit auch das Hindernis, das der Erkenntnis der Dinge an sich seitdem im Wege steht. Von diesem „Hindernis“ macht das moderne Bewußtsein einen ebenso unverschämten wie selbstmörderischen Gebrauch (Zusammenhang mit der Funktion des Weltbegriffs).
    Bezieht sich das Orakel über den gordischen Knoten auf die Herrschaft über Asien? Was bedeutet dann hier der Name Asien (ist er gleichbedeutend mit dem Namen Orient)? Was immer Kaiser Wilhelm, Max Horkheimer und Erich Nolte sonst unterscheiden mag, eines war ihnen gemeinsam: die Angst vor der „asiatischen Gefahr“. Wie hängt das zusammen mit den asiatischen Gestalten des Mythos und der Offenbarung bei Rosenzweig: mit Indien, China und dem Islam? Und wie hängt das auf der anderen Seite zusammen mit der ungelösten Frage der „indogermanischen Sprachen“ (deren innergrammatische Herrschaftsstruktur Indien und Europa in eine gemeinsame Beziehung gegen die „altorientalische“ Geschichte und Kultur rückt)?

  • 31.10.92

    Ähnlich wie die mathematische Naturwissenschaft zum Sternendienst und der Weltbegriff zur Idolatrie verhält sich das Opfer zur kapitalismusbegründenden Institution der Lohnarbeit, der Subsumtion der Arbeitskraft unters Tauschprinzip. Hier liegt der Grund für Benjamins Wort vom Kapitalismus als Opfer ohne Dogma. Der Begriff der Verweltlichung der Welt bezieht sich auf die fortschreitende Durchsetzung der Systemprinzipien: des Trägheits- und des Tauschprinzips, die aufs genaueste das fundamentum in re des Hegelschen Postulats bezeichnen, daß „das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“ sei (Phänomenologie des Geistes, stw, S. 23).
    Im Begriff der Welt konstituiert sich das Anderssein als Substanz, überlebt der Tod das Leben.
    Es wäre wichtig, Affirmation und Kritik der Idolatrie, des Sternendienstes und des Opfers in der Konstruktion des Hegelschen Systems aufzuzeigen.
    Die gegenwärtige Weltphase ist eine Phase der Beschleunigung des Vergessens.
    Physik und Ökonomie (Inertialsystem und Geld, Trägheitsprinzip und Tauschprinzip): Was ist (beim Gordischen Knoten) Joch und was ist Deichsel? Was am Gordischen Knoten durchschlagen wird, ist erkennbar an seinem Produkt: die endgültige Definition der Grenze der Zivilisierten zu den Barbaren; hier entspringen der Weltbegriff und der Säkularisationsprozeß, und hier stabilisiert sich ein Bewußtsein, das dann ohne den Materiebegriff nicht mehr auskommt. Die Grenze zu den Barbaren, zum Begriff der Materie oder des Objekts, bezeichnet präzise die Schnittstelle, an der der Knoten durchschlagen wurde.
    Von den drei Totalitätsbegriffen der transzendentalen Logik: Wissen, Natur und Welt, die dann in der Abfolge der Systeme des deutschen Idealismus abgearbeitet wurden, erscheinen zwei im Stern der Erlösung unter anderem Namen, nämlich das Wissen als Mensch und die Natur als Gott. Nach der Umkehr, in der sie wechselseitig aufeinander sich beziehen, werden aus den drei Totalitätsbegriffen die theologischen Begriffe Schöpfung, Offenbarung und Erlösung. Aber gleichzeitig erscheinen Wissen, Natur und Welt auch in systematischer Funktion: als Nichtwissen, aus dem die Naturen von Mensch Welt Gott hervorgehen, die dann unterm Bann des Weltbegriffs zunächst jedes in isolierter Verschlossenheit, ohne Reflexion im anderen, in Erscheinung treten.
    Zu Gog und Magog: Die Gargarenser (Gogarener), die nach Ranke-Graves mit dem Volk Gog bei Ezechiel identisch sind, sind der den Amazonen zugeordnete Männerstamm: Sind das nicht die freien Männerhorden, die nach Heinsohn die Privateigentumsgesellschaft: den Staat, begründen?
    Wenn Haman ein Agagiter (Amalekiter) ist und gleichzeitig der erste Antisemit und der Erfinder der Endlösung, welche Bedeutung haben dann Ahasveros, Esther und Mordechai?
    Mit der Implantierung des Unschuldstriebs (hervorgegangen aus der falschen Übersetzung des Joh 129) ist das Christentum vollends böse geworden. Der Unschuldstrieb ist nämlich nur zu halten über die Dynamik von Exkulpation, Rechtfertigung und Projektion: den Fremdenhaß (Sodom vor der Zerstörung). Das Schuldverschubsystem kommt ohne Sündenböcke nicht aus.
    Zur Geschichte und Kritik des Nominalismus: Es gibt keinen Begriff der Wahrheit ohne die Fähigkeit zur Schuldreflexion. Wer das leugnet, verfällt zwangsläufig der Eigendynamik des Schuldverschubsystems, die in Xenophobie und Antisemitismus endet.
    Der Weltbegriff definiert und stabilisiert die dem jeweiligen Stand der Entwicklung angemessene Gestalt des Schuldverschubsystems und macht sie zugleich unsichtbar.
    Zur Korrektur der Metzschen politischen Theologie: Das Votum für die Armen bezeichnet nur eine Seite der Prophetie; dazu gehört die andere: das Votum für die Fremden, das anhand der für das gegenwärtige Weltverständnis zentralen Geschichten Jerichos und Sodoms zu bestimmen wäre.
    Daß die unreinen Geister in Jesus den Sohn Gottes erkennen, findet sein spätes Echo in den Grab- und Friedhofsschändungen der Rechten: Sie sind die letzten, die an die Auferstehung der Toten glauben und daran (gegen diesen Glauben) ihren Mut beweisen wollen.
    Im Angesicht Gottes und nicht hinter seinem Rücken, das heißt auch: Sich unter das Wort stellen, und nicht sich darüber erheben: d.h. die Prophetie bloß zu apologetischen Zwecken, als Steinbruch fürs Dogma, benutzen.
    Die Moral als Maßstab des Urteils fällt unter das Gesetz des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen, es gehört zur Geschichte des Sündenfalls, der Verweltlichung der Moral. Zu explizieren an der Sexualmoral, deren politische (prophetische) Bedeutung neutralisiert wird durch die Urteilsbeziehung im Kontext einer kasuistischen Moral. Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer unrecht“ verweist auf den Bereich, in dem Moral allein sich begründen läßt: nämlich als Richtschnur des (eigenen) Handelns, während das Urteilen (das Richten) Gott vorbehalten ist. Politisch aber wird die Sexualmoral in seiner Beziehung zu der anderen Seite des Sündenfalls, zum „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren, und sie schämten sich“, in seiner Beziehung zu dieser Scham, die den gleichen geschichtlichen Index hat wie die Politik. Verletzt wird diese Scham durchs Obszöne, dessen Begriff eher auf Kriege, auf Knäste, auf die Existenz der Armut, auf Fremdenfeindschaft und Antisemitismus (bezeichnend, daß das sodomitische Modell der Fremdenfeindschaft in der Geschichte Sexualmoral auf den Verkehr mit Tieren bezogen worden ist: war das „Sexualobjekt“ der Leviathan?), aber auch auf staatliche Institutionen wie den Staatsanwalt und die Polizei sich beziehen läßt, als auf den unmittelbaren sexuellen Bereich.
    Bezieht sich das Jesuswort: „ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“, auf das „kreisende Flammenschwert“, dessen Erkenntnis in der Geschichte der Astronomie, zuletzt im kopernikanischen System, sich vorbereitet? Und hängt das, was im zweiten Schöpfungsbericht als „kreisendes Flammenschwert“ benannt wird, mit dem, was dem Produkt des zweiten Tages im ersten Schöpfungsbericht: der Feste zwischen den Wassern, die Gott dann Himmel, schamajim, nennt, zusammen?
    Von der Nachkommenschaft Abrahams heißt es, sie werde zahlreich sein wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer. Hängen diese Sterne und dieser Sand zusammen wie der Himmel und das Meer? Sind nicht die Sterne und der Sand (der „Staub“ des Fluches über die Schlange und über Adam nach dem Sündenfall, aber auch die „Wüste“) die ersten Objekte des historischen Objektivationsprozesses (kopernikanisches System und Relativitätsprinzip, Inertialsystem und die newtonsche dynamische Begründung des kopernikanischen Systems, Ursprung des Materiebegriffs)? Und sind diese Sterne und dieser Sand nicht auch ein anderer Name für die „Enden der Welt“: die Grenzen des „Missions-“ und Taufauftrags? Aber am Ende wird das Meer nicht mehr sein, und der Himmel wird sich aufrollen wie eine Buchrolle.
    In Hegels Philosophie kommt wohl der Begriff des Anderen, nicht aber der des Fremden vor.
    Hängt auch das mit dem Verhältnis von Sünde und Schuld (Ps 10914) zusammen, daß die Propheten vom Mutterleibe an berufen sind, Jesus aber vom Vater gezeugt ist, er zugleich die „Sünden der Welt auf sich nimmt“ und den Willen des Vaters tut?

  • 22.10.92

    Die thomistische Unterscheidung von Natur und Übernatur ist durch den Weltbegriff vermittelt, ein Versuch, im Begriff der Übernatur den Bann des Weltbegriffs zu brechen (vgl. Metz, S. 84). Reicht der Begriff der Übernatur noch, nachdem der Naturbegriff das christliche Erbe als restlos säkularisiertes ganz in sich aufgenommen hat?
    Das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ enthält die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit. Erschreckend bei Metz die Verwerfung der Erinnerungsarbeit (gegen Heidegger und Hegel), die aber zusammenpaßt mit dem Akzeptieren (der „Annahme“) der Welt.
    Metz, S. 90: Die „Metaphysik“, das Jenseits der Physik, ist die Welt.
    Jean Amerys Frage „Wie natürlich ist der Tod“ sagt mehr über den Begriff der Natur als über den Tod. Natur ist das Diesseits der Todesgrenze, die durch die Welt definiert, „gezogen“ wird. Und das ist das Entsetzliche am Selbstmord: die Kapitulation vor der Welt.
    Die drei Momente der Zeit, aus denen Kant die Dreidimensionalität des Raumes abzuleiten versucht hat: Dauer, Folge und Zugleichsein, sind ein innerzeitlicher Reflex des Inertialsystems: der Systembeziehung von Materie (Dauer), Zeit (Folge) und Raum (Zugleichsein), die dann in den apriorischen Kategorien Substanz, Kausalität und Wechselwirkung sich niederschlagen.
    Der Weltkonformismus der christlichen Theologie (die Lehre von der bereits geschehenen Erlösung der Welt durch den Kreuzestod Jesu) ist Ausdruck objektiver Verzweiflung.
    Gottessohnschaft als double-bind: Imgrunde glaubt niemand mehr daran, denn wenn sie daran glaubten, wäre das Bekenntnis dazu nicht mehr notwendig, das zu dem Glauben nichts hinzufügt. Das Bekenntnis ist nur notwendig, um durch kollektive Absicherung den eigenen Unglauben zu verdrängen (Modell der Todesgrenze in der Religion).
    Überzeugen ist unfruchtbar, Überreden ist Mord. Beide stehen unter dem Zwangsgesetz des Exkulpationstriebs, in dem die Erbschuld sich fortpflanzt. Dieser Exkulpationstrieb ist begründet in der Weigerung, die Sünden der Welt zu übernehmen, in der Nachfolge-Verweigerung. So tief reicht der Satz aus den Soziologischen Exkursen: Ideologie ist Rechtfertigung.
    Hängen die Ideen von der Unbefleckten Empfängnis und von der Virginitas mit dem Satz aus dem Psalm (10914) von der Schuld der Väter und der Sünde der Mutter zusammen? Und ist das nicht der Hintergrund für die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen nach der Märtyrerzeit in Confessores und Virgines? Sind die Adam und Eva-Geschichten nicht Varianten dieses Psalmenworts, bis hin zum Fluch nach dem Sündenfall? Und wie verhält sich dieses Psalmenwort zum vierten Gebot? Und ist vor diesem Hintergrund das Täuferwort nicht doch genau zu übersetzen: mit „Sünden der Welt“ (in denen die Schuld der Väter gründet)?
    Kapitalismus als Opfer ohne Lehre: Die Sünde der Welt: ist das nicht die Erinnerung an die Sünde der Mutter (Ps 10914), an das Matriarchat?
    Zu Schuld und Sünde (zu Ps 10914):
    – Ps 517: Siehe, in Schuld bin ich geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.
    – 5111: Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden und tilge alle meine Schuld.
    – Jes 1218: Wehe denen, die Schuld herbeiziehen mit Seilen des Nichts, und die Sünde wie mit Wagenseilen. (Verhältnis von Welt und Natur?)
    – 279: … die Hinwegnahme seiner Sünde.
    – 5311: Und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen.
    – Die Schuld ist groß, die Sünden sind zahlreich (Jer 3015).
    – Hos 48: Die Sünde meines Volkes essen sie, nach ihrer Schuld verlangen sie.
    – 99: Er wird an ihre Schuld denken, wird ihre Sünde heimsuchen.
    Erst das Recht und der Begriff bringen Sünde und Schuld in jene systembegründende und verdinglichende Kausalbeziehung, aus der sie ebenso zu lösen sind wie aus der Bekenntnislogik, dem Inertialsystem und der Lohnarbeit, wenn man Theologie im Angesicht Gottes treiben will (vgl. das Verhältnis von Schuld und Sünde in Ps 10914). Hier ist der Grund bezeichnet, weshalb der Sündenfall mit der Erkenntnis des Guten und Bösen beginnt, und weshalb seitdem moralische Urteile (und mit ihnen das Geschwätz, hierarchische Herrschafts- und Erkenntnisstrukturen und Kriege) zur Geschichte des Sündenfalls gehören. Deshalb gründen Recht, Philosophie und Mythos wechselseitig ineinander. Und deshalb läßt sich mit Moral keine Politik machen (aber auch nicht ohne sie).
    Sünde und Schuld verhalten sich wie Tat und Urteil, Prädikat und Begriff. So ziehen sie den Objektbegriff und die transzendentalen Formen der Anschauung zwangsläufig nach sich.
    Die Hebräer sind die, die als Fremde im Lande leben; deshalb sind sie Sklaven, Söldner und Kleinviehnomaden.
    Der kirchliche Erlösungsbegriff glaubt sich von der Erinnerungsarbeit dispensieren zu können; damit perpetuiert er jedoch den Bann des Welt- und des Bekenntnisbegriffs, das Formgesetz des Dogmas.
    Gegen Metz: Nicht „schöpferisch-kritisch“, sondern kritisch, befreiend und erhellend. Das „Neue“ ist nicht Produkt einer „schöpferischen“ Tat; es konstituiert sich vielmehr in einer Konstellation von Ursprung und Ziel. Es schließt die Erinnerungsarbeit, und als Tat das Lösen (die „eingreifende Erkenntnis“) mit ein. (Im 5. Kapitel, S. 107, aber auch schon vorher, wird „schöpferisch kritisch“ durch „kritisch befreiend“ ersetzt.)
    Heidegger und Hegel: Den Geburtsfehler der Philosophie, den Hegel versucht hat abzuarbeiten, hat Heidegger zu ihrem einzigen Inhalt gemacht.
    Zu den sieben unreinen Geistern: Was jetzt in Erlangen passiert (die organische Erhaltung des Lebens einer „hirntoten“ schwangeren Frau, um das Leben des Embryos zu retten), ist das reale Beispiel für unreine Begründungen, für gleichsam prophylaktische, nach außen gewendete Rechtfertigungstheorien, um dahinter ganz andere Interessen durchsetzen zu können (sowohl kirchliche: die Erprobung von Argumenten, die auch in der Abtreibungsdiskussion nützlich sein könnten, als auch reale Karriereinteressen der Ärzte, die so in die Lage versetzt werden, Menschenexperimente nach außen abzuschirmen). Es gehört in die Geschichte der Feigenblätter, die die Blöße bedecken sollen. Aber wie verhält sich das Aufdecken der Blöße zur Übernahme der Sünde der Welt?
    Weitere Beispiele unreiner Begründungen:
    – die immer wieder beschworene „marode sozialistische Kommandowirtschaft“, hinter der sich alle Fehler, die man selbst im Einigungsprozeß begangen hat, so schön verbergen lassen;
    – die „Selbstmorde“ in Stammheim, ein Beispiel doppelseitiger unreiner Begründungen: ob es nun Morde oder Selbstmorde waren, von einer Seite war es in jedem Falle ein Fall unreiner Begründungen;
    – schließlich das Verhältnis von Kritik und Rechtfertigung des Kapitalismus: beide sind Beispiele unreiner Begründungen.

  • 10.06.92

    Ist die Magd des Hohepriesters die ancilla theologiae (die Philosophie)?
    Die Arbeit ist immer die Arbeit anderer, und deshalb ohne Schmerz und ohne Mühsal, d.h. unkörperlich (vgl. Assmann, S. 88). Grundsatz der Mechanik: Man muß Schläge einstecken, um Schläge austeilen zu können. Und verdrängt werden die „Taten und Leiden des Lichts“. Nur mein Schmerz ist realer Schmerz; er ist irreal für andere, und mit dem Für-andere-Sein wird der Schmerz irrealisiert, gegenstandslos.
    Zu dem Satz „Da interessiert sich kein Schwein für“ und zu der Geschichte mit den Dämonen und der Schweineherde: Das Schwein ist schamlos, aber nur deshalb, weil es keine Fähigkeit zur Selbstreflexion von außen hat. Es ist ebenso unfähig sich selbst in den Augen anderer wahrzunehmen wie, in den anderen mehr als nur ein Objekt zu erkennen; Schweine fressen ihre eigenen Kinder. Sie wälzen sich im eigenen Dreck, sind Verkörperungen des Kummerspecks, und sie sind „nackt“. Aber werden sie dazu nicht erst im Zuge ihrer Domestikation? Sind Tiere nicht generell Verkörperungen von natürlichen Sozialcharakteren, und liegt darin der Grund für das Symbol Behemoth?
    Ist das Ich nicht pathologisch, Produkt eines Entzündungsvorganges (des induzierten Selbstinteresses)?
    Das Wunder von Kana: die Verwandlung von Wasser in Wein. Sind es die Wasser oberhalb oder unterhalb des Firmaments, die in den Wein des Taumelkelchs verwandelt werden? Und worauf verweist die Hochzeit zu Kana? In welcher Beziehung steht der Wein zur Hochzeit (vgl. die Töchter Lots)?
    Ist nicht die Atomistik mit all ihren Differenzierungen, die ganze Mikrophysik (mit Elektro-, Thermodynamik und Chemie), Produkt der dem Inertialsystem immanenten apriorischen Objektbeziehung (der Einbeziehung des Objekts in die Urteilsform: der transzendentalen Logik), Pendant der Subsumtion der Lohnarbeit unters Tauschprinzip im Ursprung des Kapitalismus (paradigmatisch die Verschiebung der Arbeit vom realen Arbeitenden ins Kapital)? Ist hier nicht der Punkt, an dem die verwirrende Obszönitat des Zusammenhangs von Zeugung und Zeugenschaft sich zu klären beginnt?
    Zusammenhang und Differenz von Geld und Raum: Der Kapitalismus subsumiert die Vergangenheit unter die Zukunft (zerstört durch die Subjektivierung und Instrumentalisierung der Zwecke die Idee einer objektiven Teleologie), während die Naturwissenschaft die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert; zusammengehalten wird beides durch die Vorstellung einer homogenen Zeit. Aber deshalb ist nur die Naturwissenschaft in einem strengen Sinne prognostisch. – So hängen Götzendienst, Sternendienst und Opferwesen zusammen.
    Zwölf Apostel und sieben Diakone: Tierkreis und Planetensystem? Wer waren die sieben Diakone, und weshalb war Stephanus (die Krone) der erste Märtyrer?
    Weitere Zuordnungen zu 12 und 7: Judentum und Heidentum (12 Stämme und 12 Apostel, aber 7 Diakone); 12 Monate und 7 Tage (Jahr und Woche); 12 Tierkreiszeichen und 7 Planeten.
    Worin bestand die Buße der 120000 in Ninive, die Rechts und Links nicht unterscheiden konnten, und des Viehs?
    Was bedeutet es, wenn im Buch Tobit der Dämon Asmodai siebenmal den Bräutigam der Sara in der Brautnacht tötete, und erst Tobias die Sara von diesem Fluch befreit; und wie hängt das zusammen mit der Geschichte des Tobit, der erblindete, weil er gegen den Befehl des Königs die Toten begrub, und nach der Tötung des Fischs geheilt wird? Aber am Ende wird Ninive dann doch zerstört, weil Jona es prophzeit hatte.
    In der Skyline Frankfurt kehrt die ökonomische Rationalität des Marktes in ihre idolatrischen Ursprünge zurück.
    Jesus hat gesagt: Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und ich wollte, es brennte schon. Gilt auch für Theologie: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?
    Ist das Heute nicht etwas anderes als das An diesem Tag? Es gibt kein Gestern, das nicht zuvor ein Heute war (es gibt kein ursprüngliches Gestern: zum Begriff der Ewigkeit).
    Die Bedeutungen der Präpositionen und der Präfixe überschneiden sich, sie lassen sich nicht eindeutig trennen. Soweit sie sich trennen lassen, sind Präpositionen in erster Linie räumliche und zeitliche Objektbestimmungen, während Präfixe objektbezogene Bestimmungen des Tuns und Leidens sind. Auch Präfixe sind vom Ursprung her Präpositionen, nur daß sie ins Werk zurückgenommen worden sind und ihm eine prismatische Vielfalt von Bedeutungen verleihen (be-, ver-, zer-, ent-, etc.).
    Gibt es eigentlich die Hilfszeitverben (sein, haben etc.) ohne das Futur II?
    Würde nicht die Bedeutung des Marktparadigmas und auch die der politischen Ökonomie entscheidend sich ändern, wenn man die Geschichte der Banken (Schuld und Kredit) mit hereinnimmt?
    Das Hinter dem Rücken ist kein einfacher Tatbestand, sondern setzt sich zusammen aus den Prinzipien der Anklage, der Verwirrung und der Zuteilung des Schicksals (des Zufalls: Modell der Zuordnung von Begriff und Objekt). Die Zuteilung des Schicksals ist die Macht, die das Prädikat im Objekt über das Subjekt gewinnt (die adaequatio intellectus et rei ist mehr als die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“). Wer gemordet hat, ist ein Mörder: Diese Macht ist zugleich das Prinzip der Hypostasierung (der Personbegriff in der Trinitätslehre) und der Ursprung des Begriffs der Materie.
    In der Geschichte des Bekenntnisbegriffs wurde der Knoten geschürzt, der uns heute zu strangulieren droht.
    Zum Heideggerschen Begriff des Daseins: Dieses deiktische Da -Heidegger spricht auch vom „Sein des Da“ – enthält die Leugnung des Du; das Dasein ist das zum Verstummen gebrachte, fertiggemachte, aus der Kommunkation herausgefallene („geworfene“) Subjekt.
    War die Gnadenlehre nur möglich in einem sprachlichen Kontext, in dem es den Dativ und den Konjunktiv gibt?
    Liegt der Fehler des Augustinus, der bis in die Taten der raf nachwirkt, nicht darin, daß er das „Nicht soll ihrer gedacht Werden“ ersetzt durch den fixierenden Genuß der Seligen im Himmel im Anblick der Leiden der Verdammten.
    Die falsche Übersetzung des tollere (airho – aufheben, aufnehmen) mit „Hinwegnehmen“ hängt zusammen mit der falschen Identifikation des johanneischen mit dem philosophischen (philonischen?) Logos-Begriff (genauer: der Verwechslung von Name und Begriff). Sie bezeichnen gemeinsam präzise den Sündenfall der Theologie.
    Zu den Unterschieden des Opferparadigmas in Markt- und Planwirtschaft: Hier wäre auch hinzuweisen auf die Selbstopfer und die Opfer der Vernunft, die von den Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen gebracht worden sind (nur weil es der Sache diente, der Lüge zuzustimmen, deren Opfer sie selbst dann waren). Schon vor diesem Hintergrund wäre die Klärung der Frage der Tode von Stammheim wichtig (waren es marktwirtschaftliche Morde oder stalinistische Selbstopfer: hier konvergieren beide Paradigmen).
    Das In-der-Welt-Sein ist die Vorprägung durch die Welt, zu der es fast keine Distanz mehr gibt, nur noch das Mitmachen.
    Liegt das Firmament (die Mondsphäre), die die Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb scheidet, nicht auch zwischen Nord und Süd (Links und Rechts)? Gehören Kopernikus und Kolumbus nicht auch in diesem (geschichtstheologischen) Sinne zusammen? Wo liegt das „Schwarze Loch“: in Süd- oder in Nordamerika?
    Hat das firmamentum, die Feste, die Trennung der Wasser oben und unten und die Einheit von Feuer und Wasser, etwas mit der Beziehung von Reichtum und Armut zu tun?
    Zum Verhältnis von Opfer und Gewalt siehe Assmann, S. 184.
    Ist die „Sinnfrage“ (die Husserl noch in der Bedeutungslehre rationalisieren konnte) nicht das letzte Rudiment der Namenlehre in der vom Begriff durchherrschten Sprache? Zusammenhang mit der Idolatrie: sie ist Ausdruck der Hybris des Subjekts, sie macht das Subjekt zum Logos (Sinn ist Sinn für mich; und wenn, dann soll die Welt Sinn für mich haben; Konsequenz aus dem heutigen Verständnis der Unsterblichkeitslehren: was scheren mich die anderen).
    Heute ist schon der Begriff des Eigentums transzendental: alle sind Proletarier; und das Eigentum repräsentiert das trandzendentale Subjekt.
    BEF und BALM: Der Unterschied zwischen einem Amt und Anstalt (zwischen Beamten und Angestellten) ist in vorliegendem Falle haushaltsrechtlich begründet. Der Haushalt eines Amtes (einer nachgeordneten Behörde) ist im Bundeshaushalt auszuweisen, während bei einer Anstalt nur die Kosten der Anstalt auszuweisen sind (z.B. im Falle einer Kreditaufnahme nur die Kosten des Kredits, der Schuldendienst, nicht die Kreditaufnahme selber). Aber weshalb heißen dann Schulen, Gefängnisse, Irrenanstalten und Krankenhäuser sowie die Rundfunk- und Fernsehanstalten auch Anstalten? Kommen etwa alle, die angestellt werden oder etwas angestellt haben, in eine Anstalt? Und wie hängen Anstalten mit Veranstaltungen zusammen?
    Müßte nicht in etymologischen Wörterbüchern die Darstellung der Herkunft von Begriffen außer auf die Geschichte der Wortbedeutung auch auf die institutionelle Geschichte seiner Anwendung (zuletzt auf die politische Ökonomie) reflektieren?
    War nicht die Führerrede das Realsymbol des Rundfunks; was ist das Realsymbol des Fernsehens? Es müßte irgendwo in der Fluchtlinie der Einheit von Sport und Kultur zu suchen sein: der Stillstellung des Subjekts im Zuschauer. Unterhalten werden, um nicht auf den richtigen Gedanken zu kommen?
    Ist nicht der Titel „Götze Markt“ und das Konzept, das dahinter steht, auch ein Stück Verharmlosung? Ein Freund der Familie, der Anfang der vierziger Jahre für kurze Zeit aus Dachau entlassen wurde, antwortete damals auf die Frage „Wie war’s“: „Noch schlimmer“. Hier wird etwas identifiziert, was getrennt gehalten werden muß: Das Marktparadigma (Privateigentum, Geldwirtschaft, Handel; Ursprung des Rechts) ist nicht selbst der Götze, sondern in der Tat, auch historisch, die Wurzel der Idolatrie (es wäre Aufgabe der Altorientalistik, das endlich aufzuarbeiten: nur so wäre auch dem Ursprung der Religonen und der politischen Institutionen der frühen Großreiche, des Geldes und auch der Schrift auf die Spur zu kommen). Die Idolatrie war eine Form der Absicherung, der Herstellung von Strategien der Schuldverarbeitung, die notwendig waren, um die durch das Marktparadigma veränderten Bedingungen der Erfahrung zu verarbeiten. Zum Ursprung des Christentums: Was einmal der Götzendienst leistete, wurde dann durch den Ursprung und die Konstituierung des Weltbegriffs übernommen (über die Philosophie und die Institutionen des Römischen Reiches), das Christentum ist nur die jüdische Antwort auf diese veränderte Situation (eine Antwort, die dann allerdings von real existierenden Christentum im Sinne der Idolatrie verfälscht wurde: das Marktparadigma ist gleichsam in die Substanz des historischen Christentums mit eingegangen).
    Insbesondere wird bei Assmann (obwohl er die „Dialektik der Aufklärung“ zitiert) ausgeblendet, daß in diese Geschichte des Marktparadigmas (als Grund und Teil der Herrschaftsgeschichte) auch in die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur mit eingegangen ist, daß es einen realhistorischen Zusammenhang des Marktparadigmas mit dem Grundkonstrukt, dem dann – durch Vermittlung der Theologie – die naturwissenschaftliche Aufklärung sich verdankt, gibt. Auch deren Anfänge liegen in der altorientalischen Geschichte.
    Die Übersetzung des zweiten Gebots durch das Gebot „Du sollst nicht fluchen“ ersetzt die Gottesfurcht durch die Herrenfurcht und unterbindet das Gottsuchen, sie installiert im Zentrum der Theologie den Götzendienst, die Idolatrie.

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