Lohnarbeit

  • 11.03.92

    Spiegelt das Buch der Richter nicht auch noch die von Heinsohn dargestellten Verhältnisse beim Übergang zum Privateigentum (vaterlose Männer, Leben als „Fremder im Lande“, Frauen aus anderen Stämmen/Völkern), von der Simson-Geschichte mit Dalila bis hin zum Frauenraub der Benjaminiten? Vgl. auch das Buch Ruth.
    Die Schuldknechtschaft begründet den Weltbegriff (wie die Lohnarbeit den Kapitalismus; zum Weltbegriff gehört die freie Verkaufbarkeit des Bodens und der Arbeitskraft). Und der Welt- und der Naturbegriff sind als zirkuläre Begriffe Totalitätsbegriffe (redundante, sich durch Selbstreferenz selbstbegründende Begriffe).
    Es ist bezeichnend für die Gesamttendenz der Arbeit Gunnar Heinsohns, daß er, während er korrekt das Tabu der Stammesgesellschaft und die Schuldknechtschaft dem bürgerlichen Privateigentum zuordnet, den Aufruhr, die Rebellion, der Feudalordnung zuweist. Historisch gehört der Aufruhr zur restituierten, durchs Privateigentum vermittelten Feudalherrschaft. Aufstände von Leibeigenen oder Sklaven hat es erst gegeben, nachdem sie im Herrn die institutionalisierte Aufruhr des „Eigentümers“ vor Augen hatten, die dann die Empörung und die Aufruhr in ihnen entzündete. Erst wo es Recht gibt, kann Unrecht wahrgenommen werden.
    Der biblische Schöpfungsbericht ist keine Kosmogonie (er ist keine Grundlage für eine Staatsmetaphysik).
    Kriege waren offensichtlich für die Generation, die die Arbeit der Bibelkritik geleistet hat, etwas so Selbstverständliches, daß sie z.B. nach dem Grund und nach der Notwendigkeit der fürchterlichen assyrischen Kriegsmaschine nicht glaubten fragen zu müssen.

  • 05.02.92

    Entspringt die Mathematik der Gleichsetzung des Perfekt mit dem Futur II, dem „es ist gewesen“ mit dem „es wird gewesen sein“, m.e.W. dem „Wesen“? Das in den neueren Ontologien so beliebte „Geschehen“ und „Sich Ereignen“ gehört in diesen Bereich. Die Funktion dieser Gleichsetzung ist die der Exkulpation: durch Übersetzung in ein apersonales, gegenständliches „Geschehen“ und „Sich Ereignen“, Begriffe, die zunächst für natürliche Prozesse. dann aber, insbesondere nach dem Ausgang der Kollektivschuld-Debatte, sich auch für Auschwitz zu eignen scheinen, wird ein ganzes Volk entschuldigt, das sich ohnehin je nach Bedarf nur als Schicksalsgemeinschaft oder als Gemeinschaft passiver und ohnmächtiger Zuschauer (Rundfunkhörer, Fernseher) versteht. Liefern hierzu die verwalteten Religionen den Gewissenskomfort?
    Anders als Radio und Fernsehen, die ein ganzes Volk zu ohnmächtig-passiven Hörern autoritativer Verlautbarungen (eine neue Evangelienübersetzung heißt „die gute Nachricht“) und zu Zuschauern von Herrschafts- und Machtritualen sowie von schicksalhaften Katastrophen macht, ist das Telefon ein Instrument der Intrige. Der neue Faschismus appelliert nicht mehr an die Hörigkeit, sondern an den Bilderwunsch. Deshalb wimmelt es nur so von Welt-, Menschen- und Gottesbildern.
    Die gute Nachricht: Ein Botschaft richtet sich an den Adressaten und erwartet seine Antwort, eine Nachricht liefert nur eine Information über ein objektives, meinem Eingriff entzogenes Geschehen, macht den Adressaten zum passiv-ohnmächtigen Zuschauer. Aber dahin tendiert das Religionsverständnis in den verwalteten Betreuungs-Religionen ohnehin (verweltlichtes Christentum als Dynamisierung der Idolatrie).
    Raum ist ein Verwaltungsbegriff; er präpariert sowohl das Subjekt wie die Objekte der Verwaltung (auch die Vorstandsetage liegt auf einer Verwaltungsebene; kein Zufall, daß Hochhäuser bevorzugte Objekte sowohl für Verwaltungen als auch für Wohnungen von Beamten und Angestellten sind).
    Jede Intention (jedes Ziel, jeder Zweck) hat einen Richtungssinn. Was der Raum – und mit ihm jedes der Orthogonalität nachgebildete System – leistet, ist die Wiedereinbindung jeder Intention in ein Vergangenheitssystem.
    Enthält die double-bind-Theorie eine Theorie des Raumes (Zusammenhang mit der Struktur der Lohnarbeit)?
    Wie bestimmt sich das Trägheitsmoment eines Kreisels, der Widerstand gegen eine Änderung der Rotationsgeschwindigkeit?
    „Ausländer raus“, „Nazis raus“: Belege dafür, daß die Relation Innen/Außen keine humane ist. Wenn die Grenze zwischen Innen und Außen zur Grenze der Humanität wird, hat die Humanität keine Chancen mehr.
    Dybas Hooligan-Argument: „Welcher Verein kann es sich leisten, einen Spieler, der ständig aufs eigene Tor schießt, weiter zu ertragen?“ – Ist das Bekenntnis-Problem nicht doch ein sehr deutsches Problem, ähnlich wie die Staatsmetaphysik und der Staatsanwalt.
    Erinnert Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkunft (und ihr Zusammenhang mit der Lehre vom Willen zur Macht) nicht an die Notwendigkeit, die politische Bedeutung der Sternenkunde neu zu bestimmen?
    Hinter der Maske ist das Gesicht: und nicht die Person, sondern das Antlitz ist Gegenstand der Theologie.

  • 20.10.91

    Die Reversibilität der Richtungen im Raum (Raum als Form der Gleichzeitigkeit, nicht der Gegenwart; Form der Vergangenheit) verdankt sich der Trennung von Raum und Zeit und hat die Abspaltung der Materie zur Folge (Systemcharakter: Inertialsystem); und die drei Bestimmungen Raum, Zeit und Materie reflektieren sich Raum als drei Dimensionen: Korrektur nach dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit?
    Gibt es Völker, Nationen im modernen Sinne (die Konstitutierung der Welt durch Verankerung des Rechts im Subjekt, die Fähigkeit zum moralischen Urteil), vor der Verinnerlichung des Schicksals, der Einführung der Bekenntnislogik, der Etablierung des Inertialsystems (Geldwirtschaft, Astronomie, Monotheismus): vor dem Ursprung des Herrendenkens (Staat, Welt und Natur)?
    Gemeinheit: Hegels „List der Vernunft“ oder die Nutzung des Falls als Falle (von der Struktur des Raumes über das Heucheleisyndrom der Bekenntnislogik als Grundlage der Juden-, Ketzer-und Hexenverfolgung und des Inquisitionsverfahrens bis zum „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“).
    Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, müßte die Lohnarbeit verboten werden.
    Im Kronzeugenverfahren enthüllt sich das Wesen des Staates: er will den Komplizen und den Verrat. Schon im Inquisitionsverfahren (das in der Beichte – gleichzeitig mit dem Zölibat und der Durchsetzung des Fegefeuers – sozialisiert wurde) wurde tätige Reue als Unterdrückung des Gewissens, als Komplizenschaft und als Verrat verstanden: blasphemischste Gewalt war die Grundlage der sakramentalen, exkulpierenden Kraft (Zusammenhang mit der Individualisierung der Schuld und dem Personbegriff, Grund der verwalteten Welt). Referenzsystem wurde eine Moral, die an die Stelle der politischen Kritik (die ihr Maß am prophetischen Votum für die Armen und die Fremden, an der Idee der Gerechtigkeit und des Friedens hat) die Sexualmoral (die Ängste des erschreckten Subjekts, Produkt der Verinnerlichung und Vergeistigung des Terrors) ins Zentrum rückte.

  • 26.08.91

    Max Webers Probleme bei der Darstellung der Verhältnisse in der Alten Welt, insbesondere sein Begriff des Idealtypus, sind Folgen seines Geschichtskolonialismus, d.h. Folgen der Anwendung von Kategorien, die definiert sind nur im Rahmen der zeitgenössischen politischen Ökonomie. Die Brüche in der (nur sich „annähernden“) Darstellung sind Folge des projektiven Gebrauchs der Begriffe, deren unreflektierte Anwendung auf die Ursprungsgeschichte zwangsläufig zu Fehlern und Mißverständnissen führt (bis hin zu antisemitisch verwertbaren Konstruktionen). Das Ganze ist Folge seines unhistorischen (durch den Endzweck seines Rationalisierungsbegriffs vorgeprägten) Weltbegriffs. (Vergleich Weber / Lukacs und Planck /Einstein?)
    Die Historisierung der Welt, die Einbindung der Welt in den historischen Prozeß, führt darauf, daß der Antisemitismus in diesem Weltbegriff verankert und jedenfalls keine bloße Gesinnungsfrage ist.
    „An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten …“ (Ps 1371).
    Hängt die Reinlichkeitsneurose deutscher Frauen, der Zwang, jede Spur von Staub zu tilgen, mit ihrer Feindschaft mit der Schlange, die dazu verurteilt wurde, Staub zu fressen, zusammen?
    Wenn die Entwicklung ihrer eigenen Logik weiter folgt, ist nicht auszuschließen, daß auch die Rechtsversicherung zu einer Pflichtversicherung – wie die Kranken-, die Haftpflicht- und die vorgesehene Pflegeversicherung – wird. – Anwendungsbeispiele für die Staubgeschichte (Adam: Staub bist du und zu Staub wirst du wieder werden; zu dem Staub, den dann die Schlange frißt?
    Die Mühlen als Symbol des Todes (vgl. Benjamins Wahlverwandschaften) passen in diese Staubgeschichte herein.
    Die Bedeutung des Inertialsystems scheint darin zu liegen, daß die Betrachtung „hinter dem Rücken“ allseitig wird (komplettiert wird zum System wie der Kapitalismus durch das Institut der Lohnarbeit, die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, durch die Begründung eines Marktes für Arbeit, Güter und Kapital), das aber zugleich den genauen zeitlichen Charakter dieser Sicht mit einschließt, nämlich die Subsumtion unter die Vergangenheitsform.
    Der Objektivationsprozeß ist der Sturz. Und wenn die Naturwissenschaft die Welt im Zustand des vollendeten Sündenfalls abbildet, dann deshalb, weil über die Naturwissenschaft die Welt in diesen Sturz, dessen Bahn durch das Herrendenken vorgezeichnet ist, mit hereingezogen worden ist.
    Sind die Äste, Zweige, Blätter der Bäume, auch ihre Blüten und Früchte, nicht sozusagen Luftwurzeln (Luft- und Lichtwurzeln)? -Wie verhält sich der Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens? Im gleichen Kontext bezeichnet das Erkennen auch das Zeugen. Kann es sein, daß die gleiche Frucht, die die Frucht des Lebens gewesen wäre, durch die Trennung vom Baum zur Frucht der Erkenntnis wurde, der Erkenntnis des Guten und Bösen, d.h. des richtenden Urteils; war der Sündenfall nur ein falscher Gebrauch? Was Anfang war, ist hier zum Ende geworden; es muß sein Ende erst wieder einholen, ehe es in den Anfang zurückkehren kann. Blochs Bemerkung, daß der Anfang am Ende sein wird, könnte damit zusammenhängen (vgl. auch Ebachs „Ursprung und Ziel“).
    Kann es hiernach sein, daß auch die Physik auf die Umkehr harrt? – Der Umkehrpunkt in der Physik läßt sich bezeichnen: er liegt im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
    Zur Konzeption des Inertialsystems gehören die drei Elemente: Raum, Zeit und Materie; diese drei Elemente spiegeln sich in der Dreidimensionalität des Raumes, sie haben etwas mit dem Werden der Vergangenheit zu tun. Ist die Dreidimensionalität des Raumes, in dem sich dann die Dinge (von den Photonen bis zu den Sternen) nicht nur bewegen, sondern auch als Dinge konstituieren, nicht auch bloßer Schein, der mit Gewalt durchgesetzt wird und dabei die entscheidenden Differenzen verdrängt und unterdrückt. Ist nicht der Raum selbst in die Bewegung mit hereingezogen, Objekt einer Bewegung, deren Subjekt zu sein er vortäuscht.
    Über diese Bewegung des Raumes gibt Aufschluß die Geschichte der Banken, des Geldes, des Finanzkapitals.
    Das Inertialsystem ist insgesamt ein selbstreferentielles System, und die Mechanik (unter Voraussetzung der metrischen Komponenten des System, Raum Zeit und träge Masse) reine Mathematik. Erst im Prozeß der Vergegenständlichung von Raum und Zeit, der Verräumlichung der Zeit, kristallisiert sich als ergänzendes metrisches Moment die träge Masse aus, die dann als äußerliches Ding in dieses System hereinkommt: und zum reinen namenlosen Objekt wird.
    In der Bindung des Weltkonzepts an die Anschauung vollendet sich die Erkenntnis, daß „sie nackt sind“. Aber die Scham wird übermächtig (trifft vor allem die Tiere) und überschwemmt das ganze System. Die menschen verbergen ihr Angesicht und das Angesicht der Erde ist nicht mehr auffindbar.
    Hat die Erfindung der Sumerer etwas zu tun mit dem letzten, verzweifelten Versuch, angesichts des Erkenntniskontinuums, das da war, den fernen Blick zu retten, der nicht zu retten gewesen wäre, wenn man die Sumerer gleich als die Chaldäer erkannt hätte. Und der Spenglersche Versuch einer Kulturmorphologie, der Versuch, die Einheit der Weltgeschichte zu sprengen und durch die Einheit eines abgehobenen kulturmorphologischen Modells zu ersetzen, das dann dem Gesetz der ewigen Wiederkehr unterliegt, scheint hiermit zusammenzuhängen. Der Zwang, die Sumerer zu einem besonderen Volk zu machen, rührt her von dem modernen Konzept der Einheit von Volk, Nation und Sprache, das so auf die Alte Welt nicht übertragen werden kann. Diese Bemerkung gilt u.a. auch für das „Volk“ der Hebräer. Einer der letzten – und vielleicht auch problematischsten – Ausläufer dieses Nationalbegriffs ist der Zionismus.
    Gibt es zu dem Cherub mit dem flammenden Feuerschwert, der die Pforten des Paradieses bewacht, in der jüdische Tradition (Talmud, Mischna oder Mystik) Hinweise oder Interpretationen?
    Ist die Idolatrie der Anfang des Objektivations- und Instrumentalisierungsprozesses, der sein Telos im Inertialsystem findet?
    Die neuere französische Philosophie ist auf das Probleme des Anderen, des Fremden abgestimmt; sie wäre durch das Votum für die Armen, durch die Verteidung der Armen, zu ergänzen.
    Kann es sein, daß der Konstruktionsfehler des Stern der Erlösung darin liegt, daß in der Konstruktion der Welt deren beide Elemente umgekehrt zu fassen sind: erst das B und dann das A (B=A, nicht A=B): so würde deutlicher, daß das A ein durchs B Provoziertes ist; oder daß Subjektivität (als Inbegriff des Allgemeinen) nicht das Erste und das Allgemeine nicht der Ursprung ist.
    Das tode ti des Aristoteles ist das Inertialsystem in nuce.
    Die Persönlichkeit ist für sich, was die Person an sich ist, nämlich ein Sein für andere. Deshalb ist die Persönlichkeit (als Ansehen) erlebbar, die Person nicht.
    Wie verhalten sich Welt und Natur zu Himmel und Erde? Die Welt ist ein Reflex der Natur, die Natur ein Produkt der Welt. Aber wie hängt das zusammen?
    Die jüdische Tradition vom verborgenen Gerechten verweist darauf, daß die Gemeinheit strafrechtlich nicht zu fassen, vom Recht nicht unterscheiden ist. Die Gemeinheit des antisemtischen Topos von der Doppelmoral der Juden liegt darin:
    – ihre Voraussetzungen sind durch ein Wirtschaftssystem vorgegeben, das immer mehr darauf hinausläuft, die Gemeinheit der Wahrnehmung zu entziehen; diese Voraussetzungen sind nicht von Juden geschaffen worden, diese sind Opfer des Systems;
    – aufgrund der rechtliche Sonderstellung, der die Juden weder aus eigenem Willen noch aus freiem Entschluß unterworfen wurden, insbesondere dadurch, daß nur jene Bereiche im Wirtschaftsleben auch für Juden offen waren, in denen es ohne die Doppelmoral nicht geht, kann ihnen die Doppelmoral nicht angelastet werden;
    – Nutznießer dieses Systems sind nicht die Juden, sondern die Raubkapitalisten (unter ihnen auch die Weberschen Puritaner, die ohne dieses System ihre Moral und Gesinnung nicht entfalten könnten), die die Schuldverschiebung (auf die Juden) als Mittel der Exkulpierung nutzen, hinter diesem Vorhang unbehelligt ihren Geschäften nachgehen können.
    Ohne die Herren, die sich der Hofjuden bedienen, würde es die Hofjuden nicht geben, und ohne jenes spekulative Geldgeschäft, das nicht nur den Bereich der Börsen und Banken kennzeichnet, sondern längst auch den Gesamtbereich der Produktion beherrscht, würde es den moralischen Kapitalismus, den Max Weber zu beschreiben versucht, nicht geben. Auch der Calvinismus als innerweltliche Askese war Ideologie im Sinne von Rechtfertigung.
    Die feinsinnige Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik läuft darauf hinaus, die Verantwortungsethik zu einer Gesinnungsethik zu machen, und sie von jener Verantwortung zu entbinden, die sich aus den Nebenfolgen ergibt. Das Ganze ist eine innere Konsequenz aus dem Rationalisiserungskonzept und aus der Rechtfertigung des Weltbegriffs, die damit zwangsläufig verbunden ist.
    Das Selbsterhaltungsprinzip, das bei den Menschen individuell ist, ist bei den Tieren an die Art gebunden. Liegt hier das Bindeglied zwischen Schlange, Inertialsystem, Venus und Babel, sowie dem Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert, der Sintflut und dem Regenbogen?
    Abraham stammt aus Ur in Chaldäa, aber die Familie ist über Haran gezogen (einer seiner Brüder hieß Haran; ist der in Ur geblieben?). Haran liegt im assyrischen Herrschaftsbereich, näher bei Ninive als bei Ur.
    Kommen Sodom und Gomorra (und die drei anderen Städte, von denen zwei in den Untergang mit hereingezogen werden, eine den Namen ändert) außer in der Abraham-/Lot-Geschichte nochmal vor?
    Wenn Abraham (der Hebräer, der Fremde im Land) und Isaak (der Schrecken Isaaks) dem Jakob/Israel nachträglich vorgesetzt worden sind, welche Bedeutung hat es dann, daß die Frauen alle aus der (aramäischen) Verwandtschaft Abrahams genommen worden sind und alle Probleme mit der Geburt haben?
    Wer ist Lots Frau?
    Auch Sprachregelungen partizipieren an der benennenden Kraft der Sprache. Und der Weltanschauungskrieg, der auch ein Vernichtungskrieg war, war nur der Anfang. Der projektive Scharfsinn heute lebt von der dezisionistischen Gewalt der Sprache, indem er die eigene Sprachregelung unkenntlich und unangreifbar macht.
    Der Unterschied zwischen „hat gemordet“ und „ist ein Mörder“ ist der Unterschied ums Ganze. Die Rückverwandlung eines Verbs, eines Tätigkeitsworts, in eine Eigenschaft ist der Grund der philosophischen Logik; sie gelingt nur um den Preis der Verwandlung des Täters in ein Ding. Ohne diesen Trick würde es den Weltbegriff nicht geben, würde es Herrschaft nicht geben. Grundlage und Modell dieses Verfahrens (Grund der Hegelschen Reflexionsbegriffe) ist das Inertialsystem. Die gesamte Logik, das „Wer A sagt, muß auch B sagen“, reicht genauso weit wie diese Herrschaftslogik, die eine Verdinglichungslogik ist. Wenn ich dem Subjekt die Eigenschaft (das Prädikat) als feste Bestimmung anhefte, verdingliche ich das Subjekt; und die Härte dieser Verdinglichung zeigt sich daran, daß sie den Begriff besoffen macht (daß – Hegel zufolge – im Absoluten kein Glied nicht trunken ist).
    Jesus kann nur das „Ich bin’s“ sagen, weil er die Schuld der Welt auf sich genommen hat. Insoweit ist er auch der gefallene Morgenstern, der Erbe Luzifers, ist er „abgestiegen zur Hölle“).
    Bei den Griechen ist es Kronos, der seine Kinder frißt; weshalb ist es bei den Kanaanäern Ischtar, Astarte, der Moloch? Kann es sein, daß der griechische Mythos über den Schicksalsbegriff in die Philosophie hineinführt, weil er von Anfang an ein kosmologicher Mythos war? Der orientalische Mythos ist als ethischer Mythos dieser Auflösung nicht fähig, wird erst abgegolten durch die Ablösung des realen Kinderopfers.
    Das Christentum: das gefährlichste Experiment Gottes mit der Welt.
    Die narrative Theologie wäre ein Gegenkonzept zur prädikativen, zur Begriffstheologie, wenn sie ohne Willkür noch möglich wäre. Wenn es narrative Theologie noch gibt, dann steckt sie u.a. in den Berichten von Überlebenden aus Auschwitz. Alles andere ist Kunst und Schmücke Dein Heim.
    Der Begriff „allseitig“ und der Slogan „der Mensch im Mittelpunkt“ passen aufs genaueste zur dritten Leugnung: Wir sind umstellt.
    Wer die Psalmen Rachegesänge nennt, läßt die Grunderfahrung, die sich in den Psalmen ausdrückt, nicht an sich herankommen.
    Wann wurde das Symbolum zum Bekenntnis, wann wurde das Credo logisch umgeformt in ein Confiteor? – Mit dem Confessor?
    Maria Magdalena, die von den sieben bösen Geistern befreit wurde (Mk 169, Luk 82, vgl. auch Luk 1126): heißt das, daß sie die erste war, die vom Sternendienst befreit wurde (während in der Zahl der Aposteln noch der Tierkreis symbolisiert ist)? Umgekehrt: die Besessenen, deren böse Geister „Legion“ heißen (Mt 828, Mk 59, Luk 826), die dann in die Schweineherde getrieben werden, beziehen sie sich auf die ganze Sternenwelt (Abrahams Nachkommenschaft zahlreich wie die Sterne).
    Insbesondere die katholische Kirche entartet immer mehr zu einer Religion für den beliebigen Privatgebrauch.

  • 07.06.91

    Bezeichnet die „Urflut“ im Schöpfungsbericht das flüssige, frei verschiebbare Element der Schuld, in dem dann die Meeresungeheuer sich bilden?
    Die Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit, weil sie der Riegel vor der projektiven Schuldverarbeitung ist, weil sie die Leugnung der Schuld durch Exkulpation, durch Verdrängung und Abwehr verbietet.
    Ich habe Kant nie als Rechtfertigung, sondern immer als Kritik des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs verstanden. Ich stand sozusagen auf der Seite Schopenhauers, nicht auf der Seite Fichte, Schelling, Hegel.
    Der Grund für den Konkretismus bei Heinsohn und seinen Mitarbeitern liegt in der Unfähigkeit, die Dialektik von Geltung und Genesis zu durchschauen. Gunnar Heinsohn hebt zu Recht das subjektive Moment in der Geschichte des Ursprungs der Geldwirtschaft (der „Schuldknechtschaft“, der Beziehung zur Schuld überhaupt) hervor. Das schließt aber nicht mit ein, daß darin heranwachsende Moment der Herrschaft des Tauschprinzips bloß falsch ist. Nur, weil er das Tauschprinzip tendentiell verdrängt, kommt er in den zwangshaften Empirismus herein, der dann in der konkretistischen Naturkatastrophen-Theorie zutage tritt. Er muß dazu seine Zuflucht nehmen, weil er anders den gesellschaftlichen Bruch, der damals eingetreten ist, nicht erklären kann: eine der Folgen ist dann die Vulgärpsychologie, mit der er das „Ereignis“ dann ausmalt, um den Ursprung des Opfers zu erklären; Totem und Tabu ist vollständig vergessen.
    Übersieht er nicht in seinem Konzept des Ursprungs des Privateigentums durch die Landaufteilung unter den aus dem Matriarchat exilierten Männern die nomadische Vorform des Privateigentums (die Tierherde, das erste Geld: pecunia); vgl. hierzu die Patriarchengeschichten der Bibel (Ismael und Isaak, Jakob und Esau, Jakob und Laban, Lea und Rahel). Werden diese deutlichen Hinweise nicht schlicht unterschlagen? Oder ist Abraham schon der zweite, nicht erbberechtigte, rechtlose Sohn, der deshalb mit seinem Neffen Lot aus dem chaldäischen Ur emigriert, zum kleinviehzüchtenden Nomaden wird, aber auch in den Königen und Priestern seinesgleichen (aus gleichem Ursprung herkommend) erkennt? Welche Bedeutung haben dann die Geschichten mit Sara, Rebekka und Rahel?
    In der Abraham-Geschichte ist das erste Privateigentum, der als Begräbnisstätte gekaufte Acker.
    Unaufgeklärt bleibt bei Heinsohn immer noch der Ursprung und die Funktion des Tempels und des Opfers in der Geschichte der Geldentstehung und auf der anderen Seite der Grund für die Verstaatlichung der Münze (wann und durch wen?). Die Tempelbank hat wohl nur binnenwirtschaftliche Bedeutung, während die Verstaatlichung der Münze außenwirtschaftliche Bedeutung hat, mit dem Ursprung des Weltbegriffs, mit der Kolonisation, mit dem Eroberungstrieb zusammenhängt.
    Welche Bedeutung haben überhaupt die Eroberungen durch Assur, durch Babylon, durch die Makedonier, durch Rom (die vier Reiche des Daniel), in welcher Beziehung stehen sie zu dieser ökonomischen Entwicklung? Ist Sumer das ökonomische Babylon? Läßt sich das prophetische und das apokalyptische Babylon in diesem Zusammenhang genauer bestimmen (wenn Sumer das ökonomische B. ist)?
    Welche Bedeutung hat es für die neuere Geschichte, daß die Missionierung von der Peripherie, von Irland und Schottland, ausgeht, und die ökonomische Moderne von den Wikingern, den Normannen?
    Wie sieht es mit der ökonomischen Struktur, den ökonomischen Grundlagen des Islam aus, mit der Nähe zum Nomadentum und zum Handel, bei gleichzeitigem Zinsverbot (Verhinderung der „Schuld-knechtschaft“)? Ist das Privateigentum, der beginnende Kapitalismus mit der Ausplünderung der Majorität durch die restlichen, verbleibenden Privateigentümer, hier ohne Grundlage geblieben? Gibt es im Islam Sklaverei, Lohnarbeit? Welchen ökonomischen Hintergrund hat die Scharia, das islamische Recht?
    Wenn Gunnar Heinsohn seine ökonomischen Analysen nur auf die Beziehungen von agrarischen und städtischen Verhältnissen anwendet, den nomadischen Bereich (und mit ihm die Geschichte des Opfers) aber ausklammert, vernachlässigt, wird damit nicht der ganze Problembereich der Domestikation und Zucht der Tiere, des Fleischessens, ausgeklammert? Welche Bedeutung hat dann die Beschneidung und das Verbot, Schweinefleisch zu essen?
    Zu Heinsohns „Schuldknechtschaft“: Schuld (das fehlende Privateigentum, die Armut) ist die gesellschaftliche Energiequelle der Geldwirtschaft, des Kapitalismus.
    Während in der gesamten Vorgeschichte das Opfer irrationale Notwehr war (Entlastungsfunktion), hat erst das Christentum das Opfer verinnerlicht, instrumentalisiert und zum Herrschaftsmittel gemacht.

  • 11.04.91

    Eigentlich müßte schon der Satz „Name ist nicht Schall und Rauch“ die unterstellte Nähe des „Stern der Erlösung“ zur Existenzphilosophie widerlegen. Dieser Hinweis ist wichtig, weil gerade die „existentielle“ Interpretation Rosenzweigs (oder von Teilen der jüdischen Tradition im Hinblick auf ihre Rezeption für die christliche Theologie, die Buber vor allem vorbereitet hat) zu genau in den exkulpatorischen Mißbrauch des „jüdisch-christlichen Dialogs“ hineinpaßt. Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen dem Untertauchen in den sprach- und namenlosen Existentialismus (die Widerstandserfahrung als Realitätsbeweis: das „Vorlaufen in den Tod“) und dem Trieb, die Gottesfurcht zu meiden: Christ sein zu können, ohne das Nachfolgegebot befolgen zu müssen. Die Totaloperation der Verdrängung als Erlösungsersatz. Hier stimmen von Weizsäcker und Marquardt zusammen: Weizsäckers Unvermögen, auf die Kritik des Objektbegriffs überhaupt sich einzulassen, und seine Identifikation mit dem Aggressor (mit der „Kopenhagener Schule“, die es so gar nicht gegeben hat außer in der deutschen Atom-Legende, nach dem Debakel des Heisenberg-Besuchs bei Niels Bohr im zweiten Weltkrieg) gehorchen dem gleichen Prinzip wie Marquardts Israel-Theologie (vgl. seine Ausführungen zur Rezeption des Halacha-Begriffs): der Vorstellung, das schlechte Gewissen könne auch durch Domestikation des Gewissens vermieden werden (Religion für andere oder Religion für den Hausgebrauch: Religion als Blasphemie).
    Die Taufe ist der noachidische Akt: Sie steht im Zusammenhang mit Sintflut und Arche (Kirche?). Aber in der Arche werden mit Noah und seinen Söhnen nur die Tiere gerettet (und die Taube kehrt nicht zurück).
    Heute ist die ganze Welt erstarrt in Gottesfurcht ohne es zu wissen.
    Als die Erben und Nutznießer einer Welt, die andere für uns aufgebaut und zubereitet haben, sind wir auch die Herren dieser Toten, die uns beherrschen (Gesetz der Totenwelt).
    Wenn wir der Logik und den Zwängen des Herrendenkens, die in Auschwitz triumphiert hat, entgehen wollen, müssen wir unseren Beitrag dazu leisten: den Anspruch, den die Toten an uns haben, zu erfüllen.
    Die Philosophie verdankt sich der Instrumentalisierung der Erinnerung, die sich insbesondere im Begriff der Theorie ausdrückt, und die sich vollendet im Inertialsystem, das dann allerdings mit der Sprache zugleich auch die Kraft der Erinnerung auflöst (Inbegriff der vergegenständlichten Erinnerung).
    Der Raum ist die Form der vergegenständlichten Erinnerung, nicht die Form der Gleichzeitigkeit. Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist der Nachweis, daß der Raum die Gegenwart von sich ausschließt.
    Der Objektbegriff, an dem der Nominalismus sich abgearbeitet hat („wieviel Engel haben auf einer Nadelspitze Platz?“), das Individuum, das hic et nunc, die haecceitas: das namenlose Objekt, auf das der Begriffsrealismus sich nicht anwenden ließ, hat durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit seinen Stellenwert so verändert, daß es wieder in die Nähe des Gegenstands der benennenden Kraft der Sprache gerückt wird. Nicht die Längenkontraktion und die Zeitdilatation sind das Entscheidende, sondern der dynamische Prozeß, in dem sie nur Momente sind, und der, wenn er wieder im Inertialsystem dingfest gemacht werden soll, auf die Mikrostruktur der Physik hinausläuft.
    Lachen und begriffliches Denken gehören zusammen (dämonisches Lachen, Lachen und Verinnerlichung des Dämons; Lachen und Schicksal; Lachen und Gewalt, beide sprachlicher Natur, aber ohne benennende Kraft: beide haben ein Objekt und einen Adressaten; das Objekt ist namenlos, weil es „ausgelacht“ ist; Lachen und peer-groups (Bindungskräfte), Äquivalent des Bekenntnisses, gleiche Bindungskräfte: Angst ausgelacht zu werden; Lachen ist Anklage und Gericht, Weinen Klage; im Weinen löst sich die Verhärtung, die das Lachen produziert und absichert: der Charakter; befreiend ist das Lachen nur durch Entlastung, durch Anpassung; Lachen ändert nichts, macht nur schlimme Situationen erträglicher; Schuld, Scham, Lachen; Engel Sprachwesen, Dämonen Personalisierungen des Gelächters (der Empörung); Lachen Teil des mysterium iniquitatis).
    In jedem Lachen steckt auch ein Stück Verzweiflung; wer nicht verzweifelt, bedarf des Lachens nicht mehr, wie man sich auch nicht vorstellen kann, daß das selige Leben durch Lachen gewürzt werden muß. Freude ist etwas anderes als Lachen, ebenso Glück.
    Ist die Erfahrung des Angeklagten-Status, des Objekt-Status, des Ausgelacht-Werdens für Männer und Frauen gleich?
    Die Dogmatik ist die Theologie als Erscheinung, nicht ihr An sich; sie ist davon geschieden durchs Bekenntnis.
    Die raf-Morde stehen in der Tradition der christlichen Opfertheologie (der Begriff Hostie bezeichnet das Opfertier, das Schlachttier).
    Mit der Instrumentalisierung des Kreuzestodes war auch die Todesstrafe gerechtfertigt.
    Die Gemeinheitsautomatik hat ihre Wurzeln in der Personalisierung der Schuld und im Lachen, läßt sich davon nicht ablösen (Bekenntnis und Lachen; verhängnisvolle Wirkung der Einführung der katholischen Beichtpraxis auf die Vorurteilsstruktur der mittelalterlichen Gesellschaft; Lachen konstituiert und stabilisiert die Natur und das transzendentale Subjekt). Erst dann, wenn Schuld keine Rechtfertigungszwänge mehr auslöst, ist das Problem der Personalisierung gelöst.
    Die Übernahme der Schuld der Welt (Nachfolgegebot) bedeutet nicht, daß man die Strafe dafür auf sich nehmen soll, sondern im Gegenteil: die Strafmechanismen sollen aufgelöst werden. Der Kreuzestod war keine Selbstbestrafung, auch kein „Sühneleiden“.
    Theologie als kollektive Gewissenserforschung.
    Das Unschuldsversprechen: „Ich will es nicht mehr wiedertun“ ist nicht haltbar; es gibt keine Unschuld im allgemeinen Schuldzusammenhang. Übrigbleibt die Gottesfurcht, aber keine Glaubensgewißheit. Was bedeuten eigentlich die Begriffe Glaube und Bekenntnis in der Schrift; wo und ab wann erscheinen sie? (Hinweis: die Heiligung des Gottesnamens; das Bekenntnis ist das Zeugnis, das praktische Bekenntnis; Zusammenhang mit dem Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis abgeben wider deinen Nächsten. Ist das homologein die Nachfolge? – Dann werden wir in der Tat in seinem Namen Kranke heilen, Blinde sehend machen, Tauben das Gehör wiedergeben und Tote erwecken.)
    Das Herrendenken, das Denken „hinter dem Rücken“, braucht als Grundlage und zur Absicherung das Inertialsystem, es braucht die materielle Grundlage und das Bekenntnissyndrom (das Lachen und den Zynismus).
    Der Titel „In euren Häusern liegt das geraubte Gut der Armen“ (Kuno Füssel et alii) ist das Motto für
    – die Vertreibung der Händler aus dem Tempel und für
    – eine materialistische Kirchenkritik, die eine Kritik der Opfertheologie mit einschließt, eine Kritik, die begreift, daß der Gnadenschatz der Kirche Teil dieses geraubten Guts der Armen ist: Hier wird den Armen das Recht vorenthalten, das die Kirche seitdem für sich in Anspruch nimmt; anstatt zu lieben, will sie selbst geliebt werden (Institutionalisierung des Selbstmitleids).
    Woher kommt der Name Luzifer? Ist Luzifer ein Geschöpf des dritten Tages? Sind Sonne, Mond und Sterne als Objektivationen des Lichts und erste Subjekte von Herrschaft die ersten dinglichen Objekte, Urbild des Objektbegriffs überhaupt? Sind die Sterne in der Schrift namenlos wie die Objekte (und haben sie ihre Namen nur von den mythischen Helden und dann von der Philosophie)? Oder ist der Himmel, sind die Sterne nur eine Totalität? Hat hier der Engel mit dem kreisenden Flammenschwert seine Stelle? – Woher kommen die Tierkreiszeichen?
    Wie entfaltet sich im Schöpfungsbericht das schaffende Wort: Ist nur das Licht durch das Wort geschaffen, alles andere durch Teilung, durch Machen?
    Tätigkeiten:
    – schuf (Himmel und Erde, den Menschen: als sein Abbild, als Abbild Gottes, als Mann und Frau),
    – sagte (es werde, laßt uns machen, übergebe ich euch, gebe ich),
    – machte, schied, setzte, sah, nannte, segnete, vollendete, ruhte.
    Geschehen:
    – es geschah, es wurde, das Wasser sammelte sich, die Erde brachte hervor, ließ wachsen.
    Herrschaftsauftrag:
    – bei Sonne und Mond Zweckbestimmung, bei den Menschen Herrschaftsauftrag.
    Babylon wird ins Meer, nicht in den Abgrund gestürzt.
    Der Atem des Menschen ist der Atem Gottes, und das Sprechen eine Funktion des Atems.
    Vgl. Hawkings Bemerkung über Newton (Newtons über Leibniz) mit Leibniz‘ fensterloser Monade. Die Erfahrung, daß jeder nur für sich ist und aus dieser Isolationshaft (der fensterlosen Monade) nicht herauskommt, ist vielleicht die schlimmste Erfahrung der Philosophie; nur zu ertragen vor der Hintergrund der Lehre von der prästabilierten Harmonie: das Innere der Monade ist die Außenwelt.
    Die Leibnizsche Monade ist längst zum Privatgetto, zur Isolationshaft aller geworden. Da kommt niemand mehr heraus, außer durch die Theologie. Die Isolationshaft des empirischen Subjekts in der Zelle des transzendentalen Subjekts.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist das Indiz, das Symptom für den Status der Naturerkenntnis. Das Relativitätsprinzip (das nicht von Einstein entdeckt worden ist) gehörte zu den Konstituentien der Mechanik, des Referenzsystems, auf das alle Begriffe der Physik sich beziehen. Erst das Prinzip der Kosntanz der Lichtgeschwindigkeit hat die Objektbeziehung, das Verhältnis zur Objektivität bestimmt: die Grenze der Objektivierbarkeit.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist der Goldgrund des Inertialsystems (Begründung der Goldwährung).
    Trinitätslehre, Christologie und Opfertheologie sind Produkte der Anpassung der Theologie an den Hellenismus und an den Römischen Staat. Die Lehre, daß Christus in der Zeit herabgekommen und Mensch geworden ist, die Inkarnationslehre, segnet den homogenen Zeitablauf ab.
    Die Christologie: der eingeborene Sohn, gezeugt, nicht geschaffen, empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, abgestiegen zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten; ist das Logos-Spekulation, sind das die Momente der Namenslehre, der benennenden Kraft der Sprache. Dann wäre sie in der Tat das Hilfsmittel gegen den Hellenismus.
    An welchen Stellen und in welchen Zusammenhänge spielt das Tauschprinzip in die Schrift (in die „Gleichnisse“ Jesu) mit herein (Lohnarbeit, Gleichnisse vom „ungerechten Verwalter“ etc.). Vorstufen kapitalistischer Wirtschaftsweisen (im Römischen Reich, von Jesus erstmals in religiösem Zusammenhang reflektiert)?
    Das Weltgericht ist ein Gericht, dessen Maßstab der Erfolg ist, das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über das Weltgericht.
    Theologie hinter dem Rücken Gottes ist insofern blasphemisch, als sie das Weltgesetz, die richtende Gewalt, die die Welt repräsentiert, auf Gott anwendet. Sie fällt unter das Wort: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.
    Was sind die „Pforten der Hölle“, die die Kirche nicht überwältigen werden?

  • 01.04.91

    Würden unsere Theologen, Politiker, Beamten ernsthaft an das ewige Leben, die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung der Toten glauben, oder wäre Gottesfurcht ein Teil des politischen und religiösen Selbstverständnisses in diesem Lande: diese Welt sähe anders aus.
    Der Begriff der Gottesfurcht ist eindeutig, der der Furcht des Herrn zweideutig. Die Gottesfurcht orientiert sich an dem Verhältnis von Schuld und Versöhnung, Schuld und Befreiung, die Furcht des Herrn an dem Verhältnis von Schuld und Strafe.
    Die drei evangelischen Räte:
    – Armut: Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon;
    – Gehorsam: Heute, wenn ihr seine Stimme hört;
    – Keuschheit: Nicht die Sexuallust, sondern die Urteilslust ist der Transporteur der Erbschuld.
    Reflexion des Zusammenhangs von Selbsterhaltung und Realitätsprinzip:
    – Namenlehre vs. begriffliche Erkenntnis;
    – Kritik des richtenden Denkens.
    Das Bekenntnis ist das Medium der Regression ins Gattungswesen: Hinweis auf den Ursprung der Sexualmoral und die Bedeutung der apokalyptischen Tiere.
    Der kirchliche biologische Begriff der Unschuld ist eine der Quellen, aus denen der faschistische Rassenbegriff: die Vorstellung eines biologischen Erbadels (der biologischen Unschuld der Herren, der Existenz einer Herrenrasse) und der damit notwendig verbundene Antisemitismus sich speist. Hier tritt das Gewaltmoment offen zutage, das im kirchlichen Bekenntnisbegriff bereits enthalten ist.
    Die Trennung des Bekenntnisbegriffs vom Namen verletzt das Bilderverbot, begründet den Objektbegriff, der seitdem das christliche Dogma verhext, und ist der Ursprung der Gewalt in der Religion.
    Die Sexualmoral und ihre Metastasen sind der Inbegriff dessen, was in der Geschichte vom Sündenfall dann mit den Dornen und Disteln bezeichnet wird.
    Die finsteren Mysterien des Personbegriffs.
    Urteilslust dreifach stabilisert:
    – durch den Naturbegriff (durchs Trägheitsgesetz),
    – durch den Weltbegriff (durchs Tauschprinzip),
    – durchs Bekenntnis (durch den vergegenständlichten, verdinglichten Glauben, durchs Prinzip der Weltanschauung).
    In der Bosheit des anderen die gemeinsame Dummheit, die des anderen und die eigene, begreifen.
    Das Problem von Genesis und Geltung hängt mit dem von Objektivation und Instrumentalisierung zusammen. Verwechslung von Geltung und Wahrheit: Geltung ist Geltung für jedermann, es gilt auch hinter dem Rücken, und es hat wirklich etwas mit Geld zu tun, und mit dem Bekenntnis: Im Bekenntnis wird die Geltung für jedermann hergestellt und stabilisiert. Konsequenzen für den Personbegriff, der auch die Anerkennung durch die anderen als Konstituens und Sinnesimplikat mit einschließt. Person ist das Subjekt (der Träger) des Bekenntnisses (Bekenntnis als Maske: vgl. Kafkas Oklahoma). Hiernach wird die Tertullianische Vorstellung, daß Frauen, wenn sie denn in den Himmel kommen, zu Männern werden, vielleicht begründbar (aber der theologische Kontext, in dem sie begründbar wird, eo ipso falsch). Die Person ist keine Schöpfungswirklichkeit, sondern Produkt von Vergesellschaftung. Die Person ist Erbe des mythischen Helden. Durch die Anerkennung der anderen hindurch bedarf die Person letztlich der Bestätigung durch den Staat (ohne Pass ist der Mensch kein Mensch). Abgesichert wird die Person durchs Strafrecht. Der Staat ist somit nicht nur das Prinzip der Anklage (sh. Staatsanwalt), sondern auch das der Exkulpierung (durch den Pass). Voraussetzung der Anerkennung und der Exkulpierung ist das Bekenntnis. Hieraus lassen sich zwanglos solche schönen Dinge wie Antisemitismus, Ausländerfeindschaft, Frauenfeindschaft u.ä. ableiten. Im Kontext unserer Staatsmetaphysik sind Ausländer Häretiker, Ketzer. Und die Deutschen sind die Ausländer für alle anderen (das prädestinierte Objekt der Selbstverfluchung).
    Im Kontext des Anerkennungskonstrukts läßt die Begründung der subjektiven Formen der Anschauung im Gewaltmonopol des Staates nachweisen, zusammen mit der Begründung der Gemeinheitsautomatik: Ihr laßt den Armen schuldig werden.
    Mit der Entfaltung der Namenlehre wird zugleich die Lehre von der Auferstehung der Toten begründet (ist der Logos Begriff oder Name?).
    Das „Seid klug wie die Schlangen …“ und das „und führe uns nicht in Versuchung“ gehören zusammen.
    Das Weltgericht ist das Gericht der Welt über die Welt: Dieser Widerspruch ist vom Begriff der Welt nicht abzulösen. Sie ist die gerichtet-richtende Instanz, oder der Preis dafür, daß die richtende Instanz nach dem gleichen Maße gerichtet wird. Genau dieser Widerspruch wird im Relativitätsprinzip, in der Handlung, in der sich das Inertialsystem konstituiert, dingfest gemacht. In welcher Beziehung dazu steht das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit? Hat die Plancksche Strahlungsformel etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun? Wird diese Beziehung durchsichtig, wenn sich die Plancksche Strahlungsformel aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ableiten läßt?
    Am Bekenntnis die gleiche Korrektur vornehmen wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschindigkeit am Inertialsystem.
    Hawking hat recht: Wenn das Schwarze Loch nur schluckt und nichts ausstrahlt, d.h. wenn darin nur Masse und Energie verschwinden, aber keine Gegenreaktion dazu nachweisbar wäre, so würde das alle Erhaltungssätze (die Stabilisatoren des Inertialsystems und der darin begründeten physikalischen Begriffe) verletzen.
    Merkwürdig, daß Begriffe wie das Schwarze Loch und der Schwarze Körper Grenzpositionen der Naturwissenschaften bezeichnet.
    Ist das heute von der Physik angenommene Alter der Welt in der Größenordnung der dritten Potenz des biblischen Alters der Welt (in Jahren gemessen), und der Ursprung der Bäume und der Menschen in der der zweiten Potenz?
    Das „und er ging hinaus und weinte bitterlich“ ist die Antwort auf das höllische Lachen, das darin vergeht. Das Lachen ist der Inbegriff des pathologisch guten Gewissens. Wir sind das Gelächter über die Dritte Welt? – Lachen Frauen anders als Männner?
    Erst mit der Vergesellschaftung des Herrendenkens ist das Umkehrgebot unabweisbar geworden für alle. Verführung hat immer die Gestalt des moralischen Urteils.
    Antisemitismus und Bilderverbot.
    Das Bilderverbot war die Antwort auf die magische Macht, die das Bild über den Abgebildeten und in der Konsequenz daraus das Bild über den, der sich seiner bedient, vermittelt: Konsequenz für die Physik. Objektivierung und Instrumentalisierung gehören zusammen; hierbei fällt das, was die Dinge an sich selber sind, unter den Tisch (das An sich gehört in den Bereich des Namens).
    Die Umkehrbarkeit der räumlichen Dimensionen ist eine Funktion der drei Dimensionen des Raumes und der Irreversibilität der Zeit. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (oder das Plancksche Strahlungsgesetz) vielleicht doch ein Schlüssel für die Bestimmung des Alters der Welt?
    Läßt sich der Streit zwischen Vätern und Söhnen, der das Zeitalter des Antichrist kennzeichnet, auf den Antisemitismus beziehen?
    Der Sozialismus hat den kritischen Gehalt der Marxschen Philosophie in eine affirmative, instrumentalisierte Gestalt der Theorie, in ein Herrschaftmittel, zurückgebogen.
    Die ideologische Bedeutung des Sports liegt in der Einübung der Verknüpfung des Zuschauers mit dem (parteiischen) Richter.
    Über uns werden sowohl die vergangenen Toten als auch unsere Nachfahren, die wir beide heute verraten, richten. Wir stehen auf einem Berg von Leichen und sind Herr einer zerstörten Natur.
    Jede apologetische Haltung führt nur tiefer in die Verstrickung hinein.
    Natur definiert den Anwendungsbereich des Objektivationsprozesses, einen potentiell unendlichen Bereich.
    „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“: Auch die Tränen lösen sich; „und er ging hinaus und weinte bitterlich“.
    In der kapitalistischen Lohnarbeit wird der Arbeiter um seinen Lohn betrogen.
    Lachen ist das letzte Indiz für das Fortleben des Dämonischen. Die Verinnerlichung des Dämons als Ursprung der Philosophie (Sokrates): Die Gewalt des Schicksals war die Gewalt des Lachens (das homerische Gelächter); und mit dem Schicksal ist dieses Lachen verinnerlicht worden, in die Struktur des Begriffs, als Form seiner Objektbeziehung, mit eingegangen. Lachen löscht die Namen aus, konstituiert das verdinglichte Objekt und den Begriff; als Totalität ist das Lachen mit eingegangen in die Form des Raumes (vgl. Büchners „Lenz“). Alle Objekte im Raum sind, als wären sie ausgelacht (angeklagt und, in einem kurzen Prozeß, gerichtet zugleich: der Raum ist dieser kurze Prozeß). Person (die ihr Gesicht nicht verlieren darf) ist die Angst, ausgelacht zu werden: der Zwang der Selbstrechtfertigung, der sich allein im Weinen löst. Besondere Objekte des Lachens sind die Juden und die Frauen. Lachen ist ein Konstituens des Herrendenkens, das als Lachen über die Herren, auch wenn es die Herren nur schwer ertragen, deren Herrschaft noch zu stabilisieren vermag (Lachen, Herrschaft, Gericht). „Der hat nichts mehr zu lachen“; „warte nur, dir wird das Lachen auch noch vergehen“: Über wen das gesagt wird, ist reines Objekt, auf keinen Fall ein Herr: in ihm ist Gott präsent. – Das verdinglichte Bekenntnis macht Gott zum Objekt des Gelächters.

  • 27.01.91

    Das transzendentale Subjekt ist das Subjekt der Selbsterhaltung und der wissenschaftlichen Naturerkenntnis: die Sozialisierung der Hybris, die durch die Erfolge der naturwissenschaftlichen Aufklärung stabilisiert wird (weil es keine Alternative dazu zu geben scheint), ist ohne gleichzeitige Vergesellschaftung der Paranoia (des Verfolgungswahns, des Systemzwangs) nicht zu haben. Die verdrängte Güte kehrt draußen als Feind wieder (in den Armen und den Fremden: zusammengefaßt als aufsässiges Objekt, dessen aufdringliche Fremdheit verfolgt und verdrängt, d.h. als Materie neutralisiert wird): aus diesem Konstrukt läßt sich das antisemitische Vorurteil als Nebenprodukt und zusätzlicher nützlicher Stabilisierungsfaktor zwanglos herleiten (die spezielle Relativitätstheorie Einsteins ist eine durchschlagende Widerlegung dieses Konstrukts, sie bleibt nur solange ohnmächtig und hilflos, wie ihre erkenntniskritische Bedeutung nicht begriffen ist).
    Gegen Lukacs‘ Vorstellung vom kontemplativen Charakter der wissenschaftlichen Naturerkenntnis ist kritisch auf das Moment der Praxis, das im Experiment sich zeige, hingewiesen worden. Übersehen wird hierbei, daß beides zusammengehört; daß – nach der Dialektik der Aufklärung – die (theoriebegründende) Distanz zum Objekt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, vermittelt ist: D.h. das praktische Moment im naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß, das Experiment, ist der Repräsentant, der Stellvertreter des unkenntlich gemachten, verdrängten Knechts, des Lohnarbeiters, nach Marx: der unterdrückten und ausgebeuteten Klasse. Hier kehrt im Zentrum der modernen Aufklärung der Kern des historischen Dogmatisierungsprozesses, die instrumentalisierte Opfertheologie, als Keim- und Quellpunkt des historisch-gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs wieder. Der Vorhang, hinter dem sich dieser Prozeß (theologisch: die zwanghafte und ohnmächtig-hilflose Wiederholung des Kreuzesopfers) verbirgt, ist das Bekenntnis; heute – nach Auschwitz – ist dieser Vorhang zerrissen (Mt. 2751ff).
    Augenlust: Denken, das sich am Sehen, an der Anschauung orientiert, anstatt am Hören (mit den Ohren denken); Fleischeslust: das Fleisch ist das Subjekt der Bedürfnisse, Fleischeslust die Fixierung aufs Prinzip der Selbsterhaltung; Hoffart des Lebens: die vergesellschaftete Hybris (Zusammenhang mit den drei evangelischen Räten: Armut, Keuschheit und Gehorsam).
    Ist es eigentlich bloßer Zufall, und wenn nicht, welche Bedeutung hat es, wenn die Ausformung der heute noch gelehrten Gnadenlehre in die gleiche Zeit fällt, in der in den Moralkompendien jene kasuistischen Erörterungen der kirchlichen Sexualmoral sich ausbreiten, die nur noch obszön, voyeuristisch und von der Motivation her als pathologisch anzusehen sind.
    Ideologie ist Rechtfertigung: zunächst die individuelle Rechtfertigung von Handlungen (vor sich selbst und vor anderen), dann aber die kollektive Absicherung der Rechtfertigung von Anschauungen, Meinungen durch die Forderung der Zustimmung der anderen: durchs Bekenntnis, und die Verfolgung derer, die sich dieser kollektiven Absicherung entziehen: der Ketzer. Die zweite Form der Rechtfertigung gehorcht den Gesetzen der Paranoia und ist systemerzeugend. Oder Umgekehrt: Der Übergang von der ersten zur zweiten Form der Rechtfertigung ist durch Paranoia vermittelt; diese Paranoia hat einen Realgrund, ist in der Struktur der Welt und des die Welt objektivierenden Subjekts begründet. Die historische Genese des „westlichen“, „abendländischen“ Subjekts ist hierin begründet: im Übergang zur „Theologie hinter dem Rücken Gottes“, in der christlichen Gestalt der instrumentalisierten Religion.

  • 20.01.91

    Die Übernahme der Schuld der Welt: das war das antiimperialistische Moment und zugleich das Moment des göttlichen Selbstbewußtseins im Leiden Jesu. Wie konnte das in eine christliche Reichsreligion integriert werden?
    Die historische Auseinandersetzung mit der Natur und der Kampf mit dem (gefesselten) Drachen: Überschreiten nicht Chemie und Atomphysik mutwillig eine Grenze? Woher kommt die St. Georgs-Legende? Wie hängt sie mit dem Michaels-Mythos zusammen?
    Hängen die Rätsel, die der Islam uns stellt, mit seinen nomadischen Wurzeln zusammen: vergleichbar ist die Fremdheit der Roma und Sinti. Gibt es auf dieser Stufe schon den Unterschied zwischen Händler und Dieb; gibt es hier das institutionalisierte Tauschprinzip und den „gerechten Lohn“ oder den „gerechten Preis“, die Äquivalenz von Lohnarbeit und Ware; ist der Islam in einem strukturellen Sinne (kraft theologischer Bindungen) vorkapitalistisch? Zusammenhang mit der Weigerung, in den Objektivationsprozeß einzutreten (aus einer Welt, die durch den Anblick Gottes definiert ist, herauszutreten, sie von außen – von hinten – zu betrachten)? Spielt in den latenten Haß auf den Islam (wie auch auf die „Zigeuner“) der Haß auf jene mit herein, die sich weigern, wie wir (die bürgerlichen Christen) schuldig zu werden?
    Die Attraktivität des Islam scheint aus der „Ergebung“ und der Schicksalsgläubigkeit herzurühren: sie enthebt das Subjekt der realen Verantwortung, exkulpiert es dadurch, daß, was es auch immer tut, vorherbestimmt ist und in jedem Falle dem Willen Gottes entspricht. Hier ist das pathologisch gute Gewissen vorgebildet, daß dann (nach Rezeption des islamischen Religionsverständnisses) unter christlichen Voraussetzungen erst vollends böse geworden ist.
    Der Islam kommt über den Widerspruch nicht hinweg, kann ihn nicht auflösen, daß die Ergebung in den Willen Gottes einen instrumentalisierten Gott zur Grundlage hat: Die Ergebung ist die falsche Konsequenz aus einer Religiosität, die glaubt, sich ganz im Angesicht Gottes zu bewegen, in Wahrheit jedoch auf einen vergegenständlichten Gott sich bezieht, dessen Vorstellung und Begriff gleichsam hinter seinem Rücken gebildet wurde. Der Islam ist eine Seins-Religion, eine Philosphie-Religion, sozusagen die Fundamentalontologie als Religion. Allahu akbar: Der einzige Allah ist in der Tat nur der Größte. Alle übrigen Bestimmungen stehen unverbunden nebeneinander.
    Kennt der Islam eigentlich das Opfer, die Versöhnung oder Erlösung, den Kult, oder nur die kultische Pilgerschaft und das rituelle Gebet? Fällt der Islam ohne Rest unter die Dialektik der Aufklärung?
    Im Elektromagnetismus und in den mikrophysikalischen Erscheinungen drückt sich die Gewalt des Inertialsystems aus; sie sind nicht einfach im Inertialsystem „gegeben“, sondern durch das Inertialsystem produziert. Wer das Geheimnis dieser Gewalt, das Geheimnis der Funktion und Bedeutung des Inertialsystems (im Zusammenhang mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) löst, wird die Welt mit anderen Augen sehen. Er wird insbesondere begreifen, was es bedeutet, wenn es heißt, daß ihnen (sc. den ersten Menschen nach dem Sündenfall) die „Augen aufgingen“, und sie sahen, daß sie nackt waren (Nackheit als Folge des Falls).
    Schelers Konzept einer Rangordnung der Werte hing zusammen mit den hierarchischen Strukturen in den Verwaltungen und den Gehaltsstufen in den Angestellten-Tarifverträgen (letztlich an der militärischen Hierarchie); wie überhaupt der Wertbegriff das Moment der Masse im physikalischen Objekt widerspiegelt.
    Adornos Satz „das Ganze ist das Unwahre“ wird konkret in der Kritik des Natur- und des Weltbegriffs: er führt mitten in die Theolgoie.

  • 30.11.90

    Zusammenhang der Begriffe Welt, Gnosis, Person mit der Konstituierung des Privaten: Die Begründung einer besonderen Privatsphäre und deren Abschirmung gegen das Schicksal der Welt, die Einschränkung der Moral auf diese Privatsphäre sind genaue Reflexe eines Weltbegriffs, der nach aristotelischem Modell die Ewigkeit der Welt voraussetzt, d.h. den Begriff einer Welt, die nicht erschaffen ist. Die Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts bleibt irrational und eigentlich gegenstandslos, eine reine Willkürsetzung, wenn sie nicht mit einer Kritik des Privaten verbunden ist, mit dem Bewußtsein einer Verflochtenheit des Privaten in den gesamtgesellschaftlichen Prozeß, in den Weltprozeß (das Weltgericht).

    Die Rezeption der Stoa scheint bei der Begründung der Privatsphäre, der Privatisierung der Vernunft, eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen. Die stoische Ataraxie ist offensichtlich ein Versuch, das Subjekt vor den übermächtig werdenden Problemen eines moralischen Politikbegriffs zu retten, es dagegen abzuschirmen und zu erhalten.

    Es gibt nicht nur die Dialektik von Herr und Knecht, sondern auch eine unterirdische Verbindung der Herren mit den Asozialen (eben das macht den Anblick der Asozialen fürs Herrendenken so unerträglich). Der Herr ist (heute) sozusagen der asoziale Knecht; nur so kann er Herr werden. Die Rezeption des Asozialen ins Herrendenken erfolgte beim Übergang von der Sklaverei zur Lohnarbeit, als die Welt Macht über die Herrschaft gewinnt, zu deren Subjekt wird. Nicht daß die vorhergehenden patriarchalischen Verhältnisse moralischer gewesen wären: sie mußten jedoch zumindest den Schein des Moralischen wahren. So galten die Könige als die Verteidiger der Armen; diesen Anspruch haben die neuen Herren nie erhoben; vielmehr gehört die Bestrafung der Armut zur kapitalistischen Tradition.

    Ist es ein Zufall, oder hat es systematische Gründe, wenn im NT (und im Talmud) die ersten Beispiele von Lohnarbeit vorkommen? Sind die Christen nicht eigentlich von Anfang an moralische Lohnarbeiter Gottes gewesen (tugendhaft nur aufgrund der Erwartung des himmlischen Lohns)? Und hatte der liebe Gott nicht immer schon etwas von einem welthistorischen Arbeitgeber, der dann allerdings in einer bestimmten Phase der Vergesellschaftung überflüssig, nicht mehr benötigt wurde?

    Die Übermacht der Welt, die heute über den Kirchen zusammenschlägt, ist von den Kirchen selber mit begründet worden: mit der Übernahme des philosophischen und politischen Weltbegriffs. Genau an dieser Stelle gewinnt der Bekenntniszwang seine merkwürdige zweideutige Funktion und Bedeutung, verschwindet das Bewußtsein davon, was einmal Symbolum hieß.

    Adams Namengebung der Tiere war der Beginn des Austritts aus der tierischen Tradition, aus dem animalischen Bann. Es war der Fehler der Aufklärung (und des deutschen Idealismus), daß sie die Befreiung, die Menschwerdung mit dem Sündenfall identifizierte (den sie dann auch bewußtlos beförderte, indem sie die letzten Widerstände aus dem Weg räumte). Die (paradiesische) Vorstufe der Befreiung war die Namengebung der Tiere: War diese Namengebung ein Akt der Aggression, der Anklage, des Gerichts (Beginn der Naturbeherrschung), oder war sie ein Akt des Erbarmens, der mimetischen Selbsterkenntnis, der Identifikation? Wie haben die Tiere diese Namengebung (das Erkanntwerden durch den Menschen) erfahren? Und wäre das der Punkt, der wiederzugewinnen wäre, um auch die Tiere aus dem Bann zu befreien? Und sind nicht Kafkas Einsichten (Vor der Akademie, Gregor Samsa, der Bau) ein Hinweis darauf, daß der letzte befreiende Akt nur auf dem Grunde einer Tier und Mensch gemeinsamen Erfahrung erfolgen kann?

    Vom Tier trennt den Menschen die Vergeistigung der Scham. Beim Tier ist die Scham physisch: kein Tier ist nackt. – Aber Gott gibt den Menschen (nach dem Sündenfall) ein Fell zur Bedeckung ihrer Scham (Zusammenhang von Sündenfall, Naturbeherrschung, Vergesellschaftung und Scham).

    Der Nationalsozialismus hat die Kirche vor eine scheinbar unlösbare, jedenfalls bis heute ungelöste Aufgabe gestellt: Die Kirche war immer „staatsfromm“ (notwendige Folge ihres Weltbegriffs; nicht zufällig hat sie den Staat als Teil der Schöpfungsordnung angesehen); der Nationalsozialismus jedoch hätte sie dazu bringen können und müssen, daß der Staat nur als ein Teil der durch den Sündenfall im Grunde verstörten Welt angesehen werden kann. Die Schöpfungsordnungstheorie hängt zusammen mit dem ungeklärten Weltbegriff; sie ist in Grenzen vertretbar für die vorkapitalistische (noch nicht restlos durchs Tauschprinzip definierte) Welt; mit dem Eintritt des Kapitalismus war sie nicht mehr haltbar.

  • 17.06.90

    Zu der unsäglichen Interpretation des „Peer Gynt“ („Krieg und …“, S. 261ff): Das Verständnis der „Mutter Solveig“ als Symbol der „Mutter Kirche“, in deren Schoß zurückkehren muß, wer die verlorene Einheit mit Gott wiederherstellen will, beweist das inzestuöse Religionsverständnis D.’s; die Sünde liegt hier offensichtlich in der Freiheit, die sich aus der symbiotischen Beziehung lösen, aus dem Bann der Mutter heraustreten will; das erklärt seine gereizte Ablehnung der politischen Theologie. D. braucht die „Geborgenheit“, und zwar eine Geborgenheit, die ihn dann für sein Handeln in der feindlichen Welt vorab freispricht, gleichsam Generaldispens erteilt: die Moral soll ihm nicht mehr in die Quere kommen. Daher sein Haß auf den „Klerikalismus“ und die offene Nähe zum Antisemitismus. Er selbst will, was er der politischen Theologie vorwirft: die sich aufopfernde Mutter (vgl. auch „Kleriker“, S. …) retten.

    Es ist Abwehr und auswegloses, zwanghaftes Reagieren zugleich, wenn D. offensichtlich Handeln nur noch als „Machen“ kennt (S. 271, vgl. hierzu auch die dekouvrierende Einleitung zur „Krieg und …“). Ist es auch ein „Machen“, wenn ich ein Kind, das in den Brunnen gefallen ist, rette? War der Widerstand gegen den Faschismus, war das Retten von Juden ein „Machen“?

    D.’s Kanonisierung des eigenen Werks: Er wirft mit dem schlichten Hinweis auf sein eigenes Buch … vor, daß er den Stand der exegetischen Forschung nicht kennt.

    D: ein Wolf im Schafspelz?

    „… und jeder psychische Mißklang im Inneren hinterläßt spürbar seine sozialen und politischen Folgen draußen“ (S. 273): Stellt D. hier die Kausalbeziehung auf den Kopf, um die andernfalls notwendige Schmerz- und Trauerarbeit zu umgehen?

    „… statt weiterhin zerstörerisch an seiner Exklusivität zu hängen“ (S. 275): Hier verwechselt D. die notwendige Entkonfessionalisierung des Christentums mit seinem Untergang in einem allgemeinen Religionsbrei. (Hat die extensive Analogiensammlung von Mythen und Märchen bei der Exegese nicht auch den Nebenzweck, den wirklichen Text zu verwischen, sich auf ihn im Detail dann nicht mehr einlassen zu müssen?)

    Kann es sein, daß jeder „Fortschritt“ eigentlich nur eine andere Gestalt des schlechten Alten realisiert? Die Abschaffung der Sklaverei war erst möglich, als die Herrschaftsbeziehung (im kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnis) gesellschaftlich institutionalisiert (entpersonalisiert, objektiviert) und zugleich individuell verinnerlicht war; auch die Abschaffung der Todesstrafe hatte ihre Vergesellschaftung und Verinnerlichung zur Voraussetzung.

    Ist etwa D.’s Rückgriff auf den archaischen Kannibalismus bei seinem Eucharistieverständnis exakt der Punkt der Remythisierung des Christentums, und zugleich der Bekenntnispunkt, an dem nur noch das non credo den Weg in ein versöhnungsfähiges (entkonfessionalisiertes) Christentum eröffnet? (S. 290ff) – Übrigens hier wieder der Eindruck wie schon in den SdB, daß D. strategisch geschickt Material beibringt, das u.a. den Nebeneffekt des Spurenverwischens hat.

  • 05.01.90

    Modell der Herrschaft das Planetensystem? (Eine Sonne, ein Gott, ein König?): Hierarchische Ordnung fortgesetzt in Verwaltung; sub- und translunearer Bereich entspricht Klassentrennung; Galileis Entdeckung, daß astronomische Erscheinungen der gleichen Vergänglichkeit unterliegen wie die irdischen; Konstruktion der planetarischen Kreisläufe aus irdischen Kräfteverhältnissen; Universalisierung der Gravitation.

    Das Tauschprinzip und das Trägheitsgesetz ebnen Widersprüche ein, subsumieren Unvereinbares unter einheitliche Begriffe (Lohnarbeit, Arbeit als Ware; Geld als Einheit von Herrschaft und Unterdrückung, Materie als Substrat von Arbeit), sind aktive Agentien der Verblendung, des Banns. Es gibt keinen Weltbegriff ohne den Begriff der Materie; es gibt umgekehrt keinen Schöpfungsbegriff, der den Materiebegriff mit einschließt (die Vorstellung, daß die Menschen Waren herstellen, Gott die dazu notwendige Materie liefert, ist absurd: die Menschen verwandeln im Prozeß ihrer Auseinandersetzung mit der „Natur“ diese in Materie; die Schöpfung bezeichnet einen Bereich, der „vor“ diesem Prozeß liegt).

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