Konstruktionsfehler der Welt, oder die Welt als Inbegriff der Selbstzerstörung:
– Die Ökonomie kann die Armut,
– das Recht die Gemeinheit und die Gewalttat,
– die Theologie den Atheismus,
– die Medien können die Lüge,
– die Naturwissenschaften den Tod der Sinnlichkeit (Physik) und die Zerstörung des Lebens (Chemie)
nicht nur nicht mehr ausschließen: sie produzieren sie. Die Welt ist die Institutionaliserung des Hinter dem Rücken und der Inbegriff der Leugnung des Antlitzes, die Sünde wider den Heiligen Geist. Gibt es überhaupt noch eine Alternative zur Übernahme der Sünden der Welt?
Die Welt: das ist die Trennung des Sehens vom Gesehenwerden, und damit die Zerstörung des Angesichts. Die nur noch der mathematischen Logik gehorchende Vorstellung des Raumes ist das Zentrum und das Einheitsprinzip der zerstörenden Gewalt der Welt (Ersetzung der Gegenwart durchs Gesetz der Gleichzeitigkeit). Aber hier wird dann die Frage interessant: Welche Richtung gehört zur Lichtgeschwindigkeit? Ich vermute, es ist die, die vom Objekt des Sehens ausgeht: die Provokation des Täters durch das Opfer (der „Lichtreiz“ im Auge des Sehenden, auch wenn sich daraus das Sehen überhaupt nicht mehr herleiten läßt). Oder: die Lichtgeschwindigkeit gehört zu einem System, in dem das Opfer (das Objekt) schuldig ist, und nicht der Schuldige bestraft wird, sondern die Strafe den Schuldigen provoziert.
Im Recht ist die Sünde vor der Schuld, theologisch die Schuld vor der Sünde (vgl. die paulinische Theologie, die hier immer antisemitisch mißverstanden wurde, und das „Antlitz des Hundes“: Was schaust du mich so an: Du kriegst gleich einen in die Fresse).
Der Begriff der Persönlichkeit drückt die individuelle (der der Person die allgemeine) Anerkennung durch die Welt aus, der Begriff des Antlitzes die Anerkennung durch Gott.
Der Begriff der Natur faßt die Schöpfung an ihrer schwächsten Stelle.
Wenn die Kirche zum steinernen Herzen der Welt wird, dann wird es Zeit, auf das Schreien der Steine zu hören.
Zu Benjamins Wort über die Opfer der Vergangenheit in den geschichtsphilosophischen Thesen: Erst wenn wir aufhören, die Auferstehung nur für uns zu erhoffen und verdrängen, daß sie alle Opfer der Vergangenheit betrifft; erst wenn wir diese Verdrängung aufheben, wird die Vergangenheit für uns durchsichtig und mit ihr der Schuldzusammenhang, der das Böse dem Wiederholungszwang unterwirft. Erst wenn wir das Entsetzen, die Qualen und die Schmerzen der vergangenen Opfer in unsere Gebete mit aufnehmen.
Wenn die Kirche Maria Magdalena die Büßerin nennt und bei der Befreiung von den sieben unreinen Geistern mit fasziniertem Entsetzen nur daran denkt, wie schlimm sie es wohl getrieben haben muß, so sagt das mehr über die Kirche als über Maria Magdalena.
Die Übersetzung des ho airon mit „Hinwegnehmen“ kann nur auf die Zukunft sich beziehen; für die Vergangenheit kann es nur als „Auf-sich-Nehmen“ verstanden werden, und dieses Auf-sich-Nehmen fällt unters Nachfolgegebot. Dazu gibt es keine Alternative mehr. Das ho airon im Sinne von Hinwegnehmen als eine vollendete Tat auffassen: das ist die Sünde wider den Heiligen Geist.
Ist die Trinitätslehre vielleicht auch ein Versuch, die Genealogien vom Wiederholungszwang zu befreien?
Nach den ersten Anschlägen der raf (z.B. nach dem Kaufhaus-Brand in Frankfurt) sahen die Politiker keinen Anlaß, über die Probleme des Vietnam-Krieges und das Verhältnis der Industrie-Nationen zur Dritten Welt zu diskutieren, während nach den Pogromen der letzten Monate alle Welt nur noch über das Asylantenproblem spricht. Das unterscheidet das Verhältnis der Politik zum rechten von dem zum linken Extremismus: Diesmal sitzen die Sympathisanten und die Mescaleros in der Regierung. Wenn die Taten der Rechten von der Linken kämen, wir hätten längst wieder Krisensitzungen der Regierung und Sympathisantenhetze in den Medien.
„Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und sie schämten sich.“ Ist nicht das Nacktsein ein anderer Ausdruck fürs Schuldigsein? Nur das begründet die Scham. Heißt das aber nicht, daß sie schon vorher schuldig waren, und die Sünde diese Schuld nur aufgedeckt, sie bewußt gemacht hat? Diese Umkehrung der Beziehung von Sünde und Schuld wird durch das felix culpa ein wenig verstellt, das hiernach in der Tat felix peccatum heißen müßte. Die das Recht und die Urteilsmoral (Sexualmoral) begründende Kausalverknüpfung von Sünde und Schuld ist ein Ingrediens der Exkulpierungsstrategien und des Schuldverschubsystems, die durch den Weltbegriff sich konstituieren und stabilisieren. Es ist nicht ohne Bedeutung, wenn im Psalm 109 zuerst die Schuld der Väter und dann die Sünden der Mütter genannt werden. Vgl. hierzu den Gesamtzusammenhang, von Morgenstern, Venus, Jesus und Luzifer.
Franz von Baader hat einmal – in den Fermenta cognitionis – die Hegelsche Philosophie „das Auto da Fe der bisherigen Philosophie“ genannt (Schriften Franz von Baaders, ausgewählt und herausgegeben von Max Pulver, Leipzig 1921, S. 84). Hat Hegel nicht in der Tat das Feuer vom Himmel geholt, aber es brennt noch nicht. Die Erfahrung dieses Brennens, für die das Bild vom brennenden Dornbusch steht (vgl. hierzu das von Gerschom Scholem zitierte Wort des Eleasar von Worms), ist der Kern der theologischen Erfahrung. Kritik der Welt als Fähigkeit zur Schuldreflexion ist der Anfang der Erfahrung dieses Brennens. Und die zur Zeit in Deutschland grassierende Xenophobie, dieses entsetzliche faschistische Potential, das hier hochkommt: man sollte es einmal vor dem Hintergrund von Sodom, Jericho und Gibea sehen.
Lot: involutus, colligatus (ins Dunkel gehüllt; zusammengelesen, aufgesammelt),
Moab (Sohn der älteren Tochter Lots): de patre (vom Vater),
Ben-Ammi/Ammon (Sohn der jüngeren Tochter Lots): Sohn meines Verwandten/populus ejus (sein Volk).
Lots Weib und Lots Töchter sind namenlos.
In der Hexenverfolgung rächen sich die Väter für die ebenso unerträglich wie undurchsichtig gewordene eigenen Schuld an den Sünden der Mutter. Lassen sich nicht in den Projektionen der Verfolger die verdrängten Probleme in der Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften erkennen? Die Schreie der Opfer müssen als Schrei der Steine endlich ins Ohr dringen. Nur so läßt sich das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.
Lüge
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03.11.92
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24.05.92
Ist nicht (gegen Flasch, S. 94) die Biologisierung der Erbsünde gerade eine Konsequenz des augustinischen Personalismus?
Augustinus behandelt die Geschichte mit Esau und Jakob als Fall, an dem man ein Gesetz (die Paradoxie des Gesetzes der Gnade) demonstriert.
Zu Psalm 5811 (5711): In dem Psalm ist das Blut der Sünder das der „Frevler“, der Herren (bei Augustinus wird daraus das Blut der Aufsässigen, schließlich der Häretiker); und der Gerechte wäscht nicht (wie die Vulgata übersetzt) seine Hände in diesem Blut, sondern er watet im Blut.
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, aber das Strafrecht läßt als Notwehr gegen die Gemeinheit des Rechts die Lüge zu. Vor diesem Hintergrund gewinnt die kirchliche Umformung des achten Gebots in „Du sollst nicht lügen“ den besonderen Sinn, die Menschen wehrlos zu machen. Konsequenz des dämonischen Gottesbegriffs. Zugleich hat sie die Gläubigen aggressiv gemacht.
Das Gebot „Du sollst nicht lügen“ definiert Wahrheit durch die subjektive Ehrlichkeit; er schränkt Wahrheit damit apriori auf das Reich der Erscheinungen ein: er ist eine Konsequenz aus der Unfähigkeit zur Reflexion des Weltbegriffs (ein Mittel im Kampf gegen die Häeresien, die selber genau dieser Unfähigkeit sich verdanken, und der Grund, aus dem die Selbstverfluchung einmal zwangsläufig erwachsen muß).
Die gar nicht so uninteressante Frage, ob nicht der emphatische Begriff der Wahrheit etwas mit einschließt, was im Kontext der Verblendung Lüge heißt, wäre zu prüfen. Daß Generationen von Philosophen, durch die Universitätsbildung schlau geworden, nichts dabei fanden, in welchem Zusammenhang und mit welcher Bedeutung in Hegels Philosophie der Begriff der List erscheint, hängt hiermit zusammen.
Der Teufel, der Herr der Hölle ist auch der Vater der Lüge (und Subjekt des Gelächters). Wie hängen Lachen und Lüge zusammen? Ist nicht das Lachen die infamste (weil ohne Selbstdenunziation nicht widerlegbare) Gestalt des falschen Zeugnisses (Zusammenhang mit dem Raumbegriff)?
Zur Ableitung der Sexualmoral und der Frauenfeindschaft: Augustinus opfert im Kampf gegen seinen bösen Trieb die Frau (die namenlose Mutter seines Sohnes „Adeodatus“: wer ist hier der „deus“?). Der Marquis de Sade hat dieses Verhältnis auf den Punkt gebracht.
Kurt Flasch mißt Augustinus an der neopaganen Idee einer unschuldigen Natur (oder der natürlichen Unschuld); er hat offensichtlich seinen Freud nicht gelesen und kennt in dieser Sache nur die – aus der christlichen, der augustinischen Tradition stammende -Alternative: Urteil oder Freispruch.
Im jüdisch-christlichen Schisma hat das Christentum die Gottesfurcht verdrängt; damit waren die Wurzeln eingepflanzt für Gnosis und Manichäismus.
Nach dem Verrat der Gottesfurcht, wurde im Kampf gegen die Gnosis die Idee der Schöpfung, im Kampf gegen den Manichäismus die des Gerichts verraten.
Zum Taumelkelch und seiner Beziehung zum Hegelschen Absoluten: Ist dieser Taumelkelch nicht schon zuvor über die Trinitätslehre in die Theologie aufgenommen worden?
Im Dogmatisierungsprozeß wurde die Warntafel mißachtet, die Jesus selbst aufgerichtet hat: Das Wort „Richtet nicht …“ enthält doch auch die ganz schlichte Konsequenz: Die Wahrheit ist nicht Gegenstand des Urteils.
Das Verbot zu lügen untergräbt die Logik und die Botschaft des Märchens; nur das Märchen eröffnet den Bereich, in dem der Teufel als dumm erkennbar wird: das aber ist das für ihn schlimmste Prädikat.
Wo kommen Insekten in der Schrift vor? Und in welcher Beziehung stehen sie zu den Würmern, zum Gewimmel, zu den Kriechtieren -oder zur Schlange? (Und welche Blumen kommen in der Bibel vor?)
„schuf“, „erschaffen“, „Erde“, „Himmel“.
Zur Theorie des Feuers: das Aufspannen (des Himmels) hängt mit der Spannung zusammen, die beispielsweise auch einem Roman eignet, dessen Telos (nach Lukacs) der Tod ist. Waren die Scheiterhaufen die christlichen Erben der Moloch-Opfer? Bibel-Stellen zu „Feuer“, „Flamme“, „brennen“, „brannte“. Der Kreislauf des Wassers (der Wasser von unten und der von oben) oder der Zusammenhang von Schuld und Segen. Was bedeutet das Wort am Kreuze „Mich dürstet“ („Durst nach Gerechtigkeit“)? Hunger und Durst, Feuer, Asche und Staub. Die vierzig Tage Jesu in der Wüste, die Versuchung und am Ende die Engel, die seinen Hunger und Durst stillten. Wovon nährte sich Johannes der Täufer? Haben die Heuschrecken mit denen in der Exodusgeschichte zu tun?
Die Orthogonalität des Raumes und die Reversibilität der Richtungen im Raum gehören zusammen. In dieser Reversibilität aber drückt die Macht des Unteren über das Obere, des Hinteren über das Vorne und der linken über die rechte Seite aus.
Natur und Welt sind die beiden Gestalten des Für-andere-Seins als Totalität (Folge der Verirrung im Labyrinth der Mathematik: aber hat nicht die kantische Philosophie die Grenzen dieses Labyrinths abgesteckt, während die hegelsche Philosophie das Labyrinth von innen vermessen hat).
Der Exkulpationstrieb hat seine Wurzeln in der Gewalt, die wir immer noch dem moralischen Urteil beimessen; diese Gewalt aber gründet in der christlichen Himmels- und Höllenvorstellung.Augustinus, Blut, Christentum, Flasch, Freud, Gemeinheit, Hegel, Infamie, Kant, Lachen, Lüge, Mathematik, Philosophie, Sexualmoral, Theologie, Tiere, Wasser -
08.04.92
Was ist das „Salz der Erde“, und was ist das „Licht der Welt“?
Der Unterschied zwischen der griechischen und der jüdischen Tradition liegt unter anderem darin, daß zwar die Philosophie in der Prophetie ihre Stelle findet (und auch benannt wird), nicht aber die Prophetie in der Philosophie. Die Prophetie kommt in der Philosophie nicht vor, weil die Philosophie den Gedanken der Schöpfung a priori abweisen muß, nicht ertragen kann. Schlimm war, was dann die Theologie unterm Begriff der creatio ex nihilo glaubte als Schöpfungsbegriff in die Philosophie einzuführen zu können und dann im Begriff des Kontingenten glaubte begriffen zu haben: Diese creatio ex nihilo hat mehr mit Bankgeschäften und Geldschöpfung zu tun als mit dem biblischen Schöpfungsbericht, aber sie war die einzige Möglichkeit, eine Erschaffung der Welt auch nur zu denken.
Die Darwinistische Theorie ist eine Analogiebildung. Das Modell für die Vorstellung von der Entwicklung der Arten war die Erkenntnis der „organischen“ Entwicklung des Kapitalismus. Aber wenn sie eine Analogiebildung ist, dann wurde ihr Grund in der theologischen Konzeption der creatio ex nihilo gelegt.
Die Idee der creatio ex nihilo ist ein Mammonismus. Dagegen ist die Rosenzweigsche Konzeption des nihil als eines dreifachen, bestimmten Nichts realistischer und kommt der Sache näher.
Warum nennen die Dämonen Jesus den „Sohn Gottes“ (und warum nennt Pilatus ihn den „König der Juden“)? Kann er das überhaupt sein, wenn diese ihn als solchen glauben zu erkennen?
Heideggers Kritik der Metaphysik ist regressiv, sie führt hinter Aristoteles zurück, nicht über ihn hinaus.
Kann es sein, daß die Astrologie von der Chaldäern und die Alchemie von den Ägyptern (lt. Meyers großem Taschenlexikon im 2./3. Jhdt. im griechisch sprechenden Ägypten) stammt?
Es ist eine im Aufklärungsprozeß selber entsprungene Verblendung, die die Menschen heute daran hindert, zu sehen, was sie durch ihr materielles Leben draußen anrichten. Ganz verdrängen läßt sich’s nicht: Sie ahnen die Wahrheit und reagieren darauf faschistisch. Der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eingetretene Rechtsruck läßt sich daraus herleiten.
Sind nicht die Aktionen der Linken auch in der großen Gefahr, zu Exkulpationsriten zu werden, die dann die andere Seite erst wecken und provozieren?
Wie in der Politik hilft auch in der Wissenschaft die selbstlaufende Logik nicht mehr zur Ermittlung der Wahrheit. Ist der Verdacht so unbegründet, daß sie heute bereits der Produktion des Chaos dient?
Das war der Irrtum des real existierenden Sozialismus und das ist der Irrtum der gesamten Marktideologie, dessen Zeche wir werden zahlen müssen.
Die Splitter in den Augen der Anderen sind Metastasen des Balkens im eigenen Auge. Oder anders: Das steinerne Herz ist der Reflex des Objektivierungsprozesses.
Ist Petrus das steinerne Herz der Kirche, das erst nach dem Hahnenschrei durch die lösende Kraft des Weinens sich in ein fleischernes Herz verwandelt? Und ist nicht das aufs Dogma bezogene Bild von Schale und Kern noch zu grob?
Die Todesgrenze ist identisch mit der Grenze, die das Lachen zieht, das Gelächter.
Simone Weil: Schwerkraft und Gnade. Das muß als physikalisch-theologisches Buch gelesen werden.
Nur die Gottesfurcht entmythologisisert die Welt.
Das Objekt „fällt“ unter den Begriff, und das Urteil wird „gefällt“: So drückt sich der Fall in der Logik aus, und so wird die Welt zu „allem, was der Fall ist“.
Die Kanonisierung der Schrift (in allen drei Schrift-Religionen) war die Installation der Schrift als Schicksalsmacht.
Das kirchliche Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist unerfüllbar, weil die Wahrheitspflicht, die darin sich ausdrückt, unerfüllbar ist. Und zwar ebenso unerfüllbar wie die Chance einer als Hexe Beschuldigten, ihre Unschuld zu beweisen. (Das ist der Beweis der dämonischen Unwahrheit des Unschulds-Ideals). Die Wahrheit, die nicht an der Idee des Konsenses, sondern an der der Versöhnung sich mißt, ist im prädikativen Urteil nicht faßbar. Und das Gebot „Du sollst nicht lügen“, verurteilt unentrinnbar zur Schuld; in seinem Bannkreis gibt es keinen möglichen Weg der Befreiung. Es verdankt sich dem kirchlichen Instrumentalisierungsgesetz, das bis ins Dogma hinein die Wahrheit entstellt, und dessen Wirkung hier mit Händen zu greifen ist: Es ist Produkt der Instrumentalisierung des achten Gebots: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten. Es verwandelt das befreiende Offenbarungs-Gebot in ein Schicksals-Gebot. -
06.04.92
Der Zusammenhang von Im Angesicht und Hinter dem Rücken hat zu tun mit dem von Bewußtsein und Verdrängung, nur daß er im Begriff des Angesichts nicht psychologisch, sondern als Objektives gefaßt wird.
Obelisk und Pyramide: Potenz und Totenkult?
Konnte Jesus überhaupt die zukünftige Schuld (unsere Schuld) schon auf sich nehmen, geschweige denn „hinwegnehmen“; d.h. ist die Geschichte im Rahmen einer Opfertheologie (Sühneleiden für zukünftige Schuld) überhaupt zu fassen? Die Opfertheologie ist die weltliche (kosmologische) Interpretation der Übernahme der Sünde der Welt als eines vergangenen Ereignisses, die aber eben damit bewußtlos das kapitalistische Konzept antizipiert und den Bezugsrahmen herstellt für die kapitalistische Gestalt der inneren und äußeren Naturbeherrschung.
Daß der Begriff der Welt in den historischen Prozeß verflochten ist, ist selber erst ein Resultat dieses historischen Prozesses und erscheint nicht zufällig zum ersten Mal bei Hegel.
Heute ist vom Christentum allein die Exkulpationsmagie übrig geblieben. Nur sie bindet die „Gläubigen“ noch an diese Religion.
Sapientia, sapere: Beziehung zur Scham; Fähigkeit, das Von außen gesehen Werden zu reflektieren (die Sünde der Welt auf sich zu nehmen). Diese Reflexion ist die Bedingung der Weisheit und des Erlernens des Schmeckens.
„Laßt die Toten ihre Toten begraben“: Ich glaube, mit dieser Begründung könnte man aus der Kirche austreten.
Ist der Freudsche Mythos von der Tötung des Urvaters nicht das genaueste Modell des christlichen Ursprungs des Antisemitismus, der Entstehung des Urschismas.
Definition: Die Welt ist der Abgrund, der die Menschen von sich selber, von einander und von Gott trennt. Vgl. Ludwig Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist.
Kruzifix und Auschwitz: Beides unterliegt dem Bilderverbot; erst die Einhaltung des Bilderverbots, macht den Weg frei für die reale Erinnerung (sprengt die Vorstellung einer homogenen Zeit, während die Opfertheologie diese Vorstellung einer homogenen Zeit voraussetzt und stabilisiert; die Opfertheologie ist ein Teil der Anpassung an die Welt, sie hat den Weltbegriff als Referenzsystem und Maß; die Versöhnung, die sie zu leisten vorgibt, ist Schein, Ersatz für die verdrängte Übernahme der Sünde der Welt).
Metaphorik ist die Quelle, aus der sprachliches Denken sich nährt. Der Kampf gegen die Metaphorik, der Zwang zum direkten begrifflichen Zugriff, zerstört die Sprache, kreuzigt des Logos.
Wenn die Beziehung von Innen und Außen eine Bedeutung hat, dann nur unter dem Aspekt von Rechts und Links: Links (das Richten) nach innen, Rechts (die Barmherzigkeit) nach außen. Das steht hinter dem Wort vom Balken und vom Splitter (während heute in der Folge einer schlimmen christlichen Tradition alle nur barmherzig gegen sich selbst, aber streng gegen die Andern sind, das Gut-Sein verdrängen).
Bei der Übernahme der Sünde der Welt kann und soll nicht geleugnet werden, daß es gegenständliche Schuldzentren in der Welt (die Welt selber als gegenständliches Schuldzentrum) gibt. Nur darf dabei nicht vergessen werden, daß man selber zu ihren Urhebern gehört, sich nicht davon freisprechen kann.
Jede Überwindung ist nur eine Metamorphose; die Vorstellung, das es wirklich überwunden sei, hängt mit der anderen zusammen, daß es tot und vergangen sei, und uns das Tote und Vergangene nicht mehr interessiert: die beste Garantie dafür, daß es weiterlebt.
Das verlorene Antlitz der Erde: Nach der „Heiligung der Welt“ jetzt die „Bewahrung der Schöpfung“? Ist nicht beides falsch?
Wenn die Schlange klüger war als die anderen Tiere des Feldes: heißt das nicht auch, daß die Tiere des Feldes auch klug sind? Liegt die Differenz nicht doch nur in der fehlenden (oder, worauf das Fell hinzudeuten scheint: nicht mehr reflektierbaren) Scham, in der fehlenden Fähigkeit, sich im Blick der anderen zu sehen? -
24.02.92
Hätte Jesus gelacht, er wäre nicht der Logos.
Ist der „herniederfahrende“ Gott in Babel das Ego (Babel sein erstes Exil)? Und ist der Schöpfungsgedanke in einer Sprache, die das Futur (und damit den Begriff der Materie) kennt, überhaupt noch möglich? Und wie hängen beide Fragen mit der Entfaltung der Raumvorstellung zusammen?
Tabus und Konventionen instrumentalisieren das Lachen, den Schrecken und die Schuld.
Fremdworte zitieren die ganze Sprache, aus der sie genommen sind?
Die grammatische Organisation der Sprache, insbesondere die Bildung des Futur, scheint mit der Bildung der Personalpronomina, der Hilfszeitverben und dem exzessiven Gebrauch von Prä- und Suffixen zusammenzuhängen (räumliche und zeitliche Durchorganisation der Sprache, Verdinglichung und Hypostasierung). Und ist die agglutinierende Sprache (die „sumerische“ Sprache) der Ausgangspunkt der grammatischen Durchbildung der Sprache?
In den deutschen Präfixen wie be-, ver-, zer-, ge-, er- etc. drücken sich räumlich praktische Beziehungen aus, deren Resultat in den Hypostasen, in den Substanzen, in den Gerundivbildungen (in den Suffixen -keit, -heit, -ung, -nis etc.) sich manifestiert.
Drücken die Suffixe (als Determinanten der Hypostasierung der Begriffe)
– -heit den Objektaspekt (die unter einen Begriff subsumierte Menge),
– -keit den begrifflichen Aspekt (die begriffliche Allgemeinheit und das Subsumtionsverhältnis),
– -ung die Durchdringung des Objekts von innen (Natur),
– -nis die Affizierung des Objekts von außen (Welt)
aus,
und die Präfixe (als Determinanten der Verben, Ursprung und Reflex ihrer Hypostasierung im Begriff)
– be- die begriffliche Affizierung des Objekts von außen (bestrafen, bekennen, begreifen, behandeln),
– an-, anti-, wider-, gegen- die materielle Affektion von außen (Feindschaft, Objektivierung; anklagen, anerkennen, ansagen, anmahnen, anbeten)?,
– er- die Affizierung des Objekts von innen (erkennen, erlösen),
– ver- die Zerstörung des Objekts (die Zerstörung von außen und/oder von innen; vernichten, verlassen, veranlassen, vermögen),
– zer- die vollständige Zerstörung des Objekts, des Begriffs, des Wesens (die Zerstörung von innen: Grund der Trennung von Begriff und Objekt; Inbegriff des Raumes; zernichten, zerstören, zerfallen, zermalmen)
– ge- das Produkt des -zer (nach Trennung von Begriff und Objekt: die Vergangenheit; die Zerstörung des Begriffs als Bedingung seine Genesis; Partizip Perfekt, verbal nur noch verwendbar mit Hilfszeitverben: Sein – von innen, Haben – von außen, Werden – von außen nach innen).
Vgl. ge-lassen, be-lassen, ver-lassen, zer-lassen.
(genauer)
Hängt der Begriff Volk mit dem Verhältnis von Außen und Innen zusammen (Wadler, S. 161)? Gibt es einen Zusammenhang von Schuld und Schild? Entsteht der Schuldzusammenhang im Zuge der Rechtfertigung, der Abwehr eines Angriffs?
Zum weiteren Zusammenhang des Begriffs der Maske vgl. Wadler, S. 166.
Gegen Wadler: Nicht der Ursprung an sich ist das Ziel, sondern der reflektierte Ursprung: die reflektierte, ins Bewußtsein ihrer selbst gehobene Sprache, zu der auch die Reflexion der Geschichte der Grammatik und die des Ursprungs und der Bedeutung der Prä- und Suffixe gehört.
Zum Prinzip des Turmbaus zu Babel: S. 167.
Frage: Form der Schuldverarbeitung?
Geschichte der Sprache und kollektive Formen der Schuldverarbeitung.
Der Verknüpfung des Rassebegriffs mit Problemen der Sprachgeschichte ist Teil des nationalistischen Geschichtsverständnisses und eine der Ursachen des Antisemitismus: sie rührt an ein Grundproblem einer historischen Sprachphilosophie.
Die Konsonantenschrift ist eine entsubjektivierte Schrift, eine reine objektive Schrift.
Wie es scheint, kommt die altorientalische Geschichte bei Franz Rosenzweig nicht vor; und er sieht auch nicht die jüdische Geschichte als eine Parallelgeschichte zur griechischen, sondern als eine Antwort auf die griechische: erst das Christentum ist eine (die?) jüdische Antwort aufs Griechentum (nur hat das Christentum das bis heute nicht begriffen).
Wächst nicht eine Situation heran, die auch der Satire noch spottet? Und gegen deren Spott kommt das Kabarett nicht mehr an. Mit diesem Spott darf sich das Kabarett nicht gemein machen (gegen Dieter Hildebrands letzten „Scheibenwischer“).
Beziehung der Vokale zur Zeit und zur Hypostasierung: Sind der Infinitiv und das Futur nicht potentielle Hypostasierungsformen? (das Dreschen; der Drescher wird dreschen; er hat gedroschen; Ergebnis: der Drusch. Drei Gestalten der Hypostasierung: Täter, Tat und Produkt aus dem Verb abgeleitet).
Wie beeinflußt die pikto- oder ideographische Schrift die Sprache: insbesondere dadurch, daß sie das Instrument, die Tat und den Täter in einem Bild zusammenfaßt (den Pflug, das Pflügen und den Pflüger)? – Ursprung des Zusammenhangs von Objektivität, Instrumentalisierung und Verdinglichung.
„Ein System siegt sich zu Tode“: Ärgerlich der verdinglichende Herrenblick des Westens, der auf die „Bevölkerungsexplosion“ der Dritten Welt fällt sowie auf die „Alten und Kranken“, die als Ursachen der „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen erscheinen. Dieser Konkretismus hängt aufs engste mit dem zusammen, der das Problem auf den Energiebereich abschiebt und glaubt, es mit Hilfe der (physikalischen) Gesetze der Thermodynamik (einer Konsequenz des Energieerhaltungssatzes) zureichend analysieren zu können. Der Unterschied, den wir bei Betrachtung des Zustandes der Dritten Welt vor und nach der Geschichte der Kolonisierung machen (dort „Kultur“, hier Barbarei), liegt nicht zum wenigstens in unserer Optik: Den Zustand vor der Kolonisierung sehen wir als Folge von Natur, die das „ohne uns“ angerichtet hat; hier sind wir im Unterschied zu den Verhältnissen nach der Kolonisierung moralisch entlastet (exkulpierende Funktion des Naturbegriffs: die „Kultur“ vorher verwehrt es uns noch heute, die „Eingeborenen“ als Menschen, und in ihnen unsere eigene Vergangenheit zu erkennen).
Begründen läßt sich die Anwendung physikalischer Gesetz auf Gesellschaftliches einzig durch den Kontext der Schuldzusammenhangs, der fortwährenden Schuldknechtschaft.
Ziel wäre nicht die resurrectio naturae, sondern die renovatio faciei terrae. (Die resurrectio naturae gehört zum christologischen Naturbegriff, ist eine Folge der nicht geleisteten Erinnerungsarbeit; und der Naturbegriff rührt an die Bindegewalt der Kirche).
Die Naturwissenschaften sind das Korrelat der ohnmächtigen moralischen Urteilslust und der folgenlosen Empörung; und die moralische Urteilslust und die Empörung sind Instrumente der Rechtfertigung und Exkulpierung, der Konstituierung der Gemeinheitsautomatik und der Verhinderung der Gottesfurcht.
Ist die Geschichte mit Nebudkadnezzar im Buch Daniel eine Kurzfassung der gesamten Herrschaftsgeschichte (Babylon; Nabuchodonosor: Planctus judicii; planctus = laute Wehklage)?
Muß die Hoffnung heute durch den Unglauben, durch die Verzweiflung hindurch?
Wenn der Geist kommt, dann werden die Söhne und Töchter, die Knechte und Mägde weissagen: aber weder die Eltern noch die Herren? – Und es gibt keine Herrschaft ohne die Vergegenständlichung des Raumes (die Zahl, die Mathematik, neutralisiert die Genealogie, die Hegel dann für die Monarchie nochmals zu rechtfertigen gezwungen ist; sie macht nicht nur die Dinge gleichnamig, sondern die natürlichen Abhängigkeitsverhältnisse unkenntlich; dem Zählen geht die paarweise Zuordnung, und dem Begriff, wie der Multiplikation, das Zählen voraus; wird die Multiplikation zusammen mit dem Winkel entdeckt, und hängen die Fähigkeiten der Multiplikation und der Begriffsbildung zusammen?).
Hängt die Fußwaschung vor dem Tode Jesu mit der Bereitung des Schemels SEINER Füße zusammen? Und warum wehrt sich Petrus zunächst, um dann umgekehrt gleich ein ganzes Vollbad zu verlangen? – Alle Petrus-Stellen?
Der Hegelsche Satz: das Eine ist das Andere des Anderen, ist wahr in der Anwendung auf mich, er ist unwahr in der Anwendung auf Andere. Darin drückt sich präzise der Grund der Übernahme der Sünde der Welt aus. Die Mathematik konstituiert sich in der umgekehrten Anwendung des Satzes: Sie macht alle zu Anderen für Andere. Und die Differenz zwischen mir und den Anderen ist der Grund dafür, daß indikativische Sätze nicht fähig sind, die Wahrheit auszudrücken.
Der Zusammenhang der Bekenntnislogik mit dem Raum, der subjektiven Form der äußeren Anschauung, hat zur Folge, daß das Bekenntnis des Namens erst möglich sein wird, wenn die Theologie ihre Beziehung zu den Naturwissenschaften aufgearbeitet und geklärt hat. In diesem Zusammenhang wird auch der Schöpfungsbericht in einem neuen Zusammenhang auch neue Bedeutung gewinnen: Hier wird das Rätselwort von der Befreiung von den sieben unreinen Geistern möglicherweise sich aufklären.
Gegen die Ontologie: Das Wesen ist das Unwesen, das Fortleben der Vergangenheit in der Gegenwart, die fortexistierende Macht der Vergangenheit über die Zukunft: es wird bezeichnet im Begriff des Schuldzusammenhangs, der hervorgerufen, hervorgezwungen wird im Kontext der Geschichte der Selbsterhaltung. Das Ich ist das Ding; und das ist die unaufhebbare Schuld bei Hegel, deren ohnmächtige Erinnerung die Gestalt des Absoluten ist.
Totalitätsbegriffe wie Welt und Natur sind automatisierte Verdrängungsapparate; sie dienen einzig noch dazu, die Selbsterhaltung gegen Reflexion abzuschirmen. Und Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ ist der Versuch, durch Erinnerungsarbeit und Mimesis an das Gewimmel im Schlangennest der Widersprüche des Naturbegriffs an die Wahrheit sich heranzutasten. Adornos Hinweis auf ein scheinbar harmloses Gespräch im Eisenbahncoupee, in dem der Nichtwiderspruch auf die Zustimmung zum Mord hinausläuft.
Adornos Philosophie als Verkörperung der Gottesfurcht, wobei die Gottesfurcht geleitet wird durch eine Scham (Indikator dessen, was sich heute noch öffentlich schreiben und sagen läßt), die am Ende dann auch den Gedanken an Gott selber ergreift. Er hat damit, weiß Gott, mehr recht als jene, die weiterhin den Namen Gottes munter auf ihren Lippen führen, und deren Theologie eine einzige Verletzung des zweiten Gebots ist.
Die Physik ist ein System der Niedertracht. -
01.02.92
Die Verletzung des achten Gebots ist ein Strukturelement der verweltlichten Welt. Und die Übernahme der Sünde der Welt steht in der Tradition dieses achten Gebots „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“. Die christliche Umformung dieses Gebots in „Du sollst nicht lügen“ ist direkt ableitbar aus dem Verzicht auf Weltkritik. Ebenso ist der Begriff der „Weltschöpfung“ ein Teil der Rechtfertigung der Gemeinheit und des Geschwätzes (Bedeutung des gnostischen Demiurgen; paranoider Ursprung dieses Konzepts und Zusammenhang mit der Geschichte der Ketzerbewegung).
Gibt es einen Zusammenhang des Wortsstammes -acht- in: Achtung, achten auf, „in Acht und Bann“, beachten, Verachtung u.ä. mit der Zahl acht? (David der achte Sohn des Isai, Sonntag = Herrentag = der achte Tag: Wiederholung des ersten Tags?). -
02.11.91
„Kritik der toten Natur“: Hier wurde ein zentrales Thema der heute möglichen Naturphilosophie mehrfach verfehlt.
– Nicht „die tote Natur“, sondern ihr Begriff wäre der Kritik zu unterziehen (nicht das Proletariat, sondern das System, das es dazu macht).
– Die „tote Natur“, oder die Natur im Zustand der vollendeten Naturbeherrschung, ist ein Deckbild der toten Gesellschaft; und die notwendige Kritik beider schließt die Kritik ihrer Genesis: die der Herrschaftsgeschichte mit ein. Es gibt keine „tote Natur“ außerhalb der Naturbeherrschung und keine Naturbeherrschung ohne Herrschaft in der Gesellschaft.
– Wer die Erfahrungen der Opfer zum Sprechen bringen will, muß die stumme Erfahrungsschicht mit zum Sprechen bringen, die uns in der „äußeren Natur“ vor Augen steht. Ist die Natur stumm, weil sie tot ist, oder erscheint sie uns (zwangsläufig und ohne daß eine Alternative sich konstruieren oder benennen ließe) als tot, weil sie stumm ist?
– Man kann keine Herrschaftskritik betreiben, ohne die Geschichte der Naturbeherrschung und deren Objekt mit einzubeziehen.
– Begriffliche Schneisen schlagen: Gibt es eine Definition des Naturbegriffs? Die einfachste, auf die sich das Problem heute zu reduzieren scheint, ist die, die die Definition des Weltbegriffs mit einschließt: Der Begriff der Welt bezeichnet das Resultat des Säkularisationsprozesses, den Inbegriff der Herrschaftsgeschichte, dessen (in der hegelschen Philosophie sich begreifende) begriffliche Seite, der Naturbegriff im gleichen Prozeß die Objektseite (daher rühren die hegelschen Schwierigkeiten, die Natur als „Entäußerung der Idee“ zu fassen, die ihn dann zwingen zuzugeben, daß sie „den Begriff nicht halten kann“; die Natur kann ihn aufgrund der Logik ihres Begriffs nicht halten: das Objekt ist als apriorischer Gegenstand des Begriffs dazu verurteilt, den Begriff nicht halten zu können). Die Begriffe Welt und Natur sind außerhalb der Herrschaftsgeschichte ohne Bedeutung, sie bezeichnen in ihr die begriffliche (die Subjekt-) und die Objekt-Seite als getrennte Wesenheiten. Sie sind Totalitätsbegriffe, die den Herrschaftszusammenhang stabilisieren.
– Liegt es nicht in der Konsequenz der Dialektik der Aufklärung, die Beziehung zwischen der Geschichte der Naturbeherrschung und den geschichtlichen Katastrophen endlich wahrzunehmen (die moderne naturwissenschaftliche Aufklärung beginnt mit der Hexenverfolgung und endet mit Auschwitz)?
Das Urteil, die Ontologie (Natur und Welt) und der Turmbau zu Babel.
Der Übergang vom uneigentlichen zum eigentlichen Dasein bedarf in der Tat nur der Entschlossenheit, in der Sache sind beide nicht zu unterscheiden. Und damit scheint es zusammenzuhängen, daß der Begriff des Asozialen heute die Extreme der Gesellschaft trifft, nämlich sowohl die, die ganz unten, wie die, die ganz oben sind. Seit Kopernikus und Newton sind die ganz oben von denen ganz unten nicht mehr zu unterscheiden.
Heute traut sich niemand mehr, das Wort vom „beschränkten Untertanenverstand“ auszusprechen; dafür läuft die gesamte Politik sprachlich auf zwei Ebenen: es gibt den esoterischen Innenraum, in den niemand hineinblickt, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, während der Bereich der Darstellung nach außen, der Öffentlichkeit, auf die von der Bekenntnislogik beherrschten Mechanismen der Massenkommunikation abgestellt ist.
Es hätten eigentlich alle erschrecken müssen, als in einem sozialdemokratischen Parteiprogramm der Begriff „Vertrauensbildende Maßnahmen“ auftauchte (und das in der gleichen Phase, in der von den Notstandsgesetzen und dem Radikalenerlaß über den Nachrüstungsbeschluß bis zur Terrorismusbekämpfung der Graben zwischen realer Politik und Öffentlichkeit vertieft, ausgebaut und befestigt wurde).
Es ist ein allgemein bekannter Grundsatz: Wer in der Politik mitmacht, macht sich die Finger schmutzig, und den Luxus, unschuldig zu bleiben, kann sich niemand mehr erlauben.
Das Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist nur dort sinnvoll, wo die Sprache noch fähig ist, die Wahrheit auszudrücken. (Die Menschen wollen glauben, daß die Politiker die Wahrheit sagen, lieber verdrängen sie die Realität).
Die Physik schirmt die Natur ab gegen die Sprache.
Hat die Abfolge der drei Leugnungen eine Beziehung zur Trinität: erinnert die Selbstverfluchung nicht an die Sünde wider den Heiligen Geist? Entscheidend ist, daß das Hinter dem Rücken steigerungsfähig ist (bis hin zur Selbstverfluchung). -
06.10.91
Die physikalische Welt, das Weltbild, das uns die naturwissenschaftliche Aufklärung vor Augen gestellt hat, ist vom bürgerlichen Selbsterhaltungsprinzip nicht zu trennen. Die Gestalt des Subjekts, die ihm entspricht, ist mit jenen Verdrängungsinstallationen belastatet, deren Vorgeschichte die des Opfers, der Idolatrie, ist. Der psychische Apparat, den Freud zur Grundlage seines Konzepts gemacht hat, hat sein gegenständliches Korrelat in diesem Weltbegriff.
Die Sprache vor der babylonischen Sprachverwirrung (die Sprache als „Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung“) muß einen gegenständlich begründeten Zustand schuldfreier Seligkeit als ihren Ursprungspunkt haben. Die Idee des Glücks, der Versöhnung, wäre grundlos, würde sie nicht an diese Erinnerung anknüpfen können, diese Erinnerung nicht noch in sich tragen: An diese Erinnerung reicht jedoch nur heran, wer die benennende Kraft der Sprache nicht verdrängt, unterdrückt. Darin liegt das Wahrheitsmoment dessen, was in der religiösen Tradition Lüge heißt.
Buber, Gen 11,2:
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde;
die Erde aber war Irrsal und Wirrsal.
Finsternis über Urwirbels Antlitz.
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
Eissfeldt:
Im Anfang, als Elohim den Himmel und die Erde schuf
– die Erde aber war wüste und leer,
und Finsternis lag über dem Urmeer,
und der Geist Elohims schwebte über den Wassern -sprach Elohim: …
Anmerkungen:
– „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr …“ Die Erde, nicht der Himmel und nicht „alles“, „war wüst und wirr“!
– Gott schuf den Himmel und die Erde, nicht das Wasser, die Urflut: Entstand diese als unbeabsichtigte Nebenfolge der „Schöpfung“, die im Dunkel lag („Finsternis lag über der Urflut“); und der Geist Gottes „schwebte über den Wassern“ (der gleiche Geist, der erst am Ende die ganze Welt – wie das Wasser den Erdboden – bedecken wird). Repräsentiert hier das Wasser – wie dann das Meer – den Schuldzusammenhang? Und was bedeutet die „Trennung der Wasser über der Feste von den Wassern unter der Feste“ (das Werk des zweiten Schöpfungstages)?
– Ab wann taucht die Wendung auf, wonach Gott den Himmel, die Erde „und das Meer“ erschaffen hat (eine Wendung, die das NT vom Schöpfungsbericht und von den Propheten unterscheidet -vgl. auch die Meeresgeschichten im NT: das Wandeln über dem Wasser z.B.)? Das Meer (die Gewässer, an denen die Hure Babylon sitzt – Off 171,15) sind die Völker (Off ..). Und: „Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr“ (Off 211)
Ist das Dogma das Werk des zweiten Schöpfungstages: die „Feste mitten in den Wasser“, die „Scheidewand zwischen den Wassern“ (Eissfeldt, Gen 16)? (Und entspricht das Dogma der Christen dem Gesetz der Juden?)
Wodurch unterscheidet sich die Luft vom Wasser (das Gasförmige vom Flüssigen: Beziehung zum Raum: Volumen unabhängig/abhängig vom Druck)? Gibt es eine mikrophysikalische Theorie des Flüssigen (in Analogie zur thermodynamischen Gastheorie und zur Festkörperphysik)? -
25.09.91
Das Gebot „Du sollst nicht lügen“ scheint in der Thora nicht vorzukommen. Im Dekalog heißt es: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“ (Ex 2016, Deut 520). In Lev 1911 heißt es: „Ihr sollt nicht stehlen, nicht täuschen und einander nicht betrügen“; diese Stelle bezieht sich offenkundig auf den gleichen Sachverhalt wie z.B. Deut 2513: „Du sollst in deinem Beutel nicht zwei verschiedene Gewichte haben, ein größeres und ein kleineres“; beide beziehen sich auf die auch beim Tausch zu beachtende Anerkennung des Eigentums des anderen. Im Übrigen scheint der Begriff der Lüge in der Schrift nur auf Herren und Propheten (beide verführen das Volk) angewandt zu werden, er bezeichnet keinen Tatbestand der Privatmoral. – Vergleiche damit die geschichtsnotorische Umkehrung im Christentum: Hier darf der kleine Mann, hier dürfen Kinder nicht lügen, während die, die oben sind, den Begriff der Armut für sich usurpieren: Mit ihnen sollen die Unterworfenen Mitleid haben (weil sie es anders in ihrem Selbstmitleid nicht aushalten): Grund der Bekenntnislogik, Paradigma der Identifikation mit dem Aggressor, Ursprung des „Gottesbildes“ (was muß das für ein Gott sein, der der Anerkennung durchs Bekenntnis der Gläubigen bedarf, der durch Blasphemie gekränkt werden kann, der das Lügen verbietet).
Zur Kritik des Wahrheitsbegriffs: Der Wahrheitsbegriff, der Kindern das Lügen verbietet (und womöglich gleichzeitig das Petzen erlaubt, es darüber hinaus als Kronzeugenregelung nahelegt), vergöttlicht den Vater (den Staat), macht ihn fürs Kind (für den Bürger) allmächtig und allwissend, verschüttet die Quellen der kindlichen Phantasie, beraubt das Kind (den Bürger) der letzten Verteidigungsmöglichkeit, macht es (ihn) ohnmächtig: leugnet den Heiligen Geist. Was das Christentum für den Privat-(und Staats-)gebrauch so anziehend gemacht hat, hat zugleich den Grund für das falsche Begreifen der Welt gelegt, den falschen Weltbegriff fast unangreifbar gemacht. Wenn es ein Gebot, das das Lügen verbietet, gibt, dann kann es nur für Väter gelten.
Zur Säkularisation des Begriffs der Tiefe und zum Systembegriff (oder Dornen und Disteln und das Gesetz der Profangeschichte): Der Begriff der Tiefe bezeichnet gegenüber dem Flächenhaften, Plakativen, prima facie die dritte räumliche Dimension (die dann allerdings zusammenhängt mit dem ableitenden Verfahren, mit dem Ursprung des Begründungszwangs: mit der Weigerung, eine Sache so zu nehmen, wie sie sich gibt, mit der Tendenz zu Unterstellung und Verdacht, Angst vor Verrat, Paranoia). Im Film fügt nach einer klugen Bemerkung von Edgar Morin die Musik den flächenhaften, bewegten Bilder die Tiefe, die dritte Dimension hinzu. Die Perspektive in der Malerei (die Eröffnung der Tiefe des Bildes) ist ein Reflex der Entdeckung des Inertialsystems, des Ursprungs der naturwissenschaftlichen Aufklärung, des Beginns der dynamischen „Erklärung“ der Naturerscheinungen (die in der Entdeckung des Gravitationssystems ihre erste kosmologische Erfüllung findet), ebenso des frühen Kapitalismus, der „Tiefe“, und d.h. in diesem Falle (wie auch im Falle der naturwisenschaftlichen Aufklärung): Systemcharakter (tendentielle Unwiderlegbarkeit) gewinnt durch die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, die der Begründung des Systemcharakters des Inertialsystem entspricht. Die gleiche Tiefe, das Durchdringen der Oberfläche, zeigt sich in den literarischen Ursprüngen der psychologischen Erkenntnis, der Entdeckung der Spannung, die sich aus der Unterscheidung der Motive des anderen von seinem manifesten Verhalten ergibt (Aufhebung der Täuschung durch Enttäuschung: durch Aufklärung, die die Spannung auflöst, indem sie den Verbrecher dingfest macht) mit der realen, praktischen Konsequenz der Entwicklung von Verfahren der rationalen Bearbeitung des Verdachts: Ursprung und Entfaltung der Ermittlungsverfahren in der Inquisition; Übernahme dieser Verfahren in der wissenschaftlichen Forschung). Ihren letzten Ausdruck hat die säkularisierte Tiefe und die ihr zugrundeliegende Unterscheidung von manifester Oberfläche und Tiefe in der kantischen Unterscheidung der Erscheinungen von den Dingen an sich gefunden.
Die romanhaften Züge der Josephs-Geschichte – das möglicherweise erste Beispiel der geschickten Gestaltung psychologischer Spannung, das an der historischen Stelle, an die es der biblische Text rückt, völlig anachronistisch ist – zeigen sich vor allem in der sentimentalen Wiedersehens-Szene vor der Übersiedlung der Jakobsstämme nach Ägypten. An dieser Szene ließe sich erstmals die Frage studieren, warum die Menschen im Kino weinen. Und diese Szene steht in einem erhabenen Kontrast zur Isaak-Geschichte. Zur richtigen Bewertung und Einordnung dieser Szene scheint es notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, daß die schlaue Geschichte des Bauernlegens, der Enteignung der Landbevölkerung durch Joseph vorausgeht und die Versklavung der Hebräer durch den Pharao folgt. -
30.08.91
Das Verständnis der speziellen Relativitätstheorie, ihrer Beziehung zum Objekt, dürfte nicht schwieriger sein als das des Bankengeschäfts und seiner Beziehung zur Wirtschaftsstruktur (vgl. Baecker: Womit handeln die Banken? Ffm 1991).
Der Verdinglichungsmechanismus besteht darin, daß ich etwas zu einem Ding mit festen Eigenschaften mache: z.B. jemanden, der gemordet hat, zu einem Mörder. Ich mache so eine Tat zu einer festen Eigenschaft, die sich nicht mehr ändern läßt; das Prädikat zu einer begrifflichen Bestimmung des Subjekts: zum Begriff. Auch der Adelstitel ist ein „Prädikat“, und jedes Prädikat eine Bewertung. Genau diesem Konzept gehorcht auch der Antisemitismus und der ist ohne den Rassismus ebenso wenig zu haben wie die Nobilitierung eines ganzen Volkes durch den gleichen Arier-Rassismus. Dieser Antisemitismus hat seine nur scheinbar harmlosen Vorläufer in der nationalistischen Geschichtsschreibung, zu deren Folgen unter anderem neben der antisemitischen Interpretation der ebenfalls national verstandenen Propheten und der Schrift insgesamt auch die Erfindung der Sumerer gehört. Modell dieses Verdinglichungskonzepts sind die Naturwissenschaften, die ein System aus lauter Prädikaten sind. Hier liegt der Ursprung der Mathematik, deren Vorgeschichte unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen wäre (Sprache der Sumerer, „Turmbau zu Babel“, Ursprung der Idolatrie).
Die Ontologie entspringt mit dem Staat und mit dem Weltbegriff und stabilisiert beide; sie ist Erbe der Idolatrie und des Opfers; ihr genetisches Zentrum ist die Schicksalsidee.
Bei der Benennung der Tiere hat Adam nur die Arten benannt; die sind aber keine „Gefährten“ des Menschen.
Warum wendet Luhmann seine Systemtheorie nicht auf die Physik an?
Rechtfertigt Baecker („Womit handeln die Banken?“, Ffm. 1991) durch sein Konzept nicht die Funktion der Banken in diesem Wirtschaftssystem auf eine Weise, die eigentlich Anlaß zu begründetster Sorge wäre? Die Risiken, die die Banken verwalten und gegen die sie sich durch ihr Mangement absichern müssen, um die Stabilität des Wirtschaftsprozesses zu sichern: die Konsequenzen sind deutlich geworden in der „Wende“ in der deutschen Nachkriegspolitik, als alle Leute begriffen haben, was passiert, wenn diese Grundfakten nicht beachtet werden. Diese Risiken sind nur die offen zutage liegende Kehrseite der Verhältnisse, die die Existenz der Mehrheit der Bevölkerung bedroht.
Was würde eigentlich dabei herauskommen, wenn heute jemand Rosa Luxemburgs „Akkumulation des Kapitals“ und Rudolf Hilferdings „Finanzkapital“ auf den heutigen Stand der Dinge fortschreiben würde?
Die Katastrophen dieses Jahrhunderts, aus denen wir soviel gelernt haben, daß wir sie zur Zeit in die Dritte Welt exportieren, waren ja keine bloß ideologischen, sondern reale ökonomische Katastrophen.
Die Kreditschöpfung: eine creation ex nihilo. Beim deutschen Schöpfungsbegriff schwingt die Assoziation mit, daß jemand mit einer Schöpfkelle aus einer Flüssigkeit (einer Ursuppe gleichsam) „schöpft“. Das Flüssige, das Wasser (der erste Begriff der Philosophie übrigens), hat in biblischem Zusammenhang die Nebenbedeutung sowohl der Schuld, des Schuldzusammenhangs, als auch der Völker. Der Chaosdrache und das Tier aus dem Wasser gehören hier her. Aus einem solchen Medium (der Schuld und ihres kollektiven Ursprungs) „schöpft“ auch die „Kreditschöpfung“. -Ist das Geld, das eine Bank im Falle eines Kredits verleiht, real oder spekulativ; oder: ist diese Alternative real?
Die Frage „Womit handeln die Banken?“ ist präziser zu beantworten, wenn man den Baecker aus dem Verblendungsbann der Systemtheorie herauslöst. Die Banken handeln mit dem Tod, dessen Nichts so real wird.
Der real existierende Sozialismus ist u.a. daran gescheitert, daß er das Problem der Beziehung von Theorie und Praxis nicht ernst genug genommen hat. Die Vorstellung, die auf der unreflektierten Tauschprinzip-Theorie basiert, daß der Marxismus ein gleichsam technisches Konzept zur Beherrschung der wirtschaftlichen Prozesse biete, die die kapitalistischen Folgen vermeidet, war falsch. Dieser Instrumentalismus war ohne einen dann allerdings nur dilettantisch gehandhabten (Staats-)Kapitalismus nicht möglich. Der hatte dann weit schlimmere Folgen als der reale Kapitalismus. Lukacz hat das in „Geschichte und Klassenbewußtsein“ noch gewußt, dann aber schnell (und verzweifelt) verdrängt. Daß in diesem System dann so abenteuerliche Existenzen gedeihen konnten wie Schalck-Golodkowski, auch Mielke und Honegger, war kein Zufall. Zugrunde lag das durch die christliche Tradition abgesegnete Bekenntnis-Syndrom: die Vorstellung, daß das Bekenntnis zur Wahrheit hinreiche, um diese Wahrheit real werden zu lassen; sie hat wie im Christentum nur die schlaue Heuchelei und die Gemeinheit befördert und honoriert. Dadurch unterscheidet sich der Zusammenbruch des Sozialismus von der Niederlage des Faschismus, daß er die (durch Mißbrauch als Bekenntnis-Ideologie diskreditierten) Mittel, die eigene Situation zu begreifen, den Opfern aus der Hand geschlagen hat, und daß jetzt das Land Sündenböcke braucht. Deshalb glaubt man, die Probleme auf dem gleichen Bekenntniswege lösen zu können, der in die Katastrophe hineingeführt hat, während gleichzeitig diejenigen, die wirklich an den Hebeln der Macht sitzen, es besser wissen und sich ins Fäustchen lachen.
Die Wahrheit opponiert nicht der Lüge, sondern dem „Falsch-Zeugnis-Geben“. Die Lüge gehört bereits in den Kontext der verdinglichten, entmächtigten Wahrheit; Grundlage ist der Weltbegriff. Franz Rosenzweigs Begriff der „Bewährung“ macht das praktische (in letzter Konsequenz das herrschaftskritische) Moment an der Wahrheit kenntlich. Dieses Moment haben Juden unter der Idee der Heiligung des Gottesnamens verstanden (und die Christen – wie ihre eigene Theologie insgesamt – nicht verstanden).
Der Ödipus-Konflikt ist ein welthistorischer Konflikt, und zwar sowohl individuell wie auch gesamtgesellschaftlich. Die Möglichkeit der objektiven Anwendung des Verdrängungsbegriffs gründet in seinem Verhältnis zur Zeit. Verdrängt wird etwas Zukünftiges und Vergangenes zugleich, oder mit der verdrängten Vergangenheit wird zugleich ein Stück Zukunft verdrängt. Dieser Verdrängungsmechanismus konstituiert seit den Anfängen der griechischen Philosophie bis hin zu den modernen Naturwissenschaften den Begriff. (Dazu ein direktes Bespiel: Zwei Sechsjährige, ein Junge und ein Mädchen, fahren mit ihren Fahrrädern daher; ein anderer Sechsjähriger ruft den beiden mit offenkundig hämischem Ton nach: „Na, ihr beiden Verliebten.“)
Zur Konstruktion der Häme: Hier vermischt sich aufs trübste der Gestus der moralischen Überlegenheit, des moralischen Urteils, mit dem des schlecht verhohlenen Neids gegen den, über den man sich erhaben dünkt, indem man sich mit dem moralischen Urteil gemein macht.
Die Erkenntnis des Guten und Bösen ist die Klugheit der Schlange („Seid klug wie die Schlangen …“); sie ist die Erkenntnis auf die sich der Begriff der Umkehr bezieht.
Ist die Schöpfung die Umkehr des Chaos, und der Geist über den Wassern das Prinzip dieser Umkehr?
Sind Jahwist und Elohist nicht nur nebeneinander existierende (aus „verschiedenen Quellen“ stammende) Teile der Schrift, sondern durch eine Umkehrähnliche Relation aufeinander bezogen, und steckt in dieser Unterscheidung so etwas wie ein innertheologischer Reflex der babylonischen Sprachverwirrung?
Welche Sprachen wurden in Babylon gesprochen außer der sumerischen? Gibt es einen Sprachatlas der Antike?
Nur für die zerstreuten Leser (und die nationale Geschichtsschreibung, die sich an zerstreute Leser wendet) ist der eigentliche Gehalt der Schrift nicht sichtbar. Aber die heutige Schriftauslegung und der heutige Schriftgebrauch aller Kirchen hat die Zerstreutheit zur Grundlage (theologischer Grund ist offensichtlich). Die wesentlichsten Einsichten ergeben sich erst aus dem konzentriertesten Studium der Details.
Die Josephs-Geschichte: oder die Geschichte der Getreide-Versorgung als Teil der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals (des Zusammenhangs von Privileg und Diskriminierung, Askese und Ausbeutung). Er holt die eigene Familie ins Land und liefert sie dem Schicksal derer aus, deren Schicksal er selber durch die Behandlung der Hungerkrise bestimmt hat.
Wie kommen die Philister und Amalek in die Abraham-Geschichte?
Fundamentalisten sind Religions-Hooligans.
Der Dogmatisierungsprozeß, die Entwicklung des Dogmas, vertritt den Ödipus-Konflikt in der Kirchengeschichte.
Konzept:
– Im Angesicht/hinter dem Rücken,
– Objektivation und Instrumentalisierung,
– Raum und Zeit, Geld, Bekenntnis,
– Ödipus-Konflikt: Ursprung des Weltbegriffs, des Säkularisationsprozesses; Philosophie und Ursprung der Weltreiche („Babylon“),
– Begriff und Namenlehre; Herrschaft und Erkenntnis (Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang),
– Herrschaftskritik, Übernahme der Schuld der Welt, Auflösung des Verblendungszusammenhangs, Idee des Heiligen Geistes,
– Anklage, Gericht, Verteidigung, Sprachphilosophie,
– Natur und Welt, oder Bemerkungen zur feministischen Theologie
Rosenzweigs Erinnerung an den Tod: Umwandlung in ein Gedenken der Toten. Der Tod als das Sterben der anderen scheint in Rosenzweigs Konzept zu kurz zu kommen. Darauf bezieht sich die Lehre von der Auferstehung der Toten.
Im Angesicht Gottes leben, schließt die wahnwitzige Hoffnung auf die Auferstehung der Toten mit ein; ist diese Hoffnung als nicht nur kontemplative, sondern als aktive Hoffnung denkbar? Ist eine Praxis denkbar, die dieser Hoffnung entspricht, aus ihr sich nährt?
Zu Reinhold Schneiders Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten …“: Welches Schwert hat er hier gemeint? Das der direkten Bedrohung durch den Faschismus, die Gefahr des Terrors, die Möglichkeit des Martyriums, oder das Schwert, das den bedroht, der durch Komplizenschaft mit dem Faschismus, durch die Mittäterschaft an Auschwitz, mitschuldig geworden ist?
„… und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“: das scheint schon wieder eindeutig zu sein.
Das „Ehe Abraham war, bin ich“ drückt eine Zukunft aus, die in die Vergangenheit Abrahams hineinscheint und jetzt präsent ist.
Das „hinter dem Rücken“ ist der Verdinglichung äquivalent. Wenn ich eine Sache hinter ihrem Rücken betrachte, nagele ich sie fest auf ihre Eigenschaften, mache ich das Prädikat zum Herrn über das Subjekt, fälle ich ein Urteil (Urteile werden gefällt!), setze ich es als vergangen, als nicht mehr zu ändern. -
28.06.91
Nach der Katastrophe hat in Deutschland der Katholizismus und auch die Theologie, wie es scheint, endgültig das Nachfolge-Gebot verworfen, mit unermeßlich katastrophalen Folgen. Unter dem Druck der zugleich verdrängten Konfrontation mit Auschwitz ist Religion, anstatt sich auf die allein befreiende Erinnerungsarbeit einzulassen, der zweiten Schuld verfallen und blasphemisch geworden. Eingedrungen ist die Blasphemie als „Greuel der Verwüstung“ am „heiligen Ort“: in die Opfertheologie, zentral ins Verständnis der Eucharistie. Die Kirchenarchitektur und die kirchliche Ästhetik nach dem Krieg legen eindrucksvoll Zeugnis ab davon. Ablesen läßt sich das an dem projektiven Anteil in den kirchlichen Verurteilungskampagnen, zuletzt im Kampf gegen die Abtreibung: Abgetrieben wurde das Nachfolge-Gebot. Und die eigene Schuld, mit der die mater ecclesia nicht mehr leben kann, zur eigenen Entlastung auf die projiziert, die, nachdem sie keine Alternative mehr haben, dann wehrlos der Diskriminierungskampagne ausgeliefert sind.
Zugleich hat sich unter dem Druck der Katastrophe der Objektivitätsbegriff so verändert, daß er eine Alternative zur Opfertheologie nicht mehr zuzulassen scheint. Die Kritik der Opfertheologie ist nur noch möglich, wenn zugleich der natur- und weltkonstituierende Panzer des Objektivitätbegriffs selbst gesprengt wird: wenn die Schulddiskussion (die Reflexion des historisch-gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs angesichts der Folgen des historischen Zusammenbruchs der Moral) endlich auf das theologisch allein angemessene Niveau des Nachfolge-Gebots gehoben wird.
Erkennbar sind die Folgen – außer in der politischen und ästhetischen Selbstmanifastation der Kirchen – in der Verwirrung der Nachkriegs-Theologie (es gibt bis heute keine christliche Theologie nach Auschwitz), in der Verfassung derer, die frustiert sind, aber von der Droge Kirche nicht lassen können, insbesondere an den die Kirchentage bevölkernden Jugendlichen (ihrer unaufgearbeiteten Belastung durch die Erwachsenen, die ihnen keine Hilfe waren, vielmehr gegen sie die Welt vertraten, aus der sie sich ausgeschlossen wußten). Auch hier scheint die merkwürdig ambivalente Bindung an die Liturgie (eine der ambivalenten Folgen der Liturgie-Reform), insbesondere in den Jugendlichen, bei denen, die (in der katholischen Kirche) nach dem Krieg zur Erstkommunion gegangen sind, nur die Alternative Verhärtung (Säkularisation und Externalisierung des Opfers durch Anpassung an die Welt) oder Sucht (Verinnerlichung des Opfers: Wiederholungszwang im Wunsch nach einer heilen Natur, nach Geborgenheit, Bindung ans Selbstmitleid) zuzulassen; beschädigt sind beide, oder: sind nicht doch beide nur zwei Seiten der gleichen Medaille?
Mit der Trennung der Opfertheologie und der Eucharistie-Praxis vom Nachfolge-Gebot wird die Gemeinheitsautomatik (für die in der Öffentlichkeit nicht zufällig mit hoher Repräsentanz die CDU einsteht, oder die Maxime: Du darfst alles, dich nur nicht erwischen lassen) kirchlich sanktioniert, das Zwangsbekenntnis (dessen kirchliche und politische Anwendung die Heuchelei, die Lüge toleriert, aber die moralisch begründete Abweichung diskriminiert) zu einer Waffe, der die, die unten sind, wehrlos ausgeliefert sind: insgesamt wird mit der objektiv gewordenen Heuchelei der Zusammenbruch der Moral (und der Religion, der Idee des seligen Lebens, die dem Denkverbot unterworfen wird) so kaschiert, daß eine blasphemisch gemachte Religion als Basis der Gesellschaft und des Zusammenlebens der Menschen weiterhin nutzbar ist. -
16.06.91
IKvu in Gernsheim (14.-16.06.):
– Wie tief steckt doch die Droge Kirche auch in denen, die eine Alternative suchen, weil sie in der Kirche nicht mehr leben können. Nach Verinnerlichung der Opfertheologie suchen sie immer noch Geborgenheit, Heimat, Harmonie, die sie in der Kirche nicht mehr finden, und verdrängen lustig weiter.
– Könnte (und müßte) das „von unten“ nicht auch heißen: Aufarbeitung der verdrängten Vergangenheit? Gibt es, wenn man die Katastrophe des kirchlichen Traums von der Religion noch vermeiden will, zum Aufwachen überhaupt eine Alternative?
– Die befreiende Kraft der Nachfolge, oder Entmündigung durch die Opfertheologie (Opfertheologie als kirchliche Droge; Zerstörung der göttlichen Barmherzigkeit durch Instrumentalisierung; was bindet die Gläubigen an diese gnadenlose Kirche?).
– Jedes „Bekenntnis zu …“ ist ein entfremdetes Schuldbekenntnis: Sein Objekt ist das Gravitationszentrum eines Schuldzusammenhangs. Insofern gehört zum Bekenntnis zwangsläufig, aus Gründen der Systemlogik, das Opfer. Ohne die Opfertheologie wäre das christliche Dogma nicht möglich gewesen.
– Origenes, Tertullian und Augustinus: über den Zusammenhang der Confessio mit dem Sexismus (welche Bedeutung hatten Alexandria und Nordafrika für die Geschichte der christlichen Theologie?).
– Schließt der Glaube an die Eucharistie eine vegetarische Lebensweise aus (no pity for the animals and the trees)?
– Schwerter in Pflugscharen: Nachdem das Bekenntnis, das Dogma und in seinem Zentrum die Opfertheologie, zu lange schon als Waffe mißbraucht wurden, an der das Blut von Millionen klebt, kommt es endlich darauf an, die Ursachen zu begreifen und den Schuldzusammenhang durch Reflexion aufzulösen.
– Die Wahrheit, daß Jesus die Schuld der Welt auf sich genommen hat, ist nicht generalisierbar; sie gilt so nur für ihn (für den „Gottesknecht“). Der Schluß, den wir (die Kirche: in der Opfertheologie, in der Lehre vom Sühneleiden) daraus ziehen, daß er unsere Schuld auf sich genommen hat und wir den Profit der Erlösung aus seiner einmaligen Leidens-Investition ziehen, ist falsch, mehr noch: er ist der Grund der christlichen Heuchelei, der Lüge, er ist schlicht blasphemisch. Wahr ist der Satz nur im Kontext des Nachfolgegebots (Konsequenzen für eine theologische Erkenntnistheorie).
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