Luhmann

  • 1.12.1996

    Das Modell der Beziehung der transzendentalen Logik zum Objekt ist die Feindbildlogik.
    Der Begriff des Akkusativ ist nicht nur ein falsche Übersetzung aus dem Griechischen, sondern eine Übersetzung, in der die sprachlogische Differenz der lateinischen zur griechischen Sprache sich ausdrückt. Der Akkusativ ist in der Tat ein Element der lateinischen Grammatik, und dazu ein sehr ausdruckskräftiges. Die zugrundeliegende Differenz hängt zusammen mit der zwischen einer prädogmatischen (griechischen) und einer postdogmatischen (lateinischen) Sprache. Diese Differenz entfaltet sich in der Konstellation der grammatischen Unterschiede insgesamt, zu denen u.a. der Fortfall des bestimmten Artikels, das Verschwinden des Medium und Aorist, sowie die Neubildung des Futur II wie auch der Formen des Supinum, Gerundium und Gerundivum gehören.
    Es gibt keine erste Natur. Was wir die erste Natur nennen, ist die dritte Natur als Spiegel der zweiten.
    Bezeichnet nicht der Begriff der Information das sprachliche Korrelat des mechanischen Stoßprozesses? Information, das ist auch die Mitteilung eines Impulses von einem mechanischen Objekt auf ein anderes, wobei der Ausdruck Information darauf hinweist, daß mit dem „Impuls“ auch das Formgesetz (das Referenzsystem) übertragen und „mitgeteilt“ wird, in dem der Impuls definiert ist. Die Bestimmung des Stoßprozesses war die Geburtsstunde des Inertialsystems, das mit der Informatik auf die Sprache und auf die Logik übertragen wurde.
    Dieser Informationsbegriff ist der Grundbegriff der Luhmannschen Systemtheorie, aber auch der Linguistik und am Ende der Habermasschen Kommunkationstheorie.
    Im Kontext dieses Informationsbegriffs wird z.B. der Begriff der Beobachtung (so bei Dirk Baecker, der sich auf den quantentheoretischen Ursprung dieses Begriffs beruft) zu einem Moment in einem System bedingter Reflexe: Hier wird die Logik zum Pawlowschen Hund.
    Was hier in die Sprache eindringt, gleicht auf den ersten Blick der Sintflut, während es in Wahrheit die Entzündung des Feuers ist, das nicht mehr sich löschen läßt. Des Feuers, in dem die Sprache verbrennt, Ursprung einer Finsternis, die bewirkt, daß die, die dieses Feuer entzünden und nähren, es selbst nicht mehr wahrnehmen. Gegen diese Finsternis ist die, die mit Heidegger und dem Faschismus hereingebrochen ist, harmlos.
    Zur Selbstzerstörung der kritischen Theorie durch ihre Schüler (zu der es keine Alternative gab): Die Reduzierung von Kritik auf subjektive Meinung (aufs Raisonnement) ist ein Teil der Anbetung der versteinerten Verhältnisse, in denen die Kommunkationstheorie sich häuslich einzurichten versucht. Das Konzept des „herrschaftsfreien Diskurses“ ist ein Phantom. Es gibt keinen herrschaftsfreien Diskurs, weder im wissenschaftlichen Seminar, noch noch im Rechtsstreit, noch in der innerbetrieblichen Kommunikation, nicht einmal im privaten Bereich. Was allein aus dem Bann der Herrschaft herausführt, ist die Fähigkeit zur Reflexion der Gewalt, die jeden Begriff, jede Erkenntnis, aber auch jedes Gespräch in der durch starre Über- und Unterordnungsbeziehungen determinierten Welt durchherrscht. Im Bann des universalen Objektivierungsprozesses ist die Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften in diesen Herrschaftsprozeß eingebunden, und Horkheimers Konzept der instrumentellen Vernunft hat die Vernunft nicht denunziert, sondern war der Anfang ihrer Selbstreflexion.
    René Girard hat insoweit recht: Im historischen Säkularisationsprozeß ist das Heilige in die Gewalt eingewandert, die heute alles durchherrscht.
    Jürgen Habermas hat seinen Frieden mit dem Bestehenden geschlossen, als er den Ballast der Naturreflexion, des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“, über Bord geworfen hat.
    Die Stellen über den hebräischen Sklaven (im Deuteronomium und bei Jeremias) weisen darauf hin, daß die Israeliten das, was sie für andere sind, nicht auch für einander sein sollen. Im Gegensatz zum Namen der Barbaren, der als Projektionsfolie zu den Bedingungen der Naturerkenntnis und dann der Philosophie (des „bestimmenden Urteils“) gehörte, ist der der Hebräer einer der Reflexion, Voraussetzung der prophetischen Erkenntnis (vgl. hierzu René Girards Reflexionen zur Institution des Sündenbocks: Während der Mythos die Welt aus der Sicht der Verfolger repräsentiert, rückt die jüdische wie auch die christliche Tradition sie ins Licht der Erfahrungen der Opfer).

  • 27.6.1995

    Instrumentalisierung und Ideologieverdacht: Wer die memoria passionis ins Spiel bringt, müßte die Opfertheologie reflektieren. Die Opfertheologie ist selber Ausdruck des Schuldzusammenhangs, dessen Lösung zu sein sie vorgibt.
    Das Luhmannsche Thema heißt „Faktizität und Geltung“, das Habermassche „Genesis und Geltung“. Darin drückt der ganze Unterschied sich aus. Die Systemtheorie gründet in der Verwerfung der genetischen, der historischen, der Ursprungsdimension; so gleicht sie dem naturwissenschaftlichen, durchs Interialsystem definierten Erkenntniskonstrukt sich an. Die Systemtheorie rückt die Dinge in den Zusammenhang des Verwaltungsblicks, der sie verstummen macht; sie sanktioniert die Abstraktion, die der Verwaltungslogik zugrunde liegt.
    Das Christentum hat aus dem Alten Testament die Theologie herausgeblasen. Grundlage war die These, daß das Gesetz aufgehoben und die Prophetie erfüllt sei.
    Das Inertialsystem begründet und legitimiert den Rachetrieb. Das läßt leicht sich ableiten aus der mit dem Ursprung und der Entfaltung des Inertialsystems verbundenen Subjektivierung der Empfindungen.
    Die Bekenntnislogik (die Logik des „Glaubens“-Bekenntnisses) entspringt aus der Umkehrung des Schuldbekenntnisses. Daraus hat sich die Logik der „Sündenvergebung“ durch Schuldverschiebung, der Exkulpationsapparat, entfaltet. Grundlage war die Herausnahme von Joh 129 aus dem Nachfolgegebot, das theologische Konstrukt, wonach Jesus durch seinen Opfertod „die Sünden der Welt hinweggenommen“ habe: Ihm wurde die ganze Last aufgebürdet, ihm das Joch auferlegt (hierher gehört die Geschichte vom gordischen Knoten).
    „Schriftlichkeit“:
    – „Das Heroische ist immer eine Sache der Erinnerung, d.h. eines ‚Heroischen Zeitalters‘, das per definitionem in der Vergangenheit liegt. Das Epos ist die Form und das Medium ihrer Vergegenwärtigung.“ (S. 8, Einleitung von A. und J. Assmann) – Hinweis auf die Beziehung zur Geschichte der Sprachlogik: auf den Ursprung des Präsens in einer „Vergegenwärtigung“, die in der Vergangenheit gründet? Der Heros als Vorläufer des Substantivs?
    – „In der griechischen Welt hat eine ‚Tyrannei des Buches‘ sich nie ausbreiten können, wie es in der morgenländischen oder der mittelalterlichen Welt geschah“ (ebd., S. 12, Zitat aus Rudolf Pfeiffer: Geschichte der klassischen Philologie I, 1978, S. 52). – Hier wäre der Hinweis angebracht, daß zur Erklärung dieses Tatbestandes – wie allgemein zur Bestimmung der „Logik der Schrift“ – die Reflexion auf ihre Einbindung in die Politik, ihre Beziehung zum Ursprung und zur Geschichte des Staates: ihre Verstrickung in die Herrschaftsgeschichte gehört. Die Logik der Schrift ist keine ein für allemal geltende logische Struktur, die Reflexion ihrer Geschichte ist ein substantieller Teil ihrer Erkenntnis.
    – Zu S. 11ff: Die literarische Rede, die „direkte Rede“ in einem Text, gründet nicht in einer „oralen Tradition“, sondern ist rhetorischen Ursprungs, sie ist – wie die Sprache, die mit ihr sich entfaltet – in sich selbst vermittelt. Was aus der oralen Tradition sich entwickelt, ist das Erzählen, nicht die in einer Erzählung zitierte Rede.
    – „Die Schrift ist hier (sz. in der orientalischen Vorgeschichte der griechischen Schrift) in erster Linie ein Instrument organisierender Wirklichkeitsbewältigung und herrschaftlicher Repräsentation.“ (ebd. S. 13) – Unterscheidet sich die griechische davon nicht doch nur durch die Verinnerlichung dieses Organisationsprinzips? Deshalb gehört zum Ursprung der griechischen Schrift die Erfindung der Barbaren, die an diesem zivilisationsbegründenden Akt nicht teilhaben? Die „Diskurse der Macht“ (ebd.) drücken dann in der Sprache selbst als deren grammatische Struktur sich aus (Zusammenhang der Erfindung des Neutrums mit den veränderten Formen der Konjugation, Ursprung des Weltbegriffs).
    – „In dieses (sz. vorgriechische) Schreiben finden ‚mündliche Überlieferung‘ sowie das, was wir ‚Literatur‘ nennen würden, nur sehr beschränkt Einlaß.“ (S. 13f) – Sh. die Bemerkung oben zum Problem der „oralen Tradition“. Hier geht es nicht um das „Eindringen von ‚Oralität‘ in die griechische Schriftkultur“ (S. 14), sondern um deren literarische Reflexion. Und ist nicht „Platons Oralitätskritik“ (die „Verbannung der Dichter aus dem Staat“, S. 15) eher eine Reflexionskritik im Kontext seines autoritären Politikverständnisses?
    – S. 18f: Die Geburt der Seele aus der Logik der Schrift: „As language became separated visually from the person who uttered it, so also the person, the source of the language, came into sharper focus and the concept of selfhood was born“.
    – „Mit der Übernahme der Alphabetschrift … gewinnt der Mensch Verfügungsgewalt über sein Gedächtnis“. (S. 20) – Veränderung des Zeitparadigmas durch Objektivierung der Erinnerung.
    Ein Oralitätsverständnis, das die Schrift nur instrumental, nicht in Wechselwirkung mit der Sprachlogik begreift, ist romantisch. Es verlegt den Sprachgrund in den Volksgeist und gehört zu den Ursachen jener Theorien, die den Ursprung des Indogermanischen nur über indogermanische „Völker“ oder „Rassen“ sich vorstellen kann. Was diese Vorstellungen einmal so plausibel machte, gründete in der Unfähigkeit zur Reflexion der Logik der Schrift.
    Auch die „Tyrannei der Schrift“ ist nicht von außen (über autoritäre Religionen) in die Schrift eingebrochen, sondern sie bezeichnet selber eine Phase der Geschichte der Logik der Schrift. Auch für die Griechen war die Schrift eine Quelle der Macht, und sei es nur der Macht über die eigene Phantasie (wie in der Realität über die Sklaven des Hauses, die Frauen und die Kinder).
    Gegen das romantische Oralitätsverständnis bleibt anzumerken, daß die Völker und ihre Schriften als durchaus unterschiedliche Entitäten sich begriffen: Die Sprache der Hellenen war griechisch, die der Römer lateinisch, die der Israeliten hebräisch. Wie verhielt es sich mit den Ägyptern und den Persern (beides griechische Namen – hier wirkt die Definitionsgewalt des Griechischen nach)? Gibt es eigentlich eine Synopse der antiken Geschichtsschreibung? Wie haben die Ägypter und Perser sich selbst benannt?
    Wo geht das Epos (die Geschichte des heroischen Zeitalters als Gründungsgeschichte der Polis, des Staates) in Geschichtsschreibung (die Geschichte der Könige, Völker, Staaten, der Kriege, der Eroberungen, Niederlagen und Untergänge) über: die Poesie in Prosa, die eine gleichsam außenpolitische Sprachlogik verkörpert? Gehört nicht zur Vergegenständlichung der Geschichte die Reflexion der Beziehung zu den anderen Staaten dazu (Grund der nationalistischen Geschichtsschreibung)?
    Reflex der außenpolitischen Beziehungen zu anderen Völkern und Staaten im Innern ist der Markt, die Agora, der Ort des Ursprungs der Philosophie, Gründungsort des Naturbegriffs (Philosophie als Rekonstruktion des Epos im Kontext dieses Reflexionszusammenhangs: Suche der verlorenen Idee des richtigen Staats, der Philosoph als erinnerter und reflektierter Heros).
    Aus der Logik der Schrift (im Kontext des griechischen Alphabets als kulturelle Revolution) wäre auch die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Mythos abzuleiten, eine Auseinandersetzung, die ihre Zuspitzung in der Rekonstruktion des logischen Kerns des Mythos, der griechischen Schicksalsidee gefunden hatte. Aus der Verinnerlichung des Schicksals, als einzigem Weg, der aus dem Bannkreis des Schicksals herausführte, ist die Philosophie entstanden, zusammen mit der vollständigen Neuorganisation der Objektivität insgesamt, ihrer Rekonstruktion im Kontext der drei Totalitätsbegriffe Wissen, Welt und Natur.
    Die Idee des Schicksals war das gegenständliche Korrelat des erwachenden Selbst in der Logik der Schrift. (Diese Definition hängt mit der Benjaminschen vom Schicksal als Schuldzusammenhang des Lebendigen zusammen.)
    Die Juden haben den Übergang zum Rechtsstaat, die Monopolisierung der Blutrache durch den Staat, nicht vollzogen. Der Mörder wurde bestraft, aber für den, der ohne Absicht einen Menschen getötet hatte, wurden Asylstädte eingerichtet, in denen er vor der Blutrache geschützt war.
    Die Opfertheologie hat Jesus zum Heros gemacht: zum Staatengründer, und das Christentum zur Staatsreligion. Deshalb gibt es zur „Gattung“ Christentum unterschiedliche „Arten“; für das Christentum gilt, was Hegel über die Natur (im Hinblick auf das Verhältnis Gattung und Art beim Tier) gesagt hat: es kann den Begriff nicht halten (auch die Hegelsche Begründung ist auf die Beziehung des Christentums zu seinen Denominationen anwendbar).

  • 30.08.91

    Das Verständnis der speziellen Relativitätstheorie, ihrer Beziehung zum Objekt, dürfte nicht schwieriger sein als das des Bankengeschäfts und seiner Beziehung zur Wirtschaftsstruktur (vgl. Baecker: Womit handeln die Banken? Ffm 1991).
    Der Verdinglichungsmechanismus besteht darin, daß ich etwas zu einem Ding mit festen Eigenschaften mache: z.B. jemanden, der gemordet hat, zu einem Mörder. Ich mache so eine Tat zu einer festen Eigenschaft, die sich nicht mehr ändern läßt; das Prädikat zu einer begrifflichen Bestimmung des Subjekts: zum Begriff. Auch der Adelstitel ist ein „Prädikat“, und jedes Prädikat eine Bewertung. Genau diesem Konzept gehorcht auch der Antisemitismus und der ist ohne den Rassismus ebenso wenig zu haben wie die Nobilitierung eines ganzen Volkes durch den gleichen Arier-Rassismus. Dieser Antisemitismus hat seine nur scheinbar harmlosen Vorläufer in der nationalistischen Geschichtsschreibung, zu deren Folgen unter anderem neben der antisemitischen Interpretation der ebenfalls national verstandenen Propheten und der Schrift insgesamt auch die Erfindung der Sumerer gehört. Modell dieses Verdinglichungskonzepts sind die Naturwissenschaften, die ein System aus lauter Prädikaten sind. Hier liegt der Ursprung der Mathematik, deren Vorgeschichte unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen wäre (Sprache der Sumerer, „Turmbau zu Babel“, Ursprung der Idolatrie).
    Die Ontologie entspringt mit dem Staat und mit dem Weltbegriff und stabilisiert beide; sie ist Erbe der Idolatrie und des Opfers; ihr genetisches Zentrum ist die Schicksalsidee.
    Bei der Benennung der Tiere hat Adam nur die Arten benannt; die sind aber keine „Gefährten“ des Menschen.
    Warum wendet Luhmann seine Systemtheorie nicht auf die Physik an?
    Rechtfertigt Baecker („Womit handeln die Banken?“, Ffm. 1991) durch sein Konzept nicht die Funktion der Banken in diesem Wirtschaftssystem auf eine Weise, die eigentlich Anlaß zu begründetster Sorge wäre? Die Risiken, die die Banken verwalten und gegen die sie sich durch ihr Mangement absichern müssen, um die Stabilität des Wirtschaftsprozesses zu sichern: die Konsequenzen sind deutlich geworden in der „Wende“ in der deutschen Nachkriegspolitik, als alle Leute begriffen haben, was passiert, wenn diese Grundfakten nicht beachtet werden. Diese Risiken sind nur die offen zutage liegende Kehrseite der Verhältnisse, die die Existenz der Mehrheit der Bevölkerung bedroht.
    Was würde eigentlich dabei herauskommen, wenn heute jemand Rosa Luxemburgs „Akkumulation des Kapitals“ und Rudolf Hilferdings „Finanzkapital“ auf den heutigen Stand der Dinge fortschreiben würde?
    Die Katastrophen dieses Jahrhunderts, aus denen wir soviel gelernt haben, daß wir sie zur Zeit in die Dritte Welt exportieren, waren ja keine bloß ideologischen, sondern reale ökonomische Katastrophen.
    Die Kreditschöpfung: eine creation ex nihilo. Beim deutschen Schöpfungsbegriff schwingt die Assoziation mit, daß jemand mit einer Schöpfkelle aus einer Flüssigkeit (einer Ursuppe gleichsam) „schöpft“. Das Flüssige, das Wasser (der erste Begriff der Philosophie übrigens), hat in biblischem Zusammenhang die Nebenbedeutung sowohl der Schuld, des Schuldzusammenhangs, als auch der Völker. Der Chaosdrache und das Tier aus dem Wasser gehören hier her. Aus einem solchen Medium (der Schuld und ihres kollektiven Ursprungs) „schöpft“ auch die „Kreditschöpfung“. -Ist das Geld, das eine Bank im Falle eines Kredits verleiht, real oder spekulativ; oder: ist diese Alternative real?
    Die Frage „Womit handeln die Banken?“ ist präziser zu beantworten, wenn man den Baecker aus dem Verblendungsbann der Systemtheorie herauslöst. Die Banken handeln mit dem Tod, dessen Nichts so real wird.
    Der real existierende Sozialismus ist u.a. daran gescheitert, daß er das Problem der Beziehung von Theorie und Praxis nicht ernst genug genommen hat. Die Vorstellung, die auf der unreflektierten Tauschprinzip-Theorie basiert, daß der Marxismus ein gleichsam technisches Konzept zur Beherrschung der wirtschaftlichen Prozesse biete, die die kapitalistischen Folgen vermeidet, war falsch. Dieser Instrumentalismus war ohne einen dann allerdings nur dilettantisch gehandhabten (Staats-)Kapitalismus nicht möglich. Der hatte dann weit schlimmere Folgen als der reale Kapitalismus. Lukacz hat das in „Geschichte und Klassenbewußtsein“ noch gewußt, dann aber schnell (und verzweifelt) verdrängt. Daß in diesem System dann so abenteuerliche Existenzen gedeihen konnten wie Schalck-Golodkowski, auch Mielke und Honegger, war kein Zufall. Zugrunde lag das durch die christliche Tradition abgesegnete Bekenntnis-Syndrom: die Vorstellung, daß das Bekenntnis zur Wahrheit hinreiche, um diese Wahrheit real werden zu lassen; sie hat wie im Christentum nur die schlaue Heuchelei und die Gemeinheit befördert und honoriert. Dadurch unterscheidet sich der Zusammenbruch des Sozialismus von der Niederlage des Faschismus, daß er die (durch Mißbrauch als Bekenntnis-Ideologie diskreditierten) Mittel, die eigene Situation zu begreifen, den Opfern aus der Hand geschlagen hat, und daß jetzt das Land Sündenböcke braucht. Deshalb glaubt man, die Probleme auf dem gleichen Bekenntniswege lösen zu können, der in die Katastrophe hineingeführt hat, während gleichzeitig diejenigen, die wirklich an den Hebeln der Macht sitzen, es besser wissen und sich ins Fäustchen lachen.
    Die Wahrheit opponiert nicht der Lüge, sondern dem „Falsch-Zeugnis-Geben“. Die Lüge gehört bereits in den Kontext der verdinglichten, entmächtigten Wahrheit; Grundlage ist der Weltbegriff. Franz Rosenzweigs Begriff der „Bewährung“ macht das praktische (in letzter Konsequenz das herrschaftskritische) Moment an der Wahrheit kenntlich. Dieses Moment haben Juden unter der Idee der Heiligung des Gottesnamens verstanden (und die Christen – wie ihre eigene Theologie insgesamt – nicht verstanden).
    Der Ödipus-Konflikt ist ein welthistorischer Konflikt, und zwar sowohl individuell wie auch gesamtgesellschaftlich. Die Möglichkeit der objektiven Anwendung des Verdrängungsbegriffs gründet in seinem Verhältnis zur Zeit. Verdrängt wird etwas Zukünftiges und Vergangenes zugleich, oder mit der verdrängten Vergangenheit wird zugleich ein Stück Zukunft verdrängt. Dieser Verdrängungsmechanismus konstituiert seit den Anfängen der griechischen Philosophie bis hin zu den modernen Naturwissenschaften den Begriff. (Dazu ein direktes Bespiel: Zwei Sechsjährige, ein Junge und ein Mädchen, fahren mit ihren Fahrrädern daher; ein anderer Sechsjähriger ruft den beiden mit offenkundig hämischem Ton nach: „Na, ihr beiden Verliebten.“)
    Zur Konstruktion der Häme: Hier vermischt sich aufs trübste der Gestus der moralischen Überlegenheit, des moralischen Urteils, mit dem des schlecht verhohlenen Neids gegen den, über den man sich erhaben dünkt, indem man sich mit dem moralischen Urteil gemein macht.
    Die Erkenntnis des Guten und Bösen ist die Klugheit der Schlange („Seid klug wie die Schlangen …“); sie ist die Erkenntnis auf die sich der Begriff der Umkehr bezieht.
    Ist die Schöpfung die Umkehr des Chaos, und der Geist über den Wassern das Prinzip dieser Umkehr?
    Sind Jahwist und Elohist nicht nur nebeneinander existierende (aus „verschiedenen Quellen“ stammende) Teile der Schrift, sondern durch eine Umkehrähnliche Relation aufeinander bezogen, und steckt in dieser Unterscheidung so etwas wie ein innertheologischer Reflex der babylonischen Sprachverwirrung?
    Welche Sprachen wurden in Babylon gesprochen außer der sumerischen? Gibt es einen Sprachatlas der Antike?
    Nur für die zerstreuten Leser (und die nationale Geschichtsschreibung, die sich an zerstreute Leser wendet) ist der eigentliche Gehalt der Schrift nicht sichtbar. Aber die heutige Schriftauslegung und der heutige Schriftgebrauch aller Kirchen hat die Zerstreutheit zur Grundlage (theologischer Grund ist offensichtlich). Die wesentlichsten Einsichten ergeben sich erst aus dem konzentriertesten Studium der Details.
    Die Josephs-Geschichte: oder die Geschichte der Getreide-Versorgung als Teil der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals (des Zusammenhangs von Privileg und Diskriminierung, Askese und Ausbeutung). Er holt die eigene Familie ins Land und liefert sie dem Schicksal derer aus, deren Schicksal er selber durch die Behandlung der Hungerkrise bestimmt hat.
    Wie kommen die Philister und Amalek in die Abraham-Geschichte?
    Fundamentalisten sind Religions-Hooligans.
    Der Dogmatisierungsprozeß, die Entwicklung des Dogmas, vertritt den Ödipus-Konflikt in der Kirchengeschichte.
    Konzept:
    – Im Angesicht/hinter dem Rücken,
    – Objektivation und Instrumentalisierung,
    – Raum und Zeit, Geld, Bekenntnis,
    – Ödipus-Konflikt: Ursprung des Weltbegriffs, des Säkularisationsprozesses; Philosophie und Ursprung der Weltreiche („Babylon“),
    – Begriff und Namenlehre; Herrschaft und Erkenntnis (Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang),
    – Herrschaftskritik, Übernahme der Schuld der Welt, Auflösung des Verblendungszusammenhangs, Idee des Heiligen Geistes,
    – Anklage, Gericht, Verteidigung, Sprachphilosophie,
    – Natur und Welt, oder Bemerkungen zur feministischen Theologie
    Rosenzweigs Erinnerung an den Tod: Umwandlung in ein Gedenken der Toten. Der Tod als das Sterben der anderen scheint in Rosenzweigs Konzept zu kurz zu kommen. Darauf bezieht sich die Lehre von der Auferstehung der Toten.
    Im Angesicht Gottes leben, schließt die wahnwitzige Hoffnung auf die Auferstehung der Toten mit ein; ist diese Hoffnung als nicht nur kontemplative, sondern als aktive Hoffnung denkbar? Ist eine Praxis denkbar, die dieser Hoffnung entspricht, aus ihr sich nährt?
    Zu Reinhold Schneiders Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten …“: Welches Schwert hat er hier gemeint? Das der direkten Bedrohung durch den Faschismus, die Gefahr des Terrors, die Möglichkeit des Martyriums, oder das Schwert, das den bedroht, der durch Komplizenschaft mit dem Faschismus, durch die Mittäterschaft an Auschwitz, mitschuldig geworden ist?
    „… und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“: das scheint schon wieder eindeutig zu sein.
    Das „Ehe Abraham war, bin ich“ drückt eine Zukunft aus, die in die Vergangenheit Abrahams hineinscheint und jetzt präsent ist.
    Das „hinter dem Rücken“ ist der Verdinglichung äquivalent. Wenn ich eine Sache hinter ihrem Rücken betrachte, nagele ich sie fest auf ihre Eigenschaften, mache ich das Prädikat zum Herrn über das Subjekt, fälle ich ein Urteil (Urteile werden gefällt!), setze ich es als vergangen, als nicht mehr zu ändern.

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