Luther

  • 16.12.1994

    Die Tatsache, daß der Kapitalismus nur über seine erweiterte Reproduktion sich stabilisieren läßt (Geldwertstabilität und Standort Deutschland), ist eine Folge der Entropie in der Ökonomie: der Verwertung der Armut.
    Gibt es eine Untersuchung über die Entstehung der Bibelübersetzung Luthers und ihre Bedeutung für die Ursprungsgeschichte der deutschen Schriftsprache? Wenn Luther für seine Bibelübersetzung die Kanzleisprache gewählt hat, ist das nicht ein Hinweis auf die Affinität seiner Theologie zu dieser Sphäre?
    Kannte Hegel schon das Substantiv, oder ist das eine spätere Erfindung? Kann es sein, daß das Substantiv (Hegels Substanz als Subjekt?) gleichsam das schwarze Loch der Hegelschen Philosophie ist, das sie ganz in sich aufgesogen, ihre Strahlungskraft zerstört hat?
    War die ideologische Krise der Physik in den zwanziger Jahren nicht auch ein Indiz für das Schwinden der legitimatorischen Kraft der Naturwissenschaften?
    Vergleich der invisible hand mit dem newtonschen Konzept des absoluten Raumes.
    Das Inertialsystem hat die Erinnerung zu einer folgenlosen Sache gemacht (es hat sie neutralisiert und die Vergangenheit zu einem Gegenstand des Zuschauens, der Kontemplation gemacht); erst so war die historische Erforschung der Vergangenheit möglich, aber nur als Herrschaftsgeschichte.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: War das die Geburtsstunde der Astronomie?
    Wenn Kant den Raum als subjektive Form der Anschauung begreift, so bezieht sich das nicht auf „den Raum“, sondern auf sein Erzeugungsgesetz. Und die Antinomien der reinen Vernunft, die sich auf die transzendentale Ästhetik beziehen, erzwingen eigentlich die Reflexion dieses Erzeugungsgesetzes. Das Gelingen dieser Reflexion ließe sich daran ermessen, ob es gelingt, daß die Naturwissenschaften sich selbst durchsichtig werden.
    Ist das Christentum nicht zugleich die Finsternis über dem Abgrund und der Geist über den Wassern (und beziehen sich darauf die Ideen der descensio ad inferos und der resurrectio mortuorum)?
    Wenn Prigogine den „Zeitpfeil“ (das Moment der Irreversibilität an der Zeit) an die Entropie anschließt (und den Zerfall als eine Gestalt des Werdens ansieht), wird dann nicht wiederum (wie in der Kausalitätsdebatte nach dem Ersten Weltkrieg) die Physik als Rechtfertigungsmittel der Ökonomie mißbraucht?

  • 6.9.1994

    Gründe zur Skepsis bei Duchrow:
    – In den Bemerkungen über Luther bemerkt er nicht, daß ein Unterschied besteht zwischen der Kritik des (in die Fundamente der Gesellschaft mit eingebauten) „Wuchers“ und der (bloß moralischen) Verurteilung des „Wucherers“: zwischen dem Problem und seiner Personalisierung; vgl. hierzu das Verhältnis Jesu zur „Steuerfrage“ und seine Beziehung zu den „Zöllnern“.
    – Schließt nicht die Personalisierung gesellschaftlicher Probleme immer ein projektives Element mit ein; ist sie nicht nur verständlich im Kontext von Exkulpationsstrategien?
    – Ist nicht die Personalisierung ein Teil der Verdinglichung, und ist diese nicht ein christliches Erbe (das Ferment der Selbstzerstörung des Christentums)?
    – Gibt es Wirtschaftsstrukturen, die zum Leben, und Wirtschaftsstrukturen, die zum Tode führen, läßt sich das so „klar“ trennen?
    – Was versteht er unter der „Gottesfrage“ und unter einem „funktionierenden Gott“?
    – Bezeichnet nicht die „Nische im Perserreich“ genau die Falle, in die Duchrow hineinrennt? Es unterstellt ein Stück Absicht und Planung (und hängt so mit der projektiven und zugleich paranoiden Logik der Personalisierung zusammen), während es die Irrationalität der Realität bestätigt.
    – Erst die Logik der Verdinglichung macht eine spontane Aktion zum Gegenstand einer Organisation (Verwaltungsdenken). Wiederholen sich darin nicht zwangshaft die Strukturen der Entstehung der Kirchen, des Dogmas und der Bekenntnislogik (Zusammenhang mit der Vergegenständlichung als und durch Geschichte)?
    – Verweist nicht der häufige Gebrauch des Begriffs „Zeichen“ auf den Zusammenhang des symbolischen Politikverständnisses mit der Bekenntnislogik (auf die Konstruktion des Schuldverschubsystems)? Das „Zeichen setzen“ drückt das Einverständnis mit dem Wertgesetz aus. „Zeichen“ sind die Buschtrommeln im Dschungel der entfremdeten Welt; sie sprengen nicht das Gesetz der entfremdeten Welt. Dagegen hilft nur eine rückhaltlose, von allen apologetischen Zwängen freie Erkenntnis. Jonas ist nicht nach Ninive gegangen, um alternative Gemeinschaften zu begründen, er hat nicht einmal zur Umkehr aufgefordert, sondern nur verkündet: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört.
    Zusammenhang von Projektion und Paranoia.
    Die Trennung von Realität und Sprache, Produkt der Urteilsform, gründet in den subjektiven Formen der Anschauung. Beide gründen im Gewaltmonopol des Staates, zu dessen Ursprungsgeschichte sie gehören. Die Befreiung von den sieben unreinen Geistern und die Lösung der sieben Siegel ist die konkrete Kritik des Gewaltmonopols des Staates und der Trennung von Sprache und Realität (die Bedingung der Erfüllung des Worts).
    Die „invisible hand“ ist der Inbegriff der Gewalt, die hinter unserm Rücken sich aufrichtet (des Weltbegriffs, der „Sünde der Welt“). Deren Reflexion ist die einzige Möglichkeit, nicht zum Opfer ihrer Verstrickungen zu werden.
    Ist die „invisible händ“ nicht die Hand, die das „mene, tekel u pharsin“ an die Wand schreibt?
    Bleibt die Kritik der „Geldvermehrungswirtschaft“ nicht abstrakt, wenn man zugleich die Umsatzsteigerungen als Rechtfertigung alternativer Wirtschaftsformen benützt? Wer die Alternativen so am Realitätsprinzip mißt, ist schon in dem System gefangen, das er zu kritisieren meint.
    Die Freude, die Duchrow den „Gemeinschaften“ zuschreibt, hängt mit dem Zeichensetzen logisch zusammen: sie gleicht der Euphorie, die zur Verdrängung der Agonie gehört (Ende der Bekenntnislogik).
    Ist der Blutacker (hakeldama) das Symbol der Subsumtion des Ackers unters Tauschprinzip? Adam: mit dem Acker wird auch der Mensch unters Tauschprinzip subsumiert (gemeinsamer Ursprung der „Befreiung“ des Ackers aus seiner theologischen Bindung, der Schuldknechtschaft und Sklaverei, und der Lohnarbeit). Hängt nicht das faschistische „Blut und Boden“ mit dem hakeldama zusammen, und was drückt es eigentlich genau aus? Ist dieses Blut nicht das Blut der „Helden“, die den eigenen Boden verteidigt und fremdes Land erobert haben: Grund der staatlichen Eigentumsnahme? Und was hat das mit Judas Iskarioth, dem Verrat Jesu und mit den Hohepriestern zu tun? War nicht die erste Leugnung Petri die Leugnung vor der Magd des Hohepriesters?
    Skinheads: die Engel des Hegelschen Weltgerichts. Deshalb gehören Friedhof- und Gräberschändungen zur Einübung rechtsextremer Gewalt.

  • 30.8.1994

    Kann Kohl sich noch darauf herausreden, daß auch er nicht weiß, was er tut? Wüßte er es wirklich nicht, weshalb begleitet er dann jede Gemeinheit der Tat mit einem Dementi des Worts? Er weiß, daß die Rede von Ossis und Wessis diskriminierend ist, zum politischen Sprengstoff zu werden droht; aber er redet so wie nur ein Wessi redet. Die Reflexion bleibt abstrakt, sie erreicht nicht mehr das praktische Gewissen (der Grund hierfür wurde gelegt, als der Logos zum Logos wurde). Liegt hier nicht der Grund der allgemeinen Überzeugung, daß Reden nichts hilft? Grund ist die Unfähigkeit zur Reflexion der Urteilsform (des Weltbegriffs).
    Rom hat den Logos gekreuzigt.
    Die Geschichte der drei Leugnungen ist die Geschichte der Selbstzerstörung der Sprache.
    Ist nicht Luthers sola scriptura eine Konsequenz aus dem augustinischen ad litteram, wird es nicht durch dieses Schriftverständnis verhext?
    Kranken nicht unsere Diskurs- und Kommunikationstheorien an der Unfähigkeit, die Urteilsform, die Urteilslogik, zu reflektieren? Sie haben den erkenntniskritischen Teil der kantischen Philosophie ad acta gelegt, verdrängt, damit aber die gesellschaftskritischen Konsequenzen aus der kantischen Erkenntniskritik entschärft. Liefert nicht der Jakobus-Brief den entscheidenden Hinweis auf den Schuldzusammenhang von Sprache und Welt, auf den gleichen Schuldzusammenhang, den die Philosophie und ihrer Folge die Wissenschaft seit je zu neutralisieren versucht, um sich zugleich umso tiefer in den Schuldzusammenhang zu verstricken? Adorno hat recht, wenn er darauf hinweist, daß es keine Position außerhalb der Welt gibt: die Vergegenständlichung der Welt steht selber unter dem Gesetz der Logik der Welt.
    Nur wer die Last (die Sünde der Welt) auf sich nimmt, anstatt sie durch Vergegenständlichung zu verdrängen, befreit sich von ihr.
    Wissenschaft heute: das in Angst vor der Schlange erstarrte Kaninchen.
    Hat das Christentum mit dem Begriff des Zeugens nicht die aufgedeckte Blöße ins Zentrum ihrer Theologie: in die Trinitätslehre mit hereingenommen? Die Barmherzigkeit des Vaters kommt im Dogma nicht vor. Ist das nicht ebenso eine Konsequenz der Bekenntnislogik wie die Opfertheologie?
    Liefert Heinsohns Geldtheorie nicht auch einen Beitrag zum Verständnis des Ursprungs des Bußsakraments (und des katholischen Mythos insgesamt)?
    Stimmt es daß das mit „klug“ übersetzte hebräische Wort in Gen 31 auch mit „nackt“ übersetzt werden kann, daß die Schlange nicht nur „klüger“, sondern auch „nackter“ war als die Tiere des Feldes? Aber stimmt dann der Komparativ? Ist diese Klugheit die Klugheit der Schamlosigkeit?
    Steckt nicht die Geschichte der Zeit in der Geschichte von der Sonnenuhr zur Quarzuhr? Und haben nicht Einstein und Planck den Schlüssel des Abgrunds verfügbar gemacht? Was hat der Schlüssel des Abgrunds mit der Pforte der Hölle zu tun?
    Die subjektiven Formen der Anschauung als Produkt der Abstraktion vom Gesehenwerden (von der Scham) sind das Instrument des Aufdeckens der Blöße und der Abstraktion vom Angesicht Gottes. Entspringt die Nacktheit erst mit der Logik der Schrift?
    Die Logik der Schrift ist der Quellpunkt der Wolfswelt, der Gemeinheit, die sich selbst nicht begreift.
    Die indogermanische Sprache als Produkt der Identifikation mit dem Aggressor.
    Sind die Winde nicht ein gemildertes Feuer, das dann in Gewittern als Blitz hervorbricht? Haben die vier apokalyptischen Reiter etwas mit den vier am Euphrat gebundenen Winden zu tun?

  • 28.5.1994

    Die Erfindung der Schrift und die Entfaltung der darin verborgenen Logik war der erste und wahrscheinlich entscheidende Schritt im
    historischen Objektivationsprozeß, der in die politische, wirtschaftliche und religiöse Geschichte der Menschheit verflochten ist. Nicht das technische Problem der Abbildung der Sprache in der Buchstabenschrift war das entscheidende, sondern der Paradigmenwechsel. Es gibt Gründe dafür, anzunehmen, daß die Entwicklung der Schrift zusammen mit dem Ursprung der Mathematik, der Entdeckung der Zahlen und der Strukturen des Raumes, erfolgte, und daß der Ursprung der Geldwirtschaft und die Entwicklung der Astronomie eine nicht unbedeutende Rolle dabei spielte. In diesem Abstraktionsprozeß, der in der indischen und chinesischen Entwicklung gleichsam abgebrochen, nicht zu Ende geführt wurde, wurden Welten bewegt.
    Mit der Schrift legt sich die Logik des Andersseins über die Sprache.
    Das Anschauen, das uns zu Richtern über das wehrlose Angeschaute macht, ist der Kelch des göttlichen Zorns.
    Theologie ist ein der Rationalitätskontrolle unterworfenes Wunschdenken, dem die Sexualmoral das Wünschen ausgetrieben hat.
    Paßt nicht das Josef-Bild, das die Kirche transportiert, das nur unter dem Blickwinkel der Karriere gesehen wird, während die Geschichte seines Handelns in Ägypten verdrängt wird, paßt das nicht als Korrelat zum Gethsemane-Verständnis, in dem der Kelch nur auf das private Schicksal eines Jesus, der mit Nachnamen Christus heißt, bezogen wird, auf seine private Todesangst (während die Angst um sein Werk merkwürdig unreflektiert bleibt, im Dunkel gehalten, durch das Getöse des Triumphalismus zum Schweigen gebracht wird)? Aber steckt nicht in jeder Todesangst mehr als nur die Todesangst; ist nicht die „Privatisierung“ der Todesangst selber schon Produkt einer gesellschaftlich verwurzelten und sehr tief verinnerlichten Abstraktion, die nicht mehr beim Namen genannt werden darf? Steckt in der Gethsemane-Geschichte nicht auch die Angst vor dem im Kreuzestod sich manifestierenden Mißlingen, die symbolisiert (und verstärkt) wird durch den Schlaf der drei Jünger?
    Ist nicht das „in Ägypten kann man leben“ (Publik-Forum von gestern) eine Falle, eine Falle, die Josef selber mit aufbaut, und in die dann das Volk Israel hineingerät?
    Dann kam ein Pharao, der Josef nicht mehr kannte: Hat das etwas mit dem Josef des NT zu tun, der ebenfalls nach der Kindheitsgeschichte vergessen wird, nicht mehr erscheint (sogar von Jesus, auch da, wo er seine Angehörigen, seine Mutter und Geschwister, nennt, nicht mehr erwähnt wird), zu tun?
    Beide Josefs-Geschichten sind Geschichten, in denen Träume wichtig sind. Die Träume in Ägypten sind die Träume Josefs, die Träume des Mundschenks und des Bäckers und dann die Träume Pharaos; die Träume des Josef von Nazareth sind seine eigenen, aber auch sie führen nach Ägypten (und wieder zurück). – Vgl. hiermit die apokalyptische Zuspitzung der Träume Nebukadnezars, die derart sind, daß er selber sie nicht ins Bewußtsein heben kann, sie vergessen hat, und Daniel soll nicht nur die Träume erläutern (wie Josef die des Pharao), sondern er soll dem König den Traum selber zurückholen, Erinnerungshilfe leisten.
    Wenn die geltenden Asyl-Gesetze die Abschiebung von Kindern und die der Familien von Asylsuchenden (und die Trennung von ihnen) ermöglicht, widersprechen sie dann nicht dem Grundgesetz, das die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt (und es kann ja wohl nicht sein, daß hier nur die deutschen Familien gemeint sind: er müßte doch wohl in alle Rechtshandlungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes eingreifen, auch ins Asylrecht)?
    Anfrage an den neuen Bundespräsidenten: Solange er Präsident der Bundes-Verfassungsgerichts war, unterlag er dem Prinzip „Wo kein Kläger, da kein Richter“; er durfte nicht von sich aus tätig werden. Aber welche Befugnisse hat der Bundespräsident, ist er nicht auf andere Weise Hüter der Verfassung; ist er nicht in den Fällen, in denen er als Richter zuwarten mußte, zum Handeln verpflichtet?
    Unterscheidet sich das Damaskus-Erlebnis des Paulus (seine Berufung zum Apostel: zum Zeugen der Auferstehung) nicht entscheidend von den anderen Erscheinungen des Auferstandenen, die alle vor seiner Himmelfahrt liegen, während das Damaskus-Ereignis danach folgte?
    Ist nicht Paulus nur zu retten, wenn man seine kosmologische Soteriologie mit akzeptiert (die Archonten und das Seufzen der Kreatur)? Nicht Paulus, sondern der seit den Kirchenvätern hellenisierte und durch Luther modernisierte Paulinismus sind Teil der Geschichte des Sündenfalls der Kirche. Zu hellenisieren war Paulus nur um den Preis der Logik des Terrors, die Luther dann verinnerlicht hat (Modernisierung durch die Glaubens- und Rechtfertigungslehre, deren Preis die Verteufelung der Bauern und der Juden war).
    Zum Staub (als Vorbegriff der Materie): Verweist das „aus Staub bist du gemacht, und zu Staub wirst du wieder werden“ im Kontext der staubfressenden Schlange nicht auf die Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft im Inertialsystem und im Bilde des apokalyptischen Tieres? Die Schlange frißt die zur Vergangenheit gemachte Zukunft? Dazu paßt es, wenn man die Schlange als Symbol des Neutrum und des Weltbegriffs begreift.

  • 22.06.93

    „Zorn ist ein Verlangen nach Rache.“ (Katechismus, Nr. 2302) Diese Definition, die auch durch das nachfolgende Thomas-Zitat nicht besser wird, rührt an den Kern der theologischen Unkenntnis und der Dummheit dieses Katechismus. Wenn sie stimmen würde, dürfte es keinen göttlichen Zorn geben, es sei denn, man unterstellte auch Gott ein Rachebedürfnis (das dann die projektive Abfuhr durch den Antisemitismus nach sich zieht: z.B. durch die Unterscheidung des christlichen Liebesgottes vom jüdischen Rachegott). Die deutsche Sprache unterscheidet Wut und Zorn; und die Katechismus-Definition trifft die Wut, nicht den Zorn. Aber ist nicht die Unfähigkeit, beide zu unterscheiden, beide unterschiedslos auf das „Verlangen nach Rache“ zu beziehen, eine zwangsläufige Folge eines theologischen Konzepts, in dem Gottesfurcht und Herrenfurcht, Umkehr und Umdenken sowie Nachfolge und Unterwerfung unter jegliche Autorität nicht mehr sich unterscheiden lassen, in dem m.a.W. der Gegenstandsbereich, auf den der Begriff des Zorns sich bezieht: die Verletzung der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, längst aus dem Blickfeld geraten ist? Hier gibt es keine Möglichkeit mehr, den göttlichen Zorn und die teuflische Wut (einen teuflischen Zorn gibt es nicht) zu unterscheiden. Zu prüfen wäre insbesondere der Begriff des Rachebedürfnisses selber (der eigentliche Existenzgrund des Rechts, der Strafe und der gesellschaftlichen Einrichtungen des Strafvollzugs): Bezeichnet er nicht das subjektive Korrelat des Schuldverschubsystems, steckt nicht in jedem Rachebedürfnis ein projektives Element, die lustvolle Verschiebung eigener Schuld auf andere? Ist nicht in jedem Objekt eines Rachebedürfnisses auch etwas vom Sündenbock? Dann aber wäre nach der Katechismus-Definition der Begriff des Zorns auf Gott nicht anwendbar, dann wäre der Begriff des gerechten Zorns gegenstandslos. Aber ist nicht die kirchliche Theologie heute dabei, mit dem theologischen Begriff des Zorns die Theologie selbst gegenstandslos zu machen?
    Auschwitz hat in Deutschland (und in der Kirche?) stärkere Rachebedürfnisse ausgelöst als bei den Juden (ist nicht die kirchliche Position in der heutigen Abtreibungsdiskussion, die nicht selten bei den kirchlichen Hardlinern mit Auschwitz-Assoziationen sich verbindet, eine Form der projektiven Abfuhr dieses Rachebedürfnisses: der ihr zugrunde liegenden Mordlust, die man dann in die Frauen hineinprojiziert?).
    Wenn der Zorn ein Verlangen nach Rache ist, dann ist die Welt ein Geschöpf des göttlichen Zorns und der Kreuzestod der bis heute mißlungene Versuch, diesen Zorn zu besänftigen (die Welt zu „entsühnen“). Aber diesen Anschein erweckt ja nun in der Tat die christliche Theologie (aus diesem finsteren Konstrukt hat die Gnosis einmal versucht, die Konsequenzen zu ziehen). Gehört nicht in diesen Zusammenhang nicht auch der Satz: Extra ecclesiam nulla salus, der die Konsequenz mit einschließt, daß es nur um die Rettung der einzelnen aus der bösen Welt, nicht aber um die Rettung der Welt selber geht, und daß, wenn es Heil nur in der Kirche gibt, alles, was draußen ist, verworfen ist.
    Der Gott, der den Tod seines eigenen Sohns als Sühne fordert: nimmt der nicht seine eigene Selbstoffenbarung im brennenden Dornbusch zurück, ist das nicht die Rücknahme des JHWH (in der Geschichte der Bindung Isaaks war es der Engel der Elohim, der das Opfer forderte, und der Engel JHWH’s, der die Forderung zurücknahm)?
    Merkwürdige Stelle bei Kant (Kr.d.r.V., S.403f), wo er in der Verlängerung einer geraden Linie ins Unendliche die gleiche Logik erkennt wie bei dem Elternpaar, von dem man „in absteigender Linie der Zeugung ohne Ende fortgehen“ könne. Liegt hier, in der Beziehung der endlos sich fortzeugenden Geraden zu den endlos sich fortzeugenden Gattungen in der Natur, nicht ein Hinweis auf den Ursprung des christlichen Sexualtabus und auf sein anderes, verdrängtes Objekt: in der Verdrängung des Zeugungselements bei der Mathematisierung der Raumes (in der Abstraktion vom Licht, das beides, das Sehen und das Gesehenwerden, in sich enthält, und darin den Ursprung sowohl des Lebens wie des Angesichts; vgl. den biblischen Zusammenhang des Gesehenwerdens mit der Scham: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“).
    Auch eine Bemerkung zur feministischen Theologie: Die Vorstellung einer unendliche Ausdehnung des Raumes steht unter dem Zwang der Verdrängung des Gesehenwerdens, der Scham, die dann im Begriff der trägen Masse (und im Realsymbol des Blutes?) wiederkehrt: Ist die mathematische Raumvorstellung nicht (wie in anderer Hinsicht das Geld und das Bekenntnis) ein Realsymbol der Vergewaltigung (und der Onanie)? Liegt der Anfang hierzu in der geschlechtsspezifischen Trennung der Heiligen nach der Märtyrerzeit in Confessores und Virgines? Und liegt hier nicht ein Hinweis auf den Zusammenhang der Hexenverfolgung (einschließlich der damit verbundenen Mythen – vgl. Carlo Ginzburg: Hexensabbat) mit dem Ursprung der naturwissenschaftlichen Aufklärung?
    Meistveraltet ist die jeweils jüngst vergangene Mode. Ist nicht auch das ein Teil des Schuldverschubsystems, seiner Mikrologik: Indem das gerade Vergangene nur durch den Zeitablauf reflexionsfähig wird, erzeugt es nur den Zwang zur Verdrängung; dieser das Ich bedrängenden Scham- und Schuldflut ist unser Reflexionsvermögen nicht gewachsen. Zu verarbeiten ist sie nur über die projektive Schuldverschiebung. – Anwendung auf die Beziehung zur Vergangenheit in Deutschland.
    Liegt hier nicht auch der Schlüssel zum kritischen Verständnis der Habermasschen Verarbeitung der Kritischen Theorie? War nicht der „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ schon eine affirmative, neutralisierende Umformung des Begriffs der Kulturindustrie? Unter diesem Neutralisierungsdruck ist die Kommunikations- und Diskurstheorie entstanden (die letzte Fluchtburg vor der andringenden Notwendigkeit der Restituierung der benennenden Kraft der Sprache). Ist nicht das Reale in der Habermasschen Intersubjektivität verdampft (unter dem Hitzedruck der rekursiven und selbstreferentiellen Logik der Intersubjektivität)?
    Der Geist Gottes brütend über den Wassern ist bei Heidegger zur Mordlust ausbrütenden Daseins-Philosophie verkommen (Rückfall in die gleiche Finsternis über dem Abgrund, die Habermas jetzt als Neue Unübersichtlichkeit überfällt).
    Der Weltbegriff bedarf der quasitheologischen Idee der Entsühnung (er bedarf der Opfertheologie), und das deshalb, weil nur auf diesem Wege die projektive Verarbeitung der Erfahrung (der historische Objektivationsprozeß), die der Weltbegriff absichert, möglich gewesen ist. Die projektive Verarbeitung selber lief unter dem Titel Naturerkenntnis.
    Wie verhalten sich eigentlich die bestimmten Artikel im Deutschen, in die die Deklinationsformen sich verlagert haben, zu den Nomen selber (den deutschen „Substantiven“), an denen die Deklinationen nur noch fragmentarisch an Endungsresten erkennbar sind? Die ehemaligen Suffixe sind zusammengeschrumpft und nur noch ein verhallendes Echo der die Deklination repräsentierenden bestimmten Artikel. Welcher Unterschied liegt zwischen der Deklination des Nomens Deutscher (der D’e, des D’en, dem D’en, den D’en) und der des Nomens Wald (der W, des W’es, dem W’e, den W)? In dem einen Fall drücken sich alle Beugungen durch das -en aus, in dem anderen stehen neben der Einheit des Nominativ und Akkusativ die getrennten Formen des Genitiv und Dativ. Sind in den femininen Nomen die Deklinationen insgesamt endungslos (die Frau, der F, der F, die F)? Aber sind hier die Deklinationen nicht ohnehin nur Varianten der fem./masc. Artikelbildungen? Und sie die Wald-Endungen nicht versteckte Neutrums-Endungen (vgl. das Haus, des H’es, dem H’e, das H)? Kann es sein, daß im Deutschen die Flexionen (die Deklinationen) durch genus-spezifische Elemente überlagert werden, gleichsam eine zweite Reflexionsstufe zum Ausdruck bringen? Wenn ja, welche Sprachlogik verbirgt sich dahinter? Auffällig ist eine merkwürdige Reflexions-Beziehung des Femininum zum Maskulinen (der maskuline Artikel erscheint als Genitiv- und Dativ-Artikel im Femininum, und die feminine Deklination des Artikels ist zugleich das Modell der allgemeinen Deklination im Plural) wie des Maskulinum zum Neutrum. Gibt es einen sprachlogischen Zusammenhang mit der Ersetzung der Suffixbildung durch Bildung mit Hilfe von Hilfszeitverben bei den Konjugationen (und der Ersetzung der hierarchischen Begriffs- durch hierarchische Satzkonstruktionen) und schließlich mit dem exzessiven Gebrauch von Prä- und Suffixen im Deutschen?
    Wie verhält sich eigentlich das Wort vom Weizenkorn, das sterben muß, um hundertfältige Frucht zu bringen, zu dem Gleichnis vom Weizen, der unter die Dornen, auf felsigen und auf fruchtbaren Grund fällt? Sind die Dornen und der Felsen nicht Symbole der Hypostasierung des Todes (die in die Theologie durch den affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs hergekommen sind, und in denen sich die entscheidenden Aspekte dieses Weltbegriffs, seine Subjekt- und Objektfunktion, ausdrücken)? Grund ist die Weigerung, das Nachfolge-Gebot in die Grundlagen der Theologie (der Gotteserkenntnis) mit hereinzunehmen. Aber Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt.
    Ist nicht die Versteinerung (der Fels) Grund und Folge der nicht übernommenen Arglosigkeit (der Unfähigkeit, die Klugheit der Schlange ohne projektive Entstellung, ohne der Paranoia zu verfallen, zu übernehmen)? Ist sie nicht eine Folge der bis heute unaufgelösten Paranoia im Kern der Welt?
    Zum Brief an Metz: Das „Zeit ist’s“ verweist auf den Aktualitätskern der theologischen Erkenntnis, auf das, was die Mystiker das „nunc stans“ (und Ernst Bloch das „Dunkel des gelebten Augenblicks“) nannten. Dieser Aktualitätskern ist die bis heute ungehobene Wahrheit des Sterns der Erlösung.
    Ist nicht die Kirchengeschichte der paulinischen Theologie die Geschichte des kirchlichen Kleinglaubens, und hat nicht die lutherische Rechtsfertigungslehre diesen Kleinglauben auf den Begriff gebracht? Aber Jesus ist der, der dem Sturm und den Wellen des Meeres gebietet, und ist uns nicht ein Teil dieser Kraft in seinem Namen mitgegeben?

  • 15.04.93

    Der interessanteste und der entscheidende Teil der kantischen Kategorientafel ist der dritte. Der erste und zweite Teil definieren die Brille, durch die hindurch der dritte gesehen wird, während der vierte dieser Brille die objektive Realität verschafft. Das Entscheidende ist das Moment der Gefangenschaft im System (der Isolationshaft), das dadurch zustande kommt, daß, wohin man sich auch wendet, man keinen Ausweg findet; der Ausweg ist versperrt durch das Prinzip der Reversibilität der Richtungen im Raum. Diesem Prinzip der Reversibilität verdankt sich die Struktur der homogenen Zeit: Die Reversibilität ist der Ausdruck der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Die Geschichte vom Hasen und Igel drückt das aufs genaueste aus.
    Was ist das Neue beim Noe:
    – die Sintflut mit der Verheißung, daß sie nicht noch einmal kommen wird und mit dem Bogen als Bestätigung;
    – das neue Essensgebot: mit der Erlaubnis des Fleischessens (das das Töten von Tieren mit einschließt);
    – der Weinanbau: Noe ist der Erfinder des Weinanbaus und der erste Trunkene;
    – Sem, Ham und Jafet, das Aufdecken der Blöße und der Ursprung der Knechtschaft.
    Haben Sem und Jafet etwas mit der Unterscheidung der semitischen und indogermanischen Sprache zu tun? Ham (zu dessen Söhnen Kanaan gehört) ist der Vater des Knechts beider. Was bedeuten die Namen Sem, Ham und Jafet?
    Luther hat „dem Volk aufs Maul geschaut“: Hat seine Bibel-Übersetzung die Schrift dem Volk nur mundgerecht gemacht? Liegt nicht die Erinnerung an die Doppelbedeutung des Gerichts nahe?
    Hängen die Prä- und Suffixe mit dem Nominalisierungsprozeß der Verben zusammen? Während die Suffixe in der Regel den Nominalisierungsprozeß abschließen, besiegeln, nehmen die Präfixe die Präpositionen in das Verb mit herein, ordnen damit die Verben den Deklinationen (dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang der casus) zu.
    Kommt dem Präfix be- nicht insofern eine Sonderstellung zu, als es den Mechanismus selber ausdrückt: die Identität von Empörung und Unterwerfung und die Identifikation mit dem Aggressor (das genaue Äquivalent des Raumes in der Sprache). Wenn ich ein Haus bewohne, beherrsche ich es durch meine eigene Unterwerfung unter seine Gesetze (Zusammenhang mit dem englischen to be?).
    Anwendung auf den Begriff des Bekenntnisses (Prinzip der Instrumentalisierung der Religion: es macht sie „bewohnbar“). Ist das Schuldbekenntnis die Umkehrung des Zwangsbekenntnisses?
    Wie verhält sich die Bekehrung zur Umkehr? Auch das reflexive Sich-Bekehren ist nicht identisch mit der Umkehr: Hier tut man sich nur selber an, was einem sonst von außen angetan wird. Sind nicht die Naturwissenschaften die Bekehrung der Natur (hier liegt der Grund des christologischen Naturbegriffs)?
    War nicht Alexander, der Schüler des Aristoteles, auch der erste große „Bekehrer“ (der den Barbaren die Zivilisation gebracht hat)? Als er den gordischen Knoten durchschlug und Asien unterwarf, war das nicht die prophylaktische Verwandlung der Umkehr in die Bekehrung?
    Man muß die Gewalt der Sprache von der Sprache der Gewalt unterscheiden. Was heißt Sprachgewalt?
    Walter Benjamins Erörterungen zum Begriff der Gewalt, seine Unterscheidung zwischen der rechtsetzenden und rechterhaltenden Gewalt (und der göttlichen, befreienden Gewalt), ist weder deduktiv abzuleiten, noch unterliegt sie der empirischen Überprüfung, sondern sie hat eine Schlüsselfunktion: sie erschließt neue Erfahrungsbereiche. Aber wenn einer nicht bereit ist, diesen Schlüssel auf seine Erkenntnisse anzuwenden, kann er ihn nur noch als unbrauchbar verwerfen; aber das ist dann sein Problem und keins des Textes von Walter Benjamin. Walter Benjamin hat als erster das transzendentallogische Problem des Rechts begriffen: daß auch das Recht (im Kontext von Begriffen wie Welt, Natur und Materie) ein Instrument zur Organisation von Erfahrung ist, dessen Begründung ohne Rekurs auf Gewalt (die ohnehin in den Fundamenten der transzendentalen Logik mit drin steckt) nicht möglich ist. Derrida ist ein Rutengänger der Philosophie, aber er vermag die Goldadern, auf die er stößt, nicht selber auszubeuten.

  • 04.11.92

    Die „Schuld der Väter“ ist das Vaterland; die „Sünden der Mutter“ sind die Formen der „Hurerei“ mit fremden Göttern: im Schuldzusammenhang nationenübergreifender und weltbegründender Ökonomie: die „Sünden der Welt“ (zu Ps 109.14).
    Das Subjekt der Ökonomie ist der Privateigentümer und der Staat (als Gründer des Geldes), das der Physik das vergesellschaftete Subjekt und die Astronomie (als Grund des Inertialsystems).
    Wie hängen Patriarchat und „Hurerei“ zusammen mit dem Venus-Kult (Ischtar, Astarte), dem Sternendienst, der Ursprungsgestalt der Astronomie? Ist die Ischtar, Astarte (Esther) und schließlich die Himmelskönigin Maria die an den Himmel versetzte, und d.h. patriarchalisch instrumentalisierte Gaja, die Mutter Erde (Athene entspringt aus dem Kopf des Zeus)?
    Was haben die „Sünden der Mutter“ mit der Materie (materia, von mater abgeleitet) zu tun? Und in welchen kosmologischen Zusammenhängen entspringt der Begriff der Materie? Sind hier die Venus-Religionen ein notwendiges Bindeglied?
    Findet das „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“ am sechsten Tag sein Echo in dem „als Mann und Weib schuf er sie“?
    Ist der vergangene „real existierende Sozialismus“ das externalisierte Sühneopfer des Kapitalismus, durch das er sich sich zu exkulpieren sucht; das Opfer, das ihn von seiner Schuld befreit (letzte blasphemische Konsequenz aus der Marktreligion)? Hier wird ein Sündenbock dem Asasel in die Wüste gebracht und in den Abgrund gestürzt (vgl. auch Hebr 1311ff).
    Ist es ein Zufall, daß unter diesen Prämissen Sodom, Jericho und Gibea wiederkehren? Dieser neue Faschismus ist ein magisches Ritual, das Menschenopfer fordert, das aber nicht zu vermeiden ist, solange die Sozialismus-Diskussion dieser Sündenbock-Strategie folgt, anstatt das Schuldverschubsysten zu thematisieren, in es wiederum sich verstrickt.
    Da steht tagtäglich der Mob von Jericho, Sodom und Gibea vor den Türen der Häuser von Rahab, Lot und des alten Mannes, der als Fremder in Gibea lebte, und fordert die Boten Josues, die Engel Jahwes und den Levit aus dem entlegensten Teil des Gebirges Efraim heraus, um an ihnen ihre Mordlust zu befriedigen. Nur der Vorsitzende des Zentralverbands der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat darauf mit einer Genauigkeit und Geistesgegenwart reagiert, zu denen kein christlicher Theologe fähig zu sein scheint.
    Erschlägt der Antisemit mit dem Juden nicht den Zeugen der Tat, aufgrund deren er selber sich verdammt fühlt?
    Nur wer die Schuldreflexion in die Erkenntnis mit aufnimmt, ist vorm Wiederholungszwang gefeit. Die transzendentale Logik ist die projektive Selbstreflexion des Schuldzusammenhangs, des Schuldverschubsystems (deshalb verwechseln katholische Autoren so leicht transzendental mit transzendent).
    Wo liegt der Quellpunkt jener Erkenntnis, deren Preis die Materialisierung der Objekte ist?
    Der ungeheuerliche Satz „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“ hat auch einen astronomisch-kosmologischen Aspekt.
    Die Kausalverbindung, die Recht und verdinglichte Moral herstellen zwischen Sünde und Schuld, ist der Knotenpunkt des Schuldzusammenhangs, der nicht mit einem Schlage zu lösen ist.
    Nicht die Synagoge – das war eine Projektion -, sondern die Kirche hat seit dem Urschisma die Binde vor den Augen. Indem die Kirche das Zukünftige mit der vollendeten Tat, die Hoffnung mit einem Sein, verwechselte, hat sie die Zukunft in jenes Futur II, in die Gestalt einer zukünftigen Vergangenheit, verwandelt, die der Grund des Herrendenkens (sei dem Ursprung der indogermanischen Sprachen bis hin zum Inertialsystem) war – und bis heute die einzige reale Gestalt der Transsubstantiation. Hier liegt der Zusammenhang der Verweltlichung der Welt mit ihren christlichen Ursprüngen. Diese reale Transsubstantiation ist das Werk des Begriffs und das Erbe der Philosophie, die so die Prophetie erschlägt (Luther hat das geahnt, und deshalb mit der Transsubstantiation die Philosophie verworfen; den Bann hat er so nicht lösen können).
    Zur Definition der Blasphemie: Wer den Armen verspottet, verflucht seinen Schöpfer (Spr 175). Das verweist auf die Selbstverfluchung Petri bei der dritten Leugnung: Der Kapitalismus ist diese institutionalisierte Verspottung der Armen.
    Keiner kommt zum Vater, außer über den Sohn: das aber heißt: nur durch die Schuldreflexion hindurch.
    Die ganze Natur steht unter einem Bann, und wir mit ihr. Die Lösung ist nur als Lösung dieses gemeinsamen Banns möglich. Ps 10430: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Nur diese renovatio faciei terrae vermag das (unter dem Titel Natur nicht einlösbare) Versprechen der Naturphilosophie zu erfüllen.
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und sie schämten sich.“ Steckt darin nicht der Zusammenhang der subjektiven Formen der Anschauung (da gingen ihnen die Augen auf) mit der Sexualmoral (sie erkannten, daß sie nackt waren) und der Notwendigkeit der Schuldreflexion (Erkenntnis der Nacktheit als Bewußtsein von Schuld: und sie schämten sich). Aber diese Schuldreflexion wird durch ihre sexualmoralische Verdinglichung, die das Christentum festgeschrieben hat, unterdrückt und verdrängt, während es gerade darauf ankäme, diese Schuldreflexion aufzunehmen: sie bezeichnet den einzigen Weg ins Freie. Hier liegt der Grund der Täufertheologie. Zusätzlicher Hinweis: Zur Geschichte der Nacktheit, der Beziehung von Schuld und Scham, gehören sowohl der Ursprung der Sexualmoral, als auch der der Privatsphäre und der des Geheimbereichs in Politik, Geschäft und Religion (auch die Macht hat ihre Privatsphäre und unterliegt somit der Sexualmoral).
    Zu diesem Nacktsein gibt die Geschichte mit Noah und Ham einen Hinweis: Das Aufdecken der Blöße (auf das heute die Medien sich spezialisiert haben) ist Voraussetzung und Teil der Einübung des Knechtseins, zu dem Ham dann verurteilt wurde. Kommt nicht Nimrod aus dem Geschlecht Hams (aber Nimrod war ein großer Jäger vor dem Herrn)?
    Im Begriff der Masse, in der das Individuelle gleichsam von dem Allgemeinen, Kollektiven überschwemmt wird, das zu Recht Gemeinheit heißt, und darin untergeht, reflektiert sich sowohl die Vorstellung der homogenen Zeit als auch die Beziehung zum Possessivpronomen, der Charakter des potentiellen Gebrauchwerts, des potentiellen Eigentums. Sie ist aufzulösen nur im Kontext dessen, was Adorno das mikrologische Verfahren genannt hat, und das schließt die konkrete Schuldreflexion mit ein.
    Den Schlüssel zum Begriff der Masse liefert der Satz aus der Hegelschen Logik: Das Eine ist das Andere des Anderen. Franz Rosenzweig hat einmal den Begriff einer „verandernden Kraft des Seins“ geprägt, und damit die Funktion jeglicher Ontologie auf den Begriff gebracht: Die Abschirmung der Welt gegen die konkrete Schuldreflexion (oder auch die Abschirmung der Theologie gegen ihren Ursprung in der Täufertheologie, gegen das „Tut Buße“ und gegen das „Ecce agnus dei“).
    Die Kirche ist zum steinernen Herzen der Welt geworden dadurch, daß sie nur noch Techniken anbietet, die die Menschen von den Schuldgefühlen befreien, in die sie notwendig sich verstricken, wenn sie in dieser Welt leben, nicht mehr die „Schuldgefühle“ aufklären sollen: das nämlich würde die kritische Reflexion des kirchlichen Autoritätsbegriffs, der Orthodoxie und des Dogmas voraussetzen. Die Techniken, die die Kirche heute anbietet, sind nur noch Techniken der Desensibilisierung, die helfen sollen, heile Privatwelten in einer bösen Welt zu errichten, zu der es keine Alternative mehr zu geben scheint. Aber das können Propaganda, Reklame und Fernsehen besser: So machen sich die Religionen selber überflüssig.
    Physik und Ökonomie begründen und verstärken das Bewußtsein, daß die Sprache über ihre technische Funktion hinaus keine Realität mehr hat. Mit der benennenden Kraft verliert die Sprache auch ihre eingreifende, praktische Potenz. Nur durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion, die durch die Übermacht der Rechtfertigungs- und Exkulpierungstechniken zu verkümmern, zu verschwinden droht, läßt der Bann sich sprengen, der sich heute in der Xenophobie, in sodomitischen Zuständen entlädt. Grund ist das, was die Antichrist-Tradition das Antlitz des Hundes nennt: Die Unfähigkeit, dem Anblick des andern standzuhalten, ohne aggressiv zu werden.
    Das Angesicht und der Blick haben eher sprachliche als optische Qualität und Beschaffenheit. Wer auf Bildern von Schulklassen aus der Zeit der Jahrhundertwende den hündischen: nämlich den zugleich aggressiven und unfreien, verängstigten, mißtrauischen Blick der Kinder sieht (den gleichen Blick, dem Heideggers Fundamentalontologie philosophischen Ausdruck verliehen hat), weiß, woher die Katastrophen dieses Jahrhunderts gekommen sind. – Es gibt Bilder der Schulklassen, zu denen Hitler und Stalin gehörten: In beiden Klassen stehen die Protagonisten der größten politschen Katastrophen des Jahrhunderts in der obersten (letzten) Reihe in der Mitte, beide haben eine Position über dem Lehrer inne, beide (und nur sie als einzige auf dem ganzen Bild) mit der gleichen herausfordernden Haltung: den Kopf in den Nacken geworfen, eine Demonstration des provokativen Herabschauens auf alle anderen. Nur durch eins unterscheiden sich beide: Während Hitler der größte in seiner Reihe ist, ist Stalin der kleinste.
    Aber dringen nicht heute die Herrschaftsstrukturen sehr viel früher, sehr viel tiefer und sehr viel verletzender ins Bewußtsein der Kinder ein?
    Der Raum, die Zerstörung des Angesichts und der benennenden Kraft der Sprache. Der Raum macht das Ungleichnamige gleichnamig durch seine universalisierende Kraft, durch die Gewalt der Selbstausbreitung aus der Kraft seiner eigenen mathematischen Struktur, durch die Neutralisierung der Gegenwart durch das Prinzip der Gleichzeitigkeit (Leugnung der Erinnerung).

  • 19.07.92

    Der Beifall ist nicht so sehr Lohn für eine Leistung, als vielmehr Teil jenes verdinglichten Seligkeitsbegriffs, zu dem -nach Augustinus (dessen Predigten nach van der Meer nicht selten vom Beifall der Gläubigen unterbrochen wurden) – auch der Anblick der Qualen der Verdammten in der Hölle gehört. Im Beifall verpufft die Angstfreiheit, die die Musik verspricht; er stellt die Alltagssituation, in der sich niemand mehr diese Angstfreiheit leisten kann, wieder her. Im Beifall manifestiert sich explosiv und zugespitzt die ganze Problembreite des Lohns in der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft; des Lohns, der von der Moral und Theologie bis hin zum Arbeitsentgelt im Kapitalismus die Idee des Glücks (der Güte ohne Lohn, des richtigen Lebens, das seinen Lohn in sich selber hat) neutralisiert und zerstört. Seitdem glaubt niemand mehr im Ernst (sondern nur noch in dem demonstrativen Sinne eines Glaubens für andere, der dann zum Teil eines Herrschaftssystems und Gegenstand der wissenschaftlichen Theologie geworden ist) an die Unsterblichkeit der Seele oder an die Auferstehung der Toten.
    Liszt (und vor ihm in einigen Werken Beethoven, nach ihm dann allerdings potenziert der unsägliche Richard Wagner) hat den Beifall in die Musik mit hineinkomponiert.
    Das „Wissen um“ oder die Neutralisierung der Theologie (zu Tiemo Rainer Peters „Mystik Mythos Metaphysik“, S. 70): Mit dem Hinweis auf die IX. der Benjaminschen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ spricht Peters von „einem memorativen Wissen um den Tod und die Toten“. Mit dieser Formulierung neutralisiert er den theologischen Sinn des Eingedenkens, der Erinnerung, und transportiert ihn ins sterilisierte Begriffs-Labor einer Wissenschaft, die aufs peinlichste jede Berührung mit einer Sprache meidet, die vielleicht doch in Gefahr geriete, ihre benennende Kraft (und im Begriff der Erkenntnis selber deren Beziehung zum Gebet) wiederzugewinnen. Die Erinnerung haftet am Namen, das „Wissen um“ verweist auf das namenlose, vergegenständlichte Korrelat des Begriffs. Diese (memorativ vergegenwärtigte) Vergangenheit unterscheidet sich von der erinnerten dadurch, daß in ihr der „Anspruch“ an die „schwache messianische Kraft“, die „uns wie jeder Generation vor uns mitgegeben“ ist (These II), bereits gelöscht ist. Vergangenes wird gewußt, aber erst das „Wissen um“ die Vergangenheit, das dem Eingedenken sich in den Weg stellt, neutralisiert sie, raubt ihr die theologische Kraft. Das „Wissen um“ leugnet um einer Gewißheit willen, die sich an die Stelle des Gewissens setzt, den Grund der Lehre von der Auferstehung der Toten. Auch das ist eine Methode, mit Auschwitz (der Massenreproduktion des Kreuzestodes, der bis heute nur der Abstieg zur Hölle, aber keine Auferstehung folgte) fertig zu werden.
    Das Christentum hat seit je „Vergangenheiten überwunden“: den Mythos, die jüdische Tradition, die Häresien (und heute auch Auschwitz?). „Überwunden“ aber hat es damit eigentlich nur die Erinnerung der Schuld, die ihm in den Gestalten des Heidentums, der Juden, der Ketzer (und schließlich auch der Frauen: in der Geschichte vom Sündenfall ist allein der Fluch über Eva mit einer Verheißung verknöpft, während Adam nur die Schlange nährt) vor Augen stand. Die Überwindung aber war seit je ein anderer Name für Verdrängung: jedenfalls ist die Erinnerung dessen, was die Kirche in ihrer Geschichte alles überwunden hat, bis heute nicht ins theologische Selbstverständnis der Christen (und ins christliche Verständnis der Theologie) mit eingegangen. Deshalb war Theologie seit je bloß apologetisch, Rechtfertigung: Theologie hinter dem Rücken Gottes, und aus dem gleichen Grund dogmatisch; und das Bekenntnis war der Institutionskitt, der die Gemeinschaft der Gläubigen bei der Stange hielt; beide sind Produkt der Kraft des Bindens, die der Kirche mitgegeben ist. Theologie im Angesicht Gottes hingegen (der Anfang der Kraft des Lösens, die der Kirche verheißen ist) wäre nicht mehr apologetisch, sondern prophetisch; das Bekenntnis würde das der Erbschuld (und den Anteil der Kirche daran: die bis heute verweigerte Übernahme der Sünde der Welt ) mit einschließen, es wäre endlich Teil der Gottesfurcht, die nach der Schrift der Anfang der Weisheit ist.
    Notwendig wäre eine sprachliche Analyse der Theologie beider christlichen Konfessionen heute (z.B. Wendungen wie Theologie als „Rede von Gott“, „Vollzug“ von Gedanken innerhalb der Theologie – so als handele es sich um eine Art Strafvollzug – u.ä.). Trotz oder wegen der Logos-Theologie ist auffällig, wie niedrig der Level der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit ist. Gründe scheinen zu sein:
    – der Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung, der eine Kritik des positivistische-gegenständlichen Wahrheitsbegriffs fast unmöglich macht,
    – insbesondere in Deutschland der unabweisbare Exkulpations- und Rechtfertigungsdruck nach Auschwitz und Faschismus,
    – der geschichtslogische Stand des Bekenntnisbegriffs (zusammen mit der Rezeption des lutherischen Rechtfertigungsbegriffs im Katholizismus): als Folge der Verinnerlichung und Verdrängung der häresienbildenden Kraft,
    – Theologie hinter dem Rücken anstatt im Angesicht Gottes,
    – Rückwendung der im Entstehungsprozeß des Dogmas entsprungen projektiven Gewalt gegen das Subjekt der Theologie selber: die Kirche,
    – Unauflösbarkeit des Komplexes Opfertheologie, Gnadenlehre und Heilsverwaltung, nach Verdrängung der Nachfolgeidee (Zusammenhang von Logosidee und Übernahme der Sünde der Welt, von Sprach- und Schuldreflexion),
    – im Katholizismus auffällig die Verwechslung von transzendent und transzendental (ontologisches Mißverständnis der transzendentalen Logik), das positivistische Dogmen- (und Wissenschafts-)verständnis, die Unfähigkeit zur Erkenntniskritik.
    Zum Problem des Atheismus: Heideggers Frage, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, unterstellt, daß ein Nichts im Sinne seines Satzes (wenn auch nicht sich denken, so doch) sich vorstellen lasse. Und kein Zweifel, vorstellen läßt es sich nur in Anlehnung an die Vorstellung des leeren Raumes, ähnlich wie in dem Satz: Wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren. Schwierig wird’s jedoch, wenn man sich alles fortdenkt (von allem abstrahiert), bleibt dann nicht doch der leere Raum, auch das Vorher und Nachher, die leere Zeit? Der Arme hat nichts, aber ist dieses Nichts nicht doch schon ein bestimmtes Nichts, das Nichts an Nahrung, Kleidung, Haus und Freunden? Noch bestimmter wird das Nichts der verschuldeten Länder der Dritten Welt: Sie haben nichts, um ihre Schulden (und die Zinsen für ihre Schulden) zu bezahlen. Der Arme hat nicht einmal Schulden (denn er hat niemanden, der ihm zuvor etwas leihen würde), während das Nichts der verschuldeten Länder, die verbrauchten Kredite, immer noch die Beziehungen zu den Gläubigerbanken voraussetzen. Das Nichts, das Heidegger vor Augen steht, setzt voraus, daß es sich auf ein All bezieht, das sich hinwegdenken läßt. Aber diese Voraussetzung ist durch den „Stern der Erlösung“ widerlegt. Dieses All, das Universum, von dem unsere Universitäten ihren Namen haben, konstituiert sich erst im Kontext des bürgerlichen Subjektbegriffs, der ohne die Vorstellung, daß dem Begriff „alle Objekte“ in der Realität etwas entsprechen muß, nicht zu halten ist.
    Eigentumsabgrenzungen:
    1. die Grenze einer Fläche (der abgegrenzte Acker, die Nation),
    2. die Oberfläche eines Dings (als Außengrenze der Identität zählbarer Einzelobjekte, das Tier) und
    3. das Gewicht (bei Massengütern, unabhängig von der Identität der Einzelobjekte).
    Das Geld vereinigt alle drei Grenzbestimmungen:
    – Sein Geltungsbereich bestimmt sich nach 1. (die Grenzen einer Nation, zu deren essentiellen Souveränitätsbestimmungen die Währungshoheit gehört);
    – als zählbare Einheit bestimmt sich die einzelne Münze nach 2. (durch ihre dingliche, jedoch als zugleich massenhaft bestimmte Identität, ohne benennbare Einzelidentität),
    – während ihr „Wert“ sich durch ihre Beziehung zur (namengebenden, benennenden) Münzeinheit, die grundsätzlich als Gewichtseinheit definiert ist, bestimmt.
    Geldwirtschaft und „Zerstörung“ der benennenden Kraft der Sprache (Turmbau zu Babel, Ursprung und Geschichte des Nominalismus). Der Sündenfall und die Bedeutung des Gravitationsgesetzes für die Geschichte des Geldes (wie hängt der Wittgensteinsche Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit dem Stand der Geschichte des Kapitalismus zusammen?).
    Horror vacui: Die Vorstellung des leeren Raumes hat kein objektives Korrelat. Ich muß den Raum erst in Gedanken leermachen (ihn zugleich aus seinen mathematischen Voraussetzungen rekonstruieren), um ihn mir als leer vorstellen zu können. Welches Interesse aber habe ich an dieser Operation, wer ist in welcher Weise an dieser Operation beteiligt, und was bewirke ich damit: was richte ich damit an? Welchem Schrecken setze ich die Dinge aus? Gleicht die Vorstellung des leeren Raumes in ihrer Wirkung aufs Objekt nicht dem zynisch-obszönen Witz (dem Herrenwitz), der alle anderen auf Kosten seines Objekts zum Lachen bringt, der Produktion des Gelächters (das im übrigen – wie die Vorstellung des unendlichen Raumes – seine Wirkung nach außen und nach innen zugleich und auf gleich verheerende Weise entfaltet)? – Vgl. Büchners Lenz und Nietzsches Fröhliche Wissenschaft.
    Es gibt den zynisch-obszönen Witz nur als Herrenwitz (als Frauen- oder Damenwitz ist er unvorstellbar); hängt das genetisch und geschichtstheologisch mit dem männlichen Confessor (und seiner Beziehung zur Virgo) zusammen? Der zynisch-obszöne Witz ist ein Bekennerwitz (mit einer bekenntnislogischen apriorischen Objektbeziehung); für das schallende Gelächter sind Frauen nur Objekt, sie sind aufgrund ihrer Stimme zum schallenden Gelächter nicht fähig (ist die weibliche Stimme die der Panik, des passiven Schreckens – Grund der Mode als Identifikation mit dem Status des Objekts einer Aggression, der Anpassung an den Zwang zur öffentlichen Ausstellung des eigenen Körpers?).

  • 04.11.91

    „… widerrät, noch den Leviatan von Hi 40f dualistisch-moralisierend eindeutig dem Bösen zuzurechnen.“ (Ebach: Leviatan und Behemoth, S. 74) Bemerkungen:
    – Das „dualistisch-moralisierend“ steht in der Sündenfall-Tradition (Erkenntnis des Guten und Bösen: Zusammenhang von Instrumentalisierung und moralischem Urteil) und ist das Element, in dem sich die „Erbschuld“ fortpflanzt.
    – Schon die Grundelemente des Christentums:
    . Nachfolge-Gebot, Übernahme (nicht Hinwegnahme) der Schuld der Welt (Gott hat nicht die Welt, sondern Himmel und Erde erschaffen; Welt als Medium und Resultat des Säkularisationsprozesses, als Medium der Geschichtsphilosophie; Begriff der Welt, Beziehung zum Naturbegriff: Totalitätsbegriffe), Feindesliebe, Richtet nicht …, Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben (Kontext: Kritik des Bekenntnisbegriffs, der Trinitätslehre – insbesondere der Christologie -und der Opfertheologie; Begreifen des Ursprungs des Antijudaismus, der Häresien und ihrer Geschichte, der Frauenfeindschaft und der Hexenverfolgung); widerraten der Zurechnung und eröffnen darüber hinaus ein theologisches Konzept, das erst noch zurückzugewinnen wäre (Theologie im Angesicht, nicht hinter dem Rücken Gottes), und in dem vielleicht dann auch der Leviatan seine Stelle finden wird.
    Mary Dalys Titel „Gott Vater, Sohn und Co“ enthält eine sehr tief begründete Kritik an der Trinitätslehre: am theologischen Gebrauch des Personbegriffs. Dieser Begriff ist in der Tat nur als Teil einer politischen Theologie zu begreifen, die – auf der Grundlage des Bekenntnisbegriffs – unaufhebbar patriarchalische Züge trägt. Zur Widerlegung mag der Hinweis dienen, daß die Vorstellung der Unsterblichkeit der Person schon an der Bindung dieses Begriffs an seinen politisch-ökonomischen Kontext (Person und Eigentum, Zurechenbarkeit der Schuld als Grundlage des Rechts, Institut der juristischen Person) und an seiner damit verknüpften Beziehung zum Namen scheitert (der Name, dessen Träger die Person ist, ist Schall und Rauch: das Rosenzweigsche „Ich, mit Vor- und Zunamen“ ist nicht der Inhaber eines Personalausweises).
    Es gibt keinen direkten Weg vom Bekenntnisbegriff (Theologie hinter dem Rücken Gottes) zum Inertialsystem (Subsumtion des Himmels unter die Erde): dazwischen liegt die unreine Vermischung von Strenge und Milde (richtendem Urteil und Barmherzigkeit: Fegefeuer und Ohrenbeichte), dazwischen liegt das Gravitationsgesetz und die Vergegenständlichung des Lichts. Heute nimmt eine in den Mythos zurückgefallene Aufklärung die Offenbarung nur noch als Mythos wahr.
    Der Staat begründet sein Existenzrecht durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Mord und gegen die Verletzung des Eigentums (Gewaltmonopol), die Kirche durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Unmoral (Sexualmoral). Gibt es hier einen Zusammenhang mit Behemot und Leviatan?
    Den Bemerkungen Jürgen Ebachs zu Jon 411: „… mehr als 120.000 Menschen, die nicht rechts und links unterscheiden können, und viel Vieh“ (Kassandra und Jona, S. 116f) bleibt der Hinweis anzufügen, daß nach biblischer Metaphorik rechts und links auch mit der Unterscheidung von Milde und Strenge, Barmherzigkeit und Gericht (richtendem Urteil) zusammenhängt: Diese Menschen wissen – wie auch die Christen heute – nicht mehr, was es heißt, wenn der Auferstandene zur Rechten des Vaters (der Seite der Barmherzigkeit) sitzt. Beschreibt nicht die Verwechslung von Barmherzigkeit und richtendem Urteil mit gut und böse (dem Primat des Gerichts) genau das autoritäre Syndrom wie auch den Tatbestand des Sündenfalls, der Erbschuld?
    Auch ist mir bei dem Ausdruck „hebräische Metaphorik“ (S. 117) insoweit etwas unwohl, als ich glaube, im Begriff des Hebräischen (für jüdische Ohren die von Ägyptern und Philistern verwandte Fremdbezeichnung als Selbstbezeichnung) einen Ton mitzuhören, dessen Gebrauch uns – insbesondere nach Auschwitz – nicht mehr erlaubt sein sollte. Allein als Bezeichnung der uns fremden Sprache ist der Gebrauch erlaubt, aber dann mit dem Bewußtsein, daß Juden in dieser Sprache mehr als nur eine Sprache gegeben ist: der Inbegriff des Fremden, des Antlitzes, das sowohl das Antlitz Gottes als auch das des Feindes sein kann (welche Folgen ergeben sich hieraus für den Staat Israel und die dort gesprochene Sprache?). Das glaubte Paulus den Christen ersparen zu können; ebenso wie es keine Schrift des „Neuen Testamentes“ in hebräischer Sprache gibt, ist der christlichen Theologie die Idee des Angesichts Gottes fremd; an deren Stelle sind der Vaterbegriff und die Trinitätslehre getreten.
    Ist Jona wegen seiner Warnung an Ninive (für Ninive, „die große Stadt“, ähnlich Babel der Urfeind Israels) ein „Hebräer“ (vgl. nochmal die „Hebräer“-Stellen bei Loretz)? Werden die Juden nur von ihren Feinden Hebräer genannt (vgl. den Jerusalemer Kommentar – die „hebräische“ Sprache ist den Juden als Sprache, die sie ins Angesicht Gottes stellt, fremd – Abraham war ein Hebräer, und er war ein Fremder im Land; „im Angesicht“ ist – wie der durch schlichte Umkehrung konstruierbare Begriff der „Barbaren“, derer, die bloß stammeln, kein Griechisch sprechen – ein sprachlicher Sachverhalt, er gilt wie für Gott nur noch für den Feind)?
    Läßt sich nicht anhand des Begriffs des Hebräischen (des Hebräers und der hebräischen Sprache) die Idee der Übernahme der Schuld der Welt, die ebenfalls einen sprachlichen Sachverhalt bezeichnet, genauer bestimmen?
    Der Raum verwischt die Differenz zwischen vorn und hinten, rechts und links, oben und unten. Und Büchners Lenz wollte auf dem Kopf laufen.
    – Die erste Verwechslung ist die von Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
    – die zweite die von Strenge und Milde, von richtendem Urteil und verteidigendem Denken,
    – die dritte die von Himmel und Erde.
    Alle drei Verwechslungen gehen zu Lasten des Humanen; es triumphiert das Hinter dem Rücken, das Gericht und die totalisierte Erde (das Universum): Es triumphiert die Welt (oder auch die Gemeinheit).
    Wer Sicherheit will, will eine Zukunft ohne Überraschungen (daher die große Bedeutung der Versicherungswirtschaft heute).
    – In der Physik wird diese Sicherheit durchs Inertialsystem begründet,
    – in der Gesellschaft durchs (kalkulierbare, das Eigentum und die Währung garantierende) Recht, in beiden Fällen durch Gesetze, unter die man alle möglichen Fälle subsumieren kann.
    – In der Theologie soll das Dogma (das Bekenntnis und seine Logik) das gleiche leisten. Mit den Juden sollte nicht nur das eigene Gewissen, sondern auch die Idee einer zukünftigen Welt, die anders ist, vernichtet werden.
    Begriffe wie Begegnung und Partnerschaft neutralisieren die kritische Potenz dessen, was Buber einmal die Ich-Du-Beziehung genannt hat. Zwei Bemerkungen dazu:
    – die Ich-Du-Beziehung ist (nach Levinas) asymmetrisch; Ich und Du sind nicht gleichwertig;
    – diese Asymmetrie gründet im Schuldverhältnis beider: das Ich konstituiert sich in der Übernahme der Schuld der Welt, in der Freisprechung des anderen, im Verzicht auf die falsche, durchs moralische Urteil: durchs Richten vermittelten Autonomie. Wenn Reaktionäre der Soziologie und Psychologie vorwerfen, daß sie zu Exkulpationszwecken genutzt werden, daß jeder sich darauf hinausreden könne, nicht er, sondern die Gesellschaft, die anderen seien schuld, so gründet das in der Umkehrung der Levinasschen Asymmetrie, zu der es keine Alternative mehr gibt; sie verwischen den Unterschied zwischen dem, was einer für sich selbst und was er für andere ist. Sie kennen kein anderes Sein als das Sein für andere.
    Gegen Marx und Freud ist festzuhalten: Die Theorie und ihre aufklärerische Potenz ist nicht zu bestreiten; unwahr ist die Vorstellung, sie ließe sich – als Instrument der Revolution oder als Therapie – unreflektiert in Praxis überführen.
    Der diabolos ist das Subjekt der Hegelschen List der Vernunft (der Mephisto Fausts). Er wirbelt die Richtungen durcheinander.
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Wer das Moment der Verzweiflung in den Taten der raf begreift und insoweit Verständnis dafür aufbringt, setzt sich dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung aus. Hier wird das Verständnis für eine vergangene Tat mit der Aufforderung zu einer zukünftigen Tat verwechselt. Das rührt an den Grund der Gemeinheit.
    Der Begriff „Straftäter“ paßt zum „Staatsanwalt“: Wo der Staat zum Prinzip der Anklage wird, wird die Tat zum Wesen des Täters und zum Subjekt der Strafe (in welchen Fällen definiert das deutsche Strafrecht Taten, und in welchen Täter? Iäter nur, wenn Tätermerkmale – z.B. die Gesinnung – eine Rolle spielen? In welchen Fällen spielen Tätermerkmale eine Rolle? Vgl. „Mörder ist, wer …“ – ? §§ 211 (2) StGB; ein Mord verletzt das Gewaltmonopol des Staates; das scheint vor allem den „Abscheu“ zu begründen, nicht der Tod des Opfers, dieser nur als instrumentalisiertes Mittel der Emotionalisierung).
    Adam, der den Acker (den Schrecken) bearbeiten soll, wird in Tiefschlaf versetzt; aus seiner Seite wird Eva genommen (aus der rechten Seite? – Sitzt Jesus wirklich schon zur Rechten des Vaters, oder bedarf es dazu noch unserer Hilfe: der Nachfolge?).
    Luthers Rechtfertigungslehre ist falsch, insoweit sie die Gottesfurcht leugnet (den Glauben von seiner Beziehung zu den Werken trennt). Damit hat er die Melancholie ins Christentum eingebracht, das saturnische Wesen. Folge ist die Ersetzung der Gottesfurcht durch die Herrenfurcht (und die Furcht vor der Welt; die Furcht des Herrn ist von der paranoiden Furcht vor der Welt nicht zu trennen: Ursprung der Idolatrie).

  • 10.09.91

    Ist die Schuld der Welt, die Jesus auf sich nimmt, nicht die Schuld des Vaters, und hat die homousia, das „Ich und der Vater sind eins“, nicht doch einen ganz anderen als jenen affirmativen Sinn, den dann die dogamtische Trinitätslehre daraus gemacht hat?
    Das Geheimnis der Person ist die Gesellschaft. Der Personbegriff ist der imaginäre Schutz gegen das Bewußtsein „nackt zu sein“ („da gingen ihnen die Augen auf und sie sahen, daß sie nackt waren“). Die Aggression gegen den Schador, gegen die islamische Verhüllung der Frau, rührt daher, daß erst die Verhüllung wieder ins Bewußtsein ruft, daß man nackt ist, und daß die neue Verhüllung, die Charaktermaske der Person, bloßer Schein ist, eigentlich Teil des Akts der Selbstzerstörung.
    Mit dem Bekenntnis wurde der Personbegriff zum Begriff der Charaktermaske.
    Person und Charakter: Ist die Person die Form und der Charakter der Inhalt des Bekenntnisses?
    Das Bekenntnis ist die verinnerlichte Idolatrie, das Medium und der Katalysator der Verinnerlichung des Opfers, Grund und Motor des historischen Objektivationsprozesses. Es ist Teil einer Subjektstruktur, die jene Objektivität begründet und stabilisert, gegen die das Nachfolgegebot steht. Es ist ein Knotenpunkt in der Geschichte der Schuld und der Scham (der Verinnerlichung des Opfers entspricht die der Scham: seitdem gibt es Verdrängungen).
    Womit handeln die Banken: mit der Schuld, die die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, die Erblast der Vergangenheit reproduziert und potenziert; und zwar sowohl fürs Bewußtsein (Zusammenhang der Banken mit den Tempeln, der Idolatrie und dem Opfer; Erfindung der Null, doppelte Buchführung, Objektivierung und Verdinglichung des Debet und Ursprung der modernen Naturwissenschaften) als auch real (Schuldenkrise). Banco de Spiritu Santo: Banken und Ursprung des Bekenntnisses (der Vergeistigung des Martyriums).
    Das Bekenntnis ist die falsche Auflösung der Erbschuld, eigentlich das Medium über das sie sich fortpflanzt. Das Bekenntnis ist Babel (sowohl Turmbau wie Hure). Luther hat’s gewußt, aber dadurch, daß er die Kritik nur von außen vollzog, ist er selber in ihren Bannkreis hineingeraten, ist er gleichsam zum Neubabylonier geworden.
    Das Bekenntnis stabilisiert die Erfahrung des Liebesentzugs (nulla salus extra ecclesiam; salus ist femininum, nicht – wie im Deutschen – neutrum).
    Die Schuld auf sich nehmen heißt, die Macht des Begriffs brechen (den Vater von der Last, Vater zu sein, befreien: das ist der erste Teil des Sinns des Gebots: Du sollst Vater und Mutter ehren).
    Welt und Natur: oder Herrschaft und Symbiose?
    Kernpunkt scheint immer mehr die Übersetzung des tollere im „qui tollit peccata mundi“ (Joh 129) zu werden (airho heißt – wie tollere – sowohl aufheben wie wegnehmen). Das „hinwegnehmen“ ist vermutlich falsch (ist agnus/amnos das Lamm oder der Widder?).
    Wer eine Sache von außen kritisiert, gerät in ihren Bann, verfällt selber dem, was er kritisiert.
    Daß die Richtungen im Raum nicht äquivalent sind, läßt sich am Verhältnis von vorn und hinten sowie an dem des Leuchtenden zum Beleuchteten nachweisen (äquivalent sind dagegen die Beziehungen der Dinge unterm Gravitationsgesetz). Und bei dem Satz „Es werde Licht“ darf man um Gottes willen nicht an einen Lichtschalter denken.
    Kann es sein, daß die Berechnungen zur Entstehung der Erde oder zu den Entfernungen im Weltall einer ähnlichen Logik folgen, wie jener, die der Berechnung zugrunde liegt, die Richard Price im Jahre 1772 anstellte: „Ein Penny, ausgeliehen bei der Geburt unseres Erlösers auf Zinseszinsen zu 5 % würde schon jetzt zu einer größeren Summe herangewachsen sein, als enthalten wäre in 150 Millionen Erden, alle von gediegenem Gold.“? (Zitiert von Hinkelammert in „… in euren Häusern leigt das geraubte Gut der Armen“, Fribourg/Brig 1989, S. 168)

  • 23.05.90

    In jeder Feindschaft steckt ein Stück Projektion. Diesen Sachverhalt als Interpretationsmuster verwenden bei der Analyse von Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung. Was mich zur Empörung reizt, bin ich selber. So hat z.B. die Gesellschaft in den Hexen sich selbst erkannt: das Totenreich, das sie selbst zu errichten auf dem Sprunge war. Und das Erschrecken war ein Erschrecken über sich selbst. Als die Welt verhext wurde, wurden die Hexen verfolgt. Das Rätsel Swedenborg lösen hilft sicher mit, das Rätsel des Hexensabbat zu lösen.

    Ableitung der Gottesidee aus dem theologischen Erkenntnisbegriff? Wenn das Ich, das seinen Ursprung im Nein hat, der Inbegriff der Negativität ist, der Motor des Abstraktionsprozesses, und nur in diesem Zusammenhang als der Begleiter aller meiner Vorstellungen nach Kant zu begreifen ist, dann hinterläßt dieser Erkenntnisbegriff eine Lücke, die nicht zu schließen ist, die vielmehr als Lücke, als Wunde offengehalten werden muß. Die Ohnmacht des Ich, seine Hilfsbedürftigkeit, ist der Grund seines Geliebtwerden-Wollens (Freud/Drewermann). Sie reicht nicht aus zur Begründung der Gottesidee. Die Konstruktion des Ich gründet im historischen Prozeß, in der Geschichte der Welt, in der Geschichte der transzendentalen Logik, des Begriffsapparats, der die Erscheinungen so gliedert, daß sie dem Ich angemessen, kompatibel sind. Das Ich unterliegt zugleich selber der Logik, die es konstituiert (und wird sich selbst so zum blinden Fleck).

    Das Bewußtsein als offene Wunde ist konstruierbar nur vor dem Hintergrund der Idee des seligen Lebens. Vorausgegangen muß eine Idee, eine Erfahrung der Seligkeit und ein Seligkeitsversprechen sein. Der Anfang der aristotelischen Metaphysik: Alle Menschen streben nach dem Glück, ist durch ihr Ende, ihr Resultat (die Theoria, den transzendentalen Apparat in nuce) nicht abgegolten.

    Alle Wissenschaft ist Naturwissenschaft.

    Beschreibt die Elektrodynamik die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit? Beschreibt sie genauer den Vergängnisprozeß? Und sind die Quantenphysik und die Atomphysik gegenständliche Abbildungen der Logik des Zerfalls?

    Ziel ist nicht eine Ökumene, die vielleicht auf irgendeinem Kompromißwege tatsächlich zu erreichen wäre, sondern ein entkonfessionalisiertes Christentum, eine entkonfessionalisierte Kirche. Das läßt allerdings die Lehrtradition, an der alle Konfessionen wie unter einem Erkenntniszwang teilhaben, nicht unberührt.

    Gehört zu den Emblemen der Melancholia auch die Dornenkrone (nur bei Lochner?), haben die Theoretiker der Melancholie etwas gewußt? Woher kommt es, daß die Melancholie bevorzugt als Frau dargestellt wird – und dann u.a. auch als Frau mit Dornenkrone?

    Differenz zwischen Dürer und Lochner: Lochners Melancholie fällt bereits unters Vorurteil.

    Luthers Antisemitismus ist eine notwendige Folge des Friedens, den er mit der Welt geschlossen hat, ebenso wie sein Trübsinn. Der theologische Grund davon ist seine Rechtfertigungslehre. Nur die Lutherische Wendung hat dann Erfahrungen ermöglicht, hat Energien freigesetzt, die auf andere Weise nicht hätten freigesetzt werden können: insbesondere der wissenschaftliche Eros, der dann die Theologie ergriffen (und auf den Kopf gestellt) hat, war nur unter den Prämissen des Protestantismus möglich.

    „Experimentaltheologie – Elemente einer theologischen Erkenntnistheorie“

    Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter auf die Rücknahme der Schuld, die wir selber in die Realität hineinprojiziert haben, beziehen! Die einzig sinnvolle Interpretation des Gleichnisses?

    Wer es nicht mehr nötig hat, seine Ohnmachtsgefühle zu kultivieren, der bedarf auch der Selbstbestätigung durch Empörung nicht mehr.

    Die Trinitätslehre beruht auf Voraussetzungen, die heute (nach Auschwitz) nicht mehr ungebrochen übernommen werden können. Diese Voraussetzungen sind ein Teil der Verflechtung des Christentums, seiner Konfessionen, in die Welt- und Herrschaftsgeschichte. Die drei göttlichen „Personen“ sind es nicht an sich, sondern für uns. Die Aufspaltung ist begründet in den Erfahrungsbedingungen der endlichen, geschichtlichen, menschlichen Welt (kann ausgeschlossen werden, daß die trinitarische Konstruktion sich am Ende in die Wahrheit der Einheit Gottes auflöst?). Wahr ist, daß die Trinitätslehre die Einheit Gottes unangetastet läßt. Die Begriffe „Hypostase“, „persona“ sind genauer zu untersuchen (auf ihren Ursprung und Kontext). Was bedeutet es, wenn Jesus Sohn Gottes genannt wird, erzeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater? Was bedeutet es, wenn der Geist ex patre filioque procedit? Hat sich das Dogma in seiner lateinischen Rezeption gegenüber der vorhergehenden griechischen Fassung verändert? Und was bedeutet es, wenn z.B. bei Alexander von Hales die Begriffe, in denen das Dogma gefaßt ist, zu Namen Gottes werden, in vollständiger Differenz zu der Namen-Gottes-Lehre der jüdischen Tradition (und zur dritten Vater-Unser-Bitte)? Ist die Heiligung des Substanz- oder Person-Begriffs auch nur im Ansatz denkbar (ist diese Heiligung – und mit ihr die gemeinsame Genesis der Ontologie und des pathologisch guten Gewissens – aber nicht umgekehrt die notwendige Folge des Dogmas; sind nicht beide notwendige Folgen der Instrumentalisierung der Lehre, ihrer Umwandlung in ein Herrschaftsinstrument)? Anstatt die geologischen Strukturen des von den Christen dann so genannten „Alten Testamentes“ zu untersuchen, wurde das Alte Testament seit je nur als Steinbruch benutzt, als Material für apologetische oder erbauliche Traktate.

    Wird das Verständnis der Trinitätslehre nicht bestätigt durch den Paulinischen Satz, wonach am Ende „Gott alles in allem“ sein wird (vgl. hierzu den Hinweis und die Kritik Franz Rosenzweigs).

    Hat die Geschichte mit der Sonne bei Gideon (Josua) nicht doch mehr mit der Geschichte des Patriarchats als mit der der Naturwissenschaften zu tun?

    Hegels Urteil über die Natur als Äußerlichkeit der Idee, die den Begriff nicht halten kann, verweist darauf, daß die Natur als vollständig verurteilte und gerichtete nicht nur das ist (dann müßte sie dem Begriff entsprechen), sondern etwas darüber hinaus; daß sie im Begriff nicht restlos aufgeht.

    Das christliche Dogma und die Dialektik der Aufklärung oder Präliminarien einer theologischen Erkenntnistheorie.

    Wenn heute die Religion selber blasphemische Züge annimmt, wenn sie insbesondere gefährdet ist durch den fundamentalistischen Terrorismus, so hängt das mit der unaufgeklärten eigenen Geschichte zusammen.

    Liefert der Vergleich von „Totem und Tabu“ mit dem „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ – beide sind sich im Aufbau sehr ähnlich – einen Hinweis, unter welchen Prämissen die christliche Theologie aufzuarbeiten wäre? (Ist der Ursprung des deutschen Trauerspiels eine Interlinearversion von Totem und Tabu, ist er aus der gleichen Konstellation der Ideen – mit dem Königtum (Christentum?) im Zentrum – erwachsen? Etwas Vergleichbares scheint Walter Benjamin gemeint zu haben in seinem „Programm einer neuen Philosophie“ im Hinblick auf die Verwendung der Kantischen Kritik)

    Die Hoffnung von Karl Thieme in seinem „Am Ende der Zeiten“, daß das Christentum jetzt endlich ins Mannesalter eintritt, scheint sich bisher noch nicht erfüllt zu haben.

    Wenn es stimmt, daß die Geschichte der Aufklärung von den Mythen über die Religion bis hin zu den Naturwissenschaften ein Teil der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, und selbst insoweit in den historischen Naturprozeß mit hereinfällt, ist die Naturphilosophie ein Haupterfordernis einer Philosophie, die den Anschluß an die Theologie wiedergewinnen will. Die Frage hierbei ist, ob der Begriff der Natur selbst nicht ein Teil dieser Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, in diesem Prozeß sich konstituiert und von ihm nicht sich ablösen läßt; und ob eine Naturphilosophie nicht mehr sein müßte als eine Philosophie der Natur. Sind nicht die Begriff Natur und Welt eigentlich identisch, und bezeichnen sie nicht zwei Aspekte der gleichen Sache (abhängig davon, ob sie auf das Subjekt als Subjekt oder als Objekt sich beziehen)? Und müßte nicht eine Naturphilosophie heute Kritik des Naturbegriffs mit einschließen?

    Hat das mittelalterliche Bild von Himmel, Fegefeuer und Hölle, dieses dreistufige Bild des Universums, das später reduziert wurde auf den einfachen Gegensatz von Himmel und Hölle, etwas mit der Hypostasierung der zeitlichen „Ekstasen“ zu tun: der Himmel als die absolute Zukunft (futurum perfectum), die Hölle, das Totenreich, als absolute Vergangenheit (plusquamperfectum), und das Fegefeuer das Zwischenreich, vielleicht so etwas ähnliches wie die Welt? Steckt nicht doch ein ernsthafter naturphilosophischer Gedanke dahinter, wenn dem Himmel das Licht assoziiert wurde und der Hölle das Feuer? – Aber die eigentlich theologischen Assoziationen knüpfen an an den akustischen Bereich: den Hauch, den Atem, den Geist, der weht wo er will, das Wort.

    Hat der „große Fisch“ im Jona-Buch etwas mit dem Tier aus dem Meer in der Geh. Offb. zu tun, und die Flucht des Jona etwas mit dem Exil des jüdischen Volkes (dem direkten, politischen, wie dem indirekten, religiösen: ins Christentum; ist das Tier aus dem Meer die Kirche)?

  • 03.09.88

    Zusammenhang von Sexualangst, Frauenfeindschaft und Naherwartung: Könnte es nicht sein, daß der Ursprung darin zu suchen wäre, daß die Erwartung des nahen Gottesreiches, der endgültigen Erfüllung, die alle Seligkeit für Menschheit und Welt in sich schließt, in der (sexuellen) Lust eine Konkurrenz, eine falsche Vorwegnahme und damit die Gefahr einer Verzögerung, wenn nicht Verhinderung der Parusie sah? Sowohl die gnostische Verachtung der Materie als auch die Prävalenz der mönchischen Lebensform scheinen Reaktionen auf die Enttäuschung darüber, daß die Parusie auf sich warten ließ, zu sein (übrigens noch heute: deshalb erscheint es notwendig, diesen Gesichtspunkt mit einzubeziehen, damit die konkretistische Verfälschung der Apokalypse, die die Zeichen der wirklichen verdrängt, nicht alleine übrig bleibt).

    Die Verinnerlichung des Christentums, die Sexualangst und der Verzicht auf Kritik an der Welt (Politik und Gesellschaft) gehören zusammen.

    Luthers Rechtfertigungslehre ist nur verständlich vor dem Hintergrund seiner augustinischen Sexualitäts-/Lust-/Erbsündenlehre. Die concupiscentia und die „sündige Lust“ sind in der Tat nicht aufhebbar und nur durch Nichtansehung zu rechtfertigen.

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