Wer den Terrorismus aufarbeiten will, muß den Schrecken aufarbeiten, aus dem er hervorgegangen ist. Auf keinen Fall aber sollte man die Urheber des Schreckens zu Richtern über ihre Opfer machen. Spielt hier nicht der Modernisierungsprozeß, der der Faschismus auch war, mit herein: Was im Faschismus naturwüchsig war (das „gesunde Volksempfinden“), ist zu einem technischen Instrument geworden: zum Rechtspositivismus.
Ist nicht die gegenwärtige ökonomische Entwicklung die höhnische Verwirklichung dessen, was Marx einmal intendiert hatte. Auch die Privatisierung ist eine Form der Vergesellschaftung. Der Staat ist längst abgestorben, er weiß es nur noch nicht: er verrottet und verfault.
Die Erfahrung, aus der der verzweifelte Genius der Kritischen Theorie hervorgegangen ist, daß nämlich das Proletariat nicht mehr das Subjekt der Revolution ist – eine Erfahrung, die bis zu Marcuse die Reflexion durchzieht und beherrscht -, gründet in diesem Sachverhalt. Sie hängt zusammen damit, daß die subjektlose Form der Vergesellschaftung der Produktionsmittel Teil einer allgemeinen Proletarisierung ist: Auch die, die an den Hebeln der Macht sitzen, sind Lohnabhängige. Die Ökonomie ist der Feuerofen, in dem die Barmherzigkeit verbrennt; und das Leiden daran wird solange der Grund des Faschismus bleiben, wie es sich nicht selbst begreift, wie es nur den Weg der projektiven Verarbeitung kennt.
Georg Büchners Frage: Was ist das, was in uns mordet, stiehlt, hurt und lügt, drückt das aufs genaueste aus. Gibt es noch eine Möglichkeit, dieses Marionettenspiel, in dem wir nur noch Puppen in den Händen und an den Fäden einer subjektlosen Regie sind, zu begreifen?
Der strafrechtliche Tatbestand des Mords läßt sich aus dem mosaischen Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht ableiten. Der Mord ist kein Tat-, sondern ein Täterdelikt: Strafrechtlich verfolgt wird der Mörder, nicht der Mord, verfolgt wird die Person, die sich ein Recht anmaßt, das der Staat als sein eigenes begreift und um keinen Preis aufgeben kann, an dem er sein Monopol nicht aufgeben will und auch nicht kann: das Recht zu töten. Der biblische Gründungsakt des Staates ist der Brudermord Kains an Abel. Jürgen Ebach hat darauf hingewiesen, daß der Fluch „Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden“ ein sprachliches Echo hat in der Jotham-Fabel, in der Charakterisierung der „wurzellosen“ Königsherrschaft „Soll ich … hingehen, über den Bäumen zu schweben?“ (J.Ebach: Ursprung und Ziel, S. 59) Kain ist der Gründer der ersten Stadt, der er den Namen seines Erstgeborenen (Henoch!) gibt (Gen 417), während zur Zeit, da der Erstgeborene Seths geboren wurde, erstmals der Name Gottes angerufen wird (Gen 426).
War das Ziel des historischen Objektivationsprozesses die Neutralisierung der Prophetie (die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Neutralisierung der vergangenen Zukunft)? Ist der Historismus aufgrund seiner eigenen Logik antisemitisch?
Der Begriff der Gesinnung gehört zu Bekenntnislogik; jede Gesinnung ist nationalistisch (wohlgesonnen ist in allem das Gegenteil von national gesinnt).
Gibt es einen sprachlogischen Zusammenhang von Sonne und Sinn (gesonnen/gesinnt, Sinnlichkeit)? Ist die Feminisierung der Sonne im Deutschen in dieser sprachlichen Konstellation begründet (Reflex des männlich-heroischen Sinns)?
Ist nicht die Suche nach dem Sinn der Versuch, der zweiten Natur eine Sonne einzubilden? Der Sinn lebt (wie die Gesinnung) von der Bekenntnislogik, die ebenso zwangshaft wie vergeblich versucht, sich als Zentrum zu etablieren.
Hat das lateinische sol etwas mit solus zu tun; welche Wurzeln hat helios; steckt im hebräischen schemesch schem, der Name? Und gibt es neben Sonne/Sinn auch die Beziehung von Sonne und Sohn (vgl. im Englischen son und sun, aber auch sin, die Sünde)?
Marcuse
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7.3.96
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16.8.1994
Ist nicht die christliche Lehre von der unsterblichen Seele nur wahr im Kontext der Lehre von der Auferstehung, und verhält sich nicht die Seele zur Auferstehung wie das Wort zu seiner Erfüllung?
Hat die Vorstellung, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkommen wird, etwas damit zu tun, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollen wird (und ist darin nicht das Problem der Logik der Schrift bezeichnet)?
Ist nicht die am zweiten Tag geschaffene Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt und dann von Gott Himmel genannt wird, das Realsymbol der Logik der Schrift?
Es hängt mit der Logik der Schrift und ihrer realsymbolischen Beziehung zum Himmel zusammen, wenn der Ursprung und die erste Entfaltung der Astronomie zu den historischen Konstituentien des Staates (der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört. Haben die Wolken, auf denen der Menschensohn kommen wird, nicht auch eine politische Bedeutung?
Hat der Menschensohn in den Wolken etwas mit dem Bogen in den Wolken zu tun (Zusammenhang mit der Blutsymbolik)?
Die Heroen, die in der Schrift verewigt wurden, wurden an den Himmel versetzt (ihre säkularisierten Nachfahren sind die Stars).
Wissenschaftskritik: die Hysterie der Alma Mater und die Idee der Barmherzigkeit.
Jüdische Heidegger-Schüler waren Karl Löwith, Herbert Marcuse und Günther Anders (Stern), aber auch Hannah Arendt. Unterscheiden sie sich nicht doch erheblich von den Philosophen, die aus dem Neukantianismus kamen?
Das Absolute ist die projektiv verschobene Erinnerung an den verdrängten Tod (der gekreuzigte Gott).
Prophetie: der Blitz aus den Wolken der Logik der Schrift, ist das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht (das Votum für die Armen und die Fremden).
War nicht die falsche Übersetzung von Joh 129, zusammen mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu, der Blitzableiter (die Selbstimmunisierung gegen die Prophetie)?
Hat Off 132 (Panther, Bär und Löwe) etwas mit Hos 137f (und Dan 74ff) zu tun?
Das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ gilt für die ontologische Tradition unserer Theologie.
Die Philosophie, und in ihrem Kern die Ontologie, ist die institutionalisierte Verletzung des Bilderverbots. Sie gehorcht (und verfällt) der Logik der Schrift.
Tertullian hat das „homousia“ mit consubstantialis übersetzt. Aber sind das nicht zwei verschiedene Dinge: ob der Sohn das gleiche Wesen wie der Vater hat, oder ob Vater und Sohn eine gemeinsame Substanz haben? Hängt das zusammen mit anderen logisch-begrifflichen Verschiebungen, z.B. der von den hypokeimenoi zu den personae in der Trinitätslehre? Kann es sein, daß diese Verschiebungen mit den (die innere Logik und den Bedeutungszusammenhang der Begriffe verändernden) begrifflichen Verschiebungen von physis zu natura (und von kosmos zu mundus) zusammenhängen? Gründet die lateinische Version in einem Rechtsverhältnis (einem in Geburt oder Adoption begründeten Erbschaftsverhältnis) der Personen zur gemeinsamen Substanz, während die griechische Version auf die Mitteilung des eigenen Wesens an den Sohn durch Zeugung (auf eine gleichsam biologische Vererbung) zurückweist? Steht zwischen physis und natura, kosmos und mundus der Staat (das Römische Reich und die Substituierung der Kosmologie durch Politik)?
Wenn die Welt der Inbegriff aller Begriffe (und die Natur der Inbegriff aller Objekte) in Urteilen ist, das Ich aber „der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist“ (Hegel, Logik II, S. 220), wird dann nicht die Einheit der Welt durchs Du widerlegt? Ist der Weltbegriff monologisch und deshalb das Überzeugen unfruchtbar?
Ursprung des Neutrum: Hat die Trennung von Natur und Welt die Geschlechtsbezogenheit der zweiten Person gelöscht?
Alexander, Konstantin und die Dogmenentwicklung: Das Urteil zerschlägt den Knoten, der zu lösen wäre.
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