Der Definitionsmacht des Staates, die eine männliche Logik ist, sich entziehen, das heißt vor allem: die Logik dieser Definitionsmacht, die Logik des Herrendenkens, reflektieren, um ihr nicht selber zu verfallen. Nicht trotzig das Urteil der Bundesanwaltschaft sich zu eigen machen und nur das Vorzeichen umkehren (und das Unmögliche zu versuchen: den Mord, der nicht zu rechtfertigen ist, zu rechtfertigen): So betreibt man gleichsam präventiv und zugleich in vorauseilendem Gehorsam das Geschäft des Feindes. So macht man die Kronzeugen überflüssig, wird man zum Kronzeugen gegen die eigenen Genossen, fügt sich dem synthetischen Urteil apriori, dessen williges Opfer man so wird. In einem der ersten Versuche über die Folgen der KZ-Haft ist der Freudsche Begriff der „Identifikation mit dem Aggressor“ verwendet worden. Er bezeichnete das merkwürdige Phänomen, daß Häftlinge der Verführung, die Logik und die Urteile ihrer Peiniger sich zu eigen zu machen, nur schwer sich entziehen konnten; diese „Identifikation“ war ein Teil ihrer Überlebensstrategie (sind nicht die Rituale der Staatsschutzprozesse, und sind nicht insbesondere die Haftbedingungen nur als Teil des Versuchs, diesen Mechanismus zu instrumentalisieren, zu verstehen?).
Die wechselseitige Durchdringung von Justiz und Verwaltung, die der Exkulpationslogik (der Ersetzung der gerechten durch die rechtfertigende Verantwortung) manifestiert sich insbesondere in den Staatsschutzverfahren, in denen es um die Rechtfertigung der rechtfertigenden Instanz (des Staates) geht, an der Beziehung der Fertigung synthetischer Urteile apriori (Überleitung der Rechtsprechung in ein Subsumtionsverfahren) zur Vorherrschaft des Feinddenkens (der Feind ist das gesellschaftliche Äquivalent des Objekts, des Gegenstands der Subsumtion).
In den Texten der InfoAG gibt es Argumente, die den Eindruck erwecken, daß sie der Logik der Bundesanwaltschaft – nur gleichsam seitenverkehrt – aufs genaueste entsprechen. Für einen Augenblick erweckten sie den Verdacht, daß sie von einem Provokateur stammen könnten. Gehört nicht diese Argumentation zum Objektbild der Bundesanwaltschaft, das sie braucht, um die Verfahren in dieser Form durchzuziehen?
Anstatt in offene Fallen hineinzurennen, wäre es sicher wichtiger, die Konstruktion dieser Fallen zu studieren. Nur so ließe sich ihre Wirksamkeit dekonstruieren.
Wenn Anklagevertreter und Gericht die Angeklagte und ihre Verteidiger als Feinde und die Prozeßbesucher als Sympathisanten ansieht, so ist das deren Problem, nicht unser Problem. Es ist nur ein Hinweis auf mangelnde Differenzierungsfähigkeit. Wer sich davon nicht düpieren läßt, wird in der Lage sein zu bemerken, in welche Fallen sie hineinrennen.
Sind die merkwürdigen Reaktionen auf die „Kirchenleute“ eigentlich so weit entfernt von der Logik des Senatsbeschlusses, mit dem er das beantragte seelsorgliche Gespräch ablehnte?
Daß man Dinge verstehen kann, ohne sie gutzuheißen (und daß „alles verstehen“ nicht „alles verzeihen“ heißt), ist der wichtigste Grundsatz jeder Aufarbeitung der Vergangenheit. Aber haben die 68er nicht genau diesen Grundsatz verworfen? Es war einfacher, alles zu verurteilen, und in diese Verurteilung die ganze Generation derer, die den Faschismus miterlebt hatten, mit einzubeziehen. Daß der Faschismus vergangen war, daß er für die nachgeborene Generation nur noch gegenständlich war, hat ihr Urteil so gnadenlos gemacht. Es war so einfach: Über Schuld oder Unschuld entschied allein das Datum der Geburt, und dieser Generation kam es weniger darauf an, daß das nicht wieder passierte, als vielmehr darauf, daß, wenn es wieder passierte, sie jedenfalls zu denen gehörte, die daran nicht schuld waren. Nicht um Gerechtigkeit, sondern um Unschuld war es zu tun: Das aber führte mitten in die Logik der Rechtfertigungszwänge hinein, die die feindlichen Parteien seitdem gemeinsam hatten. Heute wird der Kampf gegen den Rassismus fast allein unter den Bedingungen einer Logik geführt, die zu den Wurzeln des Rassismus gehört: unter den Bedingungen der Bekenntnislogik, die den Rassismus zu einer Gesinnung, einer Weltanschauung macht, aber seine Funktion im Vernunfthaushalt, nämlich die Entlastung vom Anspruch und von der Last der Mündigkeit, den Zusammenhang der Exkulpationsstrategien, in denen er sich konstituiert, nicht begreift. Zu den Grundmotiven der inneren Begründung des Rassismus gehört insbesondere die Entlastung vom Tötungsverbot (die zugleich seine Nähe zum Sexismus begründet). Der Rassismus ist ein logischer Teil der Staatsmetaphysik, in der er in einer bestimmten Phase der Herrschaftsgeschichte sich konstituiert; er entspringt in der gemeinsamen Geschichte mit dem Ursprung des Gewaltmonopols des Staates und zusammen mit der Unfähigkeit zur Reflexion dieser Ursprungsgeschichte. Das rassistische Syndrom ist im Ernst nur aufzulösen im Kontext der Fähigkeit zur herrschaftskritischen Reflexion.
Hängt nicht die Abschaffung der Todesstrafe nach dem Krieg, die eine unmittelbare Reaktion auf den exzessiven Gebrauch, den die Nazis davon gemacht hatten, war, auf eine höchst vertrackte Weise auch damit zusammen, daß nach dem Krieg die Neubegründung des Staates nicht gelungen ist (und nicht gelingen konnte). Der Staat gründet in der Todesdrohung (in dem „Recht“ zu töten), und wenn der Mord im Strafrecht das einzige Täterdelikt ist (alle anderen Straftatbestände sind Tatdelikte), so verweist das darauf, daß der Staat im Mörder einen erkennt, der ihm das Recht zu töten durch die Tat streitig macht: Der Mord ist ein Angriff auf die Souveränität des Staates. Umgekehrt aber, wenn der Staat sich selbst des Rechts zu töten begibt (indem er die Todesstrafe abschafft), kann er dies nur unter zwei einander ausschließenden Bedingungen: entweder er schafft – mit der Begründung einer befreiten Gesellschaft – sich selbst ab (so mag Marx sich das Absterben des Staates vorgestellt haben), oder aber er verzichtet auf die Ausübung dieses Rechts (und damit auf eine der Rechtsquellen seiner Macht), weil es von den Gewalten usurpiert wurde, aus denen es einmal hervorgegangen ist und auf die damit auch die Macht wieder übergegangen ist: Ökonomie und Militär. Heute gibt es andere Formen der Todesdrohung, und diese stehen aller Welt vor Augen: in den Elendsgebieten, in den Auswirkungen der Schuldenkrisen, in der Bedrohung durch eine Armut, zu der es weithin keine Alternativen, und aus der es – nachdem die Marktgesetze universal geworden sind – keine Auswege mehr gibt, und die nur mit direkter Gewalt unter Kontrolle zu halten ist: durch Militärdiktaturen, Folterregime vor Ort und durch ein militärisches Vernichtungspotential, mit dem der Reichtum der Industrienationen gegen die Armut, die er produziert, sich abzuschirmen versucht.
Jede Verurteilung zieht den Urteilenden in den Bann der Logik der Taten hinein, auf die das Urteil sich bezieht. Hilflos, und in der letzten Konsequenz selbstmörderisch, ist jeder Antifaschismus, der den Schrecken nur durch Verurteilung zu bannen versucht, anstatt ihn zu reflektieren. Nicht daß der Staat „sein wahres Gesicht zeigt“, hilft aus der Gefahr, sondern nur eine Erkenntnis, die ihm den Spiegel der Erinnerung vorhält, in dem er sich selbst erkennt. Im Faschismus hat der Staat sein wahres Gesicht gezeigt, und wer die Wiederholung heraufbeschwören möchte, weiß nicht wovon er redet.
Scheitert nicht die Kritik Carl Schmitts bis heute daran, daß sie ein logisches Problem mit einem ideologischen verwechselt, daß sie eine verzweifelte Einsicht in die Fundamente des Staates, der Welt und der Zivilisation zu einer bloßen Gesinnung verharmlost und neutralisiert.
Die Notstandsgesetzgebung hat versucht, den Schmittschen „Ausnahmezustand“ beherrschbar zu machen; sie hat damit an eine Tradition angeknüpft, die einmal Hitler den Weg frei gemacht hat.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Tötung des GSG-9-Beamten in Bad Kleinen nicht durch Wolfgang Grams erfolgte, daß die Schüsse von Wolfgang Grams, die möglicherweise niemanden getroffen haben, in Notwehr erfolgten, und daß umgekehrt Wolfgang Grams selber von durchgedrehten Beamten, die damit den einzigen Zeugen beseitigen wollten, hingerichtet worden ist. Kann es sein, daß dagegen ein „rechtskräftiges“ (damit aber nicht notwendig wahres) Urteil gesetzt werden soll, das der Erforschung der Wahrheit eine juristische Hürde in den Weg stellen soll, auch um den Preis, daß eine nachweislich Unschuldige stellvertretend verurteilt und bestraft werden soll. Kann die Bundesrepublik vor diesem Hintergrund sich einen Prozeß wie den gegen Birgit Hogefeld überhaupt leisten?
Marx
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15.12.95
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14.12.95
Vollendung der Mechanik: Wenn das Bestehende zum Betonklotz wird, dann müssen seine Kritiker aufpassen, daß sie nicht zu Betonköpfen werden.
Zum Begriff der Religion: Nicht mehr Kitt, sondern Zement; nicht die Fensterscheibe, die die Innen- von der Außenwelt oder den Käufer vom Warenangebot trennt, sondern die Betonwand, an der man sich den Kopf einrennt. Im Bildschirm des Fernsehers maskiert sich diese Betonwand als Fenster. Das Fernsehen hat die Wohnungen zu Monaden gemacht: sie sind fensterlos (seitdem vertragen die real existierenden Fenster keine Gardinen mehr). Das Fernsehen transportiert nicht das Warenangebot ins Wohnzimmer, sondern das Wohnzimmer ins Innere der Ware (das sich beim Erwachen aus dem Alptraum der Logik des Tauschprinzips als das Innere der Hölle erweisen wird).
Faschismus als Modernisierungsschub: War Hitler der Vorläufer, das Modell und die Keimzelle des Fernsehens? Läßt diese Frage in eine der Kritik der politischen Ökonomie sich übersetzen (Selbstzerstörung der politisch-moralischen Kategorie der Souveränität)?
Das Wort, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels (wieder-)kommen wird, enthält einen Hinweis auf einen Prozeß im Begriff und in der Struktur der Öffentlichkeit, auf den wirklichen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“.
In der Unterscheidung von Macht und Herrschaft spiegelt sich die von Wut und Zorn. Zur Bestimmung der Begriffe Herrschaft, Macht und Gewalt vergleiche die Bemerkungen von Emmanuel Levinas zum Begriff der Gewalt (Schwierige Freiheit, S. 19, 25). Sind nicht Gewalt und Macht Manifestationen der Herrschaft, reflektiert im Medium der Gemeinheit (der Urteilsform), und verhalten sich Gewalt und Macht wie Natur und Welt (wie Objekt und Begriff)? Deshalb ist die Frage der Gewalt eine essentielle Frage der Linken, die der Welt ihre Naturseite (der Weltgeschichte die Naturgeschichte) vorhält, während die Machtfrage das Erkennungszeichen, an dem die Rechten sich erkennen, ist (Gewalt ist eine Form der Herrschaft, die den Begriff nicht halten kann).
Gewalt ist ein Akt der Befreiung, nur die Nazis haben „die Macht ergriffen“.
Unterm Rechtfertigungszwang schnurrt die Wahrheit zusammen zur Ideologie, zum puren Bekenntnis, entfaltet sich in ihr die Bekenntnislogik, zu deren Elementen das Feindbild, die Eliminierung der Häretiker und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehören.
Wenn ein Mord sich verständlich machen, niemals aber sich begründen läßt, dann einzig unter dem Aspekt der Notwehr, aber nicht mit dieser unsäglichen Begründung, daß Geiselnahme immer auch die Möglichkeit des Tötens mit einschließt (gleichsam eine Situation, in der Notwehr sich nicht ausschließen läßt), oder dem Hinweis auf „absolut negative Menschen“, die nicht sich ersetzen lassen. Diese Logik ist antisemitisch (der Holocaust wurde als ein präventiver Akt der Notwehr verstanden, die jüdische Rasse als eine Gruppe absolut negativer Menschen).
Der Versuch, einen Mord zu rechtfertigen, gerät zwangsläufig zur Begründung, zur Festlegung einer Norm, die dann auch auf andere Fälle sich anwenden läßt. Da aber sei Gott vor.
Läßt sich nicht die Hegelsche Dialektik von Herr und Knecht auf die Nachkriegsgeschichte anwenden, in der die Verlierernationen (Deutschland und Japan) am Ende über die ehemaligen Siegermächte triumphieren?
Sind nicht die Streiks in Frankreich eine Folge der Übertragung der deutschen Wirtschafts- und Währungspolitik (Standort Deutschland und Stabilität der DM) auf die EU? Und ist nicht die Konstruktion der EU, die nur eine neue, demokratisch weder legitimierte noch kontrollierte Verwaltungsebene geschaffen hat, ein Hinweis auf die politisch-ökonomischen Gesteinsverschiebungen, die der Faschismus ausgelöst hat: der Sieg der Ökonomie über die Politik, die Rückverwandlung von Politik in Verwaltung? Ein Subjekt dieses Vorgangs ist nicht mehr erkennbar, der rechtspolitische Begriff der Souveränität (das Bewußtsein der Verantwortung des Staates für die Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens, das ersetzt worden ist durch den gegen jede Kontrolle abgeschirmten Gebrauch des staatlichen Gewaltmonopols) ist endgültig gegenstandslos geworden. Wozu der Staat allein noch gebraucht wird, ist ideologischer Natur: er ist zur Exkulpationsmaschine geworden, der die Gewalt, die er nicht mehr beherrschen kann, wenigstens rechtfertigen soll.
Hat nicht Heinrich Böll mit seinem Wort vom verfaulenden, verrotteten Staat ein Stichwort geliefert, das in der Lage wäre, das Marxsche Konzept vom Absterben des Staates zu spezifizieren: Der Staat ist abgestorben, aber ohne daß etwas anderes an seine Stelle getreten wäre, und wir wohnen im Augenblick dem Verwesungsprozeß bei, dem Prozeß der Verrottung und gleichzeitigen Vergiftung aller Lebensverhältnisse.
Der Staat hat in einer Reihe von Institutionen die Einrichtungen geschaffen, die dazu dienen, ihm die Last Souveränität, der Entscheidung und der Verantwortung dort, wo er sich unfähig weiß, sie zu tragen, abzunehmen (Verfassungsgericht, Bundesbank). Die wütende Reaktion auf einige Urteile des BVG, die dem Exkulpationsbedürfnis des Staates nicht entgegenkamen, ist nur so zu erklären. Der vorauseilende Gehorsam der Deutschen Bundesbank, ist da schon genehmer.
Der Kopf des Fisches: Der Verrottungsprozeß des Staates hatte eine Vorgeschichte, er war schon zu erkennen an seinen letzten höchsten Repräsentanten, am Kaiser Wilhelm und an Hitler.
Versucht nicht dieser Prozeß gegen Birgit Hogefeld die Verfahren gegen die raf auf eine neue Ebene zu schieben? Geht es jetzt nicht energisch an das Konzept der Konstruktion synthetischer Urteile apriori, der Einbeziehung des ganzen raf-Komplexes in ein reines Subsumtionsrecht, in dem es dann auch der Kronzeugen nicht mehr bedarf? Dazu gehört u.a. das Verfahren der Einführung bereits rechtskräftiger Urteile, die falsch sein mögen, die aber den Vorzug haben, daß sie einer nochmaligen Beweisführung nicht mehr bedürfen, somit gegen jede erneute Diskussion abgesichert sind. Hierher gehört insbesondere auch der Teil aus der Anklage gegen B.H., der auf ihre Beteiligung an dem „Mord“ und den „Mordversuchen“ in Bad Kleinen abstellt. Wird hier nicht eine Logik konstruiert, die dann als Subsumtionslogik auf alle weiteren raf-Verfahren, die noch anstehen mögen, anwendbar wäre, in jedem Falle aber die Wirkung einer Präventivabschreckung haben würde. Einer Präventivabschreckung, die u.U. dann auch auf den gesamten Bereich der herrschaftskritischen Reflexion und gegen jede Form der Staatskritik sich anwenden ließe (die Habermassche Konzeption des herrschaftsfreien Diskurses, könnte sich als ein Stück vorauseilenden Gehorsams erweisen), nach dem mittelalterlichen Rechtsgrundsatz: Mitgefangen, mitgehangen.
Hat nicht der Gesetzgeber dem schon vorgearbeitet, und tut er es nicht weiterhin? Nur: Niemand merkt’s mehr. Wenn’s hoch kommt, dann reicht’s nur zum folgenlosen Protest.
Der Frontbegriff und die Verräterdiskussion waren logische Fallen, in die alle Empörten hereingelaufen sind. Die Empörungslust war von Anfang an sexistisch.
Die Uniform hebt das Tötungsverbot auf, indem sie das Gesicht löscht. (Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verständnis des Hegelschen Begriffs der „Aufhebung“? Ist die Aufhebung der Transformator, der das Gebot in ein Gesetz verwandelt, gehört der Begriff der Aufhebung zu den Konstituentien der Bekenntnislogik? Ist das Dogma die aufgehobene Wahrheit?) -
11.12.95
Was bedeutet der Begriff der Heiligung in dem Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“? Heißt es nicht, daß hier eine Sache nur der Kritik entzogen wird? Gehört es nicht in einen Zusammenhang, in dem Blasphemie und Majestätsbeleidigung (Verunglimpfung staatlicher Symbole) nicht mehr sich unterscheiden lassen, ist es nicht eine Heiligkeit, die als Unberührbarkeit der Macht sich begreift: als Verdinglichung des Heiligen? Es ist das genaue Gegenteil des Begriffs der Heiligung, der dem Gebot der Heiligung des Gottesnamens zugrundeliegt.
Zum Begriff des Neutrums gehört auch die grammatische Form des Indikativs, einer sprachlichen Form der Objektivität, die von allem Subjektiven (Wunsch, Zweifel, subjektiv Möglichem) gereinigt ist, das dann in den Konjunktiv verschoben wird. Im Lexikon der Sprachwissenschaft (Kröner, Stuttgart, 19902) wird der Indikativ als „neutraler Darstellungsmodus“ definiert (S. 407). Vgl dazu Hegels Bestimmung des Ursprungs und der Form der Prosa (ein Begriff, der im ebengenannten Lexikon ebensowenig vorkommt, wie auch nur ein Ansatz zu einem Versuch der sprachlogischen Bestimmung des Neutrums).
Als Habermas mit dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ das Thema verfehlte, hat er sich von der kritischen Theorie verabschiedet. Seitdem gilt er als ihr Vertreter.
Heute ist die Gegenwart in einem Maße historisiert, daß jeder kritische Impuls Gefahr läuft, sich ins Kontrafaktische zu verlieren (zum ohnmächtigen und unverbindlichen Räsonnement wird, das die Betonwand des Wirklichen nicht mehr zu durchdringen vermag). Die kontrafaktische Reflexion bezieht sich nicht mehr nur auf vergangene Entscheidungen, sondern die Gegenwart selber ist in einem Maße vorentschieden, daß Reflexion insgesamt in Gefahr ist, kontrafaktisch zu werden.
Merkwürdiges Gefühl beim Heribert Prantl: Er rührt an den Kern der Dinge, aber auf eine bloß noch räsonnierende Weise: auf die Weise des resignierten, ohnmächtigen Protests, dem die Kapitulation vor der Übermacht des Bestehenden schon einbeschrieben ist (vgl. Ulrich Sonnemann: Der verwirkte Protest, in: Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten, Hamburg 1963).
Als Habermas die Natur von der Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft ausschloß, hat er vor der Übermacht des Bestehenden kapituliert.
Heute reflektieren alle nur noch über die Sache, anstatt die Sache zu reflektieren. Wäre der Satz, mit dem das kommunistische Manifest beginnt: „Ein Gespenst geht um in Europa – …“, heute nicht anders weiterzuführen: Anstatt auf den Kommunismus wäre er heute auf die Gestalt des abgestorbenen Geistes (und nur so gewinnt der Name des Gespensts Realität), die in den Banken umgeht und rumort, zu beziehen. Der Macht und dem Tun dieses Gespenstes ist es zu danken, wenn heute der Name des Geistes endgültig obsolet geworden zu sein scheint. Als der Faschismus Vergangenheit geworden ist, hat er die Gegenwart in diesen Hades mit hereingezogen. Auf dem Boden der Katastrophe gibt es nur noch die Macht der Reflexion; wer glaubt, auf diesem Boden eine andere Welt erbauen zu können, wird in ihren Strudel mit hereingezogen. Wenn die kopernikanische Wende (die neue Astronomie) die Neukonstituierung der politischen Institutionen begleitet, ist dann nicht das Medium, in dem die neue Physik sich herausgebildet hat, insbesondere die Elektrodynamik, Symptom des Ursprungs und der Entfaltung jener Macht, die die politischen Institutionen der Moderne unterminiert, neutralisiert und verdrängt: der Ökonomie?
Gründet nicht die Verdrängung der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung in der bewußtslosen Anwendung des Satzes, daß der Zweck die Mittel heiligt? Der diesem Satz zugrundeliegende Begriff der Heiligung steht in genauestem Gegensatz zum Gebot der Heiligung des Gottesnamens. Die Heiligung des Gottesnamens ist ein Erkenntnisgebot, die Heiligung der Mittel durch die Zwecke ist ein Ensemble von Tabus, von Verdrängungen, von Erkenntnisverboten (Quellpunkt des Opfers der Vernunft).
Wer das, was Bundesanwälte, Richter und die Polizei sich heute selber antun, beim Namen nennt, beleidigt sie. Damit hängt es zusammen, daß es einen herrschaftsfreien Diskurs solange nicht geben wird, wie es nicht gelingt, die Reflexion von Herrschaft auch in die Institutionen des Rechts hineinzubringen.
Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande: Es gilt zu begreifen, daß das Neutrum zwar ein Instrument der Desensibilisierung ist, selber aber das sensibelste, empfindlichste Wesen ist (Geld macht sinnlich).
Die Exkulpationsmacht des Staates ist nur solange zu halten, wie sie selber der Reflexion und der Kritik sich entzieht (durchs Tabu, durch den Schutz vor „Verunglimpfung“). Wäre nicht das adornosche Stichwort der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ zu ersetzen (und zu erfüllen) durch die restlose Reflexion des Säkularisationsprozesses, zu dessen Geschichte die der Theologie dazugehört? Für den Mord an Menschen, die herrschaftskritische Hoffnungen verkörpern, gibt es unendlich viele Beispiele. Gibt es ein einziges Beispiel eines wirklich gelungenen Tyrannenmords? Ist nicht das einzige historische Beispiel hierfür der Mord an Julius Caesar, der real den Caesarismus (bis hinein in den Caesarismus der dogmatischen Theologie, in dessen Kern die Opfertheologie steht, die eher auf die Ermordung Caesars als auf den Kreuzestod Jesu sich beziehen läßt) überhaupt erst begründet hat? War nicht Brutus das Modell für das christliche Verständnis des Verräters Judas? Die Kosmologie, die Naturphilosophie und dann die Naturwissenschaft sind der Schatten und das Reflexionsmedium der Staatenbildung. -
11.11.95
Das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, …, führt aus dem Bann der Familie heraus, nicht in den Bann hinein.
Verwaltungsebenen sind Herrschaftsebenen und zugleich Stufen der Hierarchie, auf denen jeder nach unten Vorgesetzter (Herr) und nach oben Untergebener ist. Die Norm, die die Ebene konstituiert, bezeichnet die Herrschaftsdimension (das Äquivalent der Richtung der Schwerkraft). Verwaltungsebenen trennen das Untere vom Oberen, wie die Feste des Himmels die unteren von den oberen Wassern trennt. Marx hat diese Trennung im Begriff des Klassenkampfs auf ihren ökonomischen Begriff gebracht.
Der Satz: Das Jüngste Gericht ist nicht das Weltgericht, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht, enthält eine ungeheures erkenntniskritisches Potential. Er begreift die descensio ad inferos als Kern der historischen Erkenntnis. – Liegt darin nicht das Geheimnis des Lösens beschlossen?
Wenn es keine ursprüngliche Vergangenheit gibt, dann behält die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (das Prinzip der naturwissenschaftlichen Erkenntnis) nicht das letzte Wort. Dann wird der Anfang am Ende sein.
Turmbau zu Babel: Mit dem Ursprung der Architektur begann die Sprachverwirrung.
Zum Begriff des „Hoheitlichen“: Verwaltung ist die Kompostierungsanlage der abgestorbenen Monarchie. Hier findet Bölls Wort vom verrotteten Staat sein apriorisches Objekt. Von der wilhelminischen kaiserlichen Majestät ist nur noch die Arroganz, sind nur die Allmachtsphantasien geblieben.
Außer dem messianischen Titel Christus sind im lateinischen Credo nur noch drei weitere Begriffe aus dem Griechischen als Fremdworte übernommen worden: catholica, apostolica und ecclesia. -
9.11.95
Die Lehre von der Erschaffung der Welt, die auf die weltkonstituierende Funktion des Staates zurückweist, läßt sich auch nicht durch das angehängte ex nihilo heilen (das auf den ökonomischen Grund der weltkonstituierenden Funktion des Staates zurückweist). Es sei denn, daß dieses ex nihilo die Vorstellung ausschließen soll, es gäbe eine ursprüngliche Vergangenheit, eine Vergangenheit vor der Schöpfung.
Die Marxsche Idee einer klassenlosen Gesellschaft und seine Vorstellung vom Absterben des Staates enthalten einen erkenntniskritischen Aspekt, der mit zu entfalten wäre. Bezeichnen nicht die drei evangelischen Räte (Armut, Keuschheit und Hören) genau die Elemente, die die Logik des Absterbens des Staates zu begründen vermögen.
Wenn die griechische Grammatik das Paradigma einer (in der Trennung des Sehens vom Hören begründeten) Logik der Schrift ist, dann ist die hebräische Grammatik das einer (im Hören begründeten) Logik des Worts.
Im Credo steht das secundum scripturas nach dem et resurrexit tertia die, nicht nach dem crucifixus etiam pro nobis: sub Pontio Pilato passus et sepultus est.
Für die Griechen waren die Barbaren die Fremden, für die Christen – bis hin zu Thomas – die Völker, die Heiden; die Neuzeit wird mit dem projektiven Namen der Wilden eröffnet; erst Hegel hat diese ganze Sphäre zusammengefaßt im Objekt des Weltgerichts: in den Opfern der Geschichte. Damit ist die Barbarei endgültig historisiert worden.
Wayne A. Meeks verweist auf einen archäologischen Fund in Korinth, der auf die Existenz einer hebräischen Synagoge dort verweist (Urchristentum …, S. 107). Demnach war in römischer Zeit der Name der Hebräer noch in Gebrauch.
Das Argument, daß (im Mörfelder Wald) Wege deshalb nicht gesperrt worden sind, weil erkennbar war, daß sie ohnehin kaum benutzt worden sind, entspringt einer Logik, die das Gefühl genießt, hier auch die letzten drei Spaziergänger noch aus dem Wald ausschließem zu können. Ist dieses Gefühl so weit von dem entfernt, das Skinheads ergreift, wenn sie Behinderte, Ausländer oder Obdachlose angreifen? Im Kontext hierarchischen Verwaltungsdenkens ist die Bevölkerung das, was unten ist und sich nicht wehren kann.
Wie verträgt sich eigentlich die fortschreitende Privatisierung öffentlicher Dienste und Aufgaben, die den Staat zur Beute der Privatwirtschaft macht, mit der sich zuspitzenden Durchdringung der öffentlichen Verwaltungen durch hoheitlich-hierarchisches Verwaltungsdenken?
Der Staat ist das Wesen, das kreuzigt, die Welt ist der Ort, die Schädelstätte, an der gekreuzigt wird, während Natur das Deck- und Rätselbild des Opfers vor Augen stellt, ohne das es den Staat und die Welt nicht geben würde (christologischer Naturbegriff).
Das Gewaltmonopol des Staates, das einmal die Rachelogik durchbrechen sollte, ist inzwischen selbst zu einem Instrument der Rachelogik geworden.
Gewissenhaft, befähigt und befugt, gesinnt und gesonnen: Hinweis zur Konvergenz der Sprache der Verwaltung mit der Sprache des Nationalismus (die hierarchische Struktur der faschistischen Organisationen war ein genaues Abbild der hierarchischen Verwaltungsstrukturen).
Die Idee der Heiligung des Gottesnamens, die die Sprache von den Folgen des Sündenfalls, von der Erbsünde, reinigt, entzieht jeder Herrschaftsreligion, jeder Form der Religion für andere, damit aber jeder Religion überhaupt den Grund. -
2.11.95
Zur Ursprungsgeschichte der Ware: Ein afrikanischer Stammeshäuptling über einen Nachbarstamm: „Sie sind unsere Feinde; wir heiraten sie.“ (Zit. nach W.A.Meeks: Urchristentum und Stadtkultur, S. 18) Kann es sein, daß in der Vorgeschichte Frauen ähnlich „erworben“ wurden wie Sklaven und andere Handelsgüter: Sie wurden geraubt (vgl. Ri 2116ff und den „Raub der Sabinerinnen“)? Wäre das nicht eine Erklärung für den Status der Ehe, die seit je einer durch Kauf begründeten Eigentumsbeziehung nachgebildet war, auch für das Inzest-Verbot und für den Ursprung des Patriarchats (sowie des Staats, als dessen Modell die Familie gilt)?
Lohnarbeit ist die technisch perfektionierte Form der Schuldknechtschaft. Ihre Vorstufe war die persönliche Schuldbeziehung zu einem Gläubiger. Lohnarbeit ist das Produkt der Transformation dieser Beziehung in eine logische Funktion des Systems. Die Trennung der Menschen von ihren natürlichen Subsistenzmitteln, ihre Expropriation, in der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals (der kopernikanischen Wende der Geldwirtschaft), führt nicht mehr in die physische Abhängigkeit des Sklaven von seinem Herrn, sondern in die herrenlose Dauerabhängigkeit vom System, in den Zwang zur Selbsterhaltung in der vom Tauschprinzip beherrschten Gesellschaft: in den Zwang zum Gelderwerb durch entfremdete Arbeit, durch Arbeit für andere.
„Ihr seid das Licht der Welt.“ Dieses Wort trifft die Kirchen ins steinerne Herz ihres dogmatisches Selbstverständnisses. Es geht von dem einfachsten Sachverhalt aus, daß die Welt finster ist, und die Kirche Licht in diese Welt zu bringen habe. Das Licht hat sein Maß an der Finsternis, während nur der dogmatische und fundamentalistische Kleinglaube wähnt, die Finsternis habe ihr Maß an dem Licht, das er zu verkörpern glaubt. Das in Angst vor der Wahrheit erstarrte Dogma ist nicht das Licht, sondern der Scheffel überm Licht. Und das Licht ist kein Besitz, kein Gnadenschatz, der der Kirche gegeben und der von ihr zu hüten und zu verwalten wäre, sondern in jeder Epoche ist es der Finsternis neu abzugewinnen. Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt. -
31.10.95
Das Geld, das Inertialsystem und die Bekenntnislogik sind die Grundlage des Bewußtseins, der Trennung des Bewußtseins vom Unbewußten.
Der biblische Begriff der Erlösung ist an die Verwandschaftsordnung gebunden. Dadurch, daß Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, durch den Sohn zum Vater aller geworden ist, wird auch die biblische Erlösungsordnung, in der der Nächstverwandte den Verwandten, der unten ist, löst, auf alle übertragen. Deshalb sind die Verwandten Jesu nicht seine Mutter, seine Schwestern oder Brüder, sondern die, die den Willen des Vaters tun. Und diese Erlösungsordnung ist nicht spirituell oder sakramental, sondern sehr materiell.
Der Weltbegriff und in seinem Kern der Objektbegriff (der Dingbegriff) verdanken sich in ihrem Ursprung der Konvertibilität von Mitteln und Zwecken. Modell des Objektbegriffs ist das zum Selbstzweck gewordene Mittel. Der Primat und die Herrschaft des Kausalitätsprinzips gründet in dieser Hypostasierung der Mittel, in dem logischen Vorrang, den sie damit gegen die Zwecke gewinnen. Das Kausalitätsprinzip selber ist ein Mittel der Instrumentalisierung, in deren Bannkreis alle Zwecke zu bloß subjektiven Zwecken werden, die per List in den objektiven Zusammenhang der Kausalitätsordnung (ins Reich der Erscheinungen) überführt werden.
Das Geld, das Inertialsystem, die Bekenntnislogik sind reine Mittel. (Das Geld ist die Inkarnation der List der Vernunft, die Verkörperung der Logik der Hypostasierung der Mittel und der Instrumentalisierung fremder Zwecke.)
Die Verdinglichung ist ein Instrument der List der Vernunft. Der Genitiv im Begriff der List der Vernunft ist ein genitivus subjectivus und objectivus zugleich: Die Vernunft ist ebensosehr Uhrheber wie Opfer dieser List.
Das Frontdenken ist ein Produkt des verdinglichenden Denkens. So verfängt es sich in der Logik des gleichen Systems, gegen das es kämpft, und wird, ohne es noch wahrnehmen zu können, dessen Opfer. Das Frontdenken ist der agent provocateur des Feindes.
Eine Revolution, die auf Änderung der Verhältnisse (und nicht auf Identitätserhaltung der Revolutionäre) abzielt, muß fähig sein, auch die Logik zu reflektieren. Für Marx war die Logik Hegels wichtigstes Buch; aber wäre diese Logik nicht endlich auf ihren aktuellen Stand zu bringen?
Botschaft und Nachricht: Eine Informationsgesellschaft, die nur noch Perspektiven aufs Urteilen, keine mehr aufs Handeln eröffnet, verfängt sich in den Verstrickungen ihrer eigenen Logik.
Die Aufklärung hat die Magie und den Mythos nicht nur überwunden, sondern mit ihrer „Widerlegung“ zugleich auch das verdrängt, wovon sie das falsche Bewußtsein waren. Das Verhältnis gleicht nicht zufällig dem der dogmatischen Theologie zu den Häresien. -
30.10.95
Marx hat einmal davon gesprochen, daß der Staat im Falle der Verwirklichung der klassenlosen Gesellschaft, den Kommunismus, absterben wird, eine logische Folge der Aufhebung des Privateigentums, als dessen gesellschaftliche Organisationsform der Staat sich definieren läßt. Ein spätes, verzweifeltes Echo des Marxschen Worts vom Absterben des Staats war Bölls Bemerkung über den verrotteten und verfaulenden Staat, ein Wort, das, wenn ich mich richtig erinnere, im Deutschen Herbst 1977 gefallen ist. Aber ist es nicht genau dieser Prozeß des Verrottens und Verfaulens, dem wir heute beiwohnen: ein Prozeß, in dem der Staat die Fähigkeit, die Kraft und den Willen verliert, die blinden Naturkräfte des Eigentums, anstatt ihnen bloß zu gehorchen, im Interesse einer humanen Gesellschaft zu organisieren?
Wiederkehr des Barock: Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ist eine logische Konsequenz aus der Privatisierung des Staates, den die Parteien längst sich „unter den Nagel gerissen“ haben, wie ihr Privateigentum behandeln. Nur der privatisierte Staat hat eine Intimsphäre, in der er nackt sein darf, braucht eine „Geheimsphäre“, um seine Blöße zu bedecken: einen der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich. Zugleich wird die Öffentlichkeit zu einem Appendix des Privaten, zu deren Logik es fast keine Alternative mehr zu geben scheint. Sie wird zum Fernsehereignis, das zur Inkarnation der Logik des Privaten geworden ist. -
24.10.95
Mein ist die Rache, spricht der HERR. Wird diese Rache als Barmherzigkeit sich manifestieren, als Resultat Seines Gereuens, Seiner Umkehr? Ist der Tag des HERRN der Tag Seines Gereuens?
Wie das Angesicht und der Name ist auch das Feuer ein Attribut Gottes: das Feuer, das die Söhne Aarons und die Rotte Korach trifft, aber auch das Feuer, das bei Aaron und später bei Elias das Opfer für JHWH (nicht das für den Baal) entzündet. Die Verwaltung und das Hüten des Feuers obliegt den Priestern (nicht den Leviten).
Was wird aus der Heiligung des Gottesnamens, wenn der Name – wie unter der Herrschaft des Nominalismus: nämlich im Begriff des Objekts, das er „bezeichnet“ – längst untergegangen und vergessen ist?
Wenn der Rechtfertigungszwang das Schuldverschubsystem irreversibel macht, ist er dann nicht
a. der Grund der Mathematisierung der Erkenntnis (des Inertialsystems) und
b. zugleich der Grund des Herrendenkens (der Bekenntnislogik)?
Ist nicht das Inertialsystem das naturale Äquivalent der Logik, die in der Moral den Rechtfertigungszwang ans Schuldverschubsystem bindet?
Brunnenvergiftung: Das Gewaltmonopol des Staates ist der Brunnen, aus dem die Verwaltungen ihre Allmachtsphantasien schöpfen.
Der Tag des HERRN, das wird der Tag seiner Reue sein und der Tag, an dem seine Rache in Barmherzigkeit sich wandeln wird. Aber hängt nicht die Umkehr Gottes von unserer Umkehr ab? Ist nicht die Umformung der Theologie hinter Seinem Rücken in eine Theologie im Angesicht Gottes (eine Umformung, die IHN von Seinem Autismus befreit) die Voraussetzung dieser Umkehr?
Die Ursprungsgeschichte der Lohnarbeit ist ein Teil der Herrschaftsgeschichte, der Geschichte der „Dornen und Disteln“. (Hat der Schweiß des Angesichts etwas mit Getsemane und die Dornenkrone mit diesen Dornen und Disteln zu tun?)
Die Kirche hat das Symbol (den Vorschein der Erfüllung des Worts) indikativisch verdinglicht, während die jüdische Tradition es konjunktivisch verflüchtigt hat: Aber ist diese Verflüchtigung nicht Teil der Bewegung, in der das Symbol zur ruach, zum Geist wird? Wie hängt die Beziehung von Indikativ und Konjunktiv mit der von Genitiv und Dativ zusammen?
Die Prostitution ist nicht nur das älteste Gewerbe der Welt, sie ist zugleich ein Gründungsgewerbe der Welt, Teil ihrer Ursprungsgeschichte.
Dem melancholischen (saturnischen) Blick wird alles bedeutungsvoll: Josue (Jesus) hieß ursprünglich Hosea.
Was bedeutet es, wenn die „apokryphen“ Bücher, wie Judith, Tobias, die Makkabäer-Bücher, Jesus Sirach, Baruch, zwar in den christlichen Kanon mit aufgenommen worden sind, nicht aber in den jüdischen?
Sind die Naturwissenschaften das Grab (und die Pyramide über dem Grab), in dem die Tradition vergraben ist? Die Kinder Israels haben unter dem Pharao, der Joseph nicht mehr kannte, die Pyramiden bauen müssen.
Fällt nicht der Ursprung der newtonschen Gravitationstheorie zusammen mit der Geschichte, die Marx als die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals (Freisetzung des Proletariats durch die Verwandlung des Grund und Bodens in ein handelbares Objekt: die gemeinsame Subsumtion der Arbeit und des Bodens unters Tauschprinzip) beschrieben hat?
Wie hängt der Ursprung des Inertialsystems (der Entwicklung der Mechanik, dem Ursprung des Gravitationsgesetzes und der physikalischen Optik) mit der gemeinsamen (selbstreferentiellen) Subsumtion der Arbeit, des Bodens und des Geldes unters Wertgesetz zusammen?
Was als Gemeinheit erfahren wird, ist in der Regel bloße Gedankenlosigkeit: Ist diese Gedankenlosigkeit nicht das Grundgesetz der gegenwärtigen Welterfahrung und des Weltbegriffs? (Und hat der Positivismus diese Gedankenlosigkeit nicht zur Methode erhoben?)
Auch die Astrologie war einmal ein Stück Welterklärung: in der Phase des Ursprungs des Weltbegriffs.
Zu dem Satz: Das Sein bestimmt das Bewußtsein, gehört der andere dazu: Das herrschende Bewußtsein ist das Bewußtsein der Herrschenden. -
6.8.1995
Die Sklaverei ist eine Vorstufe des Handels und der Geldwirtschaft. Die ersten Waren waren die bei Eroberungen erbeuteten Gefangenen. Zur Schöpfung gehört die Folge von Katastrophe und Rettung, erst das Christentum war die Rettung als Katastrophe. Zur Kritik des Tauschprinzips: Der Faschismus verweist auf ein ungelöstes Problem in der Marxschen Kapitalismuskritik. Die Identität des Objekts gründet in der Identität des Vergangenen: Das Wasser unter dem Himmel sammle sich an einem Ort, daß das Trockene sichtbar werde (Gen 19). – Aber verweist nicht die Einsteinsche Zeitdilatation, die auf die Richtungen im Raum getrennt sich bezieht, darauf, daß es diese Identität des Vergangenen nicht gibt? Die Zeitdilatation bezieht sich auf die Grenze zu einer Vergangenheit, die insgesamt nicht ist: auf das Moment des Nichtseins an der Vergangenheit. Zum Begriff des Gesetzes (des Inertialsystems): Verweist nicht die Gesetzesbindung der Verwaltung darauf, daß auch die Verwaltung eine Art Gericht ist: ein Standgericht, das seine Urteile unmittelbar vollstreckt? Die hoheitliche Tätigkeit des Beamten, deren Modell die Tätigkeit der Polizei ist, bezeichnet den Anteil der Verwaltung an einer richtenden Tätigkeit, zu der es in der Regel keine Verteidigungsmöglichkeit mehr gibt. Verwaltungsgerichte sind Revisionsgerichte. Für die einen ist das Recht ein Mittel der Selbsterhaltung, ein Instrument der Berechenbarkeit und Beherrschung gesellschaftlicher Prozesse, für die anderen ist es bloß Schicksal. Durch die Naturschutzmaßnahmen im Mönchbruch werden auch Handlungen als Vergehen definiert, die nicht die Natur, sondern nur die Allmachtsphantasien und das Gesetzesverständnis der Verwaltung berühren. Haben die Israeliten in den Geschichten der Eroberung Kanaans vielleicht erlittene Erfahrungen als eigene Handlungen beschrieben, um so diese Erfahrungen bearbeiten zu können? Ist nicht die ganze Schrift Erinnerungsarbeit (und kein normativer Text)? Sind die „drei Abmessungen“ des Raumes (wie Kant sie nannte) auf die Trinitätslehre versiegelt? Der Staat nimmt die Sünde der Welt hinweg: er erlaubt es seinen Bürgern, ihren Rachetrieb in der Justiz und in den Knästen auszuleben und nimmt die Schuld daran auf sich. So entsühnt er die Welt. Ding und deutsch: Wie hängt die Verdinglichung mit dem Nationalismus (in der Religion: mit dem Fundamentalismus) zusammen? Der Nationalismus ist (wie der Fundamentalismus) ein Schutz vor der Wahrnehmung der logischen Konsequenzen der Verdinglichung: ein Instrument der Verblendung. Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu holen, und ich wollte, es brennte schon. Ist dieses Feuer das Symbol des Gegenblicks, das die Formen der Anschauung durchbrechende Element (das Feuer im hebräischen Namen des Himmels)? Und ist dieses Feuer die Verkörperung des „Wer“ (und das Wasser die des „Was“)? Und sind nicht die Formen der Anschauungen die logischen Formen des Deiktischen (der Grund des Heideggerschen „Daseins“)? War die Heinsohnsche Revision der Chronologie nur möglich bei gleichzeitiger Abstraktion von der Bedeutung dieser Revision für die Gegenwart? Das heißt: War sie nur möglich unter den Bedingungen des Konkretismus („Venus-Katastrophe“)? Wie hängt im christlichen Begriff der Liebe das passive, das Ich erweckende und konstituierende Element der Empfindung mit dem aktiven Element der tätigen Liebe (der Barmherzigkeit) zusammen? Liegt nicht dazwischen die Passion und Auferstehung? Zu Ez 412ff: Zu den Attributen der Hölle gehörte in der christlichen Tradition immer auch der Gestank. Der Gestank destruiert und vertreibt die Erinnerung. Haben das Riechen und der Geruch (die göttliche Wahrnehmung der Gebete der Heiligen) etwas mit dem ruach zu tun? Hängt nicht die Beziehung von Kot und Geld mit dieser die Erinnerung destruierenden und vertreibenden Gewalt zusammen? Steckt in der Menschenkot-Stelle bei Ezechiel nicht auch noch die Beziehung zur Geschichte des Opfers: zur Ablösung der Erstgeburt des Menschen durch das Rind (nicht der Armen: die wird ausgelöst durch die Taube, die dann zum Symbol des Heiligen Geistes geworden ist)? Das Exil hat den genealogischen und kollektiven Schuldzusammenhang gesprengt, die Verantwortung individualisiert. Der gesprengte Schuldzusammenhang reproduziert sich im Kontext des „dixi et salvavi animam meam“: Die individualisierte Verantwortung ist auf das Ganze bezogen. Gründet nicht die Kommunikationstheorie in der Trennung der Sprache von ihrer erkennenden Kraft, in der Aufzehrung ihres eigenen Grundes? Das war erst möglich im Banne einer vom Neutrum beherrschten Sprachlogik. Ist nicht die Hegelsche Philosophie, wie an der Dialektik von Herr und Knecht in der Phänomenologie des Geistes nachzuweisen wäre, „kanaanäisch“ (Gen 925)? In der Marxschen Transformation der Hegelschen Dialektik drückt sich das im Paradigma des Tauschprinzips aus. Vergewaltigung: Ist nicht die Orthodoxie (das Dogma, das Bischofsamt und das kirchliche Lehramt) eine Verletzung des Rates der Keuschheit, die auch durchs Zölibat nicht aufzuheben ist?
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28.6.1995
Geometrie und Arithmetik verhalten sich wie Privatsphäre und Öffentlichkeit, wie Innenpolitik und Außenpolitik, wie Ägypten und Babylon.
Ist das Meer die nach außen gewendete Gebärmutter, der nach außen gewendete Mutterschoß? Die Prophetie wurde im Mutterschoß erweckt, die Philosophie im Wasser. Aber das Meer hat die großen Seetiere nicht – wie die Erde die Pflanzen und Tiere – „hervorgebracht“, Gott hat sie erschaffen. Erschaffen, so wie er die Finsternis erschaffen hat (Jes 457). Haben das Tier aus dem Meer (das Gott erschaffen hat) und das Tier vom Lande (das aus der Erde hervorgegangen ist) etwas mit dem fünften und sechsten Schöpfungstag zu tun?
Zu den Konstituentien der Außenwelt gehören der Handel und der Krieg, gehört auch das Gewaltmonopol des Staates.
Der Corpus Christi mysticum ist die Sprache, die heute gekreuzigt, gestorben und begraben und zur Hölle niedergefahren ist. Ist das Inertialsystem (sind die subjektiven Formen der Anschauung) das leere Grab?
Die Grundlage und der Preis für die Rezeption des Hellenismus war die Opfertheologie, die Objektivierung und Instrumentalisierung des Kreuzestodes.
Zu den Feuerbach-Thesen von Marx: Ist nicht die Alternative, entweder die Welt zu interpretieren oder sie zu verändern, falsch: Gibt es nicht eine Gestalt der Reflexion, die den Bann der Welt bricht?
Mit dem Urschisma hat das Christentum die Offenbarung zu einer vergangenen, toten Sache gemacht; hier liegt der Grund für die „Tyrannei der Schrift“.
Die nur scheinbar durch Rentabilitätsgründe erzwungenen Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen versorgen in Wirklichkeit eine Klientel, die für ihr freies Kapital risikofreie aber rentable Anlagemöglichkeiten sucht. Das paßt in den übermächtigen Trend zur Entpolitisierung der Politik (zur „funktionierenden Demokratie“). In den Metropolen wird nachvollzogen, was in der Dritten Welt schon seit langem sich durchgesetzt hat: Die Politik wird zum Vollzugsorgan der alle Quellen der Macht in sich kontrahierenden Ökonomie, die gegen alle Einrichtungen demokratischer Kontrolle als immun sich erweist.
Ideal des schlanken Staats: Ein Balletensemble, das nach der Musik, die die Wirtschaft macht, tanzt.
Das Buch Daniel – und dazu gehören die drei Jünglinge im Feuerofen und Daniel in der Löwengrube -: das Paradigma der Theologie in der Metropole?
Das Wasser sammle sich an einem Ort. In der mystischen Tradition des Judentums wurde dieser Satz anders verstanden und übersetzt: Das Wasser sammle sich an dem Ort des Einen (der Einheit). Paßt diese Version nicht zur Ursprungsgeschichte der Philsophie (erster Satz des Philosophie: Alles ist Wasser) und des Begriffs des Universums, der zusammen mit der Organisation des Wissenschaftsbetriebs in den „Universitäten“ sich bildet?
„Im Munde süß, im Magen bitter“: Verum et unum convertuntur? Ursprung und Programm eines historischen Projekts, bei dem am Ende das Gegenteil herauskommt: Unum est contradictio veri. -
4.6.1995
Der Antisemit ist unbelehrbar, weil das Vorurteil das pathologisch gute Gewissen mit einschließt: die Exkulpationsautomatik. Grundlage dieser Exkulpationsautomatik ist das Schuldverschubsystem, dessen logischer Kern die Bekenntnislogik ist.
Die Übernahme der Sünde der Welt sprengt die Bekenntnislogik und schafft der Barmherzigkeit den Grund.
Gibt es im Hebräischen den Indikativ? Die indoeuropäischen Formen der Konjugation unterscheiden sich von den hebräischen dadurch, daß sie das Handeln der Zeit subsumieren. Aber damit (mit der Subsumtion des Handelns unter die Zeit) werden die Dinge dem Raum unterworfen (von ihren Eigenschaften getrennt). Was bedeutet das für die Formen der Deklination („Eine ausgebildete Kasusflexion gibt es im Hebräischen nicht mehr(!)“ – Körner: Hebräische Studiengrammatik, S. 90: So können Zeitfolgen verwechselt werden)?
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Was dem Indikativ zu entsprechen scheint, der Narrativ (wie umgekehrt dem Konjunktiv der Finalis), unterscheidet sich durch eine charakteristische Differenz: Während der Narrativ den alles Erzählen beherrschenden Grundton der Trauer (das Bewußtsein der Vergangenheit dessen, wovon erzählt wird) in sich enthält, hat der Indikativ diese Trauer verdrängt, die die Vergangenheit begründende Kraft sich zueigen gemacht: als objektivierende, determinierende und bestimmende Gewalt des Begriffs (der Indikativ instrumentalisiert die Vergangenheit: er setzt sprachlogisch das die Vergangenheit abschließende indoeuropäische Perfekt voraus). Ohne Indikativ gäbe es keine Ontologie und kein Wissen. Die Differenz, die den Konjunktiv vom Finalis unterscheidet, hängt damit zusammen: Beide beziehen sich auf Ziele, aber während der Finalis von der Objektivität der Ziele (von ihrer objektiv begründenden Kraft) ausgeht, gründet der Konjunktiv in der Subjektivierung alles Zwecke, in der die Kategorie des Möglichen begründet ist (hier wurde der Grund für den Nominalismus, für die Zerstörung zunächst der benennenden, dann der argumentativen Kraft der Sprache gelegt). Es rührt an tiefe sprachlogische und sprachgeschichtliche Zusammenhänge, wenn das Hilfsverb „Sein“ (die Grundkategorie des Indikativs) zugleich als Possessivpronomen der dritten Person singular maskulinum Verwendung findet, und das Hilfsverb „Würde“ (die Grundkategorie des Konjunktiv), in der Lage ist, – bezeichnenderweise nach einem Genus-Wechsel, nach Transformation ins Feminine – so etwas wie die „Würde des Menschen“ (seine Fähigkeit und sein Recht, sich selbst Ziele zu setzen: Grund des Naturrechts, des Begriffs wie auch der Sache, die mit dem Begriff der Würde überhaupt erst entspringt) zu bezeichnen. Waren nicht die Namen der „Wilden“ und der „Barbaren“ herrschaftsgeschichtlich und zugleich sprachlogisch begründet: als Bezeichnungen für Völker, die
– wie die Wilden außerhalb jeden staatlichen Zusammenhangs (in dem der Begriff der Würde und des Naturrechts allein sich definieren und begründen läßt) oder
– wie die Barbaren außerhalb des eigenen Staates (außerhalb der durch den Staat definierten und nur für die Bürger des Staats geltenden Seins- und d.h. Eigentumsordnung) lebten?
Die Tatsache, daß die kantische Vernunftkritik nur als Gesellschaftskritik, nicht aber als Wissenschaftskritik überlebt hat und historisch wirksam geworden ist, daß der wissenschaftskritische Grund der kantischen Philosophie aus ideologischen Gründen verdrängt worden ist, scheint damit zusammenzuhängen, daß eine von ihrem wissenschaftskritischen Grund abgelöste Gesellschaftskritik noch als Entlastungswissenschaft sich mißbrauchen läßt. Nur so war es möglich, den Habitus des in die Sache nicht verstrickten neutralen Zuschauers, dem die Antinomien der reinen Vernunft den Boden entzogen hatten, zu rekonstituieren. Hat nicht Hegel dem vorgearbeitet, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus ihrer Beziehung zur transzentendentalen Ästhetik löste und der Logik zuordnete, sie gleichsam als Motor in den dialektischen Prozeß mit einbaute? Ähnlich scheint das Bemühen der Habermas-Schüler motiviert zu sein, das Aufstörende an der Dialektik der Aufklärung (und das ist wiederum ihr wissenschaftskritisches Element) endlich zu neutralisieren.
Der Weltbegriff ist eine Funktion der Herrschaftsgeschichte: Ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft.
Gegen Habermas: Ein herrschaftsfreier Diskurs ist erst dann möglich, wenn es gelingt, Herrschaft bis in ihre Wurzeln (die in den Abgrund hineinreichen) zu reflektieren, ans Licht zu holen. Aber das geht nicht ein für allemal (durch eine dem Wissenschaftsbegriff genügende Theorie). Diese Reflexion mißlingt, wenn sie nicht auf ihren Zeitkern rekurriert. Habermas hat diese Reflexion prinzipiell verfehlt, als er die Natur ausschloß.
Für mich ist die Nazizeit nicht vergangen, sondern gegenwärtig: Ich habe in den Abgrund geschaut.
Hat Jesus nicht den eigenen Vater verdrängt, und den Bann genau dadurch aufgerichtet, daß er ihn vergöttlichte? In den Evangelien tritt sein leiblicher Vater zum letzten Mal auf, als Jesus zum erstenmal seinen himmlischen Vater zitiert. Danach ist er aus dem Leben Jesu (und aus der Geschichte des Christentums) ausgeschieden, verschwunden. Ist nicht die Geburtsgeschichte (mit den Engeln, die Maria real und dem Josef im Traum erscheinen, und mit der Zeugung durch den Heiligen Geist) die Konsequenz daraus? Aber liefert hierzu nicht Freud den Schlüssel in „Totem und Tabu“, in seinem psychoanalytischen Mythos von der Tötung des Urvaters, dem sakramentalen Urkannibalismus und der Entstehung der Brüderhorde? Trägt nicht das Christentum Züge dieser Brüderhorde (mit dem späten Echo in der Ode an die Freude: Alle Menschen werden Brüder – nicht nur ein anatomisch unmöglicher Wunsch, sondern einer, der erst wahr wird, wenn man ihn umkehrt, wenn endlich alle Brüder Menschen werden).
Der Marxsche Satz „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ war eine Kampfparole gegen den Idealismus. Und nur in dieser Funktion ist er wahr. Er hat Recht gegen einen Idealismus, der davon ausgeht, das das Bewußtsein jetzt schon das Sein bestimmt. Aber entscheidend ist nicht die gleichsam ontologische Differenz von Materialismus und Idealismus, sondern die zeitliche: Daß das Sein immer noch das Bewußtsein bestimmt, das ist die Katastrophe; und ist der Wunsch, daß endlich das Bewußtsein das Sein bestimmen möge, daß der Bann des Schicksals durchbrochen wird und der „entsetzliche Fatalismus der Geschichte“ ein Ende hat, nicht der Kern der Utopie?
Ist nicht mein Faschismus-Trauma eine Anwendung des Satzes „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“? Bei mir war’s das faschistische Sein, das mein Bewußtsein bestimmt hat, auch wenn ich selbst einmal geglaubt hatte, ich sei immun dagegen gewesen. Und ist nicht dieser Satz in der Geschichte des Marxismus die Basis des ontologischen Vorurteils, des fundamentalistischen Mißverständnisses der Marxschen Theorie, seines Mißbrauchs als Herrschaftsmittel, als Ideologie, gewesen?
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