Marx

  • 07.03.94

    Hegels Logik ist eine Dinglogik, zu deren Konstituentien das Trägheitsgesetz, das Tauschprinzip und die Bekenntnislogik gehören. Die Bekenntnislogik ist die Feigenblattlogik: die Reaktion auf die Erfahrung von Nacktheit und Scham (die Sünde der Welt). Bezieht sich hierauf nicht das „leer, gereinigt und geschmückt“ in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern?
    Der Dingbegriff ist der Repräsentant der dritten Leugnung (des sich auf sich selbst beziehenden Andersseins) in der Logik.
    Es gibt keine Welt ohne Staat und keinen Staat ohne Welt. Der Staat entspricht der Gattung bei den Tieren (dem Behemoth: daher die Affinität des totalitären Staats zum Rassismus und zum Antisemitismus). Oder anders: Wie die Gattung konstituiert sich der Staat an der Todesgrenze (hier gründet die genetische Beziehung des Staates und des Weltbegriffs zur Astronomie, zum Sternenhimmel) und stabilisiert sie. Das Wort „Stark wie der Tod ist die Liebe“ ist auch auf den Staat zu beziehen: Liebe ist nur möglich, solange man sich vom Staat nicht dumm machen läßt (die Beziehung zur Sensibilität ist erkennbar am sprachlichen Unterschied von Gesinnung und gesonnen).
    Wird in dem Satz „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“ nicht das Täuferwort aus Joh 129 zitiert, und zwar als Teil des Nachfolgegebots?
    Ist die Hegelsche Logik ein pornographisches Buch, und das Ende der Logik, an dem die Idee „die Natur frei aus sich entläßt“, ein öffentlicher Orgasmus?
    Gewinnt die Marxsche Kategorie des Klassenkampfes ihre wirkliche Bedeutung nicht erst dann, wenn sie realsymbolisch – und nicht, wie im real existierenden Sozialismus, fundamentalistisch verdinglicht – verstanden wird?

  • 19.01.94

    Gilt der Name Israel nur im internen Gebrauch, oder gibt es einen Fall, in dem es von außen so genannt wird (Ex 19)? Wie verhalten sich die Hebräer zu Kanaan: sind nicht beides soziologische Bezeichnungen (ähnlich der Name Ägyptens, Mizrajim, und der des Pharao)? Wie steht es überhaupt mit dem biblischen Gebrauch des Namens Kanaan (mit der Sprache Kanaans und dem Land Kanaan): Hieß das Land und hießen die Völker so nur im Munde der Israeliten? War die Sprache Kanaans nicht die hebräische? Und ist es nicht ein Stück besonderer Infamie, wenn die Juden im christlichen Exil in die Rolle der Kanaanäer (der Händler) hineingepreßt und dann Hebräer genannt worden sind?
    Das Objekt ist das der Sprache entfremdete, zur Sprache äußerliche Ding: logisches Zentrum des Nominalismus, dessen historische Anwendung unvermeidbar rassistisch ist. Dabei ist selbst der Name der Deutschen ein sprechender Name (nur daß die Deutschen selber ihn nicht mehr verstehen: wie würden sie es sonst mit sich selbst und mit diesem Namen aushalten?).
    Hat der real existierende Sozialismus nicht genau das blockiert, was notwendig gewesen wäre: die Nutzung der Marxschen Theorie zur theoretischen Durchdringung der Gegenwart? Das Problem ist paradigmatisch bezeichnet in dem Streit zwischen Lukacs und Adorno, dem gegenseitigen Vorwurf: „Hotel Abgrund“ und „erpreßte Versöhnung“.
    Zur Realsymbolik des Falles Galilei: Ist nicht die Bibel das Fernrohr, durch das man den Mond am besten sieht, nur daß wir die Handhabung dieses Erkenntnisinstruments verlernt haben?
    (Ist die Bibel der Bogen in den Wolken, das Zeichen, daß es eine Sintflut nicht noch einmal geben wird? Ist der Staat der säkularisierte Himmel: die Feste zwischen den Wassern?)
    Die Ontologie und die Anbetung der Mathematik (die zivilisatorische Selbstanbetung des Subjekts). Liegt der Grundfehler (bei Thales und bei Einstein) in der Orthogonalität (der automatischen Beziehung der intentio recta auf die zu ihr orthogonalen Richtungen: Grund der Reflexion)?

  • 18.01.94

    Zu Orion und den Plejaden, „deren Verschwinden die Trockenheit anzeigt“, sh. Loretz, Ugarit, S. 164 (Anm. 535). – Kommen Orion und die Plejaden auch in „Saturn und Melancholie“ vor?
    Die Astrologie war eine an den Himmel projizierte Gesellschaftstheorie. Und das Verbot der Astrologie hängt sicherlich auch damit zusammen, daß mit fortschreitender Säkularisation die gesellschaftliche Reflexion mit einem Tabu belegt wurde.
    Der Name des Menschensohns ist antitotemistisch. Freud: „Totem und Tabu“ prüfen: Enthält es den Schlüssel zum Rätsel des apokalyptischen Tieres?
    Erst, wenn das „interesselose Wohlgefallen“, das kantische Prinzip der Kunst, aus der passiven in die aktive Form: in die Liebe übersetzt wird, wird die Grenze zur Theologie überschritten.
    Die Kabbalah unterscheidet sich von der christlichen Mystik dadurch, daß sie keine Vereinigungsmystik ist, daß sie die keusche Distanz zu Gott (die Distanz der Keuschheit) wahrt.
    Im Zuge seiner Hellenisierung hat das Christentum die Sprachwurzeln der Metaphorik durchschnitten; besiegelt wurde dieser Akt durch die Rezeption des Weltbegriffs: Liegt hier der Grund der Vereinigungsmystik, der Unkeuschheit der christlichen Theologie?
    Der Weltbegriff hat die Trunkenheit und die Unzucht im Kern, er ist in sich selber orgiastisch. Der Taumelbecher und die Hurerei bezeichnen eher ein logisches als ein moralisches Problem: einen herrschaftslogischen Sachverhalt (die „Sünde der Welt“).
    Die Probleme der Physik, der Naturwissenschaften, des Inertialsystems, sind allein mit Hilfe der drei evangelischen Räte zu lösen.
    Ist nicht die Josefs-Geschichte eine Erläuterung zu Hegels Satz, wonach die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern? Und gehört nicht die Josefs-Geschichte zur Urgeschichte der Marxschen Kapitalismus-Kritik?
    Nach Walter Benjamin ist die jeweils jüngst vergangene Mode das Veraltetste. Ist das nicht ein Kehrbild des anderen Sachverhalts, daß im historischen Prozeß das Allerälteste, der Anfang, sich nicht immer weiter von uns entfernt, sondern immer näher an die Gegenwart heranrückt?
    In der Konstitution und Begründung der subjektiven Formen der Anschauung steckt nicht nur ein psychologisches, sondern ein kosmologisches und politisches Problem zugleich.
    Hat das Bild von den vier apokalyptischen Reitern etwas mit dem anderen Bild von dem wie eine Buchrolle sich aufrollenden Himmel zu tun?
    Das Hosanna in excelsis im Sanctus ist falsch: Hier wird ein Hilfeschrei als Jubelruf mißverstanden.
    Oswald Loretz (S. 169) sieht in Ps 19A einen Widerspruch darin, daß, nachdem die Himmel und das Firmament laut die Herrlichkeit ihres Schöpfers verkünden, dann in V 4 – so Loretz – „folgende gegenteilige Behauptung aufgestellt“ wird:
    Keine Worte, keine Sprache,
    nicht vernimmt man ihren Laut!
    Er unterschlägt dabei, daß unmittelbar davor der Vers steht:
    Tag dem Tag sprudelt Worte,
    Nacht der Nacht kündet Wissen.
    Könnte es nicht sein, daß die Sprache dem Tag und (ebenso wie das Denken und das Wissen und gemeinsam mit ihnen) die Stummheit, die Lautlosigkeit, der Nacht zuzuordnen sind, daß das Wissen dem Schlaf entspricht, am Traum partizipiert? Ist das Wissen die „Kunde der Nacht“, die die Tage (siebenfach) voneinander scheidet (die Finsternis über dem Abgrund und das Warten auf die Morgenröte und den Hahnenschrei)?

  • 26.11.93

    In der Person ist das Angesicht zur Maske geworden; sie ist sie ein Produkt der Eitelkeit.
    Der Begriff der Eitelkeit bezeichnet präzise das Wesen der Welt (im Ursprung: im Götzendienst, wie in der Folge: der Personalisierung).
    Die Eitelkeit kann Rechts und Links nicht unterscheiden: das Spiegelbild von der Realität.
    Gehören nicht die beiden Sätze:
    – „Niemand kann Gott von Angesicht schauen und Überleben“, und:
    – „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“
    zusammen?
    Das Christentum ist zur Lebensrettungs-Gesellschaft derer geworden, die ihr eigenes Leben retten wollen (und es deshalb verlieren?).
    Der Stern der Erlösung ist eine Entfaltung des Satzes aus dem Kohelet: Alles ist eitel, während Adorno diesen Satz in die Gegenwart übersetzt hat: Das Ganze ist das Unwahre. Die Vorstellung, daß dem Alles in der Realität etwas entspricht (oder daß das Wahre ein Ganzes sei), verdankt sich dem Identitätsbedürfnis des Subjekts. In die traditionelle Metaphysik, wie sie dann von der Theologie rezipiert worden ist, ist diese Eitelkeit mit der Hypostasierung des Unum (verum et unum convertuntur) hereingekommen.
    Bedeutung des Eigentum-Begriffs für die Logik und das System des Rechts: der Grundsatz, daß Gemeinheit (oder mit Franz von Baader: die Niedertracht) kein strafrechtlicher Tatbestand ist, läßt sich zwanglos daraus ableiten (Zusammenhang von Mechanik, Eigentum und Beweislogik). Liegt hier nicht der Grund für die systematische Bedeutung des Römischen Rechts, das durch seine Eigentums-Systematik sich von jeder vorhergehenden Gestalt des Rechts unterscheidet? Wie verhält sich das Kanonische Recht (das Kirchenrecht) zum Römischen Recht (zum Recht des Staates), welcher Begriff, welche Formbestimmung entspricht hier dem Eigentumsbegriff (Organisationsprinzip und Selbstverständnis der Kirche)?
    Bemerkenswerte physiognomische Ähnlichkeit von Kinkel, Rexrodt und Schwätzer: Alle drei halten sich raus.
    Steckt die raf nicht jetzt in der Gefahr, daß Gewissenserforschung nur als Fremd-Gewissenserforschung läuft (die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit als Auseinandersetzung mit Abweichlern und Verrätern betrieben wird, als verspätete Entsolidarisierung)? Hätte nicht das, was jetzt gegen die Illegalen gesagt wird, gesagt werden müssen, als die Aktionen (gegen von Braunmühl, Herrhausen u.a.) stattfanden?
    Die Beziehung von Naturwissenschaft und Ökonomie gründet darin, daß der Blick, den die Naturwissenschaft auf die Natur wirft, identisch ist mit dem Blick der in der Ökonomie Herrschenden auf die Ökonomie. An der Engelsschen Identifizierung der Marxschen Kapitalismus-Kritik mit der (Natur-)Wissenschaft (Sozialismus als Wissenschaft) ist der real existierende Sozialismus zugrunde gegangen.

  • 15.11.93

    Wie stellen sich die Naturwissenschaftler das eigentlich vor, daß irgendwann in der Welt irgendwelche Dinge angefangen sind zu sehen und zu hören?
    Unterscheiden sich die beiden Schöpfungsberichte nicht dadurch, daß
    – der erste mit dem Licht beginnt (auf das Sehen, das Angesicht sich bezieht), während
    – der andere den Menschen durch den Atem Gottes zum Leben erweckt (d.h.: auf die Sprache sich bezieht und mit der Geschichte vom Sündenfall endet)?
    Wer den Wahrheitsbegriff auf die Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand gründet, versperrt sich selbst den Weg zu der Wahrheit, die lebendig und frei macht. Dieser Weg führt durch die Schuldreflexion hindurch.
    Ist der Rechtsradikalismus (und die gegenwärtige Form der Gewalt) nicht der Naturaspekt des heutigen Weltzustandes (die Welt ist blind, die Natur taub)?
    Der Zuschauer konstituiert den Schuldzusammenhang, indem er sich davon distanziert. Er spaltet die Schöpfung in Natur und Welt (Gegenstand und Begriff).
    Philosophie und Caesarismus haben der Theologie und der Kirche den Trägheitsschutz eingeimpft, der sie vor der Gotteserkenntnis schützt.
    Das Buch Jona ist prä- und postapokalyptisch zugleich. Es bezeichnet den Angelpunkt zwischen Prophetie und Apokalyptik. Die Buße in Ninive geht vom Volke aus, ergreift dann auch den König, der die Tiere (die Welt) mit einbezieht. Nicht zuletzt wegen des Viehs wird Ninive verschont.
    Innerweltlich gibt es trotz aller Probleme keine Alternative zur Deszendenztheorie; sie verändert sich vollständig, wenn man die Kritik des Weltbegriffs mit hereinnimmt.
    Zum Weltbegriff gehören viele (Tier- und Herrschafts-)Götter; er ist an sich polytheistisch. Ist nicht die Welt ein plurale tantum, wobei die Frage nach der besten aller Welten gegenstandslos ist (die Religion, der man angehört, ist ohnehin die falsche)?
    Ist nicht auch der Vater ein plurale tantum (Ursprung des plural majestatis) und seine Unterwerfung unters Identitätsprinzip Grund der Vermischung von Gewalt und Autorität?
    Im Namen des Hundes begreife ich sowohl die Gattung Hund als auch die Welt des Hundes: alle drei sind ineinander verschränkt (und die Namen der Tiere sind in die Bestimmungsmacht der Menschen gegeben).
    Zu Marx, Freud und Einstein: Haben nicht alle drei ihre Kopenhagener Schule, mit wachsender Zuspitzung des Problems, von Marx zu Engels, von Freud zu Jung und von Einstein zu den Promotoren der Atomphysik?
    Die Selbstverfluchung Petri bei der dritten Leugnung entspricht dem Danielschen Greuel am heiligen Ort.
    Ist der Objektbegriff die Grundlage der Seelenvorstellung?
    Cohen, S. 522: Der Hass ist subjektlos, ein Weltaffekt, Produkt der Identifikation mit dem „Haß der Welt“.
    S. 523: Ist nicht die Idee des „Naturfriedens“ wie auch die des Naturschönen, und damit die Idee des Friedens insgesamt, begründet im Wunder sinnlichen Naturerfahrung?
    S. 524: Der Haß ist Rückfall in Biologie; und das gilt nicht nur für den Rassismus.
    S. 527: Die Freude über eine gute Handlung bezeugt die Lebenskraft des Friedens. (Der Rechtsradikalismus ist ein Indikator für den Naturaspekt des Weltzustandes, der die Menschen zwingt, dem Verlangen, gut zu sein, zu entsagen und …)
    Dem Glück sind die Tränen der Freude näher als das Lachen.

  • 06.11.93

    Ist nicht die Marxsche Kapitalismus-Kritik auf das kopernikanische „Weltbild“ als sein Modell bezogen: die Selbst- und Welterfahrung im kapitalistischen System ist ebenso vermittelt und exzentrisch wie die unmittelbare Natur- und Welterfahrung im kopernikanischen System?
    Das Aufspannen und das Gründen: beschreiben sie nicht aufs genaueste das Labyrinth, das die Metaphorik zu durchdringen versucht? Beschreiben sie nicht auch das Verhältnis von Weisheit und Einsicht? Weisheit ist das Ideal der Regierenden, Einsicht die Grundlage der Prophetie. Erst wenn beide sich vereinigen, wenn Gerechtigkeit und Friede sich küssen, wird alles gut sein. – Gehört die Gerechtigkeit zur Weisheit und der Friede zur Einsicht? Entspringt nicht die Gemeinheit, wenn der Friede von der Gerechtigkeit getrennt wird?
    Verweist der Regenbogen (als Zeichen der Verheißung, daß es eine zweite Sintflut nicht geben wird) auf das Medium der Metaphorik: die Struktur des Raumes?
    Hegels Philosophie hat sich in den Verstrickungen der Reflexion verfangen.
    proton pseudos: Der Reichtum ist nicht der Thron seiner Herrlichkeit, und die Armut ist nicht der Schemel seiner Füße.
    Die logische Beziehung von Reichtum und Armut entfaltet sich in der Geschichte der Banken läßt sich an ihr demonstrieren.

  • 15.09.93

    Hängt nicht der Plural medicinalis, das joviale „Na, wie geht es uns denn heute morgen?“, mit der Logik des Falles zusammen, in der er das kollektive Moment im Begriff des Allgemeinen präzise bezeichnet (Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist)? Im medizinischen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff des Falles die Enteignung der erkrankten Teile des Körpers, ihre Überführung in die Verfügungsgewalt des Arztes (im Bereich des Strafrechts entspricht der Krankheit das Verbrechen, der Medizin das Recht, dem Krankenhaus die Gefängnisse, und dem Arzt entsprechen die Organe der Rechtspflege; die Anwendung auf die Naturwissenschaften dürfte nicht schwer sein). Hieran läßt sich die Logik des Schuldbegriffs studieren, die auch die grammatischen Formen der Deklination (die casus) beherrschen. Der Schuldbegriff bezeichnet einen Sachverhalt im Geltungsbereich des Eigentumsbegriffs, der Begriff der Sünde hingegen eine Verletzung des göttlichen Worts: das Urteil.
    Macht, die selber im Gewaltmonopol des Staates gründet, ist gesetzlich geregelte Gewalt. Dieser Widerspruch im Begriff der Macht spiegelt sich im Widerspruch des Begriffs des Rechts, daß nämlich das Recht die Gewalt, in der es gründet, nicht mehr selbst zu regeln vermag; er bezeichnet aufs genaueste die Grenze des Rechts, die u.a. mit dem in der Logik des Rechts, nicht in der Unfähigkeit des Gesetzgebers begründeten Satz sich bestimmen läßt, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Gewalt, Recht und Eigentum: Das Recht, das das Eigentum begründet, gründet selber im Gewaltmonopol des Staates. Auch der liberale Eigentumsbegriff hat seine Wurzeln im Feudalismus: Unter den Bedingungen des Rechts ist jedes Eigentum ein Lehen des Staates; auch das Privateigentum ist ein staatlich (nicht gesellschaftlich: hier irrt Rousseau) vermitteltes Eigentum (nichts Vergangenes ist nur vergangen).
    Opfer des Scheins: Ist die Marxsche resurrectio naturae nicht das Gegenstück zum Hegelschen Weltgericht, und kranken nicht beide an einem gemeinsamen Fehler? Die Welt ist nicht Subjekt, sondern Objekt des Jüngsten Gerichts, und die Natur ist nicht das Objekt, für das wir die Hoffnung auf Auferstehung hegen, sondern im Objekt der Widerstand gegen diese Hoffnung (Problematik des Adornoschen Programms des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ und des Freudschen Konzepts „Wo Es ist, soll Ich werden“; gehört der parvus error im Übergang von der Speziellen zur Allgemeinen Relativitätstheorie nicht auch hierher?).
    Die resurrectio naturae ist ein Reflexionsbegriff der säkularisierten Christologie Hegels.
    Die Nachkriegszeit ist einmal die Zeit der Stellvertreterkriege genannt worden, vor allem im Hinblick auf Vietnam. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem „Sieg der freien Marktwirtschaft über den Sozialismus“, haben diese Stellvertreterkriege ihre raison d’etre verloren. Aber wird hier nicht ähnlich, wie bei der Armut, die, nachdem die spekulative Verschuldung der Dritten Welt an die Rationalitätsgrenzen des Bankgeschäfts stößt, über die „Revision des Sozialstaats“ in die Erste Welt reimportiert wird, auch das Problem, dessen Ausdruck (nicht Lösung) der Sozialismus war, reimportiert? Ist nicht die Jugoslawienkrise ein reimportierter Stellvertreterkrieg (dessen Fronten genau zu studieren sind: Weltanschauungskriege sind faschistische Kriege und – seit 1941 – Vernichtungskriege)?
    Zur Geschichte der Dogmenentwicklung: Der Weltbegriff war die offene Grenze, durch die die Philosophie in die Theologie eingedrungen ist, um sogleich alle strategisch wichtigen Punkte zu besetzen (Frage: Wer ist die Magd des Hohepriesters, und wer sind die Umstehenden?).
    Ist nicht das Jonas-Problem in diesem Punkt doch ernster, als es bei Jürgen Ebach erscheint: Gehört die Reaktion des Jonas nach der Verschonung Ninives durch Gott nicht zur Logik des Auftrags an ihn: Hätte er die Verschonung als Folge seines Spruchs vorausgesehen, so wäre er kein Prophet geworden, sondern Philosoph, und hätte den Spruch nicht getan: „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“. Prophetie ist nicht instrumentalisierbar, als instrumentalisierte (als Mittel zum Zweck, als Höllenpredigt: mit der Absicht, dem Hörer einen gehörigen Schrecken einzujagen, vielleicht merkt er’s) würde sie sich selbst (und „ihre Wirkung“) zerstören. Die „Wirkung“ der Prophetie ist kein Gegenstand der Intention („Überzeugen ist unfruchtbar“).
    Die Buße Ninives schließt mit ein, daß auch der König von seinem Thron steigt und Tiere (die Rinder und Schafe: die Opfertiere Israels?) an der Buße teilnehmen.
    Wird das Gleichnis von den Talenten nicht doch zu früh beendet; kann es nicht sein, daß das im Acker vergrabene Talent Kräfte aus dem Acker zieht, die die der Geschäfte der anderen übertreffen?
    Zur Geschichte des Verräters (Judas Iskariot): Kann es nicht sein, daß am Ende auch das Blutackers zum Himmel schreit?
    Wo liegt der Unterschied zwischen ha’adama und ha’arez? Die Erde wurde im Anfang erschaffen und bringt die Pflanzen und (nach der Bildung von Sonne, Mond und Sternen) die Tiere hervor; der Acker ist es, aus dem Adam erschaffen und nach dem er (wie die die Wasser trennende Feste nach dem im Anfang erschaffenen Himmel) benannt wurde: Ist er nicht auch die dem Menschen zur Bearbeitung und Bewahrung übergebene Erde?
    Hat der Unterschied zwischen arez und erez (Erde und Land) etwas mit dem zwischen „Himmel und Erde“ und „Welt“ zu tun: Ist das Land (erez) nicht die auf den Staat bezogen, durch ihn vermittelte Erde (arez): die Erde als Eigentum?
    Die griechische Philosophie hat sich in ihrer lateinischen Rezeption vollständig verändert: Gibt es nicht erst im Lateinischen das Futur II, den Gebrauch der Hilfsverben bei den Perfektbildungen, und liegt hier nicht der Grund der Differenz zwischen der griechischen und der lateinischen Sprachlogik (vgl. auch die Übersetzungen kosmos/mundus, physis/natura)? Sind diese Veränderungen nicht beim Tertullian ablesbar (vor allem am Personbegriff)?
    Wieso gibt es in dieser gottverlassenen Welt keinen von Verlassenheitsängsten geplagten Theologen (statt dessen eher eine Erleichterung darüber, daß es zur Gottesfurcht keinen Anlaß mehr zu geben scheint)? Es gibt zu viele theologische Texte, aus denen man zwar die Angst vor den Kollegen (die heute die vorm kirchlichen Lehramt endgültig abzulösen scheint) heraushört, nicht aber mehr die Gottesfurcht.

  • 08.09.93

    Dialektik der Aufklärung: Die Aufklärung (die die Dinge in den blendenden Schein des Lichts der Subjektivität gerückt, nicht die Welt hell gemacht hat) hat unterm Zwang der subjektiven Formen der Anschauung in der Tat einen neuen Mythos produziert.
    Kritik des Schuldverschubsystems (oder Erinnerung an die Idee der Gottesfurcht): Die Unerträglichkeit von Schuldgefühlen kann nicht das Maß für den Gebrauch und die Anwendung des Schuldbegriffs sein.
    Dämonenaustreibung und Sündenvergebung gehören zusammen (Sün-denvergebung ohne Austreibung der Dämonen ist selber dämonisch).
    Physik, Reklame, die Banken und der Tod:
    – Die Reklame verschweigt den Tod. (Adorno/Sonnemann?)
    – Die tote Materie der Physik ist kein empirischer, sondern ein apriorischer Tatbestand.
    – Die Banken reduzieren das Leben auf das des Kapitals (und seine Zeugungskraft). Wer daran nicht teil hat, fällt aus der Welt heraus.
    War der babylonische Turm nicht eine Tempelbank (und sind die Bankentürme heute nicht babylonische Tempel)?
    Hat der moderne Begriff des Lebens (im Leben des Kapitals, seiner organischen Zusammensetzung) etwas mit dem apokalyptischen Tier zu tun? Und ist das nicht aufs genaueste beschrieben in der Staub-Metapher nach dem Sündenfall (wo die Schlange von dem Staub sich nährt, den Adam produziert)?
    Ist nicht der Lebensprozeß der Gesellschaft, dessen Blut durch die Adern der Banken fließt (und der durch die Geld-Souveränität des Staates apriori nationalistisch sich definiert), das Substrat des Marxschen Naturbegriffs, der „Naturgeschichte“ im Gegensatz zur Hegelschen „Weltgeschichte“ (und das Geld das Blut-Korrelat des Hegelschen Weltgeistes)? Der Marxsche Versuch, die Hegelsche Philosophie vom Kopf auf die Füße zu stellen, mußte mißlingen, nachdem Oben und Unten (wie Rechts und Links) sich nicht mehr unterscheiden ließen. War die Marxsche Theorie nicht ebenso, wie sie als Kapitalismus-Kritik sich verstand, objektiv ein Moment im Modernisierungsprozeß (Instrumentalisierung der Umkehr)?
    Analyse der drei Schuldverschubsysteme: der Theologie, der Physik und der Ökonomie.
    Niemand kann über seinen eigenen Schatten springen (die Wahrheit der speziellen Relativitätstheorie): Aber der Schatten kann begriffen werden.

  • 20.08.93

    Der Himmel ist die Einheit der Extreme, hat er etwas mit dem Blutsymbol zu tun, und mit der (prophetischen) Erfüllung des Wortes: dem Namen? Ist der Himmel nicht das in den oberen Wassern gebundene Feuer, der darin verschlossene Name? Und ist der gesellschaftliche und erkenntnistheoretische Begründungszusammenhang des Nominalismus nicht das Wasser (die Sintflut), in dem der Name erloschen ist? Ist der Nominalismus das Wasser, das den Meeresboden bedeckt, auf das die Gotteserkenntnis die Antwort ist?
    Steckt nicht im Kern des Naturbegriffs der Tod, drückt darin nicht seine konstitutive Beziehung zur Herrschaft sich aus? Und wurde nicht die Todesstrafe abgeschafft, nachdem im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft die Todesfurcht als Grund der Herrenfurcht in anderen („existentiellen“) Tatbeständen begründet werden konnte? Ist nicht seit Getsemane der Schweiß des Angesichts, der seit dem Sündenfall zur Arbeit gehört, mit Blut vermischt? Und ist nicht der im Sündenfall gründende Tod der Herr der Welt; aber ist dieser Herr nicht einer, der seine Macht aus unsern Händen empfängt, und ist nicht das die Sünde der Welt? Gründet nicht jede Herrschaft in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: in der Todesinfektion?
    Stark wie der Tod ist die Liebe. (Hl 86) Aber nur stark wie, nicht stärker als der Tod.
    Ist die kantische Erkenntnis, wonach die Vernunftideen nur regulative, nicht konstitutive Bedeutung haben, nicht ein anderer Ausdruck für das, was Levinas die Asymmetrie in der Ich-Du-Beziehung genannt hat, oder für das Benjamin-Wort „Überzeugen ist unfruchtbar“? Ist sie nicht zugleich eine Begründung der Notwendigkeit von Erinnerungsarbeit, und enthält sie nicht den genauesten Einspruch gegen die Instrumentalisierung der Marxschen Theorie aus Herrschaftsgründen? Widerlegt sie nicht die Wertphilosophie? Die kantischen Vernunftideen respektieren die Grenze zwischen mir und dem anderen, sie verhindern die Xenophobie schon dem Grunde nach.
    Die Unterscheidung zwischen der (erlaubten) regulativen und der (verbotenen) konstitutiven Bedeutung der Ideen ist eine Anwendung und Präzisierung des jesuanischen Satzes „Richtet nicht …“.
    Ist die Xenophobie nicht ein Ausfluß der inneren Logik des Herrendenkens? Gründet sie nicht in dem vom Objektivierungsprozeß unablösbaren projektiven Element?
    Sind nicht die Empfindungen, die mit der Trennung der primären und sekundären Sinnesqualitäten erst sich konstituieren und entspringen, Produkte der Selbstobjektivierung; verweist darauf nicht der Regenbogen in der Sintflut-Geschichte?
    Gibt das johanneische Komma nicht auch mit seiner trinitarischen Ergänzung Sinn?
    Gegen die Kollektivscham: Hängen Scham, Blut und Feuer zusammen? Ist die Scham die Pforte der Hölle?
    Wie verhalten sich die Scham und der Zorn: Beide treiben die Röte ins Gesicht, aber während die Scham sich nach innen richtet, geht der Zorn nach Außen? Wie verhalten sich Scham und Wut (ist nicht die Wut ein Zorn, der in Scham verstrickt bleibt)?
    Rühe, Seiters, Bohl und Schäuble: die Metastasen des Aussitzens. Aber ist Kohl dem Kanther gewachsen?
    Sind nicht die Beziehungen von Engels zu Marx, von C.G. Jung zu Freud und die der Kopenhagener Schule zu Einstein vergleichbar? Aber sind dann nicht doch auch die Differenzen zu beachten:
    – das Verhältnis von Engels zu Marx war von großer menschlicher und theoretischer Solidarität geprägt,
    – das C.G. Jungs zu Freud hingegen war bestimmt durch das intri-gantische Renegatentum die Ranküne Jungs und
    – das der Kopenhagener Schule zu Einstein durch einen von der Verachtung des „Spinners“ durchsetzten Respekt vor der moralischen und theoretischen Integrität Einsteins.
    Der Hilfloseste von allen war offensichtlich Einstein.

  • 07.08.93

    Im Selbstmitleid ergreift die Sintflut ihren Verursacher. Sind nicht die fremdenfeindlichen Überflutungsängste projektive Abarbeitungen des Selbstmitleids?
    Heute wäre ein Gottesbeweis nur noch über die Logik des Namens zu führen.
    Wir exportieren die Armut in die „Dritte Welt“ und brauchen die Rüstung, um unsere Beute zu sichern. Ein projektiv verarbeitetes Christentum hilft hier, schon die Wahrnehmung der Tatsachen auszublenden (was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß). Das Problem liegt nicht mehr in der Frage nach der richtigen Gesinnung, oder ob man auf der richtigen Seite steht, sondern in der Frage nach dem Zustand der Welt.
    Ich weiß nicht, welche Wirkungen eine Theologie hinter dem Rücken Gottes auf Gott hat, aber ich weiß, was sie bei denen anrichtet, die sie betreiben.
    Was drückt sich eigentlich in der Konsonanten-Kombination -pfl-aus: Pflicht, Pflanze, pflücken, Pflaume, Pflaster, Pflock?
    Die erkenntniskritische Reflexion der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung hat mit der Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten begonnen. Aber die Einschränkung der primären Sinnesqualitäten auf „Empfindungen“ hat das Problem verkürzt, indem sie es subjektivierte. Mit getroffen wurde der gesamte sprachliche Bereich des Namens, zuletzt erkennbar an der „vorwissenschaftlichen“ Elementenlehre. Wasser, Feuer, Luft und Erde, auch Licht und Finsternis (aus deren benennender Kraft die „Aufklärung“ ihren Namen herleitet), und die mit diesen Namen verbundenen sinnlich-sprachlichen Konnotationen sind seitdem gegenstandslos geworden. Gründete nicht die Entsinnlichung der Welt in dem theologischen Konzept der Entsühnung der Welt und der damit verknüpften Sexualmoral? Stand nicht diese Aufklärung insgesamt in der christlichen Tradition der Desensibilisierung?
    Ist nicht Sinnlichkeit, soweit sie als Sensibilität sich begreift, eine sprachliche Bestimmung (das Medium des verlorenen Namens)? Theologie im Angesicht Gottes ist eine sensibilierte Theologie (die Rekonstruktion des Bekenntnisses des Namens), Theologie hinter seinem Rücken hingegen ein Instrument der Desensibilierung und der Zerstörung des Namens.
    Müßten nicht in einer Theologie, die dann sich selbst durchsichtig wird, Marx, Freud und Einstein, sowie Hermann Cohen, Franz Rosenzweig, Georg Lukacs, Ernst Bloch, Walter Benjamin, Max Horkheimer und Theopdor W. Adorno ihre Stelle finden?
    Findet nicht die mittelalterliche Eucharistie-Frömmigkeit ihre projektive Entsprechung in den antijüdischen Hostienfrevel- und Ritualmord-Legenden?
    Kirche, Heiden und Ketzer: Überzeugen ist unfruchtbar (Walter Benjamin), die Widerlegung stabilisiert und verinnerlicht das Widerlegte. Was bedeutet es und welche Folgen ergeben sich aus der These, wonach die Kirche mit der Reformation ihre häresienbildende Kraft verloren hat und es seitdem nur noch Sekten gibt?
    Steckt nicht in der Vorstellung, daß Basisgemeinden in der Metropole eigentlich Penner-, Knast- und Hurengemeinden sein müßten, ein trinitarisches Moment?
    – Wer heute aus einem Ur in Chaldäa emigriert, hat keine Chance mehr, ein gelobtes Land zu finden;
    – wer heute in die Fänge des Rechtsstaats gerät, hat keine Chance, vergöttlicht zu werden;
    – und wer der lebenslänglichen Unterwerfung der Ehe unters Tauschprinzip sich entzieht, verfällt ihm als Hure.
    Zusammenhang von Urschisma und Gnosis: Ist nicht das NT das erste Dokument der nach dem Urschisma (und in Reaktion darauf) sich herausbildenden Orthodoxie; aber ist es nicht zugleich auch ein Dokument, das in sich, und zwar in seinem Kernbestand, selbst die Warnungen gegen die Orthodoxisierung des Christentum enthält:
    – Joh 129 und die Abschiedsreden („wenn die Welt euch haßt …“),
    – „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“,
    – die Feindesliebe,
    – „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“,
    – Maria von Magdala und die sieben unreinen Geister,
    – die drei Leugnungen Petri,
    – das Wort vom Binden und Lösen,
    – die Auferstehungs- und Auferweckungsgeschichten,
    – die Sündenvergebung und die Austreibung der Dämonen,
    – das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden,
    – Getsemane und der Kelch,
    – die drei evangelischen Räte (Marx, Freud und Einstein),
    – die Apokalypse, die Lösung der sieben Siegel (und die Reihe von Cohen bis Adorno) und die Offenbarung des Namens (der „Weltuntergang“).
    (Wäre eine Zuordnung der 10 Namen von Marx bis Einstein und Cohen bis Adorno zu den 10 Sefirot denkbar?)
    Hat nicht die Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Psalmen als privates Gebetbuch zu lesen (und mißzuverstehen)? Und hat nicht durch die Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft (und den Ursprung und die Geschichte des Weltbegriffs hindurch) die Offenbarungsgeschichte insgesamt sich so verändert, daß die Beziehung des Alten und Neuen Testamentes nur vor diesem Hintergrund durchsichtig wird (im Kontext des Symbols der „Dornen und Disteln“, vom Sündenfall, über die die Jotamfabel und die Institution des Königtums, über David und die messianische Geschichte: die Geschichte der Verinnerlichung der Dornen und Disteln).
    Der Rechtsstaat ist nicht nur kein Mittel gegen den Faschismus, er ist eine Verkörperung des unreinen Geistes, der ihn erzeugt.
    Alles ist Wasser (Thales): Der Mythos in all seinen Gestalten war das Medium der Reflexion des Ursprungs des Staates vor seiner Konsolidierung. Der Weltbegriff, der die Konsolidierung des Staates besiegelte, hat den Mythos überflüssig gemacht, seine Quellen trockengelegt. Aber ist nicht die Sintflut ein Realsymbol für den Untergang der mythischen Welt, für seine Überflutung mit den Wassern des Begriffs (und die Arche ein Symbol der Erinnerung)? Und gehört zu dieser Geschichte nicht auch die vom Weinanbau, von der Trunkenheit und der aufgedeckten Blöße?

  • 17.07.93

    Ein Beispiel für Gewalt im Fernsehen: Der Erlaß. wonach künftig alle Kommentare vorzensiert werden sollen. Das paßt zur wachsenden Unfähigkeit, zentrale Themen überhaupt noch ernsthaft (und insistent) zu behandeln.
    Das Dogma, die Orthodoxie, ist die Gestalt der Wahrheit in der Welt (unter dem Apriori der Welt). Aber in dem Augenblick, in dem der Weltbegriff selber kollabiert, verliert auch das Dogma seinen Existenzgrund.
    Zu Edna Brocke: Ist es eigentlich richtig, das typologische Schriftverständnis gänzlich zu verwerfen, ist es nicht ein Schlüssel zur Theologie insgesamt; und trifft die Kritik nicht doch nur die kirchliche These, dieses typologische Schriftverständnis sei mit Jesus, mit dem NT, erfüllt (und damit das AT gleichsam abgegolten und erledigt)?
    Ist nicht die Ehe ein Typos der Beziehung zwischen Gott und Israel (und sind nicht „Unzucht“ und „Hurerei“ Begriffe prophetischer Herrschaftskritik und nicht nur der privaten Sexualmoral)?
    Das typologische Schriftverständnis ist ein Sinnesimplikat der Weltkritik; die Vorstellung, die Prophetie sei im NT erfüllt, hat das christologische, opfertheologische Konzept der „Entsühnung der Welt“ zur Grundlage (im Kontext der theologischen Rezeption der Philosophie und ihres projektiven Erkenntnisbegriffs).
    Frage: Ist nicht der Paragraph im StGB, der es der Staatsanwaltschaft in Schwerin heute verwehrt, den Tod von Wolfgang Grams aufzuklären (Nichtfreigabe von Informationen durch GBA und BKA, Verzögerung der Vernehmung der beteiligten Beamten, vollständige Abschottung des V-Mannes) verfassungswidrig: Kann es eigentlich sein, daß Verwaltungsinstanzen, die dann niemand mehr kontrollieren kann, Eingriffsmöglichkeiten in den Prozeß der Strafermittlung haben, indem sie darüber befinden können, welche Informationen (z. B. durch entsprechende Regelung der Aussagegenehmigungen für Beamte) die ermittelnde Behörde überhaupt zugänglich gemacht werden? Ist eigentlich der Verdacht der bewußten und gewollten Strafvereitelung apriori absurd?
    War nicht schon die Kompetenzzuweisung für die Ermittlung im Falle des Todes von Grams (die sachlich von den Ermittlungen des GBA und BKA in der raf-Sache sich nicht trennen lassen) an die Staatsanwaltschaft in Schwerin ein von Anfang an durchsichtiger Verfahrenstrick im Interesse der Strafvereitelung: So konnte man durch Informationsverweigerung die ermittelnde Behörde gleichsam am ausgestreckten Arm verhungern lassen und das Ergebnis vorprogrammieren: dieser Tod wird nicht aufklärbar sein (während die Umstände des Todes des GSG-Beamten schon vor Beginn der Ermittlungen klar waren).
    Der Rücktritt von Seiters: Hat hier nicht der Kapitän nur das sinkende Schiff verlassen; wollte er so nicht doch bloß vermeiden, in den erkennbaren Strudel mit hereingerissen zu werden?
    Ist nicht der Rechtsstaat längst ein willfähriges Instrument in den Händen des Staates, der nie wirklich demokratisiert worden ist?
    Ein schlimmer Verdacht: Lebt der „V-Mann“ überhaupt noch?
    Rührt der Begriff des Klassenkampfes nicht ebenso wie an reale politisch-ökonomische Strukturen auch an einen transzendentallogischen Sachverhalt (Marx hat die Hegelsche Philosophie „vom Kopf auf die Füße gestellt“: die Weltgeschichte als Naturgeschichte enthüllt)? Und liegt hier der Grund, weshalb bis heute die Reflexion der transzendentalen Ästhetik, der Begründung und des Kontextes der kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ und ihrer Bedeutung für den kantischen Erkenntnisbegriff bis heute stagniert, weshalb sie verdrängt und vergessen worden ist? Liegt hier nicht das Problem, dessen Lösung der Philosophie heute aufgegeben ist?
    Der Paraklet ist nicht der Tröster der Einsamen, sondern der Verteidiger der Schwachen, der Unterdrückten und der Verfolgten.
    Rührt die Sündenvergebung nicht an den Grund der Welt (vgl. die „Sünden der Welt“ in Joh 129)? Jede Sündenvergebung, die die Welt läßt wie sie ist, ist blasphemisch.
    Die Logik der Vergöttlichung des Opfers ist ein Teil der Schuld-, Bekenntnis und Herrenlogik. Sie ist heute in den Naturbegriff eingewandert (und hat ihn zum Inbegriff dessen gemacht, was bei den Propheten Unzucht und Hurerei heißt). Bezeichnet nicht der Naturbegriff genau den Knoten, den Alexander bloß durchschlagen hat, und an dessen Lösung nach dem Jesus-Wort die Erfüllung der Verheißungen geknüpft ist?

  • 29.06.93

    Die Trinitätslehre gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs (des Objektivations- und Instrumentaliserungsprozesses).
    Im orthos im Begriff der Orthodoxie steckt der gleiche Abstraktionsmechanismus, dem auch der Begriff der Orthogonalität sich verdankt. Damit hängt es zusammen, wenn die Geschichte der Orthodoxie sich als die Geschichte der drei Leugnungen begreifen läßt.
    Das metaphorische Element, in dem die benennende Kraft der Sprache gründet, ist im griechischen Mythos, und zwar bereits in seinem Ursprung, im Bilde des Labyrinths (mit dem Minothaurus im Zentrum) vorgestellt worden. In der Metaphorik kann man sich wie im Labyrinth verirren. In der Philosophie wurde dieses Labyrinth von seiner metaphorischen Wurzel abgeschnitten und als Logik des Begriffs (der Begründung und der Reflexion) spiritualisiert. Hier gründet die Verführungskraft der (von ihren Wurzeln in der Schrift abgehobenen) Trinitätslehre. Die Welt des Mythos und der logische Zusammenhang der Philosophie sind zwei Seiten ein und derselben Sache.
    Ist nicht die Sintflut und das „Alles ist Wasser“ beim Thales ein Symbol für den Ursprung des Weltbegriffs (mit dem das Ich die Schöpfung überflutet), und die Arche schon ein Prototyp des Turms von Babel?
    Der Weltbegriff bezeichnet die Wände der Monade, der Naturbegriff die Spiegelung des Außen im Innern der fensterlosen Monade.
    In ihren wesentlichen Gestalten ist die Philosophie ein Versuch des Auftauchens aus dem Meer des Vergessens, in dem das Leben der Gesellschaft sich bewegt. Steckt nicht in diesem Satz die Auflösung des Rätsels der großen Meerestiere?
    Der Zusammenhang von Phylogenese und Ontogenese gilt auch für die Sprache und das Bewußtsein. Das Vergangene ist nicht nur vergangen, es steckt noch in uns drin.
    Laßt die Toten ihre Toten begraben: In der Geschichtsforschung begraben die Toten die Toten; aber wird so nicht die Auferstehung vorbereitet? Eine Kirche, die an die Auferstehung der Toten glaubt, muß auch die Verantwortung für ihre eigene Vergangenheit übernehmen.
    Ist nicht das Modell jenes augustinischen Konstrukts, wonach zum Glück der Seligen im Himmel der Anblick der Leiden der Verdammten in der Hölle dazugehört, die Beziehung von Reichtum und Armut: Zum „Glück“ der Reichen gehört das (unerträgliche und deshalb seit dem Ursprung des bürgerlichen Bewußtseins verdrängte) Bewußtsein der Leiden der Armen (das real ebenso unabänderlich ist wie nach kirchlicher Lehre das Leiden der Verdammten in der Hölle), denn diese Leiden sind die Quellen seines Reichtums, und er genießt sie zusammen mit seinem Reichtum. Verarbeitet wurde dieses Syndrom in der Opfertheologie, in der entsetzlich entstellten kirchlichen Rezeption von Joh 129. Hilft dagegen nicht die ungeheuerlich Wendung im Hebräerbrief (928 im Zusammenhang mit 104 und 11?
    Zu Brot und Wein (Melchisedech):
    – das Brot vom Himmel, die ungesäuerten Brote und das Gleichnis vom Sauerteig;
    – die Beziehung des Weins zur Blutsymbolik (die noachidischen Gebote und die Trunkheit und die aufgedeckte Blöße Noahs), der Kelch (der Kelch des Neuen Bundes und Gethsemane: „Könnt ihr diesen Kelche trinken?“ und „Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorüber gehn“, der Taumelkelch und der Becher des göttlichen Zorns, der Becher mit dem Unrat in der Apokalypse), Kelch des Segens und Kelch der Dämonen, Wasser, Wein und Blut.
    – Sauerteig und Kelch (Ihr werdet ihn trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten oder meiner Linken habe nicht ich zu vergeben), Brot und Wein: Rechts und Links, Barmherzigkeit und Gericht.
    Ist die Materie die Scham der Dinge, gleichsam der Erdboden, in den sie versinken möchten: das Sein wie die anderen? Ein Medium, in dem das Selbstsein als Schuld erfahren wird, dessen man sich schämen muß. Ist das Blut die Scham des Lebendigen, Substanz und Medium des Ursprungs und des Mediums des Schuldzusammenhangs des Lebendigen, Grund des Schicksals? (Wenn das Volk sich als Schicksalsgemeinschaft definiert: ist dann ein Volksstaat denkbar ohne das ius sanguinis?)
    Der Blutkreislauf wurde in der gleichen Zeit entdeckt, als auch das heliozentrische System: das Kreisen der Planeten um die Sonne (und damit dem Erkenntnisgrunde nach, das Gravitationsgesetz) entdeckt worden ist. Gibt es eine Beziehung des Blutes zum kreisenden Flammenschwert des Kerubs, der den Eingang des Paradieses bewacht? Hat das Blut etwas mit dem Fall zu tun (ist das Blut das Realsymbol des Falles? Gibt es aus deisem Grund keine Sühne ohne das Blut? Und ist das Opfer der Sünde deshalb das Blutopfer? Denn „fast alle Dinge werden mit Blut gereinigt nach dem Gesetz, und ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung“ (Hebr 922), und „Fleisch und Blut können nicht das Reich Gottes ererben“ (1 Kor 1550).
    Liegt nicht eine sehr tiefreichende logische Konsequenz darin, daß im Paradies bemerkt wird, daß die Menschen nackt waren, aber sich nicht schämten, während sie nach dem Sündenfall, nachdem ihnen die Augen aufgingen, „erkannten“, daß sie nackt waren: Die Scham selbst wird nicht mehr genannt; sie steckte in dieser „Erkenntnis“.
    Ochs und Esel: Der Ochs kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Herrn (Jes 13). Was unterscheidet den Eigner vom Herrn? Der Ochse wird ins Joch gespannt und zieht den Ochsenkarren, dem Esel wird die Last aufgebürdet.
    Läßt sich der Satz „Man soll dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“ (Deut 254 und 1 Kor 99) nicht auf den „Umbau des Sozialstaats“ beziehen?
    Sind die Billardkugeln, das gegenständliche Paradigma der mechanischen Stoßprozesse, nicht die neutralisierten Bücke des mythischen Zeitalters?
    Zur Logik des Raumes: Wir nutzen die verdinglichende, objektivierende und instrumentalisierende Gewalt des Raumes, sind aber unfähig, das in den Beziehungen der Dimensionen versteckte Moment der Reflexion (das Rätsel der Reversibilität und Orthogonalität der Richtungen im Raum) zu begreifen, genauer: wir verdrängen es.
    Die mathematische Form des Raumes verdankt sich der Abstraktion von jenem Zeitmoment, das am Ende der Geschichte der Physik im Prinzip der Konstanz der Lichtsgeschwindigkeit gleichsam zwangserinnert wird.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit klärt die Beziehung von Rechts und Links, von Wein und Brot, von Griechisch und Hebräisch.
    Marx, Freud und Einstein: das Geld, das Bekenntnis und der Raum, oder Armut, Keuschheit und Gehorsam. (Die Physik ist nicht der Kloß im Hals, sondern der Stöpsel im Ohr.)
    War nicht die Verklärung auf dem Berge Tabor die Antizipation des vollendeten Werks des Opfers der Sünde? Und hier wollte Petrus drei Hütten bauen: dem Moses eine, dem Elias eine und Jesus eine.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie