Was unterscheidet eigentlich den Günter Grass (sh. FR von heute) von Heinrich Böll? – Was bei Heinrich Böll Melancholie und Erbitterung war, ist bei ihm Resignation, böse Nachrede. Auch Günter Grass scheint auf sein eigenes Handeln nicht mehr zu setzen, sondern darauf zu warten, daß es einer für ihn tut. Heinrich Böll war moralisch involviert, Günter Grass ist bloß Zuschauer. Auf Günter Grass scheint das Bild vom Hotel Abgrund zuzutreffen; der Abgrund, in den er schaut, das ist die Bühne, auf die er die Gegenwart transponiert, um ihr als Zuschauer beiwohnen zu können.
Hängt es nicht mit der kantischen Illusion zusammen, wenn Günter Grass auf den ungeheuren Reichtum verweist, dem nur die im Grundgesetz vorgesehene soziale Verpflichtung implantiert werden müßte, um eine heile Welt zu schaffen? Ist nicht die Vorstellung, was man mit Geld alles machen kann, die Vorstellung derer, die es nicht haben? Und ist nicht der Reichtum heute nur noch um den Preis des Bewußtseins des Ertrinkens, der Panik, zu haben? Sind nicht die Reichen unter dem notwendigen Schein ihres Reichtums heute die Armen, sind sie nicht die wahren Opfer in einer ihnen mißgünstigen, feindlichen Welt (so die Innensicht des Reichtums – und hat diese „Innensicht“ nicht etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung zu tun, mit den in diese Formen eingebauten Mechanismen der Verblendung)?
Es gibt keinen Trost mehr, sondern nur noch den Ausweg, den niemand mehr sieht.
Die Kritik der subjektiven Formen der Anschauung ist der Beginn der Sprengung der Feindbildlogik; und der kantische Erkenntnisbegriff, demzufolge wir nur das an den Dingen erkennen, was wir in sie hineinlegen, bezeichnet genau das Moment der Projektion, das von der Feindbildlogik nicht zu trennen ist. Es sind die Totalitätsbegriffe Kants, die die Feindbildlogik fundieren und absichern. Hierauf bezieht sich das Wort: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae.
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist eine Theologie im Bann der Feindbildlogik, die dann zwangsläufig apologetisch ist.
Zu Luzia Sutter Rehmann: Gibt es beim Daniel das apokalyptische Motiv der Geburtswehen?
Ist nicht die Opferlogik eine die Geburtswehen verhindernde und verlängernde Logik? Bezieht sich nicht auch hierauf das Wort: Barmherzigkeit, nicht Opfer?
Der Menschensohn: Ist das nicht das Kind der Geburt, die die messianischen Wehen ankündigen? Was bedeuten in diesem Zusammenhang die Wolken des Himmels?
Luthers Satz: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“ war der Beginn der Flucht nach Tarschisch, der im Bauche des großen Fischs endete.
Wenn die Kirche begreift, daß Auschwitz das Ende der Lehre vom stellvertretenden Sühneleiden ist, hat sie den ersten Schritt zu ihrer eigenen Bekehrung getan.
Goldhagen und die Castor-Transporte: Ist nicht auch Goldhagen ein Angriff auf einen Entsorgungsvorgang?
Gibt es eigentlich einen deutlicheren Hinweis als den, daß das Wort Gottes ein Name ist, den niemand kennt als der, der ihn trägt? – Hat das nicht etwas mit dem zweiten Schöpfungstag zu tun, an dem der im Anfang erschaffene Himmel zum Namen der Feste des Himmels wird?
Ein Hinweis, den Heinrich Böll einmal gegeben hat, läßt sich noch präzisieren: Während das Kapital von Marx in Ideen gründet, die den Einsatz des eigenen Lebens rechtfertigen, rechtfertigt das Hitlersche Machwerk „Mein Kampf“ nur den Judenmord: das Opfer des Lebens der Anderen. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Satz sich begründen läßt, daß im Nachkriegs-Atheismus Hitler nachträglich noch siegt (und der marxistische Atheismus bewußtlos diesen Sieg antizipiert, den Sozialismus in den Faschismus überleitet). Haben nicht die stalinistischen Prozesse das Opfer für die Idee, das dem Sozialismus zugrundeliegt, durch Universalisierung instrumentalisiert?
Sind nicht die Einsteinsche Denkmodelle vom fahrenden Zug und vom frei fallenden Fahrstuhl Weiterbildungen der kantischen subjektiven Formen der Anschauung? Aber was drückt sich in dieser Transformation aus?
Ist nicht das Relativitätsprinzip der Grund jeder Ästhetik (die Wurzel des Bildes)?
Marxismus
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24.2.1997
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23.2.1997
Wenn es die logische Affinität der Naturwissenschaft zur politischen Ökonomie gibt, müßte sich dann nicht aus der mimetischen Rekonstruktion der Erfahrung aus ihren politisch-ökonomischen Bedingungen (aus der Fähigkeit, in die Erfahrung des andern unter Reflexion der politisch-ökonomischen Bedingungen seiner Erfahrung sich hineinzuversetzen) so etwas wie ein symbolisch-metaphorischer Zugang zur Kosmologie ergeben?
Das Relativitätsprinzip begründet das Verfahren der Konstituierung des Raumes als subjektive Form der Anschauung, den Raum dadurch zu neutralisieren, daß der eine Raum über den anderen gezogen wird. Ist nicht dieser Raum das logische Kontinuum, in dem die Ökonomie sich entfaltet (und der im Entfaltungsprozeß der Ökonomie sich bildet): das Geld? Bezeichnet das Relativitätsprinzip am „Unzuchtsbecher“ das Moment der Unzucht?
Gestern ein Bericht in der FR über Haie. Danach sind Haie zwar keine Säugetiere, aber die kleinen Haie schlüpfen im Bauch ihrer Mutter aus ihren Eiern und fressen dort z.T. sich gegenseitig, so daß z.B. von 70 – 80 ausgeschlüpften Haien nur zwei im Bauch der Mutter überleben und dann ins Freie gelangen.
Die Tiere des fünften Tags sind die eierlegenden Tiere (Fische und Vögel). Die Säugetiere sind (mit den Menschen) die Tiere des sechsten Tags.
Sind nicht die Säugetiere nach der Evolutionstheorie gleichzeitig mit den blütentragenden Pflanzen entstanden?
Das Atheismus-Problem im Marxismus ist zu lösen allein über die Reflexion des Faschismus. Auch im Sozialismus bezeichnet der Atheismus den Sieg Hitlers.
… et dimitte nos debita nostra sicut et nos dimittimus debitoribus nostris, et ne nos inducas in tentationem, sed libera nos a malo.
Hat nicht der Traum des Nebukadnezar etwas mit dem Ursprung des Bekenntnisses zu tun?
Das Richtige ist nicht das Wahre, das Richtige ist das Unwiderlegbare.
Wie hängt das salomonische Urteil (über die beiden Frauen, die sich um das eine Kind stritten) mit dem danielischen (über die beiden Alten, die sich an der Susanna rächen wollten) zusammen? Salomo apelliert an den Mutterschoß, das Organ der Barmherzigkeit, Daniel enthüllt die Verwundbarkeit des ungerechten Urteils?
Tratsch und Gewitter; Tratsch als Instrument der Demoralisierung, Demoralisierung als Herrschaftsmittel. Aus dem Tratsch kann man nur eines lernen: Gegen die darin installierte mythische Gewalt, kommt keiner an; zur Identifikation mit dem mythischen Aggressor gibt es keine Alternative. Wen’s trifft, den trifft’s.
Das Licht ist der Naturgrund aller Zwecke (die Grenze des Kausalitätsprinzips).
Gestern in der Sendung über die Höhlenbilder von Lascaux der Hinweis, daß Tiergruppen nicht verschiedene Tiere, sondern möglicherweise verschiedene Bewegungsphasen der Bewegung eines Tieres abbilden. Ist die Höhlenmalerei ein Vorläufer des Kinos? Ist die Höhle (auch das Kino ist eine Höhle) eine Variante des Mutterschoßes (und das Fernsehen der Greuel am heiligen Ort: die endgültig instrumentalisierte Barmherzigkeit)?
Zur Genese des Vorurteils: Welche Rolle spielt hier das Verbot der Neugier? Wird nicht mit der Neugier die Erfahrungs- und Lernfähigkeit, eine nicht restlos ins „Wissen“ übersetzte Beziehung zur Welt, verboten? Ist nicht die Rückübersetzung jeder Erfahrung ins schon Bekannte das Ziel des ganzen Objektivierungsprozesses (und wird damit nicht die Erfahrung der ganzen vergangenen Menschheit verraten)? Ist die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis auch die Geschichte der Selbstzerstörung der Lernfähigkeit?
Kopernikus und Newton haben das Ungleichnamige (Oben und Unten) gleichnamig gemacht, was haben Maxwell und Einstein getan?
Zum Begriff der Öffentlichkeit: War nicht das Kollosseum die öffentliche Löwengrube, und wurde nicht, als die Scheiterhaufen öffentlich gemacht wurden, die Öffentlichkeit selber verbrannt? Auch Auschwitz war öffentlich, allerdings in der fürchterlichsten Gestalt: als Gerücht. Darauf wäre der von Habermas mißbrauchte Titel vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ zu beziehen: In der kollektiven Verdrängungsleistung der Deutschen, die die Kollektivscham dann besiegelt hat, ist die Öffentlichkeit selber verbrannt worden. Seitdem gibt es keine mehr.
Der Begriff der Information bezeichnet den Pfropf, der heute die Erfahrungsfähigkeit verstopft.
Das Feindbild, die Urteilslust und der Unzuchtsbecher.
Das Perfekt, das vom Handeln ins Sein (in die Vergangenheit) transformiert wird, spaltet sich auf in Sein und Haben (in Politik und Ökonomie). Hier liegt der Ursprung der Auxiliarien, der Hilfesverben, in denen die Gewalt der politischen Ökonomie sich ausdrückt. Das Problem Namens (des Symbolischen, des Metaphorischen) gründet in der Beziehung dieser beiden Formen des Perfekts.
Name und Begriff sind nicht vergleichbar. Ihr Verhältnis ist das der Umkehr.
Der Historismus, der die Vergangenheit des Perfekt ratifiziert, ist das Prinzip der Zerstörung des Symbolischen (der Zerstörung der Prophetie). Sind nicht alle Motive der Apokalypse aus dieser Transformation des Perfekt ableitbar? Die Idee der Auferstehung drückt den Widerspruch zwischen der Kraft des Namens und der „historischen Realität“ (der Ratifizierung der Vergangenheit der Geschichte) aus. Das Subjekt der symbolischen Erfahrung ist die Barmherzigkeit. -
28.1.1997
Apokalyptisches Denken ist weithin metaphorisches Denken. Mit hinein spielt das wachsende Bewußtsein der Unfähigkeit, „offen“ zu reden (subversive Theologie). Die Apokalypse als Produkt des Zusammenpralls der hebräischen und der griechischen Sprachlogik (Prophetie und Herrschaftssprache).
Die Apokalypse ist das Produkt der Selbstreflexion der hebräischen Sprache in den Sprachen der Völker.
Ist nicht auch Jonas ein apokalyptisches Buch?
Der apokalyptische Unzuchtsbecher steht in der Logik des Satzes: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Der Unzuchtsbecher instrumentalisiert die Nacktheitserfahrung und verdrängt sie damit zugleich. Das Anschauen ist ein Entkleiden.
Zu den subjektiven Formen der Anschauung gehören die „nackten Tatsachen“. Anschauen ist obszön (vgl. die Geschichte des Ham, der die Blöße seines Vaters aufdeckt und damit den Fluch der Knechtschaft auf sich zieht).
Ist nicht der Sohn Gottes die Verkörperung der Barmherzigkeit, und zittern nicht die Dämonen im Anblick dieses Gottessohns?.
Die 68er haben den Marxismus heideggerisiert, ihn zu einer Entlastungsphilosophie gemacht.
Wie ist es möglich, daß Tiere sich von außen sehen, wenn sie mimetisch an ihre Umgebung sich anpassen? Gehört nicht zum Bild des „Schweinehunds“ die Nacktheit des Hausschweins (das sich durch diese Nacktheit vom Wildschwein unterscheidet) und heute die Nacktheit der Kampfhunde (die ein Rassemerkmal, aber keine Natureigenschaft ist), und was drückt sich darin aus?
Zur Kritik des Rassismus: Die Rasse unterscheidet sich von der Gattung durch ihre Beziehung zur Naturbeherrschung; Rassen werden gezüchtet. -
23.1.1997
Paranoia ist die Verführung des Wissens. Hat der Sturz von der Zinne des Tempels etwas mit der Paranoia zu tun, ist die Paranoia die Gottesversuchung (vgl. Mt 47 parr)? Ist die Paranoia das Instrument der Ästhetisierung (des Mythos), das eigentliche Objekt der transzendentalen Ästhetik: der Taumel-/Unzuchtsbecher?
War nicht er 68er Marxismus ein Entlastungskonstrukt? Und war das nicht der Grund der Verwerfung der Reflexion des Begriffs des falschen Bewußtseins und des kritischen Ideologiebegriffs? Ist dieser Marxismus nicht der schon bei Engels sich anzeigenden Verführung durch den Wissenschaftsbegriff erlegen?
Die Paranoia in den Geschichtskonstruktionen lebt von der Verführungskraft des kontrafaktischen Urteils (das sich den Kopf der Toten zerbricht). Die paranoiden Konstruktionen sind Entlastungsversuche und Verharmlosungen zugleich: Sie unterschätzen das Gewicht des Realen, mehr noch: sie leugnen dieses Gewicht.
Durchs Inertialsystem wird die Verführung des kontrafaktischen Urteils zur Erkenntnisgrundlage der Naturerkenntnis.
Der Paranoiker verwechselt die Dummheit mit der Bosheit, weil er die Reflexion verwirft. Er leugnet den Dummheitskern in der Bosheit. Und dieser Dummheitskern ist nur aufzulösen im Sinne des Satzes „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (das Strafrecht leugnet die Dummheit und verstärkt die aus ihr resultierenden Zwänge).
Der Raum ist der Statthalter der Welt in der Natur, die Zeit die Rache der Natur an der Welt.
Hegel und Heidegger: Der Begriff des Werdens reflektiert die Zeit unter dem Aspekt des Hervorbringens („Die Erde bringe hervor …“), der Begriff des Geschehens reflektiert sie unter dem Aspekt des Vergehens, der Verwesung, der Verrottung.
Wirft die Bubersche Übersetzung des Gottesnamens mit dem Personalpronomen nicht ein Licht auf die Unterscheidung im Begriff der Ebenbildlichkeit des Menschen: Ist nicht das „Bild Gottes“ das Bild Elohims (des Namens der richtenden Gewalt), „Sein Ebenbild“ das Bild JHWHs (des Namens der Barmherzigkeit)?
Zu den Siebener-Gruppen der Johannes-Offenbarung gibt es bei Daniel keine Entsprechung, außer in den „sieben Zeiten“, die über Nebukadnezar hingehen sollen (Kap 4).
Der messianische Titel Herr verweist auf den Imperativ, der von den Armen, den Leidenden, den Unterdrückten, von den Opfern ausgeht. Auf diesen Imperativ bezieht sich der evangelische Rat des Gehorsams. -
27.11.1996
Der alltägliche Positivismus: Eines der wichtigsten Mittel, mit deren Hilfe der Positivismus sich in der Realität verankert, ist das Geschwätz (das auf dem Bauche kriecht und Staub frißt). Aufgabe des Geschwätzes ist es, durch Schuldverschiebung (Konkretismus und Personalisierung) die am Geschwätz Teilnehmenden von Schuld zu entlasten, die Reflexion durch positivistisches Beharren auf den Tatsachen (die es nicht an sich, sondern vor allem für den Redenden sein müssen), auf der intentio recta, zu unterdrücken und zu verdrängen. Geschwätz zielt auf Komplizenschaft: den andern in diesem Schuldverschubsystem auf seine Seite zu ziehen; deshalb braucht das Geschwätz gemeinsame Objekte des Geschwätzes, Objekte, die alle am Geschwätz Beteiligten gemeinsam entlastet, im Ernstfall den gemeinsamen Feind. Das Geschwätz kennt nur die Sprache des Indikativs, die eigentlich eine Sprache des versteckten Imperativs ist: Die Botschaften, die von dieser Sprache ausgehen, sind Kommandos, die jeden, der sie akzeptiert, an der Befehlsgewalt teilhaben lassen, in die Logik des Herrendenkens hineinziehen. Es kommt darauf an, die objektivierende Gewalt des Geschwätzes so zu nutzen, daß man immer auf der Subjektseite, die oben ist, nie auf der Objektseite (der Seite der Schuld), die unten ist, sich wiederfindet. Mit der Verdrängung der Erinnerung an diese Objektseite des Geschwätzes aber wird die Reflexion unterdrückt und verdrängt: die Fähigkeit, in den Andern, über den geredet wird, sich hineinzuversetzen. Das Geschwätz kennt kein Ende, es wird immer abgebrochen, und es muß deshalb immer neu geübt, eintrainiert werden. Das zentrale Thema jedes Geschwätzes ist die Schlechtigkeit der Welt, die dann, weil sie keine Wahl läßt, anders gegen sie sich zu behaupten, zur Norm des eigenen Verhaltens wird (die absolute Norm ist die Norm, die das Feindbild repräsentiert?.
Der Positivismus macht die Wissenschaft zum Geschwätz; die 68er Bewegung hat den Marxismus zum Geschwätz gemacht (und beide haben ihre Kraft dann auch an der kritischen Theorie erprobt, die das nicht überlebt hat).
Die Unfähigkeit zur Reflexion hängt mit der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, zusammen, mit der Unfähigkeit, sich in den Andern hineinzuversetzen (vgl. die Konstruktion der hegelschen Dialektik, ihren Zusammenhang mit der Raum-Reflexion: An sich, Für sich, An und Für sich, ihren Zusammenhang mit der kabbalistischen Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind; Zusammenhang mit dem Angesicht und mit der Heiligung des göttlichen Namens).
Zum hegelschen „bacchantischen Taumel“ vgl. Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 187ff.
Die Verwaltung ist die technische Seite der Ökonomie, das Instrument und die Form der innergesellschaftlichen Naturbeherrschung.
Das Glaubensbekenntnis ist ein Fremd-Schuld-Bekenntnis (ein Schuldbekenntnis, dessen Subjekt der Andere, nicht der Bekennende ist), und es ist dazu geworden durch die Rezeption des Weltbegriffs, durch die Hereinnahme der Logik des Weltbegriffs.
Die Rechtschreibreform hat zumindest in dem einen Fall der Substantivierung der Adjektive („im Großen und Ganzen“) ein reflexives Element der Sprache neutralisiert und verdrängt. Gibt es dazu noch weitere Belege in dieser „Reform“? Ist das nicht ein Beispiel für die Anpassung der Sprache an den BILD-Zeitungsstil, in dem auf Nebensätze generell verzichtet wird, und der dadurch seine denunziatorische Qualität gewinnt?
Lassen sich die den Substantivierungen zugehörigen Objekte (das Große, das Ganze, das Böse, das Gute) bestimmen, haben sie nicht etwas mit der Logik der Xenophobie zu tun?
Die Großschreibung insgesamt ist ein Hilfsmittel der Staatsmetaphysik, eine Stütze der Staatsgesinnung: sie macht die Sprache der Staatsanwaltschaft verfügbar, sie macht sie zur Sprache eines Staates, der in sich selbst das anklagende Prinzip, dessen Anwalt der Staatsanwalt ist, repräsentiert.
Der bisherige adjektivische Gebrauch, der in der Kleinschreibung sich ausdrückte, ließ das Substantiv, auf das sie sich bezog, in der Schwebe. Die neue Schreibweise macht kurzen Prozeß.
Wurde nicht bei der neuen Regel, bisher zusammengeschriebene Verben jetzt getrennt zu schreiben (heiligsprechen > heilig sprechen) übersehen, daß damit der sprachlogische Sinn verändert wird, leistet sie nicht der Verwechslung des substantivischen Gebrauchs (Zusammenschreibung) mit dem adjektivischen (Getrenntschreibung) Vorschub (der Unfähigkeit, das eine vom andern zu unterscheiden)? Müßte es in der Konsequenz nicht auch Haus Besitzer heißen? Bemerkt hat man es bei Verben wie heimkehren, bei denen es bei der alten Schreibweise belassen wurde, weil hier die Bedeutungsverschiebung nicht zu übersehen war.
Räumliche Reflexionen: Züge, Fahrstühle und der plancksche Hohlraum haben wie auch Häuser Wände, sie sind gleichsam Objekte von innen (Grund der Unterscheidung von Innen und Außen). Haben nicht moderne Kirchen, auch gelegentlich moderne Wohnungen, die Außenseite der Wände nach innen gekehrt (Verwechslung des transzendentalen Subjekts mit Gott: das Innere, in das nur Gott sieht, ist wie die Außenwelt unerkennbar geworden)?
Sind nicht die Sternbilder des Tierkreises die Häuser der Astrologie?
Die mechanischen Stoßprozesse haben den Schwerpunkt als Reflexionspunkt, die ersten optischen Gesetze bezogen sich auf die Reflexion der Strahlen an einer Fläche (die Farbe ist eine Qualität der Fläche, der Außenseite eines Körpers: die Farbe der Haut ist die Farbe des Fleisches – welche Beziehung hatte das Purpur zur Fleischfarbe, und welche Bedeutung hatte dieses Purpur, das Handelsobjekt der Phönizier, der Kanaanäer?). Im planckschen Hohlraum werden die Strahlen an den umgebenden Wänden, die Atome an einander und an den Wänden reflektiert. Im Gravitationsgesetz reflektieren sich Gravitationskräfte an den schweren Körpern (an den schweren Massen).
Ist nicht das Angesicht der Kontrapunkt zum Schwerpunkt (zum Zentrum eines Inertialsystems)?
Spiel mit dem Feuer: Das plancksche Strahlungsgesetz bezeichnet den Angelpunkt, an dem Chemie, Atom- und Mikrophysik aufeinander sich beziehen: das Feuer (das spezielle Relativitätsprinzip definiert das Trägheitsprinzip, das allgemeine Relativitätsprinzip den Schwerpunkt: den Ursprungspunkt des Inertialsystems). Das Feuer ist das Antiinstrument (die Entdeckung des Werkzeugs und des Feuers gehören zusammen).
Mit der dies dominica, mit der Verlegung der Sabbatruhe vom Tag des Saturns auf den der Sonne (mit der Ersetzung der zeitlichen Definition der Ruhe durch eine räumliche: der zukünftigen Welt durch den räumlich präsenten Himmel), hat das Christentum das kopernikanische System antizipiert.
Ist die Kleptomanie, das Gegenstück sowohl zur Einbruchsfurcht als auch zur männlichen Aggression, nicht in erster Linie eine weibliche Neurose?
Ist aus dem Buch der Richter etwas über das Leben der Menschen in der Zeit der Richter zu entnehmen (Stadt und Land, Familie, wovon lebten die Menschen)?
Transzendentale Ästhetik: Ist nicht ein wesentliches Moment der Masken (Girard, S. 245ff) das Sehen ohne gesehen zu werden, eine Funktion, die in der Geschichte der Aufklärung durch das Konstrukt der Anschauung ersetzt worden ist? – „Die Maske und der monströse Doppelgänger sind eins“ (S: 246): Die subjektiven Formen der Anschauung, die der Person den Grund verschaffen, sind Produkte der Vergesellschaftung, Repräsentanten des Objekts: der Anderen und der Dinge im Subjekt. -
21.11.1996
René Girard, Ausstoßung und Verfolgung: Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung die letzten Repräsentanten des kollektiven Mords? Klingt nicht in der Urteilsformel „Im Namen des Volkes“ dieser kollektive Mord, der den Staat begründet, nach?
Das Sündenbock-Paradigma schlüsselt den Mythos, und in seinem Kern den Schicksalsbegriff, von innen auf.
Alle Mythen sind Ursprungsmythen, und deren Reflexion ist ein Teil der notwendigen Erinnerungsarbeit.
Das Sündenbock-Paradigma ist ein Teil der Feindbild-Logik, die erstmals im Namen der Barbaren sich stabilisierte. Der Name der Barbaren ist zugleich die erste Manifestation der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“, des Prinzips der Veräußerlichung der (subjektiven wie nationalen) Außenwelt.
Wie paßt in dieses Sündenbock-Syndrom die Exodus-Geschichte hinein, mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos?
Ist nicht die Daniel-Geschichte eine Fortführung und Erweiterung der Joseph- und Exodus-Geschichte (in der der Feuerofen dem Eisenschmelzofen Ägypten entspricht)? Ist Daniel der Joseph redivivus unter den veränderten Bedingungen Babylons?
Unterscheidet sich nicht der Pharao von den Königen Babylons durch seine Anonymität? Er ist der Pharao, der König Ägyptens, während die Könige Babylons Nebukadnezar bzw. Belsazar (und die Könige Persiens Darius, Artaxerxes und Kyros) heißen.
Der Staat ist die Institutionalisierung des kollektiven Mords, in dem er (wie das Nachkriegs-Deutschland in Auschwitz) seinen Gründungsakt erkennt und zu „vertuschen“ sucht. Die Vertuschungsarbeit ist der Mythos, in dem die Erinnerung jedoch durchscheint.
An der Stelle, an der Rene Girard Plato zitiert, zitiert er den „Staat“, und zwar nicht nur das platonischen Werk, das unter diesem Titel überliefert ist, sondern auch die Institution.
Der Staat ist die objektive Realität des Begriffs (das objektive Korrelat der subjektiven Formen der Anschauung). Insofern hat die gegenwärtige Phase der Geschichte der politischen Ökonomie ihre fundamentale Bedeutung für die Selbstverständigung der Philosophie.
Der real existierende Sozialismus und – als es mit ihm zu Ende ging – die 68er Marxismus-Rezeption in der BRD haben, als sie sich der Selbstreflexion entzogen, deren Medien der eigenen Feindbildlogik angepaßt und zu den Waffen umgeschmiedet, an denen sie dann zugrunde gegangen sind.
Die Begriffe, mit denen wir glauben, die Welt zu verstehen, und die Logiken, die wir mit diesen Begriffen rezipieren und verinnerlichen, sind in Wahrheit die Fäden, die uns zu Marionetten der Welt machen. Es gibt keine Selbstreflexion mehr ohne die Reflexion der Strukturen, die die Welt beherrschen, und wir verstehen die Welt nicht, wenn wir uns selbst nicht verstehen. Die Selbstreflexion ist ein zentrales Element der Kritik der politischen Ökonomie. Und wenn diese Selbstreflexion dahin führt, daß es sich als notwendig erweisen sollte, die erste der geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins zu korrigieren, indem man sie umkehrt, so wird man’s auch tun müssen: nämlich in dem Sinne, daß nicht die (als Zwerg unterm Tisch versteckte) Theologie dem historischen Materialismus dient, sondern daß der Zwerg unterm Tisch mit Hilfe des historischen Materialismus aus seiner Zwangslage sich befreit.
Oder anders: Die kantische Vernunftkritik ist als Wissenschaftskritik zugleich Gesellschaftskritik, aber man kann die Gesellschaftskritik von der Wissenschaftskritik nicht trennen. Mit der Verwerfung und Preisgabe der Wissenschaftskritik haucht die Gesellschaftskritik ihren Geist aus. Auch das Projekt Moderne darf nicht dogmatisiert, es muß reflexionsfähig gehalten werden.
Das Sündenbock-Paradigma wird durch die subjektiven Formen der Anschauung und die daraus hervorgegangene transzendentale Logik, in die sie mit eingeht, automatisiert und unkenntlich gemacht. In der transzendentalen Logik scheint jener Vertuschungseffekt, der den Mythos durchherrscht, endgültig geworden zu sein. Die Hinweise Kants, daß dieser transzendentale Apparat noch zu reflektieren wäre, sind schon von seinen Nachfolgern, die ihn nur perfektioniert haben, verdrängt worden. (Hegel, der die Reflexion bis zu den durch den Weltbegriff gesetzten Grenzen vorgetrieben hat, ist im Gelingen seines Projekts gescheitert.)
Die subjektiven Formen der Anschauung haben den parvus error in principio der Theologie, des Dogmas, der Orthodoxie, der Opfertheologie, das Entsühnungskonzept und die Bekenntnislogik, rein herauspräpariert, er ist damit erstmals analysierbar geworden.
Worauf es heute ankäme wäre: das Resultat der Kritik der Urteilskraft, das Konzept des reflektierenden Urteils, auf die transzendentallogischen Fundamente des bestimmenden Urteils, auf das Resultat der Kritik der reinen Vernunft, rückwirkend anzuwenden.
Zielte nicht der Satz: „Seht ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ auf eine Erkenntnisfigur, die in der Beziehung Daniels zu Nebukadnezar vorgebildet ist: zu lernen, den Traum des Andern, den dieser vergessen hat, zu rekonstruieren und zu deuten?
In Girards Sündenbock-Syndrom gibt es den entscheidenden Akt, in dem sich der Kreis um das Opfer schließt, bevor es ermordet, zerrissen und zur gemeinschaftsbildenden Grundlage der Brüderhorde wird. Ist nicht die Philosophie und die aus ihr hervorgegangene Geschichte der Aufklärung in diesen Kreis und in diese Tat gebannt, und zwar in eben diesem Akt, in dem sie das Bewußtsein der Tat verloren hat?
Ist nicht das Bild des kollektiven Mords das präzise Bild dessen, was mit Auschwitz in Deutschland passiert ist? Und ist nicht das letzte Rätsel dieser Geschichte die kollektive Verdrängungsgeschichte, eine Verdrängungsgeschichte, an der alle teilhaben, in die alle verstrickt sind, der keiner sich entziehen kann, es sei denn, er versucht, diesen Bann durch Reflexion zu sprengen?
Paßt nicht zu René Girard der Satz (Produkt eines reflektierenden, nicht eines bestimmenden Urteils), daß die Geschichte der Naturwissenschaften mit der Hexenverfolgung begonnen und mit Auschwitz geendet hat?
Läßt nicht die Flucht des Jonas nach Tarschisch aus dem Sündenbock-Syndrom sich herleiten, und erinnert nicht die Szene auf dem Schiff, als die Schiffsleute ihn ins Meer werfen, an den kollektiven Mord? -
20.11.1996
Wie hängen das Angesicht, der Name und das Feuer zusammen mit der Subjektivierungsgeschichte der Sinnlichkeit, der Kritik und der Schuld?
Die Unfähigkeit zur Selbstreflexion hängt zusammen mit der Unfähigkeit zur Kritik der Verwaltung: des Instrumentariums der Herrschaft (Problem des real existierenden Sozialismus, auch des 68er Marxismus).
Daß Hegels Philosophie nur bis zum Bewußtsein der Freiheit reicht, ist in der systemlogischen Funktion und Bedeutung des Weltbegriffs begründet. Diese wären zu reflektieren, und in ihnen die Logik der Schuld (die Wurzeln des gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs).
Die Verwaltung ist das Instrument der Herstellung der Welt.
Was die Nazis einmal das „gesunde Volksempfinden“ nannten, war nichts anderes als der faschistisch entfesselte Rachetrieb; und der hat den Faschismus überlebt.
Als Habermas den „Verfassungspatriotismus“ erfand, hat er sich selbst von der Reflexion der Natur ausgesperrt. Seitdem kreist er auf den Planetenbahnen seiner Kommunikationstheorie.
Kant hat noch zwischen dem Endzweck der Natur (den es nicht gibt) und dem Endzweck der Schöpfung (der im Menschen als einem moralischen Wesen sich verkörpert) unterschieden (Kritik der Urteilskraft, § 86). Mit dem Naturbegriff ist die universale Geltung des Kausalitätsprinzips – und damit der Ausschluß jeder Teleologie – mit gesetzt; nur der Begriff der Freiheit fährt aus dem Bann der Natur heraus: dieser Freiheitsbegriff ist der Grundbegriff des Handelns und der Moral.
Vgl. hierzu Kants Begründung der Subjektivität der Formen der Anschauung und die Konsequenzen dieser Reflexion. Erinnert diese Begründung nicht an die (dreifache) Orthogonalität und damit an die die transzendentale Logik und den Begriff der Erscheinungen begründende dreifache Abstraktion: die Abstraktion von der Sinnlichkeit, von der objektiven Kraft der Kritik (auf deren Rekonstruktion die kantische Philosophie abzielt) und von der Objektivität der Schuld? Diese drei Abstraktionsschritte stützen sich wechselseitig, sie vollenden sich in den subjektiven Formen der Anschauung. Gehört der römische Triumph, der Dreischritt, von dem er den Namen hat (vgl. die Bemerkungen Florens Christian Rangs hierzu in seinem „Shakespeare als Christ“), zur Ursprungsgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung, waren die in ihm mitgeführten Gefangenen und die Beute das Modell der dann neutralisierten „trägen Masse“, war das caesarische, imperiale Rom die Geburtstätte des Inertialsystems?
War nicht das kirchliche Verständnis des Bindens und Lösens, der Sündenvergebung, insbesondere das Institut der Ohrenbeichte, ein wesentlicher und notwendiger Schritt auf dem Wege zur Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung?
Als Levinas auf den imperativen Gehalt der Attribute Gottes hingewiesen hat, hat er dem fundamentalistischen Schriftverständnis, das diesen imperativen Gehalt in die unreflektierte Gestalt der Schrift verlegt, endgültig den Boden entzogen. Das fundamentalistische Schriftverständnis ist die Flucht vor dem Imperativ, der in den Attributen Gottes sich manifestiert. Deshalb bezieht sich die „Erfüllung der Schrift“ in erster Linie auf die Passion.
Steckt nicht eine gewaltige Symbolkraft darin, daß Hegel an der newtonschen Gravitationstheorie und Goethe an der newtonschen Farbenlehre sich abgearbeitet haben? Ich meine, es ist eine arge Vereinfachung, wenn man den Abschluß dieser Geschichte darin zu erkennen glaubt, daß Newton gesiegt hat, während Hegel und Goethe gescheitert seien.
Zur Kritik der Subsumtionslogik: Der Antisemitismus ist kein Anwendungsfall einer allgemeinen Vorurteilstheorie, sondern er ist die Wurzel des Vorurteils.
Die Venus-Katastrophe ist die Katastrophe, die eingetreten ist, als die Barmherzigkeit durch die Liebe und eine Sexualmoral, die als Urteilsmoral sich etabliert hat, ersetzt worden sind. Diese Katastrophe ist ein Ereignis der Herrschaftsgeschichte, sie ist eins mit dem Ursprung der Begriffe Natur und Welt. Der Preis für die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral war die Heuchelei (vgl. hierzu die Beziehung der Gemeinheitslogik zu dem Begriff der Schwere der Schuld). -
11.11.1996
Das Inertialsystem (das mit den „subjektiven Formen der Anschauung“, mit der transzendentalen Ästhetik, in den Erkenntnisapparat eindringt) ist das verdinglichte Dogma. In seinem Kontext
– verändert sich das Urteil und mit ihm die Sprache,
– wird das Urteilssubjekt zum Objekt,
– wird das Nomen, das das Subjekt bezeichnet, zum Substantiv,
– das Opfer, auf das die Opfertheologie sich bezieht, wird verinnerlicht: geopfert wird die Sinnlichkeit, die Vernunft, die Fähigkeit zur Schuldreflexion,
– die Sprache wird zur bloß subjektiven Reflexion entmächtigt, die an der versteinerten Objektivität abprallt; sie verliert ihre erkennende Kraft, die im Namen gründet, und wird selber zu einem Instrument der Information und der Mitteilung verdinglicht, als welches sie dann der Kommunikationstheorie ihr Objekt liefert.
Als Endstufe einer verdinglichten und automatisierten Bekenntnislogik, an deren exkulpierender Kraft es partizipiert (als Zerfallsprodukt des Dogmas), begründet das Inertialsystem mit der Verinnerlichung des Opfers, mit der Unfähigkeit, das Undenkbare zu denken, das Schuldverschubsystem und in dessen Kern die Feindbildlogik, die das Bewußtsein aller verhext.
Das erste, das Christentum begründende Opfer war das Opfer des Lammes, ich hoffe nicht, daß das zweite, die Geschichte des Christentums beendende Opfer das Opfer der Taube sein wird, ein Opfer, das vorgebildet ist in der Verinnerlichung des Opfers, die das Inertialsystem verkörpert.
Der entscheidende Schritt zur Konstituierung des Objekt ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, das Schellingsche „Ahnden“. (Ist diesem Ahnden am Anfang der Weltalter nicht ein Sinn abzugewinnen, wenn man es auf den Satz bezieht „Mein ist die Rache, spricht der Herr“?)
Kant hat mit seiner Kritik der Urteilskraft die Fähigkeit, Links und Rechts zu unterscheiden, noch einmal zu retten versucht. Diese Fähigkeit ist dann in den Systemen des deutschen Idealismus endgültig untergegangen.
Das Undenkbare denken: Bei Franz Rosenzweig drückt sich das in der Intention, das Zerdachte zu rekonstruieren, aus, in den Sätzen: „Von Gott (dem Menschen, der Welt) wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott (dem Menschen, der Welt)“, in der Rekonstruktion der drei Objekte jenseits des Wissens (oder auch: jenseits der Todesfurcht?).
Was haben die vier Winde mit dem Geist Gottes zu tun?
Der 68er Marxismus hat, wie es scheint, einen Problembereich der marxistischen Tradition vollständig verdrängt, den Bereich, der durch den kritischen Ideologiebegriff, durch den Begriff des falschen Bewußtseins und das Problem der Beziehung von Unterbau und Überbau sich umschreiben läßt. Genau diese Themen aber sind es, die den Bereich der Reflexion in der Marxschen Theorie bezeichnen. Sie sind gleichsam gegenstandslos geworden, als das Element der Kritik, der kritischen Reflexion, unter die Feindbildlogik subsumiert wurde. Zugleich ist die Theorie der Gefahr der Personalisierung erlegen. Die Vermutung läßt sich begründen, daß diese Verdrängung zusammenhängt mit der anderen, die seitdem die Beziehung zur Vergangenheit insgesamt verhext, nämlich daß man geglaubt hat, den Nationalsozialismus durch bloße Verurteilung bannen zu können, ohne auf das Grauen und den Schrecken, für die der Name steht, sich noch einlassen zu müssen. Mit der Bereitschaft und der Fähigkeit, das Grauen und den Schrecken an sich heranzulassen, aber ist die Reflexionsfähigkeit verdrängt worden. Der Marxismus ist zu einer Art Naturwissenschaft verkommen, Produkt des gleichen reflexionslosen „Seitenblicks“, zu dem es seit der kopernikanischen Wende kein Alternative mehr zu geben scheint.
Ist nicht der 68er Marxismus selber Ausdruck von politisch-ökonomischen Veränderungen, die er nicht mehr begreift: der versteinerten Verhältnisse, deren Zubetonierung er selber mit provoziert hat?
Um auf das Bild des in den Abgrund rasenden Zugs zurückzukommen: Dieses Bild ließe sich kritisieren als ein Bild des „Seitenblicks“. Und diese Kritik wäre berechtigt. Aber es gibt kein anderes, so wie es einen anderen, die Totalität ins Auge fassenden Blick außer dem „Seitenblick“ (der dem kopernikanischen Blick auf den Kosmos entspricht) nicht gibt. Den gleichen Sachverhalt hat Adorno einmal mit dem Hinweis zu fassen versucht, daß die Welt immer mehr der Paranoia sich angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet. Aufgabe der Kritik wäre es, dieses Bild durch Reflexion auf seinen Wirklichkeitsgehalt, der mit dem Bild, in dem er sich ausdrückt, nicht identisch ist, aufzulösen.
Haben die drei obersten Sefirot etwas mit den drei kantischen Totalitätsbegriffen, mit dem Wissen, der Natur und der Welt, zu tun?
Urteile in RAF-Prozessen brauchen nicht mehr wahr zu sein, sie müssen nur unwiderlegbar sein. Darin gleichen sie dem antisemitischen Vorurteil, das sie zugleich durch einen strategischen Vorteil übertreffen. Das antisemitische Vorurteil war moralisch angreifbar, während diese Urteile die Logik der moralischen Indifferenz des Rechts in sich enthalten (sie neutralisieren die moralische Angreifbarkeit durch ihre rechtliche Unangreifbarkeit), so glauben sie, auch der moralischen Kritik entzogen zu sein, gegen sie als immun sich zu erweisen. Aber wäre nicht an ihnen der Satz aus dem Jakobus-Brief zu erproben: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht, das Grundprinzip einer wirklich eingreifenden Rechtskritik?
Der zentrale Punkt ihrer Schwäche ist die Unwiderlegbarkeit der RAF-Urteile: Unwiderlegbar sind sie allein in einem logischen Medium, dessen Funktion und Qualität der der Laborbedingungen im Hinblick auf den naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriff entspricht. Die juristischen „Laborbedingungen“ müssen zuvor hergestellt werden, zu ihnen gehören:
– das in Gesetzesform bereits vorliegende Instrumentarium der Einschränkung und Behinderung der Verteidigung (Zusammenfassung sh. Bakker-Schut),
– die Bedingungen, denen die Angeklagten während der Untersuchungshaft (die dann in der Strafhaft zwangsläufig beibehalten werden müssen) unterworfen werden, und die sie aller subjektiven Bedingungen ihrer eigenen Verteidigung berauben (sie imgrunde rechtlos wie den Feind machen) sollen,
– das Instrumentarium der „instrumentalisierten Anklage“, mit dessen Hilfe Einfluß auf potentielle Zeugen genommen werden kann (sie können unter Druck gesetzt werden, u.a. durch Erpressung der Zustimmung zur Anwendung der Kronzeugenregelung, in anderen Fällen können auf diesem Wege die Voraussetzungen für ein Zeugnisverweigerungsrecht geschaffen werden).
Nicht zufällig erwecken RAF-Prozesse den Eindruck, daß nicht der erkennende Senat, sondern die Anklage der wirkliche Herr des Verfahrens ist, der durch das vorgenannte Instrumentarium seine Steuerungsfähigkeit auf den Prozeßverlauf und auf alle Prozeßbeteiligten auszudehnen vermag.
Es läßt sich nicht mehr ausschließen, daß das Urteil gegen Birgit Hogefeld in einem geradezu herzzerreißenden Sinne ein Fehlurteil ist:
– begründete Zweifel, ob eine Angeklagte die Taten, für die sie verurteilt worden ist, wirklich begangen hat, sind objektiv nicht ausgeräumt worden,
– das Urteil hat nicht einmal mehr versucht, den Eindruck zu widerlegen, es sei die Rache dafür, daß die Angeklagte sich geweigert hat, sich als Kronzeugin zur Verfügung zu stellen, und
– es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß diese Weigerung letztlich darin begründet war, daß sie ihr wirkliches Ziel, in die RAF Reflexionsfähigkeit hereinzubringen, wenn sie anders sich verhalten würde, selber verraten würde.
Aber zu der Fähigkeit, diese Möglichkeit sich auch nur vorzustellen, fehlten dem Gericht und vor allem der BAW die Freiheit der Phantasie, die durchs Apriori des eigenen Feindbildes und des daraus resultierenden Verurteilungswillens außer Kraft gesetzt war. Diese Verfahren sind insgesamt nur noch Verkörperungen mythischer Gewalt, die im mythischen Schrecken der Urteile (in den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, der „besonderen Schwere der Schuld“) sich entlädt.
Staatsschutzverfahren als Verkörperungen mythischer Gewalt: Liegt das nicht in Konsequenz der Logik ihres Auftrags und der vorgegebenen Rahmenbedingungen ihrer Durchführung?
Ist die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel, bevor er ihn deuten kann, erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn nicht mehr weiß, nicht ein Modell des Satzes, daß, wer einen Sündern vom Weg seines Irrtums bekehrt, damit seine (eigene) Seele vom Tode rettet?
Hat nicht der Fernhandel, der heute in der Globalisierung des freien Marktes sich vollendet, seit je nur den Staat, nicht die Menschen genährt?
Läßt sich die Geschichte von den sieben unreinen Geistern nicht auf die hegelsche Dialektik von Herr und Knecht beziehen:
– es gibt nicht nur einen Knecht, sondern eine arbeitsteilige Organisation von Knechten, einen subjektlosen Organismus unterschiedener knechtlich-abhängiger Funktionen;
– es gibt nur einen Herrn, und wenn die Knechte ihn ablösen, werden dann die letzten Dinge nicht ärger sein als die ersten?
Die Gemeinheiten des Herrn reproduzieren (und potenzieren) sich in denen des Knechts. Der Ausweg wäre allein eine Gestalt der Herrschaft, die aus dem Bann der Gemeinheit, der Feindbildlogik und des Herrendenkens herauszutreten vermöchte.
Die Konstellation, in die die Reklame die „Liebe“ zur Eigentumslogik rückt (durch Instrumentalisierung des Bedürfnisses nach Anerkennung, des Geliebtwerden-Wollens, des Selbstmitleids): ist das die Venus-Katastrophe?
In den stalinistischen Schauprozessen der 30er Jahre soll es die Fälle gegeben haben, in denen angeklagte Genossen, die wußten, daß die Anklagen frei erfunden waren, sich diese gleichwohl zueigen machten, auch das – für sie dann vernichtende – Urteil akzeptierten, weil sie auch noch in dieser Situation die Parteiraison über ihre persönliche Einsicht stellten und glaubten, so der Partei, deren weltbefreiender Auftrag für sie außer Frage stand, noch einen Dienst zu erweisen.
Politische Prozesse konstituieren so etwas wie ein innerstaatliches Völkerrecht. Nicht nur der Status der Angeklagten, sondern auch der der Strafgefangenen ist zweideutig. Ähnlich changiert die Logik der Strafen zwischen der Logik des Strafrechts und der des Kriegsrechts. Mehrfach lebenslängliche Haftstrafen und ein Begriff wie der der „besonderen Schwere der Schuld“ transportieren das Urteil und die Strafe über die Grenzen des Strafrechts hinaus; ihre Irrationalität ist ein Teil ihrer Rationalität: in ihrer Wirkung gleichen sie den Wirkungen der Aberkennung der bürgerlichen Rechte oder der Ausbürgerung, dem Entzug der Staatsbürgerschaft, der in der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“ der letzte Schritt vor der Vernichtung war. Deshalb erwecken RAF-Prozesse den Eindruck kurzer Prozesse, die nur deshalb so lange dauern, weil anders das Selbstverständnis der Ankläger und der Richter, das auf ihr Handeln keinen Einfluß mehr hat, nicht zu begründen wäre.
Wie hängt diese Logik mit der der Ware <zu deren Ursprungsgeschichte der Fernhandel, der Sklaven- und Frauenmarkt, die Geschichte der Eroberung und Unterwerfung anderer Völker und in der letzten Geschichtsphase ein Kolonialismus gehört, dem die ganze Welt zum herrenlosen Gut geworden ist> zusammen? -
30.10.1996
Die Bekenntnislogik verdinglicht das Bekenntnis und macht den Bruch, auf den der Name des Symbolon noch hinwies, unkenntlich: Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie (vgl. § 77 der Kr.d.U.).
Der Ausdruck „dingfest machen“ stammt aus dem Wortfeld des Thing und bezieht sich auf die Festnahme eines Beschuldigten. Ist in dieser Wortbildung nicht die Isolationshaft schon vorgebildet?
Unterscheiden sich Genitiv und Dativ wie Privateigentümer und Staat, und sind sie nicht wie diese aufeinander bezogen? Und hängt das grammatische Problem, das insbsondere Journalisten mit dem Gebrauch dieser Kasus haben, mit den objektiven Problemen des gegenwärtigen Stands der politischen Ökonomie zusammen (die im Kontext der objektiv gewaltsamen Durchsetzung der Marktmechanismen dahin tendiert, den Staat aus seiner Eigentümerfunktion zu entlassen)? Ist dieses grammatische Problem (und nicht nur dieses) nicht der Reflex eines politisch-ökonomischen Problems?
Kann es sein, daß BAW und Senat deshalb aus der Klemme, in die sie sich im Hogefeld-Prozeß selber hineinmanövriert haben, nicht wieder herauskommen, weil, wenn hier auch nur eine kleine Lücke sich auftut, mehr daraus hervorquellen wird als die Probleme dieses Prozesses?
Als in den Stammheim-Prozessen die Verteidigung zum „Hilfsorgan der Rechtspflege“ gemacht wurde, ist das Gericht zu einem Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft geworden. Diese definiert seitdem, was Rechtspflege heißt.
Was mir nachträglich an der Marxismus-Rezeption der 68er (die keine Marx-Rezeption war) auffällt, ist, daß ein Thema völlig übersehen und dann verdrängt worden ist, das einzige Thema übrigens, das an die Notwendigkeit der Reflexion, das kantische Erbe in der marxschen Theorie, erinnert: das Problem des falschen Bewußtseins. Deshalb ist der Begriff der Ideologie, wie übrigens schon im Sowjetmarxismus, zu einem reinen Kampfbegriff geworden und die marxsche Theorie selber zu einem Herrschaftsinstrument. Der Begriff der Politik, der im Rahmen dieser Logik dann sich herausgebildet hat, war vom faschistischen fast nicht mehr zu unterscheiden, eine Mischung aus Ideologie, Machtpolitik und Propaganda. Hier wiederholt sich etwas, was im Christentum schon vor anderthalb Jahrtausenden das erste Modell des Selbstverrats vor Augen geführt hat: im Prozeß der Dogmatisierung, des Verrats der eigenen Ursprünge und Tradition durch Selbstinstrumentalisierung im Interesse der Partizipation an der Herrschaft und ihrer Absicherung von innen. Das dogmatische Christentum hat die erste Version des Zuges, der heute in den Abgrund rast, geliefert.
Im Dogma ist die Theologie verstummt und zu einem Instrument der Instinktregulierung des animalisierten Gesellschaftskörpers geworden (im Kontext dieses Vorgangs hat die „Sexualmoral“ ihre zentrale Funktion und Bedeutung gewonnen: als Urteilsmoral, nicht jedoch als das moralisch allein zu begründende Verbot, den Andern zu instrumentalisieren). Aber hat nicht Jona seine Sprache endgültig erst im Bauch des großen Fisches wiedergefunden?
Den Menschen ist die Sprache gegeben, auf daß sie denen, deren Leiden sonst stumm bleiben würden, zur Sprache verhelfen. Dämonisch ist die Sprache, die, was ohnehin unten ist, zusätzlich noch zur Stummheit des Objekts verurteilt.
Standort Deutschland: Unter dieser Parole droht das ganze Land zur Garnison der Industrie zu werden, und die Deutsche Bischofskonferenz bewirbt sich als einziges militärbischöfliches Amt, das die Moral der Truppe garantieren will.
Zum währungspolitischen Auftrag der Deutschen Bundesbank: Hat nicht die Stabilisierung der Währung etwas mit der Orthogonalisierung des ökonomischen Inertialsystems, des Referenzsystems der Wirtschaft, zu tun? (Ist die Bundesbank die Erbin der kaiserlichen Marine, die das Staatsschiff im wogenden Weltwährungsmeer „stabilisieren“ und auf Kurs halten soll?)
Kann es sein, daß Heide Platen, wenn sie in der taz von heute die „Prozeßbeobachterin“ erwähnt, die „zu Beginn der Verhandlung“ Birgit Hogefeld „Größenwahn, Realitätsverlust, Übersteigerung der eigenen Rolle, Wichtigtuerei und Selbstmitleid … vorgeworfen“ hat, damit von sich selbst in der dritten Person spricht? Diese Konstellation wäre, wenn sie zuträfe, ein wahrhaft erhellendes Modell journalistischen Selbstverständnisses heute. Journalisten sind ja nur „neutrale Beobachter“ dessen, wovon sie berichten, und keinesfalls haftbar zu machen für ihr dummes Geschwätz von gestern, zu dem eine immer punktueller und erinnerungsloser werdende Öffentlichkeit sich selbst und die Welt macht.
Wenn es überhaupt noch eine Rekonstruktion des autonomen Subjekts im Sinne der Aufklärung geben soll, dann wäre sie nur an der Stelle noch möglich, den der Satz: „Nur Gott schaut ins Herz der Menschen“, aufs genaueste bezeichnet.
Die Erklärung Birgit Hogefelds ist ein Modellfall der Erinnerungsarbeit. Wäre diese Aufarbeitung der eigenen und der Geschichte der RAF nicht auf die Geschichte insgesamt zu übertragen? Diese Erklärung liefert den Beweis, daß ihre Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus für sie nicht nur eine rhetorische Formel war.
Birgit Hogefeld: Nur wer rücksichtslos gegen sich selbst ist, hört auf, es gegen andere zu sein; wer seine eigene Ehre darein setzt, von den Mitteln der Abwehr, der Verdrängung, der Schuldverschiebung und der Projektion, mit einem Wort: von der Feindbildlogik keinen Gebrauch mehr zu machen.
Ist die Gleichzeitigkeit des Hogefeld-Prozesses und des Erscheinens des Buches von Daniel Jonah Goldhagen vielleicht doch providentiell?
Dieses Gericht hätte eine Chance, das Vertrauen in eine Justiz, deren Ziel die Gerechtigkeit ist, und die ihre Aufgabe nicht darin sieht, die Rachebedürfnisse zu befriedigen, die die Welt heute so massenhaft produziert, erstmals zu schaffen.
Was es mit dem „Insektenstaat“ auf sich hat, läßt an folgenden Assoziationen sich demonstrieren:
– an Reinhold Schneiders Reflexionen über Insekten in seinem schwärzesten Buch „Winter in Wien“;
– unterm Gesetz eines tiefsitzenden Rache- und Harmoniebedürfnisses landet das Interesse an Insekten bei den Bienen (der Vorsitzende des 5. Strafsenats am OLG Frankfurt, der den Hogefeld-Prozeß leitet, ist auch Vorsitzender des Deutschen Imkerbundes);
– am Stichwort Insektenforscher;
– am Stichwort Spinnenphobie;
– dazu am Beelzebul, dem Herrn der Fliegen, dessen Reich zefällt, wenn es in sich uneins ist.
Haben die Mücken, das Geziefer und die Heuschrecken in der Geschichte der „ägyptischen Plagen“ etwas mit dem Konstrukt „Insektenstaat“ zu tun (und gehört hierzu nicht auch die merkwürdige Verknüpfung der Heuschrecken mit den Pferden in apokalyptischem Zusammenhang, aber auch schon in in der Parallele der Heuschrecken-Plage zum Untergang der pharaonischen Streitmacht im Schilfmeer)?
Feindbild-Logik: Als Natur wird die Welt sich selbst zum Feind (schon bei Kant stehen Natur und Welt nicht idyllisch nebeneinander wie Lukacs‘ Grandhotel und der zugehörigen Abggrund).
Es gibt eine Feindbild-Symbiose; aber läßt sich dieses Konstrukt nicht auch umkehren: steckt im Kern jeder Symbiose die Feindbild-Logik (und verweist das nicht auf den mit der Trinitätslehre universal gewordenen imperativen Gehalt der dogmatischen Theologie)?
Die Umkehr, die unsere Theologie in eine Theologie im Angesicht Gottes verwandeln würde, hat ihr Modell nicht mehr an einer Drehung im Raum, sondern eher am Umstülpen, an einem Akt, durch den ein linker Handschuh in einen rechten sich umformen läßt. Steckt ein Hinweis darauf nicht in der Geschichte von der Buße Ninives, in der Verdopplung ihres Ausgangspunkt, der einmal beim Volk, das zweite mal beim König liegt?
Die Natur ist der Inbegriff des Unbewußten, ohne das es Bewußtsein nicht gibt. Sie ist der Mülleimer der projektiven Objekt-Beziehung, die das Bewußtsein konstituiert.
Creatio mundi ex nihilo: Ist das Strafrecht der Versuch, im Konzept der Strafe jenes Nichts herzustellen, aus dem das Absolute, das im Staat sich verkörpert, die Welt erschafft? Die Logik des nationalsozialistischen Antisemitismus scheint in diesem Konstrukt zu gründen und ließe leicht aus ihm sich herleiten. Das Strafrecht ist eine Maschine, die die Todesfurcht erzeugt und verdrängt zugleich, indem es ihr die Chance verweigert, als Gottesfurcht sich zu begreifen (der Stern der Erlösung hat diese Beziehung der Todes- zur Gottesfurcht erstmals ins Licht gerückt).
Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch: Gilt das nicht für die Anwendung der Mittel der Objektivierung auf die Objektivationsgeschichte selber?
Wenn K. meint, daß die Schwarz-Weiß-Malerei der RAF doch nicht (wie es nach ihrem Eindruck Birgit Hogefeld tut) auf die RAF selber angewendet werden dürfe, so wäre dazu nur zu sagen, daß der Abgrund, den die Schwarz-Weiß-Malerei erzeugt, leider nur mit den Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei sich zeigen läßt. Hier gibt’s keine Grautöne und keine Farben mehr. Der Abgrund ist das Schwarze Loch. Wer der Gegenseite sich anpaßt, von ihrer Logik sich anstecken läßt, stärkt sie nur.
Zur Theorie des Feuers: Die Hölle, ist das nicht ein Produkt der Verkörperung und Totalisierung des „hinter dem Rücken Gottes“, das im Angesicht Gottes sich auflösen, im Leuchten Seines Angesichts in Licht sich verwandeln wird? Wer vorher schon die Hölle leugnet, ist ihr bereits verfallen. Die Hölle wird bestehen „per omnia saecula saeculorum“, was nicht heißt: in alle Ewigkeit, sondern in aller Weltzeit. Wer die Hölle leugnet, leugnet die Erinnerung, und ein Verfahren dieser Leugnung ist das Verfahren der Vergegenständlichung ihres Objekts: die Historisierung.
Wenn das Feuer im Namen des Himmels das Wer symbolisiert, ist dann nicht die Hölle ein Symbol der Unerlöstheit Gottes? Löst sich dann nicht mit der Selbsterlösung Gottes auch der Feuerpfuhl, nachdem der Drache, die Tiere und der Tod ihm überantwortet worden sind: in der Erkenntnis des Gottesnamens und im Leuchten Seines Angesichts?
Das falsche Bewußtsein ist eine Folge der Verdrängung der Vergangenheit, nur: auch durch Historisierung ist die Vergangenheit zu verdrängen. Deshalb haben deutsche Historiker den Goldhagen als Angriff erfahren.
Der letzte, heute vielleicht allein noch mögliche „Gottesbeweis“ wäre der, der aus der Einsicht in die Unmöglichkeit einer ursprünglichen Vergangenheit sich ableiten ließe. Gäbe es eine ursprüngliche Vergangenheit, dann müßten alle Blätter eines Baumes einander gleich und mathematisch rekonstruierbar sein, und es dürfte nur eine Tiergattung und eine Insektenart geben.
Hat nicht die Trinitätslehre Gott zu einem Gott gemacht, der wegsieht (zu einem autistischen Gott), und ist das nicht der bewußtlose imperative Gehalt dieser Theologie, die in ihren Gnaden- und Rechtfertigungslehren dieses Wegsehen zum Kern ihrer Lehre von der Sündenvergebung gemacht hat? Auch hier gilt die Levinas’sche Asymmetrie: Wegsehen darf allein das Opfer, nicht der Täter, darf der Andere, nicht ich.
Was unter anderem an unserer Theologie falsch ist:
– das Wegsehen,
– die Entsühnung der Welt (das Korrelat der creatio mundi ex nihilo),
– die Individualisierung des Seelenheils (so als habe es mit dem Zustand der Welt, mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, nichts zu tun),
– die Unfähigkeit, den ungeheuren Verdrängungsblock, der der Rezeption des Weltbegriffs sich verdankt und der in der Bekenntnislogik sich manifestiert, noch zu reflektieren,
– die Übersetzung des Begriffs Theologie mit „Rede von Gott“, die offensichtlich ein Theologie-Verständnis ähnlich stabilisieren helfen soll wie die Orthogonalität das Inertialsystem und die Bundesbank die Währung, den Geldwert.
Zur pharaonischen Verhärtung des Herzens: Das Problem der Theologie gleicht dem der fast unmöglichen Rekonstruktion des Raumes aus der Sicht und Erfahrung des Objekts (nicht des Subjekts, dem diese Sicht und diese Erfahrung apriori versperrt ist). Der Raum ist der Inbegriff des Schuldverschubsystems: Er exkulpiert das Subjekt, indem er die ganze Schuld aufs Objekt verschiebt, gleichsam die Levinas’sche Asymmetrie vom Grunde her leugnet. Die christliche Gnaden- und Rechtfertigungslehre, die Individualisierung der Sündenvergebung, die durch die Logik der subjektiven Formen der Anschauung automatisiert wird (und seitdem der Religion als Vermittlung nicht mehr bedarf), hat dem vorgearbeitet. In der säkularisierten Welt hängt die Sündenvergebung nicht mehr vom Sündenvergeben ab, nur noch vom Haben oder Nicht-Haben: Wer hat, dem ist schon vergeben (und der hat es nicht nötig zu vergeben), und wer nicht hat, dem kann auch nicht mehr vergeben werden (wer ist er überhaupt, daß er sich anmaßen könnte, uns zu vergeben, damit auch wir ihm vergeben?).
„Niemand kann zwei Herren dienen“: Wir haben das Sündenvergeben (die Erlösung) dem Geld überlassen. So ist das Geld unser Gott geworden: Es ist der Schöpfer einer durch es selbst entsühnten Welt, der Welt, in der wir leben, einer Welt, die alle schuldig spricht, die an der magischen Substanz des Eigentums nicht teilhaben. -
27.10.1996
Die Grenzen der Asymmetrie sind die Grenzen der Barmherzigkeit: Für die Barmherzigkeit bin ich niemals Objekt, ist der Andere (für mich) niemals Subjekt. Barmherzigkeit schließt Selbstmitleid prinzipiell aus.
Die Welt lernt nur verstehen, wer in andere sich hineinversetzen kann: Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Unterscheidet sich das Christentum nicht dadurch von der Prophetie, daß es – außer den Armen und den Fremden – auch die Herrschenden in die Intention der Barmherzigkeit mit einschließt, allerdings im Sinne des Jakobus-Worts: des Triumphs der Barmherzigkeit über das Gericht?
In der Schrift ist der Name des Geistes der Name der Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Zu diesem Namen gehören die drei Sätze: von der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz, von einer Zeit, in der keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen, und vom Geist, der die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
Die Idee der Barmherzigkeit gründet in der Idee des Ewigen und trennt sie vom Überzeitlichen. Gegen die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen richtet sich Levinas‘ Begriff der Asymmetrie, auch der Satz vom Rind und vom Esel.
Zur Herauslösung von Joh 129 aus der Opferthologie und zu seiner Einbeziehung ins Nachfolgegebot gibt es keine Alternative mehr.
Hat nicht auch die Jesaias-Stelle über den Leviatan und die Schlange etwas mit dem Neutrum zu tun? – Ist das Neutrum der Turm, der bis an den Himmel reicht, die sprachlogische Gewalt, die den Namen des Himmels (schamajim) sprengt und die Sprachen verwirrt? Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Beziehung des deutschen Namens des Himmels zu dem des Hammers (Nietzsche hat „mit dem Hammer philosophiert“). In welcher Beziehung steht die Geschichte vom Turmbau zu Babel zur Sintflut, und hat der Bogen in den Wolken (an der Stelle, an der einmal der Menschensohn erscheinen wird) etwas mit dem Feuer im hebräischen Namen des Himmels zu tun?
Hängt der erkenntnistheoretische Begriff des Gegebenen mit dem Dativ zusammen, verweist nicht der Ursprung beider auf die Geschichte des Staates (ist die Verwechslung von Genitiv und Dativ in der Sprachlogik der Medien nicht ein Indiz für zunehmende Privatisierung staatlicher Aufgaben, für die fortschreitende verwüstende Gewalt der Marktkräfte)? Haben Genitiv und Dativ etwas mit der Unterscheidung von Land und Meer im Sinne des § 257 der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts zu tun?
Was sind das für Sträucher, unter denen Adam sich versteckte, unter den Hagar sich legte, auch Elias legte sich unter einen Strauch sowie Jona; haben die etwas dem Gleichnis vom Senfkorn zu tun (sowie mit der Jotam-Fabel und dem Baum im Buch Daniel)?
Nach dem Register zur Hegel-Ausgabe von Suhrkamp kommt der Begriff der Anklage in der Hegelschen Philosophie nicht vor. – Vgl. aber die Anmerkung zu § 225 der Rechtsphilosophie, in der Hegel auf die „Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität (ob z.B. ein Mord oder Tötung) … im englischen Rechtsverfahren“ verweist, in dem sie „der Einsicht und Willkür des Anklägers überlassen“ sei, während er sonst etwas unserer Strafprozeßordnung Vergleichbares nicht zu kennen und insbesondere die Konstellation Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter, nicht für erwähnenswert zu halten scheint (wie zu vermuten ist, aus Gründen, die mit der Konstellation, die seinem Begriff der Dialektik zugrundeliegt, zusammenhängen: nicht nur, daß diese Konstellation mit der prozessualen nicht kompatibel ist, ein Vergleich würde das Moment der Gewalt in Hegels Konstrukt kenntlich machen).
Ist nicht der Titel Staatsanwalt das Produkt eines logischen Kurzschlusses, ein Stück verhängnisvoll automatisierter Staats- und Rechtslogik (ein systemwidriger Hegelianismus im logisch aus anderen Gründen determinierten Strafrecht)? Der Titel Staatsanwalt instrumentalisiert (und neutralisiert) beide: den öffentlichen Ankläger und den Staat.
Zu Off 13: „Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende Element, das Meer.“ (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 247; Hervorhebungen geändert, H.H.) Vgl. hierzu Carl Schmitt: Land und Meer, Stuttgart 19933, in der er in einer Nachbemerkung von 1981 auf diese Hegel-Stelle hinweist.
Das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird: Liegt die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt nicht darin, daß er der Schmach und der Schande, die die Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen erzeugt und deren Objekt er wurde, sich nicht widersetzt, sie widerstandslos auf sich nimmt und eben damit reflexionsfähig macht, ihrer endgültigen Instrumentalisierung die Grundlage entzog? So begründete er den Akt der Befreiung.
Wer das Opfer instrumentalisiert, landet bei der Heldenverehrung, im Bann des Mythos. So gehört die deutsche Einrichtung der „Kriegsgräberfürsorge“ zur Logik einer Staatsmetaphysik, die immer noch versucht, dem Krieg einen höheren Sinn zu verleihen, indem sie unterstellt, daß diese Opfer nicht umsonst waren, und so die Toten nochmal schändet und verhöhnt.
Seit wann gibt es Krieger- und Heldendenkmäler? Stammt diese Tradition nicht aus der Geschichte der „Befreiungskriege“, die nur so hießen und keine waren: Befreit wurde nur der Nationalismus als Ideologie, in deren Folge dann der christliche Antijudaismus endgültig zum Rassen-Antisemitismus geworden ist, seine eliminatorische Qualität gewonnen hat.
Heute gibt es für die Philosophie nur noch die eine Möglichkeit: die der Selbstreflexion, des Übergangs in Prophetie.
Der Staat wird zum Insektenstaat in dem Augenblick, in dem er glaubt, seine Aufgabe darin zu erkennen, zum Ungeziefer-Vernichtungs-Staat werden zu müssen. Oder: Es gibt kein besseres Mittel, den Staat zum Insektenstaat und Gemeinschaften zu Heuschreckenschwärmen zu machen, als wenn man ihnen die Aufgabe der Ungeziefer-Bekämpfung gibt. Das Böse konstituiert sich in der Pflicht, das Böse zu vernichten.
Definiert nicht der Satz aus dem Jakobusbrief, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, die Idee der Unsterblichkeit der Seele neu (und erstmals in einem vernünftig nachvollziehbaren Sinn)?
Wie hängt das Ahnden mit dem Ahnen zusammen? Nach dem Eingangssatz von Schellings Weltalter wird die Zukunft „geahndet“ (nicht geahnt). Hängt das Ahnden sprachlich mit Begriffen wie Gemeinde, Behörde zusammen (durch das gleiche abschließende, perfektische -de), damit aber in der Sache mit dem Logik und Bedeutung des Naturbegriffs (als es Inbegriffs aller Objekte von Urteile)? Ist die Konstituierung des Objekts (und damit des Naturbegriffs) nicht in der Tat Produkt einer Konstruktion, in der „die Zukunft geahndet“ wird, und das in einem dem strafrechtlichen Gebrauch des Wortes Ahnden durchaus angemessenen Sinne? Ist nicht der Objektbegriff, und mit ihm der Naturbegriff, der ihn absichert, Produkt einer Konstruktion, in der die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, zur Vergangenheit verurteilt wird? Im Objekt- und damit im Naturbegriff wird in der Tat „die Zukunft geahndet“. Die Logik des Objektbegriffs ist die Logik des Anklägers (des „Staatsanwalts“). – Wie hängen die RAF-Prozesse mit Schelling zusammen?
Der „blinde Fleck der Logik“ gründet in ihrem apriorischen Objektbezug, und es gibt keinen Begriff, der diesen blinden Fleck genauer bezeichnet als der der Natur.
Haben nicht der Ursprung und die Logik der historischen Bibel-Kritik etwas mit der Ursprungsgeschichte des modernen Nationalismus zu tun, zu deren Vorgeschichte auch Spinozas „Pantheismus“ gehört? Jeder Nationalismus ist ein Pantheismus, und der spinozasche dessen allgemeine logische Form.
Als die Amsterdamer Synagoge den Bann über Spinoza verhängte, hatte sie zwar formal Recht, zugleich aber hatte sie die wirkliche Intention des Denkens Spinozas gröblich verkannt, die nicht mehr durch einen Bann zu verurteilen, sondern allein durch Reflexion aufzulösen gewesen wäre. Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Korrespondenz zwischen dieser Spinoza-Geschichte und der Geschichte Sabbatai Zwis?
Ist nicht Lessings Ring-Fabel insofern unvollständig, als es sich nicht um drei getrennte Ringe handelt, sondern um die ineinander kreisenden Räder der ezechielischen Vision?
Die Beziehung der Elektrodynamik zum Licht hat etwas mit der Beziehung des Dogmas zum Zentrum der christlichen Tradition, das erst im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes sich enthüllt, zu tun.
Bezeichnet nicht der Name der Barbaren den Rohstoff, aus dem die ersten Waren genommen worden sind: Sind nicht die Barbaren potentielle Sklaven, der menschliche Rohstoff der ersten Handelsware? Und gehört nicht der Name der Name der Barbaren zur Ursprungsgeschichte des heutigen Weltzustandes, in dem die „dritte Welt“ immer noch in erster Linie Rohstofflieferant ist?
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein Instrument, das mit der Ursprungsgeschichte der Warenform und mit der des Dingbegriffs zusammenhängt, in dieser Ursprungsgeschichte mit seiner eigenen, die es doch zugleich verdrängt, konfrontiert wird? Sie sind damit ein Instrument der Verdrängung der eigenen Ursprungsgeschichte. So aber sind die Naturwissenschaften zu automatisierten Instrumenten der Selbstlegitimation des Bestehenden und der kollektiven Selbstverblendung zugleich geworden.
Der Faschismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus insbesondere dadurch, daß der Antisemitismus in ihm nie die Funktion und Bedeutung gehabt hat, die er im Nationalsozialismus hatte. Kann es sein, daß die Verwechslung beider Begriffe auf Seiten der Linken etwas damit zu tun hatte, daß der Marxismus als Herrschaftsinstrument (als Ideologie, wie er dann selbst sich nannte) den Gebrauch des Antisemitismus nicht mehr grundsätzlich auszuschließen vermochte? Wer den Nationalsozialismus als Faschismus bekämpft, blendet damit genau den Grund aus, aus dem er antisemitisch war: das Feindbilddenken als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft. Die Unterscheidung von Nationalsozialismus und Faschismus rechtfertigt nicht den Faschismus, aber sie vermeidet die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die in der Gleichsetzung beider liegt.
Ist nicht diese Verwechslung des Nationalsozialismus mit dem Faschismus ein Indiz dafür, daß die 68er Linke von der Gefahr eines undialektischen Materialismus, des Konkretismus, des Feindbilddenkens, der Unfähigkeit zu Reflexion (der Verdrängung des Problems des „falschen Bewußtseins“), nie sich hat freimachen können? Genau dieses Apriori, diese Vorentscheidung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte, hat diese Linke dazu verleitet, im Recht nur ein Machtinstrument (und in der Macht ein neutrales Instrument) zu sehen, mit der Folge, daß sie das Gemeinsame der nationalsozialistischen Konzentrationsläger mit dem Archipel Gulag oder des Volksgerichtshofs mit den stalinistischen Prozessen nicht mehr wahrzunehmen vermochte; sie hat sie unfähig gemacht zur Rechtskritik (zur Kritik des Staates von innen).
Es sollte heute nicht mehr zulässig sein, die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Idee mit ihrer befreienden Kraft zu verwechseln. Identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft gewinnt eine Idee nur, wenn sie die Wahrheit verrät, sie gegen ein stabiles Feindbild eintauscht und auf die Kraft der Reflexion verzichtet. Zentrum der Reflexion ist die des Objektbegriffs, von dem es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Der Objektbegriff ist von den Herrschaftsstrukturen in der Gesellschaft nicht zu trennen. Herrschaftskritik, die diese Reflexion nicht leistet, sie ausspart, reproduziert die gleichen Herrschaftsstrukturen, die sie zu kritisieren glaubt, wird selber zum Instrument von Herrschaft.
Der Objektbegriff ist ein Denkmal und ein Repräsentant der Überwindung und Versklavung des Feindes und zugleich des Ursprungs der Geschichte der Zivilisation. Diese Wunde im Kern der Zivilisation gilt es reflexionsfähig zu halten, anstatt sie über Feindbilder immer wieder zu verdrängen.
Das Ganze reicht zurück in die subjektiven Formen der Anschauung, deren Funktion und Bedeutung anhand der unterschiedlichen Folgen des Anschauens für den Anschauenden und den Angeschauten sich demonstrieren läßt. Zu diesen Folgen gehört es, daß sie, indem sie das Angeschaute zum Objekt machen, seine Wahrnehmung, die sie doch begründen sollen, gerade verhindern, sich als Wahrnehmungsverhinderungsapparat etablieren. Sie liefern die Farbe und den Pinsel, mit denen die Fenster in dem Zug, der in den Abgrund rast, bemalt werden.
In der RAF bestrafen die Staatsschutzsenate ihr eigenes Prinzip.
In einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der RAF wird man nicht davon abstrahieren können, daß die RAF der Reaktion den Vorwand geliefert hat, mit dessen Hilfe sie sich rekonstruieren und reetablieren konnte. -
15.4.96
Als Urteilsmoral hat die christliche Sexualmoral die Gottesfurcht durch das schlechte Gewissen ersetzt, das die Menschen beherrschbar macht.
Die Bekenntnislogik ist die Logik der Objektivierung und Instrumentalisierung der Wahrheit. Deshalb gibt es kein Bekenntnis ohne Opfertheologie. Und der Götzendienst war bereits eine experimentelle Vorform der Bekenntnislogik.
Die Lohnarbeit war der Beginn eines Prozesses, der darauf abzielt, am Ende auch die Zirkulation in die Produktion mit einzubeziehen, (durch Marktanalyse und Reklame beherrschbar zu machen). Die Globalisierung des „freien Marktes“ hat die Logik des Kapitals (ähnlich wie die Staatsschutzjustiz die Logik des Rechts) zur transzendentalen Logik (zu einem Instrument der Konstruktion von synthetischen Urteilen apriori) gemacht.
Ist nicht das Wort über den Handel und an die Reichen (Latifundienbesitzer) bei Jakobus an Griechenland und an Rom adressiert?
Die Blinden und die Lahmen: Läßt sich diese Konstellation nicht an der Beziehung zum Faschismus demonstrieren? Werden nicht die, die den Faschismus durch Verurteilung (aus der Sicht der Nachgeborenen) bannen wollen, blind, und die, die ihn von innen (aus der Sicht seiner Opfer) begreifen wollen, lahm?
Die Menschen leben nicht (wie die Tiere) in der Natur, sondern in der Welt. Die Welten der Tiere, sind allesamt Teil der Natur (die Natur ist der Inbegriff aller Objekte von Urteilen: das Tier ist ein lebendiges Objekt eines Urteils).
Zum Symbol des Kreuzes: In der Mathematik sind wir die Opfer einer Logik, die uns beherrscht; die Beweislogik ist die Logik dieser Herrschaft, einer Logik, deren Ursprung wir nicht kennen, und an deren Ursprung wir nicht heranreichen.
Wenn der Staat die Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern ist, dann, so scheint mit, verweist das auch auf den Ursprung der Mathematik (des „Bogens in den Wolken“?).
Ist der Bogen in den Wolken das hebräische Gegenstück zum griechischen Gnomon?
War nicht die Darstellung der Praxis der Getreide-Spekulation und ihrer Folgen bei Frank Norris (in dem Roman, der Bert Brecht zum Marxisten gemacht hat), noch harmlos gegenüber der Funktion und Bedeutung, die die Spekulation (als reine Geldspekulation) heute gewinnt? Die Hypothese wäre zu prüfen, ob nicht das Geld-Spekulationsgeschäft, das nicht nur (wenn auch vor allem) Banken betreiben, mit der Explosion der Armut, die ganzen Bevölkerungen die Existenzgrundlage entzieht, zusammenhängt, und das nicht nur symbolisch, sondern real. -
23.10.95
Die Bekenntnislogik ist ein Produkt der Instrumentalisierung des Rachetriebs. Das Christentum hat den Satz „Mein ist die Rache, spricht der HERR“ mit der Opfertheologie ins Affirmative gewendet und zugleich den „jüdischen Gott“ zum „altorientalischen Rachegott“ erklärt. Diesem Vorgang verdankt sich das Schuldverschubsystem, das der christlichen Gnaden- und Erlösungslehre zugrundeliegt (die Vorstellung von einem gnädigen und barmherzigen Gott, der die Sünden vergibt, ohne noch das sicut et nos dimittimus debitoribus nostris zu fordern).
Der Schrecken Isaaks: Liegt das Befreiende des Lachens nicht darin, daß man lernt, mit dem Schrecken zu leben?
Was war der Grund für den Untergang, die (unblutige!) Vernichtung, der Rotte Korah, die „lebendig in die Unterwelt gefahren“ ist? Nur Korah war ein Levisohn, Dathan und Abiram waren Rubensöhne, wer waren die 250 Männer (Num 16)?
Der Satz, daß es einen Gott gibt, begründet keine Theologie, nur eine Religion für andere. Dieses „es“ repräsentiert die Welt, deren Logik das „es gibt“ die Gottesvorstellung unterwirft. Auch der Begriff der Existenz ist theologisch unbrauchbar: Die Existenz ist in sich selbst gesellschaftlich vermittelt. Nachdem der ontologische Gottesbeweis am Ende auf die Existenzphilosophie zusammengeschrumpft ist, ist der Begriff der Existenz zum Decknamen der Hybris geworden.
Der Tod ist für die Existenzphilosophie der reine Aggressor und das „Vorlaufen in den Tod“ der Akt der Identifikation mit dem Aggressor. Nur durch Identifikation mit dem Aggressor kann man innerhalb der Logik der Existenzphilosophie sich vor diesem Aggressor noch schützen.
Esel und Rind: Das Nachfolgegebot verlangt, das Kreuz auf sich zu nehmen, nicht es den andern als Joch aufzuerlegen.
Eine Musikphilosophie heute hätte von der Allgegenwart einer „Musik“ auszugehen, die längst zum schwarzen Loch geworden ist, das alles Licht in sich aufsaugt, keines mehr ausstrahlt.
Das neue „Asylrecht“: Die Fortsetzung von Hoyerswerda mit anderen Mitteln.
Die Empörung gehorcht bewußtlos dem Schuldverschubsystem.
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Nicht auf die Unschuld kommt’s an, sondern aufs Tun.
Wer das eigene Sehen als In-Augenschein-Nehmen erfährt, sollte sich nicht wundern, wenn er am Ende wie ein Auto ausschaut.
Waren die Pyramiden Einrichtungen zur Ehrung der Toten oder zum Schutz gegen sie? Waren sie der Preis für die pharaonische Herrschaft, die präventive Absicherung, daß die Pharaonen nach ihrem Tod nicht wiederkommen werden? War das Grab nicht seit je auch ein Schutz vor den Toten (augenfällig das Hünengrab, dessen Last der Tote niemals würde abwerfen können: waren die Toten in den Hünengräbern nicht gefesselt, in „Hockstellung“)? Und war das Gefühl der Trauer nicht auch seit je ambivalent, der geheuchelte Schmerz, hinter dem die Erleichterung sich verbarg?
Ist die Priesterschaft der Kirche die Wache vor dem Grab, zu dem der Himmel am Ende geworden ist: die Absicherung der Verhinderung Seiner Wiederkunft? Nur der „zur Rechten des Vaters“ sitzende Herr scheint für kirchliche Zwecke brauchbar zu sein.
Für den Fundamentalismus ist das Licht eine Fluchtburg, keine öffnende und offensive Befreiung von der Blindheit. So darf er sich nicht wundern, wenn er das Licht unterm Scheffel wiederfindet. Der Missionsauftrag der Kirche kann nicht darin sich erfüllen, daß am Ende alle unter dem Scheffel sich versammeln.
Durch den Export der Armut ist die Arbeitskraft draußen billiger und zur Konkurrenz der Arbeitskraft im eigenen Lande geworden. Das ist der ökonomische Grund des Reimports der Armut.
Der Lauf der Welt: Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg militärisch zwar verloren, den Raub des jüdischen Eigentums und den Gewinn aus der Ausbeutung der KZ-Sklaven, der Fremdarbeiter und der Kriegsgefangenen aber behalten dürfen. Sie waren ein Teil der Grundlagen der ökonomischen Revision des verlorenen Krieges unter den Bedingungen und in der Folge des „Kalten Krieges“, zu dessen Gewinnern Deutschland gehört. Das Land, das die ganze Last des Zweiten Weltkrieges getragen hat, Rußland, war am Ende der wirkliche Verlierer.
Ökonomie und Rassismus: Sind nicht die Stabilität der DM und der „Standort Deutschland“ die Erben der faschistischen Rassenideologie, die zynische Aufdeckung ihres ökonomischen Kerns?
Der Slogan „Standort Deutschland“ (der auf die Probleme der Geldwertstabilität, der Außenhandelsbilanz sich bezieht) ist ein Stichwort für die Verwilderung der ökonomischen Sitten.
Heute gibt es (als Pendant zum Gesinnungs-Marxismus) einen Bereicherungs-Kapitalismus, der dabei ist, die eigenen produktiven Grundlagen zu zerstören. 90 % der Geldbewegungen auf den internationalen Märkten sind spekulative Bewegungen, nur noch 10 % beziehen sich auf den Warenverkehr und auf Dienstleistungen.
Der Rechtfertigungszwang (das moralische Pendant zum kapitalistischen Prinzip der Gewinnmaximierung) macht das Schuldverschubsystem irreversibel.
Der Staat, der nur an marktwirtschaftlichen Grundsätzen sich orientiert, ist ein Profitmaximierungsmaschine, ein Instrument der Umverteilung und Ausbeutung.
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