Mathematik

  • 24.04.91

    „Ich halte Hypnose für die oberste Stufe der Überzeugung“ (Jeshajahu Leibowitz: Gespräche über Gott und die Welt, S. 178): „Überzeugt“ wird der Richter durch die glaubwürdige Aussage von Zeugen, während der Angeklagte bekennt. Die Überzeugung ersetzt das fehlende Bekenntnis. Beide sind (im forensischen Gebrauch) sinnvoll nur im Hinblick auf das richtende Urteil. Wirksamer als die Überzeugung ist aber in jedem Falle das Bekenntnis; deshalb die Ausbreitung der Folter in der Welt nach Auschwitz. Allerdings beeinträchtigt die Folter die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses: die fehlende Glaubwürdigkeit wird ersetzt durch die Gewalt; das Opfer (das Objekt) ist in jedem Falle schuldig (wie in der Physik und im Hexenprozeß).
    Intersubjektivität ist die vollendete Form der Überzeugung: Hier wird die Gesellschaft insgesamt (ohne Ausnahme) zum Zeugen. Hergestellt wird die Intersubjektivität durch Mathematik (die kantischen Formen der Anschauung), durchs Tauschprinzip oder durchs Zwangsbekenntnis (in der Religion durchs Dogma, im Staat durchs Feindbild). Ist Intersubjektivität ohne (reale oder potentielle) Folter herstellbar?
    Zur trinitarischen „Zeugung“: Meint das „Heute habe ich Dich gezeugt“ nicht eigentlich das „Bezeugen“?
    Die Gefahr bei Marquardt ist die der Theologisierung Israels (vgl. „Verwegenheiten“, S. 160f, 169ff und 183ff). Eine Israel-Theologie, die nicht vermag, Auschwitz und die Palästinenser mit einzubeziehen, grenzt an Blasphemie, erinnert an eine Bewältigung der Vergangenheit, die den Antisemitismus bloß umkehrt, aber seine Prämissen konserviert: an einen Exkulpierungsversuch, der dem Wiederholungszwang verfällt. Das grenzt an theologischen Kolonialismus. Hier ist der Satz von Leibowitz vielleicht nicht unwichtig: „Der Glaube, der darauf gegründet ist, daß ich über Gott Bescheid wüßte, ist Götzendienst.“ (S. 124) Das Bilderverbot gilt nicht nur in der Anwendung auf Gott.

  • 09.12.90

    Die Reflexion des Bekenntnisses ist das Zentrum der kritischen Selbstverständigung (und Selbstbegründung) des Christentums; sie ist sowohl Inbegriff des Neuen, Befreienden, als auch Ansatzpunkt für die Selbstinstrumentalisierung: Verwandlung in ein Herrschaftsinstrument; Ursprung der Instrumentalisierung der Natur; Zusammenhang mit dem Weltbegriff. – Gegenstand des Bekenntnisses ist das Bekannte? Säkularisation des Bekenntnisses durch die Formen der Anschauung, durch die Mathematik, die in der historischen Auseinandersetzung mit der Natur diese Natur ähnlich repräsentieren wie das Bekenntnis die Kirche. Oder: Das Zwangsbekenntnis leistet am Subjekt die gleiche Entrealisierung und Entsinnlichung wie die Formen der Anschauung (das Inertialsystem) und die daraus abgeleiteten Strukturen der Mathematik an der Natur. Die Person als Träger des Namens ist das Produkt der Zurichtung zum Objekt des Urteils (vom Tratsch übers Recht bis hin zur Theologie), der Instrumentalisierung, der Verwaltung.

    Ebenso wie die Person den individuellen Menschen neutralisiert das Bekenntnis (der vom Wissen getrennte anstatt sein Verhältnis zum Wissen reflektierende Glaube) seinen Gegenstand, seinen Inhalt. Die Person (als Gegenstand hoffnungslosen Wissens) muß sich ihre Taten als feste Eigenschaften zurechnen lassen: wer gestohlen hat, ist ein Dieb, wer gemordet hat, ein Mörder. Nur durch ihr vergangenes Handeln und ihr Leiden kommt die Person zu Eigenschaften, Qualitäten; diese sind Urteile über ihre Vergangenheit. In der Theologie ist es denn auch das Handeln und Leiden, das die Unterscheidung der Personen in der Trinität begründet: der Zeugende und der Schöpfer der Welt ist der Vater, der Gezeugte und in die Welt Ausgesandte (und zur Hölle, zum Ziel des Sündenfalls, Abgestiegene) der Sohn, der von beiden Ausgehende und der das Antlitz der Welt Erneuernde der Hl. Geist (Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft; Glaube, Liebe, Hoffnung?). Und am Ende, wenn der Sohn sein Rettungswerk vollendet hat, wird Gott alles in allem sein: werden mit der „Welt“ auch die Personen in Gott untergegangen sein. (Die Trinitätslehre besteht ebenso wie ihr Tradent, das „Welt-„Priestertum und die Hierarchie: die organisierte Kirche, solange, wie die Welt besteht.)

    (Die Welt der Kinder ist die private Welt der Familie. Und für die Kinder ist es auch der Vater, der durch seine außerweltliche Tätigkeit diese Privatwelt gleichsam ex nihilo erschafft, jedenfalls ihr absoluter Herr ist. Nur die Mutter ist in der Privatsphäre physisch anwesend, der Vater ist ihr transzendent. – Das orthodoxe Urteil über die Häresie als Abweichung orientiert sich an diesem Modell.)

  • 24.10.90

    Natur (als erste und zweite Natur) ist ein antitheologischer Begriff (securus adversum deos), Welt ein negativer Begriff der Theologie. Der Begriff der Natur besetzt die Stelle des Schöpfungsbegriffs, der der Welt (als Weltgericht) die des Erlösungsbegriffs.

    – Die Natur ist nicht erschaffen, sie besetzt die Stelle des Ursprungs (Natur als Inbegriff eines subjektlosen Subjekts der Schöpfung);

    – die Welt ist nicht erlösungsfähig, vielmehr ist ihr Untergang Teil der Erlösung;

    – warum gibt es „Welt-/Mensch-/Gottesbilder“ aber kein Naturbild?

    – Natur bezeichnet das Werden der Vergangenheit („Ursprung“, das Subjekt des Falls), Welt das Geworden-Sein (das Resultat des Falls, das Urteil, das Gericht); in beiden drückt sich die Herrschaft und der Bann der Vergangenheit aus; im Bannkreis von Natur und Welt gibt es keine Zukunft außer der endlichen, von Menschen gemachten: außer der Prolongation der Vergangenheit.

    – Natur als Subjekt (Naturteleologie) ist der gegenständliche Reflex des Subjekts, der Naturbeherrschung (der Inbegriff des Objekts der Naturbeherrschung): das ist der Grund für das (scheinhafte) Gelingen des Idealismus (Subjekt als Ursprung).

    – Den Naturbegriff gibt es nur im Kontext der Naturbeherrschung (Vorhandenheit und Zuhandenheit, Natur als Subjekt).

    – Natur hat das Erbe des antiken Schicksals angetreten (setzt die Verinnerlichung und Instrumentalisierung des Schicksals: das Herrendenken, voraus; Zwang, unter den Bedingungen von Herrschaft dem Naturgeschehen ein handelndes, zwecksetzendes und zugleich blindes Subjekt zu unterlegen – Natur handelt gleichsam instinktiv wie ein Tier); oder das Schicksal ist der Naturgrund des ästhetischen Objekts.

    – Dämonischer Charakter der Natur nicht mehr erkennbar, seit er ins Subjekt eingewandert ist (als blinder Fleck der Selbst-und Objekterkenntnis: bloße Entlastung vom Bewußtsein der Schuld, während der Schuldzusammenhang, als welcher Natur zu definieren wäre, bestehen bleibt, in dieser Entlastung gründet; falsche Befreiung).

    – Natur, Herrschaft und Bekenntnis (Instrumentalisierung des Bekenntnisses unter der Herrschaft des Naturbegriffs, Instrumentalisierung der Natur unter der Herrschaft des Bekenntniszwangs; Aufnahme von Naturkategorien in die Theologie <Opfer, Tod und Auferstehung>; dagegen Paulus: die ganze Schöpfung sehnt sich nach der Freiheit der Kinder Gottes)?

    – Theologische Kritik der Natur gelingt nur, wenn sie die Erkenntniskraft des Namens wieder erschließt; setzt Kritik des Begriffs und strikte Einhaltung des Bilderverbots (oder eine genetische Theorie der Mathematik) voraus.

    – Gibt es eine Befreiung der „Natur“ (die dann allerdings keine mehr wäre) oder nur eine Befreiung vom Schuldzusammenhang der Natur durch Reflexion der Natur?

    – Natur und Welt als differierende Strukturen der Gegenständlichkeit und des Gerichts (Welt als Subjekt und Natur als reines Objekt des richtenden Urteils? – Natur als apriorisches Objekt des Weltgerichts und als Produkt der Verdrängung des Erbarmens? Materie als objektiver Reflex des Selbstmitleids? -Zusammenhang von Selbstmitleid und Rigorismus? – Arme Seele und Teufel?).

    – Selbstmitleid und Rigorismus (Perversion des Rechts) = Umkehrung von Gerechtigkeit und Erbarmen (= Natur). Statt Mitleid nach innen und Strenge nach außen: Strenge nach innen und Mitleid nach außen.

    – Natur und Welt gibt es nur im Kontext der Autonomie (der Selbstbegründung des Wissens): die Leugnung der Offenbarung verstellt den Blick auf Schöpfung und Erlösung.

    Theologie konstituiert sich in der Kritik der Konstellation von Natur, Welt und Subjekt.

  • 13.08.90

    Islam als Schicksalsreligion: Mischung von Nomaden- und Händlerreligion (kein Ackerbau, keine Industrie): Erfahrungsgrundlage Natur und Handelsmarkt als Schicksalsmächte. Was fehlt, ist insbesondere die Instrumentalisierung der Arbeit: ihre Subsumtion unters Tauschprinzip, das Grundelement des Kapitalismus (die arabische Mathematik scheint das auszudrücken: es geht bis zur Äquivalenz negativer und positiver Zahlen, bleibt aber vor der Infinitesimalrechnung stehen – vgl. hierzu Spengler). Das Problem der neuen politischen Blüte durch Erdöl (Reichtum ohne Arbeit, ohne kapitalistische Organisation von Arbeit) bietet als Lösungen nur die Privatakkumulation des Reichtums und seine konsumtive Verwertung durch die Scheichs oder den demagogischen Pseudo-Sozialismus (die konsumtive Vergesellschaftung des Reichtums, nicht die produktive der Arbeit; der illusionäre Wechsel auf die Zukunft, nicht die Einlösung der vergangene Hoffnung). Der Heilige Krieg ersetzt die innere wirtschaftliche Entwicklung. (Vorödipale Strukturen; andere Schamgrenze: Verhältnis von privater und öffentlicher Sphäre; Verhältnis von Produktion, Distribution und Konsum. – Islam Produkt einer vorödipalen Offenbarungsreligion?)

  • 24.06.90

    Die Probleme der drei Offenbarungsreligionen (Juden, Christen, Islam)? – Auschwitz, Staat Israel, politischer Fundamentalismus? (Hat das Christentum im Judentum die eigene Vergangenheit, der Islam die eigene Zukunft vor Augen? Antizipation der Erlösung / Rückfall hinter die Offenbarung? – Islam ist über Stammesreligion nicht hinausgekommen; mißlungener Versuch, ohne Zwischenstufe der Urbanisierung ein Imperium zu begründen; islamisches Recht, Grenze der arabischen Mathematik und Ökonomie?). Gegenüber der mittelalterlichen Theologie galt der Islam als „Heidentum“, als Vorwelt, als (äußerer) Repräsentant des Vergangenen (- und das Judentum als innerer?).

  • 06.05.90

    Raum und Begriff; die abstraktive Kraft des Raumes. Form der Äußerlichkeit, des Nebeneinander, der Verdoppelung (das Ding ist die Verdoppelung seiner selbst), der Abbildbarkeit (des Außergöttlichen), der Mathematik; Beziehung zur Zeit (Problem: Form der Gleichzeitigkeit?), zum Inertialsystem. Vermischung von Subjekt und Objekt (Wir Deutschen!), Herrendenken und Verzweiflung; Ausblendung und Konstituierung des Objekts: Jedes Objekt ist zugleich Subjekt des Inertialsystems und dessen Objekt (Vergleich mit der Funktion des Geldes, das zugleich Produkt von entfremdeter Arbeit und Herrschaft über entfremdete Arbeit ist). Zusammenhang mit der Form des Raumes, Bedeutung der Dimensionen des Raumes (Beziehung zur subsumtiven Kraft des Begriffs, Grund der Trennung von Begriff und Objekt, des apodiktischen (richtenden) Urteils, der Urteilsform). Raum als richtende und gerichtete Instanz: Gegenstand des Imperativs: „Richtet nicht …“

  • 15.04.90

    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Beginnt hier die Welterkenntnis, ist das erste Gebot „Ihr sollt euch kein Bildnis machen“ nicht ein spätes und genaues Echo darauf; hängt das „Richtet nicht …“ nicht mit dem Bilderverbot zusammen; und ist theologisches (parakletisches) Denken nicht aus eben diesem Grunde Sprachdenken und Kritik der Anschauung (des Bilderdenkens, der transzendentalen Logik und des apodiktischen Urteils)? (Zusammenhang mit Nacktheit, Scham; Ursprung von Schuld und Materialität; Ökonomie, Politik und Sexualität; zum Begriff des Sexismus und des Obszönen vgl. Rosemary Radford Ruether)

    Die Materie hat etwas zu verbergen; sie ist das gegenständliche Pendant der Scham, diese der Grund jeglicher Projektion und der Ursprung der Mathematik (der Verdoppelung). Am meisten zu verbergen hat der Pomp (vom Dogma bis zu den Ritualen und Uniformen/Gewändern aller hierarchischen Organisationen).

    Vgl. auch Walter Benjamins Sprachphilosophie: Erkenntnis des Guten und Bösen als Geschwätz, sowie seine Theologie des Wissens im „Ursprung des deutschen Trauerspiels“.

    Zum Bekenntnis: Jedes wirkliche Bekenntnis ist Schuldbekenntnis; der Erlöste, wäre er es wirklich, bedürfte des Bekenntnisses nicht mehr; jedes falsche Bekenntnis (als Rechtfertigung) ist Ideologie, verstrickt in den Schuldzusammenhang. Und Konfession ist Schuldgemeinschaft. Das Bekenntnis, als Zeichen der Zugehörigkeit zur Schuldgemeinschaft, löst die Schuld nicht auf, sondern macht sie unsichtbar für die Betroffenen und verstärkt sie zugleich durch Komplizenschaft (Aufnahme in die Gemeinschaft: Genesis des pathologisch guten Gewissens – das Confiteor/Confiteri kennt nur die passivische Konstruktion).

    Zur j Urgeschichte (E.D.): Liegt die Schuld, das Böse, denn wirklich nur im Ungehorsam, in der Übertretung des Gebots: Von diesem Baum dürft ihr nicht essen? Gibt es keine inhaltliche Begründung für das Verbot, nur die autoritäre Drohung mit der Todesstrafe? Besteht die Sünde nur in der Trennung von Gott? Müßte Gott diese Trennung nicht eigentlich sogar wollen? Kommt diese Interpretation nicht letztlich doch dem konfessionellen Schuldzusammenhang und der falschen kirchlichen Bindung der Gläubigen zugute?

    Wichtiger als die Entstehung der Strukturen des Bösen in der j Urgeschichte wäre deren Geschichte selbst, die Geschichte des gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs, die dann vielleicht am Ende ein völlig neues Licht auf seine Genesis werfen könnte. Denn nur so läßt sich die Distanz ermessen, die uns heute von dieser Urgeschichte trennt, und deren Kenntnis zum Verständnis der j Urgeschichte essentiell dazugehört. So bleibt die Darstellung in einem entsetzlichen Sinne nur erbaulich.

    Kann es sein, daß das „kreisende Feuerschwert“, das das Paradies nach dem Sündenfall gegen die Rückkehr des Menschen schützt, etwas mit dem Planetensystem zu tun hat und die „Flucht gen Osten“ der aus dem Paradies Vertriebenen mit dem Tag-/Nacht-Wechsel und mit der Erddrehung? Die Erklärung der Cherube mit alten Tiergöttern (die die Tradition der Engellehre völlig außer acht läßt) greift mit Sicherheit zu kurz (Abwehr der Naturphilosophie?).

  • 03.01.90

    Ursprung und Modell der Reflexionsbegriffe beschreibt Hegel in der Phänomenologie des Geistes anhand der deiktischen Begriffe „hier“ und „jetzt“. „Das Eine ist das Andere des Anderen“: Dieser Satz ist nach dem Modell gebildet: „Das Übermorgen von gestern ist das Morgen von Heute“; entfaltet wird dieser Zusammenhang in der Mathematik; seine Grundlage hat er im futurum perfectum, in der zukünftigen Vergangenheit.

    Das Klima in deutschen Straßenbahnen, das von Unansprechbarkeit bis Aggressivität reicht, mit einer signifikanten Tendenz zu faschistischen Sprüchen, rührt her von der Verfassung der Menschen in den Straßenbahnen, von ihrer Zukunftslosigkeit und – als subjektiver Reflex davon – von ihren Sorgen (Verhältnis zum Selbstmitleid?). Hier kommen subjektive und objektive Gründe zusammen: Straßenbahnfahrer nutzen ein Verkehrsmittel, auf dessen Ziel und Geschwindigkeit sie keinen Einfluß haben; sie haben kein Gaspedal, das ihnen das Gefühl der Eigentätigkeit und Selbstbestimmung vermittelt. Die Straßenbahn verhält sich zum Auto wie die Mietwohnung zum Eigenheim. Straßenbahnfahrer sind Berufstätige, Frauen und Kinder, d.h. im allgemeinen Abhängige, Fremdbestimmte. Für sie ist die Zukunft eine Zukunft für andere, nicht für sie; was sie vor Augen sehen, allem voran die Reklame, ist der Lobpreis einer Welt, von der sie ausgeschlossen sind; ihr „In-der-Welt-Sein“ ist reines Objektsein, entbehrt jeglicher Spontaneität, die sie sich nicht leisten können. Heideggers Fundamentalontologie sperrt die Menschen in diesen Zustand ein und betrügt sie zugleich um das Recht des Bewußtseins davon.

  • 31.12.89

    Das futurum perfectum, die zukünftige Vergangenheit, ist die Zeitform der Naturwissenschaften. „If the future will be like the past“: Diese Frage beantworten die Naturwissenschaften für ihren definitorisch abgegrenzten Bereich mit einem schlichten Ja. Unerforscht (trotz Kant) ist aber die Konstitutionsfrage: Unter welchen Prämissen, aus welchen Ursprüngen funktioniert diese Zeitform? Welchen komplizierten Weg mußte die menschliche Vernunft (von der politisch-ökonomischen Vorausplanung im Rahmen der staatlich-gesellschaftlichen Daseinsvorsorge bis zu den erkenntnistheoretischen Konstitutionsfragen) gehen, um tragfähige Begriffe zu gewinnen, die den „Abgrund der Gegenwart“ zu überbrücken in der Lage sind und Vergangenheit und Zukunft in der Weise mit einander verbinden, daß aus vergangenen Erfahrungen (Erinnerungen) Schlüsse auf zukünftige Abläufe und Ereignisse gezogen werden können. Das prädestinierte Material und Medium dieser „Brücke“ war seit je die Mathematik, deren erkenntnistheoretische Bedeutung genau in ihrer Eignung für diesen Zweck liegt; zugleich aber liegt hier auch ihre erkenntnissystematische Grenze, eine Grenze, die näher sich bestimmen läßt anhand ihrer Beziehung zur Sprache: Eine Sprachphilosophie, die nicht auch eine genetische Theorie der Mathematik mit enthält (zusammen mit einem differenzierten Zeitbegriff), verfehlt ihren Gegenstand. Unterscheidung des „Immergeltenden“ vom Begriff des „Ewigen“ (der eher dem der Gegenwart als dem des Überzeitlichen gleicht, und Zeit, soweit sie auch die Vergangenheit mit umfaßt, von sich ausschließt; das Vergangene ist im Lichte des Ewigen nur noch Objekt der Befreiung, Erlösung).

    Die Genesis des futurum perfectum fällt in die Herrschaftsgeschichte (Nomadentum/Astronomie, Staatenbildung/Organisation der Arbeit, Kapitalismus/Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip). Abspiegelung der Schöpfungsgeschichte?

  • 29.12.89

    Die „deutsche Frage“ gleicht auch darin der „Seinsfrage“, daß sie als Teil des Mechanismus zur Produktion des pathologisch guten Gewissens sich verwenden läßt. In der „Lösung“ der „deutschen Frage“ (die bezeichnenderweise keine Antwort, sondern – wie die Judenfrage – nur eine Lösung kennt; Verwechslung von Frage und Problem: die Lösung eines Problems beantwortet nicht die Frage – vgl. hierzu Wittgensteins Bemerkungen, daß die Formulierung eines Problems die Kenntnis der Lösung voraussetzt) ist das exkulpatorische Element, die Befreiung von der Last der historischen Schuld, offensichtlich die Hauptsache. Aber diese (scheinhafte) Befreiung ist das genaue Gegenteil: die endgültige, nicht mehr auflösbare Verstrickung in den Schuldzusammenhang (das Schicksal belohnt die Guten, bestraft die Bösen; d.h. – im Umkehrschluß – die Belohnten, die Sieger, sind die Guten, die Bestraften, die Verlierer, die Bösen).

    Verwechslung von Frage und Problem: Zu Problemen gibt es Lösungen, zu Fragen Antworten (Antworten sind keine Urteile?). In der Physik (Mathematik) gibt es keine Antworten, nur Lösungen. Lösungen sind Lösungen von Gleichungen oder „praktische“ Lösungen (wenn es sein muß, Endlösungen), jedenfalls das Gegenteil von Antworten. Gibt es eine „Lösung“ der „Seinsfrage“ (außer dem Frageverbot, da keine konkrete Frage dem Rang der Seinsfrage angemessen ist – Zusammenhang mit dem Antisemitismus)?

  • 27.07.89

    Das Objekt ist das Bild des Objekts, und die Welt ist das Bild der Welt (Weltbild, Weltanschauung). Zusammenhang von Mathematik, Zeit (futurum perfectum), Abbildbarkeit, Theorie, Bild, Show, Film, Entfremdung, Verdinglichung, Objektivation: Reproduzierbarkeit, Verdoppelung. Die Mathematik ist das Urbild und die Systemgrundlage der Abbildbarkeit (Verdoppelung), oder genauer: Mathematik und Abbildbarkeit haben den gleichen Systemgrund, der jede Wissenschaft bis hin zur Theologie verhext (als Wissenschaft verstößt die Theologie gegen das Bilderverbot; als Doppelgängerin der wahren Theologie ist sie dieser zum Verwechseln ähnlich, jedenfalls nicht logisch, sondern nur durch Benennung, durchs Beim-Namen-Nennen von ihr zu unterscheiden – verstößt nicht schon die grammatische Form des futurum perfectum, der zukünftigen Vergangenheit gegens Bilderverbot?).

    Die Welt ist kein Objekt-, sondern ein Strukturbegriff; sie ist der Grund der Unterscheidung von Innen- und Außenwelt, damit der Inbegriff einer unendlichen Zahl von Welten (Leibniz‘ Idee einer besten aller möglichen Welten ist eine contradictio in adjecto); sie ist das Gegenteil des Plural majestatis (gleichsam der Singular multitudinis instrumentarum: der Inbegriff aller Mittel, nach der gleichen Logik konstruiert wie „der Deutsche“). Das Weltbild oder die Weltanschauung ist die dezisionistische Entscheidung für ein Exemplar aus einer grundsätzlich nicht reduzierbaren Menge.

    Sind Gott und Mensch auch Struktur- und keine Objektbegriffe? (Nein, oder doch?)

  • 14.07.89

    Mathematik und Sprache: Das Verhältnis der Mathematik zur Sprache drückt sich nicht in der „Grammatik (Logik) der Mathematik“, sondern allein im Übergang im Objekt (als Übergang von der Mathematik zur Sprache): in der Schöpfungslehre aus. Hier (und nur hier) läßt sich der erkenntnistheoretische Sinn des theologischen (nicht bloß moralischen) Begriffs der Umkehr demonstrieren. Der Weltbegriff und der naturwissenschaftliche Objektbegriff stehen außerhalb (nämlich diesseits) des theologischen Erkenntnisbereichs, nur durch ihre Kritik hindurch läßt sich der theologische Erkenntnisbereich rekonstruieren. (Chemie = domestizierte Alchimie; der Elektromagnetismus – die Instrumentalisierung von Licht und Feuer – hat den qualitativen Naturbegriff zum Verschwinden gebracht, die spezielle Relativitätstheorie mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit den Grund der Möglichkeit der Instrumentalisierung/Domestizierung der Natur benannt; die genaue Analyse der Planckschen Strahlungsformel, die gleichsam das Feuer dingfest macht, müßte das konkretisieren. Atomphysik/-technik = Spiel mit dem Feuer.)

    Hängen die Schöpfungstage mit dem Planetensystem zusammen (die Benennung der Wochentage scheint darauf hinzudeuten)? Gibt es in der Kabbalah oder in der frühchristlichen Engellehre Hinweise auf solche Zusammenhänge?

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