„Ein Mischnalehrer lehrte vor Raw Nachman, Jitzchaks Sohn: Jeder, der das Gesicht seines Gefährten vor den Vielen erbleichen läßt, ist, als ob er Blut vergießt.“ (Bawa mezia 58a, zitiert nach Der Talmud, ausgewählt, übersetzt und erklärt von Reinhold Mayer, Goldmann München, S. 508) Läßt nicht die Theologie das Angesicht Gottes „vor den Vielen erbleichen“, ist diese Beschämung nicht der genaueste Ausdruck des Paradigmas „Hinter dem Rücken“ (des „Redens von Gott“), eigentlich des Objektivierungsprozesses insgesamt? Ist die Natur die Schöpfung im Zustand dieses Erbleichens? Und ist das Beschämen (das den Andern Nackt-Vorführen) nicht das Werk der subjektiven Formen der Anschauung: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren?
Der intentio recta ist alles nackt. Und eine Theologie im Angesicht Gottes läßt auch als der Versuch, die Nackten zu kleiden, sich begreifen. Ist das nicht ein Hinweis auf das in dem Wort von den im Blut des Lammes gereinigten Kleidern Gemeinte?
Durch die intentio recta wird der Taumelkelch zum Unzuchtsbecher.
Der Ankläger läßt den Angeklagten erbleichen, der Verteidiger stellt ihn wieder auf die Füße. Das Beschämen gründet im Vorrang des Sehens vor dem Hören.
In welchen Zusammenhängen erscheint der messianische Titel kyrios, Herr, und wer nannte Jesus zum erstenmal Herr (und wer nannte ihn Herr, und wer Meister, Rabbi)?
Bedeutet der Satz, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, eigentlich auch, daß die Kirche ewig sein wird? Gibt es einen biblischen Hinweis auf den Namen der ecclesia triumphans?
Ist der Ausdruck Sternendiener (für die Angehörigen der Völker) talmudisch, oder ist er biblisch begründet? Hat er nicht etwas mit dem Namen des Sünders und den Wegen des Irrtums zu tun?
Im Begriff der Geschichte und im Verfahren des Historismus steckt ein apriorisches Element (gegen das Franz Rosenzweig seinen Stern der Erlösung geschrieben hat).
Beamtenmentalität: Sich auf eine Weise den Kopf anderer Leute zerbrechen, daß man unfähig wird, sich in sie hineinzuversetzen.
Nicht die frontale Anklage, der man sich stellen kann, sondern das Urteil hinter dem Rücken, gegen das man sich nicht wehren kann, ist tödlich.
Das Verfahren der RAF-Prozesse gründet in der Anklage hinter dem Rücken, die nur pro forma der Gegenwart des Angeklagten bedarf. In einer Gesellschaft, in der alle über alle reden, aber niemand mehr mit dem, über den er redet, wird die verhängnisvolle Logik dieses Sachverhalts nicht einmal mehr wahrgenommen.
Birgit Hogefeld hat sich nicht in die Rolle gefügt, in die die Unterstützer sie hineinzwingen wollten, sie hat sich nicht zur Geisel der „Unterstützer“ machen lassen; deshalb haben sie sie fallen gelassen.
RAF-Phantom: Dieser Prozeß und dieses Urteil hatten mit der Angeklagten ebensoviel oder ebensowenig zu tun wie der Antisemitismus mit den Juden. Es gibt nur einen Unterschied, durch den die RAF-Prozesse deutlich vom Antisemitismus sich unterscheiden. Die RAF, die unter dem Programm angetreten ist, den Staat zu zwingen, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat diese Vorurteilssituation selber provoziert und durch ihr Handeln geholfen, sie herbeizuführen.
Es gibt zwei Begriffe des Irrationalen, die sich durch das Kriterium, an dem sie sich messen, unterscheiden. Der eine orientiert sich an der Logik der Selbsterhaltung (in der das Programm der Aufklärung gründet), der andere am Zustand der Welt, der nur im Kontext der Selbstreflexion und nur durch Erinnerungarbeit sich begreifen läßt.
Mayer
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9.2.1997
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09.10.93
An dem Wort Gerechtigkeit (an der Verarbeitung des zugrundeliegenden Worts „Recht“ durch das perfektivierende ge-, das adjektivierende -ig und das hypostasierende -keit) kann man die Geschichte und Struktur der deutschen Sprache ablesen, einer Sprache, die für die, die sie heute unreflektiert sprechen, zum Inertialsystem geworden ist: Sklavensprache als Herrensprache (die Sprache des Zuschauers). Aber kann man sich nicht aus den Verstrickungen dieser Sprache nur mit der Kraft dieser Sprache selbst befreien?
Unterscheiden sich die Prä- und Suffixe nicht dadurch, daß, während die Präfixe den Begriff zusätzlich von außen bestimmen, die Suffixe innerlogische Ableitungen der Begriffe selber repräsentieren. Was bedeutet es, wenn im Griechischen (generell in den klassischen Sprachen) die Personalpronomina den Verben als Suffixe angehängt werden: Grund des Begriffsrealismus, der Philosophie? In den modernen Sprachen gehört die Ablösung (und Hypostasierung) der Personalpronomina zur Ursprungsgeschichte des Nominalismus. In den klassischen Sprachen haben die Flexionen (Konjugation und Deklination) ihren grammatische Ort in den Suffixen, die die Logik dieser Sprachen bestimmt. In den modernen Sprachen wird die Ablösung der Personalpronomina begleitet von einer Differenzierung und Entfaltung der Präfixe (den Erben der archaischen Determinanten?). Läßt sich der deutsche Idealismus aus der Sonderrolle der Präfixe im Deutschen ableiten? Sind die Präfixe die Determinanten der subjektiven Formen der Anschauung, die – als subjektive Formen der Anschauung – erst durch die Ausbildung und Entfaltung der Präfixe von den Verben endgültig sich ablösen (vgl. die Bedeutung des französischen Rationalismus und des englischen Empirismus für den Ursprung der transzendentalen Logik).
Die grammatische Unsicherheit bei „trotz“ und „wegen“ (das Verschwinden der Logik der Begründung und der Argumentation) belegt die wachsende Unfähigkeit, rechts und links (Genitiv und Dativ) zu unterscheiden.
Hängt das deutsche Wort Ort mit dem griechischen orthos zusammen?
Der deutsche Himmel hängt mit dem Hammer zusammen; woher kommen das englische sky und heaven, der griechische ouranos, der lateinische caelum?
Meinung und Sein: In beiden steckt das Possessivpronomen. Ist nicht das Eine das generalisierte, von der bestimmten Zuordnung zu Mein, Dein, Sein abgelöste Possessivum (Zusammenhang mit dem aristotelischen tode ti, dem Kernbegriff des historischen Objektivierungsprozesses)? Ist das Eine nicht ein Strukturelement der Warenform (das Eine ist das Andere des Anderen, Hegel)?
Frauen als Kollektiveigentum, oder Steigerung des Possessivums: Das Possessivpronomen der 3. Person sing. fem. ist das Personalpronomen der 2. Person plural (sie/ihr), dessen eigenes Possessivpronomen (euer) das fatale „eu“ enthält? Beachte auch den Zusammenhang der Possessivpronomina mit der Genitivbildung der Personalpronomina (während der Dativ: mir, dir, ihm, außer im fem. und pl.: ihr, uns, euch, ihnen, unabhängig vom Possessivum gebildet wird?).
Das Moment der Gemeinheit ist aus dem Allgemeinen nicht herauszulösen; die Niedertracht in der Gemeinheit ist im Allgemeinen nur falsch aufgehoben (Objektbegriff und Neutrumsbildung). Die Welt ist alles, was der Fall ist (Zusammenhang des Ursprungs des Weltbegriffs mit der Naturforschung: dem tode ti).
Ist das tode ti die Verspottung der Prophetie, Ursprung und Statthalter des Hasses der Welt (die Sünde wider den Heiligen Geist)? Vgl. Hegels Analyse des hier und jetzt: Nachweis, daß das Individuellste das Allgemeinste ist, daß beide austauschbar sind (Grund der List der Vernunft).
Die transzendentale Logik und ihr Kern, der apriorische Objektbegriff, ist der logische Grund der Trennung von Natur und Welt, aber auch der Kulturindustrie, des Fernsehens, in denen die Trennung von Natur und Welt als Trennung von Information und Unterhaltung (die – wie nach Kant die Begriffe Natur und Welt -ebenfalls heute „ineinander fließen“, aber leider nicht mehr nur gelegentlich) sich widerspiegelt. Der Ausbruch aus der Isolationshaft dieser Logik ist nur über die Umkehr möglich, die bei Franz Rosenzweig erstmals als gnoseologische Kategorie begriffen worden ist.
Rohstoff und materielle Grundlage der Kulturindustrie ist das durch die Trennung von Natur und Welt präformierte Bewußtsein (Ursprung der Trägheit des Zuschauers).
Zur Barmherzigkeit gehört die Seite des Zorns, wie sie gelegentlich in Texten von Henryk M. Broder durchblitzt. Aber liegt seine Gefahr nicht darin, daß er dieses Zorns nicht so mächtig ist, daß er gefeit wäre vor der Verführung durch den Weg des geringsten Widerstands? Nur so sind seine Ausfälle gegen Hans Mayer oder Dorothee Sölle verständlich. Ist nicht die Idee einer richtenden Barmherzigkeit (die Idee des Jüngsten Gerichts) nur zu halten im Kontext der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten (im Kontext der Naturkritik)?
Ist der Zorn, die andere Seite der Barmherzigkeit, das Feuer, daß Jesus vom Himmel bringen wollte, und von dem er wünschte, es brenne schon?
Die Unterscheidung von Zorn und Wut gehört zusammen mit der Idee der Umkehr (die von der Idee der Auferstehung der Toten sich nährt) zu den letzten Einsatzpunkten der Begründung einer erneuerten Theologie. Aber diese Theologie wäre mehr als Theologie: sie wäre eine neue Gestalt der Prophetie. Hier gehören Joel und das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist zusammen.
Die Logik des Herzens: Das Herz ist links, aber ist es nicht auf der Linken ein Repräsentant der Rechten: Stätte des Gerichts der Barmherzigkeit (des Zorns) über das gnadenlose Weltgericht.
Der Zorn ist rational und gezielt, während die Wut (wie das Licht der Sonne) ohne Unterschied über Gerechte und Ungerechte sich ergießt.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie