Metz, S. 138f, vgl. auch S. 77ff: Hier ist leicht zu bestimmen, wo der Fehler liegt, wo M. nicht zu Ende gedacht hat.
S. 140: Wie verhält sich Gemeinde zu Kirche? Beziehung des Begriffs Gemeinde zu Allgemeinheit, Meinung, Gemeinheit: zum Possessivpronomen 1. Pers. Sing.
Heidegger benennt das Gefängnis, in das das Dasein geworfen ist, den Ort der Isolationshaft, aufs präziseste: das In-der-Welt-Sein.
Die Verinnerlichung des Schicksals (und der Ursprung des Begriffs und des Weltbegriffs) ist der Keim der Geschichte der Entfaltung, und am Ende auch wieder der Verinnerlichung von Herrschaft. Beide sind im Weltbegriff auf einander bezogen und nur durch ihre gemeinsame Beziehung zum Weltbegriff hindurch zu begreifen. Das Herrendenken hat seinen Ursprung in den Anfängen der Philosophie.
Zu Brot und Wein vgl. Spr 417: Sie (die Frevler) essen das Brot des Unrechts und trinken den Wein der Gewalttat.
Was solche Lieder bewirken wie „Der Glaube ist nun fest verbürgt, … das Leben hat den Tod erwürgt“, ist kaum abzuschätzen; ähnlich „… hilf uns hier kämpfen, die Feinde dämpfen, Sankt Michael“.
Woher kommt der Name der Griechen? Nachdem die „Hebräer“ sich als Israeliten erweisen, die „Griechen“ im NT überall Hellenen sind, wäre es vielleicht doch sinnvoll, mit den Namen etwas weniger leichtfertig umzugehen. Kann es sein, daß hier ein (mittelbar ebenfalls leicht antisemitisch getönter) Sprachgebrauch der deutschen Klassik, die sich auf die „Griechen“, nicht auf die Hellenen bezogen hat, nachwirkt?
Kristallisert sich die wechselseitige Vertauschung von Rechts und Links mit Vorn und Hinten in den differierenden erkenntnisleitenden Blöcken der Naturwissenschaften und der politischen Ökonomie aus (aber beides unter dem Gesetz der trüben Vermischung von Religion und Herrschaft in der oberen Welt)?
Der abgespaltene Bereich des Sakralen (des Numinosen) konstituiert in der trüben Vermischung von Religion und Herrschaft in der oberen Welt. Die Verweltlichung der Welt, Reflex der Verinnerlichung von Herrschaft, hat dieser Vermischung die Grundlage entzogen, sie erzwingt die (fast unmögliche) reine Darstellung der Religion, die damit aufhört, bloß Religion zu sein: Theologie im Angesicht Gottes, nicht hinter seinem Rücken. Insoweit ist die Entzauberung der Welt, ihre Verweltlichung oder die Vollendung des Falls, die Grundlage einer Erneuerung der Theologie. Die Mischung von Religion und Herrschaft ist nicht mehr zu halten (im Namen des Himmels das Wasser vom Feuer zu trennen). In der Geschichte der Verinnerlichung von Herrschaft hat die Herrschaft ihre religiösen Symbole verloren; das hat die Kirche, die fast keine anderen mehr kennt, als Zerfall der Religion angesehen, während sie in Wahrheit eine Voraussetzung ihrer Läuterung war; verlorengegangen ist nur die falsche Verständlichkeit der Religion in der Gestalt der Herrschaftsmetaphorik. (Schleiermacher und vor allem Rudolf Otto wären unter diesem Gesichtspunkt einmal genauer zu lesen.)
In der Heideggerschen Interpretation der aletheia trifft der blinde Fleck des bürgerlichen Bewußtseins im Sein auf seinen eigenen Ursprung, auf sein gegenständliches Korrelat (die falsche Trennung und Verbindung).
Die Philosophie lebt vom Schein der Äquivalenz des Einen und des Allgemeinen, Produkt und Widerschein der Subjektivität. Auszugehen wäre von den Unterscheidungen im Allgemeinen selber (wie bei Rosenzweig: von den Unterscheidungen im Naturbegriff, die daher rühren, daß nicht mit sich identisch bleibt, wenn er auf Gott, Welt, Mensch bezogen wird).
Wenn Jesus das Ja und Amen zur Welt wäre, dann gäbe es keine Auferstehung der Toten.
Weltkritik als Herrschaftskritik, oder gegen den Mißbrauch des Schreckens: der Schrecken ist ein Moment und ein Produkt der Verblendung durch Herrschaft, hervorgerufen durch durch die Schuldwahrnehmung im Stande der Unfähigkeit zur Schuldreflexion. Die verdrängte Gottesfurcht kehrt als Schrecken von außen zurück.
Das Wehe bei Jesus ist keine Drohung in dem Sinne, in dem die verdrängte Gottesfurcht es erfährt.
Ein erschütterndes Wort: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich wiederkomme, was geht’s dich an.“
Der Antisemitismus spielt sich nicht auf der Seite des Bekenntnisinhalts, sondern auf der der Bekenntnisform, seiner Logik, ab. Anders formuliert: Im Kontext eines Weltbegriffs, der die Religion zum Bekenntnis entmächtigt, wird diese Religion, und werden nach ihm alle konfessionellen Inhaltsderivate, zwangsläufig antisemitisch.
Die vom Weltbegriff nicht abzulösende Vorstellung einer homogenen Zeit und ihre Anwendung auf den theologischen Bereich (insbesondere in der Schöpfungslehre und in der Christologie) ist die Ursünde der Theologie. Was an sich jeden Gedanken an eine Vergangenheit von sich ausschließt, kann für uns sehr wohl als vergangen erscheinen, und zwar aufgrund jener das endliche Bewußtsein konstituierenden Brechungsschicht, die am zweiten Schöpfungstag, als Feste zwischen den Wassern, geschaffen ist und von Gott Himmel (schamajim) genannt wurde. Die Wirkung dieser Brechungsschicht ist nur aufzuheben durch Trennung der Wasser vom Feuer, durch Auflösung der Wasser, aus denen bei Thales die Philosophie entsprungen ist.
Thermodynamik, Elektrodynamik und Mikrophysik sind Aspekte jener differenzierten Beziehung von Raum, Zeit und Materie, die ins Inertialsytem durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hereingekommen ist.
Nietzsches Wort von dem Gedächtnis, das nachgibt, ist noch zu harmlos. Aufgrund der Ausstattung unseres psychischen Haushalts, die wir in der Geschichte unserer Sozialisation übernommen haben, gibt es Bereiche, an die das Gedächtnis, bevor es überhaupt nachgeben könnte, schon gar nicht mehr heranreicht. Das „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ läßt sich nicht auf den Bereich des (von uns selbst) Verdrängten einschränken; es gibt Bereiche des gesellschaftlich Verdrängten (und die Geschichte der Auseinandersetzung der Orthodoxie mit den Häresien ist eine Geschichte des forschreitenden gesellschaftlichen Verdrängungsprozesses), an denen wir bloß passiv partizipieren, die uns gleichsam „hinter unserem Rücken“ bestimmen. Diese Bereiche erschließen sich erst im Kontext der „Übernahme der Sünde der Welt“ (ich bin als Christ auch für meinen Charakter, ja, auch für mein Gesicht verantwortlich).
Zum Fundamentalismus: Auch hier reicht nicht die Verurteilung, sondern es gilt (wie zuvor schon in der ganzen Geschichte der Häresien, deren letzter Erbe er ist), das Problem, für das er steht, zu lösen, um ihm nicht selber zu verfallen (Verhältnis von Religion und Herrschaft; Ursprung und Kritik des Sakralen).
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Urschisma und dem Ursprung der Gnosis (Antijudaismus und Rezeption des Weltbegriffs)?
Metz
-
26.10.92
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25.10.92
Zu Metz (S. 113): Der Begriff der „Information“ sollte etwas kritischer gesehen werden (vgl. auch den Exkurs 3; auch den Begriff der „Tatsache“, sowie die Fichtesche und Goethesche „Tat“). In gleichem Zusammenhang ein Hinweis auf die Gefahr, daß die Kirche zum steinernen Herzen der Welt wird, und diese Gefahr (und ihre Begründung) ist ins Auge zu fassen.
S. 120: Überredung und Überzeugung; dazu Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar.
Die Aufklärung – und das reicht über Kant bis hinein in die Hegelsche Philosophie – hat den Sündenfall, das Essen vom Baum der Erkenntnis, als Symbol ihres eigenen Ursprungs angesehen. Daraus hat Wittgenstein das Resume gezogen: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Frucht vom Baum der Erkenntnis).
Daß die Verweltlichung der Welt sich christlichen Ursprüngen verdankt, ist wahr. Aber daraus lassen sich keine apologetischen Folgerungen ableiten, sondern im Gegenteil: Mit der Einsicht in diesen Zusammenhang verfällt die Möglichkeit der Apologetik insgesamt.
Woher kommt der Name der Hellenen, und woher der der Griechen; kommen im NT nur die Griechen, oder auch die Hellenen vor?
Ist Saulus, der Benjaminite, der Wolf, der als Paulus das Schafsfell übergezogen hat? Hat dieses Schafsfell etwas mit dem „goldenen Vlies“ (das goldene Fell des Widders, den Phrixos in Kolchis dem Zeus opferte, Objekt der Argonautenfahrt) zu tun, und sind beide nicht gleichsam nur Steigerungen des Feigenblattes?
Die Elektrodynamik sagt mehr über das Inertialsystem als über das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages.
Ist die Trinitätslehre ein später Reflex der Feste zwischen den Wassern, die Gott am zweiten Tage gemacht und dann schamajim genannt hat, ein Amalgam von Feuer und Wasser (von jüdischer und griechischer Tradition: zu dem Zecke, die griechische Tradition aufzuzehren, um das Feuer vom Himmel zu holen, von dem er „wollte, es brennte schon“)?
Nach Ranke-Graves ist das Volk Gog (Ez 38 und 49) identisch mit den Gargarensern (Griechische Mythologie, S. 456), die als Nachbarn der Amazonen deren männlicher Partnerstamm waren (S. 452). Sind die Amazonen Magog? -
24.10.92
Zu der Meldung, daß die Entscheidung des Bundespräsidenten über das Gnadengesuch für Bernd Rössner um 18 Monate verschoben/vertagt wurde, daß Bernd Rössner aber am 17.11. aus der JVA Kassel mit der Auflage, sich einer Therapie zu unterziehen, entlassen wird, einige Fragen:
– Wie ist die Auflage hinsichtlich der Therapie zu verstehen: Wird R. in eine vorbestimmte Anstalt eingewiesen, hat er ggf. dieser Einweisung selber zugestimmt (wenn ja, unter welchen Bedingungen), oder kann er frei bestimmen, welche Therapie er selber für richtig und wirksam hält, hat er die Möglichkeit, sich selbst einen Therapeuten seines Vertrauens zu wählen?
– Im Falle der Einweisung in eine Anstalt (ohne eigene Entscheidungs- oder freie Zustimmungsmöglichkeit): Setzt das nicht die Feststellung der Unmündigkeit, damit aber der Haftunfähigkeit voraus? Ist diese Haftunfähigkeit eine Folge der Haft, oder hat sie schon vorher bestanden, wenn ja: seit wann? Wer ist ggf. dafür verantwortlich, daß R. trotz Haftunfähigkeit in Haft gehalten worden ist?
– Die Tatsache, daß ein Gnadengesuch für R. beim Bundespräsidenten vorlag und mit festen Terminvorstellungen dort in Bearbeitung war, war seit langem bekannt. Dieses Verfahren wurde durch eine „überraschende“ Entscheidung des OLG Düsseldorf in einer Weise unterlaufen und in Frage gestellt, die in der Öffentlichkeit als eine Brüskierung des Bundespräsidenten verstanden wurde und so verstanden werden muß, wenn, wie es die Meldungen nahelegen, die Entscheidung des OLG ohne vorherige Abstimmung mit dem Herrn Bundespräsidenten getroffen wurde. Es mag sein, daß keine rechtliche Pflicht zu einer solchen Abstimmung besteht; es bleibt aber die Frage, ob diese Form des öffentlichen Umgangs mit dem höchsten Amt im Staate, der Eingriff in ein beim Bundespräsidenten laufendes Verfahren, nicht die Loyalitätspflichten berührt, denen nach meinem Verständnis auch ein Senat eines OLG unterworfen ist. Mehr noch: dieses Verhalten des OLG wirft ein Licht auf sein Staatsverständnis, das man nicht ohne Erschrecken zur Kenntnis nehmen kann. Ist es nicht der Fall eines in dem Rechtsverständnis unserer Staatsschutzinstitute begründeten Verfassungskonflikts, der unter dem Stichwort Recht und Gesetz nicht zu lösen ist, vielmehr deren dunkle Gründe offenlegt: das auch in der Verfassung ungelöste Problem der Souveränitat, dessen Begriff nicht zufällig sowohl den Grund der Staatsautorität wie auch die Freiheit der Vernunft von den Zwängen, in die sie durch Unfähigkeit zur Schuldreflektion sich verstrickt, bezeichnet. Ist dieser Konflikt nicht in dem gleichen positivistischen Rechtsverständnis begründet, ohne welches die Aufgabenstellung von Staatsschutzsenaten sich nicht definieren läßt, das aber von einem autoritären (und d.h. nicht souveränen) Staatsverständnis nicht zu lösen ist: Ist nicht ein Rechtsverständnis, das den Staat nur als positivistische Instanz der Rechtssetzung begreift, gezwungen, diesen Staat als nicht souveränes Institut anzusehen? Als ein Institut, das per definitionem jeder Schuldreflektion sich entzieht, deshalb nicht souverän sein kann? Deshalb müssen Staatsschutzsenate jedes Ansinnen an den Staat, sich durch Schuldreflektion als souverän (oder schlicht als vernünftig) zu erweisen, als Angriff auf den Staat, der mit allen Mitteln zu ahnden ist, ansehen und verfolgen, gleichgültig, ob dieses Ansinnen von der raf oder vom Bundespräsidenten ausgeht. Ich meine, die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, ob und in welcher Weise die von diesen Vorgang mit betroffenen Verfassungsorgane hierauf reagieren. Ich befürchte nur, daß dieser Staat sich weiterhin als einer der „unbegrenzten Zumutbarkeiten“ erweisen wird, wobei gegen Sonnemann vielleicht doch zu fragen bleibt, ob diese Zumutbarkeiten wirklich unbegrenzt sind, und ob sie nicht doch an eine Grenze stoßen, an der die letzten Bastionen der politischen Moral, ohne daß es noch einer bemerkt, fallen werden, an der die Welt wirklich zu allem wird, was der Fall ist.
Weitere Bemerkungen:
– 129a als Exerzierfeld zur Erprobung des Grundsatzes: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand;
– funktioniert nur gegen Links, nicht gegen Rechts (obwohl hier die Realerinnerung an die größte terroristische Vereinigung, die es je in Deutschland gegeben hat, unabweisbar ist);
– wie schnell war der Gesetzgeber (auf wessen Anregung?) bereit, den 129a zu erweitern, um Anschläge gegen Strommasten mit aufzunehmen; Anschläge gegen Menschen (dazu noch „Ausländer“) sind offensichtlich weniger gravierend;
– ist der Angriff auf die moralischen Grundlagen des Gemeinwesens kein Angriff auf den Staat?
– das Zeitalter des Antichrist wird das Gesicht eines Hundes tragen, aber muß das unbedingt im Staatsschutzbereich vorgezeigt werden?
– Recht, Verknüpfung von Sünde und Schuld (Schuld und Sühne); Genesis des Faschismus, der Gemeinheit, rechtlich nicht zu fassen, weil subjektlos (Sünde der Welt); Zusammenhang mit der Genesis des Begriffs (äußerliche Erinnerung an die vergangene Tat, die den Täter im zum Namen gewordenen Begriff – „Dieb“, „Mörder“ – als Schicksal ereilt: Schuld als schicksals- und wesensbegründendes Identitätsprinzip), der Welt;
– zum „Verständnis“ für diese Jugendlichen (überhaupt für die „Psychologie“ des Faschismus) gehört es, daß hier womöglich die einzige Stelle ist, an der der Staat aus Vernunftgründen gezwungen ist, mit jenem Zorn, deren nur die souverän gewordene Autorität fähig ist, zu reagieren.
Erinnerungsarbeit begründet die eingreifende, zukunftseröffnende Kraft der Erkenntnis, hängt zusammen mit der inneren Struktur der Zeit (gegen die Metzsche Diskriminierung der Anamnese). Teil des Verhältnisses von Theorie und Praxis: Über die Kritik der mit dem Weltbegriff mitgesetzten Verblendung wird die Theorie zu einem Teil der Praxis. Der Weltbegriff, der endgültig mit der Philosophie und dem Römischen Imperium sich durchgesetzt hat (und spätestens seit der Konstantinischen Wende Theologie und Kirche beherrscht), hat seine Vorgeschichte (die durch Erinnerungsarbeit in die Kritik des Weltbegriffs mit aufgenommen wird); dazu gehören auf der einen Seite das, was die Schrift Idolatrie, Sternen- und Opferdienst nennt, andererseits aber auch Ursprung und Geschichte der politischen und ökonomischen Institutionen (insbesondere der Ursprung und die Geschichte der Stadt, des Königtums, des Handels und des Geldes) und die damit verknüpfte Sprachgeschichte. Gewinnt vor diesem Hintergrund vielleicht doch der Ursprung der indogermanischen Sprachen neues und ganz anderes Interesse (grammatische Ausdifferenzierung, insbesondere Ursprung des Futur II: Ursprung des objektivierenden, verdinglichenden Denkens, sprachliche Voraussetzung des Weltbegriffs)?
Die Vorstellung von der Kirche als einer gesellschaftskritischen Institution bleibt bei einem äußerlichen Verhältnis von Kirche und Gesellschaft stehen. Das hängt zusammen mit
– der Funktion des Weltbegriffs,
– der ungeklärten (ebenfalls bloß äußerlich vorgestellten) Beziehung von Theorie und Praxis und
– dem Verzicht auf die Idee einer eingreifenden Erkenntnis.
Die Kirche wird zur gesellschaftskritischen Institution, wenn sie sich selbst als das steinerne Herz der Welt begreift und darüber erschrickt. Dazu ist sie aus dem gleichen Grunde geworden, den Metz heranzieht, wenn er auf die christlichen Ursprünge der Verweltlichung der Welt verweist. Das aber verweist darauf, daß und in welcher Form das Christentum in der Tat in den Säkularisationsprozeß verstrickt ist, daß dessen fehlendes Selbstbewußtsein in der kirchlichen Selbstverblendung begründet ist, und daß der Schlüssel zur Lösung in der Hand der Kirche liegt.
Die Welt als Geschichte (Metz) wäre nicht nur auf die politisch-ökonomische Geschichte zu beziehen, sondern ebenso auf die der naturwissenschaftlichen Aufklärung (auch im Verhältnis zur Natur auf die innere Struktur des Weltbegriffs selber).
Ist nicht der paulinische Gesetzesbegriff selber erst zu begreifen, wenn er aus dem Grunde der juristischen Verknüpfung von Sünde und Schuld begriffen wird. Denn das ist der Grund des Gesetzes im Recht wie in den Naturwissenschaften (in denen die Verknüpfung von Sünde und Schuld im Kausalprinzip wiederkehrt).
Zur Verdeutlichung dessen, was mit der Übernahme der Sünden der Welt gemeint ist, ist auf einen Witz zu verweisen, der von Mitscherlich stammt, und den Horkheimer und Adorno in den Soziologischen Exkursen zitieren:
In einer Massenveranstaltung wettert der Redner über die Massen: „Die Masse ist an allem schuld.“ Tosender Beifall.
Die Masse: das sind immer die anderen, aber nicht wir; wir sind es nur insoweit, als wir es auch für die anderen sind. Hierbei wirkt der fatale Mechanismus mit: Gerade dadurch, daß man sich über die Masse erhebt, wird man selbst Teil der Masse. Hierauf bezieht sich die Idee der Übernahme der Sünden der Welt, mit der dann wiederum allein die Kraft der Sündenvergebung sich begründen läßt.
In der Geschichte des Massenbegriffs ist der Zusammenhang von Empörung und Fall zur Gemeinheitsautomatik zusammengeschlossen. Nach dem gleichen Schema reagiert jegliche Empörung (jede exkulpatorische Nutzung des moralischen Urteils, mit dem ich mich von der Tat distanziere: Zusammenhang mit dem Begriff der „Tatsache“; die Geschichte der Philosophie ist in diese Geschichte des Massenbegriffs verstrickt).
Anima naturaliter christiana: Der Satz läßt sich variieren: Natura mortaliter christiana. Das, was wir Natur nennen, ist abgestorbenes Christentum, Folge und Ausdruck der Sünde wider den Geist. Die Sünden der Welt: Deren Inbegriff ist die Natur, und zwar als Todsünde. Hierauf bezieht sich das Wort vom Kelch in Gethsemane.
Die Kausalverknüpfung von Sünde und Schuld, zusammen mit dem Konzept, daß Jesus die Sünde der Welt hinweggenommen hat, ist die Kehrseite der sprachlichen Verknüpfung des Indikativs mit dem Imperativ, aus dem die Ontologie den Schein ihrer Tiefe gewinnt (durch Begriffe wie Geschehen, Ereignis, Eigentlichkeit, Vollzug, vor allem durch den Existenzbegriff selber: Fundamentalontologie als Kommando der subjektlosen Welt).
Wer die Vergangenheit nicht antasten will, wer nicht daran rühren will (wer 2000 Jahre Christentum für einen Wahrheitsbeweis, anstatt für das Gegenteil, hält), wer sich davon glaubt fernhalten zu können, verbaut sich die Zukunft (eben darauf bezieht sich das dem vierte Gebot beigefügte Versprechen).
Wenn man sich daran erinnert, daß Adorno durch sein Wirken in einem kleinen Geschichtsaugenblick uns wieder Luft zum Atmen gegeben hat, dann braucht man diesen Satz nur ins Griechische zu übersetzen, um eine kleine Ahnung davon zu bekommen, was die Idee des Heiligen Geistes real bedeuten könnte.
Der prophetische Satz, daß der Geist die Erde bedecken wird wie die Wasser den Meeresboden, hat sein spätes Echo in der Apokalypse, wo es heißt: Und das Meer wird nicht mehr sein. Hierher aber gehört auch die Geschichte vom Kleinglauben des Petrus, der bei dem Versuch, wie Jesus auf dem Wasser zu wandeln, versinkt mit dem Ruf: Herr hilf mir, ich ertrinke. Ist nicht das Dogma dieser Kleinglaube? Und sind diese Wasser nicht seit Thales die Philosophie?
Wenn Aristoteles etwas mit dem einen unreinen Geist zu tun hat, dann die Hegelsche Philosophie mit den sieben unreinen Geistern. -
23.10.92
Worauf bezieht sich Joh 73f: „Da sagten seine Brüder zu ihm: Geh von hier fort, und zieh nach Judäa, damit auch deine Jünger die Werke sehen, die du vollbringst. Denn niemand wirkt im Verborgenen, wenn er öffentlich bekannt sein möchte. Wenn du dies tust, zeig dich der Welt! Auch seine Brüder glaubten nämlich nicht an ihn. Jesus sagte zu ihnen: Meine Zeit ist noch nicht gekommen, für euch aber ist immer die rechte Zeit. Euch kann die Welt nicht hassen, mich aber haßt sie, weil ich bezeuge, daß ihre Taten böse sind“? – Vgl. hierzu Joh 129.
Die Kirche als Institution der kritischen Freiheit des Glaubens (Metz, S. 108): war das nicht (in den sechziger Jahren) eine zeit- und systembedingte Fehleinschätzung, die korrigiert werden sollte durch die andere „Einschätzung“, die immer unabweisbarer zu erden scheint: die Kirche als das steinerne Herz der Welt (unter Hinweis auf die Geschichte der Leugnungen Petri und in Erwartung des Hahnenschreis)?
Ist das Nichts, woraus nach der traditionellen Theologie die Welt erschaffen ist, die Rückseite, die abzuarbeiten wäre, um endliche in eine Theologie im Angesicht Gottes hineinzukommen?
Die Kritik der Verdinglichung ist die Abarbeitung des blinden Flecks in uns selbst. Die gegenständlichen Repräsentanten dieses blinden Flecks sind die Begriffe der Philosophie, neben dem des Seins insbesondere die des Wissens, der Natur und der Welt (die Zentralbegriffe der Systemfolge des nachkantischen Idealismus).
Hat die Benennung der Tiere durch Adam etwas mit der Konstituierung des Tierkreises zu tun?
Wer war der Engel, mit dem Jakob in der Nacht gekämpft hat?
Zum Verhältnis von Name und Begriff:
– Der Begriff der Barbaren erscheint bei den Griechen als Begriff, bei den Hebräern als Name; die Verwandlung in einen Begriff erfolgte durch die projektive höhnische Verdoppelung des Namens (des ‚br; und des bara?).
– Als Name verwendet, wird der Begriff der Person zum Schimpfwort. Und das ist die crux der Trinitätslehre (die niemals Namenlehre werden kann, sondern an den Begriff und das Hinter dem Rücken gefesselt bleibt).
Wird damit nicht der Kern des Problems der Beziehung von Name und Begriff aufs genaueste bezeichnet? Und liegt hier der Schlüssel zur Befreiung der Hegelschen Philosophie vom Bann des Begriffs?
Die Hegelsche Idee des Absoluten ist der Inbegriff des toten Gottes, der sein Leben nur an den sterblichen Göttern der Staaten hat. -
22.10.92
Die thomistische Unterscheidung von Natur und Übernatur ist durch den Weltbegriff vermittelt, ein Versuch, im Begriff der Übernatur den Bann des Weltbegriffs zu brechen (vgl. Metz, S. 84). Reicht der Begriff der Übernatur noch, nachdem der Naturbegriff das christliche Erbe als restlos säkularisiertes ganz in sich aufgenommen hat?
Das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ enthält die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit. Erschreckend bei Metz die Verwerfung der Erinnerungsarbeit (gegen Heidegger und Hegel), die aber zusammenpaßt mit dem Akzeptieren (der „Annahme“) der Welt.
Metz, S. 90: Die „Metaphysik“, das Jenseits der Physik, ist die Welt.
Jean Amerys Frage „Wie natürlich ist der Tod“ sagt mehr über den Begriff der Natur als über den Tod. Natur ist das Diesseits der Todesgrenze, die durch die Welt definiert, „gezogen“ wird. Und das ist das Entsetzliche am Selbstmord: die Kapitulation vor der Welt.
Die drei Momente der Zeit, aus denen Kant die Dreidimensionalität des Raumes abzuleiten versucht hat: Dauer, Folge und Zugleichsein, sind ein innerzeitlicher Reflex des Inertialsystems: der Systembeziehung von Materie (Dauer), Zeit (Folge) und Raum (Zugleichsein), die dann in den apriorischen Kategorien Substanz, Kausalität und Wechselwirkung sich niederschlagen.
Der Weltkonformismus der christlichen Theologie (die Lehre von der bereits geschehenen Erlösung der Welt durch den Kreuzestod Jesu) ist Ausdruck objektiver Verzweiflung.
Gottessohnschaft als double-bind: Imgrunde glaubt niemand mehr daran, denn wenn sie daran glaubten, wäre das Bekenntnis dazu nicht mehr notwendig, das zu dem Glauben nichts hinzufügt. Das Bekenntnis ist nur notwendig, um durch kollektive Absicherung den eigenen Unglauben zu verdrängen (Modell der Todesgrenze in der Religion).
Überzeugen ist unfruchtbar, Überreden ist Mord. Beide stehen unter dem Zwangsgesetz des Exkulpationstriebs, in dem die Erbschuld sich fortpflanzt. Dieser Exkulpationstrieb ist begründet in der Weigerung, die Sünden der Welt zu übernehmen, in der Nachfolge-Verweigerung. So tief reicht der Satz aus den Soziologischen Exkursen: Ideologie ist Rechtfertigung.
Hängen die Ideen von der Unbefleckten Empfängnis und von der Virginitas mit dem Satz aus dem Psalm (10914) von der Schuld der Väter und der Sünde der Mutter zusammen? Und ist das nicht der Hintergrund für die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen nach der Märtyrerzeit in Confessores und Virgines? Sind die Adam und Eva-Geschichten nicht Varianten dieses Psalmenworts, bis hin zum Fluch nach dem Sündenfall? Und wie verhält sich dieses Psalmenwort zum vierten Gebot? Und ist vor diesem Hintergrund das Täuferwort nicht doch genau zu übersetzen: mit „Sünden der Welt“ (in denen die Schuld der Väter gründet)?
Kapitalismus als Opfer ohne Lehre: Die Sünde der Welt: ist das nicht die Erinnerung an die Sünde der Mutter (Ps 10914), an das Matriarchat?
Zu Schuld und Sünde (zu Ps 10914):
– Ps 517: Siehe, in Schuld bin ich geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.
– 5111: Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden und tilge alle meine Schuld.
– Jes 1218: Wehe denen, die Schuld herbeiziehen mit Seilen des Nichts, und die Sünde wie mit Wagenseilen. (Verhältnis von Welt und Natur?)
– 279: … die Hinwegnahme seiner Sünde.
– 5311: Und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen.
– Die Schuld ist groß, die Sünden sind zahlreich (Jer 3015).
– Hos 48: Die Sünde meines Volkes essen sie, nach ihrer Schuld verlangen sie.
– 99: Er wird an ihre Schuld denken, wird ihre Sünde heimsuchen.
Erst das Recht und der Begriff bringen Sünde und Schuld in jene systembegründende und verdinglichende Kausalbeziehung, aus der sie ebenso zu lösen sind wie aus der Bekenntnislogik, dem Inertialsystem und der Lohnarbeit, wenn man Theologie im Angesicht Gottes treiben will (vgl. das Verhältnis von Schuld und Sünde in Ps 10914). Hier ist der Grund bezeichnet, weshalb der Sündenfall mit der Erkenntnis des Guten und Bösen beginnt, und weshalb seitdem moralische Urteile (und mit ihnen das Geschwätz, hierarchische Herrschafts- und Erkenntnisstrukturen und Kriege) zur Geschichte des Sündenfalls gehören. Deshalb gründen Recht, Philosophie und Mythos wechselseitig ineinander. Und deshalb läßt sich mit Moral keine Politik machen (aber auch nicht ohne sie).
Sünde und Schuld verhalten sich wie Tat und Urteil, Prädikat und Begriff. So ziehen sie den Objektbegriff und die transzendentalen Formen der Anschauung zwangsläufig nach sich.
Die Hebräer sind die, die als Fremde im Lande leben; deshalb sind sie Sklaven, Söldner und Kleinviehnomaden.
Der kirchliche Erlösungsbegriff glaubt sich von der Erinnerungsarbeit dispensieren zu können; damit perpetuiert er jedoch den Bann des Welt- und des Bekenntnisbegriffs, das Formgesetz des Dogmas.
Gegen Metz: Nicht „schöpferisch-kritisch“, sondern kritisch, befreiend und erhellend. Das „Neue“ ist nicht Produkt einer „schöpferischen“ Tat; es konstituiert sich vielmehr in einer Konstellation von Ursprung und Ziel. Es schließt die Erinnerungsarbeit, und als Tat das Lösen (die „eingreifende Erkenntnis“) mit ein. (Im 5. Kapitel, S. 107, aber auch schon vorher, wird „schöpferisch kritisch“ durch „kritisch befreiend“ ersetzt.)
Heidegger und Hegel: Den Geburtsfehler der Philosophie, den Hegel versucht hat abzuarbeiten, hat Heidegger zu ihrem einzigen Inhalt gemacht.
Zu den sieben unreinen Geistern: Was jetzt in Erlangen passiert (die organische Erhaltung des Lebens einer „hirntoten“ schwangeren Frau, um das Leben des Embryos zu retten), ist das reale Beispiel für unreine Begründungen, für gleichsam prophylaktische, nach außen gewendete Rechtfertigungstheorien, um dahinter ganz andere Interessen durchsetzen zu können (sowohl kirchliche: die Erprobung von Argumenten, die auch in der Abtreibungsdiskussion nützlich sein könnten, als auch reale Karriereinteressen der Ärzte, die so in die Lage versetzt werden, Menschenexperimente nach außen abzuschirmen). Es gehört in die Geschichte der Feigenblätter, die die Blöße bedecken sollen. Aber wie verhält sich das Aufdecken der Blöße zur Übernahme der Sünde der Welt?
Weitere Beispiele unreiner Begründungen:
– die immer wieder beschworene „marode sozialistische Kommandowirtschaft“, hinter der sich alle Fehler, die man selbst im Einigungsprozeß begangen hat, so schön verbergen lassen;
– die „Selbstmorde“ in Stammheim, ein Beispiel doppelseitiger unreiner Begründungen: ob es nun Morde oder Selbstmorde waren, von einer Seite war es in jedem Falle ein Fall unreiner Begründungen;
– schließlich das Verhältnis von Kritik und Rechtfertigung des Kapitalismus: beide sind Beispiele unreiner Begründungen. -
20.10.92
Der Weltbegriff, mit dem wir es heute zu tun haben, unterscheidet sich vom antiken durch den Systemcharakter, durch das Moment der Selbstbegründung: durch den transzendentallogischen Objektbegriff und durch die Selbstbegründung des Warencharakters der Dinge nach der Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, oder durch die Beziehung beider zur Urteilsform. Der moderne Weltbegriff ist Ausdruck des Sieg der Subjektivität.
Wichtiger noch als die Säkularisierung der Theologie, scheint mir, ist die Säkularisierung der Teufelsvorstellungen, die Aufdeckung des fundamentum in re der Namen Satan, Diabolus und Daimon.
Was ist das: „Ereignis des Christentums“, „Christusereignis“? Ereignis ist das Korrelat des Erlebnisses, es tritt ohne unser Zutun ein, ist wie das Erlebnis isoliert, aber damit fähig, in ein Possessivverhältnis einzutreten: ein Ereignis kann ich mir als irrationales Erlebnis zu eigen machen, ähnlich wie heute die Deutschen ihren Urlaub (deshalb Er-„eignis“? – Vgl. auch die anderen Possessivableitungen: Eigentlichkeit, Meinung, Allgemeines, Gemeinheit, das „Sein“?), Zusammenhang mit dem Schicksalsbegriff. (Vgl Metz, S. 63)
Metz, S. 64: Was ist eine „Glaubenserfahrung“; setzt sie nicht die Idee einer Glaubenswelt voraus, und welche Folgen hat das (es ist eine contradictio in adjecto, die allerdings genau zum Christusereignis paßt)?
S. 68: Die Vorstellung, daß ein „alles verfügende(r), alles vorsehende(r) Gott“ auf „den Menschen“ „zukommt“, ist nach Auschwitz eigentlich nicht mehr erträglich. Das ist schlechter Jargon der Eigentlichkeit. Was auf uns zukommt, dürfte etwas ganz anderes sein.
FR von heute: Der evangelische Landesbischof von Bayern, Herr Hanselmann, weist zu Drewermann darauf hin, daß die Erlösung an die Gottessohnschaft Jesu gebunden sei (d.h. wer diese in Frage stelle, leugne jene). Aber ist diese Erlösung nicht eine, die voraussetzt, daß Ihm (durch mythische Vergöttlichung) die ganze Schuld aufgebürdet wird: ist sie damit nicht doch zu teuer erkauft? Und wissen nicht imgrunde alle, auch Hanselmann, daß dieses Konzept die Erlösung ad calendas graecas hinausschiebt, d.h. die Garantie enthält, es werde schon nicht eintreten?
Der christliche Schöpfungsbegriff, den Metz unreflektiert übernimmt, ist insoweit auch ein philosophischer (kein theologischer), als er durch seine Beziehung auf den Weltbegriff (die in der Institution des Privateigentums gründet) innerhalb dieser philosophischen Possessiv- und Allgemeinheitsordnung bleibt. Durch den Trick der Idee einer creatio ex nihilo glaubte die christliche Theologie über die griechische Philosophie (und deren Leugnung der Schöpfungsidee) hinauszukommen, hat damit jedoch das Problem in einer Weise verschärft, daß die Gemeinheit seitdem sehr tief in der Theologie angesiedelt und nicht mehr daraus zu entfernen ist. Hier liegt der Grund jener seitdem (über das Dogma bis in die Ursprünge und die Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung) sich durchsetzenden Objektivierungstendenz, die heute die theologische Tradition aufzuzehren droht. Durch die Lehre von creatio mundi ex nihilo ist die Leugnung der Schöpfungsidee in den Schöpfungsbegriff mit hereingenommen worden. Und der Preis ist jene Opfertheologie, auf die der bayerische Landesbischof Hanselmann sich bezieht, wenn er gegen Drewermann (der anders zu kritisieren wäre) bemerkt, daß es ohne die Gottessohnschaft Jesu keine Erlösung gebe.
Das Dogma wird wahr, wenn es gelingt, es aus der objektivierenden Einstellung herauszunehmen und unters Gesetz der Nachfolge zu bringen. Aber das hätte die siebenundsiebzigfache Umkehr zur Folge, und danach sähe alles ganz anders aus.
Drewermann wäre nur vorzuwerfen, daß sein Form der Adaptation der Theologie das Nachfolgegebot zu umgehen trachtet, damit aber in den Kontext der Gottesfurcht-Vermeidungs-Strategien hineingerät. Und genau das ist sein kirchliches Erbe. Seine Theologie ist eine um die Welt gekürzte Theologie, und deshalb Tiefenpsychologie.
Ist die kirchliche Theologie nicht der Rückschritt von dem Fell, das Gott den Menschen nach dem Sündenfall gegeben hat, damit sie ihre Scham verdecken, zu den Feigenblättern?
Zum Mannesalter, auf das Karl Thieme einmal hingewiesen hat: Es sieht so aus, als ob die Theologie heute um keinen Preis erwachsen werden möchte.
Wie tief verwirrt muß Otto Schily sein, wenn er den Tod von Petra Kelly und Gert Bastian glaubt dazu nutzen zu können, den Grünen eins auszuwischen (und das noch vor Klärung der Todesursache).
Der erste, der die Schulphilosophie zur Weltphilosophie gemacht hat, Immanuel Kant (der mit Vornamen nicht nur so hieß), hat damit gleichzeitig das Motiv der Sünde der Welt, die die Philosophie seitdem mit zu übernehmen hat, kenntlich gemacht. Aber darüber sind seine Nachfolger hinweggegangen. War Kant nicht der erste Christ?
Ausgangspunkt der falschen Transzendenz nach Kant (im Begriff des Absoluten, der kein Gottesname ist) war die Fichtesche Absolutierung des Wissens.
Erinnerungsarbeit heute ist der Versuch der Aufarbeitung der Ursprungs- und Entwicklungsgeschichte des blinden Flecks, der uns alle – die Theologen eingeschlossen – zu Atheisten macht. Diese Geschichte ist beschrieben in der von den drei Verleugnungen Petri. Und in dieser Geschichte ist der Name des Petrus (Kephas) begründet. (Bezieht sich darauf nicht auch die Frage Maria Magdalenas und der Frauen, als sie zum Grabe eilen: Wer wird uns den Stein fortwälzen? Ist Petrus der Stein, der das Grab verschließt? Jedoch der Stein vorm Grab heißt lithos, nicht kephas. Haben die drei Tage im Grab etwas mit den drei Leugnungen Petri zu tun?)
Welcher hebräische Ausdruck steht am Ende des Jonas-Buchs, in dem: „und so viel Vieh“, für den Namen Vieh? Unter den Haustieren sind nur zwei Raubtiere: die (ägyptische) Katze und der (babylonische) Hund. Die übrigen Haustiere sind Behemoth: grasfressendes Vieh. Wenn auch das grasfressende Vieh am Ende des Buches Jona Behemoth ist, steht das dann nicht in Beziehung zum grasfessenden Nebukadnezzar im Buch Daniel? Und sind nicht eigentlich die Herren auch Behemoth, tendentielle Haustiere?
Die Hebräer waren in Ägypten geächtete Kleinviehnomaden (Schafhirten); die Austreibung der Dämonen verweist sie auf die Schweineherde, die bei den Juden geächtet war. Die Christen sind Schweinefleisch- und Blutwurstfresser: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe.“
Die Schuldvergebung im NT ergibt nur Sinn im Kontext der Übernahme der Sünde der Welt , in die die Schuld aller mit eigneschlossen ist.
Zur Unterscheidung von Sünde und Schuld vergleiche Ps 10914 (über die Schuld der Väter und die Sünde der Mutter).
In Ps 1142 werden das Heiligtum und das Reich auf Juda und Israel verteilt; vgl. dazu die Bemerkungen von Gordian Marshall und Michael Hilton zu Jude und Israelit. Sind die Juden vielleicht tatsächlich durch Auschwitz wieder zu Israel geworden? Jesus kommt wie David aus dem Stamme Juda (der Antijudaismus und der daraus hervorgegangene Antisemitismus tragen projektive Züge: wir sind die Juden, die wir in den anderen verfolgen).
Die Ödipus-Geschichte bezeichnet nicht nur einen individualpsychologischen, sondern zugleich einen welthistorischen Sachverhalt: die Geschichte der Ich-Bildung, des Ursprungs des Realitätsprinzips und des Weltbegriffs. Hier wird es deutlich: der Weltbegriff ist Erbe und Produkt des Mythos; er nimmt in der christlichen Tradition die gleiche Stelle ein wie in der jüdischen Tradition die Idolatrie, der Sternen- und Opferdienst. Auch der Mythos verdankt der Verdinglichung der benennenden Kraft der Sprache: hier wurden Metaphern zu Götzen. Und diese Götzen wurden überflüssig, nachdem die Metaphern irrational geworden sind und das Prinzip der Verdinglichung rein sich durchsetzte durch den Weltbegriff (gleichzeitig mit der Absicherung des Privateigentums durch das Institut des Rechts).
Die Ursünde der Theologie war es, diesen Weltbegriff im Banne des Weltbegriffs und unter Umgehung des Nachfolgegebots, der Forderung, die Sünde der Welt zu übernehmen, naiv gegenständlich übernommen hat. Sie ist damit in Probleme hineingekommen, die sie nicht mehr hat lösen können. Die Geschichte der Häresien ist die Geschichte des beginnenden Bewußtseins dieser Probleme, die dann aber durch die Verurteilung der Häresien (im Prozeß der Dogmenbildung) nur verdrängt, nicht gelöst worden sind. Die Dogmen sind die Narben dieses traumatischen Prozesses. Zentral (und paradigmatisch) für die theologische Erinnerungsarbeit wäre die Aufarbeitung des Anfangs und des Endes der Geschichte der Häresien, nämlich
– des Gnosis-Problems: des aufkommenden Bewußtseins, daß die Lehre von der Erschaffung der „Welt“ falsch ist (die Welt ist in der Tat nicht von Gott, sondern vom Demiurgen: vom Staat erschaffen; vgl. den Zusammenhang des Absoluten mit der Lehre vom Staat im Hegelschen System), und
– der Reformation, mit dessen Entstehung die Kirche ihre häresienbildende Kraft verloren hat, durch Abschluß der Weltanpassung der Theologie (Bekenntnisbegriff und Rechtfertigungslehre).
In diesem Zusammenhang erweist sich die Bemerkung Hanselmanns als Beleg dafür, daß die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst hat.
Die Theologie verkörpert eine Gestalt der Erkenntnis, die das Intimste und das Öffentlichste zugleich umfaßt: das hängt mit ihrer Stellung zur Welt zusammen. Aber es macht den Schritt ins Öffentliche so schwer, wenn man das Intimste, an dem die Wahrheit hängt, nicht verraten will. Der Begriff der Öffentlichkeit ist selber ein Aspekt des Weltbegriffs: erst seit der Konstituierung des Weltbegriffs gibt es Öffentlichkeit. Und die Geschichte der Öffentlichkeit hat teil an der Geschichte des Weltbegriffs und an der Geschichte des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs, den der Weltbegriff bezeichnet.
Die Geschichte der Theologie steht unter dem logischen Zwang, den der Weltbegriff auf sie ausübte. Welt und Natur sind keine Objektbegriffe, sondern transzendentallogische Totalitätsbegriffe, Begriffe, die den mundus intelligibilis so vorstrukturieren, daß die zentrale Kategorie der theologischen Erkenntnis, die der Umkehr, neutralisieren.
Zur Kritik der transzendentalen Logik: Indem das Subjekt sich über das Objekt zu erheben vermeint (theologisch: sich „empört“), fällt es selber darunter. Hier liegt der Zusammenhang von Empörung und Fall, und die Begründung des Satzes: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Der damit zusammenhängende Satz: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, bezeichnet zugleich den Grund dessen, was bei Hegel Weltgericht heißt, und eher als Abkömmling des mythischen Schicksals (das als verinnerlichtes im Begriff überlebt) sich begreifen läßt, denn als anderer Name fürs Jüngstes Gericht, mit dem es immer verwechselt wurde: Das Jüngste Gericht wäre vielmehr das Gericht der Barmherzigkeit über das Weltgericht.
Jede Empörung ist ein Aufdecken der Blöße. Bei dem Satz des Täufers: „Ecce agnus dei, qui tollit peccata mundi“, ist daran zu erinnern, daß Er uns wie Schafe unter die Wölfe geschickt hat; d.h. wir selbst unter dem Namen des Schafes, das die Sünden der Welt auf sich nimmt.
Der Hegelsche Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Entstehung des Pöbels zu steuern (Rechtsphilosophie), bezeichnet genau die Grenze seiner Philosophie. Dagegen setzt die Prophetie das Votum für die Armen und die Fremden (die „Barbaren“, die bei Hegel unter dem Begriff des Pöbels erscheinen).
Jericho und Sodom als Symbole der Fremdenfeindlichkeit: Beide werden zerstört. Aber was bedeutet es, daß Rahab eine Hure ist, und Lot als Ersatz seine Töchter anbietet (die gleichen Töchter, die ihn später trunken machen, um nicht ohne Kinder zu bleiben, und sei es um den Preis des Inzests). Beide: Rahab und (über die Moabiterin Rut) eine der Töchter Lots (und damit auch Lots Weib, die im Angesicht der Katastrophe zur Salzsäule erstarrt) gehören zum Stammbaum Jesu. -
19.10.92
Vorne und Hinten, Rechts und Links: ihre Verwechslung läßt die räumliche Beziehung von Oben und Unten unberührt, verkehrt aber ihren Sinn (macht Theologie zur Herrschaftsideologie). Nur über die Aufzehrung des Rückens im Angesicht und über die Vereinigung der Gerechtigkeit mit der Gnade läßt die Theologie sich neu begründen, eröffnet sich das andere Oben (Stephanus: „Ich sehe den Himmel offen und den Sohn zur Rechten des Vaters sitzen“). Haben die Versuchungen Jesu hiermit etwas zu tun, und steckt darin die Beziehung zu den drei Verleugnungen Petri?
Hat Jesus dann nicht doch den drei Versuchungen nachgegeben und versucht,
– aus Stein (Kephas) Brot zu machen,
– sich von der Zinne des Tempels zu stürzen in der Erwartung, daß die Engel ihn auffangen (und er nach drei Tage wieder aufersteht) und
– hat dann am Ende nicht doch den Pakt mit der Macht geschlossen?
Oder genauer: Hat nicht die Kirche diesen drei Versuchungen nachgegeben und sind das die drei Verleugnungen?
Die gleichzeitige Vertauschung von vorn und hinten und von rechts und links ist das Aufdecken der Blöße (oder ist es die Vorstellung vom den Sohn zeugenden Vater: die Trinitätslehre?).
Persona, die Maske: der Ersatz des Angesichts und die Teilhabe an der Herrschaft (Vergesellschaftung von Herrschaft als Ursprung des Weltbegriffs). Person ist das Rechtssubjekt, die Seele dagegen der Addressat der Gnade. Mit der Erfahrung der Gnade verschwindet auch die Seele (Luthers Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“). Die Erfahrung der Gnade aber verschwindet mit der Durchsetzung des Personbegriffs (die die Seele zum apriorischen Objekt der Anklage macht, Grund der transzendentalen Logik: Das Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können, ist der unendliche Rechtfertigungstrieb, der sich an der Neutralisierung der Welt abarbeitet). Nur dort, wo beide, die Seele und die Person, durch Umkehr sich finden:
– die Person durch Verzicht auf Rechtfertigung und Übernahme der Sünde der Welt , und
– die Seele durch Verzicht darauf, den gnädigen Gott für sich haben zu wollen, ihn statt dessen für die anderen erstrebt,
bildet sich das Antlitz.
Wird das Bilderverbot nicht in der philosophischen „Überwindung“ des Mythos falsch verstanden? Hier – und so hat es die Vätertheologie übernommen – sieht es so aus, als würden die Bilder bloß abgeschafft, während es in Wahrheit darauf ankäme, die Bilder zum Sprechen zu bringen. Die Philosophie macht die Bilder stumm, und das ist die logische Folge davon, daß sie das Werk der eigenen Hände sind. Die Bilder zum Sprechen bringen aber heißt, die benennende Kraft der Sprache wiedergewinnen (die Macht des Schicksals aufbrechen).
Wenn man die jüdische Tradition mit dem Mythos in Verbindung bringt, redet man immer (Goldziher und Ranke-Graves) vom „hebräischen“ Mythos. Diese Bezeichnung trifft den Sachverhalt genauer, als die Autoren selber wissen. Ist nicht der falsche Gebrauch des Namens der Hebräer der Beginn der Remythisierung der jüdischen Tradition und der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache? Macht man die Juden nicht dadurch, daß man sie Hebräer nennt, zu Barbaren, die dann auch einen Mythos haben müssen, und die deshalb hinter den griechischen Mythos zurückfallen, weil sie der projektiven Kraft des griechischen Mythos beraubt sind. Denn nur der griechische Name der Barbaren trägt projektive Züge: sie sind es selber, während der Name der Hebräer gerade durch das reflektorische Element, das darin enthalten ist (Fremdbezeichnung als Selbstbezeichnung), die Aufzehrung des Mythischen bezeichnet.
Das offenkundige Geheimnis der Blüte und des Baumes begreifen: Die Blüte ist das Antlitz, und der Baum hat die Krone. Ist es ein Zufall, daß die Jotam-Fabel sich auf die Bäume bezieht, die allesamt keine Könige sein wollen, mit der einen Ausnahme des Dornbuschs?
Zu Metz: Ist es nicht doch ein wenig unverständlich, wie man nach Auschwitz sagen kann, diese Welt sei (im Christusmysterium) von Gott „angenommen“? Umgekehrt: Der Weltbegriff bezeichnet genau die Sperre, die Gott im Wege steht, die ihn hindert einzugreifen, an der er leidet. Hierauf bezieht sich die der Kirche (das aber heißt: uns) übertragene Kraft zu lösen. (Die Theologie des „Angenommenseins“, die heute in der Kirche offensichtlich eine logische Kluft überbrücken soll, ist mir insgesamt sehr unheimlich, Ausdruck des überbordenden Exkulpationstriebs, der Unfähigkeit zur Gottesfurcht. Folge der Privatisierung des Lösens in der Bußtheologie.)
Kafkas Theologie: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.
Der Raum wird widerlegt durch die Differenz von Täter und Opfer (durch die Ungleichnamigkeit moralischer Gebote, die dem anklagenden Gebrauch, der urteilenden Anwendung auf andere, sich entziehen). -
23.02.91
Transzendentale Bekenntnis-Logik: Das instrumentalisierte Bekenntnis (Bindung durch Komplizenschaft) resultiert aus der Umkehrung der Idee der Versöhnung und gehorcht der Kriegs-Logik (Telos und Ernstfall des Herrendenkens) und stabilisiert sie: es ist ein Bekenntnis gegen einen Feind; die identitätstiftende Funktion des Feindbildes hängt mit der ausgrenzenden Funktion des Bekenntnissyndroms zusammen (von der Abspaltung der Häresien bis zur Verfolgung derer, die mit dem Feind sympathisieren). Das Feindbild hat hierbei Sündenbockfunktion: Es stabilisiert die erforderliche Verdrängung, indem sie das Verdrängte nach außen projiziert und durch den eingebauten Wut-Mechanismus unkenntlich macht. Die Bekenntnis-Logik konstituiert das transzendentale Subjekt und den Idealismus (auch den, der sich materialistisch nennt: erkennbar an der häresienstiftenden Kraft des Marxismus); sie ist deshalb so schwer kritisierbar, weil sie in die Struktur des Ich mit eingebaut ist (das Realitätsprinzips gehorcht der Logik der Empörung).
Die Bekenntnis-Logik verletzt das Gebot der Feindesliebe.
Wo steckt das Bekenntnis in der „Kritik der reinen Vernunft“?
Wer der Bekenntnis-Logik sich unterwirft, wird unbelehrbar (ist potentiell Antisemit). Zusammenhang mit der Säkularisations-Geschichte.
Das „Freilegen der Zukunft“ (Metz in „Welches Christentum hat Zukunft?“, S. 70): nur durch Erinnerungsarbeit, durch Abarbeiten der Last der Vergangenheit (Erkenntnis nicht neutral; es gibt eingreifende Erkenntnis; Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das Prinzip der naturwissenschaftlichen Aufklärung -nichts ist wirklich vergangen: gegen den historischen Kolonialismus), durch Gottesfurcht und Theologie im Angesicht Gottes. Ewigkeit kein Gegensatz zur Zukunft (Übergewicht der Zukunft in der Idee des Ewigen, die die Vergangenheit von sich ausschließt: Verhält sich zum Erkenntnisbegriff der Naturwissenschaften wie deren Umkehrung). – Zwei Kriterien für jede Theologie heute: Auschwitz und die Naturwissenschaften (der Säkularisierungsprozeß; Beispiel: Dornen und Disteln; anklagendes, richtendes Denken; DdA: Distanz zum Objekt); Wiedergewinnung des Begriffs des Heiligen Geistes (parakletisches: tröstendes und verteidigendes Denken, Votum für die Armen, feministische Theologie am nächsten); Auferstehung statt Unsterblichkeit (Name statt Begriff; Kritik und Rettung der Philosophie; Differenz im Begriff der politischen Theologie: Carl Schmitts Bekenntnistheologie). Zentrale Bedeutung des Bekenntnisbegriffs (Dogmenentwicklung, Parusie-Enttäuschung, Anpassung an die Welt; Christentum als Staatsreligion; Staat als säkularisiertes Christentum; Beziehung zum Erkenntnisbegriff, zur Autonomie des Subjekts; Verdrängungsleistung; Ödipuskomplex und Zivilisation; Weltbegriff und Häresie; Feinddenken, Herrendenken; Herrschafts-, Schuld-, Verblendungszusammenhang); nicht ökumene, sondern Entkonfessionalisierung der Kirchen (Kritik des Fundamentalismus: falsche Identität von Gottesfurcht und Theologie hinter dem Rücken Gottes; steht unter dem Bann der Aufklärung, gegen die er zu kämpfen glaubt) -
23.01.91
Zu 1 Kor. 321ff (vgl. auch 1 Kor. 111f und Apg. 1824ff):
– Worauf verweist die Zusammenstellung von Paulus, Apollos und Kephas (Welt, Leben, Tod; Gegenwart, Zukunft)? – Apollos Verfasser des Hebräer-Briefes?
– Auffällig das Fehlen der Vergangenheit: Die Vergangenheit ist demnach nicht „unser“, sie liegt nicht (mehr) in unserer Gewalt; heißt das, daß wir der Vergangenheit gehören, Geiseln der Vergangenheit sind (Genealogie, Herrschaft der Logik und des Todes, Trinitätslehre), deren Macht erst in der Erlösung gebrochen wird? Macht über die Vergangenheit, das Vergangene beherrschbar machen (durch Instrumentalisierung der Theologie – z.B. durch die Opfertheologie, durch Verfügbarmachen der Geschichte – die eben so sich entzieht), ist das vielleicht die Ursünde im Christentum: Verweigerung der Gottesfurcht -Begriffslogik als Logik der Herrendenkens vergangenheitsfixiert; Instrumentalisierung des Todes, der eben dadurch Macht über die Menschen gewinnt?
– Theologie als Lehre von den göttlichen Namen ist Erinnerungsarbeit.
– Kein Zufall, daß Grabschändungen eine Spezialität von Rechtsradikalen sind: Zusammenhang mit Kohls blasphemischer „Versöhnung über Gräbern“ (zu Karl Lehmanns Bemerkung vor der Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz: das – und nicht die Erinnerungsarbeit – ist „Vergangenheitsbeschwörung“).
– Macht und Überleben: Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung von den Toten.
– Heute ist die Verantwortung erstmals voll in das Gesetz der Nachfolge gestellt: Selbstverständigung (Hoffnung aufs selige Leben) ist nur noch möglich im Rahmen einer Erinnerungsarbeit, die die ganze Schuld der Welt, und d.h. heute die ganze Schuld der Weltgeschichte aufnimmt. Wir haben in der Tat die Sünde Adams geerbt: Gottesfurcht ist das Movens dieser Erinnerungsarbeit.
– Die drei Momente der negativen Trinitätslehre (Judenhaß, Ketzerverolgung, Frauenhaß) als Folgen der versäumten Erinnerungsarbeit; Zusammenhang mit der dogmatischen Vergegenständlichung der Theologie (Abwehr der Vergangenheit; Begründung des kirchlichen Schuldzusammenhangs), dem mißverstandenen Lehrauftrag (Feindesliebe als Erinnerungsgebot gilt auch für die Kirche).
– 1 Kor. 1526ff: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. … wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrscht über alles und in allem.“
Gratia perficit naturam (S. 45): Dieser Satz gilt nur auf der Grundlage des pluralen Gebrauchs des Naturbegriffs, nicht jedoch für den Begriff einer Naturtotalität (für den modernen, säkularisierten Naturbegriff, Ersatz des theologischen Schöpfungsbegriffs). Und nicht die Kirche, sondern der Staat (das in Militär, Justiz und Verwaltung institutionalisierte Gewaltmonopol des Staates) ist „Garant der Welt“ (ebd.). Die Kirche ist Statthalter der Verheißungen: der Hoffnung im Anblick des Weltuntergangs, den der Staat (nicht nur im Krieg, sondern auch in den der Erhaltung der Welt dienenden Institutionen) durch die vom Gesetz der Welterhaltung nicht zu trennende Logik des Zerfalls bewußtlos und zwangshaft betreibt.
J.B. Metz übersieht, daß Heideggers „andenkende Erinnerung“ (S. 91) das genaue Gegenteil der Anamnese, der Erinnerungsarbeit, ist; und die „Seinsvergessenheit“ kann durchaus die fundamentalontologische Blockade der Erinnerung durchbrechen. Die Erinnerungsarbeit, Voraussetzung der Befreiung vom Bann der Vergangenheit, eröffnet erst die Zukunft, die nicht dem direkten Zugriff sich erschließt. Das Neue ergibt sich erst in der Konsequenz der Nachfolge aus der Kritik des immergleichen Alten.
Auch ist die „brüderliche Liebe zum Nächsten“ kein „Wagnis“ (S. 89), sondern das durchaus antiheroische Produkt eines verdrängungsfreien, dem Selbstmitleid entronnenen Lebens. -
22.01.91
Zu Metz: „Zur Theologie der Welt“. Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht den Theologen ihr „Wissen über Gott“ aus der Feder rinnt. Wie schnell sie den biblischen Hinweis auf die Gottesfurcht (den „Anfang der Weisheit“) beiseitelegen. In dem Zitat aus 2 Kor 119 (S. 18) wird der entscheidende Satz einfach ausgelassen, dann werden aus dem verkürzten Zitat Konsequenzen gezogen, die dem Kontext exakt zuwiderlaufen. Das Ja gilt nicht der Welt (auch nicht „dem Menschen“ – S. 51), sondern den göttlichen Verheißungen. So verbaut sich J.B. Metz schon a limine den Weg zum Verständnis des Weltbegriffs und seiner in der Tat zentralen Bedeutung für die Theologie der Geschichte: Theologie als Erinnerungsarbeit und parakletisches Denken (Kritik des realen und historischen Kolonialismus: der Hypostasen der Empörung, der Verführung zum Richten; Errettung der vergangenen Hoffnung, der Hoffnung für die Opfer und für die bis heute unabgegoltene Güte; Auflösung der den Weltbegriff konstituierenden Verdrängungen).
Ableitung der christlichen Weltkritik aus Mt. 1016: Aus der Prämisse, eine kritische Aufarbeitung der Erfahrung der Wolfswelt und eine Begründung der Güte, sei unmöglich, zieht jeder Faschismus seine zynisch-verzweifelten Schlüsse: von der Mordlust bis zur Gräberschändung.
Beispiel theologischer Hybris: Metz fragt nicht mehr, ob, sondern nur noch „wodurch (es sich) zeigt, daß unser Glaube eben ein christlicher Glaube ist, der weiß (!), daß die weltliche Welt von Gott je schon eingeholt ist, ja, daß sie in ihrer radikalen Weltlichkeit nur erscheinen kann, weil sie von Gottes befreiendem Ja jeweils schon übergriffen ist“ (S. 42, Hervorhebungen von mir, H.H.). Ein Glaube, der „weiß“, verletzt sein eigenes Prinzip; und das „je schon“ erinnert außer an die Heideggerei und den Jargon der Eigentlichkeit nicht zufällig an die Geschichte vom Hasen und vom Igel: Ick bün all do. Dabei ist das Metzsche Konstrukt nicht einfach nur erfunden, erbauliches Geschwätz, sondern es verweist auf einen sehr ernst zu nehmenden Sachverhalt: Es ist in der Tat dieses christliche Erbe eines Glaubens, der im Kontext der Geschichte des Dogmas und des Bekenntnisses, der Konfessionalisierung der Kirche(n), für sich die Form des Wissens beansprucht: Grund der anders nicht zu erklärenden Neigung des konfessionalisierten Christentums (und seiner politisch-staatlichen Erben) zur wütenden Aggression gegen jeden, der das geforderte Zwangsbekenntnis verweigert (Bekenntnis als technisches Instrument zur Nutzung des Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor). Nicht zufällig war der „Weltanschauungskrieg“ der Nazis, der in der Tradition der christlichen Ketzerverfolgungen und der Bekehrungskriege steht, einer der brutalsten Kriege der Geschichte, und dazu einer, der die Täter fast ohne das Bewußtsein von Schuld zurückgelassen hat. In diesem Kontext ist das Konzept von der „Annahme der weltlichen Welt“ und von „Gottes befreiendem Ja“ zumindest mißbrauchbar.
Die Welt ist alles, was der Fall ist (Wittgenstein): Aber das Ja und Amen ist nicht das Ja und Amen zum Fall, dessen unwiederrufliche Bestätigung, sondern im Gegenteil: das Ja und Amen zur Verheißung, daß das Opfer und die alltägliche Erfahrung des Unrechts nicht das letzte Wort sind.
Das fundamentalontologische „je schon“ ist der genaueste Ausdruck der aktiven Verdrängung, der Unterdrückung von Erfahrung, des Nicht-Wahrhaben-Wollens; es schafft genau die double-bind-Situation.
Bevor die Grundlagen der Instrumentalisierung der Welt (das Trägheitsgesetz und die Prinzipien der Mechanik) draußen entdeckt werden konnte, mußten sie (unterm Gesetz des Zwangsbekenntnisses) internalisiert und als Form der Welterfahrung schon ausgebildet und vorhanden sein. In diesen Zusammenhang gehört die ganze Säkularisierungsdiskussion.
Das Bekenntnis ist die Grundlage des Zivilisationsprozesses (die Fähigkeit zum Bekenntnis die Grundlage des zivilisierten Lebens). Aber es ist nur haltbar, wenn es die Selbstreflektion mit in sich aufnimmt.
Die kritische Selbstreflektion des Bekenntnisses ist die Voraussetzung für eine kritische Reflektion der Naturwissenschaften (und des Naturbegriffs): Einheitspunkt einer sich wechselseitig aufklärenden Natur- und Geschichtsphilosophie (einer wechselseitigen Kritik von Schelling und Hegel).
Die Naturwissenschaft ist seit Galilei das Trauma der katholischen Theologie: Grund der entsetzlichen und heute explosiv sich ausbreitenden Verwirrung.
Zusammenhang von: Bekenntnis, Empörung, richtendem Urteil, Freund-Feind-Denken, Herrendenken, Gemeinheit; Weigerung, Begriffe wie Fall und Empörung durch Definition zu entschärfen, anstatt durch Hinhören wieder in ihren theologischen Rang einzusetzen.
Ursprung der Gemeinheit aus dem Christentum: Bekenntnis als Alibi und Erinnerungsersatz; Komplizenschaft der Gläubigen; Bekenntnis als Zwangsbekenntnis des anderen; Rache für das, was man sich selbst antun muß; Christentum als Ausrede; Verdrängung und Projektion. Opfertheologie, Gnaden- und Sakramentenlehre; Rechtfertigungslehre: Ausbeutung des Leidens Jesu statt Nachfolge (Opfer statt Barmherzigkeit). Veränderung des Glaubens durchs Zwangsbekenntnis, durch Verdinglichung, durch Zeitumkehr (Rosenzweig: die verandernde Kraft des Seins. Studium der Berichte aus Auschwitz.
Daß nach Metz „das Christentum … als zunehmende Entgöttlichung und in diesem Sinne Profanisierung der Welt erscheinen (muß), als deren Entzauberung und Entmythisierung“ (S. 30), stimmt nur zum Teil und da auch nur bedingt, nämlich insoweit, als die Entmythisierung im Verhältnis zur Offenbarung, nicht jedoch zur wissenschaftlichen Aufklärung, verstanden wird. Die Entzauberung im Sinne der Säkularisation (und Instrumentalisierung, Subsumtion unter die gesellschaftliche Herrschaft) unterliegt der Dialektik der Aufklärung: Auch diese Entzauberung fällt in den Mythos zurück (nur daß er als gegenwärtiger Mythos nicht so leicht wie der vergangene sich durchschauen läßt).
Wird in dem Konstrukt „Freisetzung der Welt ins Eigene und Eigentliche“ (S. 31) nicht Sündenfall und Erlösung verwechselt? Das ist nun wirklich bürgerliches Christentum (das Proletariat wird nicht der Gesellschaft, zu der man selbst gehört, zugerechnet, sondern der im historischen Prozeß unterworfenen, beherrschten Natur. Und die Vorstellung, „in der Verweltlichung der Welt (setze sich) ein genuin christlicher Antrieb geschichtlich durch“ (S.31), erinnert an die Apartheidstheologie, an die Gleichsetzung von Kolonialismus und Christianisierung. Hierauf paßt der Horkheimersche Satz: Es gibt keine menschenfreundlichere Religion als das Christentum (die Religion der Feindesliebe), aber auch keine, in deren Namen vergleichbare Untaten begangen wurden. Daß auch diese letzteren Dinge christlichen Ursprungs sind, soll nicht bestritten werden; aber das ist dann das Gegenteil einer Rechtfertigung (und nach Rechtfertigung klingt zumindest der oben zitierte Satz). Die Theologie ist nur zu retten, wenn die Säkularisationsdebatte endlich der paranoiden Vorstellung sich entzieht, nach Galilei sei eine Kritik der Naturwissenschaften nicht mehr möglich. Sie ist nicht nur möglich; ohne diese Kritik ist die Theologie nicht zu retten: sowohl im Rahmen einer immanenten Diskussion des Stands der naturwissenschaftlichen Erkenntnis selbst, als auch als Teil einer Kritik des philosophischen und mythischen Erbes der Theologie, gleichsam als Teil ihrer Selbstbekehrung.
Die Säkularisation als Verweltlichung der Welt ist so aus Herrensicht gesehen: Ausgeschlossen sind die Juden, die Frauen, die Arbeiter, die gesamte „nichtzivilisierte Welt“; ausgeschlossen ist der Rohstoff- und der Produktionsbereich, zu der auch die Arbeitskräfte gehören (als Teil der ausgebeuteten Natur); im Blickfeld ist nur die (heile) Warenwelt. Hierauf beziehen sich auch die unreflektierten Erlösungsvorstellungen: Wer oben ist, ist dem Bann der Natur entronnen, ist befreit, ist exkulpiert. Und solange das, was unten erfahren und erlitten wird, nicht laut wird, ist die Welt in Ordnung.
Theologie nach Auschwitz ist Kritik der Theologie hinter dem Rücken des lieben Gottes (Kritik der Hybris und der Anmaßung, die vorgibt, „über Gott“ etwas zu wissen; Rosenzweigs: „Von Gott wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott“ ist die geniale Lösung dieses Problems). -
03.06.90
Drewermann/Metz:
– Strukturen des Bösen ohne Erwähnung von Auschwitz, ohne Kenntnis der bisherigen Analyse des Antisemitismus, offensichtlich ohne Kenntnis der Untersuchung des autoritären Charakters („no pity for the poor“: Weigerung, die Verantwortung für den Zustand der Welt zu übernehmen)
– Karl Thieme: Verwandtschaft von Antisemitismus und Antiklerikalismus (D.s Grenze gegen beide diffus, nicht eindeutig)
– Begriffe wie Forderung, Gebot lassen sich nicht streichen (irgendwann muß jeder die Verantwortung für den eigenen Charakter übernehmen, ohne sich noch auf fremde Schuld herausreden zu dürfen; Psychoanalyse nur sinnvoll, wenn sie bei Übernahme dieser Verantwortung hilft: „wo Es war, soll Ich werden“, andernfalls nur strategische Nutzung des Schuldverschubsystems zur eigenen Entlastung: zur Verdrängung von „Schuldgefühlen“ und zur Herstellung des pathologisch guten Gewissens)
– D. wehrt mit dem „moralischen Zwang“ eigentlich die Erinnerung an die Ehre und Würde des Subjekts (seiner Verantwortung) ab; die Psychologie ersetzt nicht die Moral, sie ist nur ein notwendiges Hilfsmittel gegen die Ideologisierung der Moral (gegen ihre Verwendung als Mittel der Rechtfertigung und Anklage – der Ankläger hat immer unrecht)
Psychoanalyse auch Prototyp, Paradigma des „Wissens“ im Sinne Benjamins.
„… Geld und Besitz in einen Fetisch absoluter Daseinssicherung zu verwandeln“ (S. 378): Dieser „Fetisch“ ist doch nun tatsächlich das transzendentale Apriori des Realitätsprinzips, des Ich, die Verknüpfung der Formen der Anschauung mit der transzendentalen Logik, Grund und Motor des historischen Abstraktionsprozesses, Konstitutionsgrund der Welt, Inhaber des Gewaltmonopols (auch gegen den Staat – kraft des Verfassungsprinzips des Eigentums), Subjekt der Rechtfertigung, der Anklage und des Weltgerichts. Diesem „Fetisch“ ist mit moralischen Argumenten nicht beizukommen. – Vergleichbar nur dem hilflosen kirchlichen Kampf gegen die Naturwissenschaften zu Beginn der Neuzeit. (Welche Bedeutung haben vor diesem Hintergrund das vatikanische Bankwesen und die deutsche Kirchensteuerregelung? – Vgl. Auch Le Goff: Die Geburt des Fegefeuers und Wucherzins und Höllenqualen – auch eine bis heute unaufgearbeitete Vergangenheit)
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30.05.90
Die Adaptation der Psychoanalyse bietet Drewermann den Vorteil, daß er zwar seine Gegner unter Anklage setzen kann, aber den „moralischen Druck“ (den er bei Metz „tadelt“) dadurch vermeidet, daß er die Moral suspendiert. Er vergißt: Das Problem der Kirche heute sind nicht die Kleriker, sondern das Problem ist der Zustand der Theologie. Und auf den Zustand der Theologie ist eher eine theologische Antwort vonnöten als eine psychoanalytische.
Die Psychoanalyse gehört wie der Marxismus zu den großen Endprodukten der europäischen Aufklärung, in denen der Primat des Verdachts sich durchsetzt; sie ziehen die Konsequenz aus dem Herrendenken der Aufklärung, gegen das sie ohnmächtig rebellieren. Herrendenken, und zwar oberlehrerhaftes, ist es, wenn Peter Eicher es Drewermann zubilligt, „Lob und Tadel“ verteilen zu müssen. Und wie tief er die psychoanalytische Schule des Verdachts verinnerlicht hat, sieht man an dem Vorwurf gegen Füssel, dem er vorhalten zu müssen scheint, daß er den Bruch mit der Kirche durch seine Konzeption selber provoziert habe(?).
Drewermann unterschlägt die Tradition; er unterschlägt, daß zum Inhalt der theologischen Erkenntnis ein affektives und ein moralisches Element gehört. Bezeichnend die Verwendung des Freud-Zitats in der Struktur des Bösen. Während Freud anerkennt, daß das Geliebtwerden-Wollen des Ich ein Teil seiner Verflechtung in den Gesamtschuldzusammenhang ist und die psychoanalytische Erinnerungsarbeit als das Medium der Aufarbeitung dieser Verflechtung in den Schuldzusammenhang sieht (wo Es ist, soll Ich werden), hält Drewermann das Ich unkritisch als Ausgangspunkt fest und ersetzt die Erinnerungsarbeit durch einen theologischen Dezisionismus.
Drewermann scheint die Differenz zwischen jüdisch-christlicher Offenbarungsreligion und dem Mythos nicht zu kennen (es finden sich sogar Anklänge an die diskriminierende Tradition des Gesetzesbegriffs). Diese Differenz, an der die Geschichte der Theologie seit den Kirchenvätern und über die Summa contra gentiles bis ins 17. Jahrhundert sich abgearbeitet hat, scheint er nicht zu kennen: Bei ihm versinkt auch das Christentum in den allgemeinen Religionsbrei, der für ihn als Psychoanalytiker, wenn er nicht die Krücke Jung benutzen würde, eigentlich nur noch Gegenstand der Kritik sein könnte. Einer Kritik, deren Modell in dem psychoanalytischen Psychosebegriff vorliegt.
Es gibt bei der Lektüre Drewermann Stellen, die provozieren, Stellen, bei denen man innehalten sollte, um zu prüfen ob der Grund der Irritation nicht in einem selber liegt. Wirklich schlimm scheint mir aber die Analogie des lebenschaffenden Gotteshauchs mit einem Furz zu sein. Hier, scheint mir, liegt ein zentraler Punkt für eine Drewermann-Kritik: Wird hier nicht die vom Christentum nicht ablösbare Lehre vom Heiligen Geist weggedrückt, sozusagen wie ein F. ausgeschieden? Ist das Pneuma wirklich nur ein Furz, ist es nur ein flatus vocis, wie es die Nominalisten genannt haben, an deren Tradition Drewermann ohnmächtig und zwangshaft gebunden bleibt. (Dagegen Umkehr des flatus vocis zur Begriffskritik, zum Sprechen des Objekts, zur Namenlehre, die den erhabenen, zarten Indifferenzpunkt bezeichnet, an dem eine neubegründete Theologie anzusetzen hätte.)
Die Anbindung an die wissenschaftliche Tradition kann zweierlei bedeuten:
– die Anbindung an das Herrendenken, das in der Wissenschaft naiv und unreflektiert sich durchsetzt und verkörpert (als Mittel der Naturbeherrschung in Natur und Gesellschaft); genau hiergegen richtete sich die Dialektik der Aufklärung: als Aufweis der Verankerung des Herrendenkens in der Struktur des Subjekts, der notwendigen Verknüpfung mit dem blinden Fleck, zu dem das Subjekt dann wird und den es selber im historischen Erkenntnisprozeß verkörpert;
– das Resultat dieser umwälzenden Arbeit des Herrendenkens (der kopernikanisch-kantischen Wende) wird akzeptiert, zur Kenntnis genommen, verarbeitet, aber in einer Form, in der der Begriff der Umkehr und das Gebot „Richtet nicht“ erkenntiskritische Relevanz gewinnen. Gegen das anklagende und richtende Herrendenken und sein Resultat wird Revision eingelegt: Begriff des parakletischen, verteidigenden Denkens. Über den Zusammenhang dieses Denkens mit der Idee des Heiligen Geistes, der dritten Person in der Gottheit, wäre nachzudenken. Hierbei wäre zu prüfen, ob nicht die Einbindung ins trinitarische Dogma, ob nicht das Abschlußhafte dieser Lehre die blasphemische Entmächtigung des Heiligen Geistes (durch Instrumentalisierung und Hypostasierung) zwangsläufig zur Folge hatte. Hier ist der Heilige Geist selbst zum Gegenstand des Herrendenkens geworden. Nicht die Lehre ist unwahr, wohl aber die Form ihrer theologischen Adaptation. Hieraus wäre die Idee eines entkonfessionalisierten Christentums, einer entkonfessionalisierten Kirche, die Kritik des Bekenntnisbegriffs und seiner Funktion in der Geschichte der Kirche, des Glaubens und im Selbstverständnis des Christen abzuleiten.
Verräterisch auch der Begriff des Bösen bei Drewermann, den er schließlich umstandslos mit der Psychose, mit dem Wahn identifiziert. Waren Hitler, waren die KZ-Schergen, waren die kleinen Denunzianten nur Psychoten? Dieses Konstrukt liegt nahe, wäre aber insoweit näher und differenzierter zu fassen, als anhand einer zeitnahen, aktualisierten Welt- und Gesellschaftskritik die (im klinischen Sinne) psychotischen Züge der Normalität aufzuzeigen und seine Abkunft aus der gegenwärtigen Gestalt des Realitätsprinzips (und des Ich) nachzuweisen wäre. Ein dialektischer Psychosebegriff hätte nachzuweisen, daß die Bahn des Realitätsprinzips heute direkt in psychotische Strukturen hineinführt. Drewermanns ungemein produktiver Erkenntniseinsatz steht durch den mimetischen Anteil, ohne den er nicht zu leisten wäre, selber in der Gefahr, diesem psychotischen Bereich zu verfallen. Die Gefahr erhöht sich in dem Maße, in dem er versucht, sie durch Projektion zu neutralisieren. Kuno Füssel und Eugen Drewermann sollten vielleicht doch gemeinsam prüfen, ob es nicht möglich ist, anhand der Beziehung zwischen dem materialistischen Begriff des falschen Bewußtseins und dem Psychosebegriff dieses Dunkel aufzuklären.
Sind die innerkirchlichen Ängste in der Endphase des Nationalsozialismus, daß nach den Juden die Kirche drankomme, die Katholiken, – waren und sind diese Ängste eigentlich so unbegründet? Ist der Schluß, den Karl Thieme nach dem Krieg daraus gezogen hat, daß auch der Antiklerikalismus Verwandtschaftszüge mit dem Antisemitismus aufweist, so unbegründet? Hier könnte es sich um Ängste handeln, deren Realteil von ihrem paranoiden Teil sich fast nicht mehr trennen läßt (Zusammenhang mit der psychotischen Struktur des Normalen?).
Kennt Drewermann eigentlich eine wirkliche Angstbearbeitung; benutzt er nicht statt dessen den lieben Gott nur als Palliativ? Sozusagen: Wer in Gottes Hand ruht – diese schöne fromme Vorstellung! -, hat es nicht nötig, Angst zu haben. Aber wird hier Angst nicht nur verdrängt, und affiziert das nicht auch die Gottesvorstellung? Gibt es überhaupt bei Drewermann eine Theologie, die dem Anspruch des Gottsuchens genügt? Leitet sich sein Gottesbegriff her von einem nicht abschließend aufgeklärten Bedürfnis (Konsumideologie, Reflex der Betreuungskirche)? Verweist nicht der Begriff einer „ontologischen Verunsicherung“ in dem Klerikerbuch auf den Dezisionismus Drewermanns? Man sollte Drewermann einen Lehrstuhl geben, aber dann die Auseinandersetzung mit ihm beginnen; es lohnt sich!
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich eingehen: Ist das nicht ein Hinweis darauf, daß das selige Leben ohne die großartige Objektivität der Kinder nicht zu gewinnen ist; jene (präödipale) Objektivität, die noch nicht durch den blinden Fleck des Ich getrübt ist, bei der die Entzündung durchs Ich noch nicht eingetreten ist.
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