Moser

  • 25.08.93

    Steckt nicht in der Vorstellung einer „von der Sintflut gereinigten Erde“ (Zenger, S. 169?) das christliche Modell einer entsühnten Welt? Ist dieses Konzept nicht doch in einem verhängnisvollen Sinne opfertheologisch, dem dann der – die Menschen zu bloßen Zuschauern objektivierende und entlastende – „Geschehens“- (und Kosmos-) Begriff entspricht.
    S. 172, Anm. 20: Das Keel-Zitat, wonach die „Vorstellung vom himmlischen Plan für einen irdischen Tempel … warscheinlich aus Mesopotamien ins AT eingedrungen“ sei, stammt aus einer geisteswissenschaftlichen Tradition, nach der sich in der Geschichte Vorstellungsmassen von einem Ort zum andern bewegen, wie feindliche Truppen in eine fremde Stadt in einen Text „eindringen“, blendet das Erfahrungsmoment in solchen Vorstellungen aus und verdrängt es.
    Philosophie als Instrument der Sprachverwirrung: Gilt die Beziehung des Tempelbaus zur Schöpfung (S. 173) nicht generell für die Geschichte der Architektur (die damit eine Beziehung zur Geschichte der Philosophie gerückt wird, die in Heideggers „Haus des Seins“ nachklingt und auf die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel zurückweist).
    Zum Turmbau von Babel vgl. das Zitat aus dem Emuna-Mythos in der Anm. 26 auf S. 174.
    In welcher Beziehung stehen eigentlich Tempel und Schrift: Steckt nicht in der Geschichte von der Auffindung der Schrift im Tempel (durch Hilkija – 1 Kön 228) mehr als ein nur zufälliger Vorgang? Drückt in dem Auffinden nicht auch etwas von der Beziehung des Autors zum Text sich aus, etwas, was es unmöglich macht, vom Willen oder von der Absicht des Autors zu sprechen? Beschreibt nicht das Auffinden auch einen wesentlichen Aspekt der Produktion des biblischen Textes?
    S 174: „Nach dem Sieg im Götterkampf über die Götter Ägyptens tritt der Schöpfergott Jahwe definitiv seine Weltherrschaft an.“ Wird hier nicht Jahwe mit Zeus, mit dem Reflex des Ursprungs des Patriarchats am mythischen Götterhimmel, verwechselt?
    Ist die Idee von einem „Heiligtum der Weltherrschaft“ bezogen auf den Tempel nicht antisemitisch?
    Das Ganze ist das Unwahre: Die Pforten der Hölle (Mt 1618), die die Kirche nicht überwältigen werden, sind die Pforten des hades, des scheol: der Unterwelt, des Totenreichs, d.h. der Natur.
    Der ungeheure Satz in Num 1333: von dem Land (Kanaan vor der Landnahme), das seine Bewohner frißt („wir sahen dort auch die Riesen“). Sh. hierzu Zenger, S. 176f.
    Haben die Säugetiere (die, anders als die Fische und die Vögel, keine Eier mehr legen) nicht das Meer und den Himmel im eigenen Innern? Und stehen die Wehen nicht in Zusammenhang mit dem Aufruhr der Meere und der Winde?
    Hat nicht Tilman Moser schon in seiner „Gottesvergiftung“ das Selbstbewußtsein eines Skins beschrieben: die Aggresson, die die Vorstellung, angeblickt zu werden, auslöst? Gehört das nicht in den Kontext einer verzweifelt abgewehrten und zugleich festgehaltenen symbiotischen Beziehung, deren Modell das Gerücht über Hitlers Blick aufs deutlichste vor Augen stellt? Hier sitzt das Gefühl, nicht geliebt zu werden, so tief, daß alles, was an die Aufforderung selber zu lieben, erinnert, Aggressionen, Mordlust auslöst: Deshalb der Haß auf die Armen und die Fremden.
    Steckt nicht in jeder Abwehr der Psychoanalyse die Abwehr der Autonomieforderung, die von ihr ausgeht?
    Wer sich ungeliebt fühlt, kennt zur Macht keine Alternative. Deshalb reizt ihn jede Erscheinung von Ohnmacht zur Wut, weil sie ihn an seine eigene erinnert. Jeder andere Ohnmächtige ist ein Konkurrent seines eigenen Liebesverlangens. (Beschreibt dieser Mechanismus nicht aufs genaueste die historische Entfaltung der Raumvorstellung?)
    Ralph Giordanos Vergleich eines Statsanwalts mit einem Ochsenfrosch trifft genau das Aufgeblasene unserer Justiz. Krankt nicht der Rechtsstaat in Deutschland auch noch in ganz anderer Weise daran, daß ihm die eigene Aufarbeitung der Vergangenheit nicht gelungen ist: Er ist zutiefst pathologisch (empfindlich) geworden, und das im Kontext einer offensichtlich irreversiblen symbiotischen Beziehung zum Staat; er ist zum Verwalter der Staatsgewalt geworden. Daß unser Recht auf dem rechten Auge blind ist, ist kein Gesinnungs-, sondern ein fast nicht mehr zu behebender Systemfehler.
    Nicht die Fähigkeit zur Schuldreflexion, sondern die zur Schamreflexion, die durch den Begriff der Kollektivscham unterbunden worden ist, ist die Grundlage der Herrschaftskritik: der Weltkritik. (Ist nicht das Schicksal der Schamzusammenhang, und nicht der Schuldzusammenhang, des Lebendigen?)
    Krankt Erich Zengers „Gottes Bogen in den Wolken“ nicht daran, daß er an der Trennung der Quellen (J, E, P, Dtr) festhält, anstatt sich auf die Konstellationen einzulassen, die mit dieser Trennung erst sichtbar wird? Beeinträchtigt nicht z.B. die Ausscheidung der Sündenfall-Geschichte, die Verdrängung des Schammotivs, des Baums der Erkenntnis, der Schlange, des Fluchs über die Schlange, Adam und Eva (mit dem Staubmotiv, den Dornen und Disteln, den Wehen) das Verständnis der Sintflut-Geschichte (vgl. z.B. die deutliche Beziehung des Spruchs Noachs über seine Söhne zum Fluch über die Schlange, Adam und Eva)? Wie verhält sich z.B. das kreisende Flammenschwert des Kerubs vor dem Eingang des Paradieses zum Bogen in den Wolken? Welche Stellen scheidet Erich Zenger aus dem Priester-Text aus (z.B. den über den Wassern brütenden Geist Gottes), aus welchen Gründen und mit welchen Folgen?
    Was fehlt:
    – eine Geschichte der Banken,
    – eine Geschichte der Architektur,
    – eine Geschichte der Sprachen,
    – eine politische Geschichte der Liturgie.
    Hat der Satz, daß es zur Prophetie die Haltung des Zuschauers nicht gibt, sondern nur die Alternative: entweder man ist selbst Porphet, oder man ist Objekt der Prophetie (und am Ende wird beides eins), nicht auch die Tendenz, die prophetische Vision, das prophetische Wort endlich wahrzumachen: daß am Ende Gotteserkenntnis die Erde bedeckt wie die Wasser den Meeresboden?
    Daß das Wort sich erfüllt, heißt das nicht auch, daß es endlich die Kraft des Namens (und das homologein sein Objekt) wiedergewinnt.
    Das in Jesus die Schrift sich erfüllt, ist ein prophetisches, kein historisches Wort. Als historisches wäre es ein blasphemisches Wort.
    Der Dekalog ist nicht harmlos: Das vierte Gebot ersetzt die Psychoanalyse, das achte Gebot die kritische Theorie.
    Mit der Philosophie müssen wir auch ihren Mangel begreifen, und hier liegt die ungeheure Bedeutung Heideggers: Er hat den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt (und damit kenntlich) gemacht.
    Wäre nicht die Trias Schöpfung, Offenbarung, Erlösung heute weiterzutreiben in die Trias Schöpfung, Prophetie, Apokalyptik? Das ändert die dynamischen Beziehungen in der Trias, stellt sie auf eine neue Basis. Im Hinblick auf den „Stern der Erlösung“ wäre das daran zu demonstrieren, daß im Falle einer christlichen Rezeption, die noch aussteht, ein affirmativer Gebrauch des Weltbegriffs nicht mehr möglich ist. Die Welt ist in jene apokalyptische Bewegung hereingerissen, die Rosenzweig um jeden Preis draußen vor halten möchte. Aber hier ist zugleich der Verdrängungspunkt der bisherigen christlichen Theologie. Im letzten Teil des Stern der Erlösung würden sich Judentum und Islam als vorapokalyptisch erweisen (und ein Christentum, das zwangshaft versucht, sich auch als vorapokalyptisch zu verstehen, hat damit zwangsläufig beide als „Erbfeinde“).
    Für das vorapokalyptische Christentum, das am affirmativen Gebrauch des Weltbegriffs erkannt wird, ist die Schöpfungslehre Teil des Herrschaftszusammenhangs, die Offenbarung (als bloße Erkenntnisquelle) Teil des Verblendungszusammenhangs, und die Erlösung (als privater Exkulpationsmechanismus) das Siegel des Schuldzusammenhangs. Zu den Folgen dieses Zusammenhangs gehört es, daß das Subjekt (der Gläubige) in diesem System in einen Trägheits- und Objektstatus gebannt bleibt. Das vorapokalyptische Christentum steht unterm Bann des von ihm selbst hervorgerufenen Inertialsystems.
    Hat das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte (und er wollte, es brennte schon), etwas mit dem kreisenden Flammenschwert des Kerubs vor dem Eingang des Paradieses zu tun?

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