Mulack

  • 04.08.93

    Jedes Urteil enthält ein projektives Element und ist in Schuld verstrickt, aber in eine Schuld, in die die Welt selber verstrickt ist: Diese Schuld ist der logische Grund des Weltbegriffs.
    Futur und Futur II sind Reflexionsformen von Imperfekt und Perfekt, davon nur durch die Prämisse einer unter die Vergangenheit subsumierten Zukunft unterschieden (Produkt einer innerzeitlichen Verschiebung: Ursprung des Naturbegriffs und seines sprachlichen Pendants, des Neutrums). Das Plusquamperfekt ist eine sprachlogische Konsequenz dieses grammatischen Eingriffs. Die hebräische Sprache kennt keinen Indikativ, diese verhängnisvolle Mischung von Präsens und Imperativ, das sprachliche Äquivalent dessen, was neudeutsch Sachzwang heißt.
    Der ungeheure sprachlogische Prozeß, in dem sich Futur und Futur II, Plusquamperfekt und Indikativ gebildet haben, auch das Neutrum (und der Welt- und Naturbegriff), hängt zusammen mit der Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung. Dessen Einheitsprinzip ist die Orthogonalität. Aber die Orthogonalität ist zunächst nur ein Strukturelement der Fläche, die selber wiederum dadurch definiert ist, daß sie auf eine und nur eine zu ihr orthogonale Richtung im Raum bezogen ist. Der Raum ist zwangsläufig dreidimensional. Der Preis für die Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: der oben bezeichnete sprachlogische Prozeß (oder die apriori positiv beantwortete Frage: if the future will be like the past).
    Die exkulpatorische Funktion der Ontologie wird erkennbar an dem unter Ontologen so beliebten Begriff des Geschehens, in das sie den Weltprozeß verzaubert. Dem entspricht das Fernsehen, das Politik und Zeitereignisse als Zeitgeschehen dem Konsum präsentiert, aber mit dem systemimmanenten Hinweis: Du bist Zuschauer und hast keine Chance, einzugreifen und die Dinge zu ändern. Mit der Betroffenheit, mit der alle auf die Darbietung des Schlimmsten reagieren (und aus dem die Fernseh-Theologie ihren erbaulichen Honig saugt), wird das moralische Subjekt, das hier ohnehin nicht mehr vorkommt, endgültig ausgelöscht. – Ist die Betroffenheit nicht eine Reflexionskategorie der Kollektivscham?
    Mit der Subsumtion unter die Vergangenheit schneiden wir den Dingen (auch dem Kreuzestod Jesu) die Zukunft ab. Was meint das Wort Name im Bekenntnis des Namens?
    Ist nicht die Beziehung des Begriffs zum Objekt (im Urteil die Beziehung des Prädikats zum Subjekt und in der Realität die des Schicksals zu seinem Substrat) eine genitivische: eine Eigentums- und Herrschaftsbeziehung (und zwar als wechselseitige oder als Reflexionsbeziehung: Grund der Unterscheidung von genitivus subjektivus und objektivus)? Der Eigentümer ist nicht nur Herr über seinen Besitz, sondern er selber wird durch seinen Besitz beherrscht („besessen“). Hier liegt der Ansatz zur Lösung des Problems des Weltbegriffs.
    Zum Antlitz des Hundes: Sind nicht alle Blickbeziehungen Herrschaftsbeziehungen, und ist das nicht der Grund, weshalb Hunde aufs Angeblicktwerden aggressiv reagieren? Der freie Blick ist etwas davon deutlich (nämlich durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion) Unterschiedenes; er schließt die Umkehr mit ein, die Fähigkeit zur Reflexion der Intentionalität. Frei ist nur, wer den Rechtfertigungszwängen und der in den modernen Erkenntnisbegriff mit eingebauten Projektionsautomatik entronnen ist: Notwendigkeit einer Logik des Angesichts (das Gesehenwerden durchs Objekt und das Hören aufs Objekt in das Sprechen übers Objekt mit hereinnehmen)!
    Die Probleme des dritten Buchs im zweiten Teil des Sterns der Erlösung (die Probleme des Rosenzweigschen Erlösungsbegriffs) hängen zusammen mit den Problemen im zweiten Buch des ersten Teils des Stern (mit den Problemen des Weltbegriffs). Hier wird deutlich, was die jüdische Tradition in der Rosenzweigschen Fassung vom Christentum unterscheidet; aber diese Differenz war zwangsläufig, weil sie im Christentum selber bis heute nicht begriffen ist.
    Nicht der Erste Weltkrieg, sondern Getsemane ist das Korrelat des Anfangs des Sterns.
    Stern, S. 37: „Die Natur ist stets die eigene Natur der Götter.“ Darin steckt schon der christologische Naturbegriff.
    S. 153: Der Begriff einer Schöpfung aus Nichts „enthält die Leugnung des Chaos“; er ist ein Instrument der Leugnung und Verdrängung der Vergangenheit, der Diskriminierung der Erinnerung und der Verhinderung von Herrschaftskritik: Vor dem Ursprung des Weltbegriffs war nichts. Wenn doch etwas war, was nicht mehr zu leugnen ist, muß es dem Weltbegriff angeglichen und subsumiert werden (wie im Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit).
    Ebd.: Mit der Urteilsform ist die „Vorstellung“ eines Unvorstellbaren: einer unendlichen Vergangenheit, mitgesetzt.
    Zur Sünde der Welt: „Die Seele ist ihrer Last ledig im Augenblick, wo sie sie ganz auf die Schultern zu nehmen gewagt hat“ (S. 201).
    Ontologie und Umkehr: Das Sein, als allgemeines Possessivverhältnis, ist die Umkehr der Gnade, der Barmherzigkeit; daher seine „verandernde Kraft“ (Instrumentalisierung durch Vergegenständlichung rückt alles, was es ergreift, in ein vergesellschaftetes Possessivverhältnis: Deshalb gibt es ohne Staat keine Welt).
    Das Haus hat nicht nur mit Zweckmäßigkeitsgründen zu tun (Schutz vor den Unbilden der Witterung), sondern ebenso mit der Geschichte der Scham (Schutz der Intimsphäre): Hängen das Sklavenhaus Ägypten und der Name Pharao damit zusammen?
    Was bedeutet es eigentlich, wenn das Paradigma Innen/Außen nicht mehr zu halten ist: das Innere zu Nichts geworden ist?
    Die intersubjektive Welt ist zum gemeinsamen Gefängnis aller geworden: Alle sitzen in Isolationshaft.
    Der Korpuskel-Welle-Dualismus resultiert aus der objektiv unvermeidbaren Alternative, die der Lichtgeschwindigkeit zugrundeliegende „Bewegung“ entweder nur auf eine Richtung des Raumes zu beziehen, oder auf die Zeit, und damit auf die Totalität des Raumes.
    Das Inertialsystem abstrahiert vom Gesehen-Werden, von der Scham, die sich dann gegenständlich als Materie in den niederschlägt (sic, B.H.) (projektive Erkenntnis und Schuld). Scham ist Selbstbewußtsein des Andersseins, logische Konsequenz des Satzes: Das Eine ist das Andere des Anderen.
    Wann wird es gelingen, die Vergangenheit so einzudämmen, daß sie nicht mehr die Zukunft überschwemmt?
    Ist nicht im ersten Satz der Genesis (im „elohistischen“ Schöpfungsbericht, Gen 11) auch die Reihenfolge des Geschaffenen (Himmel und Erde) von Bedeutung? Erst am Anfang des zweiten („jahwistischen“) Schöpfungsberichts (24b), der die Paradiesesgeschichte und die Geschichte vom Sündenfall erzählt, wird die Folge umgekehrt („Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“). Wird der erste Schöpfungsbericht im Imperfekt, der zweite im Perfekt erzählt? Ist die Reihenfolge des Geschaffenen nicht in der Logik der Sprache begründet (in der perfektivischen Gestalt gewinnt die Erde den Vorrang vor dem imperfekten Himmel)? Deshalb endet der zweite Bericht mit dem Sündenfall und der jahwistischen Urgeschichte (bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel), der erste hingegen mit dem „sehr gut“. Enthält nicht die Geschichte von der Bindung Isaaks (mit dem Engel Elohims am Anfang und dem Engel JHWHs am Ende) den Lösungansatz?
    Zum ersten Satz der Genesis: den Himmel nutzt Gott als Namen für das Firmament, die Erde zur Herbringung der Kreaturen.
    Zum paradiesischen Nahrungsgebot: Nur dem Menschen ist die Frucht verheißen, den Tieren nur das Grün, die Blätter (vgl. das Feigenblatt und die Scham).
    (Gibt es im Hebräischen ein Partizip?)
    Ist nicht majim, das Wasser, ein Plural (wie schamajim, der Himmel), und ist nicht auch der deutsche Begriff Wasser ein Plural von Was (wie Völker von Volk)? Merkwürdig, daß der Ursprung der Philsophie mit der Neutralisierung des Wassers (Thales: Alles ist Wasser, Heraklit: panta rhei, und: niemand steigt zweimal in den gleichen Fluß) beginnt: der unendlich schwere, am Ende vergebliche Versuch das Flüssige dingfest zu machen (in einer wahrscheinlich entscheidenden Phase mit Hilfe der Theologie: Bedeutung der Trinitätslehre!)?
    Ist Theologie heute nicht doch nur noch in einer bekenntnishaften Form möglich, aber einer, die es wirklich ist: auf die Neutralisierung des Bekenntnisses, die Konfessionalisierung der Theologie, endgültig verzichtet? Dieses Bekenntnis wäre eines im Angesicht Gottes, nicht im Angesicht der Welt (dem Scheffel überm Licht). Durch Objektivierung und Theoretisierung wird der Inhalt der Theologie generell verfehlt.
    Das zum Bekenntnis neutralisierte Symbolon ist das vergrabene Talent.
    (Die Welt ist das Verwesungsprodukt des toten Gottes.)
    Steckt nicht in der projektiven Vorstellung vom „jüdischen Rachegott“ (bei Drewermann, Alt, Christa Mulack u.a.) auch die Angst vor einem Gericht, in dem die Opfer der Vergangenheit, die nur still sind, wenn sie endgültig tot sind, die Richter sein werden? Müßten nicht Kirche und Theologie, Gegenwart und Vergangenheit, aber auch Politik und Gesellschaft, völlig anders sich darstellen, wenn es auch nur einen gäbe, der wirklich an die Auferstehung glaubte? Hat das Christentum nicht die Theologie (Trinitätslehre und Christologie) auch dazu mißbraucht, sich die Vergangenheit (ihre jüdischen Wurzeln, aber dann auch ihre fatale eigene Rolle in der Geschichte) vom Leibe zu halten? Mit der Gehorsamsforderung wurden die Ohren verstopft, damit niemand das Blut, das zum Himmel schreit, mehr hören konnte. Ist nicht der „christliche Liebesgott“, der in der Vorstellung gründet, daß Gott seinen eigenen Sohn hingeschlachtet habe, „um uns zu retten“, Produkt und Deckbild einer nun wirklich sadistischen Phantasie? Während wir glauben, den „Rachegott“ nicht mehr zu brauchen, haben wir in Wahrheit genau diesen Aspekt längst neutralisiert und instrumentalisiert, indem wir ihn, wenn wir ihn nicht zu Zeiten auch einmal selbst in die Hand genommen haben, an den Staat, an die Institutionen des Rechts: der staatlichen Strafverfolgung und des Strafvollzugs, delegiert haben. Das „Volk“, in dessen Namen Gesetze erlassen, Recht gesprochen und Urteile gefällt werden, ist der anonymisierte Erbe dessen, den das antijudaistische Vorurteil einen „Rachegott“ nennt. Wer sich auch nur ein wenig mit den Zuständen in unseren Knästen (die jeder zu verantworten hat, der dem Volk angehört, in dessen Namen hier die „Strafen vollzogen“ werden) vertraut gemacht hat, weiß, daß zu den realen Gründen des Strafrechts auch, wenn nicht zentral, die Vergesellschaftung der Rachebedürfnisse gehört, während der „alttestamentliche Rachegott“ (das „Mein ist die Rache“ des Gottes, dessen wichtigste Eigenschaft die Barmherzigkeit ist) in seinem realen Kontext auf die Auflösung der Rachebedürfnisse der Opfer abzielt. Übrigens: Im Neuen Testament (im Hebräerbrief, 1030) steht der Satz: „Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, während im Alten Testament (im Buch Jona, 411) Gott gegen Jona den Verzicht auf die Zerstörung Ninives so begründet: „Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als 120 000 Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können, und soviel Vieh.“
    Das gedankenlos Bösartige an der antijudaistischen Unterscheidung des „alttestamentlichen Rachegottes“ vom „neutestamentlichen Liebesgott“, das zum Syndrom der verfolgenden Unschuld gehört, wird deutlich, wenn man auch nur einen Augenblick daran denkt, wer – in einem geschichtlichen Kontext, zu dem Auschwitz gehört – hier an wen welches Ansinnen stellt: Der Täter schlägt dem Opfer das einzige Mittel, die Erinnerung an die Leiden zu verarbeiten, aus der Hand. Hier darf nicht mehr aufgearbeitet, hier soll nur noch verdrängt werden.
    Der Beter rächt sich nicht selbst (Zenger, S. 71): Ist das nicht das zentrale Anliegen eines jeden Gebets, das Moment, durch das es mit dem Gottsuchen sich verbindet, und der Wahrheitsgrund des Satzes von Reinhold Schneider? Wäre dieser Satz nicht heute eine der Grundlagen der Rechtskritik: als Kritik eines Instruments der instrumentalisierten Rache?
    Wird mit dem Gerede vom „jüdischen Rachegott“ nicht
    – der zugrundeliegende Text entstellt, seine Wahrnehmung verzerrt, und zugleich
    – ein theologischer Erkenntnisgrund durch Verdrängung neutralisiert?
    Verräterisch die Rede vom Gottesbild im Hinblick auf eine Religion, zu deren zentralen Elementen das Bilderverbot gehört: Zu den objektiven Intentionen des Bilderverbots gehört es, sich die reale Erfahrung nicht durch Bilder verstellen zu lassen. Hierzu gehört auch die biblische Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Der Antijudaismus ist ist ein System von Vorstellungen über die Juden hinter ihrem Rücken, er ist (nach einer auch hierauf zutreffenden Formulierung Adornos über den Antisemitismus) das Gerücht über die Juden, das jede reale Erfahrung mit Juden und mit der jüdischen Tradition scheut, wie der Teufel das Weihwasser.
    Hebr 1030f: Wenn wir vorsätzlich sündigen, gibt es für diese Sünden keine Opfer mehr. – Ist nicht das Opfer die Vergebung?
    In einer Welt, die bis in ihre innersten Strukturen hinein, und ohne daß eine Alternative dazu überhaupt noch sichtbar wäre, durchs Selbsterhaltungsprinzip geprägt und bestimmt ist, braucht man, wie es scheint, einen „Gott der Liebe“; aber gilt nicht hierfür Adornos Satz: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist? Die Sperre vor der Fähigkeit zu lieben liegt in der Struktur dieser Welt.
    Die antikirchlichen Positionen in Kirche und Theologie sind nicht einfach nur falsch und zu verurteilen, sondern haben ihren eigenen Erkenntniswert in einem System, in dem Erkenntnis insgesamt seine projektiven Anteile nicht mehr abwischen kann.
    Den Begriff zum Sprechen bringen: das setzt eine Theorie des Lachens und des Schreckens voraus.
    Die subjektiven Formen der Anschauung und das Inertialsystem (der „luftleere Raum“) zerstören den Himmel durch die Zerstörung der „Elemente“ hindurch: die Erde, die Luft (das Pneuma), das Wasser und das Feuer (haschamajim).
    Physik als Kloß im Hals der Theologie: im „luftleeren Raum“ gibt es keine Luft zum Atmen.
    In welcher Beziehung stehen die Juden, Ketzer und Hexen der christlichen Geschichte zu den Barbaren der Griechen (trinitarische Entfaltung des projektiven Erkenntnisbegriffs der Philosophie)?
    Kants Philosophie war Erkenntniskritik, der stringente Nachweis, daß der Erkenntnisbegriff der Philosophie sich auf die Dinge, nicht wie sie an sich selber sind, sondern wie sie uns erscheinen, sich bezieht.
    Bekenntnisse des Jeremias: 1118-21, 121-6, 1510-21, 1714-18, 1818-23, 207-18: prophetischer Ursprung der Reflexion?
    Jeremias, der Prophet des welthistorischen Bruchs?
    – Dreimal verbietet Gott dem Jeremias, für das Volk zu beten; aber Jeremias gebietet dem Volk, für das Wohl der Stadt, in der sie nach der Deportation leben, zu beten.
    – Selbst wenn Mose und Samuel … (Jer 14-15?)
    – „Wer sich den Chaldäern ergibt, wird sein Leben als Beute gewinnen.“ (Jer 282, vgl. dazu den „Ursprung des Weltbegriffs“ und das Jesus-Wort: Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren.)
    – Dreimal „Grauen um und um“.
    – Ist der „Feind aus dem Norden“ (Babylon) ein Vorbegriff der Welt?
    – tewel (hebr. für Welt und Natur) nur zweimal im AT, beide Stellen bei Jeremias (?). Sonst „Himmel und Erde“; haolam ist der Bereich der göttlichen Herrschaft, nicht die Welt.
    – Zu Jer 1010-16: außer an dieser Stelle nur noch zwei andere „Schöpfungsberichte“, Ps 104 (der älteste) und Hiob 38ff.
    Erfüllung des Worts: „Der Prophet aber, der Heil weissagt – an der Erfüllung des prophetischen Worts erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ (Jer 289, vgl. Dt 1821-22, Ez 3333) Ist der Name die Erfüllung, das Eintreffen des Worts?
    Das Wunder gehört zur Prophetie: daß „das Wort sich erfüllt“, zum Namen wird (das Wunder erlischt im Namen).
    Das Absolute ist ein Korrelat der Welt: deshalb ist kein Gied in ihm nicht trunken.
    Zur Bestimmung der Theologie:
    – Aktualität (Prophetie),
    – eingreifende Erkenntnis,
    – apokalyptisch (aber nicht die Endzeit berechnend: dazu zwingt nur die Logik des Weltbegriffs).
    Kommen die Völker Kanaans in der Völkertafel, in den Genealogien der Genesis vor?
    Zur Vorgeschichte der drei Leugnungen Petri gehört ihre Weissagung:
    – Mt 2630 und Mk 1432: Ihr werdet in dieser Nacht (!) an mir Anstoß nehmen und zu Fall kommen.
    – Lk 2231ff: … der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf …, daß der Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich bekehrt hast, stärke dein Brüder.
    – Joh 1336ff: Wohin ich jetzt gehe, dorthin kannst du mir nicht folgen …
    Binden und Lösen: Ist nicht durchs Binden das Lösen neutralisiert, unkenntlich gemacht worden: und der Glaube zur Hybris?
    Das Dogma hat die Frage: Wie ist die Thora „heute“ (und d.h. prophetisch) zu verstehen, neutralisiert.
    Das Urschisma: auch eine Frage der Grammatik? Sind physis und kosmos (natura und mundus) grammatisch bedingte Begriffe? (Vgl. Rosenzweig: der „Mittler“ nur für die Heiden, nicht für die Juden).
    Der Weltbegriff fundiert den Egoismus (das Prinzip der Selbsterhaltung), den Sexismus und die Desensibilisierung, die Erfahrungsunfähigkeit.
    Die Welt ist Welt für andere: Schamgenerator. Durch die Identifikation der Kirche mit der Welt (mit dem Aggressor) ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden.
    Hegel: die Neutralisierung der Philosophie zum Absoluten.
    Jeder Machtgewinn wird mit Sprachverlust erkauft.
    Zur Raummetaphorik: Die Neutralisierung von Oben und Unten ist ein Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft: Hat nicht das Bußsakrament das Lösen in kleine Münze umgemünzt (und ist nicht der verdinglichte Glaube ein Stück verinnerlichter Schuldknechtschaft)?
    Das Christentum hat der frühen Christenheit die Last der Umkehr abgenommen, heute blockiert es sie.
    Jona ben Amittai und Jesus kommen aus der gleichen Gegend (Nazareth und Umgebung).

  • 27.04.91

    Jes 22f und Mi 41f auf das Bekenntnis und das verdinglichte Dogma anwenden. Beide sind in der Geschichte des Christentums zur Waffe geworden; an ihnen klebt Blut.
    „Schwerter zu Pflugscharen“: d.h. Objektivierung durch Nachfolge ersetzen (Entkonfessionalisierung). „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen (den Acker bebauen).“ -Damit hängt auch Benjamins Wort über Rosenzweig zusammen, daß er es vermocht hat, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie seßhaft zu verwalten. Die Verwaltung ist das gegenständlich-politisch-gesellschaftliche Korrelat des Bekenntnisses. Es gibt keine Verwaltung ohne Bekenntnis, und kein Bekenntnis ohne Verwaltung (so wie keine Verwaltung ohne Hierarchie und keine Hierarchie ohne Verwaltung). Das erste kirchliche Verwaltungsamt ist das des Bischofs, des Aufsehers (des Hüters des Bekenntnisses: Heideggers Hirt des Seins ist ein spätes Echo davon).
    Über den geschichtsphilosophischen Zusammenhang von Bekenntnis und Empörung, oder Empörung als Versuchung.
    Woher stammt die Legende (und welche Bewandnis hat es mit ihr), daß Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sein soll?
    Die Diakonie wäre das Wesen des Christentums, wenn die Interpretation von Elisabeth Moltmann-Wendel (unter Bezugnahme u.a. auf Schüssler-Fiorenza) zutreffen würde. Dann wäre das Dienen ein nicht mehr vom Herrendenken entstelltes und verhextes Dienen.
    Gibt es eine Beziehung zwischen unserer Beziehung zur präzivilisatorischen Vergangenheit und unserer Beziehung zur Natur (ist die Grenze zur Vorgeschichte auch die zur Natur: der Ödipuskomplex)?
    Der Schlüssel zum Lösen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und erscheint deshalb als unzugänglich; unterschätzt wird die Kraft der Erinnerungsarbeit, des Eingedenkens. Vgl. hierzu Ezechiel (Auferstehung). Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der Gnosis ein Teil der Lösung im Sinne von Mt 1618 (?) wäre. Hier, in der Auseinandersetzung mit der Gnosis hat die Kirche erstmals gebunden und nicht gelöst. Und diese erste Bindung hatte möglicherweise etwas von dem parvus error in principio (hat die Kirche nicht den gnostischen Demiurgen dann in der Tat zum Gott der Christen gemacht; oder hat die Gnosis nicht nur offen ausgesprochen, was unter den Händen der Kirche aus Gott geworden ist).
    Nicht das Ergebnis des Säkularisationsprozesses ist falsch, sondern seine Interpretation. Hier wird die Humesche Tradition, die durch Kant nicht widerlegt, nur lokalisiert worden ist, wichtig.
    Der säkularisierte Staat ist es erst wirklich, wenn er die Rechtfertigungszwänge abbaut, die insbesondere in den schuldbezogenen Institutionen wie die Justiz fortleben. In welcher Beziehung zum Bekenntnissyndrom steht die Institution des Bundespräsidenten (des säkularisierten Königs)?
    Modell für die Verdoppelung ist das Sich-Verstecken Adams. Wo versteckt sich Adam? Haben die Bäume, unter denen er sich versteckt, etwas mit den Dornen und Disteln zu tun? Adam redet sich dann auf Eva heraus, Eva auf die Schlange; und was sagt die Schlange?
    Geliebt wirst du einzig, wo du ohne Furcht dich schwach zeigen darfst (Adorno: Minima Moralia). Das hängt zusammen mit der Utopie eines Lebens ohne Rechtfertigungszwang. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen … Ohne Rechtfertigungszwang kann man nur leben, wenn man den Schein durchschaut, der anklagendem, richtenden Denken zugrundeliegt. Das Durchschauen dieses Scheins wäre das Ziel einer Kritik der Säkularisation, aber eine Kritik dieses Scheins ist nur in theologischem Zusammenhang möglich. Beweis: Eine Kapitalismus-Kritik, die die Prämissen des Kapitalismus, die Herrschaft des Tauschprinzips, nicht antastet, führt in schlimmere Dinge hinein als der Kapitalismus. – Die Gottesfurcht ist nichts anderes als der Grund der Freiheit vom Rechtfertigungszwang, und der Rechtfertigungszwang hat keine theologischen, sondern nur gesellschaftliche Gründe. Der Schein ist nur aufzulösen durch Auflösung des Schuldzusammenhangs, oder durch Auflösung des Schuldverschubsystems, der den Schuldzusammenhang konstituiert. D.h. er ist nur aufzulösen in Befolgung des Nachfolgegebots, des Gebots, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, der Arglosigkeit oder des Verzichts darauf, Selbstentlastung durch Projektion der Schuld zu erreichen.
    Die Gnadenlosigkeit des Christentums ist eine Folge der Gnadenlehre.
    Eindruck beim Lesen des Interviews mit Jehoshua Leibowitz: er scheint gelegentlich so zu antworten, daß er nur die Frage ad absurdum führt; das hängt dann mit der Qualität der Fragen zusammen. – Es scheint eine Beziehung zu geben zwischen seiner Kritik der Psychoanalyse und der Ablehnung des Christentums; unklar, ob ihm diese Beziehung selber bewußt ist. – Der Interviewer fragt gelegentlich wie ein beflissener Schüler; gibt es eigentlich einen Lehrer, der nicht darauf hereinfällt? Genau hierin drückt sich etwas vom prekären Verhältnis des Professors zur Öffentlichkeit aus, das mit einer gleichsam existentiellen Verunsicherung verbunden ist, die durch die Bestätigung durch Schüler gemildert wird (der Professor ist auch eine öffentliche Person, wie Schauspieler, Politiker, Huren, Journalisten: alle müssen über eine Schamgrenze sich hinwegsetzen).
    Es scheint eine Querbeziehung zu geben zwischen der Konstitution von Wissenschaft, der Prostitution und der Hexenverfolgung. Die Hexenverfolgung scheint ein erster Ausdruck dessen zu sein, was Ralph Giordano die zweite Schuld genannt hat. An diesen (nicht ungefährlichen) Punkt rührt die Kritik des Bekenntnisses; sie könnte zum Auslöser der „verfolgenden Unschuld“ werden, die in der Konstruktion und Dynamik des instrumentalisierten Bekenntnisses, die heute fast nicht mehr zu umgehen ist, gründet. Der Hinweis auf die christlichen Ursprünge von Auschwitz – ein Komplex, zu dem J. Leibowitz auch den Marquardt zitiert – scheint hiermit zusammenzuhängen. An die gleiche Frage rührt der Satz, den Georg Büchner Danton in den Mund legt: „Was ist das, was in uns hurt, mordet, lügt, stiehlt …“
    Galileis Blick durchs Fernrohr und der Habitus des Zuschauers: Es ist der Habitus des Zuschauers, der den ganzen Apparat von Schuld, Verdrängung und Projektion mit einschließt, absichert und stabilisiert. Hiermit hängt es zusammen, wenn Auschwitz nicht vergangen ist, sondern gegenwärtig in seinen Metastasen in der Dritten Welt fortlebt, wo in unserem Auftrag gehungert und gefoltert wird. Frage: Wann greift der Mechanismus wieder aufs Zentrum über?
    Gibt es eine Beziehung zwischen den Mizwot und den evangelischen Räten?
    Wie verhält es sich mit Bileam? (Bileams Esel, der Engel mit dem feurigen Schwert und dazu in der Apokalypse die Warnung davor, Bileams Lehre zu folgen – bezieht sich auf das der Bileam-Geschichte folgende Kapitel).
    Der Feminismus (z.B. Christa Mulack) gibt gelegentlich zu sehr der Versuchung nach, historische Sachverhalte wie auch biblische Lehren moralisch anstatt strukturell zu interpretieren. Hier reproduziert er den Fehler, den er kritisiert. Hier tritt er patriarchales Erbe an. Der biblische Gottesname gilt für die erste Person, er liegt vor der Scheidung in männlich und weiblich. Er ist nicht in die dritte Person (in der es erst die Geschlechtertrennung gibt) übersetzbar. Und hier – so scheint mir – übersetzt auch Martin Buber falsch.

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