Musik

  • 30.11.93

    Der Ursprung des Objektbegriffs verdankt sich der theologischen Verdrängung des Kreuzestodes. Hierzu der Hinweis von Leonhard Ragaz, Bd. 4, S. 23: Die Eucharistie als Mahl des „heiligen Egoismus“. War nicht die eucharistische Frömmigkeit (zusammen mit dem antisemitischen Bild der „Hostienschändung“) ein Beleg der Gewalt, die nötig war, um den Objektbegriff in den Köpfen zu verankern?
    Gibt es außerbiblische Belege für den Namen des Pharao?
    Ist Adornos „Erpreßte Versöhnung“ die Antwort auf Lukacs‘ „Hotel Abgrund“?
    Gehören nicht die Posaunen von Jericho und Jeremias‘ „Betet für das Wohl der Stadt“ zusammen? Und drückt sich in den Posaunen von Jericho nicht etwas von der Beziehung der Musik zur Prophetie aus?
    Gibt es im Hebräischen (wie im Deutschen) auch eine sprachliche Beziehung zwischen den Hörnern des Drachens (des Tieres) und dem Schofarhorn (und den Posaunen vor Jericho)? Vgl. auch den „gehörnten Moses“ und den bemerkenswerten Tatbestand, daß alle Opfertiere (mit Ausnahme der Taube) gehörnte Tiere waren.
    Hat der Geist über den Wassern etwas mit den Wolken des Himmels zu tun?
    Es blitzt und donnert, und es regnet, aber JHWH brüllt (Jer 2530, Joel 4(3)16, Am 12): Das Problem des Neutrum und des „es gibt“.
    Ist nicht das Sein das reine Es (das nichtige Substrat des „Geschehens“, Produkt der Ontologisierung)?
    Zum Bilderverbot: Hängt der Ursprung des Neutrum (und die „in-dogermanische“ Grammatik) mit der Geschichte des Opfers und dem Bilderdienst (den Statuen) zusammen?
    – „Selig bis du, Simon, Barjona; denn nicht Fleisch und Blut hat dir das offenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist.“ (Mt 1617, zum Zeichen des Jona sh. 164)
    – „… daß Fleisch und Blut das Reich Gottes nich ererben kann“ (1 Kor 1550),
    – „… ging ich nicht mit Fleisch und Blut zu Rate“ (Gal 116),
    – „Denn unser Ringkampf geht nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Gewalten, wider die Mächte, wider die Beherrscher dieser Welt der Finsternis, wider die Geisterwesen der Bosheit in den himmlischen Regionen.“ (Eph 613)
    Haben diese Stellen etwas mit der Eucharistie zu tun?
    Das Kirchenproblem spitzt sich heute in einer Weise zu, die nach der Geschichte von den drei Leugnungen geradezu schreit.
    Joh 2115ff:
    – Liebst du mich mehr als diese – agapas me pleon touton
    – Herr, du weißt, daß ich dich liebhabe – kyrie, su oidas hoti philo se
    – Weide meine Lämmer – boske ta arnia mou,
    – Liebst du mich – agapas me
    – Herr, du weißt, daß ich dich liebhabe – kyrie, su oidas hoti philo se
    – Hüte meine Schafe – poimaine ta probata mou,
    – Hast du mich lieb – phileis me
    – Herr, du weißt alles, du siehst auch, daß ich dich liebhabe – kyrie, panta su oidas, su ginoskeis hoti philo se
    – Weide meine Schafe – boske ta probata mou.
    Merkwürdiger Wechsel von
    – lieben und liebhaben: agapas und phileis, während Petrus beim philo bleibt,
    – weiden und hüten: boske und poimaine,
    – Lämmer und Schafe: arnia und probata.
    Beachte auch den Unterschied zwischen arnion und amnos (amnos tou theou, 129).

  • 25.11.93

    „… siebenmal, um eurer Sünden willen. Ich werde euren Wohlstand zerbrechen, auf den ihr stolz seid: den Himmel über euch will ich wie Eisen machen und eure Erde wie Erz.“ (Lev 2618f) Ist das nicht eingetreten mit der Astronomie und dem Kapitalismus?
    2 Sam 2413: „da kam Gad zu David, tat ihm dies kund und sprach zu ihm: Willst du, daß drei Jahre Hungersnot über dein Land komme oder daß du drei Monate vor deinem Feind fliehen müssest und er dich verfolge oder daß drei Tage lang die Pest in deinem Lande sei?“ 1 Chr 2112 ersetzt „den Feind“ durch „das Schwert deiner Gegner“ und ergänzt „die Pest“ durch „das Schwert des Herrn“.
    Vgl. Ez 611f: „So spricht der Herr: Klatsche in die Hände und stampfe mit dem Fuße und sprich: Ha! ob all der Greuel des Hauses Israel! Durchs Schwert, durch Hunger und Pest werden sie fallen! Wer in der Ferne weilt, wird an der Pest sterben; wer nahe ist, wird durch das Schwert fallen, und wer noch erhalten bleibt, wird Hungers sterben. So will ich meinen Grimm an ihnen auslassen. Alsdann werden sie erkennen, daß ich der Herr bin, wenn ihre Erschlagenen inmitten ihrer Götzen um ihre Altäre her liegen, …“
    715: „Draußen das Schwert und drinnen die Pest und der Hunger! Wer auf dem Lande ist, wird durch das Schwert umkommen, und wer in der Stadt ist, den werden Hunger und Pest aufreiben.“
    1421: die „vier schwere(n) Strafen, Schwert und Hunger und wilde Tiere und Pest …“
    3327: „… So wahr ich lebe, die auf den Trümmern sollen durch durchs Schwert fallen, die auf dem offenen Felde gebe ich den wilden Tieren zum Fraße, und die auf den Bergeshöhen und in den Höhlen sollen an der Pest sterben.“
    Hängen die beiden Tatbestände, daß der Mensch in der Natur und die Materie im Raum nicht vorkommen, logisch zusammen?
    Vom Christentum ist nach der Vergöttlichung des Opfers allein die Instrumentalisierung des Schreckens (Ursprung des Terrors) übriggeblieben. Das ist die genetische Grundlage des Inertialsystems, das so mit der christlichen Vorgeschichte zusammenhängt. Der Begriff der Trägheit ist Produkt der Instrumentalisierung des Schreckens.
    Die Vergöttlichung Jesu ist ein Produkt des Unglaubens an seine Auferstehung.
    Nicht die Seele und nicht die Person: die eine gehört in die Philosophie, die andere gehört dem Staat; das Angesicht ist das Ebenbild Gottes. Die Seele gehört zu den Objekten der Kritik des Wissens, die Person zu den Objekten der Herrschaftskritik. Ohne den Begriff des Eigentums und den durch das Eigentum konstituierten Schuldzusammenhang gibt es keine Person: Die Person ist das Subjekt der Zurechenbarkeit im Recht (deshalb gibt es juristische Personen). Durch die Hereinnahme des Personbegriffs in die Trinitätslehre ist die Trinitätslehre zu einem Teil der politischen Theologie (der Römischen Reichsideologie, des Caesarismus) geworden. Ein andere Trinitätslehre wäre es, wenn das Angesicht des Vaters als Grund des Todes des Sohnes begriffen wird, während der Geist zur Erneuerung des Antlitzes der Erde gehört. Ein error in principio war die Leugnung des Angesichts des Vaters, die Vergöttlichung des Sohnes und die Personalisierung des Geistes. Kein Zufall, daß die Vergöttlichung des Sohnes die Hereinnahme des Naturbegriffs nach sich zieht: in der Zwei-Naturen-Lehre. Hierauf wäre der (dann unendlich kostbare) Titel des Johannes Eriugena „de divisione naturae“ zu beziehen.
    Der Aarons-Segen als Motto einer Theologie im Angesicht Gottes! „Der Herr segne dich und behüte dich! Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig! Der Herr erhebe sein Angeicht auf dich und gebe dir Frieden!“ (Lev 624ff)
    Wie das Tauschprinzip mit dem Staat (der Organisationsform der Gesellschaft von Privateigentümern), so hängt das Trägheitsgesetz mit der Astronomie zusammen.
    Durch die Form des Raumes werden Subjekt und Objekt gleichermaßen instrumentalisiert: gemeinsame Bewohner des Totenreichs. Aber die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen?
    Welche unverdaute Vergangenheit schleppt die Kirche (nach der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, nach der Rezeption des Weltbegriffs) mit sich herum?
    Handeln nicht alle „Erzählungen“ in der Bibel, von Ruth über Judith, Esther, Hiob, auch Daniel, Jona und Tobias, von der Völkerwelt (ähnlich auch schon die Rahab- und die Josphs-Geschichte)?
    Der „Syrer“ Naaman (Lk 427) war ein Aramäer (2 Kön 5).
    Ist nicht die Geschichte der Musik die Umkehrung der Geschichte der Offenbarung: mit dem Moses Bach, den Patriarchen Haydn, Mozart und Beethoven, der Sintflut List (und Chopin: dem Bogen in den Wolken); ist Schönberg der Cherub vorm Eingang des Paradieses? So ermißt sie die Distanz des Wortes zu seiner Erfüllung.

  • 20.11.93

    Ist nicht der Name des Flavius Josephus und sein Ursprung (Annahme des Flaviernamens aufgrund seiner Beziehung zum Flavier Vespasian) der Schlüssel zum Verständnis der Namen Paulus und Augustinus?
    Spricht Kohl nicht heute an genau den gleichen Stellen von „Geschichte“, an denen vor zweihundert Jahren von „Natur“ gesprochen worden wäre?
    Die Entdeckung des Winkels (durch die Griechen) ist die Entdeckung der Orthogonalität; sie war der entscheidende Schritt zur „Überwindung des Mythos“ und die Voraussetzung der Begriffsbildung (als Modell der Trennung und Beziehung von Begriff und Objekt, Welt und Natur). Wird die Orthogonalität nicht symbolisiert durch die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (sind die Hörner der Tiere nicht Objekte ihrer Reflexion im Medium der Gewalt)? Wenn der Name der Sünde mit dem Sondern, Trennen zusammenhängt: trifft er dann nicht exakt die Orthogonalität?
    Die Orthogonalität ist der Grund der Äquivalenz aller Richtungen im Raum (der Reversibilität aller Geraden im Raum); sie hat wie das Gleichnamigmachen des Ungleichnamigen mit der mathematischen Operation der Division zu tun (alles wird auf ein gemeinsames Maß: auf den gleichen „Nenner“ bezogen). Durch die Orthogonalität wird die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt, sie ist der Grund des Nominalismus. Personalisiert wurde das Prinzip der Orthogonalität (das verwirrende Prinzip in der Sprache) im diabolos, den die Schrift den Vater der Lüge nennt.
    Zu Spenglers Bemerkung, daß die Stelle, die in der Alten Welt die Skulptur einnimmt, in der modernen Welt von der Musik besetzt ist: Man kommt der Sache näher, wenn man die Musik als den Versuch begreift, die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen, während die Skulptur auf die Geschichte der Vergöttlichung des Opfers (auf den Ursprung des Götzendienstes) verweist.
    Hat die fette Henne im Deutschen Bundestag, die sich für einen Adler hält, aber wahrscheinlich nur noch die politische Hackordnung repräsentiert, etwas mit dem Hahn zu tun?
    Hat nicht die Anthroposophie insofern Anteil an der christlichen Entstellung der Tradition, als sie teilhat an der Privatisierung (und Verdinglichung) der Wahrheit?

  • 18.11.93

    Muß wirklich „alles, was sich der Entwicklung des Ich hemmend entgegenstellt oder sie zu verhindern sucht, um das von der göttlichen Welt gesetzte Ziel dieser Entwicklung zu verfälschen oder zu verdunkeln, als böse bezeichnet werden“ (Bühler, S. 133)? Was meint er mit dem, „was sich der Entwicklung des Ich hemmend entgegenstellt oder sie zu verhindern sucht“? Kann dieser Satz nicht z.B. auch fremdenfeindlich und antisemitisch verstanden und angewendet werden?
    S. 134: Die Versuchungen sind allesamt Ich-bezogen: Sie beziehen sich auf „Genußsucht, Verlust der Selbstbeherrschung oder Schlimmeres“. „Im raffinierten Genuß, der lediglich um des Genusses willen herbeigeführt wird, findet jedoch das Böse ein großes Angriffsfeld.“
    Das alles paßt zum „Urübel des Egoismus“ (ebd.), den diese Ego-Bezogenheit so formuliert, daß es nur auf andere zutrifft.
    Ist nicht die Personalisierung des Bösen ein Nebeneffekt des Weltbegriffs?
    S. 137: Sind nicht Luzifer und Ahriman Personifikationen des Manisch-Depressiven (mit der Gefahr der Dämonisierung der Krankheiten)?
    Wer das Böse wie Walther Bühler nach draußen projiziert, dem polarisiert es sich zu Luzifer und Ahriman. Kehrt darin nicht der manichäische Dualismus, nur mit der Dämonisierung beider Seiten, wieder?
    S. 144: Kann man sich „technischer Organisationsformen oder der Todeswerkzeuge der modernen Rüstungsindustrie“ auch mit „spirituellem Hintergrund“ bedienen; wäre das nicht eine Definition des Fundamentalismus?
    Ebd.: Ist der Eindruck, ein Text sei unverständlich, nicht selten darin begründet, daß man das Gefühl hat, man würde den Autor beleidigen, wenn man das, was man versteht, aussprechen würde?
    Widerspricht es nicht dem Jesus-Wort „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, wenn Bühler in der Passionsgeschichte die Menschen, denen er Jesus ausgeliefert sieht, dämonisiert? Vgl. den Text, in dem Bühler diese Menschen beschreibt (S. 152); er könnte aus Oberammergau stammen („Er ist Menschen ausgeliefert, deren Bewußtsein ganz an die Sinnenwelt gebunden ist und die kein verklärendes, höheres Licht in diesem, der Gotteslästerung angeklagten Menschen erblicken können“, „Gegnerschaft der Pharisäer und ihrer Anhänger“, „die menschlich-untermenschlichen Vorgänge der Karwoche“).
    Im Hinblick auf Karfreitag und Ostern von Raupe und Schmetterling und von der Metamorphosenlehre zu sprechen, ist schlicht blasphemisch. Hier wird die Sphäre der Wahrheit in Natur zurückgestaut, auf unsägliche Weise verdinglicht, und damit erst wirklich böse.
    Ist in die Beziehung, die Walther Bühler zwischen Plastik und Musik sowie Astral- und Ätherleib wahrnimmt, nicht die Bemerkung Spenglers mit hereinzunehmen, daß was bei den Griechen die Skulptur war, in der modernen Welt die Musik ist?
    Wichtig und interessant wäre die Analyse der Vermittlerfunktion der Astronomie in der historischen Beziehung von Kosmos und Staat (Chaldäer und Kopernikus).
    Der entscheidende Mangel der Anthroposophie scheint zu sein, daß die Zivilisationsgrenze (Ursprung des Weltbegriffs, Zusammenhang mit der Institution des Staates) und hierbei insbesondere die Beziehung von Ich und Eigentum nicht in Frage gestellt, nicht in die Reflexion mit hereingenommen wird.
    Gleicht das, was ich Erinnerungsarbeit nenne, nicht dem Verfahren des Anglers, der am Ufer des Unbewußten sitzt und seinen Köder hineinwirft?
    Haben nicht der philosophische und der im strengen Sinne theologische Gebrauch des Logos-Begriffs etwas mit einander zu tun: Sind sie nicht durch Umkehr auf einander bezogen?
    In apokalyptischen Texten (Jes 344, Off 614, vgl. auch Mt 2429, 1 Pt 37.10) gibt es den Topos, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich zusammenrollt. Aber ist das nicht längst geschehen, ist diese Buchrolle nicht die Thora, der Logos, die Literatur, und erst der davon getrennte Himmel der Gegenstand der Astronomie? Hat sich nicht der im Anfang erschaffene Himmel ins Buch zurückgezogen (die Schrift ist gleichzeitig mit dem Geld entstanden)?
    Ist nicht der Historismus ein Versuch, die Vergangenheit durch Vergegenständlichung (und gleichzeitige Instrumentalisierung) unschädlich zu machen?
    Die Vorstellung, daß das Ich mit dem Feuer und Entzündungsprozessen zusammenhängt, erklärt den Zusammenhang mit den autoritären Formen der Ichbildung (Beleidigungsbereitschaft, Anklage und Rechtfertigungszwang: Einbindung in den Schuldzusammenhang). Verweist das Bild des Fiebers, dessen sprachliche Wurzel an den Problemen der Ichbildung sich ablesen läßt, nicht auch auf einen heilenden Effekt von Entzündungen (was entspricht in den Ich-Prozessen dem Wadenwickel)? Ist das Christentum nicht (im Unterschied zu den beiden anderen abrahamitischen Religionen) eine Ich-Religion (eine Entzündungskrankheit, ein Fieberanfall), und ist es dazu nicht durch seine ambivalente Beziehung zum Weltbegriff geworden?
    Der Objektivierungsprozeß hat das Schreien der Dinge zum Verstummen gebracht, erstickt. Seitdem ist die Materie die zurückgestaute Kraft des Namens (und die Natur die schizophrenisierte Schöpfung).
    Der Begriff der Natur deckt die Sünde der Welt zu.
    Rousseaus „Zurück zur Natur“ liegt auf der Grenze des Zurück in die Unschuld des Schlafes oder des Todes. Tote sind unschuldig, weil sie nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können; gilt deshalb: de mortuis nihil nisi bene? Unschuldig sind die Toten nur im Anblick der Welt.
    Die Kopenhagener Schule und der Doppler-Effekt (mit der Vorstellung des expandierenden Raumes und der Urknall-Theorie), die an die beiden Relativitätstheorien Einsteins sich anschließen, sind Veranstaltungen, das Inertialsystem (und mit ihm der objektivierende Erkenntnisbegriff und das Herrendenken) gegen die Reflexion abzuschirmen, in die es durch Einstein hereingezogen worden ist. Wobei das Dementi mit der Verachtung der seitdem sogenannten „klassischen Physik“ (zu der dann auch Einstein noch gerechnet wurde) gleich mitgeliefert worden ist (Modell der Kohlschen Rhetorik, oder der Sieg des Lachens über das Weinen).

  • 22.09.93

    Nach Flavius Josephus symbolisieren die vier Farben im Vorhang des Tempels die vier Elemente:
    – Scharlach: das Feuer,
    – Weiß: die Erde,
    – Blau: die Luft und
    – Purpur: das Meer.
    Sind die „vier Vokale“, die nach Flavius Josephus auf der Kopfbinde des Hohepriesters geschrieben sind, die des Tetragrammaton, die vier Buchstaben des Gottesnamens? Wie verhält sich diese Tradition zum bibelwissenschaftlichen „Jahwä“?
    Wer die Religion vollständig auf die Gesinnungs- und Bekenntnisebene schiebt, leugnet die Erkenntnisforderung und den Erkenntnisanspruch der Religion. Diese Beziehung zur Erkenntnis ist im Christentum nach dem Urschisma durch die Gnosis verstellt worden.
    Wenn Hegel in der Rechtsphilosophie den Monarchen aus der Logik des Systems ableitet, so rührt er damit an die Logik des Namens. Und er bezeichnet zugleich den Punkt, an dem die messianische mit der Königstradition zusammenhängt.
    Sind nicht der Urknall, der schwarze Hohlraum und das schwarze Loch projektive Verkörperungen der Verdrängung des Namens, und stehen sie nicht in einer systematischen Wechselbeziehung (die aus der Logik des Inertialsystems sich müßte ableiten lassen)?
    Ist das bara in Imperfektum oder ein Perfektum (Produkt einer nicht abgeschlossenen oder einer abgeschlossenen Handlung)? Oder kommt dieses Verb in der Schrift in beiden Formen (bei Buber erkennbar als „schuf“ und „hat geschaffen“) vor, allerdings mit differerierenden Konnotationen (bis hin zum Gottesnamen)? Und wie verhält das Schaffen zum Machen? Vgl. hierzu den Wechsel in Gen 24a,b:
    – vom Imperfekt zum Perfekt, mit anschließender Versetzung in die Vergangenheit („Zur Zeit, da …“) und Änderung des Verbs (von schaffen zu machen),
    – von Elohim zu Elohim JHWH und
    – von „Himmel und Erde“ zu „Erde und Himmel“ (Vertauschung der Folge der Objekte): aus der unabgeschlossenen Schöpfung von Himmel und Erde wird die abgeschlossene Schöpfung von Erde und Himmel.
    Die Unterscheidung der „Quellen“ orientiert sich nicht nur am Gebrauch des Gottesnamens. Welche anderen sprachlichen Kriterien liegen ihr noch zugrunde? Kann es nicht sein, daß sich dahinter ein kompositorisches Element verbirgt?
    Läßt sich Bubers Bibel-Übersetzung nicht unter dem Stichwort Ästhetisierung kritisieren (vgl. das „Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser“, in dem das Tätige des Brütens zu einem artistischen Akt wird)? Spielt das nicht mit herein, wenn die Armen, die Fremden, das Opfer, der Geist, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Barmherzigkeit und andere aus dem Text verschwinden? Was wird aus dem Zorn?
    Natur ist der Inbegriff aller Objekte, die der Herrschaft der Vergangenheit unterworfen sind, während der Weltbegriff Vergangenheit und Zukunft dadurch trennt, daß er die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert (nur unter der Herrschaft der Vergangenheit sind Zukunft und Vergangenheit getrennt). Auf diesen Schnitt beziehen sich die Schwertsymbole: vom kreisenden Flammenschwert des Kerubs am Eingang des Paradieses bis zur Duchschlagung des Gordischen Knotens durchs Schwert des Alexander. Konstituiert das Schwert die Zeit, indem es sie von der Ewigkeit trennt, sie der Vergangenheit unterwirft?
    Wer ist Malchus?
    Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch (oder: Schwerter zu Pflugscharen): Sind die subjektiven Formen der Anschauung (und ist das Inertialsystem), und mit ihnen das Reich der Erscheinungen, das Werk des Schwertes? Begründet das Schwert mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (und der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit) auch den Begriff des Wissens und die Trennung des Natur- und Weltbegriffs?
    Steht nicht die Natur unter dem Bann der Subjektivität? Und ist nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ zu radikalisieren durch die Kritik des Naturbegriffs selber?
    Ärgernisse müssen kommen, aber wehe denen durch die sie kommen: Ist dieser Fluch nicht auch ein Segen (und ein Fluch nur für die, die den Segen darin nicht sehen)?
    Die Wahrheit hat einen Zeitkern (Adorno): Dieser Satz wird mißverstanden, wenn man ihn relativistisch versteht.
    Auch Herrschaftskritik ist vor der Gefahr des Herrendenkens nicht gefeit.
    Problem der Chronologie: Die sogenannte Tiefenzeit ist ein Versuch, den Naturbegriff so zu verankern, daß er unwiderlegbar wird. Mit der Tiefenzeit kapituliert das Subjekt endgültig vor dem Bann, den es selbst über die Natur legt. Jeder Bann aber ist ein Todesbann.
    Nicht nur die Rettung der vergangenen Hoffnung, sondern die Errettung der vergangenen Zukunft (gegen das „Prinzip Hoffnung“).
    Wer sind heute die Aussätzigen: Gehören dazu nicht auch die Objekte des Vorurteils, die Juden, die Frauen, die Ausländer?
    Gibt es eigentlich keinen Theologen, dem beim Kohlschen Wort vom „Umdenken“ (ähnlich wie damals beim Ehrhard-Wort von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“) etwas einfällt? (Es paßt zu einem geistigen Klima, in dem die Reichen die Armen sind, die sich für das Ganze aufopfern.) Ist die Theologie schon so verderbt, daß ihr Gegenteil sich als ihre Verkörperung ausgeben kann (vgl. die „Theologen“ in der CDU, mit denen sich Kohl jetzt umgibt: Hintze und Heitmann, während er bei die Besetzung der Fachressorts Wirtschaft und Finanzen Fachleute um jeden Preis zu meiden versucht). Die Regierungsmannschaft Kohls wird durch das Feuer kabarettistischer Kritik nur noch gestählt (mit Hilfe der Theologie).
    Stichwort „falsche Propheten“ (vom Deuteronomium bis zum NT, insbesondere auch in der Apokalypse): Das Problem sind nicht die falschen Propheten selber, sondern das Problem ist eine Politik, die wie ein Magnet die falschen Propheten anzieht. Die falschen Propheten sind am projektiven Gebrauch der Diskriminierungslogik (am instrumentellen Gebrauch der double-bind-Falle) erkennbar:
    – „Asylantenflut“: wir überschwemmen die Welt mit der Armut, die wir nach draußen exportieren;
    – die Xenophobie ist der Spiegel des Schreckens, den wir in der Welt verbreiten;
    – die „Banden-Kriminalität“ (Begründung des „großen Lauschangriffs“) das Spiegelbild der realen Politik und Ökonomie: des Überfalls und der Beraubung der Armen).
    Zugleich wird der Anspruch der Religion durch die projektive Ausmalung ihrer raf-Variante: des Fundamentalismus (den es zugleich tatsächlich gibt) destruiert.
    Der Weltbegriff als Instrument der Schizophrenisierung: Psychose-Generator.
    Das Buch Hiob ist nicht die Antwort auf das Theodizee-Problem, sondern der Nachweis, daß bereits die Frage (notwendig und) blasphemisch ist. Es beschreibt die Grenzen der Urteilskraft, dazu braucht es den „Ankläger“.
    Wer nachweist, daß Äpfel keine Birnen sind, hat damit nicht nachgewiesen, daß es keine Birnen gibt.
    Ist nicht die große Musik, spätestens seit Bach, der ohnmächtige, aber keineswegs hilflose Versuch, das Problem des Nominalismus (auch des double bind, der Trennung von Ton und Inhalt eines Satzes) zu bestimmen?
    Ein Text, der es nicht erträgt, daß Worte in ihm auch gegensätzliche Bedeutungen repräsentieren, kann nicht wahr sein. Der Nachweis, daß ein Text Widersprüche enthält, ist nicht in jedem Falle eine Widerlegung.
    Der ontologische Gottesbeweis hat die Selbstoffenbarung Gottes im brennenden Dornbusch neutralisiert (und die Persil-Reklame antizipiert).
    Wer die Erfindung der Schrift als technisches Problem begreift, neutralisiert das Problem anstatt es zu lösen. Welches gesellschaftliche (und sprachlogische) Interesse liegt der Erfindung der Schrift zugrunde? Gibt es einen Staat ohne Schrift?
    Das Schlimme heute ist, daß unsere Theologie erinnerungslos Abschied von ihrer eigenen Vergangenheit zu nehmen versucht. So macht sie sich selbst zum Agenten des Hasses der Welt. Nur so (durch Identifikation mit dem Aggressor) glaubt sie, selbst der Angriffszone dieses Hasses sich entziehen zu können.
    Haben sich nicht alle am Schicksal der raf mitschuldig gemacht, die damals wußten, daß Analysen der raf so falsch nicht waren, dieses Bewußtsein aber verdrängten, weil sie gegen die Sympathisanten-Hetze hilflos waren.
    raf und Scheiterhaufen: Beide sind falsche, instrumentalisierende Verkörperungen des Feuers (und seiner Beziehung zum Opfer und zur Sünde der Welt; Zusammenhang des Scheiterhaufens mit der Geschichte der Alchemie, der „Goldmacherkunst“).
    Nur von der Sünde wider den Heiligen Geist heißt es, daß sie weder in dieser noch in der künftigen Welt vergeben werde, während es heißt, daß, wer den Vater und den Sohn leugnet, der Antichrist sei (1 Joh 222).
    Ist der Feminismus nicht zunächst ein Symptom, nur in einigen Verkörperungen auch schon der Ansatz zu einer Lösung (Elisabeth Schüßler-Fiorenza, Rosemary Radford-Ruether, Mary Daly)?
    Ist nicht durch die Logik des Weltbegriffs das Sein zum Haben anderer geworden? Darin gründet die verandernde Kraft des Seins, wird das Sein zu einem Moment im gesellschaftlichen Schuldzusammenhang (als dessen innere Reflexion die Heideggersche Fundamentalontologie zu begreifen ist).
    Lassen sich die englische und die deutsche Sprachlogik nicht an der Form der gesellschaftlichen Anrede erkennen: Im Englischen ist die zweite Person sing. mit der zweiten Person plural (you) identisch, im Deutschen reden sich Erwachsene mit dem Personalpronomen der dritten Person plural (Sie) an: Hängt das nicht mit der Beziehung des Seins zum to be zusammen?
    Durch den Begriff des Wissens wird die Wahrheit auf Objekte bezogen (als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand definiert).

  • 30.08.93

    Während die Reste anderer Architektur-Epochen fast restlos dem Krieg und dann dem „Wiederaufbau“ zum Opfer gefallen sind, wurden vorrangig die Fachwerk-Innenstädte (auch die, die es gar nicht gegeben hat) restauriert: Gehört nicht auch das zur Abschaffung der Vergangenheit, die die Nachkriegsgeschichte in Deutschland bestimmt?
    Was haben wir (außer der Theologie und der Kindheit) mit der Vergangenheit sonst noch abgeschafft?
    Zur Geschichte der Architektur und ihrer Beziehung zu Politik und Philosophie (ihrer Beziehung zur Weltgeschichte: zur Geschichte des Weltbegriffs) gehört die Geschichte der Ruinen.
    Musik und Prophetie: Versucht nicht die Musik die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen? (Der Ton macht die Musik. – Ende und Erfüllung der Musik: Heute, wenn ihr seine Stimme hört. – Musik und die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.)
    Haß und Schuld: Nur die Schuld verringert sich, wenn sie übernommen wird, während der Haß das einzige Material ist, das sich mit seiner Ausbeutung vermehrt. – Die Führer (und heute die Medien) sagen dem Volk, „was zu hassen sei“. Es gibt keinen spontanen Antisemitismus und keine spontane Ausländerfeindschaft.
    Das folgenlose Kabarett: Der Witz ist ein Instrument der Überlebensstrategie (als Instrument des Angriffs und der präventiven Verteidigung). Aber er ist kein Instrument der Veränderung, der Revolution. Käme es nicht darauf an, anstatt über die Verhältnisse nur zu lachen, endlich die Dämonen auszutreiben?
    Ursprung und Ziel: Trifft der Begriff der Umkehr (Rosenzweig) den Sachverhalt nicht insofern genauer, als sich in der Umkehr etwas bildet, was „vorher“ noch nicht war. Das Neue ist nicht die Wiederkehr des Verdrängten (auch nicht etwas durch Sublimierung Entstandenes), sondern der Ursprung selber (ein in der Lösung aus dem Bann der Vergangenheit erst Entspringendes).
    Rosenzweigs Todesangst und Hegels Logik: Sterblich ist das Eine, es gewinnt den Schein der Unsterblichkeit durch sein Anderssein (Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nennt Hegels Begriff der Aufhebung beim Namen).
    Im Französischen heißt Est Osten und Ouest Westen: Ist das Ouest aus „ou Est“ entstanden? Dann wäre der Osten das Sein, der Westen das Nichtsein, und der Anfang der Hegelschen Logik die philosophische Verarbeitung des Verhältnisses vom Im Angesicht zu Hinter dem Rücken.
    Ist der Westen aus dem Osten entstanden: seine Vergangenheit; ist er das Totenreich (oder die Grenze zum Totenreich, und das Totenreich selber unten)?
    Das Verhältnis des Menschen zur Welt (Ebach, S. 25) abstrahiert von der Beziehung des Ich zum Anderen, leugnet die Asymmetrie zwischen mir un den Anderen.
    Zur historischen Bibelkritik: Nach der Trennung der Quellen kommt erst das Wichtigste: die Komposition.
    Das Vergangene ist nicht nur vergangen: Die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der logischen Konsequenz des affirmativen Gebrauchs des Weltbegriffs hat der Natur christologische Züge verliehen.
    Erster Grundsatz des Herrendenkens: Man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen. So werden Sachzwänge zu Verwaltungszwängen.
    Sind nicht alle akademischen Berufe dadurch bestimmbar, daß sie dem Delegationsprinzip gehorchen:
    – die Rache wurde (als Recht) an die Justiz delegiert (Gericht und Gefängnis),
    – die Krankheit an die Medizin (Klinik),
    – der Tod (als Unsterblichkeitswunsch) an die Theologie (Kirche und Friedhof),
    – das Wissen an die Wissenschaft (Bibliothek und Museum),
    – die Erfahrung an Bildung und Erziehung (Schulen).
    Der Kern dieses Delegationssystems ist politisch: er liegt im Gewaltmonopol des Staates (Polizei und Militär), sein Symbol ist das einzige außerstaatliche Delegationsverfahren: die Delegation des Tötens der Tiere an den Metzger (der Schlachthof). Ist es ein Zufall, daß zwei „Naturtalente“ der deutschen Nachkriegspolitik Söhne von Metzgern waren (Franz-Josef Strauß und Joschka Fischer – und beide ihre Vornamen veränderten)?
    Es gibt eine Sprache der Gewalt, aber sie ist eine gegen den Namen gerichtete Sprache. Wenn Recht „im Namen des Volkes“ gesprochen wird und Gesetze „im Namen des Volkes“ erlassen werden, so dementiert in beiden Fällen der Begriff des Volkes den des Namens: es ist niemand gemeint und niemand angesprochen, aber alle sind in den Schicksals- und Schuldzusammenhang des Rechts und seiner Vollstreckung verstrickt. Verweist nicht die Sintflut- und Noe-Geschichte auf diesen Zusammenhang?
    Die Sprache der Gewalt ist namenlos: Ursprung und Abbild reiner Objektbeziehungen. Hier wird der Name zu Schall und Rauch.
    Wie hängt der Begriff der Gewalt mit dem der Welt zusammen?
    Wird das Werk des zweiten Schöpfungstages, das Firmament, das die oberen von den unteren Wassern trennt, nicht gegenständlich in der Astronomie, die zu den Konstituentien des Subjekts und (in der Alten wie in der Neuen Geschichte) zur Geschichte des Ursprungs des Staats (als Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört?
    Monster und teuflisch (zwei Zeitungsüberschriften zu Privatpersonen in den letzten Tagen): Sind Verteufelung und Personalisierung nicht zwei Seiten ein und derselben Sache? Greift das nicht immer weiter um sich, und ist das nicht ein Teil der schleichenden Faschisierung der Verhältnisse, gegen die es kein Mittel gibt außer der Entmythologisierung der Begriffe im Kontext ihres objektiven erkenntniskritischen und politischen Gebrauchs (Kritik der projektiven Charakters der Begriffe)?
    Ist eigentlich der Titel „Die Thora als Person“ zulässig? Darf der Logos des Johannes-Evangeliums „personal“ verstanden werden?
    Das Feuer vom Himmel holen: geht das nicht nur das Wasser hindurch, während die Nutzung des Wassers, die seit der Rezeption der Philosophie die Theologie beherrscht, das Feuer löscht? – Und er „wollte, es brennte schon“.

  • 06.08.93

    Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist der Grund der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit und die absolute Verhinderung der Umkehr. Das Tote ist das Produkt der Verweigerung der Umkehr.
    Ist nicht die Philosophie eine Seitenansicht des Mythos, in der die Formelemente erhalten bleiben, aber die Inhalte sich gleichsam in Luft auflösen. Ein zweiter Schritt des Herrendenkens; den dritten hat dann das Christentum getan (mit der dogmenbegründenden Ausbeutung der Ambivalenz des Oben/Unten-Paradigmas).
    Was bedeutet eigentlich der Satz: Musik erfüllt den Raum? Edgar Morin hat einmal darauf hingewiesen, daß im Kino Musik die Funktion erfüllt, den flachen Bildern des Films Tiefe und Plastizität zu verleihen. Ist die Musik nicht (im Rosenzweigschen Sinne) eine Weissagung der Einheit von Licht und Sprache? Und ist es nicht auch von daher begründet und sinnvoll, in der Philosophie der Neuen Musik den Teil über Schönberg auch auf Einstein zu beziehen?
    Zu den Konnotationen des Wassers: Schicksal, Sintflut, Rotes Meer, Taufe, der Geist Gottes über den Wassern und die Trennung der unteren von den oberen Wassern. Sind die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn am Ende wiederkehren wird, Projektionen der unteren Wasser in die obere Welt (Produkt der Subsumtion der oberen Wasser unter die Vergangenheit, die Entstellung und Vertreibung des Segens)?
    Wir sind die Sintflut, die über die Welt gekommen ist.
    Zum Wunder von Kana: Waren es nicht Reinigungskrüge, und war es nicht im Kontext einer Hochzeit, und fällt hier nicht das Wort: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Seine Jünger waren mit dabei, jedoch merkwürdig stumm. Man hat das Gefühl, sie sitzen nur dabei, sperren Nase, Mund und Ohren auf, und verstehen nicht, was hier vorgeht.
    Ist nicht die Geschichte von David, dem Hetiter Urijas und seiner Frau Batseba (der Mutter des Salomo) typologisch (der messianische David, Batseba, die Frau des „indogermanisch“-hetitischen Urijas, und Salomo, der Sohn der Batseba)?
    Zur Geschichte von den drei Leugnungen: Ist nicht
    – die Magd des Hohepriesters die Theologie, und sind nicht
    – die Umstehenden die Welt?
    Und lassen sich nicht die drei Leugnungen ohne Mühe auf die Anfragen
    – der Juden (und den kirchlichen Antijudaismus und die Kirchenväter),
    – des Islam (und die Scholastik) und
    – der modernen Aufklärung (und die Unfähigkeit der Kirche, darauf noch rational und – aufgrund der Selbstreferenz, der Rückbeziehung auf die erste Leugnung – unterm selbstverschuldeten Rechtfertigungszwang ohne Selbstverfluchung zu reagieren), sich beziehen?
    Die Welt ist nicht nur, wie bei Heidegger, das Vorhandene und das Zuhandene; die Einschränkung des Weltbegriffs auf diese beiden Attribute schließt das Moment der Selbstverfluchung mit ein (das Vorlaufen in den Tod, die Entschlossenheit).
    Der Heideggersche Begriff der Frage, die heroische Leugnung der Beantwortbarkeit der „eigentlichen“ Fragen, ist die letzte Konsequenz des Nominalismus: die Leugnung des Namens, die letzte Leugnung der Erwartung, daß das Wort sich erfüllt (Heidegger: das letzte Objekt der Sintflut – vgl. das In-der-Welt-Sein, die Entschlossenheit, das Vorlaufen in den Tod, die selbstverschuldete Verstrickung in den alternativlosen Gegensatz des Vorhandenen und Zuhandenen, Folge der Verführung durch die indikativische Logik der Fundamentalontologie, oder: die Selbstneutralisierung durch Eigentlichkeit). Die Fundamentalontologie identifiziert den Infinitiv Sein (aufgewertet zum Seyn) mit dem Possessivpronomen der dritten Person sing. masculinum und neutrum (und findet sein biblisches Gegenstück im Staubfressen der Schlange).
    Der Existentialismus, und zwar schon der Kierkegaardsche, dispensiert von der Logik; daher kommt es, daß es zur Struktur des Sterns des Erlösung bis heute, abgesehen von den Ansätzen bei Stephane Moses, keine wirklich zureichenden Analysen gibt. Erst eine produktive und konstruktive Analyse des Sterns, dieses kunstvoll verschlungenen Systems, befreit die Rosenzweig-Rezeption vom Stammeln.
    Vater und Mutter ehren heißt auch, ihre Dummheiten begreifen.
    Heißt parakletisches Denken nicht, in der von den Vergangenheiten beherrschten Welt die Gegenwart wieder zu entdecken?
    Die Instrumentalisierung des Marxismus in diesem Jahrhundert und der Theologie vor 1600 Jahren zum Herrschaftswissen waren nur möglich, solange sie das herrschaftskritische Moment, das beide enthielten, projektiv nach außen wenden konnten, anstatt es reflexiv in den Erkenntnisbegriff mit hereinzunehmen (wie Benjamin, Horkheimer und Adorno es im Anschluß an Georg Lukacs getan haben). Aber ist das heute nicht erst dann möglich, wenn das projektive Moment in den Fundamenten unserer Zivilisation, in dem ihre zugrundeliegenden Erkenntnisbegriffs selber (auch in der Kerndisziplin der Aufklärung: den Naturwissenschaften), begriffen wird?
    Ist nicht der Hegelsche Begriff der Aufhebung eine subtile Entstellung des Auf-sich-Nehmens der Sünde der Welt, und so, zusammen mit der List der Vernunft (die eine Selbstüberlistung ist: sie leugnet den Tod und ersetzt die Hoffnung auf Auferstehung durch die leere Unsterblichkeitslehre), der reallogische Grund des Absoluten? – Vgl. hierzu Zenger, S. 135f, das Kehl-Zitat. Ist nicht die Grundlage der Hegelschen Aufhebung (der Konstitution des Hegelschen Begriffs) die Ersetzung des Auf-sich-Nehmens durch das Hinwegnehmen? So hängt die Hegelsche Logik in der Tat mit der christlichen Trinitätslehre zusammen. Franz von Baaders Bemerkung über die Hegelsche Philosophie wäre zu ergänzen: Sie ist nicht nur das Auto da Fe der bisherigen Philosophie, sondern auch das der bisherigen Theologie.
    Nur im Kontext der Auferstehungslehre ist der Satz im Stern zu begründen: Der Name ist nicht Schall und Rauch.
    Ist nicht Simson, der, nachdem ihm die sieben Locken abgeschnitten waren, im Keller der Philister die Mühle drehen mußte, ein Typos der Theologie? Aber als ihm die Locken wiedergewachsen waren, hat er die Säulen eingedrückt und das Haus der Philister zum Einsturz gebracht. Waren es nicht Philister – wie vorher die Ägypter -, die die Israeliten Hebräer nannten?
    Ist die griechische Sprache der Kelch, den seine Jünger trinken mußten?
    Entspricht der systembegründenden Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip im Ursprung des Kapitalismus am Ende die aus Gründen der Systemerhaltung notwendige Rückkoppelung von Massen-Produktion und Massen-Konsum durch die Werbung (die Adorno zufolge den Tod verschweigt)? (Gibt es einen systemlogischen Zusammenhang mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, der speziellen Relativitätstheorie und seiner ungeklärten Beziehung zur Quantenphysik?)
    Im Sozialismus gab es keine Reklame, nur Propagande und die Hypertrophie der Geheimdienste.
    Dienstleistungsgewerbe: Ist nicht auch das Militär ein Dienstleistungsgewerbe, und muß heute nicht (aus Gründen der Systemerhaltung) ein immer größerer Teil der Produktion für den Dienstleistungsbereich verwandt werden (vgl. auch das Anwachsen der Kosten der Dienstleistungen im Bereich der privaten Selbsterhaltung)? Und erniedrigt sich nicht der Staat zum Dienstleistungsunternehmen für die Erhaltung des Apparats, in den sich das ganze Gewicht der vergesellschafteten Selbsterhaltung verlagert?
    Getsemane: Steckt nicht in jeder Todesangst etwas davon, daß das Entscheidende, das man hätte tun können, um die Welt aus ihrer Verstrickung zu befreien, nicht getan worden ist? Steckt nicht in der Todesangst die unaufgehellte Beziehung zur Welt?
    Zu Mantel und Rock (Mt 540, Lk 629) vgl. im Stern der Erlösung, S. 361ff: Der Mantel ist der Gebetsmantel, und zum vollständigen Sterbekleid (das der Bräutigam unterm Trauhimmel auch als Hochzeitskleid trägt) gehört außer dem Gebetsmantel auch noch der Rock (Chiton und Tunica). Steht dieser Rock in der Tradition des Rocks aus Fellen und der Rock, der keine Naht hatte (über den unterm Kreuz das Los geworfen wurde)?
    „Es gibt keine menschenfreundlichere Religion als das Christentum, aber es gibt auch keine Religion, in deren Namen solche Untaten begangen wurden.“ (Horkheimer) Sind das nicht zwei Seiten eines Blattes: wenn ich die eine durchreiße, vernichte ich auch die andere? Das Gleichnis Jesu vom Weizen und Unkraut würde dazu passen. Hat nicht dieses Blatt solange zwei Seiten, wie die Welt besteht? Aber dann müßte zur „Rückseite“ des Blattes als konstitutives Moment jene Subjektivität mit dazugehören, die den Weltbegriff konstituiert (der die Sicht „Hinter dem Rücken“ zum Ganzen macht: der das Angesicht leugnet). – Es gibt keine Theologie im Angesicht Gottes ohne Kritik des Weltbegriffs. Die Rückseite des Blattes besteht solange wie die Zukunft wie die Vergangenheit sein wird (wie ein hoffnungsloser Begriff von Erfahrung seine Geltung behält). – „Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe.“
    Ist nicht die Leugnung des Sohnes die Leugnung der Auferstehung? Und ist nicht die Geschichte der Beziehung der Kirche zu den Häresien ein Indiz und Gradmesser dieser Leugnung? Welche Bedeutung hat das für die beiden anderen Leugnungen (des Vaters: den Antijudaismus, und des Geistes: den Sexismus)? Verweist nicht das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist darauf, daß der Beginn der Umkehr hier, bei der dritten Leugnung, die „weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird“, liegt? Aber wird die Umkehr nicht gekrönt durch die Rücknahme der Leugnung des Vaters?
    Das trinitarische Dogma: Produkt der Selbstreflexion der Subjektivität im Unendlichen (an der Todesgrenze).
    Ist nicht das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist in der Geschichte des Christentums zu leicht genommen worden; und gehört hierzu nicht auch das Prophetenwort, daß am Ende die Erkenntnis Gottes die Erde bedecken wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken?
    Haben die Sündenvergebung und die Austreibung der Dämonen (Maria Magdalena) etwas mit der Aufhebung der Reinheitsgebote zu tun? Ist nicht der Weltbegriff dämonisch (Inbegriff der sieben unreinen Geister)?
    Symbolisiert die Dornenkrone nicht beides: das Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt und den Haß der Welt (zielt die Aufschlüsselung der Dornen und Disteln durch den Eleasar von Worms nicht schon auf den Weltbegriff)?
    Die Welt als Gemeinheitsgenerator und Exkulpierungsmaschine.
    Zum Kelch und zur Trunkenheit: Jemandem reinen Wein einschenken.
    Physik und Schuld: Nur in der Physik addieren sich die Lasten, während in theologischem Zusammenhang ich mich von den Lasten befreie, die ich auf mich nehme.
    – Elementenlehre hebräisch: ät haschamajim we’ät ha’arez und ruach.
    – Theologische Elementenlehre: Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße; und der Geist brütend über den Wassern.
    Destruktion beider durchs Inertialsystem: Grauen um und um.
    Zur Theorie des Namens gehört:
    – eine Theorie des Lachens und des Weinens;
    – das Lachen und der Schrecken;
    – die Logik des Angesichts (das Antlitz des Hundes);
    – Prophetie (Erfüllung des Worts) und Apokalypse (Aufdeckung des Namens).
    Wird außer Abram, Sarai und Jaakob in der Schrift noch jemand neu benannt?

  • 18.05.93

    Die Schuldbeziehung auf eine vergangene Sünde: auf eine vergangene Tat oder Unterlassung, ist der Grund des Begriffs und der Herrschaft (und der Grund des Weltbegriffs).
    Katechismus, Ziffer 762: „Schon die Propheten klagen Israel an, es habe den Bund gebrochen und sich wie eine Dirne benommen.“ -Suggeriert dieser Satz nicht die Konsequenz: Wieviel mehr Grund haben wir, die wir als Christen die Erfüllung der Prophetie repräsentieren, Israel anzuklagen (mit dem komfortablen Nebeneffekt, daß wir die „Unheils“-Prophetie nicht mehr auf uns zu beziehen brauchen, der prophetischen Kritik entzogen sind)?
    – So wird die Reflexion aus der Theologie ausgetrieben und der Antijudaismus zurückgeholt (Juden gehören, wie Andersgläubige und Frauen, zu denen, „über die man heute nicht mehr offen sprechen darf“).
    – Gleichzeitig wird die politische Bedeutung des biblischen Begriffs der Unzucht neutralisiert und die Moral sexualisiert.
    Dazu paßt der Satz: „Gemäß dem Plane Gottes (den die Autoren des Katechismus hier schlicht zu kennen vorgeben, H.H.) steht das Exil bereits im Schatten des Kreuzes, und der heilige Rest, der zurückkehrt, ist eines der deutlichsten Bilder der Kirche“ (Z. 710).
    Die kasuistische Moral zerbricht sich den Kopf der Leute, weil sie davon ausgeht, daß sie keinen haben.
    Der Sündenfall bezieht sich präzise auf das durch den Weltbegriff abgedeckte Verdinglichungskonzept.
    Das Verbot, das Unkraut vor der Zeit auszureißen, heißt nicht, daß man es vorher nicht einmal sehen darf: dann nämlich sieht man es, wenn die Zeit da ist, auch nicht mehr.
    Der unsägliche Satz, „die Kirche (sei) gesandt, das Mysterium der Gemeinschaft der heiligsten Dreifaltigkeit zu verkünden“ (Ziffer 738), verdrängt, daß am Ende „Gott alles in allem“ sein wird.
    Wenn die „erste Wirkung der Liebe die Vergebung unserer Sünden“ (Ziffer 734) ist, wie steht es dann mit den Werken der Barmherzigkeit und mit dem „was ihr dem Geringsten … getan habt“? Muß man auch ihnen erst „ihre Sünden vergeben“? Aber hierzu paßt die die Identifizierung der Armen mit den „demütigen und sanften Menschen“ (Z. 716).
    „An den Heiligen Geist glauben heißt also bekennen, daß der Heilige Geist eine der Personen der heiligsten Dreifaltigkeit ist“ (Z. 685): Was ist dann die Sünde wider den Heiligen Geist? Und ist es dieser Geist, von der es heißt, daß er uns beistehen wird, wenn die Welt uns haßt? (Aber um den Satz zu begreifen, muß man begriffen haben, was es mit der Welt auf sich hat.)
    „Kein Mensch, selbst nicht der größte Heilige, wäre imstande, die Sünden aller Menschen auf sich zu laden …“ (Z. 616) Das mag stimmen, aber
    – es geht nicht um die „Sünden aller Menschen“, sondern um die „Sünden der Welt“, und
    – es heißt nicht „auf sich laden“ (vgl. die Sprache der Schlange in der Geschichte vom Sündenfall), sondern „auf sich nehmen“ (nicht „hinwegnehmen“); hier (in Joh 129) steht das gleiche Verb wie im Nachfolgegebot („wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“), und
    – auch wenn es „kein Mensch“ kann, drückt sich nicht in diesem Nicht-Können genau die Gottesfurcht aus, die der Anfang der Weisheit ist, jedoch im Katechismus nicht vorkommt.
    Wird hier nicht zugleich das Nachfolgegebot (das, wie es scheint, auch im Katechismus nicht vorkommt) geleugnet?
    Was soll es eigentlich bedeuten, wenn Maria zum „brennenden Dornbusch der endgültigen Theophanie“ ernannt wird? Franz Rosenzweig hat sowas einmal die Vermanschung der Symbole genannt.
    Die Kirchengeschichte enthält nicht u.a. auch „bedauerliche Vorkommnisse“, von denen man besser „absehen“ sollte (Z. 2298), sondern sie ist insgesamt die Geschichte der Ärgernisse, von denen es heißt, sie müssen kommen, aber wehe denen, durch die sie kommen. Würden die Autoren des Katechismus die Kirchengeschichte kennen und wären sie wirklich an der Sache der Theologie interessiert, müßten sie wissen, daß ein durch Rechtfertigungszwänge determiniertes Kirchenbild den Erinnerungsweg der Erkenntnis blockiert und nur noch verworfen ist.
    Innerhalb der Rachelogik, die der Bekenntnislogik zugrundliegt, hat das Blut einen anderen Stellenwert als innerhalb der messianischen und parakletischen Logik. Wäre die Welt und wären die Menschen in dem Sinne „durch Sein Blut erlöst“, den die kirchliche Vorstellungskraft sich heute ausmalt, so wäre Gott wie nur der schlimmste Götze dem Blutrausch verfallen. Aber Jesus sitzt nach der Schrift zur Rechten, nicht zur Linken des Vaters (vgl. hierzu die Bücher Jona und Tobit: das Geschlecht, das Rechts und Links nicht mehr unterscheiden kann, bleibt zwar verschont, aber am Ende wird Ninive doch zerstört).
    Das falsche Zeugnis ist das für andere Zwecke instrumentalisierte Zeugnis. Das Kriterium ist nicht allein das der „objektiven Wahrheit“, sondern ebenso das der Reflexion von Mittel und Zwecken. Das Verbot des falschen Zeugnisses richtet sich gegen die Instrumentalisierung der Sprache. Aber genau ihr ist die kirchliche Tradition zum Opfer gefallen.
    Der wissenschaftliche Wahrheitsbegriff, der auf die Instrumentalisierung der Welt hinausläuft, gibt die Welt frei für die Zwecke der Herrschenden, macht diese Zwecke unkritisierbar. Das drückt sich in dem Tabu, das auf dem teleologischen Denken liegt, aus.
    Drückt nicht in allen Wörtern mit -ng- Angst sich aus? Ist Angst nicht einfach nur der Superlativ des -ng-, die Steigerung des Dings? (Enge, bange, Strang, Schlinge, Zange, hängen, fangen, wringen, singen, Gesang; auch in den Verbalsubstantiven auf -ung drückt sich, ähnlich wie in Ding, Ring, das Abschnürende, die Subsumtion der Tat unter die Vergangenheit aus; aber was bedeuten Junge, Lunge, Zunge?)
    Hängt das Suffix -heit mit dem Heiteren, der Heiterkeit, mit Aufheitern zusammen?
    Ist nicht dieser Katechismus Produkt einer ebenso umfangreichen wie nachhaltigen Anstrengung, die Nachfolge aus dem Blickfeld zu rücken? Kein Katechismus für Jünger?
    Vom Lamm ist nur das Schaf geblieben, das zur Schlachtbank geführt wird. Die andere Konnotation: das „Auf-sich-Nehmen“ der Sünden der Welt, ist durch Vergöttlichung verdrängt worden.
    Steht etwas im Katechismus über die Bergpredigt oder über die Lehre Jesu (außer im Kontext der sakramentalistischen Verdrängung)? (Die Vorstellung, Ziel der Schriften des NT sei die Offenbarung der Lehre von der heiligsten Dreifaltigkeit, ist Hegelianismus.)
    Die Gottesfurcht ist nicht identisch mit der Ehrfurcht; heute, nachdem der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge vorübergehen, endgültig getrunken worden ist, ist die Beziehung beider durch den historischen Prozeß zu der eines nicht mehr überbrückbaren Gegensatzes geworden.
    Gegen die Opfertheologie steht auch das Schriftwort „Ein Gottesfluch ist der Gepfählte“. Diesen Fluch hat die Kirche versucht, als Akt der Gnade zu begreifen; sie hat damit die Gnade selber instrumentalisiert: zum Objekt des Fluchs gemacht.
    War die Oper die Antwort der Musik auf die Ästhetisierung der Welt durch den Absolutismus, und in ihr der Gesang ein Versuch, die Zeit anzuhalten.

  • 04.04.93

    Wirft nicht der Gebrauch des Begriffs des Staats in der folgenden Formulierung: „… so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgend eines Dinges erraten oder erforschen zu wollen“ (Kr.d.r.V., S. 219), ein neues Licht auf die Widmung des Werkes?
    Kants Kritik des Idealismus läuft in letzter Konsequenz auf die Ethik als prima philosophia und den Vorrang des Angesichts hinaus (durch die Widerlegung der Innerlichkeit). Seitdem ist eine Vorstellung des seligen Lebens, die nicht die Erlösung der Welt mit einschließt, nicht mehr zu halten.
    Rousseau, dessen ungeheure Bedeutung für die Geschichte der europäischen Aufklärung Derrida wieder in Erinnerung gerufen hat, hat durch seinen Naturbegriff das Rätsel des Ursprungs der Schrift unlösbar gemacht und die Unlösbarkeit in seinem Versuch über den Ursprung der Schrift selber demonstriert. War nicht der deutsche Idealismus überhaupt erst möglich, nachdem durch Rousseau das Schriftproblem zu einem Problem der wissenschaftlichen Erkenntnis geworden ist (und damit für die Philosophie neutralisiert worden ist).
    Ist es ein Zufall, daß die einzige Stelle, an der die Hegelsche Philosophie ein in der Philosophie sonst unbekanntes satirisches Niveau erreicht, die über die physiognomischen Theorien Lavaters ist? War dieser Aufwand für die Hegelsche Philosophie deshalb erforderlich, weil nur so das andringende Problem des Angesichts abgewehrt werden konnte? Verweist das nicht auf das affirmative Moment in jeder Form des politischen Kabaretts, das die Erinnerungsbereitschaft verhindert, indem es sie im Lachen explodieren läßt? Das wirklich befreite Lachen wäre ein vom Bann der Entfremdung (vom Bann des Raumes) befreites Lachen. Wird in Büchners „Lenz“, als Lenz begreift, daß der Mond nur eine leere Steinwüste ist, das (den Atheismus begründende) Lachen nicht zum Bellen (die Hunde, die den Mond und den Spaziergänger anbellen: sie wachen nur, aber sie beten nicht)? Ist nicht das Lachen des Lenz ein selbstreferentielles Sich-selbst-Auslachen, ein Lachen nach Innen? Daß einem das Lachen im Halse stecken bleibt, verweist auf die Physik, die zum Kloß im Hals der Theologie geworden ist.
    Nochmal bei Böll (Und sagte kein einziges Wort) die Beschreibung der Physiognomie der Prälaten nachlesen: die Unterscheidung des fanatischen Asketen vom hinterhältigen Genießer (beide Physiognomien tauchen bei den Nazis wieder auf: als SS-Offizier und Reichsleiter)?
    Ist scheol, das biblische Modell der christlichen Hölle, nicht in der Tat das Grab?
    Es ist wahr: Über Geschmack läßt sich nicht streiten, aber gleichwohl ist der Geschmack kritisch zu reflektieren (zum Bruch zwischen Theorie und Praxis). Ist nicht sapientia reflektierter Geschmack? Wie hängen sapientia, Geschmack und Gericht mit einander zusammen?
    Wenn die Musik aus dem Bauch kommt, besteht dann nicht die Gefahr, daß das Herz in die Hose rutscht?
    Wie paßt der Grundsatz „in mundo non datur casus“ (Kr.d.r.V., S. 232) zu Wittgensteins „Die Welt ist alles, was der Fall ist“? Auf der gleichen Seite beweist Kant, daß Selbsterkenntnis „ohne Beihülfe äußerer empirischer Anschauungen“, und d.h. ohne Weltreflexion, nicht möglich ist.

  • 17.03.93

    Zum aufrechten Gang: Die dritte Dimension (der Phallus, die Erektion, der Turm) stabilisiert nicht nur die Fläche, sondern den Raum insgesamt. Aber ist diese dritte Dimension, ihre orthogonale Beziehung zur Fläche, nicht das Produkt der Abstraktion vom Licht, die am Ende wieder eingeholt wird vom Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit?
    Paßt nicht die Bemerkung von Edgar Morin, daß die Musik dem Flächenbild im Film die Tiefe gibt, die eigentlich räumliche Dimension, zu dem Hinweis Spenglers, daß in der modernen Welt (in der „faustischen Kultur“) die Musik die Stelle einnimmt, die in der alten Welt die Skulptur, die Statue, innehatte?
    Das Bekenntnis zur Göttlichkeit Jesu hat deshalb diese ungeheure emotionale Bedeutung, weil es insgeheim als Akt der Wiedergutmachung an der Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie verstanden wird. Es ist Ausdruck des schlechten Gewissens der Gläubigen. Diese Instrumentalisierung begründet und sanktioniert die Verräumlichung der Dinge; sie gehört zu den Fundamenten der „christlichen Zivilisation“. Seine Geschichte ist Teil der Geschichte des Ursprungs und der Entwicklung des Bekenntnisbegriffs überhaupt. Bezieht sich hierauf nicht der Satz vom Binden und Lösen: Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit?
    Keine Empörung ohne Projektion.
    Die Sünden der Welt: Bezieht sich dieser Plural nicht auf eine genau bestimmbare Anzahl, nämlich sieben? War nicht die Astrologie die Instrumentalisierung dieser Sünden, und war nicht die Sakramentenlehre das kirchliche Erbe der Astrologie?
    Die Scheidung der Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb ist die Scheidung des Segens von der Schuld. Die Erkenntnis des Guten und Bösen ist das im Interesse der Selbsterhaltung und Selbstrechtfertigung instrumentalisierende und verdinglichende Denken; das befreiende Denken ist das verteidigende Denken.
    Vergleiche die Geist-Rede des Petrus mit der Märtyrer-Rede des Stephanus.
    Das Trägheitsgesetz, die Hochsicherheitstrakte des Inertialsystems und die Isolationshaft der Materie.
    Rechtsstaat: Muß man nicht die kleinen Verbrechen verfolgen, um die großen decken zu können?
    Gibt es eigentlich Privateigentum ohne den Staat, ohne Geld und ohne Banken (die Banken verwalten das Nichts, aus dem der Staat die Welt erschafft)?

  • 23.02.93

    Off 411: Ist ta panta ein Plural? Dann kann man es nicht mit „Welt“ übersetzen.
    Virginitas: Nach Hypostasierung der Materie (der Sexualität) Heiligsprechung der Unschuld; Produkt der Individualisierung und Privatisierung der Moral, Folge des Verzichts auf Weltkritik, Abwehr des Anteils am Schuldzusammenhang des kollektiven Weltgrunds.
    Als Gefangene unserer Geschichte sind wir Gefangene der anderen.
    Müßte man im NT nicht das homologein im „Bekenntnis“ des Namens mit „Heiligung“ des Namens übersetzen?
    Nicht Herrschaft-, sondern Gewaltkritik: Idee einer Herrschaft ohne Gewalt (Gen 1: Zusammenhang des Herrschaftsauftrags mit dem vegetarischen Nahrungsgebot, d.h. ohne Töten der Tiere).
    Das Votum gegen den Anthropomorphismus der jüdisch-christlichen Tradition (eine notwendige Folge der Rezeption des Weltbegriffs) ist ein Votum gegen die Erinnerung, gegen das Verstehen des andern: ein Votum gegen den Heiligen Geist.
    Der Weltbegriff symbolisiert die vollendete Selbstentfremdung.
    Wenn die Welt durchs Kreuzesopfer entsühnt wurde, kann Politik kein Gegenstand der Kritik mehr sein.
    Hängen die Differenzen im Weltbegriff im Griechischen und Lateinischen (kosmos und mundus) mit denen im Naturbegriff (physis und natura) zusammen?
    Das Christentum kann sich nur über die jüdische Religion und über den Islam selbst begreifen.
    Zum Binden und Lösen vgl. Hiob 3831 (vgl. auch Hiob 99 und Am 58): Knüpfst du die Bande des Siebengestirns, oder löst du des Orions Fesseln? (Siebengestirn = großer Bär? Orion = Sternbild der Äquatorzone, im Winter am Abendhimmel sichtbar.)
    Der affirmative Gebrauch des Weltbegriffs trennt das Tun vom Urteil: vom Erwischtwerden. Er verlegt die Sünde ins Erwischtwerden. Das war der Hintergrund der Seiterschen Bemerkung nach Rostock, als er nur die Befleckung des deutschen Namens im Ausland wahrnahm, aber weder die Ängste und die Schmerzen der Opfer jetzt, noch die Erinnerungen derer, die die Schrecken der Vergangenheit erlebt und überstanden haben, und auch nicht den barbarischen Zustand der Täter. Hat er damit nicht die Opfer (auch die vergangenen, die schon einmal ausgebürgert wurden) in einem ganz neuen Sinne zu „Ausländern“ gemacht? Und sind die Lichterdemonstrationen nicht doch auch nur ein Stück Exkulpationsdemonstration: Wir sinds nicht gewesen (der Sprachregelung Kohls entsprechend: Die Deutschen sind nicht ausländerfeindlich)? Klingt in dem Ganzen nicht auch ein spätes Echo der Friedensreden Hitlers nach?
    Die sieben unreinen Geister, sind das nicht auch Produkte des Mißbrauchs der sieben Sakramente (als Instrumente zur Begründung und Stabilisierung des Weltbegriffs)? Und ist nicht die analogia entis ein nicht ganz ungefährliches Konstrukt: ein früher Hinweis darauf, daß am Ende die Natur christologische Züge angenommen hat?
    Hängen die sieben unreinen Geister damit zusammen, daß auch der Syrer Naaman erst durch die siebenfache Taufe im Jordan von seinem Aussatz befreit wurde? Was hat es mit dem Jordan auf sich: Johannes taufte am Jordan; und mit der Überschreitung des Jordan beginnt die Landnahme unter Josua?
    Das Hegelsche Weltgericht ist der Inbegriff der Sünden der Welt, Produkt der Unfähigkeit, sich in den andern hineinzuversetzen.
    Erinnerungsarbeit ist die Antwort auf die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (Hinweis: der Raum ist die Macht der Vergangenheit über die Zukunft). Dazu bedarf es der Arglosigkeit, der Freiheit vom paranoiden Denken.
    Gibt es heute noch Reichtum; und eröffnet sich hier, in der Vorstellung des Reichtums selber, nicht ein Abgrund.
    „Sind wir Gefangene unserer Geschichte?“ Bezieht sich das Wir und das Unser auf das gleiche Subjekt: Gibt es hier nicht ein Übergewicht der Last der christlichen Geschichte?
    Der Weltbegriff ist der Vorhang, hinter dem wir unschuldig schuldig, und d.h. gemein geworden sind. Ist nicht die Physik eine Form der paranoiden Erkenntnis? Der Weltbegriff ist ohne einen projektiven Anteil (und ohne die Stabilisierung dieses projektiven Anteils) nicht zu halten. Die „Entsühnung der Welt“ ist eigentlich die Entsühnung des Subjekts: die Erlaubnis, sich ohne Bewußtsein von Schuld des Instruments des Weltbegriffs zu bedienen. Durch die creatio mundi ex nihilo wurde diese Schuld Gott, und durch die Opfertheologie zugleich Jesus angelastet: Liegt hier der logische Grund der homousia?
    Wird aus dem Koran das gleiche Wort im Englischen mit „creator“ und im Deutschen mit „Herr“ übersetzt? Wenn ja, welcher Schöpfungsbegriff steckt dahinter: einer, der den Untertan zur Kreatur seines Herrn macht?
    Wo liegt die Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen (zwischen mir und dem anderen)?
    Das Frauen, wenn sie in den Himmel kommen, zu Männern werden, ist keine Erfindung Tertullians; es steht schon so bei Lukas, wo es heißt, daß die, „die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, … durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes werden“ (Lk 2036).
    Nehmt euch fest vor, nicht im voraus für eure Verteidigung zu sorgen (Lk 2114): Das ist das Verbot der vergegenständlichenden Theologie.
    Im Schöpfungsbericht kommt dreimal bara und dreimal baruch vor, dreimal „schaffen“ (Himmel und Erde, Fische und Vögel und die Menschen) und dreimal „segnen“ (im Hinblick auf die Fische und Vögel, die Menschen und den siebten Tag).
    Der biblische Herrschaftsauftrag an den Menschen unterscheidet sich von der Geschichte der Naturbeherrschung dadurch, daß er das Töten ausschließt. Er folgt nach dem vegetarischen Nahrungsgebot für Menschen und Tiere. Herrschaftskritik wäre von Gewaltkritik zu unterscheiden, und an den Naturwissenschaften die Verblendung zu bestimmen, die auf die Gewaltsubstanz der Welt (auf die Beziehung zum Gewaltmonopol des Staates) verweist.
    Hängt die Frage der Beziehung von Herrschaft und Gewalt (und der Beziehung beider zur Macht) mit der Bildung des Angesichts zusammen? Wie unterscheiden sich Herrschaft, Gewalt und Macht?
    Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen (Joh 35). Bezieht sich das nicht auf Gen 12 (auf den Geist Gottes über den Wassern, und die erste Geburt, vor der Wiedergeburt, auf die Finsternis über dem Abgrund)? Ist die Finsternis über dem Abgrund die Idolatrie, und der Geist über den Wassern die Prophetie?
    Nach Auffassung des Islam ist Koran das Äquivalent der zerstörten ersten Tafel vom Sinai, und ebenso das Äquivalent zur Person Jesu, nicht zu den Evangelium, zum „Neuen Testament“. Ist nicht nur der Koran eine „Heilige Schrift“ (und die entsprechende Benennung der Bibel ein Produkt der Islamisierung)?
    Was bedeutet es, wenn im Hebräischen schon die zweite Person (und nicht erst die dritte) nach Geschlechtern getrennt ist? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis wider deinen Nächsten geben?
    Mit der Verdrängung der Idee des seligen Lebens wurde die Wurzel der Sinnlichkeit abgeschnitten.
    Lebt nicht die Stummheit des Helden in veränderter Gestalt im Begriff und in der persona fort?
    Falsch ist die quasi teleologische Beziehung des Kreuzestodes auf mein Seelenheil.
    Kann es sein, daß die männliche Rolle des Konfessors daher rührt, daß die Männer das Opfer begehen, d.h. die Schuld auf sich nehmen, während die Frauen zum Priestertum nicht zugelassen wurden, um sie vor der Schuld des Opferns zu bewahren (Grund der religiösen Bedeutung der virginitas)? Vgl. auch Walter Burkert: Wilder Ursprung.
    Materie und Opfer: Das Opfer hängt mit der Erfahrung des Tötens zusammen, ist ein Mittel der Verarbeitung dieser Erfahrung. Es wurde überflüssig mit der Verinnerlichung des Opfers: mit dem Ursprung der subjektiven Form der äußeren Anschauung, der Konstituierung der Raumvorstellung. Auch die Materie ist Produkt des Tötens.
    Burkert, S. 22: Darstellung eines Schuldverschubsystems.
    Der Weltbegriff rechtfertigt das Töten und die Naturbeherrschung ohne die Erinnerung des Opfers (unter Verdrängung dieser Erinnerung).
    Wo gibt es die indogermanische Mediopassivform, und was bedeutet sie (Burkert, S. 25)?
    Gibt es einen generellen Zusammenhang zwischen Musik und Opfer? Hängt der Ursprung der Musik in der kainitischen Genealogie mit der Ursprungsgeschichte des Opfers zusammen?
    Burkert, S. 26: Maskierte Männer haben das Tier zu töten. Die Maske schützt die Täter vor dem Erkanntwerden. Leistet das nicht seit dem Ursprung dieses Begriffs der Begriff der Person (Zusammenhang mit dem biblischen Feigenblatt)? Mit Vorliebe treten Chöre in den Tragödien in der Maske von Fremden oder von Frauen auf; wenn sie Athener darstellen, können dies allenfalls alte Männer sein, kaum je aber die jungen Bürger von Athen.
    Die Idee des Schicksals (als Schuldzusammenhang des Lebendigen) gründet im Tötungsritual des Opfers. In dieser Tradition steht die Geschichte der Naturwissenschaften (Bedeutung der Opfertheologie für die Ursprungsgeschichte der Naturwissenschaften).
    Sprachdenken ist metaphorisches Denken, aber eines, das man unter Kontrolle behalten muß. Ein sich verselbständigendes (hypostasiertes) Bilderdenken führt von der Sache weg. Man kann sich auch in Bildern verfangen und verstricken.
    Wie hängen die drei Aspekte des Naturbegriffs: Herrschaftsobjekt, Medium der Exkulpation und Ursprung von allem, mit dem Raum zusammen, mit dem Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Rechts und Links und Oben und Unten?
    Problem der Beziehung der Verinnerlichung des Opfers zur These, daß nichts Vergangenes wirklich vergangen ist: Werden nicht am Ende die Steine wirklich schreien? Und hat der Satz „Maria bewahrte alles in ihrem Herzen“ etwas mit der verborgenen Erinnerungskraft der Materie zu tun (Erinnerung der Zukunft)? Wäre das „Macht euch die Erde untertan“ nicht zu ergänzen durch das Verbot zu vergessen?
    Worauf bezieht sich das „Herniederfahren“ Gottes beim Turmbau zu Babel?
    Der Weltbegriff entmächtigt die Sprache.
    Das Christentum ist als Kirche durch seine Leugnung hindurch gerettet worden.
    Was trennt die Innenwelt von der Außenwelt, das Private vom Öffentlichen? Bezeichnet nicht das Schwert die Grenze von Innen und Außen (Enthauptung)? Ist das Schwert nicht ein Symbol für diese Grenze (kreisendes Flammenschwert)? Und gibt es einen Zusammenhang des Schwertsymbols mit der Geschichte des Opfers? Das Schwert ist in der Geschichte des Opfers geschmiedet worden. Und eine, wenn nicht die zentrale Verkörperung des Schwertsymbols ist der Weltbegriff als Inbegriff des Begriffs und als Konstituens des Natur- und Objektbegriffs.
    Der Gedanke, daß ich kein Recht hatte, die Privilegien der Opfer für mich in Anspruch zu nehmen, gehorcht schon einer sowohl christologischen wie auch antisemitischen Logik. Privilegien der Opfer gibt es nur im Christentum; Nur hier hat das Leiden Verdienstcharakter (Grund der Vergöttlichung Jesu).
    Der Gegenbegriff zum Vorbestraften und zum Verbrecher ist der des Unschuldigen (u.U. „wegen erwiesener Unschuld freigesprochenen Bürgers“). Aber ist nicht der unschuldige nur der „unbescholtene“ Bürger (Schuld gleich Bescholtenheit, bewiesener Verdacht)? Was heißt eigentlich „Vorbestraft“? Unterscheidet sich der Vorbestrafte vom Unbescholtenen nicht doch nur durchs Erwischtwordensein? Die aktive Nutzung des Nicht-Erwischtwerden-Könnens ist der Quellpunkt der Gemeinheitsautomatik.
    Drei sind es, die Zeugnis ablegen: der Geist, das Wasser und das Blut; und diese drei sind eins. (1 Joh 57) Wie hängt das zusammen mit Gen 12, dem Geist Gottes über den Wassern, und der Beziehung von Johannes- und Jesus-Taufe? Aber was hat es mit dem Blut auf sich? Klingt darin die Vorstellung mit an, wonach Blut als Ausdruck der verinnerlichten Scham sich fassen läßt? Gründet hier die Heiligkeit des Bluts; und ist es dieses Blut, das zum Himmel schreit (Abel, Noe, Ursprung und Geschichte des Opfers)? (Hat die deutsche Blutwurst etwas mit der Eucharistie zu tun?)
    Beziehung zum Kelch in Getsemane: Verstrickung des Christentums in die Herrschaftsgeschichte. Diesen Kelch trinken heißt: der durch ihn verursachte Trunkenheit sich nicht überlassen, dabei seiner selbst mächtig bleiben (Abstieg zur Hölle?). Entspricht dem nicht das „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“? Und ist das nicht gemeint in der Frage an Jesu an die Zebedäus-Sühne: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?
    Das Neutrum (ne-utrum) macht das Ungleichnamige gleichnamig. Es gründet im Futur II, der grammatischen Form der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die das Andersein der Zukunft ausschließt: Quellpunkt des Inertialsystems. Der genaueste Anwendungsfall einer Reflexion, die diesen parvus error in principio aufzulösen versuchen wollte, sind die Naturwissenschaften, insbesondere die Astronomie, die Kosmologie. Die philosophische (und vor ihr die mythische) Subsumtion von Himmel und Erde unter den Totalitätsbegriff Welt ist der Ursprung der Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen; mit ihr ist die nominalistische Konsequenz der Philosophie mitgesetzt, ihre sprachzerstörerische Kraft. Sie gründet in dem mathematischen, die Mathematik begründenden Konstrukt, dessen Symbol das Gleichheitszeichen ist: der Orthogonalität, die die Richtungen im Raum reversibel und Vergangenheit und Zukunft ununterscheidbar macht und die Gegenwart ausblendet. Sie macht insbesondere die Umkehr gegenstandslos: Hier lassen sich Vorn und Hinten, Rechts und Links sowie Oben und Unten nicht mehr unterscheiden. In diesem Kontext ist die Umkehr (im Christentum) zur Buße geworden. So leugnen die Naturwissenschaften das Angesicht, die Gnade und den Islam (den Willen Gottes). Der Islam im rechten Verstande, die „Unterwerfung“ unter den Willen Gottes, ist kein Passivum, sondern ein Aktivum: nicht das Erleiden eines Schicksals, sondern das Tun des Willen Gottes.
    Theologische Ableitung des Inertialsystems: Hat es nicht auch symbolische Bedeutung, wenn der Islam den Sabbat auf den Freitag vorverlegt hat, gleichsam vor dem Sabbat stehenbleibt, während das Christentum den Sabbat auf den Folgetag (die dies dominica) verschoben hat, ihn gleichsam „überwunden“ hat, als Preis dafür aber selber dem Inertialprinzip verfallen ist (die Ruhe des Sabbat, die Spitze und Erfüllung der höchsten Aktivität, in die Ruhe des Toten: in Trägheit zurückübersetzt hat)? Ausdruck dieser „Überwindung“ des Sabbat ist das Symbol des steinernen Herzen der Welt.
    Ist nicht der Weltbegriff ein Instrument, das es uns ermöglicht, uns den Anblick des Wirbels, in dem wir stehen, zu ersparen, uns den falschen Begriff der Ruhe (als Bewegungslosigkeit: vorgestellt im ruhenden Raum des Inertialsystems) zu vermitteln? Er installiert im Zentrum der Theologie den Götzendienst.

  • 08.02.93

    Das Zwangsbekenntnis ist ein projektives Bekenntnis: ein Bekenntnis für andere, aber auch ein projektives Schuldbekenntnis: Kern der Komplizenschaft derer, die die Religion nur noch ausbeuten. Es verhält sich zum wirklichen Bekenntnis wie Beethoven zu Mozart.
    Wird nicht im Zwangsbekenntnis die Lehre von der Göttlichkeit Jesu an Voraussetzungen gebunden, unter denen sie nicht zu halten ist (double bind). Und hängt das nicht mit der Hellenisierung der Theologie zusammen, mit einer Objektbindung der Sprache, die z.B. in der Verbalinspiration, in dem Verständnis der „Wörtlichkeit“ (im augustinischen „de genesi ad literam“) sich ausdrückt, aber auch im Gesamtkonstrukt der dogmatischen Theologie, die eigentlich nur das philosophische Erkenntniskonzept (den Weltbegriff) rettet, aber die Gotteserkenntnis verrät? Hier liegt der Keim der nominalistischen Selbstzerstörung der Theologie, die heute endgültig der Willkür überantwortet zu werden scheint.
    Die Verbindung des Logos mit der Schöpfungslehre untergräbt die christliche Vorstellung vom fleischgewordenen Gott: sie ist wahr nur, wenn sie als Symbol der Erinnerungsarbeit gefaßt wird.
    Die Deutschen haben keinen Witz, weil sie Witze machen: weil sie unfähig sind, sich der Komplizenschaft des obszönen Witzes zu entziehen (Funktion des obszönen Witzes für die Geltungskraft des Realitätsprinzips).
    Der Weltbegriff verdrängt die Erinnerungsfähigkeit, die der benennenden Kraft der Sprache zugrunde liegt.
    Verweist die „Bitte“ im Brief an Martin Buber (und seine Folgen) nicht auf ein mimetisches Verhältnis zur Tradition: Bin ich nicht gleichsam (unter dem Druck des Faschismus) in diese Theologie hineingekrochen? Ich habe sie mir nicht vom Leibe halten können.
    In welchem Zusammenhang stehen in den Qumran-Texten (Eisenmann/ Wise) die Hinweise auf „Fels“, „Turm“, „Wand“ und „Festung“ (Körperliche Raumbegriffe?), auf Jona und auf die Kreuzigung (S. 148/151)?
    Der Naturbegriff bezeichnet die Objektseite, der Weltbegriff die Subjektseite der verräumlichten Dingwelt (des kantischen Reichs der Erscheinungen). Das Wissen gründet in dem Konstruktionsprinzip, das Natur und Welt verbindet und trennt (in System der transzendentalen Logik): es definiert die Gestalt des gegen die Offenbarung (die Prophetie) sich verstockenden Bewußtseins. Sind nicht wir das halsstarrige Volk, als welches wir die Juden ansehen?

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