Natur ist ein Exkulpationsbegriff, der von der „Last“ des richtigen Lebens (der Barmherzigkeit) befreit. Mit dem Begriff der Natur (und hinter seinem Rücken: dem Bewußtsein nur durch Reflexion zugänglich) konstituieren und entfalten sich die im Weltbegriff zusammengefaßten Herrschaftsstrukturen. Deshalb ist die Geschichte der Naturerkenntnis ein Teil der Herrschaftsgeschichte, deren Erkenntnis sie zugleich ausblendet.
Jede historische Gestalt der Naturerkenntnis war ein Mittel der Rechtfertigung des jeweils Bestehenden; mit dessen Änderung veraltet auch die ihm jeweils korrespondierende Gestalt der Naturerkenntnis. Der große Fisch und das Vieh im Buch Jona: sind das Leviatan und Behemot? Mit dem Begriff der Buße wurde das herrschaftskritische Element im Begriff der Umkehr ins Autoritäre zurückgebogen. Symbol und Typos konstituieren sich als Erkenntnisbegriffe nur durch die Kritik von Natur und Welt (durch die Kritik der historisierenden Vergegenständlichung) hindurch. Exemplarisch für diese kritische Beziehung zur Objektivität ist die symbolische Beziehung der Schlange zum Neutrum und die logische Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren. Verhält sich der Stier zum Naturbegriff wie die Schlange zum Neutrum?
Indogermanisches: Die christianisierten Neutrum-Sprachen sind Sprachen im Bauch des Fisches (Jonas bekennt sich, bevor er ins Meer geworfen und vom Fisch verschlungen wird, als Hebräer). Haben die Christen den Namen der Hebräer nicht seit je als eine spezielle Anwendung (und antijüdische Radikalisierung) des Namens der Barbaren mißbraucht? Der Symbolbegriff bezieht sich auf die Natur, der des Typos auf Welt und Geschichte, und zwar beide als Mittel der kritischen Reflexion. Der Bekennende gibt sich zu erkennen, dieses Bekenntnis (dessen Paradigma das Schuldbekenntnis ist: Ausdruck der Wehrlosigkeit) wird durch die Bekenntnislogik ins Gegenteil verkehrt: die Bekenntnislogik macht das Bekenntnis zur Maske, den Bekennenden zur Person: sie macht die Welt zum Subjekt des Bekenntnisses (und wird so zu einem Instrument der Welt- und Objekt-Erkenntnis). Jesus hat die Bekenntnislogik in der Gestalt des Pharisäers zum Objekt der Kritik gemacht. Durch Historisierung der Pharisäer (wie auch der Propheten) hat das Christentum diese Kritik externalisiert und zu einem Instrument des Antijudaismus gemacht. Für die Christen waren die biblischen Pharisäer gleichsam Pharisäer von Natur, ihr Pharisäertum eine Natureigenschaft (hier liegt eine der Wurzeln des Rassismus), die Christen sind durch diese projektive Verschiebung nicht mehr nur zu Pharisäern, sondern zu Rassisten geworden. Die Logik des Satzes „Rich-tet nicht …“ läßt an dieser Konstellation sich demonstrieren; die Bekenntnislogik ist die Logik der Verurteilung. Sind die Wolken der Zeugen die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn kommen wird? Das Herrengebet hat die Christen ins Leere, in die Wüste geschickt: Wie können sie den Namen heiligen, wenn sie ihn nicht kennen? So wurde aus der Heiligung des Gottesnamens das Verbot des Fluchens (das wahr wird, wenn man es moralisch, als Norm des Handelns, und nicht verbal versteht: als Herrschaftskritik und nicht als Verbot der Majestätsbeleidigung, der „Verunglimpfung“ von Herrschaftssymbolen). Jedes Verurteilen ist ein Fluchen; und dieses Fluchen konstituiert die Wege des Irrtums (den bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist). Hat die Erfindung der Schrift etwas mit dem Versuch der Rekonstruktion der Planetenbewegungen zu tun? Und verweist nicht das Planetensystem (wie auch der hebräische Name des Himmels) auf die Beziehung von Schrift und Wort? Am Ende wird sich der Himmel wie eine Buchrolle aufrollen. Die folgenreichste Wirkung der kopernikanischen Wende war, daß sie die Schrift dieses Buches gelöscht hat. Kohelet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Deshalb ist des Bücherschreibens kein Ende. Ist nicht Kants Wort über den Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir der Beweis, daß er mehr wußte als er sagen konnte? Kant = Jona: Die Kritik der reinen Vernunft ist der Bauch des Fisches, die Kritik der praktischen Vernunft das Gebet im Bauch des Fisches, und mit der Kritik der Urteilskraft hat der Fisch Jona an Land gespien (dort aber reichte sein Sprachvermögen nur bis zu dem Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört). Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe. Dazu eine Warnung: Der Messias wird in der gleichen Gestalt wiederkommen, nicht aber der Antichrist. Verhalten sich die hebräischen und die griechischen (indoeuropäischen) Deklinations- und Konjugationsformen zueinander wie die Wasser über und die Wasser unterhalb der Feste des Himmels (wie Name und Begriff, Wort und Schrift)? Ist nicht der Himmel das erste Geschöpf, dazu das einzige, das dann als Name Verwendung findet? Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte: Heißt das, daß, wer Joseph nicht mehr kennt, wie Pharao wird? Wenn der Herr sich als Urheber der Verstockung bekennt, ist das nicht der Herr, den Pharao nicht kennt (und ist das die Ursache der Verstockung)? Auch wenn Gott das Herz des Pharao verhärtet, verstockt Pharao sich selbst. Und ist nicht das Gottsuchen der einzige Weg, der aus der Verstockung herausführt? Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: In der objektivierenden Anschauung des Andern erkenne ich meine eigene Nacktheit. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen.
Der „eliminatorische Antisemitismus“ war die Einübung ins Herrendenken, das nach dem Krieg (auf der Grundlage der kollektiven Verdrängung und im Prozeß der Metamorphosen des Feindbilds) als ausgesprochen karrierefördend sich erwiesen hat. Auschwitz steckt in den Fundamenten der Nachkriegsgesellschaft (nicht nur in Deutschland), diese Vergangenheit ist nicht nur vergangen.
Adornos Bemerkung, daß heute jeder Katholik schon so schlau sei wie früher nur ein Kardinal, gehört in den gleichen Zusammenhang. Dem Antisemiten (ähnlich wie dem Folterer) beweist jede Lebensäußerung des Opfers (jeder Ausdruck der Qual, die der Folterer ihm zufügt) das Recht und die Notwendigkeit, es zu quälen. Das verleiht dem Antisemitismus (aber auch seinen Nachfolgekonstrukten) eine Beharrungskraft, eine inertiale Gewalt, die inzwischen die gesellschaftliche Bewegung insgesamt durchdringt, sie dem mechanischen Prozeß, mit dessen Logik sie seit ihrem Ursprung aufs engste verbunden ist, endgültig angleicht. Der apagogische Beweis (dessen Analyse noch aussteht) ist der Beweis durch Verdrängung. Und die Vorstellung des unendlichen Raumes, die keine ist (der unendliche Raum läßt sich nicht „vorstellen“), gewinnt ihre Überzeugungskraft und ihre logische Gewalt allein aus den Verdrängungsprozessen, die die Anpassung an die Welt (das Selbsterhaltungsprinzip) heute erzwingt. Hegels Kritik des apagogischen Beweises (Logik I, Ausgabe Meiner 1951, S. 231ff, insbesondere S. 236), die ihn nicht auflöst, sondern instrumentalisiert, ergreift (obwohl sein Text das Gegenteil suggerieren will) die Partei der Welt gegen das Subjekt. Verweisen nicht die Aporien des kopernikanischen Systems, in dem bei gleichmäßiger Verteilung der Materie im Universum nicht sich erklären läßt, – weshalb es nachts dunkel ist und – weshalb die Gravitationskräfte, die sich eigentlich akkumulieren müßten, nicht unendlich und chaotisch sind, auf einen inneren Zusammenhang von Gravitation und Licht, und ist es nicht in der Tat merkwürdig, daß Newton, der das allgemeine Gravitationsgesetz entdeckt hat, auch die Grundlagen für die physikalische Optik gelegt hat, und daß Einsteins Relativitätstheorien durch ihre Beziehung zum Licht und zur Gravitation sich unterscheiden? Ist das Inertialsystem die Feste des Himmels, die im Namen des Himmels die Einheit von Wasser und Feuer repräsentiert, und hat nicht Einsteins spezielle Relativitätstheorie den Zusammenhang beider erstmals notiert: das Wasser im Relativitätsprinzip und das Feuer im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (das konkret nur auf thermische <oder allgemein: mikrophysikalische>, nicht auf makrophysikalische Objekte und Prozesse sich bezieht; die Beziehung der speziellen Relativitätstheorie (des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) zur Planckschen Strahlungsformel ist nicht nur eine zufällige, historische, sondern beide beziehen sich, in unterschiedlicher Perspektive, auf den gleichen logischen und empirischen Sachverhalt: auf die Wechselwirkung kinetischer und elektrodynamischer Prozesse)? Sintflut: War der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“, der die Geschichte der Philosophie eröffnete, die erste Formulierung des Relativitätsprinzips?
Naturwissenschaft
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18.08.1996
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15.08.1996
Unter den neutestamentlichen Namen kommen Abraham und Isaak, Moses und Aaron, David und die Namen der Propheten nicht vor (mit zwei Ausnahmen: Zacharias ist Sacharja, und Simon Petrus wird einmal als Barjona, Sohn des Jonas, bezeichnet). Die am häufigsten vorkommenden Namen sind: Simon und Judas, Jakobus und Johannes, Joseph; auffällig sind der jüdische Gebrauch griechischer (und römischer) Namen: Andreas, Philippus, Alexander (Petrus, Paulus, Rufus). Bei den Frauen ist Maria fast ein Standard-Name, dazu Elisabeth, Hannah, Martha, Salome, Susanna.
Unterstellt nicht dieses falsche Adorno-Zitat von Habermas „Eingedenken der gequälten Natur“, daß Adorno nur mit dem Negativen sich befaßt habe (nur mit der gequälten Natur, nicht mit der anderen Natur, was immer das sein mag)? Wer der Natur-Kritik glaubt enthoben zu sein, verdrängt die Wahrnehmung des Schreckens und verliert die Fähigkeit zur Kritik des Bestehen.
Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Hinweis darauf, was mit dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, gemeint ist? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird. Steckt nicht hinter dieser Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz ein politisches und ein sprachlogisches Problem zugleich (und sind nicht die zentralen politischen Probleme zugleich auch sprachlogische Probleme)?
Der Symbolbegriff schließt den affirmativen Gebrauch aus; es gibt keine ein für allemal gültigen Zuordnungen der Symbole zu ihren Bedeutungen. Das Symbol ist ein Reflexionsmedium, das gegen die verdinglichende Gewalt des Urteils sich richtet, diese Gewalt gegenstandslos macht. Es ist der Vorschein der Erfüllung des Worts, die nicht mehr nur im Medium der Sprache sich vollzieht.
Beziehen sich nicht die drei Verdrängungsakte, die die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis als ihr Schatten begleiten:
– die Verdrängung der Sinnlichkeit (die in den Objekten keinen Halt mehr findet),
– die Verdrängung der Kritik (deren Subjektivierung zur bloßen Meinung) und am Ende
– die Verdrängung der Schuld (die zu einem pathologischen Gefühl wird, von dem das aufgeklärte Subjekt sich freizumachen hat -hierher gehört der ungeheure Verdrängungsakt, der nach dem Krieg die Schrecken des Faschismus durch Objektivierung der Erfahrung entzogen hat),
auf die drei theologischen Themen, die am Angesicht, am Feuer und am Namen sich entzünden? Ist nicht das Angesicht der Schlüssel zur sinnlichen Erfahrung, das Feuer das Symbol der Beziehung der Kritik zur Idee der Wahrheit, und ist es nicht der Name, der die Fähigkeit der Erinnerung und Reflexion der Schuld begründet? Schuld wird zu einem pathologischen Gefühl, wenn der Name (wie der Gottesname in der Trinitätslehre) zu Schall und Rauch wird.
Verhalten sich nicht Angesicht und Name wie Nähe und Ferne, und sind nicht beide durch das Feuer auf einander bezogen? Ist nicht der Name das unendlich Ferne, das Gesicht das unendlich Nahe, bezeichnen sie nicht die beiden Grenzen der räumlichen Unendlichkeit (die des unendlich Großen und des unendlich Kleinen), die durch die Orthogonalität auf einander bezogen sind?
Wenn das Angesicht und der Name etwas mit der Form des Raumes zu tun haben, dann hat die Reflexion und Kritik der Form des Raumes etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun: mit der Idee des Leuchtens Seines Angesichts.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Plancksche Strahlungsformel rühren gemeinsam an das im Orthogonalitäts-Problem verborgene Problem des Feuers.
Die Sinnfrage (die John L. Berger zufolge die Grundfrage der Religion ist) leugnet die Auferstehung. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, ontologisiert den Habitus des „neutralen Zuschauers“, der weder neutral noch bloß Zuschauer ist, er ontologisiert den Habitus des Herrenblicks (den heute das Fernsehen kultiviert); er leugnet die moralische Gemeinschaft mit der Welt und zerstört das moralische Selbstverständnis der Menschen. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, möchte die Last der moralischen Pflichten, die darin gründet, daß das Sein keinen von ihrem moralischen Verständnis (von der Sensibilität, von der Fähigkeit zur Wahrnehmung des Leidens) unabhängigen Sinn hat, loswerden. Das Bedürfnis nach Sinn ist eine Konsequenz aus dem objektivierenden Verständnis des Seins.
Die Frage nach dem Sinn von Sein ist antisemitisch (eine Ursprungsgestalt des eliminatorischen Antisemitismus im Sinne Daniel Goldhagens).
Gibt es außer dem Blut des Abel und dem Leiden der Israeliten im Sklavenhaus Ägypten noch andere Dinge, die „zu Gott, zum Himmel schreien“? Ist der Schrei die Ursprungsgestalt des Gottesnamens?
Der Hinweis, daß es nicht nur die eine, allen gemeinsame Welt (die eine Projektion unseres menschlichen, am Selbsterhaltungsprinzip geschulten Verstandes ist), sondern verschiedene, nach Gattungen getrennte Welten gibt, daß zu jeder Nation, zu jeder Sprache, zu jedem Beruf, insbesondere aber zu jeder Tiergattung (und diese Zuordnung ist die exemplarische) eine eigene Welt gehört, ist nicht metaphorisch, sondern in der Logik des Weltbegriffs selber begründet.
Vgl. hierzu:
– Kants Definition der Begriffe Natur und Welt sowie Hegels Begründung für seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, weil es dann nämlich keine verschiedenen Gattungen und Arten der Tiere geben dürfe: zur einen Welt gibt es nur ein Tier;
– aber auch die Geschichte der Benennung der Tiere durch Adam, an die die kantische Definition des Weltbegriffs rührt, und das apokalyptische Symbol des Tieres, das in Hegels Bemerkung über die logische Beziehung von Tier und Welt sich entschlüsselt: das Symbol des Tieres ist ein sprachlogisches Symbol;
– und schließlich die Geschichte der Tieropfer, die ihr apokalyptisches telos im Opfer des Tieres und des falschen Propheten finden wird.
Hat das Tier aus dem Meere etwas mit der griechischen (der prädogmatischen), das Tier vom Lande etwas mit der lateinischen (der postdogmatischen) Sprache zu tun?
Wie hängt das Feuer mit dem Dingbegriff, und wie hängen beide mit der Geschichte der Instrumentalisierung zusammen? -
10.08.1996
Daniel Goldhagen zitiert auf S. 87 ein Flugblatt aus dem Rheinland (aus dem 19. Jhdt.), in der es heißt, „die Welt überhaupt“ werde von dieser Frage (der Emanzipation) angerührt. Erinnert diese Wendung nicht tatsächlich an den Zusammenhang des Antisemitismus mit der Geschichte des Weltbegriffs?
Der Faschismus ist Ausdruck einer Zwangslogik, deren Bann allein durch Reflexion zu brechen ist. Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleiche, die sie gleichwohl falsch abbildet, trifft genau diesen Sachverhalt.
Hängen die Sätze „Ich bin das Licht“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ mit dem Licht des ersten Schöpfungstags zusammen, zu dessen Vorgeschichte der Geist über den Wassern gehört? Und bezieht sich hierauf die Wahl des ersten Tages als dies dominica, als Herrentag, sowie der Satz, der Menschensohn sei Herr des Sabbats (was nicht auf seine Abschaffung, sondern auf seine Erfüllung zielt)?
Erst ein Volk, das sich aus dem Bann, bloß Volk (bloß Schicksalsgemeinschaft) zu sein, löst, das auf Erden löst, was dann im Himmel gelöst sein wird, entrinnt der Gefahr des Antisemitismus (was liegt zwischen dem Lösen des sechsten und des siebten Siegels?).
Liegt nicht das innere Problem des Christentums, wie auch die Lösung des Rätsels der Apokalypse und ihrer Beziehung zur Prophetie, darin, daß es nicht mehr nur um die Beziehung zweier Seiten (Innen und Außen, Im Angesicht und Hinter dem Rücken), sondern um die Konstellation der sechs Seiten eines Objekts (hat dieser Hinweis etwas mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos und mit der des Übergangs von der Eucharistielehre zum Inertialsystem zu tun)?
Muß man nicht bei der Entschlüsselung der Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen davon ausgehen, daß die Plagen, wie sie hier beschrieben sind, aus der Sicht des Pharao sich darbieten (so wie für ihn JHWH der Gott der Hebräer ist)? Und wurde eigentlich das „Scheusal Ägyptens“ schon geopfert?
Das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos verweist auf das Problem des pathologisch guten Gewissens, auf die Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik (und damit des Weltbegriffs, des Herrendenkens, des Staates). Vgl. dazu die Geschichten
– der drei Jünglinge im Feuerofen (Daniel),
– des Martyriums der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk),
– der Sara und des Dämons Asmodai (Tob) und
– der Maria Magdalena und der sieben unreinen Geister.
Oder insgesamt: Das Christentum schließt den Frieden mit der Welt aus.
Hat die Konstellation, in der die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich löst, etwas mit der Konstellation zu tun, in der die Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel durchsichtig wird?
Haben die drei ersten Plagen etwas mit den kantischen Totalitätsbegriffen zu tun, und kommt die Natur aus dem Wasser und die Welt vom Lande (die Tiere der Apokalypse)?
Wer waren die „ägyptischen Zauberer“, und von welchem Punkt an konnten sie, was Moses und Aaron taten, nicht mehr nachmachen, wann sagten sie. Das ist der Finger Gottes?
Das Wort „Der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis …“ ist an Seinen „Gesalbten Cyrus“ adressiert.
War nicht am Ende des Krieges die schlagartige Verdrängung dessen, was man vorher gewußt hat, der Preis für die „Bewältigung“ der Vergangenheit durch bloßen Gesinnungswechsel, durch Eintritt in die Gemeinschaft aller, die die Vergangenheit nur zu verurteilen brauchten, um sich davon loszusagen? Verdrängt werden mußte neben dem eigenen Anteil an dieser Vergangenheit insbesondere auch, was man über die Beteiligung der anderen wußte: Selbst die Verdrängung (die kollektive Amnesie) gehorchte noch den in der Nazizeit eingeübten Gesetzen der Komplizenschaft (steckt nicht im Begriff der Gesinnung ein kollektiver, bekenntnislogischer Anteil: Paradigma der Gesinnung ist die nationale Gesinnung).
Die im Umkreis der Habermas-Schule gängige Kritik der Postmoderne trägt ausgesprochen projektive Züge. Und ist nicht in der Tat die habermassche Kommunikationstheorie ein postmodernes Konstrukt, das sich von der französischen Postmoderne nur dadurch unterscheidet, daß sie kein Bewußtsein davon hat, daß sie es nicht weiß?
Einer der Effekte des Inertialsystems ist die Irreversibilität der Zeit. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die Basis und die Voraussetzung dieser Irreversibilität der Zeit; ohne die irreversible Zeit wäre die Ausdehnung des Raumes, wären die räumlichen Beziehungen der Orte im Raum nicht definiert. Sie macht so die Grenze zur Vergangenheit zu einer absoluten, sie ist zugleich das Instrument der Instrumentalisierung der Erinnerung, der Löschung der Kraft des Eingedenkens.
Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das logische Prinzip, das die Vergangenheit absolut setzt und sie der Erinnerung, dem Eingedenken entzieht. Diese Logik arbeitet mit der instrumentalisierten Form der Erinnerung, die das Eingedenken ausschließt. Darauf, auf die Kritik dieser instrumentalisierten Erinnerung, zielte Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (nicht das Eingedenken der „gequälten Natur“, so Habermas).
Ist nicht das Inertialsystem die Form einer Beziehung zur Objektivität, die auf einer kollektiven Amnesie (auf den „subjektiven Formen der Anschauung“) sich gründet und sie zugleich reproduziert? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Reflex des „stummen Inneren der Gattung“ im Subjekt? Und gehört die Selbstreflexion im Spiegel des Auslands zur Logik dieser durchs Inertialsystem festgeschriebenen Beziehung zur Objektivität, die mit dem Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, nicht mehr anfangen kann?
Das Inertialsystem ist der Reflex des Selbsterhaltungsprinzips, es ist in sich selbst herrschaftsgeschichtlich, und d.h. durch die Geschichte des Staats als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, als Organisationsform einer Gesellschaft, die auf der Grundlage der Geldwirtschaft auf dem Prinzip der Selbsterhaltung sich gründet, vermittelt.
Welche wirklichen „Erfolge“ hat die Weltraumforschung (neben der Erfindung der Teflonpfanne) aufzuweisen? Zu nennen wäre:
– zunächst einmal ihr rüstungstechnischer Beitrag zur Entwicklung von Waffensystemen (die Raketen sind nutzbar als Trägersysteme);
– hinzu kommt ihre „ökonomische“ Funktion auf der Grundlage der Satelliten-Technik, die neben der Wetterforschung insbesondere die Globalisierung der Telekommunikation gefördert hat (und mit ihr die Globalisierung der Marktgesetze, zu deren Folgen auch die fortschreitende „Privatisierung“ aller ökonomischen und kommunikativen Einrichtungen, nicht zuletzt des Fernsehens: ihre Subsumtion unters Wertgesetz, gehört).
Wer das bereschit am Anfang der Genesis mit „im Prinzip“ übersetzt, kommt der Sache sehr nahe: Gemeint ist ein „logischer“, kein zeitlicher Anfang, nur wäre dieser Begriff der Logik genauer zu bestimmen: Er gehört zur Logik des Namens, nicht des Begriffs. -
08.08.1996
Erbauliche Theologie dient allein der Einübung des Geschwätzes. Biblische Personen und Erzählungen werden nur noch als Folie der Selbstbespiegelung wahrgenommen. Es gibt eine erbauende Kraft der Schrift, und in ihren Zusammenhang gehört das Wort vom Eckstein, den die Bauleute verworfen haben. Diese Verwerfung des Ecksteins führt direkt in die an sich blasphemische Erbaulichkeit. Die Erbaulichkeit orientiert sich an einer Idee der Unsterblichkeit der Seele, die vom Zustand der Welt abstrahiert, während das erbauende Denken am Zustand der Welt sich orientiert: Es findet seinen Grund in der Lehre von der Auferstehung der Toten.
Das Gelübde ist auf der Grenze zwischen Tauschprinzip und Rechtsprechung angesiedelt, das Gelübde selbst als Angebot oder Anklage, das Eintreten seiner Erfüllungsbedingungen als Kauf oder Urteil. Und ist nicht das Tauschverhältnis die säkularisierte Gestalt eines Herrschaftsverhältnisses (mit dem Verkäufer als Knecht und dem Kunden als Herrn), oder genauer: Verwandelt das Tauschverhältnis nicht das Herrschaftsverhältnis in eine reversible Beziehung, ist es nicht das Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft (und der Verhärtung der Herzen)? Aber diese Reversibilität ist der Ursprung des Scheins: der Trennung des Bewußtseins vom Sein, der Ursprung des falschen Bewußtseins (Bedingung und Resultat der Verhärtung des Herzens).
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum gründet in der Orthogonalität, beide zusammen (und mit ihnen die Zwangsvorstellung des dreidimensionalen Raumes) gründen in der Irreversibilität der Zeit. Wäre das Inertialsystem mehr als ein metrisches Konstrukt, wäre es eine objektive Wesenheit, so würde das Zeitkontinuum gesprengt. Darin liegt die Wahrheit des Urknalls, in dem diese Sprengung sich reflektiert, und der am Ende, nicht am Anfang liegt. Auf dieses Ende zielt Heideggers (von Vernichtungsphantasien genährte und beherrschte) Frage: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?
Die Lichtgeschwindigkeit (die durchs Inertialsystem vermittelte Außenseite des Lichts) rührt ans tohuwabohu und an die Finsternis über dem Abgrund.
Das Recht und das Inertialsystem sind die vergeblichen, und deshalb unendlichen Versuche, den Bruch, der Natur und Welt scheidet, zu heilen, und ist es nicht dieser vergebliche Versuch, auf den sich das Wort von den Pforten der Hölle, die die Kirche nicht überwältigen werden, bezieht?
Kann es sein, daß es in den USA deshalb nie eine linke Partei gegeben hat, weil der Rassismus den Klassenkampf unsichtbar gemacht hat? Die linke Theorie hat insofern recht, als der Rassismus dem Grunde nach auf ein gesellschaftliches Verhältnis, nicht auf ein biologisches sich bezieht. Aber erfahren wir dieses gesellschaftliche Verhältnis (auch den Klassenkampf) nicht in der Tat als Natur, und hat es für uns nicht die Gewalt der Natur, die der Staat und das Recht dann garantieren? Zu dieser Natur gehören dann – wie zur christlichen Welt die Hölle – die Knäste.
Auto und Fernsehen: Freie Bahn für freie Bürger. Die andern enden vor der Glotze.
Entspricht nicht der Bildschirm der Scheibe im Schaufenster, die die potentiellen Käufer von der Ware trennt; sind nicht Fernsehmoderatoren zum Leben erweckte Waren?
Wort zum Sonntag und Morgenandacht: Das Fernsehen markiert das Ende, das Radio den Anfang vom Ende.
Kohl hat sich durchgesetzt, weil er alles aussitzt: Ist er überhaupt ersetzbar?
Als die SPD Lafontaine zum Parteivorsitzenden wählte, hat sie das Pfeifen im Walde mit den Trompeten von Jericho verwechselt.
Wie unterscheidet sich das Erbarmen vom Mitleid (vgl. hierzu die Geschichten von den „wunderbaren Brotvermehrungen“: das eine Mal „ergriff ihn das Mitleid mit dem Volke“, das andere Mal „erbarmte ihn des Volkes“)? Unterscheidet sich nicht das Mitleid von der Barmherzigkeit durch das Bewußtsein der Ohnmacht? Und gilt das Erbarmen (der Impuls zu helfen) den Opfern, das Mitleid (die Erfahrung der Ohnmacht und der Schrecken angesichts der Frage: Wie können die das tun?) den Tätern? Hängt nicht Nietzsches Idee des Herrenmenschen (der „blonden Bestie“) mit der Abwehr des Mitleids (als „größte Gefahr“) zusammen, mit der Unfähigkeit, diese Ohnmacht zu ertragen? Anstatt das Bewußtsein der Ohnmacht im Mitleid zu reflektieren, schlägt er sich auf die Seite der Herren, die am Ende kein Mitleid mehr dulden.
Das Fernsehen kann Mitleid erzeugen, niemals Barmherzigkeit. Gründet das Mitleid im Sehen, während die Barmherzigkeit das sprachlich reflektierte Sehen zur Grundlage hat? Das Mitleid gehört zur Logik der Schrift, die Barmherzigkeit gründet im Wort (das Objekt des Mitleids ist stumm, das der Barmherzigkeit schreit zum Himmel).
Unterscheidet nicht schon die Schrift zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Wortes? Ist diese innere Unterscheidung der Prophetie nicht in den Begriff der Prophetie mit hereinzunehmen, und ist nicht die Apokalypse (die Fortentwicklung der Prophetie unter den Bedingungen des Weltbegriffs, der in dieser Unterscheidung sich ausdrückt) der Ausdruck und die Entfaltung der Objektivität dieser Unterscheidung?
Der Weltbegriff unterliegt einem organischen Prozeß: So enthält er in sich selbst die Ursachen seines Untergangs. Spenglers Kulturbegriff gründet in diesem Weltbegriff.
Ist nicht der Urknall ein spätes Echo der creatio mundi ex nihilo? War nicht dieses theologische Konstrukt bereits ein Reflex des „Weltuntergangs“, die bloße Umkehrung des Endes? Als Schöpfer der Welt ist der Staat der Vollstrecker ihres Untergangs.
Gibt es den Begriff der Verstockung (der Verhärtung des Herzens) schon vor der Exodus-Geschichte?
Das Ding ist der Reflex der unendlichen Ausdehnung des Raumes (und der Zeit), während das Angesicht diese Unendlichkeit widerlegt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind die realsymbolische Entsprechung des biblischen Kelchsymbols; ihre verdinglichende Gewalt korrespondiert dem „göttlichen Zorn und Grimm“.
Der Hinweis auf die Verantwortung bleibt formal, ein Instrument der Selbstentlastung (und des Schuldverschubsystems), wenn ich nicht davor die Frage setze, ob ich sicher bin, daß ich, wenn ich an der Stelle des Andern gewesen wäre, anders hätte handeln könnte.
Auch die Nazis waren Opfer. Das entlastet sie nicht von ihren Taten, aber vielleicht hilft dieser Satz, die Wiederholung dieser Taten, die über ihre bloße Verurteilung sich vorbereitet, zu verhindern.
Die Ausgrenzung des Schreckens aus dem Begriff des Faschismus (durch das Instrument der Verurteilung) ist die Ausgrenzung derer, die ihn nicht loswerden.
Hat nicht der Gebrauch der Verurteilungslogik, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, sehr viel mit den „sieben unreinen Geistern“ zu tun?
Die einzige brauchbare Definition Gottes: Er ist es, der die Toten erweckt.
Der Corpus Christi Mysticum schließt (nach der „Mysterientheologie“ Odo Casels) die Einbeziehung in das Leiden und den Tod Jesu mit ein.
„Was sind das doch armselige Menschen …“ und „Was sind das doch für armselige Menschen …“: Dieses „für“ rückt den Satz aus dem Bereich des Erschreckens (und der Barmherzigkeit) in den der Verurteilung (des Gerichts). Die erste (ursprüngliche) Fassung des Satzes ist Ausdruck eines katholischen Selbstverständnisses, das es nicht mehr gibt. Die Kirche gibt keinen Halt mehr für den Widerstand gegen die Welt, sie hat die Mittel dieses Widerstands als Ballast abgeworfen. So findet sie sich als das steinerne Herz der Welt in deren leerem Zentrum wieder.
Drückt sich nicht in dem „für“ die Verdrängung genau der Wahrnehmung aus, die in dem ersten Satz zum Ausdruck gebracht wurde? -
4.8.96
Luther hatte Recht, als er Rom mit Babylon in eins setzte, aber er hätte die Kirche nicht verlassen dürfen. Babylon unterscheidet sich von Ägypten dadurch, daß es aus Babylon keinen Exodus gibt. Für Babylon gilt der Satz des Jeremias: Betet für das Wohl der Stadt. Nach der Apokalypse ist der Herr in Sodom und Ägypten, aber nicht in Babylon gekreuzigt worden (Off 118). Babylon aber hat Jerusalem zerstört. Unterschlägt (oder verdrängt) die Befreiungstheologie nicht Babylon (und deshalb das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos, die Vorgeschichte des Kelch-Symbols)? Es ist strikt untersagt, die Zeiten zu berechnen, denn den Tag und die Stunde kennen weder der Sohn noch die Engel, sondern nur der Vater. Es ist jedoch geboten, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Heute haben alle Katastrophen ihr bewegendes, ihr kausales Zentrum auch in der Sprache, so wie das heliozentrische System sein Zentrum in der Sonne hat, das die Irrwege der Planeten determiniert. Die Enden der Erde, sind das nicht die göttlichen Namen, auf die die sechs Richtungen des Raumes versiegelt sind (die sechs „Planeten“, ohne Saturn)? Und sind diese Richtungen des Raumes nicht allein erfahrbar im Angesicht (so hängen der Name und das Angesicht zusammen)? Kopernikus und Newton haben die obere und die untere Welt gleichnamig gemacht (den Saturn durch die Sonne, den Sabbath durch die dies dominica, ersetzt), sie haben den Hades totalisiert. Gilt für diese Welt, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden? Wenn wir zu ihm umkehren (in der Heiligung des Namens), wird Er zu uns umkehren (im Leuchten Seines Angesichts). „Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht“: Steht hier das „Er sprach“ in der erzählerischen Vergangenheit und das „Es werde Licht, …“ im Präsens der indirekten Rede? Oder würde der hebräische Text auch die Interpretation zulassen, daß das „Es werde Licht, …“ nur eine Erläuterung des „Er sprach“ ist, daß Sein Wort im Licht sich manifestiert, und daß die Verdoppelung des Lichtwerdens auf das dialogische Moment in Gottes Wort verweist? Und damit auf ein dialogisches Moment im Licht: das das Sehen und Gesehenwerden umfaßt; hiervon abstrahiert die Anschauung, die in den Formen der Anschauung monologisiert und vergesellschaftet wird. Die Konvergenz von Sprache und Licht wird durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum neutralisiert; sie ist die Grundlage der Erschaffung des Menschen: „nach Seinem Bild, nach Gottes Bild, als Mann und Weib“. Deshalb reicht die Unterscheidung des Männlichen und Weiblichen bis in den Sprachgrund herab (im Hebräischen ist auch die zweite Person nach Geschlechtern differenziert). Sprache als Mitteilung, Information, Botschaft: Der Monolog ist Rede über etwas; er ist objektivierend und instrumentalisierend; er vollzieht sich hinter dem Rücken der Dinge wie der Adressaten. Das Paradigma des Monologs ist das Buch, die Wissenschaft, die Vorlesung; seine Erfüllung findet er in den Medien, die nur noch Leser, Hörer, Zuschauer kennen; sein Vorläufer war die Predigt. Im Deutschen wird zur formellen Anrede die dritte Person plural, das Sie, verwandt, im Englischen die zweite Person plural, das you, das dann zur generellen Anrede der zweiten Person geworden ist, das thou verdrängt hat. Im Deutschen ist das Personalpronomen der dritten Person plural identisch mit dem der dritten Person singular femininum (während für die zweite Person plural das Possessivpronomen der dritten Person singular femininum <das Ihr> verwandt wird). Während im Deutschen die Possessivpronomina im Singular analog gebildet sind (mein, dein, sein), und nur das Femininum der dritten Person abweicht (das Ihr, das dann als Personalpronomen der zweiten Person plural verwandt wird), sind im Englischen die Possessivpronomina der dritten Person singular geschlechtsspezifisch differenziert (his, her), nur die der ersten und zweiten Person (mine, thine) sind analog gebildet. Hängen diese Unterschiede mit dem Unterschied beim Infinitiv Sein (englisch: to be) zusammen, und verweisen sie nicht auf ein tiefes sprachlogisches Problem? Wasser zu Blut (1. ägyptische Plage, vgl. auch Off 88, 163,4): Ist dieses Blut das Lebensprinzip des subjektlosen, aus dem gesellschaftlichen Schuldzusammenhang erwachsenden Lebens? Entstehen nicht daraus die Frösche (2. Plage), die dann auch im Nil bleiben (zu den Fröschen vgl. Off 1613f)? Stab/Schlange: Bei welchen Plagen wird der Stab verwandt? Welche Bedeutung hat der Stab in der Wüstenwanderung, und hängt er mit der „ehernen Schlange“ zusammen, die später dann zum Tempel gehörte, aus ihm in der Königszeit (durch Hiskia, 2 Kön 184) entfernt wurde? Das Strafrecht ist das (auf dem Grunde des Gewaltmonopols sich konstituierende) Bekenntnis des Staates (vgl. zur Ursprungsgeschichte des modernen Strafrechts den Zusammenhang von Dogma und Inquisition). Werte sind Reflexionsformen des Strafrechts in der Ethik, gründen sie nicht sowohl in der Ethik als vielmehr in der (Bekenntnis-)Logik des Strafrechts. Sprachlich und logisch sind Werte Urteile, die jedoch objektive Realität nicht durch argumentative Begründung, sondern durch kollektive Sanktionierung (durch Verbote und durch Verurteilung) gewinnen (sowas tut man nicht). Zu Werten „bekennt“ man sich, und Werte werden „durchgesetzt“. Werte sind Reflexionsformen des im Strafrecht gesellschaftlich organisierten Rachetriebs.
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2.8.96
Credo, quia absurdum: Die Bekenntnislogik entspringt in einer Konstellation, in der ich selbst mich mit den Anderen identifiziere, „vor denen“ ich „das Bekenntnis ablege“: mit der Welt, die das Bekenntnis nicht versteht. Die Bekenntnislogik ist die Logik des Schuldverschubsystems: sie lädt der Welt die Sünde auf, anstatt die Sünde der Welt auf sich zu nehmen, und beruhigt sich in dem Glauben, daß Jesus, das „Lamm Gottes“, die Sünde der Welt „hinweggenommen“ hat. Die Bekenntnislogik ist die Umkehrung der Versöhnung. – Steht das Verhältnis der Kirchen zu ihren Vergangenheiten bis hin zu Auschwitz nicht unter dem Gesetz dieser Bekenntnislogik, der Logik der Konfessionalisierung und damit der systematischen Verweigerung der Erinnerung, des Eingedenkens? Im Kontext der Bekenntnislogik werden Vergangenheiten immer nur überwunden oder bewältigt, nicht erinnert. „Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt …“ (Mk 838): Steht nicht die Bekenntnislogik unter dem Gesetz dieser Scham? Und die Konsequenz: „dessen wird sich auch der Menschensohn schämen“ bezeichnet einen einfachen logischen Sachverhalt, sie ist nicht Ausdruck eines Rachetriebs (nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir), zu dem sie erst auf der Grundlage der Bekenntnislogik wird. Die Salbung in Bethanien (Mk 143ff, vgl. Bedenbender in TuK 67, S. 51): Ist sie nicht Totensalbung und die Salbung des Messias (des Gesalbten) zugleich? Ton Veerkamp zitiert in TuK 67, S. 53 die drei Stellen in der hebräischen Bibel, an denen das Verb nippasch, „aufatmen, beseelen“ vorkommt. Die eine bezieht sich auf David (2 Sam 1614), eine weitere auf Gott, der am siebten Tage „aufatmete“ (Ex 3117) und die dritte auf Ex 2310, „wo der Sohn der Dienstmagd und der Fremde ‚beseelt‘ werden“. Der letzte Vers lautet vollständig: „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, am siebten Tage aber sollst du feiern, damit dein Rind und dein Esel ruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremdling aufatmen können“ (Übersetzung nach Zürcher Bibel). Verweisen Rind und Esel auf Joch und Last, der Sohn der Sklavin und der Fremdling auf den Sohn Marias und die Heiden? Hat nicht die Bemerkung Ton Veerkamps, daß „am Schabbath … unsere Maschinerie relativiert (wird)“ und „die strukturlose Zeit … die tödliche Bedrohung aller Menschheit (ist)“, auch „erkenntnistheoretische“ Konsequenzen: rühren sie nicht an das Problem des Inertialsystems, an die Vergegenständlichung der Zeit, die Konstituierung der Vorstellung des Zeitkontinuums durch Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: durch dein Blick von außen auf die Dinge (den Seitenblick, den Blick des Andern. den verandernden Blick)? In dieser Konstellation liegt die ungeheure Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das an die innere Grenze dieses Systems rührt und auf die Sphäre verweist, die dem „Seitenblick“, dem verandernden Blick, sich entzieht. Die Natur kann den Begriff nicht halten: sie löst sich auf mit der Erkenntnis des Namens; die Welt kann das Objekt nicht halten: sie ist der Inbegriff der Verblendung, die mit der Auferstehung der Toten und im Leuchten Seines Angesichts vergeht.
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31.7.96
Welches Befreiungspotential steckt in der Wahrnehmung, daß nicht die Opfer, sondern die Täter nach dem Krieg sich frei von Schuld fühlten: Liegt hier nicht der Beweis, daß der Rachetrieb (der die Schuld auf sein Opfer verschiebt) nicht den Opfern, sondern allein den Tätern zuzuschreiben ist? Bezieht sich hierauf nicht der Satz von dem „einen Sünder“, über dessen Bekehrung mehr Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte, ebenso wie der letzte Satz des Jakobusbriefs: daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums (und ist dieser Irrweg nicht der der Projektion, der Weg, den das Schuldverschubsystem eröffnet) bekehrt, seine eigene Seele rettet und „eine Menge Sünden zudeckt“? Ist dieser Weg des Irrtums nicht der der Verblendung und Verstockung, und ist das nicht der Weg der Herrschenden: der Weg des Pharao? Hätte das Scheusal Ägyptens geopfert werden können (und wäre Israel auf andere Weise befreit worden), wenn es gelungen wäre, den Pharao (den „einen Sünder“) aus dem Irrweg seiner Verstockung herauszuholen. Die Griechen hatten die Fremdheit nach draußen (ins Anderssein, in die „Barbaren“) projiziert; zur Absicherung haben sie die Natur (die Totalität des Andersseins) erfunden. Die Christen haben die Fremdheit in die Vergangenheit projiziert (in die Juden und Heiden, die Verkörperungen der vergangenen Welten): Instrument dieser Projektion war die Lehre vom Sündenfall (die zur Vorstufe der Gravitationstheorie geworden ist); zur Absicherung haben sie die Hölle erfunden, die seit je für die Christen einen höheren Realitätsgrad hatte als die Himmel. Lassen sich hieraus nicht Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung, sogar die Scheiterhaufen, zwanglos ableiten? Unter einen Begriff werde ich (als Objekt) subsumiert, beim Namen werde ich gerufen. Hängt die Logik des Namens nicht mit der der Auferstehung zusammen? Verhalten sich Begriff und Name nicht wie Gericht und Barmherzigkeit? Verstärkt sich nicht der Eindruck, daß die Theologie heute verzweifelt sich bemüht, die Idee des seligen Lebens, ihre einzige Kraftquelle, zu verdrängen, sie nicht mehr laut werden zu lassen? Das kopernikanische System ist ein System von Bewegungen, deren jede in einem Abstraktionsschnitt sich konstituiert, in dem sie von den anderen jeweils absieht; die Einheit des Systems ist eine den einzelnen Bewegungen äußerliche: die des Raumes. – Die Erdrotation bezieht sich auf den Wechsel von Tag und Nacht, Licht und Finsternis, – das Kreisen der Erde um die Sonne auf den Jahreskreislauf; – worauf bezieht sich das Kreisen des Mondes um die Erde? Auf den Zyklus der Frau? Bezeichnet der mit dem paulinischen Begriff des Fleisches nicht das mit dem Ich gesetzte Ich-Fremde? Das würde auf den Zusammenhang des Begriffs des Fleisches mit der Sintflut verweisen („das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen; denn die Erde ist voller Frevel von den Menschen her. So will ich sie denn von der Erde vertilgen“, Gen 613), auf die Überflutung der Erde mit dem Ich und seinen Emanationen. Erinnert nicht das Freudsche „Wo Es ist, soll Ich werden“ an den paulinischen Begriff des Fleisches? Der Tod macht den Leib zum Fleisch. Ist es nicht das Kelch-Symbol, in dem die Herrschaft des Todes sich verkörpert, und gründet hierin nicht die Verknüpfung des Kelches mit dem Kreuz in der Getsemane-Geschichte? Sind es nicht die 99 Gerechten, die aus der Tatsache, daß Maria Magdalena, die große Sünderin und Büßerin, von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, den Schluß gezogen haben: Die muß es aber schlimm getrieben haben? Wer seine Seele retten will, wird sie verlieren; wer sie aber rettet, hat mehr als seine Seele gerettet. Der Christ müßte eigentlich fähig sein, den Satz, daß niemand über seinen Schatten springt, zu widerlegen. Im Kontext des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist die Existenz der Lichtgeschwindigkeit der Beweis, daß die Physik es nur mit dem Schatten zu tun hat. „Im Namen des Volkes“: Der Satz am Kreuz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ richtet sich eindeutig an die Richtenden; und sprechen kann diesen Satz nur das Opfer, der Verurteilte, nicht aber einer, in dessen Namen das Urteil gesprochen wurde. Die Natur kann den Begriff deshalb nicht halten, weil sie ihn zu halten versucht. Aus dem gleichen Grunde kann die Geschichte das Objekt nicht halten. Nur die Barmherzigkeit erreicht ihr Objekt: durch Auflösung des Begriffs im Namen. Ist nicht die Beziehung von Täter und Rachsucht der Beweis dafür, daß ich der Täter der Sünde Adams bin? Und genau hierauf bezieht sich der Satz des Täufers über Jesus vom Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich (nicht hinweg-) nimmt. Die Sünde der Welt, das ist die Erbsünde, und der eine Sünder, über dessen Bekehrung eine größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte, ist der Täter dieser Sünde, der endlich sich bekehrt. Die Sünde der Welt reproduziert sich durchs Recht. Das unterscheidet das Recht von der Gerechtigkeit. Ziel des Rechts ist die Erhaltung und Wiederherstellung des Rechts gegen den, der es verletzt, nicht die Gerechtigkeit. Mit dem Satz „Im Namen des Volkes“ konstituiert sich das Volk als Schicksalsgemeinschaft; die Wiederherstellung des Rechts ist nicht die Versöhnung. Und der Satz von Jutta Ditfurth, daß der Staat seine Terroristen braucht, verweist auf diese Logik, in der er gründet. An welcher Stelle der zehn ägyptischen Plagen finden die Allmachtsphantasien der Verwaltung ihren Platz? Hat das „Scheusal der Ägypter“ etwas mit der Zeusstatue im Tempel in Jerusalem. mit dem Greuel am heiligen Ort, zu tun? Und ist dieses Scheusal der Repräsentant der Allmachtsphantasien der Verwaltung (der subjektlosen Herrschaft)? Zu Habermas‘ Verfassungspatriotismus, den er wohl auf das Prinzip der Gewaltenteilung bezogen wissen will: Die Gewaltenteilung ist ohne Zweifel notwendig, aber ebensosehr auch reflexionswürdig, wenn sie nicht zum Prinzip der Selbstverblendung werden soll. Sind wir nicht dabei, die Legislative zum verlängerten Arm der Exekutive zu machen, und reproduzieren sich in der Jurisdiktion nicht immer deutlicher die Elemente der Exekutive? M.a.W., beginnt nicht die Gewaltenteilung sich selbst von innen aufzuzehren; droht nicht die Exekutive, sie zu verschlingen? Es gibt bereits Verwaltungen, die keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegen, die selbst als Legislative sich konstituieren: Vollzugsorgane der stärkeren ökonomischen Mächte, die sie beherrschen. Aufgrund objektiver Zwänge wird die Legislative immer mehr zum verlängerten Arm der Exekutive. Zugleich regrediert die Jurisdiktion in Verwaltung (werden reflektierende Urteile zu bestimmenden, zu synthetischen Urteilen apriori). Die Verwaltung wird zur Verwaltung des Wissens, mit dessen Hilfe sie Gesetzgebung (Natur) und Rechtsprechung (Welt) präjudiziert. Die Gewaltenteilung gründet in den Totalitätsbegriffen, die die Verwaltung zum Instrument der Transformation der Urteilskraft ins universale Vorurteil machen. Wird nicht das Gewaltmonopol des Staates durch das Wissensmonopol der Verwaltung abgesichert, wobei mit Hilfe der Geheimhaltung zwischen Herrschaftswissen und öffentlichem Wissen (zwischen Handlungskompetenz und Selbstdarstellung) deutlich unterschieden wird? Hierzu gehört es, daß der Staat bemüht ist, die Zuständigkeit der Medien auf den durch ihn definierten Bereich des öffentlichen Wissens einzuschränken, der Öffentlichkeit den Zugang zum Herrschaftswissen zu verwehren. Dem kommt der Informationsbegriff, das Selbstverständnis der Medien, auch ohne daß man gezwungen wäre, einen vorauseilenden Gehorsam zu unterstellen, weit entgegen, durch die Logik von Tatsache und Meinung, die zur Sache äußerlich sich verhält und den kritischen Begriff zur subjektiven Meinung, zum bloßen Raisonnement, und damit unschädlich macht. Rückt nicht ein Zustand immer näher, in dem es unmöglich zu werden beginnt, gegen das, was ist, noch anzuschreiben, in dem das Bestehende von der Logik seiner Rechtfertigung nicht mehr sich trennen läßt? Die These scheint begründbar zu sein, daß die Gewaltenteilung (wie auch die Konstellation der drei Totalitätsbegriffe Kants) das Gegenstück, das genaue Korrelat, zu der dreifachen Abstraktion darstellt, die das kopernikanische System determiniert und in ihm sich entfaltet. Bezeichnet nicht der Begriff der Determination (der Abstraktion von der Idee eines objektiven Ziels) das Grundprinzip der Begriffsbildung, das gleiche Prinzip, das den Objektivationsprozeß an den der Instrumentalisierung bindet? Durch dieses Prinzip ist das Verfahren der Begriffsbildung ans Selbsterhaltungsprinzip gebunden, und der Erkenntnisprozeß an ein Verfahren kollektiver Identitätsbildung (Ursprung des Nationalismus). Das reicht hinein in die Naturerkenntnis und in die historischen Gestalten der Kosmologie. Der Terminus, von dem abstrahiert wird, ist der Name und das Angesicht, und die Determination selber, der Abstraktionsprozeß, ist das Feuer. (Vgl. das ungeheure Bild in der sechsten der zehn ägyptischen Plagen, daß „der Ofenruß vor den Augen des Pharao gen Himmel“ geworfen wird.) Gehört nicht das Strafrecht zu den Konstituentien auch der logischen Determination? Ist nicht Kants Wort von der Erhabenheit des moralischen Gesetzes in mir und des Sternenhimmels über mir eine Station auf dem Wege der Selbstaufklärung der Aufklärung (auch der Astronomie)?
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29.7.96
War Johannes nicht „der Jünger, den der Herr liebhat“, und auch der, von dem er sagte: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich wiederkomme, was geht das dich an“, nach einer Tradition, an die Karl Thieme erinnert hat, der Typos der Juden (Petrus hingegen der Typos der Kirche)? Hat nicht die Kirche mit der Rezeption des Hellenismus das gleiche Scheusal verinnerlicht, gegen das einmal der Aufstand der Makkabäer sich richtete?
Man muß von der Vorstellung Abstand nehmen, daß in einer seit je bestehenden und immer sich gleichbleibenden Welt, die gleichsam nur als Bühne fungiert, die politischen Änderungen dann sich abspielten. Es waren politische Ereignisse, Prozesse und Veränderungen, die den Weltbegriff, die Spiegelung und Legitimierung der Herrschaftsstrukturen im Objekt, hervorgebracht und mit verändert haben. Die Kosmogonien, die mythischen Weltentstehungserzählungen, sind nicht nur unwahr: Sie reflektieren die mit der Entstehung der politischen Herrschaftsstrukturen verbundene Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs. Deshalb war der biblische Schöpfungsbericht ein Teil der Kritik der Idolatrie, der im Götzen-, Sternen- und Opferdienst sedimentierten Herrschaftsideologie. Hängt die Unfähigkeit, den Zusammenhang zwischen dem Reichtum der Metropole und der Armut in der Dritten Welt überhaupt wahrzunehmen, nicht mit dem Naturbegriff zusammen, mit dem die Herrschenden vor dem Erkanntwerden und schließlich vor der Selbstwahrnehmung sich schützen? Und beschreibt nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos genau diesen Prozeß (und damit auch den Prozeß der Konstituierung des Naturbegriffs)? Ton Veerkamps „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ wird widerlegt durch den anderen Satz: Das Vergangene (die Verhärtung des Herzens Pharaos, der Kreuzestod Jesu, der Faschismus und Auschwitz) ist nicht nur vergangen.
Deshalb ist Theologie ohne Erinnerungsarbeit nicht möglich, aber diese Erinnerungsarbeit (und damit die Theologie) zielt aufs Begreifen der Gegenwart (nicht des Überzeitlichen).
Wird nicht das Erzählen zum Mythos, wenn man die Halacha von Haggada trennt (durch den Rechtfertigungszwang, unter dem alles Erzählen steht: es entlastet)? Dieses Erzählen erzeugt aus sich selbst den Bann der Schicksals, dessen Logik es dann nicht mehr zu entrinnen vermag.
Die Lehrerfrage, die Schülern die Literatur verekelt: „Was wollte der Autor damit sagen?“ findet sich heute auch bei Theologen, die unterstellen, ein biblischer Autor habe nicht das gesagt, was er gesagt hat, sondern etwas gemeint, was von dem, was er gesagt hat, noch unterschieden sei; die meinen, es käme darauf an zu erkennen, was er hat sagen wollen, als wäre das etwas anderes als das, was er gesagt hat. Es ist der allwissende Theologe, der die geheime Absicht des biblischen Autors besser zu kennen vorgibt als der Autor selber. Er erweckt den Eindruck, erst wir wüßten wirklich, was der biblische Autor mit den damaligen, noch unzulänglichen Mitteln noch nicht so deutlich habe ausdrücken können, wie wir es heute können. So heißt es an einer Stelle im neuen katholischen Weltkatechismus (ich zitiere sinngemäß), der Autor der Genesis habe den an sich klaren Sachverhalt, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat, nur undeutlich (in der „Sprache seiner Zeit“) mit dem Satz, daß Gott im Anfang den Himmel und die Erde erschuf, wiedergegeben, vielleicht weil ihn seine Zeitgenossen, die noch in im Bann eines mythischen Weltbildes lebten, sonst nicht verstanden hätten. Aber gibt es einen undeutlicheren Satz als den, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat? Bewußtsein ist falsches Bewußtsein, und das „naturwissenschaftliche Weltbild“ die Finsternis über dem Abgrund der Geschichte. Bewußtsein ist falsches Bewußtsein, weil es vom Hören abstrahiert. Das Credo spricht die Sprache des Bewußtseins. Wenn ich etwas „bewußt“ sage, sage ich etwas anderes als ich meine, verfolge ich mit dem, was ich sage, eine Absicht, die ich zugleich verberge, ist für mich die Sprache ein bloßes Instrument, aber unfähig, die Wahrheit auszudrücken. Kein Bewußtsein ohne „Hintergedanken“, ohne List, ohne Ziele, die im Dunkeln bleiben. Das Bewußtsein spricht durch die Blume. Erst seit es das Bewußtsein gibt, gibt es die Psychologie, die Frage nach dem, was sich „hinter“ den manifesten Äußerungen des Bewußtseins verbirgt. Wer von einem biblischen Text sagt, daß der Autor „bewußt“ etwas sage oder nicht sage, kreuzigt das Wort. -
27.7.96
„Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (Ton Veerkamp, TuK 70, S. 23): Heißt das, daß, wenn Primo Levi seine Erinnerungen nicht niedergeschrieben hätte, Auschwitz „nicht passiert“ wäre? Heißt das, daß, wenn der 5. Strafsenat des OLG in Frankfurt jede Nachfrage nach dem, was in Bad Kleinen wirklich geschehen ist, wenn das Erzählen unterdrückt wird, dann auch die Ereignisse ungeschehen zu machen sind? Begründet dieser Satz nicht die Logik des Namens: Nestbeschmutzer? Begründet er nicht die Hoffnung der Täter (die Hoffnung, deren Logik Lyotard in seinen an Auschwitz anschließenden Reflexionen über das „vollendete Verbrechen“, das die Tat ungeschehen zu machen hofft, indem es auch die Zeugen aus der Welt schafft, untersucht, eine Untersuchung, die auch Licht in die Logik der frühchristlichen Märtyrer-Geschichte <und in die Umkehrung dieser Logik in der Gestalt des Confessors, der den Märtyrer ablöst> bringt)?
Zahl und Schein: Wie hängt der Begriff der Erzählung mit dem der Erscheinung zusammen? Ist nicht das Organisationsprinzip der ersten die Form der inneren Anschauung (die chronologische Einheit der Erzählung), das der zweiten hingegen die der äußeren Anschauung (die räumliche Einheit, in welche die Naturprozesse durch Verräumlichung der Zeit mit hereingezogen werden)? Erscheinungen sind Erscheinungen im Raum (ihre Gegenwart ist die der Präsenz des Objekts), während Erzählungen als Vergegenwärtigung von Vergangenem deren Gegenwart (nicht das Vergangene selber) als eine sprachliche, als erinnerte Gegenwart erst herstellt.
Dem kontemplativen Erzählen des Vergangenen entspricht das Beschreiben des Gegenwärtigen: In welcher Beziehung steht das Zählen zum Schreiben?
Das Erzählen, das heute notwendig wäre, hätte das Prinzip der chronologischen Einheit mit zu reflektieren.
Kann es sein, daß die Vorstellung sich widerlegen läßt, daß dem Niederschreiben einer Erzählung (des homerischen Epos oder der biblischen Erzählungen) eine Phase der mündlichen Tradition vorausgeht? Ist nicht vielleicht doch das Erzählen ein Produkt der Schrift? Wie hängen Epos, Astronomie und Schrift mit einander zusammen? Ist die Hieroglyphen-Schrift (und ihre Beziehung zum Tempel, deren Wände sie ziert) der Grund dafür, daß Ägypten kein Epos hervorgebracht hat, statt dessen die Pyramiden?
Zwischen der Himmelfahrt Jesu und Pfingsten liegt nur die Wahl des Zwölften, der stumm bleibt, und von dem dann nichts mehr erzählt wird. Der Zwölfte (sein Name war Matthias) füllt die Stelle aus, die durch den Verrat des Judas Iskariot freigeworden ist.
Ist das Interesse zu erfahren, was denn wirklich passiert ist, so unerheblich? Gehört nicht die Spannung zwischen dem Erzählten und dem Geschehenen, die nicht aufhebbar ist, zur Wahrheit des Erzählten (zur Wahrheit dessen, was geschehen ist)? Es geht nicht um die nackten Tatsachen, aber auch nicht nur um das Kleid, das die Nacktheit verdeckt (die Legende), sondern um das Unerlöste in der Beziehung beider: um die Erfüllung des Worts, mit der das Vergangene erlöst wird, sich vollendet.
Hatte der Greuel, das Scheusal der Ägypter, das nach dem Wort des Moses an Pharao die Israeliten am dritten Tag nach dem Auszug aus Ägypten opfern wollten, etwas mit der „Sünde der Welt“ zu tun? Ist nicht der Weltbegriff der Inbegriff der Begriffe, Gesetze und Strukturen, in denen die Vergangenheit fortschreitend Macht über die Dinge gewinnt, der Inbegriff der die Dinge verschuldenden Gewalt; und ist das nicht der Feind, dem die Wahrheit immer erneut abgerungen werden muß? Die Erzählung ist nicht die Welt, aber sie lebt von der Spannung zur Welt.
Karl Thieme hat einmal gegen das berühmte Wort Leopold von Rankes darauf hingewiesen, es komme nicht darauf an, zu erkennen, wie es eigentlich gewesen sei, sondern was eigentlich geschehen ist. (Biblische Religion heute, Heidelberg 1960, S. 181) Auf dieses Was zielt die Erinnerungsarbeit, aus der das Erzählen sich nährt, auch wenn sie nicht nur im Erzählen sich äußert. Ist nicht jede Theologie, die diesen Namen verdient, Erinnerungsarbeit, und die Schrift der Schlüssel, der die Pforten der Erinnerung öffnet?
Haben das Wasser und das Trockene (des dritten Tages) etwas mit dem Was und dem Wer, die nach kabbalistischer Tradition im Namen des Himmels gründen, zu tun?
„Persönlichkeit“: Hierzu wäre an Rosenzweigs Bemerkungen zu diesem „höchsten Glück der Erdenkinder“ zu erinnern, zugleich aber daran, daß nicht sie, sondern die „Kinder Gottes“ es sind, auf deren Freiheit dem Römerbrief zufolge die ganze Schöpfung wartet. Jesus mag der Sohn Gottes gewesen sein, aber er war gewiß keine Persönlichkeit. Sprachgeschichtlich dürfte der Begriff der Persönlichkeit auf den gemeinsamen Ursprung mit der Ausgliederung und der Verselbständigung der Personalpronomina in den modernen Sprachen zurückweisen. Er verdankt sich der gleichen logischen Bewegung, der auch die Herauslösung des „Ich“ aus seinem dialogischen Kontext und seine idealistische Hypostasierung sich verdankt. Im Begriff der Persönlichkeit enthüllt sich das idealistische Absolute als Gattungsbegriff (und der Begriff der Zeugung im christlichen Dogma als deren theologischer Reflex). Frage: Wer ist das Ich im kantischen Begriff des transzendentalen Subjekt, im „ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“? Ist es nicht ein männliches Subjekt, das gegen alle „seine“ Vorstellungen als selbständiges, „autonomes“ Subjekt sich muß behaupten können, und ist es nicht das bürgerliche Subjekt, das es sich leisten kann, Herr all seiner Handlungen (und nicht das Objekt seiner Begierden und Triebe) zu sein? Schließt dieses Ich (das Ich der Persönlichkeit), ähnlich wie der frühchristliche „Confessor“, aus dem es sich herleitet, nicht ebenso wie die Frauen auch die Juden (und natürlich die Häretiker) von sich aus?
Das Sein, der Gegenstand der Ontologie, ist ein durch Neutralisierung unkenntlich gemachtes Maskulinum und zugleich ein von der Beziehung auf ein bestimmtes Subjekt abgelöstes (und so ebenfalls unkenntlich gemachtes) Possessivpronomen, und die Ontologie selber der Statthalter des Patriarchats in der Philosophie. Das Sein steht zwar völlig nackt da, aber es verbirgt sein Geschlecht durch das magische Verbot, es wahrzunehmen: durchs Verbot der Sprachreflexion, das zu den logischen Gründen des Rassismus gehört (der Wirkung dieses Verbots schienen Nazis nicht ganz zu trauen, die, wenn sie in Uniform fotografiert wurden, ihre Hände davor hielten).
Die Gravitation und das Selbstgefühl gründen in der Oben-Unten-Beziehung, während das Sehen (in dem die Schwere nicht erscheint) auf den Horizont und die vier Himmelsrichtungen verweist. Zur Befreiung des Sehens („da gingen ihnen die Augen auf“) gehört der aufrechte Gang.
Die Beziehung des Sehens zur Schwere reflektiert sich in der des Trägheitsprinzips zur Schwere (im Verhältnis der trägen zu schweren Masse, deren Identität der Einheit des Inertialsystems sich verdankt), auch in der des Tauschprinzips zur Schuldknechtschaft (die ihre Einheit außer sich, im Geld, erst finden).
Ist es nicht der Hahn, der einen Sünder vom Irrweg bekehrt? Und wie hängt die Geschichte von der Maria Magdalena und den Frauen, die hinausgingen, um den Leichnam Jesu zu salben, mit der Geschichte der drei Leugnungen Petri zusammen?
Wenn der Kreuzestod auf die Zerstörung Jerusalems verweist, verweist er dann nicht auch auf Auschwitz?
„Allein den Betern kann es noch gelingen, …“: Kann es sein, daß das Wort „Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein“ sich auf die Heiligung des Gottesnamens bezieht?
Die dritte Leugnung: Heute hält selbst sich die Theologie die Theologie vom Leibe, mit der Folge, daß sie unfähig geworden ist, in der Verhärtung des Herzens Pharaos die eigene wiederzuerkennen.
Als Hegel aus dem transzendentalen Subjekt (dem Ich in Kants „ich denke, …“) die Idee des Absoluten entwickelte, stieß er zwangsläufig auf Strukturen, die identisch waren mit denen des Dogmas, der Orthodoxie.
Hängt nicht Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit der Schellingschen Formulierung, die Zukunft werde „geahndet“, zusammen, und erfüllen sich nicht beide aufs entsetzlichste in einer Welt, die die Zukunft verrät?
Ist nicht dieses „Ahnden“ eine logische Folge der Schellingschen Naturphilosophie, die den Schuldzusammenhang universal gemacht hat?
Natur und Moral: Die Urteilsmoral ist die Folge eines Selbstverständnisses, dem die eigenen Interessen und das eigene Handeln zur reinen, gegen jede moralische Reflexion immunen Natur geworden sind, zu „Sachzwängen“, deren Objekt es bloß ist. Es gehorcht nur den Gesetzen der Selbsterhaltung. Moral ist als Urteilsmoral (als „Wertethik“) Moral für andere: die Moral des steinernen Herzens, dem die Barmherzigkeit, die Fähigkeit, in den andern sich hineinzuversetzen, gegenstandslos und zum flatus vocis geworden ist. Der ökonomische Grund dieser logischen Konstruktion läßt an den Argumenten sich ablesen, mit denen die Sprecher aus Wirtschaft und Politik die Notwendigkeit des Sparens aus den Taschen der anderen begründen. Ist nicht Natur, insbesondere auch die, die die Gesetze diktiert, nach denen ich vorgebe, zu handeln gezwungen zu sein, seit dem Ursprung ihres Begriffs das Korrelat des steinernen Herzens? Deshalb wird es eine Theologie, die diesen Namen verdient, ohne Kritik der „Naturwissenschaft“ nicht mehr geben. -
26.7.96
Das Ende des Messianismus manifestiert sich im Werk des Paulus, nicht bei den Evangelisten (TuK 70).
Ist die paulinische „Rechtfertigung durch Glauben“ nicht der Ausdruck einer tiefen Verzweiflung darüber, daß das Wort und das Handeln (die Thora, das Gesetz und das Tun) nicht mehr zusammenzubringen sind?
Waren die Evangelien nicht u.a. deshalb notwendig, weil nach Paulus das Christentum – aufgrund der Abstraktion von der Lehre Jesu – zu einer magischen Religion (zu einer Opfer- oder Mysterienreligion) zu werden drohte?
Ist nicht das Wort von dem einen Sünder, über dessen Bekehrung im Himmel mehr Freude herrscht als über 99 Gerechte, ein antipaulinisches Wort: Ist nicht dieser eine Sünder der, der über das Gesetz und die Thora, über das Bewußtsein der Sünde, zur Gottesfurcht gelangt ist, die Paulus, der einigemale auf sein „ruhiges Gewissen“ verweist, auch den Christen ersparen möchte?
Das Fleisch, oder die Gewalt der Sünde über mich, ist nur durch Reflexion und Umkehr, nicht durch Verurteilung und durch Verdrängung, nicht durch Tabuisierung, zu brechen.
Kommt der Name der Barmherzigkeit bei Paulus überhaupt vor, und verdeckt nicht die Rechtfertigungslehre genau diese Lücke? Gibt es eine Stelle, die der im Jakobusbrief, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert, entspricht?
Hat Paulus nicht das Christentum zu einer Schutzhütte vor den Unbilden des Römischen Reiches gemacht? Hier ist der Messianismus gestorben und begraben worden, ist das Christentum zu einer magischen Religion geworden.
Während die Synoptiker nur die leeren Stellen der paulinischen Theologie auffüllen, ist das Johannes-Evangelium antipaulinisch: der Kampf gegen die Komplizenschaft der Herrschenden (deren V-Mann Paulus war, als er noch Saulus hieß) mit den Römern. In der Konsequenz dieser johanneischen Intention liegt die Apokalypse (kann es sein, daß das „Tier vom Lande“, das „zwei Hörner (hat) wie ein Lamm“, aber „spricht wie ein Drache“, vielleicht doch an Paulus erinnert?). Dieser Johannes schreibt immerhin unter dem Namen des „Donnersohns“, des gleichen Jüngers, den „der Herr liebhat“.
Wenn man im Römerbrief die „Beschneidung“ als Bekenntnis liest, kommt man der Wahrheit näher.
Der Antisemitismus und vor ihm der kirchliche „Antijudaismus“ gründen in Vorurteilsstrukturen, die durchsichtig werden, wenn man auf das projektive Element in ihnen aufmerksam wird, auf die Mechanismen der Selbstentlastung durch Schuldverschiebung. Beide, der Antisemitismus und der Antijudaismus, sagen nichts über die Juden, aber sehr viel über die Antisemiten und die antjüdischen Christen. Der „eliminatorische Antisemitismus“, auf den Daniel Goldhagen verweist, dessen Buch bereits soviel Hühnerhof-Aufregung verursacht hat, bevor es in Deutschland überhaupt erschienen ist, gründet in genau diesem Mechanismus. Und, bei allen Mängeln, die das Buch haben mag, beweist nicht diese Reaktion, daß es einen Nerv getroffen hat?
Zu den großen Partien bei Paulus gehört der Satz, daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet; dazu gehören die Elementarmächte; dazu gehört nicht zuletzt sein Begriff des Glaubens, wenn man ihn als Asyl des Messianismus begreift. Unerträglich hingegen ist der apologetische Grundton fast aller paulinischen Briefe (sein „Theologisieren“).
Ist nicht der Hierarchie-Begriff eine zwangsläufige Folge der Subsumtionslogik (in der der Begriff, der die Dinge unter sich begreift, selber in einer Subsumtionsbeziehung zu „höheren“ Begriffen sich wiederfindet)? Läßt er nicht aus der neuplatonischen Emanationslehre sich herleiten, in der Elemente der Licht- und der Herrschaftsmetaphysik trübe sich mischen, und die selber zu den kosmologischen Konsequenzen der Rezeption der Sündenfall-Theologie zu gehören scheint? Hierarchische Strukturen sind Konstrukte der Selbstreproduktion der Subsumtionslogik des Begriffs, die in der Moderne in den subjektiven Formen der Anschauung auf ihren Grund in der Subjektivität zurückgeführt werden; aufzulösen sind sie allein durch die logische Kraft des Namens.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das logische Äquivalent der Finsternis über dem Abgrund: Unter ihrem Zwang erkenne ich nur noch, was ich in die Dinge hineinlege, nicht mehr, was sie an sich selbst sein mögen. Es hilft nichts, den kantischen Agnostizismus zu kritisieren; hier wird sehr präzise und konkret die vorletzte der ägyptischen Plagen, die allgemeine Finsternis, aufgedeckt.
Am ersten Schöpfungstag hat Gott nicht die Finsternis durch das Licht vertrieben, sondern eine Hilfe geschaffen, einen realsymbolischen Hinweis darauf, daß die Finsternis nicht alles ist.
Quoad nos ist die Finsternis das Erste. Aber sind die Christen nicht „das Licht der Welt“ (und zwar nicht durch Restauration irgendwelcher Vergangenheiten, sondern durch Errettung der vergangenen Hoffnung)?
Verwechseln wir nicht die Heiligen mit den Helden? (Auf diese Verwechslung bin ich bei meiner Erstkommunion gestoßen worden, durch ein Buch, das ich geschenkt erhielt, und das mir durch die Enttäuschung, die es mir beim Lesen bereitete, die Augen geöffnet hat: „Helden und Heilige“. Ich hatte vorher Märtyrer-Geschichten gelesen, aus denen ich gelernt hatte, daß Christsein nicht am Triumph und Sieg der Helden, an ihrem Nachruhm, sondern allein an der Bereitschaft der Heiligen, Leiden und Niederlagen auf sich zu nehmen, auch wenn außer Gott keiner es sieht und anerkennt, sich messen läßt. Das hat mich vorbereitet auf den Vers von Reinhold Schneider.)
Wer die Gewissenserforschung nur tief genug treibt, wird an einen Punkt kommen, an dem er zum Propheten wird.
Kann es sein, daß ich an den „Kern der Sache“ nicht herankomme, weil ich ihn nur vor Augen, nicht im Ohr habe?
Vor dem Gesetz: Hat nicht Kafkas Erzählung einen Mangel; sind es anstatt des einen nicht mindestens sieben Tore, die uns den Weg zum Gesetz verstellen?
Was heute zur Verzweiflung treibt, ist genau das, was die Verzweiflung vertreiben soll: daß das Leben vor der Glotze endet.
Ist nicht die chronologische Verwirrung und die Verwirrung der Namen (von Personen und Völkern), die beide zusammenhängen, eine zwangsläufige Folge des Positivismus im neunzehnten Jahrhundert, nach dem Zerfall der idealistischen Systeme? Sie wurde vorbereitet im kopernikanischen System, das, nach seiner dynamischen Begründung durch Newton, durchs Gravitationsgesetz, den Zusammenhang von Sprache und Erinnerung durch Verdinglichung der Erinnerung zum astronomischen Gesetz zerrissen, den Sprachgrund in den Sachen neutralisiert, das Ungleichnamige gleichnamig gemacht hat.
Trägt nicht die Formulierung (Ton Veerkamp): „Kommt der Messias nicht (bald), hat Paulus ein Problem, ein unlösbares Problem“ (TuK 70, S. 24), die Züge einer Projektion? Nicht Paulus, sondern die gesamte christliche Theologie hat in der Geschichte der Moderne „ein Problem, ein unlösbares Problem“ bekommen. Und heißt dieser Paulus nicht eigentlich Luther?
War es nicht Paulus, der den Sündenfall zum Absoluten gemacht (und das Christentum zweitausend Jahre vor die Wand gejagt) hat (und hat das nicht die paulinische Tradition begründet)? Als Paulus die Erlösung zur reinen Gnade machte, hat der den Satz vom Binden und Lösen geleugnet, eine Tradition begründet, in der die Kirche als hierarchische Verwaltungsorganisation und die Theologie als Theologie hinter dem Rücken Gottes nur noch binden, nicht mehr lösen konnten.
War nicht Bubers Übersetzung von Gnade mit „Huld“ eine sehr schlimme christliche Übersetzung, die endgültige Verdrängung dessen, woran die scholastische Lehre von der „heiligmachenden Gnade“ letztmals erinnerte, Ausdruck der Regression der Gnadenlehre durch Einbindung in einen autoritären Kontext? Eine Gnade, die bloß rechtfertigt, nicht gerecht („heilig“) macht, ist ein Palliativ.
Kommt es nicht im Ernst darauf an, den Begriff der Heiligkeit aus der Tabuzone der Eigentums- und Herrschaftssicherung, aus den Verstrickungen seines nationalen Mißbrauchs, zu befreien?
Die Idee der Auferstehung lebt von dem ungeheuerlichen Gedanken, daß es ein Leben gibt, das vom Tod (von den Strukturen und Institutionen, die ihn verkörpern) im Kern nicht berührt wird. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen, während der Tod sein gegenständliches Korrelat im Staat hat. Der Staat ist in der Tat der Statthalter des Gerichts in der Welt; aber „die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (Jak 213). Ist das nicht der zentrale Einspruch des Jakobus gegen die paulinische Theologie (und gehört dieser Einspruch nicht auch zur Kontroverse um die Beschneidung)?
Vielleicht hätte es, wenn es Paulus nicht gegeben hätte, das Christentum nicht gegeben. Und vielleicht war nur über diesen „Irrweg“ (Jak 520) eine Tradition zu retten, die anders untergegangen wäre?
Der Glaube ist die Gestalt, in der die Wahrheit den Weltlauf überlebt. Dieser Glaube aber hat unter dem Bann der Rechtfertigungslogik sich als Keim einer Logik entwickelt, die zur Logik des Vorurteils geworden ist (bezieht sich hierauf das Symbol des Tieres vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Lamm, aber spricht wie ein Drache?).
Bezeichnen nicht alle antisemitischen Stereotype, vom Hostienfrevel über die Brunnenvergiftung zum Ritualmord (der Wiederholung des Gottesmords) Tatbestände, die den Antisemiten kennzeichnen:
– der Hostienfrevel die Verdinglichung, die Logik des Fundamentalismus,
– die Brunnenvergiftung die Bekenntnislogik als Wurzel des Nationalismus und
– der Ritualmord (der Gottesmord) die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie?
Rührt Auschwitz nicht an die Idee der Auferstehung, stellt Auschwitz nicht Ostern in Frage?
Muß nicht, wer heute noch glaubt, Christ sein zu können, entweder sehr viel verdrängen, oder aber die Kirchengeschichte und die Theologie gegen den Strich bürsten, auf jeden Fall endgültig Verzicht leisten auf jede Form der Apologetik? War es nicht immer schon leichter, aber auch verhängnisvoller, Ereignisse wie Kreuz und Auferstehung auf die eigene Seele zu beziehen anstatt auf den Zustand der Welt?
Ist nicht Helmut Gollwitzer, als er glaubte, gegen Gerschom Scholems Bemerkungen über den christlichen „Messianismus“ sich verteidigen zu müssen, in eine offene Falle hineingelaufen? Und sind nicht auch die Reflexionen von F.W. Marquardt, denen ich den Hinweis verdanke, daß es Helmut Gollwitzer war, an den der Brief Gerschom Scholems gerichtet war, noch sehr hilflos; können wir uns, kann irgend ein Christ sich freisprechen von dem, was Scholem zu Recht so scharf anspricht? – Müßten nicht in jede Reflexion über den Messianismus dieser Text von Scholem, aber auch seine übrigen Untersuchungen zum Thema (insbesondere über die Geschichte des Sabbatai Zwi, die auch eine Untersuchung über Paulus und das Christentum ist), mit einbezogen werden? Gehorcht nicht auch noch das Verschweigen dieser (im Kern mit Auschwitz zusammenhängenden) Untersuchungen den Rechtfertigungszwängen, die Auschwitz hinterlassen hat, und aus denen Gollwitzer wie auch Marquardt nicht herausgekommen sind (und hat nicht Auschwitz vom Grunde her das Problem der Rechtfertigung in dem Sinne selber neu gestellt, daß der Holocaust dieses Problem theologisch gegenstandslos gemacht hat)?
Wie kommt es, daß bis heute kein Theologe das Blasphemische, das z.B. an den Kriegsgräberstätten (die die Toten nochmals schänden) sich wahrnehmen läßt, beim Namen genannt hat? Sind nicht diese „Gedenkstätten“, die die Toten instrumentalisieren und mißbrauchen, Gedenkstätten eines Nationalismus, den die Toten, die er produziert hat, überhaupt nicht interessieren, außer als Mittel zur Reproduktion der Logik, der der Nationalismus sich vedankt. Nur die Lüge, sie seien „für die Nation“ (für Führer, Volk und Vaterland, so hieß es damals) gestorben, während sie in Wahrheit für ihnen fremde Zwecke verheizt worden und elend verreckt sind, soll erhalten bleiben: fürs nächste Mal? Aber sind diese Gedenkstätten nicht eigentlich Gedenkstätten einer Opfertheologie, deren säkularisiertes Ritual sie zelebrieren? Die Symbolik, die diesem Ritual zugrundeliegt, ist eine Blutsymbolik: danach heiligt das Blut, das hier verströmt ist, den Zweck, für den es vergossen ist: die Nation, das „heilige Vaterland“, das zwar keiner mehr so zu nennen wagt, das aber der Sache nach weiter besteht.
Vor diesem Hintergrund kann ich mit der anderen Blutsymbolik, daß wir durch das Blut des am Kreuz geopferten Gottessohns von Sünden rein gewaschen werden, nichts mehr anfangen. Ich meine, die Reflexion dieser Symbolik dürfe nicht länger mehr verdrängt werden. Ich weiß nicht, welche Folgen es haben wird, wenn wir das Paradigma einer Versöhnung durch Blut weiterhin akzeptieren. Vielleicht hilft der Hinweis auf den Satz Jesu, daß er von diesem Weinstock erst im Reiche Gottes wieder trinken wird. Hat nicht die Blutsymbolik etwas mit dem schrecklichen Verdrängungsakt, den das Kriegsende für die Deutschen bedeutete, die danach im Ernst überzeugt waren, nichts gewußt zu haben, zu tun? (Und was passiert, wenn an diese Verdrängung gerührt wird?)
Schweigen die Götter wirklich in einer Welt, in der, soweit ich sehe, bis heute kein Theologe Anstoß daran genommen hat, daß die „Kriegsgräberfürsorge“ auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht nur nicht beendet wurde, sondern zu einer endlosen Geschichte zu werden droht? (Welche Rolle spielt eigentlich der Israel-Nationalismus einiger Theologen bei der Restauration des deutschen Nationalismus?)
Ideologie ist Rechtfertigung: Beide stehen unter dem Bann der Schuld, den sie nicht zu sprengen vermögen. Die Rechtfertigung reagiert ex post, während die Gotteserkenntnis an das ante, an den Geist der Weissagung heranzukommen trachtet.
Gehört nicht die Identifizierung des Fleisches mit der Beschneidung in den Scholem-/Gollwitzer-/Marquardt-Komplex?
Vor einem Schaufenster, in dem u.a. Objekte archaischer „Kunst“ angeboten werden, überfällt mich der Gedanke: „Da halte ich mich lieber ans Original“, und denke an Klee. – Ist der Gedanke nicht ungeheuerlich, daß ein Bild von Klee das Orginal und die archaischen Objekte bloße Nachahmungen sind?
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25.7.96
Eine Theologie der Schöpfung, die nicht auch Raum und Zeit als erschaffen begreift (die subjektiven Formen der Anschauung zum Gegenstand der Reflexion macht), gehorcht der Logik des Nationalismus, einer Logik, die den Staat zum Gott macht. Das ex nihilo, das auch auf den leeren Raum und die leere Zeit, auf das Nichtsein der Dinge in Raum und Zeit (auf ihre Vernichtung durch die von den subjektiven Formen der Anschauung beherrschte Einbildungskraft), sich beziehen läßt, ist ambivalent. Der Urknall ist keine Alternative zur Schöpfung, er setzt nur die atomare Katastrophe an den Anfang. Das Nichts, aus dem die Welt erschaffen wird, ist die zuvor zu vernichtende Welt.
Ist nicht der katholische Mythos, die Lehre von Himmel, Hölle und Fegfeuer, eine logische Entfaltung der aristotelischen Theorie vom „natürlichen Ort“? Dem hat Newton, durch die Relativierung des Falls durchs Gravitationsgesetz, den Boden entzogen – allerdings um den Preis, daß das Ganze zur Hölle (die Welt zu allem, was der Fall ist) geworden ist, und die Erlösung zur Fähigkeit, das nicht wahrzunehmen, davor die Augen zu verschließen (das ist der Grund der Rechtfertigungslehre, die den Glauben zum Organ des Wegsehens, damit aber auch gleichgültig gegen seinen Inhalt, gemacht hat). Newton hat die Welt so verändert, daß seitdem überall unten ist; seitdem gibt es zur Niedertracht keine Alternative mehr. Heute ist aus dieser Niedertracht die ganz gewöhnliche Gemeinheit geworden, der Faschismus, der alles durchdringt.
Für Aristoteles war das Feuer das absolut Leichte, sein natürlicher Ort war oben. Die christliche Kosmologie hat dann, um die obere Welt als reine Lichtwelt zu konstituieren, das Feuer nach unten verbannt und als Hölle unauslöschlich gemacht.
In der Apokalypse gibt es nicht nur die sieben Siegel, die das Buch verschließen, sondern auch den Schlüssel zum Abgrund.
Ist nicht das Chronologie-Problem, das Problem der „Tiefenzeit“, ein Abgrund-Problem (mit der subjektiven Form der inneren Anschauung als Finsternis über dem Abgrund)?
Ton Veerkamp bemerkt in seinem letzten Beitrag in TuK, daß das am ersten Tag erschaffene Licht „die Finsternis vertrieben“ habe. Die Finsternis wurde jedoch nicht vertrieben, sondern sie besteht weiter, und damit die Aufgabe, Licht in die Finsternis zu bringen: „Ihr seid das Licht der Welt“ (nach Jes 457 ist die Finsternis erschaffen, das Licht gebildet).
Sind die Planeten die „Enden der Welt“ (die Siegel auf den sechs Richtungen des Raumes und auf der Vergangenheit)?
Beleidigung, Betrug, Vergewaltigung: Die bloße Verurteilung der Beleidigung, des Betrugs und der Vergewaltigung täuscht sich und andere darüber hinweg, daß der Zustand der Welt selber beleidigend, betrügend und vergewaltigend ist. Die Verurteilung folgt immer nur der Tat, während allein die Reflexion dieses Weltzustandes, das Licht, das sie in die Finsternis zu bringen vermag, vielleicht einmal vor der Tat stehen wird.
Die Bibel unterscheidet die „Vögel des Himmels“, die „Fische des Meeres“ und die „Tiere des Feldes“.
„Bevor ich es vergesse …“: Wäre das nicht ein schöner Titel? – Ist nicht das Schreiben insgesamt ein Kampf gegen das Vergessen, das die Welt erzwingt, und verweist darauf nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Aber gibt es nicht auch Bücher – und spricht davon nicht Kohelet, wenn er schreibt: Des Büchermachens ist kein Ende -, die Instrumente des Vergessens sind?
Wenn Physik und Ökonomie als Instrumente des Vergessens und der Verdrängung sich begreifen lassen, in der Physik gibt es einen Punkt, der vom Kampf gegen das Vergessen zeugt: Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Das Vergessen der Physik ist eine Potenzierung des Vergessens, das (über die Ökonomie und in ihrem Auftrag) schon in der Philosophie sich entfaltete. Hat nicht C.F.von Weizsäcker dieses potenzierte Vergessen in die Philosophie eingeführt, und ist nicht Habermas ein Beleg für das Gelingen dieses Versuchs?
Reflektiert nicht Nietzsches Bemerkung über das Mitleiden (in Jenseits von Gut und Böse, Werke Bd. 2, S. 627) aufs genaueste die Logik, die Schopenhauer zum Menschenfeind hat werden lassen? Nietzsches Bemerkung ist wahr, aber verweist sie nicht auf das logische Problem, das in der Wahrnehmung steckt, daß auch die „Nachbarn“ noch Opfer sind?
Verdrängung ist kein eindimensionaler Vorgang, es gibt eine dreifache Verdrängung (jede Verdrängung ist Produkt einer dreifachen Leugnung).
Der Kampf der Kirche gegen die Aufklärung war begründet, aber er blieb abstrakt, weil die Kirche nicht in der Lage war, in der Aufklärung eine Folge ihres eigenen Prinzips wiederzuerkennen.
Auch Theorien veralten durch den einfachen Zeitablauf (nur mathematische Erkenntnis enthalten in sich eine Automatik, die sie gegen dieses Veralten schützt, indem sie es instrumentalisiert). Eine Einsicht ist nur für den eine, der sie hat: Ex post, aufgrund der objektivierenden Gewalt, der sie durch den reinen Zeitablauf unterworfen ist, wird sie zur Meinung, die der Logik der Instrumentalisierung verfällt: sie verliert ihr Objekt und wird zum Ausdruck der Subjektivität: einer subjektiven Anschauung, eines subjektiven Interesses. Der Objektivationsprozeß (der Prozeß der fortschreitenden Naturerkenntnis und -beherrschung) ist nicht nur ein von der Menschheit angezettelter, gegen die Natur angestrengter Prozeß, sondern zugleich ein Prozeß der Natur gegen sich selber, in dem sie sich der Menschheit nur bedient.
Hieß nicht das Tier mit den neun Köpfen, dem, wenn man einen abschlug, zwei zwei neue nachwuchsen, Hydra („Wasserschlange“), und hat dieses mythische Tier (das Herakles besiegte) etwas mit dem apokalyptischen Tier aus dem Meere zu tun?
Das Rätsel der spätantiken, frühmittelalterlichen Theologie wäre gelöst, wenn begriffen wäre, wie die paulinischen Elementarmächte, die „Herrschaften und Gewalten“, zu Engelsmächten geworden und in die Präfation hineingeraten sind.
Der faschistische Slogan „Blut und Boden“ zog seine symbolische Kraft aus der dunklen (durch keine Reflexion aufgehellten) Erinnerung an den durch das Blut der bei der Eroberung gefallenen Helden „geheiligten“ Boden, den Eigentumsgrund des Staates. Diese Blutsymbolik hat zugleich die Eigentumswirtschaft, der Staat und das Geld geheiligt. Hat sie nicht der Opfertheologie (der Vorstellung einer „Erlösung durch das Blut“ des am Kreuz geopferten Gottessohns) endgültig den Grund entzogen?
Dieser Begriff der Heiligkeit, der die Herrschaftssymbolik begründet, ist dem, der der Gottesoffenbarung beim brennenden Dornbusch zugrundeliegt („Ziehe die Schuhe von den Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst ist heiliges Land“, Ex 35) durch die gemeinsame Beziehung zum Eigentumsbegriff zwar verbunden, in der Sache aber aufs genaueste entgegengesetzt. Während der biblische Begriff der Heiligkeit das Heilige jedem staatlichen Zugriff entzieht, zielt der faschistische, der mit dem Eigentum den eigenen Staat und die Gewalt, die beide aneinander bindet, vergöttlicht, darauf ab, es dem Zugriff anderer zu entziehen.
Hat der Satz des Täufers: „Nach mir kommt der, welcher stärker ist als ich, und ich bin nicht würdig, mich zu bücken und ihm den Riemen seiner Schuhe zu lösen“ (Mk 17) etwas mit Ex 35 zu tun?
Die Theologie hat die Kraft der Selbstreinigung von der Logik des Fundamentalismus; sie gründet in der einfachen Überlegung, daß die Vergegenwärtigung des Vergangenen etwas anderes ist als die Subsumtion der Gegenwart unter die Vergangenheit. Ist nicht die Idee des Messianismus etwas anderes als die isrealische Siedlungspolitik?
Hegels Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, wäre durch den anderen zu ergänzen: Die Geschichte und der Weltbegriff (die durch eine logische Symbiose verbunden sind) können das Objekt nicht halten. Die Trennung von Natur und Geschichte ist unvermeidbar, aber gleichwohl falsch; sie ist ein Teil der logischen Verblendung, die theologisch allein durch die Idee der Auferstehung der Toten sich auflösen läßt.
Ist die Sintflut nicht das Symbol des Ursprungs des Weltbegriffs (vgl. hierzu die Reflexionen zur Sintflut im Sohar)? Dann wäre Hegels Logik die Beschreibung der Sintflut von innen.
Gibt es eine Beziehung der Praxis des „Banns“ bei der Landnahme zu den Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea? -
24.7.96
Hängen die paulinischen Reflexionen über die Thora, das Gesetz, mit der Bräutigam-Braut-Symbolik zusammen, mit der Beziehung Jesu zum „himmlischen Jerusalem“ der Apokalypse (Jankowski, TuK 70, S. 8ff)?
Erinnert nicht die Auslegung des paulinischen Fleischbegriffs, den Jankowski auf die Juden bezieht (ebd. S. 12ff, vgl. auch Ton Veerkamp im gleichen Heft), an den der „fleischlich gesinnten Juden“, den ich zuletzt bei Karl Thieme vorgefunden habe? Und zieht er nicht die ganze Vorstellungswelt des kirchlichen Antijudaismus nach sich, die über die Beziehung von Fleisch und concupiscencia, Sexualität, dann auch in die antisemitische Vorstellungswelt mit eingegangen ist? In der Sache, so scheint mir, scheitert diese Auslegung an der sachlich nicht begründbaren Gleichsetzung von Beschneidung und Fleisch: Die Beschneidung ist nicht Fleisch, sondern wird am Fleisch vollzogen. Hier wird das Objekt einer Handlung mit dieser Handlung verwechselt. Ist dieses „Fleisch“ – auch vor dem Hintergrund des Weltbegriffs, auf die ganze Ursprungsgeschichte des Christentums sich beziehen läßt – nicht eher das Fleisch der apokalyptischen Tiere, das am Ende die Vögel fressen? Hegel hat einmal seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, mit dem Hinweis begründet, daß es dann keine unterschiedlichen Gattungen und Arten von Tieren, sondern nur eine Art bzw. Gattung geben dürfe; diese Begründung spiegelt den unbestreitbaren Sachverhalt wider, daß Tier und Welt in einer eindeutigen Wechselbeziehung stehen: Jedes Tier (jede Gattung) hat seine Welt, und zur Idee der „einen Welt“ (zum universalen Weltbegriff) gehört dann das eine Tier (als das dieser Welt eindeutig zuzuordnende Subjekt). In dieser Beziehung drückt sich übrigens ein logischer Sachverhalt aus: die Logik der Welt ist die Logik der Instrumentalisierung, und der Begriff des Tieres (des Organismus) drückt genau diese als Subjekt sich konstituierende Einheit der Instrumentalisierung aus, die über das Selbsterhaltungsprinzip, über ein System subjektiver Ziele, sich definiert. Deshalb unterliegen alle subjekthaften (dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfenen) Systeme und Institutionen dem Gesetz der „organischen Entwicklung“. Und die kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ erfüllen genau diese Funktion: alle Erfahrung nach dem Prinzip der Selbsterhaltung zu organisieren, in deren Licht die Dinge nur noch als Mittel subjektiver, ihnen von außen auferlegter Ziele erscheinen. Dieses Prinzip liegt dem kantischen Begriff der Erscheinungen zugrunde, die die Erfahrung insgesamt nach Maßgabe der Totalitätsbegriffe Welt und Natur aufteilt und organisiert. Unter diesem Gesetz ist, was die Dinge an sich sind, in der Tat nicht mehr erkennbar.
Macht nicht Jankowski, wenn er Fleisch als Synonym für Beschneidung setzt (S. 14), den Gegensatz Fleisch/Geist zu einem antijudaistischen Gegensatz?
Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein Grund der Hoffnung.
Wenn Paulus ein Zelot war, dann war Hitler ein Sozialist.
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Wäre das nicht das Motto einer Theologie-Kritik, einer Kritik der Verdinglichung?
Die einfachste Definition der Barmherzigkeit ist die, daß vor dem Urteil die Frage steht, ob du anders hättest handeln können, wenn du an der Stelle des Objekt gestanden hättest.
Rosenzweigs Stern der Erlösung oder die Vergegenwärtigung der Tradition: Die Transformation der Schrift ins Wort setzt die Reflexion auf das fundamentalistische Schriftverständnis, auf die Bindung des Textes an die intentio recta, voraus. Lesen, wie es heute nötig wäre, ist interlineares Lesen, Lesen zwischen den Zeilen, bei genauester Wahrung des Worts.
Ist nicht genau das der Unterschied zwischen Buber und der jüdischen Tradition, daß Buber die Bücher Josue bis Könige als historische und nicht als prophetische Bücher begreift (zum Buch der Richter vgl. Lillian Klein: Triumph Of Irony In The Book Of Judges)? Vergegenwärtigung ist heute nicht leichter mehr zu haben als über die Auflösung des Banns der subjektiven Formen der Anschauung, und d.h. über die Kritik der Naturwissenschaften.
Wer die Prophetie historisiert, braucht sie nicht mehr auf die Gegenwart und auf sich zu beziehen: Als Heilsprophetie hat sie sich in Jesus erfüllt, als Unheilsprophetie gilt sie nur noch für die Juden (und dient so als Schriftbeweis des Antisemitismus: schon damals waren sie so).
Jüngstes Gericht: Aufhebung der Trennung von Natur und Geschichte im Geiste der Utopie, oder die Idee der Auferstehung als erkenntnisleitendes Prinzip. Eine Distanz zu dem, was die Idee der Auferstehung von sich aus meint, bleibt; diese Distanz darf durch Symbolisierung der Idee (die die Toten instrumentalisiert und vergißt) nicht aufgehoben werden.
Die Geschichte aus dem Gefängnis befreien, in das wir sie durch Subsumtion unter unsere subjektive Form der inneren Anschauung (durch Subsumtion unters Zeitkontinuum) eingesperrt haben.
Die subjektiven Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind keine Naturprodukte, sondern in einem gesellschaftlichen Prozeß entsprungen; sie sind selbst Produkt einer Vergesellschaftung („das stumme Innere der Gattung“).
Unterscheidet sich nicht die mittelalterliche von der antiken Kosmologie durch eine geringfügige, kaum wahrnehmbare, darum aber nicht weniger folgenreiche Veränderung: durch die Lehre vom Sündenfall, als deren instrumentalisierte Gestalt die Naturwissenschaften sich begreifen lassen? Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, wäre in antikem Kontext nicht denkbar.
Läßt sich nicht der Haß auf die Zukunft als das Produkt eines logischen Zwangs begreifen, den die Beschaffenheit der Welt in Verbindung mit dem alles durchdringende Selbsterhaltungsprinzip auf unser Bewußtsein heute ausübt, ist er nicht schon überdeterminiert? (Ich habe Benjamins anderslautende Bemerkung schon beim ersten Lesen nicht begriffen, bis mir bewußt wurde, daß sie in der Tat aus Gründen, die es endlich zu begreifen gilt, heute nicht mehr gilt. Daß sie nicht mehr gilt, affiziert die Idee des Glücks, die damit ihre raison d’etre verloren hat. Dafür rächt sich der Faschismus und macht so den Verlust irreversibel.)
Adornos Philosophie ist die Entfaltung des apokalyptischen Satzes: Das Erste ist vergangen.
Klingt nicht in Rosenzweigs Kritik des Allbegriffs die Kritik der Universalität des Hegelschen Weltgerichts mit an, die eigentlich die Universalität des Opfers meint.
Ist nicht das Opfer der Zukunft, auf das die Kirche heute bewußtlos und selbstzerstörerisch sich zubewegt, die Selbstverfluchung Petri in der dritten Leugnung?
Nicht nur der römische Hauptmann unterm Kreuz sagt: Das war Gottes Sohn, auch die Dämonen sagen es („und zittern“, nach Jakobus), auch Petrus (nach Karl Thieme ein Typos der Kirche) sagt es, bevor er ihn dreimal verleugnet.
Ton Veerkamps Satz „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (TuK 70, S. 23) erinnert an Hegels Bemerkung (in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte), daß das Wort Geschichte sowohl die historia rerum gestarum als auch die res gestas bezeichnet.
Hat die Vorstellung des Zeitkontinuums (die subjektive Form der inneren Anschauung) sich in der Auseinandersetzung mit der Sternenwelt gebildet? Das würde die Beziehung begründen, in die Kant das moralische Gesetz in uns und den Sternenhimmel über uns rückt. Und der altorientalische Sternendienst war in der Tat ein Instrument der Legitimation der altorientalischen Reiche.
Steckt nicht eine ungeheure Logik in den Problemen, die Goethe und Hegel mit Newton hatten? War es nicht bei beiden das griechische, das „heidnische“ Erbe, das sie aufs Anschauen verwies, auf eine Distanz zu den Dingen, deren Preis die Leugnung und Verdrängung eines Innen war, das bei Newton als das barbarische der allgemeinen Gravitation sich enthüllte (Christentum und Gravitation)? Ist nicht die Anthroposophie eine der letzten Manifestationen dieser Logik? Und gehört nicht die Marxsche Bindung seiner Kapitalismus-Kritik ans Tauschparadigma (und die Ausblendung des Schuldknechtschafts-Paradigma) in diesen Zusammenhang, mit der welthistorischen Folge, daß der Versuch der Realisierung im real existierenden Sozialismus direkt ins Sklavenhaus führte (deshalb gab es im gesamten Ostblock keine Banken)?
Blüm wäre zu korrigieren: Nicht Jesus lebt, wohl aber die tief in der Geschichte des Christentums verwurzelten Banken, deren Zentralen in der Bankenstadt Frankfurt den Triumph über den Sozialismus und das Christentum zugleich ausdrücken.
Ist nicht die Vertreibung der Geldwechsler und der Taubenhändler aus dem Tempel das zentrale Symbol der heute anstehenden Kirchenkritik? (Gibt es einen Zusammenhang dieser Vertreibung der Taubenhändler mit der Geschichte vom Scherflein, das die arme Witwe in den Opferstock gab; ist nicht die Taube das Opfer der Armen und das Symbol des Heiligen Geistes zugleich? Hat nicht die Kirche die Armen und den Heiligen Geist zugleich verraten, als sie sich selbst an die Stelle der Armen setzte und den Geist zum Instrument der Selbstlegitimation machte?)
Wie unterscheidet sich die typologische und realsymbolische Schriftinterpretation von der historisch-kritischen (auf die sie gleichwohl sich beziehen muß)? Ist nicht vor allem der Versuch einer Vergegenwärtigung, die nicht dem Bann des Erbaulichen verfällt? Die typologische und realsymbolische Interpretation gewinnt ihr Leben aus dem des Namens, das in ihnen sich entfaltet.
Sprachastrologie: Ist der Jupiter der Nominativ und der Mars der Akkusativ, und haben Venus und Merkur mit Genitiv und Dativ zu tun?
Unschuldige Dingwelt, oder das Prinzip der Verdinglichung: Der Verurteilungsmechanismus ist ein Exkulpationsmechanismus. Es ist der Mechanismus der Verhärtung des Herzens.
Wer durch die Blume spricht, greift den Adressaten auf eine Weise an, daß er sich nicht wehren kann; er nimmt ihm die Möglichkeit der Verteidigung.
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